Intraorale Druckentwicklung bei Holz- und Blechbläsern
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Intraorale Druckentwicklung bei Holz- und Blechbläsern
Musikphysiologie und Musikermedizin 2004, 11. Jg., Nr. 4 183 Intraorale Druckentwicklung bei Holz- und Blechbläsern B. Schwab, A. Schultze-Florey, Hannover Zusammenfassung Summary Einleitung: In der Literatur existieren praktisch keine detaillierten Angaben zu den während der Musikausübung entstehenden Drücken im Oropharynx-Bereich. In der vorliegenden Studie wurde eine differenzierte Bestimmung der Druckspitzen, des mittleren Druckes sowie der maximal erzielbaren Druckwerte durchgeführt. Material und Methoden: Bei 148 Musikern (Profis eines Staatsorchesters und Schüler/Studenten hauptsächlich aus einem Landesjugendorchester) wurden intraorale Druckmessungen unter variierten Bedingungen (Tonhöhe, Lautstärke) durchgeführt. Die Messungen erfolgten sowohl an einem analogen Manometer (Spannweitenmessungen) sowie mittels digitalem Manometer (Minimal- und Maximaldruckwerte). Ergebnisse: Die geringsten Drücke wurden bei der Querflöte und der Piccolo-Querflöte gemessen (entsprechend dem Druckniveau der normalen Sprache). Höchste mittlere Drücke erzielen Oboe (30-48 mm Hg) und Klarinette (20-34 mm Hg), wobei hier gerade auch der minimal erforderliche Anblasdruck sehr hoch liegt (28 bzw. 16 mm Hg). Bei den Blechbläsern liegen die Anblasdrücke allesamt niedriger als 10 mm Hg auch wenn gerade in dieser Instrumentengruppe die höchsten Maximaldrücke gemessen wurden (Mittelwerte: Trompete 134 mm Hg und Piccolo-Trompete 170 mm Hg). Diskussion: Die von uns gemessenen Druckwerte unterscheiden sich z.T. deutlich von den Werten, die bislang publiziert wurden. Allerdings existieren bisher lediglich Maximaldruck-Messungen und keine detaillierten Messungen unter variierten Bedingungen. Die vorliegende Untersuchung legt hierzu umfassende Messreihen vor. Schlussfolgerungen: Bei Betrachtung der beim Spiel auf Blasinstrumenten erzielbaren intraoralen Drücke spielen nicht nur Maximaldruckwerte eine Rolle, sondern auch – oder sogar in erster Linie - die minimal erforderlichen Anblasdrücke und die Bandbreite der erzielten Drücke während des normalen Spiels. Gerade in der Dauerbelastung liegt das Hauptproblem für den menschlichen Organismus. Investigations into intraoral pressure in woodwind and brass musicians Introduction: In the literature practically no detailed data exist on the pressures that develop in the oropharynx during music practice. In the present study we investigate the differentiated determination of pressure peaks, mean pressure and maximum attainable pressure values. Material and Methods: Intraoral pressure measurements were performed under varied conditions (of pitch and volume) in 148 musicians (both professionals from a symphony orchestra and students, the latter mainly from a national youth orchestra). Measurements were carried out using an analogue manometer (span measurements) and a digital manometer (minimum and maximum pressure values). Results: Pressures were found to be lowest in the case of the transverse flute and the piccolo (equivalent to the pressure level in normal speech). The highest mean pressures were obtained for the oboe (30-48 mm Hg) and clarinet (20-34 mm Hg); here, the minimum required airflow pressure was also very high (28 and 16 mm Hg respectively). In the case of brass instruments the minimum possible pressures were in all cases lower than 10 mm Hg, despite the fact that this group of instruments yielded the highest maximum pressures (average values: trumpet 134 mm Hg and piccolo trumpet 170 mm Hg). Discussion: The pressure values measured differ markedly from those previously reported. However, so far only maximum pressure measurements have been published; detailed measurements under varied conditions are not available. The present investigation discloses a number of comprehensive series of measurements. Conclusion: With regard to the playing of woodwind or brass instruments, it is not only intraoral pressure values that are significant. Also of importance – perhaps prime importance – are the minimum required airflow pressures and the range of pressures obtained during normal playing. In humans it is the chronic stress caused by these pressures that represents the chief problem. Schlüsselwörter Intraoraler Druck – Holzbläser – Blechbläser – Maximaldruck - Minimaldruck Key Words Airflow pressure – woodwind intstrument – brass instrument – intraoral pressure – maximum pressure 184 B. Schwab & A. Schultze-Florey – Intraorale Druckentwicklung bei Holz- und Blechbläsern 1. Einleitung Die Druckentwicklung und die dazu führende Technik beim Spiel auf einem Blasinstrument ist ein wichtiger – wenn nicht sogar wesentlicher - Faktor zur Klanggenerierung. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, dass sich nur wenige publizierte Untersuchungen diesem Thema widmen. Grundlage für einige Messungen in neuerer Zeit sind die von Bouhuys in den 60er Jahren vorgelegten Untersuchungen (2-4), die allerdings keine systematische, breit angelegte Messreihen beinhalten, und deren Hauptgewicht sich auf die Sichtweise eines Pulmonologen fokussiert. Von Fletcher wurden Messungen an der Flöte (8) und an der Trompete (9) vorgenommen, mit relativ geringen Fallzahlen. Untersuchungen an labialen Holzblasinstrumenten (Klarinette, Altsaxophon, Oboe und Fagott) wurden von Fuks und Sundberg (10;11) vorgelegt, auch hier wieder mit recht eingeschränkten Fallzahlen (jeweils 2-3 Spieler pro Instrument). Von Interesse sind solche Messungen prinzipiell für unterschiedlichste Fachgebiete wie respiratorische Physiologie und Pathologie, Gesundheitsprävention für Berufsmusiker und für alle Ausübenden. Aus medizinischer Betrachtungsweise ist die Kenntnis der erzeugten Druckgradienten hilfreich um die Ätiologie mancher berufsspezifischer Erkrankungen zu verstehen, und um beratend dem Musikausübenden zur Seite zu stehen. Ebenso heftig diskutiert wie auch umstritten ist in diesem Zusammenhang z.B. die Frage nach der gehäuften Entstehung eines Lungenemphysems (7). Für Musikausübende und Instrumentallehrer sind solche Informationen wichtig, da sie enorme Bedeutung für die Technik des Instrumentalspiels erlangen können. Die bislang publizierten Daten sind eher spärlich und oftmals unter dem Gesichtspunkt einer Abhängigkeit von Maximalwerten der Druckmessung und der Dynamik erhoben. Ein musikalischer Kontext fehlt häufig ebenso wie eine genauere Differenzierung zwischen verschiedenen Ausbildungsstadien und Geschlecht der Musiker. Die Fallzahlen haben bislang eher episodischen Charakter und lassen nicht zwingend weiterreichende Schlüsse zu. Eine alle Instrumente umfassende Untersuchung fehlt nach unseren Recherchen bislang völlig. In der vorliegenden Arbeit sollen nun alle Holzund Blechblasinstrumente eines klassischen Symphonieorchesters mit einer möglichst großen Fallzahl untersucht werden. Im Mittelpunkt des Interesses stehen neben Minimal- und Maximaldruckwerten auch die mittleren Drücke bei „normalem“ Spiel, entsprechend den musikalischen Durchschnittsanforderungen in der Orchesterliteratur. Weiteres Augenmerk gilt der Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Ausbildungsgraden der einzelnen Musiker. 2. Material und Methoden Die Untersuchungen wurden an Instrumentalisten (Holz- und Blechbläser) deutscher Sinfonieorchester, professioneller Blasorchester, Studenten an Musikhochschulen, freischaffenden Musikern, Instrumentallehrern und Schülern mit Qualifikation für ein Landesjugendorchester durchgeführt. Folgende Holzblasinstrumente wurden in die Untersuchung miteinbezogen: Querflöte, Piccoloflöte, Oboe, Englischhorn, B-Klarinette, Bassklarinette Fagott, und Kontrafagott. Die Blechblasinstrumente waren Horn (unterteilt in hohe, tiefe und Wechsel-Hornisten), B-Trompete, Piccolo-Trompete, Tenorposaune, Bassposaune und Tuba. Die genauen Daten zur Anzahl der jeweiligen Instrumente finden sich in Tabelle 1. Zu beachten ist, dass bei manchen Musikern (FagottKontrafagott, Klarinette-Bassklarinette, Tenorposaune-Bassposaune, Trompete-Piccolotrompete) Doppelmessungen des selben Musikers an unterschiedlichen Instrumenten vorliegen, so dass an den 168 Messungen insgesamt 148 Musiker beteiligt waren. Zunächst wurden von allen Musikern allgemeine demografische Daten (Alter, Geschlecht, berufliche Tätigkeit und deren Dauer, Beginn der Instrumentalausbildung) erhoben. Sodann wurden den Musikern folgende Anweisungen zum Spiel auf ihrem jeweiligen Instrument gegeben: „Spielen Sie im Legato in einer für Ihr Instrument normalen Tonlage und Lautstärke einige Töne, wie beim Einspielen bzw. bei Tonleiterübungen!“ „Spielen Sie einen Ton in einer Lage und Lautstärke, wo maximaler Luftdruck benötigt wird!“ „Spielen Sie einen Ton mit möglichst geringem Luftdruck in einer Lage und Lautstärke, wo dies möglich ist!“ Während des Instrumentalspiels wurden intraorale Druckmessungen vorgenommen. Dazu wurde in den Mundwinkel des Probanden ein dünner Plastikschlauch (Bronchialis„S“ Absaugkatheter gerade 8CH, Maersk Medical, Hunsested, Dänemark) eingebracht, der das komplexe Zusammenspiel der Lippenmuskulatur und den daraus resultierenden luftdichten Abschluss möglichst wenig stören sollte. Dieser wurde während des Spielens zur Ermittlung der Minimal- und Maximalwerte des vom Musiker subjektiv eingeschätzten „normalen“ Bereichs an ein geeichtes analoges Manometer (Modell TONOMETER 630303, Fa. Spei- Musikphysiologie und Musikermedizin 2004, 11. Jg., Nr. 4 del+Keller, Jungingen) angeschlossen. Die minimal und maximal erzielbaren Drücke wurden mittels einer Differenzdruckmessung mit einem digitalen Manometer (Typ AZ-8205, PCE Group oHG, Meschede) ermittelt. Sämtliche Daten wurden in ein Datenbankprogramm (Microsoft Excel® 2000) zur weiteren Verarbei- Instrument Querflöte/Piccolo Oboe/ Englischhorn Klarinette/ Bassklar. Fagott/ Kontrafagott Horn (hoch,tief,var) B-Trompete/ Piccolo Tenorposaune Bassposaune Tuba Summe 185 tung eingegeben. Darüber hinaus wurde untersucht, ob eine so genannte Präcompression bis hin zur Mundhöhle vorliegt, d.h. ein Anstieg des intraoralen Druckes vor dem eigentlichen durch die Zunge geführten Toneinsatz. Schüler Student freischaffend 2 5 0 3 4 1 Lehrer Sinfonieorchester Blasorchester Summe 0 1 12 19 1 1 20 29 3 5 1 1 8 1 19 3 2 0 1 16 0 22 1 6 0 0 18 0 25 3 3 2 0 11 0 19 3 3 2 23 4 0 5 34 1 0 0 5 0 0 0 3 4 5 4 97 0 1 2 6 12 9 13 168 Tab. 1: Auflistung der beteiligten Instrumente und der Rekrutierung der Musiker Querflöte (11) Piccoloflöte (9) Oboe (19) Englischhorn (10) B-Klarinette (12) Bassklarinette (7) Fagott (16) Kontrafagott (6) Horn, hoch (11) Horn, tief (7) Horn, var. (6) B-Trompete (15) Picc.-Trompete (6) Tenorposaune (12) Bassposaune (9) Tuba (13) 0,5 0,7 28 23 15 13 12 8 7 4 5 7 8 4 3 2 1 2 30 26 20 22 15 10 11 9 9 13 17 8 7 6 6 9 48 45 34 33 39 24 36 34 35 42 48 28 24 22 Maximum Normal max. Minimum Instrument Normal min. 3. Ergebnisse 25 30 94 84 53 50 67 44 124 103 119 131 142 112 77 76 Tab. 2: Druck-Mittelwerte der einzelnen Instrumente (Werte in mmHg) sowie des maximal und minimal erzielbaren Druckes. Vorbemerkung: wenn im Folgenden von Musikern die Rede sein wird, und der männlichen Form der Instrumentalisten, sind selbstverständlich auch alle weiblichen Musikerinnen gemeint. Aus Vereinfachungsgründen wird die männliche Form gewählt, auch wenn 21 Musikerinnen in die Untersuchung mit einbezogen wurden. Dies soll ausdrücklich keine Diskriminierung darstellen. In Tabelle 2 sind die Mittelwerte der Druckmessungen für die einzelnen Instrumente zusammengefasst. Den höchsten minimalen Anblasdruck benötigten die Oboisten (28 mmHg) hier lag auch der mittlere Druck bei normalem Spiel am höchsten (zwischen 30 mmHg und 48 mmHg). Für Englischhorn wurde der niedrigste Anblasdruck im Mittel mit 23 mmHg gemessen und normale Werte zwischen 26 mmHg und 45 mmHg. Hohe mittlere Druckwerte erreichten auch Piccolo-Tompete (17-48 mmHg), BTrompete (13-42 mmHg), hohe Hörner (11-36 mmHg) und bei den Holzbläsern die Fagotte (15-39 mmHg). Minimale Druckwerte erzeugten Querflöte (<1-6 mmHg), Piccolo-Querflöte (2-9 mmHg), Bassposaune (7-24 mmHg) und Tuba (6-22 mmHg). Auffällig waren extrem ho- 186 B. Schwab & A. Schultze-Florey – Intraorale Druckentwicklung bei Holz- und Blechbläsern he Druckspitzen bei den B-Trompeten (148 mmHg) und den Piccolo-Trompeten (170 mmHg) wobei hier sogar ein Spitzenwert von 210 mmHg erzielt wurde. Betrachtet man die Druckwerte der einzelnen Instrumente (vgl. Tab. 2), fällt auf, dass die Holzbläser insgesamt weitaus weniger Spitzendrücke aufbauten als die Blechblasinstrumente, die Mitteldrücke sich aber nicht wesentlich unterschieden. Lediglich die Oboe lag sogar mit dem Mitteldruck über dem Durchschnitt der Blechbläser, auch die Spitzendrücke überstiegen deutlich die Spitzendrücke der anderen Holzbläser. Das Gleiche gilt für den minimal erforderlichen Anblasdruck: dieser lag mit 28 mmHg fast doppelt so hoch wie bei Klarinette oder Fagott (16 bzw. 12 mmHg). Flöten und Klarinetten fallen auf durch ihre verhältnismäßig kleine Amplitude zwischen Minimum und Maximum. Mit Abstand die weiteste Amplitude wurde bei den Spielern der Piccolotrompete festgestellt. Die Abbildung 1 fasst diese Zusammenhänge optisch zusammen. Abb. 1: Durchschnittwerte für den Relativdruck im Mund bei Bläsern verschiedener Instrumente (in der Klammer die Anzahl n der jeweiligen Messungen). Das Rechteck zeigt den Durchschnitt des Bereichs, den der Musiker subjektiv als Normaldruck empfindet. Der Balken unterhab des Rechtecks zeigt den Mittelwert für den minimalen Druck. Oberhalb des Rechteckes wird der Mittelwert für den Maximaldruck dargestellt. 4. Diskussion Druckbelastungen bei Blasinstrumentalisten werden in der Literatur als sehr hoch (Spitzendruckwerte bis 130 mmHG) angegeben und mit den Belastungen von Glasbläsern verglichen (5). In der medizinischen Literatur tritt dieser Wert zum ersten Mal bei BOUHUYS (2) in Erscheinung und wird dann zunächst von WEBER (21) zitiert als zwischen 5-115 mmHg liegend. DIBBELL publizierte eine Tabelle von Spitzendruckwerten bei unterschiedlichen Holz- und Blechblasinstrumenten (6). Hierbei lag der Spitzendruck von 132,4 mmHg bei der D-Trompete. So erklärt sich der dann im Folgenden häufig zitierte Wert von etwa 130 mmHg. Auch diese Daten gehen auf die Untersuchung von BOHUYS zurück, stimmen sie doch bis in die Nachkommastelle mit den von ihm publizierten Werten überein. GORDON (14) zitiert wiederum diese Werte als fälschlicherweise von DIBELL stammend. Auffallend ist weiterhin, dass sich viele Untersuchungen hauptsächlich auf den maximalen Spitzendruck fokussieren, der Mitteldruck spielt häufig keine Rolle. So differenziert BOUHUYS lediglich nach „tiefer Ton“ und „hoher Ton“, dem Druckmaximum und dem Flussminimum. Die nach unseren Recherchen einzige Arbeit, die wesentlich differenzierter dieses Problem untersucht, ist die Publikation von FUKS (10). Musikphysiologie und Musikermedizin 2004, 11. Jg., Nr. 4 Relativierend ist hingegen die Tatsache zu werten, dass in dieser Untersuchung lediglich zwei Instrumentalisten für die jeweiligen Instrumente (B-Klarinette, Alt-Saxophon, Oboe und Fagott) herangezogen wurden. Nach unseren Untersuchungen müssen einerseits diese Werte zum Teil erheblich nach oben hin korrigiert werden (bis zu 210 mmHg, Piccolotrompete). Auf der anderen Seite ist einzuschränken, dass es sich dabei nur um Spitzenwerte handelt, die maximal und nur kurzzeitig erbracht werden können, für den Normalfall (und die ersten Jahre einer Instrumentalausbildung) aber nicht erforderlich sind. Tabelle 3 zeigt eine Gegenüberstellung der in der Literatur aufgeführten Druckwerte und den Werten der eigenen Messungen. Minimalwerte Durchschnitt (e.M.) Singulärer malwert (e.M.) 51 39 122 104 71 88 160 190 210 160 106 Mini- Maxi- 30 25 94 84 53 67 124 131 142 112 76 Minimalwerte (Fuks) 48 48 Singulärer malwert (e.M.) 87 Minimalwerte Maximalwerte Durchschnitt (e.M.) 58,3 77,8 80,8 54,7 86,4 98,7 115,9 125,8 132,4 126,0 77,6 Maximalwerte (Fuks) Singulärer Maximalwert (Bouhys) Maximalwerte Piccoloflöte Flöte Oboe Englischhorn Klarinette Fagott Horn Trompete Piccolotrompete Posaune Tuba 187 26 28 25 17 10 15 12 8 8 Tab. 3: Gegenüberstellung der in der Literatur angegebenen Druckwerte (alle Werte in mmHg) und den Werten der eigenen Messungen (e.M.) Zum Vergleich und besseren Verständnis der Druckwerte, die bei unterschiedlichen Blasinstrumenten erzeugt werden, wurden Messungen bei allgemein bekannten Tätigkeiten durchgeführt und dabei Durchschnittswerte für den in der Mundhöhle entstehenden Luftdruck ermittelt. Beim Pfeifen wurden Werte bis zu 5 mmHg erreicht. Forciertes Sprechen insbesondere bei den harten Verschlusslauten (p, t, k) erforderte einen Druck bis 10 mmHg. Bei Ausblasen einer Kerze aus einer Distanz > 50 cm wurden Werte bis zu 20 mmHg erzielt. Einen handelsüblichen Luftballon konnten schon nicht mehr alle Versuchspersonen aufblasen. Um den Anfangswiderstand mancher Luftballons zu überwinden sind Druckwerte von etwa ca. 60 mmHg erforderlich. Bei der Untersuchung der individuellen Messwerte ist auffallend, dass jeder Musiker seinen eigenen Normalbereich des am besten geeigneten Luftdruckes definiert. Dieser ist nicht in erster Linie abhängig von der Fähigkeit generell auch mit weniger Luftdruck adäquate Töne zu generieren bzw. auf der anderen Seite auch bei Bedarf mehr Druck zur Verfügung zu stellen. Mit anderen Worten: ein Bläser, der in der Lage ist, höhere Druckwerte zu erzielen muss nicht unbedingt permanent mit höheren Drücken spielen. Allerdings lässt sich ein Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und den Luftdruckwerten darstellen (am besten am Beispiel der Hornisten): bei den hohen Hornisten, die sich schon früh auf die hohen Stimmen spezialisiert haben, werden höhere Druckwerte erzielt als bei den tiefen Hornisten (s. Abb. 2). Auch für die Solotrompete lassen sich solche Zusammenhänge nachweisen (vgl. Abb. 3). Generell finden sich bei Solobläsern höhere Maximalwerte als bei den 2. Stimmen. Bei den Flötisten zeigt sich, dass häufiges Wechseln auf die Piccoloflöte die Fähigkeit zu höheren Druckwerten begünstigt (vgl. Abb. 4). Für die Gruppe Klarinette/Bassklarinette (vgl. Abb. 5) konnte eine Besonderheit in der Druckbelastung festgestellt werden. Während bei allen anderen Blasinstrumenten hohe Töne mit großer Lautstärke den maximalen Druck 188 B. Schwab & A. Schultze-Florey – Intraorale Druckentwicklung bei Holz- und Blechbläsern erfordern, wird von den Klarinettisten bei tiefen lauten Tönen der maximale Druck verlangt; eine Tatsache, die selbst erfahrenen Klarinettisten oftmals nicht bekannt ist. Die Werte der übrigen Instrumente (Oboe/ Englischhorn: Abb. 6, Fagott/Kontrafagott: Abb. 7, Posaunen/Tuba: Abb. 8) finden sich in den weiteren Abbildungen. Interessant ist auch die Analyse der Druckwerte nach Ausbildungsgraden. Abbildung 9 stellt die mittleren Druckwerte (also Minimal- und Maximaldruck, sowie minimaler und maximaler Normaldruck) von Berufsmusikern (in der Abbildung mit P für „Profi“ gekennzeichnet) und Schülern/Studenten (in der Abbildung mit A für „Auszubildender gekennzeichnet) gegenüber. Kontrafagott, Piccolotrompete und die Unterteilung der Hörner konnte hier wegen zu geringer Fallzahlen in der Gruppe der Schüler/Studenten nicht mit aufgenommen werden. Bei den Holzbläsern findet sich mit Ausnahme der Klarinette bei allen Instrumentalgruppen eine bei den Profis ausgeprägtere Fähigkeit extrem hohe Druckwerte zu erzielen, die jedoch im normalen Spiel nicht als solche eingesetzt werden. So bleiben die maximalen Werte bei normalem Spiel durchwegs niedriger als bei den Schülern/Studenten. Ebenso finden sich in allen Instrumentalgruppen niedrigere minimal erforderliche Anblasdrücke bei den Profis, wohingegen die Schüler/Studenten (hier mit der Ausnahme der Bassklarinette) höhere Drücke zum Anblasen benötigen. Diese Tendenz tritt bei den Blechbläsern nicht so deutlich hervor, ist jedoch im Prinzip – insbesondere in Bezug auf die Maximaldruckentwicklung- auch in allen Blechbläsern nachweisbar. Die zuvor beschriebene Dynamikeinschränkung – also der geringere Unterschied zwischen Maximaldruck bei normalem Spiel und maximal erzielbarem Druck- ist in dem Ausmaß bei den Blechbläsern nicht vorhanden. Insgesamt lässt sich aber feststellen, dass die in der Ausbildung stehenden Holzbläser im Vergleich zu den Profis mit vielen Jahren Berufserfahrung mit deutlich erhöhtem Mitteldruck spielen. Da gerade die Holzbläser (sieht man einmal von den Flöten ab) generell höhere Druckwerte sowohl zum Anblasen des Instruments als auch bei normalem Spiel benötigen, ist hier sicherlich ein erhöhtes Augenmerk auf diese Berufsgruppe zu richten. In der Medizin hat sich bis heute keine einheitliche Meinung darüber gebildet, ob das Spielen von Blasinstrumenten grundsätzlich schädlich oder vielleicht sogar fördernd für die Gesundheit ist. In Einzelfällen wurde beobachtet, dass bei Kindern mit asthmatischen Beschwerden durch das Spiel auf Blasinstrumenten sogar eine Symptomverbesserung erzielt werden konnte (15). Auf der anderen Seite wird aber gerade wieder den Blasmusikern eine Neigung zur Entwicklung von Asthma bronchiale nachgesagt (13). In einer Untersuchung von Fendel konnte zumindest bei 23 Oboisten eine Häufung von Lungenemphysemen ausgeschlossen werden. Andere Faktoren (exogene Noxen) zur Entstehung eines Lungenemphysems werden deshalb diskutiert, wegen der geringen Fallzahl sei aber eine abschließende Beurteilung nicht möglich (7). Gleichwohl rät Fendel zu einer „...Rationalisierung der Atemtechnik, welche eine Minimierung der erforderlichen Blasdrucke ermöglicht und damit das theoretische Risiko einer Krankheitsentstehung mindert.“ Vermeintlich schädliche Auswirkungen von Druckentwicklungen beim Spielen von Blasinstrumenten reichen bereits bis in die Antike zurück. So wird von einem typischen unschönen Gesichtsausdruck beim Spielen des Aulos, zweier paralleler gehaltener Rohrblattinstrumente vergleichbar mit einer Oboe berichtet (1). Hartnäckig hält sich in der Laienwelt auch die Meinung, dass bei Oboisten – bedingt durch den offensichtlich hohen Druck und einer daraus resultierenden Minderdurchblutung des Gehirns - im Laufe der Jahre eine Demenz eintreten würde. Ganz aus der Luft gegriffen ist indes diese einfache Vorstellung nicht, liegt doch der durchschnittliche Mindestdruck, der zum Ansprechen des Tones aufgebracht werden muss bei der Oboe oberhalb 30 mmHg und somit deutlich über dem Zentralvenendruck. Die damit verbundene Stauung des venösen Rückstroms ist auch deutlich am hochroten Kopf und an den hervortretenden Jugularvenen zu erkennen. Folgen dieser erhöhten Druckverhältnisse können sich auf vielfältige Weise im Organismus manifestieren. Schuman berichtete von Gesichtsfeldausfällen und erhöhtem Augeninnendruck sowie einer Neigung zur Glaukomentwicklung bei Spielern von Instrumenten, die erhöhte Spieldrücke erfordern (19). Operationsbedürftige Schädigungen des M. orbicularis oris wurden von Papsin et al. bei 10 Blechbläsern berichtet (16). Das Problem einer Muskelruptur der Lippen ist bei Trompetern schon länger bekannt, wurde es ja nach dem Namen eines berühmten „Leidensgenossen“ mit Satchmo’s syndrome benannt (17;18). Louis Armstrong musste aufgrund der Muskelverletzung im Jahre 1935 für ein Jahr pausieren. Garvis berichtet über einen Fall eines 19jährigen Trompeters, der rezidivierende Schwellungen des Halses während des Instrumentalspiels bemerkte. Mit der Zeit hätten diese neben Schmerzen sogar zu Schluckbeschwerden geführt (12). Musikphysiologie und Musikermedizin 2004, 11. Jg., Nr. 4 189 190 B. Schwab & A. Schultze-Florey – Intraorale Druckentwicklung bei Holz- und Blechbläsern Musikphysiologie und Musikermedizin 2004, 11. Jg., Nr. 4 191 192 B. Schwab & A. Schultze-Florey – Intraorale Druckentwicklung bei Holz- und Blechbläsern Abb. 2-8: In den Übersichten mit den Messwerten für die jeweiligen Instrumentengruppen sind die einzelnen Bläser nach dem maximal erreichbaren Druck geordnet. Unterhalb der Bezeichnung mit der beruflichen Tätigkeit ist in der ersten Spalte (A) die Anzahl von Jahren aufgeführt, seit der das Instrument gespielt wird. Die zweite Zahlenreihe (B) gibt das Alter der Instrumentalisten wieder, in der Reihe C findet sich das Geschlecht der Musiker. Abb. 9: Vergleich der durchschnittlichen Druckwerte von Berufsmusikern (P) und Schülern/Stundenten (A). Das Rechteck zeigt den Durchschnitt des Bereichs, den der Musiker subjektiv als Normaldruck empfindet. Der Balken unterhab des Rechtecks zeigt den Mittelwert für den minimalen Druck. Oberhalb des Rechteckes wird der Mittelwert für den Maximaldruck dargestellt. Musikphysiologie und Musikermedizin 2004, 11. Jg., Nr. 4 Sehr häufig sind Probleme mit der Abdichtung des Gaumensegels beschrieben. Hier kommt es zu einem störenden Entweichen der Luft über die Nase während des Spiels (5;6;21). Eigene Untersuchungen konnten zeigen, dass diese sogenannte velopharyngeale Insuffizienz unter Blasmusikern ein unterschätztes Problem darstellt (20). In Extremfällen kann die VPI zu einem Abbruch der Berufsausübung führen. 5. Schlussfolgerungen Die bislang in der Literatur publizierten Druckwerte beim Instrumentalspiel auf Blasinstrumenten beschränken sich zumeist auf die Bestimmung von maximalen Druckpegeln. Zu wenig Beachtung fanden bisher jedoch mittlere Druckwerte beim vom jeweiligen Instrumentalisten subjektiv als „normal“ empfundenen Spiel. Letztendlich stellen diese ein besseres Maß der Dauerbelastung in den Alltagsanforderungen der Instrumentalliteratur dar. Besonders bei den Holzbläsern mit ihren ohnehin deutlich höheren Druckanforderungen (Ausnahme: Flöte) liegt die Gefahr der Entwicklung gesundheitlicher Schäden, sei es akut oder als möglicherweise non-reversible chronische Erkrankung. Die in der Ausbildung befindlichen Musiker neigen nach unserer Untersuchung offenbar zu einer Entwicklung höherer Druckwerte bei normalem Spiel, während die Maximaldruckwerte von Berufsmusikern (noch) nicht erreicht werden können. Hier wäre in der modernen Bläsermethodik im Sinne der Prävention gesundheitlicher Schäden bereits von den Lehrern ein Augenmerk auf diese Zusammenhänge gefordert. Eine Überprüfung der erzielten Druckwerte bereits in der Ausbildung aber auch im späteren Berufsleben ist sicherlich wünschenswert und wäre auch mit relativ einfachen Mitteln zu realisieren. Zur Analyse bläserspezifischer gesundheitlicher Probleme und zur Hilfestellung bei akuten Krisen ist eine Darstellung der Druckverhältnisse unbedingt erforderlich; die objektive Sicht auf die Grundlagen der Tonbildung bietet darüber hinaus eine Fülle von praktischen Erkenntnissen. 6. Literatur 1. Becker, H. (1966). Zur Entwicklungsgeschichte der antiken und mittelalterlichen Rohrblattinstrumente. Hamburg, Schriftenreihe des Musikwissenschaftlichen Instituts der Universität Hamburg. (Bd. IV), 120-129. 193 2. Bouhuys, A. (1964). Lung volumes and breathing patterns in wind-instrument players. J.Appl.Phys. 19, 967-975. 3. Bouhuys, A. (2003). Sound-power production in wind instruments. J.Acoust.Soc.Am. 37, 453-456. 4. Bouhuys, A. (1969). Physiology and musical instruments. Nature 221(187), 1199-1204. 5. Conley, S.F., Beecher, R.B., and Marks, S. (1995). Stress velopharyngeal incompetence in an adolescent trumpet player. Ann.Otol.Rhinol.Laryngol. 104(9 Pt 1), 715-717. 6. Dibbell, D.G., Ewanowski, S., and Carter, W.L. (1979). Successful correction of velopharyngeal stress incompetence in musicians playing wind instruments. Plast.Reconstr.Surg. 64(5), 662664. 7. Fendel, M. Lungenemphysem als Berufserkrankung bei Bläsern. In: Wagner C, ed. Medizinische Probleme bei Instrumentalisten. Laaber: Laaber-Verlag, 1995: 201-208. 8. Fletcher, N.H. (1975). Acoustical correlates of flute performance technique. J.Acoust.Soc.Am. 57, 233-237. 9. Fletcher, N.H., Tarnopolsky, A. (1999). Blowing pressure, power, and spectrum in trumpet playing. J.Acoust.Soc.Am. 105(2 Pt 1), 874-881. 10. Fuks, L., Sundberg, J. (1996). Blowing pressures in reed woodwind instruments. Quart. Progr. Status Rep., Speech Music and Hearing. Stockholm, Royal Inst. Tech. 3, 41-57. 11. Fuks, L., Sundberg, J. (1999). Blowing Pressures in Bassoon, Clarinet, Oboe and Saxophone. acta acustica 85(2), 267-277. 12. Garvis, W.J., Hoffman, H.T. (1996). Hypopharyngeal dilatation in a musician. 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