Jahrgang 2014 D r. Peter M üller Verlag

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Jahrgang 2014 D r. Peter M üller Verlag
2014
Dieses Buch widmen Ihnen
Erste Bank und Sparkassen
26. Ausgabe, Jahrgang 2014
Haftungserklärung
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Impressum
Herausgeber:
Österreichischer Rundfunk,
Würzburggasse 30, 1136 Wien
Erste Bank der Oesterreichischen Sparkassen AG,
Graben 21, 1010 Wien
auch für die Inhalte der Erste Bank
verantwortlich
Eigentümer und Verleger:
Dr. Peter Müller Buch- und Kunstverlag Ges. m. b. H.,
Kärntnerstraße 13–15, 1010 Wien
Dr. Harald Hohenberg
Redaktion und für den Inhalt verantwortlich:
Redaktion des ORF-TV-Wirtschaftsmagazins € CO
Günther Kogler
p.a. ORF, Würzburggasse 30, 1136 Wien
Gestaltung & Layout: Sebastian Traxl, Wien
Lektorat: Werner Egger, Graz
Druck: Druckerei Seitz Ges. m. b. H., 2201 Gerasdorf
Verlagsort: Wien
Herstellungsort: Wien
www.erstebank.at
www.orf.at
Inhalt
Das Euro-Jahr 2013: Vom Rechnen in Millimetern
Günther Kogler Steuern, Abgaben und Co.: Das ist neu ab dem Jahr 2014
Beate Haselmayer Das Millionenspiel: So teuer war uns das Wahljahr 2013
von Alexander Sattmann und Ernst-Johann Schwarz Die Frau an der Spitze der Weltwirtschaft
Katinka Nowotny Salzburg: Von Spekulanten, Jongleuren und Politikern
Günther Kogler Die Alpine-Pleite – ein Baukonzern geht unter
Sabina Riedl Teures Wohnen: Warum die Mieten so hoch sind
Beate Haselmayer Löhne und Gehälter: So viel verdienen die Österreicher
Christina Kronaus Konkurrenz für den Kredit: Die »crowd« und das »money«
Hans Hrabal Tauschen und Teilen: Ist es wirklich das neue »Haben«?
Bettina Fink Der »freie Markt«: Kartelle, Absprachen und Monopole
Hans Hrabal Armutsfalle Teilzeitarbeit: Die Rechnung kommt später…
Bettina Fink Die Energiewende – und die Angst vor dem »Blackout«
Hans Hrabal Die Airbus-Story: Europa übernimmt die Lufthoheit
Angelika Ahrens Das »Ferien-Dilemma«: Was tun mit den eigenen Kindern?
Bettina Fink Diamanten: Funkelnde Steine mit attraktiven Renditen
Katinka Nowotny Wettlauf der Superzüge – aber ein »Restrisiko« bleibt
Hans Hrabal Geteilte Autowelt: Oldtimer hui, Neuwagen pfui
Hans Wu 6
15
27
35
45
51
57
63
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75
81
85
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97
103
107
113
119
125
Fünf Todsünden, die Anleger arm machen
Katinka Nowotny »Intelligent drive« – nur: Wer will »selbstfahrende Autos«?
Angelika Ahrens Neue »Shopping-Welt« – gebummelt wird »online«
Sabina Riedl Von der Musicalbühne ins Fitnessstudio: Schwitzen für Geld
Hans Wu Partneragenturen: So viel Geld kostet uns die Liebe
Christina Kronaus Der Kampf um die teuren Gratishandys
Hans Wu »Waldviertel-Cluster« – der Blues der Abgeschiedenheit
Angelika Ahrens Vom »Himmel auf Erden«: Der Schlager ist ein Schlager ist ein …
Sabina Riedl An morgen denken – wer wird mich einmal pflegen?
Christina Kronaus »Geld vom Golf«: Zwischen Zinsverbot und Profitstreben
Günther Kogler Die Aktienbörsen 2014: Mehr Chancen als Risken
Franz Gschiegl Geldanlage, wohin mit dem Ersparten?
Thomas Schaufler Staatsverschuldung und Niedrigzinspolitik
Rainer Münz und Bernadett Povazsai-Römhild Euro oder Dollar, wer ist stärker?
Mildred Hager Unsere Nachbarn im Osten: Wachstum oder tote Hose?
Zoltan Bakay Schauplatz Börse:Wer wagt, gewinnt
Franz Gschiegl Finanzbildung im Fokus 133
139
143
149
153
159
167
171
177
185
204
212
220
230
237
250
253
7
Liebe Leserinnen und Leser!
»Sparer und Anleger haben schon mehr gelacht«, meinte nach der letzten EZB – Leitzinssenkung ein Fernsehkommentator. Aber mit den
niedrigen Zinsen werden wir alle noch geraume Zeit leben müssen. Was
die Kreditnehmer ohne Zweifel freut, die Sparer hingegen stehen angesichts des bescheidenen Zinsertrages auf dem klassischen Sparbuch
vor neuen Herausforderungen. Die kühlen Briten haben für solche
Situationen einen weisen Spruch: Make the best of it! Und genau das
ist im Jahr 2014 jetzt die vernünftigste Anlagestrategie. Dabei geht
es um die optimale Verteilung der Ersparnisse auf die diversen Spar –
und Veranlagungsformen. Denn es gibt – neben dem unverzichtbaren
Sparbuch mit täglich verfügbarem Geld – auch durchaus vernünftige
Alternativen, die einen mittel – und längerfristigen Vermögensaufbau
möglich machen.
Das Spektrum reicht dabei vom geförderten Bausparen über die ebenfalls mit einer staatlichen Prämie begünstigte Zukunftsvorsorge
bis hin zu Investmentfonds, mit einem sehr breiten Angebot für
alle Veranlagungsstrategien. Bei den Fonds beispielsweise beweist
die Sparkassengruppe mit ihrer Kapitalanlagegesellschaft ESPA
seit Jahrzehnten, dass sie mit unterschiedlichsten Produkten den
Anleger durch die Komplexitäten der Finanz- und Kapitalmärkte sicher
hindurchsteuert.
Jedenfalls steht die Sparkassengruppe mit Innovationen in der
Dienstleistung, aber mit Tradition in der Seriosität auch in der
Niedrigzinsphase für sichere Lösungen zur Verfügung. Was selbstverständlich auch für die Kreditvergabe gilt: Sparkassen wandeln
Spareinlagen in Kredite für Unternehmen und Private um. Sie erbringen
damit eine sehr wichtige Leistung für die Gesamtwirtschaft, insbesondere jedoch für die Klein- und Mittelbetriebe.
Die Kreditvergabe wird auch wieder wichtiger, denn fast alle
Wirtschaftsexperten erwarten für das Jahr 2014 den langersehnten
Wirtschaftsaufschwung. Wachstumsraten in der Bandbreite von 1,5
bis 2 Prozent real sind in Österreich nicht unwahrscheinlich, denn
die Konjunktur hat weltweit wieder Fahrt aufgenommen. Das wird
8
Unternehmen zu mehr Investitionen und private Haushalte zu höheren
Anschaffungen – etwa bei dauerhaften Konsumgütern – motivieren.
Das Sparen hat also viele Effekte: Für jeden einzelnen von uns und für
die Gesamtwirtschaft.
Doch es geht beim Sparen nicht nur um den vielzitierten »Notgroschen«
oder um ausreichende Liquidität, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert. Der Konsumverzicht bei einem Teil des persönlichen Einkommens
wird in Zukunft auch langfristig von größter Bedeutung sein. Denn die
Altersvorsorge sowie die Vorkehrungen für den möglichen Pflegefall
im Alter sind das wichtigste Motiv aller jener, die Geld langfristig veranlagen wollen. Wer beim Übertritt vom aktiven Berufsleben in den
Ruhestand keine schmerzhafte »Pensionslücke« erleiden will, der kommt
um Eigenvorsorge nicht herum. Auch dafür stehen wir als kompetente
Berater und lebenslange Begleiter zur Verfügung.
Wir wünschen Ihnen im Namen der Erste Bank und der österreichischen
Sparkassen mit diesem Jahrbuch eine interessante Lektüre und vor allem
eine handfeste Orientierungshilfe!
Thomas Uher, Christian Aichinger
Ihr Christian Aichinger
Präsident des Österreichischen
Sparkassenverbandes
Ihr Thomas Uher
Vorstandssprecher der Erste Bank
Oesterreich
9
Von links nach rechts:
Günther Kogler, Angelika Ahrens, Sonja Titz, Hans Hrabal, Mag. Beate
Haselmayer
10
Von links nach rechts:
Mag. Bettina Fink, Katinka Nowotny, Sabina Riedl, Dr. Christina Kronaus,
Hans Wu, Mag. Hans Tesch
11
100 Prozent Information
von Mag. Hans Tesch
€CO gehört zu den erfolgreichsten Formaten des ORF, das attestiert
uns die hauseigene Markt- und Medienforschung. Mehr als 300.000
Österreicher sehen im Durchschnitt jede unserer Sendungen. Unser
Marktanteil ist auf 20 Prozent gestiegen; unsere Zuseher sind »jünger«
geworden und der Anteil an gut ausgebildeten und gebildeten Sehern
ist überdurchschnittlich hoch.
Dieser Erfolg freut uns besonders, weil wir dafür keinerlei Kompromisse
und Konzessionen gemacht haben. 100 Prozent Information, das war
und ist unsere Devise. Die Themen sind durchwegs wirtschaftlich relevant. Angeboten werden Daten und Fakten oft rein puristisch; oft gut
vermengt mit plakativer Alltagsbetroffenheit. Meist kommen zusätzliche Informationen von renommierten Experten oder Akteuren aus der
Wirtschaft. Und serviert wird das Ganze am Donnerstag von unserer
kompetenten Moderatorin.
Wir bereiten die kontroversen Wirtschaftsthemen journalistisch auf. Wir
liefern Hintergründe zu aktuellen und wesentlichen Angelegenheiten,
sodass unsere Seher mitreden und selbst besser entscheiden können. Von
den Einschnitten bei den Pensionen über die risikobewusste Geldanlage
bis zur Euro-Rettung. Keinen maßgeblichen Bereich behandeln wir stiefmütterlich. Trends wie »Crowd-funding« finden ebenso Platz in €CO wie
wirtschaftspsychologische Kommentare zu unserer Währung. Angestrebt
wird eine Vielfalt, jedoch kein wirtschaftlicher Boulevard. Mit unseren
Service- und Ratgeberthemen entsprechen wir den laufend geäußerten
Wünschen unserer Seher.
€CO wird gemacht von einem kleinen, motivierten Team. Oft unter
großem Zeitdruck, um auf aktuell brisante Themen aktiv zu reagieren. Unsere Botschaft an die Zuseher klingt positiv: »Wir polieren die
Schlüsselqualifikationen für ihre persönlichen Finanzdispositionen auf.
Unsere Informationen sollen ihnen helfen, die komplexen finanziellen
Entscheidungen im Alltag zu evaluieren. Das Leben zu optimieren.«
12
Für das Jahr 2014 stehen die Eckpunkte der Veränderungen fest: An
der gewohnten Qualität und Verständlichkeit wird festgehalten. Bei der
Themenauswahl wollen wir noch unmittelbarer reagieren und noch aktueller informieren. Und die grafische Unterstützung der Beitragstexte
wird dynamischer und moderner.
Liebe Leser des €CO-Jahrbuches! Als Fernsehmacher freut es uns, dass
unser regelmäßiges wöchentliches TV-Magazin von einem ebenso
­beliebten wie einmaligen Printprodukt begleitet wird. Nutzen Sie –
wie die Fernsehbeiträge – die Informationen in diesem Jahrbuch zu
Ihrem persönlichen Vorteil und zur Erweiterung Ihres wirtschaftlichen
Horizonts.
Ihr
Hans Tesch
Sendungsverantwortlicher
ORF-Wirtschaftsmagazin €CO
[email protected]
13
Große Worte –
meist sogar richtige
gesammelt von Günther Kogler
»Was mir passiert ist, kann auch anderen passieren.«
Monika Rathgeber, Salzburgs ehemalige Chefbuchhalterin, zum Verlust
von rund 400 Millionen Euro
»Vielleicht hätten wir mal den einen oder anderen Bauarbeiter in
die Aufsichtsratsitzung holen sollen.«
Rainer Bomba (CDU) sinniert über die Gründe des Milliardendebakels
beim noch immer nicht fertigen Flughafen Berlin
»Es ist schon richtig, dass in der Politik auch nicht alle für einen
Nobelpreis in Frage kommen. Aber so viele Deppen wie in den
Medien gibt es in der Politik nicht.«
Ex-Finanzminister Rudolf Edlinger macht aus seinem Herzen keine
Mördergrube
»Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht.«
Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel sinniert über ihr Handy
und die USA
»Diesmal hat die Koalition die Totenglöckerln schon gehört.«
ÖVP-Seniorenchef Andres Khol nach dem Wahlergebnis des 29.
September 2013
»An diesem Tisch ist der Gemischte Satz der Politik offenkundig
geworden. Er hat sehr gemundet.«
Werner Faymann (SPÖ) und Erwin Pröll (ÖVP) werden vor der
Nationalratswahl „zufällig“ in einem Gastgarten in Wien-Döbling
entdeckt.
»Ich habe gewonnen – ich lebe noch.«
Ex-FPÖ-Chef Norbert Steger hat seine Kriege mit Nachfolger Jörg
Haider noch immer nicht vergessen
14
Das Euro-Jahr 2013: Vom
Rechnen in Millimetern
von Günther Kogler
Wer tief unten ist und dennoch Optimismus versprühen
möchte, klammert sich an jede Ziffer, die Aufschwung verheißt.
Willkommen in der Eurozone. Es geht aufwärts. Aber nur, wenn
wir bereit sind, in Millimetern und Zehntel-Prozentpunkten zu
rechnen. Dann lautet die Prognose: Der Sturm zieht ab. Nein,
aufgeklart hat sich der Himmel nicht. Nur Blitz und Donner
­haben nachgelassen. Das stimmt auch uns optimistisch. Aber es
hält uns nicht davon ab, ein bisschen genauer hinzusehen – auf
den angeblichen Aufschwung.
Es war am Freitag, dem 13. Dezember 2013. Die EU-Kommission billigt die Auszahlung der letzten Rate aus dem so genannten EuroRettungsschirm an Irland. 800 Millionen Euro werden an Dublin
überwiesen. Es sind die letzten 800 Millionen eines Gesamtpaketes,
das in Summe 67,5 Milliarden Euro verschlungen hatte. Bereits am
Tag darauf verkündet die irische Regierung stolz, dass das Land
nun bereit sei, »aus dem Euro-Rettungsschirm« auszusteigen.
Brüssel gibt Flankenschutz. Oli Rehn, der Währungskommissar der
Europäischen Union, streut Blumen. Er sei »zuversichtlich«, dass sich
Irland »auf einem positiven Weg« befinde; dies gelte »sowohl für das
Wirtschaftswachstum als auch für die öffentlichen Haushalte.«
Die Euro-Millionen waren noch nicht auf der grünen Insel eingetroffen – siehe das Kleingedruckte bei »Banküberweisungen und das
Wochenende« –, da erklärt der irische Finanzminister Michael Noonan
in einem eiligen Interview, dass sein Land »den Schutzschirm der
Europäischen Union mit heutigem Tag verlassen« hat. Es ist Sonntag,
der 15. Dezember 2013. Leider, so muss der flinke Säckelwart Irlands
noch einräumen, werde just »im laufenden Jahr die Schuldenquote mit
124 Prozent den Höchststand erreichen«, aber ab nun gehe »es aufwärts«. Auch er sei »zuversichtlich«, dass sein Land die Schuldenquote
»schnell drücken kann«.
15
Sitzung des EZB-Generalrates: Rechnen in Zehntel-Prozentpunkten (Foto: EZB/Böttcher)
Kniefall vor derart großartiger Präzision und Weitsicht. Drei Jahre erst
ist es her, dass das Todesurteil gefällt wurde. Irlands Bankensystem
reißt 2010 das Land in den Abgrund. Mehr als 300 Milliarden Euro müssen von Dublin in einen aufgeblähten Finanzsektor gepumpt werden,
um die – ja, wir kennen das – »systemrelevanten Banken« vor dem
Crash zu retten. Die Kosten für die neuen Anleihen, die Irland auflegen
muss, schnellen auf 14,5 Prozent. Das ist unfinanzierbar. Also: Flucht
unter den »Euro-Rettungsschirm«. Irland ist flächenmäßig nicht ganz
so groß wie Österreich; statt 8,6 Millionen Einwohner wie bei uns leben auf der Insel nur 4,6 Millionen. Dennoch muss Brüssel über 36
Monate hindurch besagte 67,5 Milliarden an »günstigen Krediten«
an den ehemaligen »Musterknaben« der Eurozone überweisen.
Wie immer war alles ganz schnell gegangen. Von 2003 bis 2007 hatte
Irland, international frenetisch gelobt, Budgetüberschüsse erzielt,
einmal sogar den Traumwert von fast drei Prozent Plus. Aber dann
krachte es: Im Jahr 2008 fehlten bereits sieben, in den Folgejahren
dann 14 bis hinauf zu 31,2 (!) Prozent. Rumms. Heute macht das
Defizit noch immer sieben Prozent des Bruttoinlandsproduktes
aus, die Arbeitslosenrate liegt bei zwölf Prozent. Steuerhöhungen,
Ausgabenkürzungen und die Einschnitte bei der Sozialleistungen haben die Kaufkraft der Iren um ein Fünftel gesenkt (–20 Prozent!).
16
Soweit zum »Musterknaben«, der nur auf ein Geschäftsmodell gesetzt
hatte: auf das seiner Finanzindustrie.
Heilung, Genesung und angebliche Wiederauferstehung sind immerhin auch dem Internationalen Währungsfonds eine Spur zu reibungsund kritiklos erschienen. Während sich die Europäer darüber freuten,
»endlich aufatmen zu können« (Originalzitat Klaus Regling, Chef des
Rettungsfonds EFSF), sprach nur IWF-Präsidentin Christine Lagarde
Klartext. »Noch immer steht Irland vor erheblichen wirtschaftlichen
Herausforderungen: Die Arbeitslosigkeit ist zu hoch, die Nachhaltigkeit
der Staatsverschuldung bleibt anfällig und die hohe Schuldenlast
der Privathaushalte sowie der langsame Fortschritt der Banken beim
Umgang mit faulen Krediten drücken auf die Inlandsnachfrage«.
€CO erzählt die Geschichte des kleinen Irland deshalb so ausführlich,
weil sie bezeichnend ist für den Umgang mit der Verheerung, die in der
Euro-Zone angerichtet wurde. Die atemberaubenden Summen, die zur
Rettung der gemeinsamen Währung eingesetzt werden mussten, werden heruntergespielt; jeder noch so kleine Erfolg wird überhöht. Dass
die kleine Insel den Schutzschirm der Europäischen Union verlassen
darf, heißt nur, dass bis auf Weiteres keine neuen Kredite mehr überwiesen werden müssen.
Der Schutthaufen bleibt derselbe. Noch immer sitzen die irischen Banken auf milliar- Noch immer blecht
denschweren Schrott-Papieren, die weder die Bevölkerung
verkäuflich noch ehrlich in den Bilanzen darstellbar sind; noch immer ist nicht klar, ob die Verschuldung des irischen Staates dauerhaft unter die Maastricht-Grenze von drei Prozent
gedrückt werden kann, geschweige denn, ob binnen dieser oder der
nächsten beiden Generationen irgendetwas von jenen Unsummen zurückbezahlt werden kann, die zum Überleben Irlands hineingesteckt
werden mussten; und noch immer blecht die Bevölkerung – über die
Verschuldung der Privathaushalte, über hohe Steuerabgaben, über die
niedrige Beschäftigtenrate.
Noch einmal: Willkommen in der Euro-Zone. Es geht tatsächlich ein
bisschen aufwärts. Eine Bilanz Ende 2013 fällt besser aus als eine
17
Drei-Monats-Zinssätze (in %)
2010
2011
2012 06/13 07/13 08/13 09/13 10/13 11/13
Euroraum
0,81
1,39
0,57
0,21
0,22
0,23
0,22
0,23
0,22
Bulgarien
Tschechische Republik
Dänemark
Kroatien
Lettland
Litauen
Ungarn
Polen
Rumänien
Schweden
Vereinigtes Königreich
4,12
1,31
1,25
2,44
2
1,81
6,18
3,92
6,51
0,93
0,74
3,76
1,19
1,39
3,15
0,96
1,67
6,58
4,54
5,57
2,45
0,88
2,25
1
0,62
3,41
0,89
1,08
x
4,91
5,1
2
0,86
1,2
0,46
0,26
1,71
0,39
0,73
4,48
2,69
4,2
1,22
0,5
1,18
0,46
0,27
2,22
0,33
0,55
4,36
2,7
4,27
1,2
0,5
1,09
0,46
0,27
1,91
0,29
0,41
3,92
2,7
3,66
1,2
0,5
1,05
0,45
0,27
1,9
0,27
0,4
0,4
2,69
3,4
1,21
0,5
1,03
0,45
0,27
1,72
0,27
0,4
3,6
2,67
2,86
1,21
0,5
x
x
0,25
x
x
x
x
x
x
1,16
0,5
Norwegen
Schweiz
USA
Japan
2,5
0,19
0,34
0,39
2,87
0,12
0,34
0,34
2,23
0,07
0,43
0,33
1,73
0,02
0,27
0,23
1,69
0,02
0,27
0,23
1,72
0,02
0,26
0,23
1,71
0,02
0,25
0,23
1,69
0,02
0,24
0,22
1,66
0,02
0,24
0,22
Quelle: EZB, Thomson Reuters
Bilanz, die wir noch vor einem Jahr ziehen mussten. Aber es sind
keine großen Sprünge, die die Gemeinschaftswährung dabei gemacht
hat. Sie muss in Millimetern und Zehntel-Prozentpunkten gerechnet
werden. Von vielen Ländern wird behauptet, dass sie, wie es so schön
heißt, »ihre Hausaufgaben gemacht« haben; tatsächlich haben sie bloß
das Heft aufgeschlagen und die ersten Seiten beschrieben. Fertig sind
sie noch lange nicht. Jeder verantwortungsvolle Elternteil würde darauf bestehen: Nein, auf den Spielplatz darfst du noch nicht.
Eine kleine Rundreise durch die Länder der Gemeinschaftswährung
verschaff t Klarheit. Als nächster Ausstiegskandidat aus dem
Schutzschirm gilt Portugal. Bereits heuer im Juni will Lissabon auf
die »freien Finanzmärkte« zurückkehren, sprich: Nicht mehr vom
Tropf der Geldgeber aus Europäischer Union, Europäischer Zentralbank
und Internationalem Währungsfonds abhängig sein. Bisher kostete
18
Portugals Rettung 78 Milliarden Euro. Das Budgetdefizit macht, in den
letzten drei Jahren, nach zehn, neun nun noch immer sechs Prozent
der Wirtschaftsleistung des eigenen Landes aus. Für heuer ist das
»härteste Sparbudget« angesagt, seit Portugiesen angeblich denken
können. Der westlichste Vorposten der Zahlungsunion befindet sich im
dritten Jahr einer schweren Rezession. Die Arbeitslosenrate beträgt 17
Prozent.
Geradezu kostengünstig nimmt sich der zweite noch unter dem Schirm
verbliebene Kandidat Zypern aus. Die Mittelmeerinsel ist halb so
groß wie Niederösterreich. Auch sie wurde von ihrem Bankensektor
ins Verderben geritten. Zehn Milliarden mussten die Schirmherren
beisteuern, 13 Milliarden die Zyprer selbst. Das klingt erschwinglich. Allerdings wurde auf Zypern ein finanztechnischer Sündenfall
begangen; der war nicht, dass Anleger und Investoren mit einer
Zwangsabgabe dem Eiland beistehen mussten.
Der Sündenfall war der, dass nicht alle Anleger und Investoren gleich
und im selben Ausmaß zur Kasse gebeten wurden. In den vier Stunden
zwischen politischer Einigung und deren Verkündigung auf den
Märkten wurden schnell noch Unsummen bewegt. Wer »gute Kontakte«
zu den Verhandlern hatte, verlor wenig bis gar nichts; wer »die Nacht
der Errettung Zyperns« verschlief, wurde bis zum Totalausfall rasiert.
Richtig ist die Feststellung, dass sich die Umdrehungszahl der GeldWaschmaschine Zypern vor allem für russische »Investoren« deutlich
verringerte; falsch ist die Behauptung, dass ausschließlich ebendiese
»Investoren« ihr Geld verloren. Selbst in Österreich konnte auf den
Bildschirmen der Trader noch nachvollzogen werden, wie binnen weniger Stunden Milliarden und Abermilliarden der »gut Informierten«
verschoben wurden – nach Fernost. Siehe: Bankensystem in Singapur
und Hongkong.
Bleibt übrig, wir sind noch immer unter dem Rettungsschirm,
Lieblingskandidat Griechenland. Seit dem Jahr 2010 greift die
Gemeinschaf t ihrem südöstlichsten Vorposten mit bisher 240
Milliarden Euro unter die Arme. Damit wird noch nicht das Ende der
Fahnenstange erreicht sein. Griechenland braucht weiteres Geld. Für
19
Renditen langfristiger staatlicher Schuldverschreibungen (in %)
2010
2011
2012
2013*
Belgien
Zypern
Deutschland
Irland
Griechenland
Spanien
Frankreich
Italien
Luxemburg
Malta
Niederlande
Österreich
Portugal
Slowenien
Slowakische Republik
Finnland
Euroraum
3,46
4,60
2,74
5,74
9,09
4,25
3,12
4,04
3,17
4,19
2,99
3,23
5,40
3,83
3,87
3,01
3,62
4,23
5,79
2,61
9,60
15,75
5,44
3,32
5,42
2,92
4,49
2,99
3,32
10,24
4,97
4,45
3,01
4,41
3,00
7,00
1,50
6,17
22,5
5,85
2,54
5,49
1,82
4,13
1,93
2,37
10,55
5,81
4,55
1,89
3,92
2,50
7,00
1,80
3,70
9,90
4,30
2,40
4,40
1,90
3,30
2,10
2,20
6,60
6,50
3,00
2,00
3,10
Bulgarien
Tschechische Republik
Dänemark
Kroatien
Lettland
Litauen
Ungarn
Polen
Rumänien
Schweden
Vereinigtes Königreich
6,01
3,88
2,93
6,38
10,34
5,57
7,28
5,78
7,34
2,89
3,36
5,36
3,71
2,73
6,54
5,91
5,16
7,64
5,96
7,29
2,61
2,87
4,50
2,78
1,40
6,13
4,57
4,83
7,89
5,00
6,68
1,59
1,74
3,60
2,30
1,90
4,90
3,60
3,80
6,00
4,30
5,30
2,40
2,30
3,53
1,63
3,20
1,18
3,14
1,47
2,76
1,12
2,10
0,65
1,79
0,85
2,90
1,10
2,70
0,80
Norwegen
Schweiz
USA
Japan
*Näherung
Quelle: EZB, Thomson Reuters, Eurostat, Norges Bank, Schweizerische Nationalbank
20
2014 wird erstmals ein »primärer Haushaltsüberschuss« prognostiziert – bedauerlicherweise »ohne Schuldendienst«. Die Kaufkraft der
Griechen hat sich um ein Viertel verschlechtert; die Arbeitslosenrate
lag Ende des vergangenen Jahres bei 27 Prozent. Nach fünf Jahren
schwerster und tiefster Rezession soll heuer erstmals ein Plus vor der
Ziffer des Wirtschaftswachstums stehen. Übertriebene Hoffnungen
muß sich niemand machen. Wir rechnen mit 0,6 Prozent. Siehe:
Zehntel-Prozentpunkte.
Aber jeder, der Griechenland innerlich verbunden ist, und auch außerhalb der Tourismus-Hochzeiten das Land besucht, wird feststellen: Die
Rechnung, die für früheren Lug und Betrug der politischen Kaste bezahlt werden muss, ist nahezu unmenschlich. Suppenküchen bestimmen nicht nur in Athen, sondern auch draußen »in der Provinz«, das
Bild. Das Leben der Griechen in ihrem eigenen Land ist teuer geworden.
Die Löhne wurden gekürzt; die Sozialleistungen gestrichen; die Preise
für Lebensmittel fallen zwar, aber die Abstriche an Lebensqualität und
Komfort sind exorbitant.
Das Diktat des Geldes ist unnachgiebig. Noch immer wird Griechenland
vorgeworfen, »nicht genug« für die Sanierung des Staatshaushaltes
zu tun. Das ist r ichtig. Österreich hilf t im Rahmen des EUUnterstützungsprogramms für Griechenland auch mit einer Handvoll
Beamten aus, die Athen »verwaltungs- und finanztechnisch an die
Standards der Europäischen Union heranführen« sollen. Die dürfen
nicht offen reden, weil sie ausschließlich »der Kommission gegenüber
berichtspflichtig« sind. Aber natürlich unterhält auch €CO informelle
Kontakte und erfährt Dinge, die gelinde gesagt abenteuerlich klingen: eine Finanzverwaltung, die noch immer Karteikarten kennt; ein
Meldewesen, das im besten Fall fünf Prozent der Steuerpflichtigen
tatsächlich kontrolliert; ein Umsatzsteuersystem, das antiquiert ist,
wiewohl es ein Fünftel des Warenwertes generiert und rundum in der
Eurozone »per Rechnung« ins Wirtschaftsleben gesetzt und anerkannt
wird.
Aber genau so »funktioniert« die Gemeinschaftswährung – im Jahr elf
nach ihrer physischen Einführung und im Jahr vierzehn, nachdem wir
mit ihr zu rechnen begonnen hatten.
21
Arbeitslosenquoten (in % der Erwerbstätigen)
2012
2013
Prognose 2014
Belgien
Zypern
Deutschland
Estland
Irland
Griechenland
Spanien
Frankreich
Italien
Luxemburg
Malta
Niederlande
Österreich
Portugal
Slowenien
Slowakische Republik
Finnland
ER-17
7,6
11,9
5,5
10,2
14,7
24,3
25
10,3
10,7
5,1
6,4
5,3
4,3
15,9
8,9
14
7,7
11,4
8,6
16,7
5,4
9,3
13,3
27
26,6
11
12,2
5,7
6,4
7
5,1
17,4
11,1
13,9
8,2
12,2
8,7
19,2
5,3
9
12,3
26
26,4
11,2
12,4
6,4
6,3
8
5
17,7
11,6
13,7
8,3
12,2
Bulgarien
Tschechische Republik
Dänemark
Kroatien
Lettland
Litauen
Ungarn
Polen
Rumänien
Schweden
Vereinigtes Königreich
EU-28
12,3
7
7,5
15,9
15,1
13,3
10,9
10,1
7
8
7,9
10,5
12,9
7,1
7,3
16,9
11,7
11,7
11
10,7
7,3
8,1
7,7
11,1
12,4
7
7,2
16,7
10,3
10,4
10,4
10,8
7,1
7,9
7,5
11
3,3
2,9
8,1
4,8
3,2
4,5
7,5
4
3,3
4,4
6,9
3,9
Norwegen
Schweiz
USA
Japan
Quelle: Eurostat, OECD
22
Nahezu im Wochenrhythmus kann sich der politisch interessierte Leser
darüber informieren, was es bedeutet, wenn ein Staat allzu lange
über seine Verhältnisse gelebt hat. Völlig gleich, was das griechische
Parlament derzeit beschließt, immer bedeuten die neuen Gesetze eine
Zurücknahme alter Wahlversprechen. Die Pensionen wurden beschnitten; das Arbeitslosengeld gekürzt; in die Beamtengehälter wurde eingegriffen; die Zahl der Staatsdiener wurde zurückgefahren.
Die politischen Mehrheiten dafür sind jeweils hauchdünn; mit nur
vier, drei, manchmal auch nur zwei Stimmen Mehrheit können die
Einschnitte im Parlament verabschiedet werden. Und immer protestieren draußen, außerhalb der Bannmeile, tausende und zehntausende Betroffene gegen das jeweils Beschlossene. Die griechische
Regierung wird vermutlich unbedankt bleiben. Es ist die erste seit drei
Jahrzehnten, die halbwegs ehrliche Ziffern angibt und mit annähernd
realistischen Prognosen rechnet. Aber es wäre ein Wunder, sollte
sie die nächste Wahl überleben. Der Zulauf zu den Gegnern, zu den
Protestbewegungen, ist enorm.
Die andere Seite: Ein paar tausend Kilometer von Athen entfernt
sitzen Geldgeber, die noch immer unzufrieden sind. Es sind dies
der Internationale Währungsfonds in New York, die Europäische
Zentralbank in Frankfurt, die EU-Kommission in Brüssel. Erst kurz vor
den Weihnachtsfeiertagen des Jahres 2013 wurde eine weitere Tranche
an Hilfsgeldern zurückgehalten. Begründung: Die »Reformfortschritte
Griechenlands lassen zu wünschen übrig«. Die Irritationen zogen sich über eine lähmend lange Woche hin; erst um den vierten
Adventsonntag wurden die »normalen Gesprächsbeziehungen« wieder
aufgenommen.
Es ist ein Drahtseilakt, der jederzeit mit einem Absturz enden kann.
Ein unsicherer, schwankender Boden unter den Füßen, auf der einen
Seite des Seiles eine wütende Bevölkerung, auf der anderen ungeduldige Geldgeber.
Ein letztes Mal: Willkommen in der Eurozone. Wer nachlesen will, wie
langsam und mühsam sich das Finanzgebilde aus der Talsohle schleppt,
muss sich nur die Prognose der Österreichischen Nationalbank zu
23
Bruttoinlandsprodukt (Veränderung zum Vorjahr in %)
2012
2013
Prognose 2014
Belgien
Zypern
Deutschland
Estland
Irland
Griechenland
Spanien
Frankreich
Italien
Luxemburg
Malta
Niederlande
Österreich
Portugal
Slowenien
Slowakische Republik
Finnland
ER-17
-0,1
-2,4
0,7
3,9
0,2
-6,4
-1,6
0
-2,5
-0,2
0,8
-1,2
0,9
-3,2
-2,5
1,8
-0,8
-0,7
0,1
-8,7
0,5
1,3
0,3
-4
-1,3
0,2
-1,8
1,9
1,8
-1
0,4
-1,8
-2,7
0,9
-0,6
-0,4
1,1
-3,9
1,7
3
1,7
0,6
0,5
0,9
0,7
1,8
1,9
0,2
1,6
0,8
-1
2,1
0,6
1,1
Bulgarien
Tschechische Republik
Dänemark
Kroatien
Lettland
Litauen
Ungarn
Polen
Rumänien
Schweden
Vereinigtes Königreich
EU-28
0,8
-1
-0,4
-2
5
3,7
-1,7
1,9
0,7
1
0,1
-0,4
0,5
-1
0,3
-0,7
4
3,4
0,7
1,3
2,2
1,1
1,3
0
1,5
1,8
1,7
0,5
4,1
3,6
1,8
2,5
2,1
2,8
2,2
1,4
3,1
1
2,8
2
1,9
1,7
1,6
2,1
2,6
1,8
2,6
2
Norwegen
Schweiz
USA
Japan
Quelle: Eurostat
24
Gemüte führen. Spanien: Erholung im Millimeterbereich. Frankreich:
Keine Impulse für ein Erstarken der gemeinsamen Währung, dazu
die Warnung des IWF: »Paris muss deutlich mehr tun.« Italien: Kaum
Besserung in Sicht, in Summe sogar abermals ein kleiner Rückgang der
Wirtschaftsleistung. Immerhin ist Berlusconi weg. Portugal: Mühsam
ernährt sich das Eichhörnchen, es gibt aber »Licht am Ende des
Tunnels«. Mit Finnland und den Niederlanden befanden sich das ganze
Jahr 2013 über »zwei Kernländer in der Rezession«. Einzig Deutschland
und, mit Abstand, Österreich mit einem Plus als Vorzeichen bei der
Wirtschaftsleistung.
Die Bilanz bleibt die eingangs beschriebene: Mit wenigen Ausnahmen
raufen alle um Millimeter und Zehntel-Prozentpunkte. Die großen
Sprünge finden nur bei den Arbeitslosenziffern statt. Sie sind im Jahr
2013 im Euroraum weiter gestiegen, im Durchschnitt von 11,4 auf 12,2
Prozent. Die Ziffer, die dahinter steht, ist erschreckend. Es sind 20
Millionen Menschen auf dem Kontinent, die Arbeit suchen, aber keine
finden. Und vor allem in den Krisenländern sind es nicht nur die »üblichen Verdächtigen«, die schlecht Ausgebildeten, die Personen mit
Migrationshintergrund, die keinen Job finden. Spanien, Griechenland,
Zypern, Slowenien, Portugal, die Slowakei, Irland – alle sind deutlich zweistellig und dort findet auch eine junge, gut ausgebildete
Generation an Menschen keine Arbeit.
Wer genau hinschaut, muss also zur Erkenntnis kommen: Ja, nach dem
Crash geht es wieder ein bisschen aufwärts. Aber: Die Eurozone robbt
aus dem Schlamm, mehr nicht. Ein aufrechter Gang, ein fester Tritt
sind noch nicht in Sicht. Der Einsatz der Mittel, die dafür nötig sind,
ist abenteuerlich. Ganz bewusst haben wir uns in dieser Gesamtschau
nicht mit der Rolle der Europäischen Zentralbank befasst. Sie scheint
ihren Job so schlecht nicht zu machen. Aber es ist ein schmutziger.
Wollten die Notenbanker dieses Kontinentes wirklich ein Zinssystem
etablieren, das die Sorglosen, die über ihre Verhältnisse leben, belohnt,
aber die Sorgfältigen, die haushalten und sich etwas zur Seite legen,
also die Sparer, über die Inflationsrate bestraft? Wer so ein System
herbeiführt, stützt und fördert, den wird es nicht lange geben.
25
Bruttoinlandsprodukt – je Einwohner in Kaufkraftstandards (in EUR)
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013 2014* 2015*
Belgien
Zypern
Deutschland
Estland
Irland
Griechenland
Spanien
Frankreich
Italien
Luxemburg
Malta
Niederlande
Österreich
Portugal
Slowenien
Slowakische Republik
Finnland
ER-17
28.900
23.530
28.810
17.490
36.460
22.490
26.120
26.860
26.390
68.400
19.540
33.010
30.870
19.610
22.070
16.920
29.310
27.240
28.900
24.850
28.970
17.220
32.880
23.110
25.860
26.670
26.490
65.790
20.260
33.510
31.110
19.460
22.660
18.120
29.720
27.250
27.650
23.440
26.930
14.940
30.120
22.070
24.150
25.540
24.800
59.170
19.750
30.980
29.480
18.810
20.230
17.040
26.860
25.570
29.100
23.610
28.950
15.510
31.270
21.180
24.210
26.460
25.180
64.140
21.340
31.950
31.040
19.650
20.420
17.840
27.700
26.520
29.790
23.570
30.490
17.160
32.590
19.840
24.260
27.250
25.650
66.570
21.920
32.670
32.340
19.520
20.970
18.470
28.640
27.250
30.400
23.250
31.280
17.930
33.140
19.200
24.340
27.500
25.720
66.980
22.100
32.740
33.270
19.170
20.860
19.120
29.050
27.570
30.450
21.170
31.610
18.310
33.240
18.580
24.260
27.640
25.330
67.610
22.550
32.580
33.520
19.120
20.430
19.370
28.950
27.580
31.040
20.420
32.560
19.140
34.000
18.960
24.800
28.170
25.790
68.730
23.240
33.040
34.430
19.570
20.480
20.000
29.400
28.200
31.750
20.750
33.680
20.200
35.030
19.810
25.660
28.950
26.420
69.530
24.030
33.850
35.460
20.180
20.920
20.840
30.180
29.060
Bulgarien
Tschechische Republik
Dänemark
Kroatien
Lettland
Litauen
Ungarn
Polen
Rumänien
Schweden
Vereinigtes Königreich
EU-28
10.010
20.630
30.570
15.140
14.320
15.470
15.340
13.580
10.350
31.180
29.410
24.960
10.860
20.190
31.100
15.770
14.600
16.090
15.950
14.070
11.700
30.920
28.560
25.000
10.290
19.370
28.930
14.470
12.660
13.600
15.300
14.200
11.070
28.160
26.280
23.470
10.680
19.460
31.220
14.260
13.140
14.950
15.810
15.280
11.390
30.190
27.500
24.430
11.580
20.110
31.420
14.780
14.670
16.630
16.320
16.220
11.820
31.640
27.700
25.130
12.090
20.270
32.000
15.110
15.870
17.850
16.670
16.820
12.540
32.640
28.410
25.570
12.350
20.210
32.270
15.150
16.780
18.760
16.940
17.170
12.940
32.960
28.800
25.700
12.860
20.850
33.170
15.470
17.880
19.860
17.520
17.870
13.440
34.080
29.640
26.380
13.430
21.610
34.190
15.930
19.070
20.980
18.170
18.690
14.010
35.520
30.570
27.250
Norwegen
Schweiz
USA
45.280 47.870 41.420 44.190 46.850 49.800 50.470 51.890 53.360
35.950 37.110 35.170 37.550 39.420 40.720 41.300 42.140 42.840
38.910 37.730 35.460 37.140 38.200 39.220 39.860 41.210 42.840
*Prognose
Quelle: Europäische Kommission.
26
Steuern, Abgaben und Co.:
Das ist neu ab dem Jahr 2014
von Mag. Beate Haselmayer
Steuersenkungen – ein denkbar einfaches Versprechen, um
WählerInnen zu binden. Im Wahljahr 2013 war mehr denn je
die Rede davon. Das attraktivste »Wahlzuckerl«: die Senkung
des Eingangssteuersatzes – jenes Satzes, der ab einem zu versteuernden Einkommen von 12.000 Euro zu zahlen ist. Konkret
war die Absenkung des Eingangssteuersatzes vom 36,5 auf 25
Prozent »angedacht«. Alle Parteien waren sich einig – damit
sollte die breite Masse der SteuerzahlerInnen entlastet werden.
Nach den Wahlen hörte sich das aber ganz anders an.
Konkrete Maßnahmen zur Senkung des Eingangssteuersatzes werden im Programm der neuen Regierung nicht erwähnt. Nur einen
Hinweis darauf gibt es, dass ab dem Jahr 2015 »die Möglichkeit einer
Reform der Steuersätze« evaluiert werden soll. Ganz im Gegenteil gibt
es aber eine Menge neuer Steuern und Abgaben, mit denen man das
Budgetloch stopfen will. Und ja, ein paar »Zuckerl« sind dann auch
noch abgefallen. Hier ein Überblick:
Autofahrer können sich darauf einstellen,
in Zukunft gleich mehrfach draufzuzahlen.
Autos I
Unter dem Stichwort der »Ökologisierung«
stellt die neue Regierung etwa Veränderungen
im Bereich der Nova, der Normverbrauchsabgabe, vor: Für einen
Mitsubishi mit 5,1 Liter Benzinverbrauch auf 100 km, 85 PS und 24.990
Euro Listenpreis fallen im Moment 6 Prozent Nova an, also 1415 Euro.
In Zukunft wird dieser Wert um rund 10 Prozent steigen. Darüber hinaus soll die Kfz-Steuer um ebenfalls rund 10 Prozent steigen. Will
die Regierung ihr Ziel, über die motorbezogene Versicherungssteuer
die Einnahmen um 200 Millionen Euro zu erhöhen, erreichen, bedeutet das, dass auf jeden Autofahrer durchschnittlich 44 Euro mehr an
Steuerbelastung entfallen.
27
Rauchen wird teurer: 45 Cent binnen drei Jahren Autos
(Foto: LawPrieR)
Weiters werden Dienstautos künftig steuerlich schlechter gestellt: Bei einem Dienstauto
II
im Wert von 40.000 Euro musste bisher ein
monatlicher Sachbezug von 600 Euro versteuert werden. Dieser Wert erhöht sich jetzt auf 720 Euro. Dadurch steigt
die monatliche Lohnsteuerlast um 60 Euro. Aufs Jahr gerechnet ist das
ein Plus von 720 Euro pro teurem Dienstauto.
»P u b l i c B a d s « – P r o d u k t e, d i e d e r
Allgemeinheit und der Gesundheit schaden –
so bezeichnen Experten das, was andere als
Genussmittel betrachten. Und der Fiskus bittet hier in Zukunft zur Kasse: Die Steuer für Zigaretten soll künftig um
bis zu 45 Cent pro Packung angehoben werden. Dem Staat würde das
bis zu 300 Millionen mehr Steuergeld einbringen. Die Alkoholsteuer
wird um 20 Prozent erhöht – von zehn Euro je Liter auf zwölf Euro.
Das dürfte rund 25 Millionen Euro in die Staatskassen spülen. Darüber
hinaus soll die Schaumweinsteuer wieder eingeführt werden. Sie wird
einen Euro pro Liter ausmachen und etwa ebenso viel einbringen wie
die Alkoholsteuer.
Alkohol und
Zigaretten
28
Die Schaumweinsteuer kommt wieder: Ein Euro pro Liter (Foto: dpotera)
We ite rh i n z u r K a s s e geb e te n w e rde n
Besser verd iener. Da s Sta bil ität sgeset z
Solidarbeitrag
2012 sah vor, dass bef r istet, von 2013
bis 2016, die begünstigte Besteuerung für
Besserverdiener wegfällt. Betroffen von der Solidarabgabe sind die
»oberen Zehntausend«, also jene Menschen in Österreich, die mehr als
200.000 Euro im Jahr verdienen. Die neue Regierung hat diese zeitliche Befristung aufgehoben und beschlossen, den Solidarbeitrag auch
nach 2016 weiter beizubehalten. Damit sollen jährlich 170 Millionen
Euro an Lohnsteuer lukriert werden.
Im Bereich der Managergehälter ist vorgesehen, dass Jahresbezüge ab 500.000 Euro
Managergehälter
in der Firma nicht mehr abgesetzt werden
können. Hat ein Manager beispielsweise ein
Jahresgehalt von 700.00 Euro, fällt für die Firma in Zukunft eine
Mehrzahlung in der Höhe von 50.000 Euro an. Hochgerechnet soll dadurch eine Summe von 50 bis 60 Millionen Euro fürs Staatsbudget sichergestellt werden.
29
Zu all den Verä nder u ngen werden d ie
Höchstbeitragsgr undlagen f ür die
Sozialversicherung weiter hinaufgesetzt.
Musste man 2013 bis zu einem monatlichen
Einkommen von 4400 Euro Sozialversicherung zahlen, so sind es ab
2014 nunmehr 4530 Euro.
Erhöhung der Höchst­
beitragsgrundlagen
Kieferregulierungen, festsitzender Zahnersatz
und Mundhygiene – das alles kann ganz
Zahnspangen
schön ins Geld gehen. Für K inder und
Jugendliche übernimmt diese Kosten in
Zukunft die Krankenkasse.
Erhöhung der Gering­
fügigkeitsgrenze
Die Geringfügigkeitsgrenze wird von monatlich 386,80 auf 395,31 Euro erhöht.
Noch eine freudige Nachricht: Für Kinder und
Jugendliche soll auch der Spitalskostenbeitrag
Spitalsaufenthalte
a bgesc h a f f t werden. E i n K i nder- u nd
Jugendgesundheitspass für Sieben- bis 18-jährige soll eingeführt werden.
Abgesehen von den steuerl ichen
Veränderungen gibt es im Jahr 2014 noch eine
Reihe weiterer Neuerungen, viele davon im
Bereich der Pensionen. Denn eines der wichtigsten Ziele der neuen Regierung ist es, so rasch wie möglich das
tatsächliche Pensionsantrittsalter an das gesetzlich vorgeschriebene
heranzuführen. Per Gesetz sollten Frauen in Österreich mit 60 in
Pension gehen und Männer mit 65. Im Jahr 2012 lag das durchschnittliche Pensionsantrittsalter bei den Frauen aber nur bei 57 Jahren und
bei den Männern bei 59 Jahren. Diese Lücke soll so schnell wie möglich
geschlossen werden, denn nur dadurch kann die milliardenschwere
Last, die jährlich für Pensionen anfällt, reduziert werden. Der Kanzler
will das tatsächliche Pensionsantrittsalter bis 2018 um 1,6 Jahre hinaufsetzen. Doch neben den Bestimmungen, die die neue Regierung
Sonstige
Veränderungen
30
Teure Zahnspangen: Für Kinder und Jugendliche zahlt die Kasse (Foto: monica y garza)
im Koalitionspapier festgeschrieben hat, treten ab 2014 Regelungen in
Kraft, die bereits von der alten Regierung verankert wurden.
Neu ab 2014 ist, dass Personen ab Jahrgang
1964 keine befristete Invaliditätspension
Invaliditätspension
me h r b e kom me n. St at tde s s e n s oll e s
Rehabilitations- und Umschulungsgeld geben.
Wird also eine vorübergehende Berufsunfähigkeit von mindestens
sechs Monaten festgestellt, sind künftig das Arbeitsmarktservice
oder der zuständige Krankenversicherungsträger für Umschulung
und Rehabilitation zuständig. Bei dauerhafter Berufsunfähigkeit oder
Invalidität gibt es weiterhin die unbefristete Invaliditätspension.
Auch im Bereich der Korridorpension, einer Spezialform der Frühpension, gibt es
Korridorpension
Veränderungen. Im Gesetz ist verankert,
dass beginnend mit 2014 die notwendigen
Versicherungsjahre in Halbjahresschritten nach oben gesetzt werden. Ab 2014 sind 38,5 Versicherungsjahre notwendig, also um ein
Jahr mehr als bisher. Für Personen ab Jahrgang 1955 gilt darüber hinaus: Wer vor dem gesetzlich vorgeschriebenen Alter in Pension gehen
möchte, bekommt 5,1 Prozent pro Jahr weniger an Pension.
31
Die Langzeitversichertenpension, früher
»Hacklerpension« genannt, unterliegt ebenHacklerpension
falls neuen Regelungen. Auch hier sollen das
reale Pensionsantrittsalter und damit die erforderlichen Beitragsjahre schrittweise ansteigen. Ab 2014 müssen
Männer ab Jahrgang 1954 45 Beitragsjahre nachweisen und das 62.
Lebensjahr vollendet haben, um die Langzeitversichertenpension in
Anspruch zu nehmen. Weibliche Versicherte ab Geburtsjahrgang 1959
können die Pension erst nach Vollendung des 57. Lebensjahres in
Anspruch nehmen, wenn sie 42 Beitragsjahre erworben haben.
Bei der P VA nehmen jä hrl ich r u nd 20.000 Versicher te d ie
»H a c kl e r re gelu ng« i n A n s pr u c h . D u rc h d i e v e r s c h ä r f te n
Antrittsregelungen wird ein Rückgang von achtzig bis neunzig Prozent
erwartet.
Ebenso neu ab 2014: das Pensionskonto. Es
soll jedem Einzelnen vor Augen führen, wie
Pensionskonto
hoch seine Pension später einmal sein wird.
Das Pensionskonto gilt für alle Personen ab
Jahrgang 1955, die ASVG-versichert, Bauern oder Gewerbetreibende
sind. Nur für die Bundesbeamten gilt das Konto erst ab Jahrgang 1976.
Mit dem heurigen Jahr wird die so genannte »Kontoerstgutschrift«
ü ber m it telt. Sie er folg t du rc h d ie Berec h nu ng e i ner f i ktiven Pension nach altem Recht unter Berücksichtigung aller bis
zum Endes des Jahres 2013 erworbenen Versicherungszeiten. Die
Pensionsversicherungsanstalten verlangen von ihren Versicherten
detaillierte Informationen über deren Erwerbsleben: Studienbücher,
Inskriptionsbestätigungen etc. Wer seine Unterlagen noch nicht
übermittelt hat, sollte dies in seinem eigenen Interesse nachholen.
So können Lücken vermieden werden, die die Kontoerstgutschrift
vermindern.
Pensionserhöhungen
32
Die Anhebung der Pensionen fällt 2014 mit 1,6
Prozent mager aus. Die Geldentwertung kann
dadurch nicht ausgeglichen werden. Nur die
Mindestpensionen werden um 2,4 Prozent erhöht.
Die neue Regierung hält in ihrem Programm
die Umsetzung eines Systems fest, das die
Beschäftigung älterer ArbeitnehmerInnen für Bonus-Malus-System
Unternehmen attraktiver gestalten soll. Nach
wie vor stellt es ein riesiges Problem dar, dass ältere Menschen keine
Jobs mehr finden. Zukünftig soll es Belohnungen für Firmen geben, die
Personen über 55 anstellen, und Strafen für solche, die das nicht tun.
Darüber hinaus soll es in Zukunf t eine
Möglichkeit geben, Arbeitnehmern eine Art
Teilpensionen
von Zwischenlösung zu ermöglichen. Statt
etwa mit 62 Lebensjahren vollständig in die
Frühpension zu gehen, können Arbeitszeit und Einkommen um mindestens dreißig Prozent reduziert werden. Eine Teilpension soll das
Gehalt ergänzen.
Wer länger im Job bleibt, als das Gesetz es
vorsieht, soll in Zukunft belohnt werden.
Prämien
Statt bisher 4,2 Prozent Zuschlag winken
künftig 5,1 Prozent. Zusätzlich bekommen
Arbeitgeber einen Bonus, wenn sie Arbeitslose über 50 anstellen.
Da s K i ndergeld soll i n Zu k u n f t f le x ibler gestaltet werden. E i n so gena nnKindergeld
tes »K inderbetreuungskonto« m it
einer Fixsumme soll das bisherige pauschale
Kinderbetreuungsgeld, das vier Varianten zur Auswahl hat, ablösen. Die Dauer und die Bezugshöhe des Kindergeldes sind mit dem
neuen Konto frei wählbar. Das Modell des einkommensabhängigen
Kinderbetreuungsgeldes bleibt zusätzlich erhalten.
Erhöht wird 2014 auch die LKW-Maut, und
zwar für alle Tarifklassen um bis zu neun
LKW-Maut
Prozent. Die Frächter laufen Sturm gegen die
Hinaufsetzung der »fahrleistungsabhängigen
Maut«, und argumentieren, dass letztendlich der Endverbraucher, also
der Konsument die Rechnung bezahlen wird. Das wird nicht ganz
falsch sein.
33
Der Weg zum »strukturellen Nulldef izit«
ist im Programm der neuen Regierung nur
Nulldefizit
sehr vage vorgezeichnet. Bis 2016 jedenfalls soll es erreicht werden. Da bis dahin geschätzte 18 Milliarden Euro fehlen, wird sich die Koalition
noch weitere Sparschritte überlegen müssen. Neu ist auch, dass
sämtliche im Regierungsprogramm vorgesehenen Maßnahmen
»­u nter Finanzierungsvorbehalt« gestellt werden. Sollten also etwa
Mehrausgaben entstehen müssen entweder irgendwo Mehreinnahmen
eingehoben werden, oder das betreffende Ressort schaff t die
Finanzierung durch interne Umschichtungen.
ÖIAG
Die Staatsholding soll neu aufgestellt werden. Der umstr ittenste Punkt ist, dass
»weitere Privatisierungen« bis zur ominösen Grenze von 25 Prozent plus eine Aktie
(Sperrminorität) möglich sind. Momentan träfe das nur auf die OMV zu
(allerdings gibt es da einen Syndikatsvertrag der Regierung mit einem
arabischen Finanzfonds) und natürlich auf die Post. Vorsorglich haben
deren Gewerkschafter schon einmal mit Streik gedroht.
E i ne n ne ue n A nl au f u nte r n i m mt d i e
Regierung, was das Spekulationsverbot für
Verfassung
Gebietskörperschaften betrifft. Es soll bundesweit gelten und finanzielle Abenteuer wie
im Land Salzburg oder der Stadt Linz unterbinden. Auch das geltende
Verbot der aktiven Sterbehilfe soll in den Verfassungsrang gehoben
werden, ebenso wie »ein Grundrecht auf Sterben in Würde.«
Die bi sher ige P ra x i s bei den Gr uppen­
besteuerungen wird abgeändert. Der Plan ist,
Unternehmen
sie künftig nur bei Unternehmen aus EU bzw.
EWR-Staaten zur Anwendung zu bringen.
Nicht-EU-Bürger sollen zudem künftig kapitalertragssteuerpflichtig
werden. Geplant ist, die von den Firmen zu leistende Beiträge in den
Insolvenz-Entgelt-Fonds bzw. in die Unfallversicherung um jeweils 0,1
Prozent abzusenken.
34
Das Millionenspiel: So teuer
war uns das Wahljahr 2013
von Alexander Sattmann und Ernst-Johann Schwarz
Die Faktenlage wäre klar gewesen: Vor zwei Jahren genehmigen sich die Parteien eine Erhöhung der so genannten BundesParteienförderung um stolze 17 Millionen Euro. Im Gegenzug
wird die bisher übliche Rückerstattung der Wahlkampfkosten ersatzlos gestrichen und eine Obergrenze für künftige Wahlkämpfe
eingezogen: sieben Millionen Euro pro Partei pro Wahlgang. Nun:
Schon der erste Versuch hat gezeigt, dass die Gesetze Makulatur
sind. Die Nationalratswahl im letzten Jahr war der teuerste
Urnengang, den es jemals in Österreich gegeben hat.
Ein dunkelgrüner S-Klasse-Mercedes rollt durch den Golfclub Fontana
in Oberwaltersdorf. Vorbei an perfekt gepflegten Grünflächen und weiß
getünchten Villen im US-Style. Im Innenraum des Autos MahagoniHolzverkleidung und schwarze Ledersitze. Am Steuer: Frank Stronach.
Kurze Strecken fährt der Milliardär meist selbst. Außerdem weiß er:
Ein für €CO arbeitender Journalist erwartet ihn, samt Kamerateam.
Auf dem reservierten Stellplatz neben dem Springbrunnen vor der
Magna-Europa-Zentrale parkt er seine Limousine. Der Weg zu Frank
Stronachs Büro im ersten Stock führt über eine mächtige Freitreppe.
Marmorböden, Kristallleuchter, alles klinisch sauber, neureich glamourös, amerikanisch eben – das Bürogebäude passt perfekt in die Welt
des Selfmade-Milliardärs. Hier läuft man auch Katrin Nachbauer und
Ulla Weigerstorfer über den Weg.
In Stronachs Büro dominieren Pferde – zumindest Statuen und Bilder
dieser Lebewesen. Auf dem Schreibtisch ein Stapel Autobiographien
– verfasst, um den Neueinsteiger in das österreichische Politgeschäft
zu promoten. Der reiche Mann und der Wahlkampf: »Das braucht natürlich schon viel Geld, durch Inserate, durch Anzeigentafeln und so
weiter. Es braucht Geld, ja.« Es ist der August des Jahres 2013. Bis zum
Wahltag sind es noch sieben Wochen.
35
Frank Stronach ist es gewesen, der die Kosten für die Nationalratswahl
im September in die Höhe getrieben hat. Der Quereinsteiger wollte sich
nicht auf die gesetzliche Grenze von sieben Millionen Euro pro Partei
beschränken lassen. Das »Team Stronach« hat mit Abstand am meisten
Geld für diesen Wahlkampf ausgegeben. Das geht aus den Zahlen des
Marktforschungsinstituts »Focus Research« hervor.
»Focus« analysiert Werbung in Österreich. Alle Anzeigen, Plakate,
Werbespots werden registriert, auch politische. Hundert Mitarbeiter
durchforsten Medien und werten sie aus. Im ersten Halbjahr 2013
hatten die Parteien insgesamt bereits 19 Millionen Euro ausgegeben.
Danach ging es erst richtig los. »Focus« hat von Juli bis September
2013 – das war der gesetzlich festgelegte »Beobachtungszeitraum« –
politische Werbung im Wert von insgesamt 32,5 Millionen Euro registriert; fast ein Drittel kam vom »Team Stronach« (10,7 Millionen Euro).
Der Wahlkampf 2013 war somit der teuerste aller Zeiten. Dabei sollte
dies mit der Wahlkampfkostenbeschränkung im Vorfeld eigentlich
verhindert werden. Stronach vermutet, dass die anderen Parteien
damit nur seinen Aufstieg verhindern wollten: »Ich glaube, diese
Kostenbeschränkung wurde eigentlich auf mich zugeschnitten, ja.
Weil interessanterweise das Budget für die Parteien wurde wahnsinnig erhöht. Ich glaube, das haben die nur gemacht, weil ich da auf der
Bildfläche erschienen bin und ich glaube, die hatten da ein bisschen
Angst, dass ich den Leuten die Wahrheit sagen könnte.«
Fakt ist auch: Beide Koalitionsparteien haben 2013 wegen der Kostenbeschränkung
SPÖ und ÖVP kamen
weniger Geld für den Wahlkampf ausgegemit weniger Geld aus
ben als noch fünf Jahre davor. Wenn der
»Beobachtungszeitraum« von drei Monaten zugrunde gelegt wird.
»Focus« errechnete für die SPÖ etwa 7,1 Millionen Euro. Das ist zwar
knapp über der ominösen »Kostengrenze«, die SPÖ beharrt aber darauf,
das Limit eingehalten zu haben. Und verweist unter anderem auf (in
der »Focus«-Darstellung nicht berücksichtigte) Rabatte.
Die ÖV P w ieder um ka m nach dersel ben Erhebung auf f ünf
Millionen Euro. Um die schwarzen Funktionäre zu motivieren,
36
So viel kosten die Parteien
Schon die Bundesparteien kosten viel. Direkt erhielten alle im Parlament vertretenen
Gruppierungen im Jahr 2013
• 36 Millionen Euro für ihre politische Arbeit und
• 10 Millionen Euro für ihre politischen Akademien,
• 20 Millionen Euro an staatlicher Förderung erhalten die Parlamentsklubs,
macht für die oberste Ebene schon einmal 66 Millionen Euro aus.
Wirklich ins Geld geht es, wenn die Parteienfinanzierung in den neun Bundesländern
dazugerechnet wird. Dann berappen alle Steuerzahler nämlich gleich
• 105 Millionen Euro an direktem staatlichem Zuschuss für die Parteien und
nochmals
• 24 Millionen Euro an Subventionen für die neun Landtagsklubs.
Macht insgesamt 195 Millionen Euro von der öffentlichen Hand.
Auf jeden Wahlberechtigten umgerechnet ist das ein Betrag von stolzen 30 Euro pro
Jahr an staatlicher Parteienfinanzierung – auch in Jahren, in denen nicht gewählt
wird.
Quelle: Das Buch »Politisches Geld« / DDr. Hubert Sickinger
hatte Wahlkampfmanager Hannes Rauch pompöse Auftakt- und
Schlussveranstaltungen mit dem Spitzenkandidaten Michael
Spindelegger inszenieren lassen. Allein die Wahlkampferöffnung im
Festsaal der Wiener Hofburg kostete die ÖVP weit über 200.000 Euro.
Insgesamt flossen für solche Events und für die dabei verwendeten
»give-aways« rund eine Million Euro.
Teurer wurde der Wahlkampf der Opposition. In Kurzfassung: FPÖ 3,5
Millionen Euro, die Grünen 2,9 Millionen, das BZÖ 2,1 Millionen, die
NEOS 942.000 Euro. Tatsächlich basieren diese Zahlen auf den offiziellen Listenpreisen der österreichischen Medien; die in der Werbebrache
durchaus üblichen Rabatte können also tatsächlich nicht berücksichtigt sein. Dennoch erlauben die Zahlen Rückschlüsse darauf, welche
Parteien am meisten in den Wahlkampf investiert haben.
Die Erhebungen erfassen freilich bei weitem nicht alle Kosten, die
die Parteien laut Gesetz zu den mit sieben Millionen gedeckelten
37
Ein Milliardär mischte Österreichs Wahlkampf auf (Foto: Team Stronach)
»Wahlwerbungsausgaben« rechnen müssen. So haben etwa selbst die
Grünen, glaubt man ihren Angaben, diesmal 4,7 Millionen Euro ausgegeben. Zu den gesetzlichen Wahlkampfkosten zählen neben Plakaten,
Inseraten & Co. natürlich auch die Ausgaben für zusätzliches Personal,
für Wahlveranstaltungen sowie die für Wahlkampfgeschenke und die
für Direktwerbung. Letzteres ist im Fall des Falles ein beachtlicher
Kostenpunkt: Ein einziger Brief an alle 6,4 Millionen Wahlberechtigten
kostet laut Posttarif (»Sponsoring Post«) nämlich gut eine Million Euro.
Und nicht enthalten sind in den »Focus«-Zahlen die von den Parteien
selbst aufgestellten Plakate, insbesondere die berüchtigten lokalen
Dreieckständer.
Selbst Vorzugsstimmenwahlkämpfe sind gesetzlich geregelt. Wer einen
Vorzugsstimmenwahlkampf führt, darf laut Gesetz dafür nur 15.000
Euro ausgeben. Doch die Kontrolle ist schwierig. »Meine Name ist
Michael Ikrath, ich bin Nationalratsabgeordneter und mache meinen
persönlichen Wahlkampf. Darf ich Ihnen Informationsmaterial über
meine politischen Ziele mitgeben?« Ein gut gekleideter Mann schlendert, von unserer Kamera begleitet, über eine Einkaufsstraße in Wien,
verteilt Werbebroschüren und versucht mit den Menschen ins Gespräch
zu kommen. Es ist ein Politiker, der für seinen (Wieder-)Einzug in den
Nationalrat kämpft.
38
So viel kosten die Politiker
Die Gehälter und die Bezüge der Regierungsmitglieder und Staatssekretäre machen
2013
• 4,4 Millionen Euro aus. Die 183 Abgeordneten des Nationalrates kosten
• 21,6 Millionen Euro. Die in der Öffentlichkeit kaum bekannte Arbeit des
Bundesrates verschlingt weitere
• 3,7 Millionen Euro an Gehältern.
Richtig ins Geld gehen wieder die Länder. Für das Salär von neun Landeshauptleuten,
18 Stellvertretern und nicht ganz 100 Landesräten gehen
• 15,6 Millionen Euro drauf. Neun Landtage mit über 400 Abgeordneten kosten den
Staat
• 43,3 Millionen Euro. Und über 2350 Gemeinden und Städte schlagen sich in
den Bezügen der Bürgermeister, der Stadträte, der Gemeindevorstände und der
Entschädigung für die einfachen Gemeinderatsmitglieder mit der atemberaubenden Summe von
• 228,4 Millionen Euro nieder.
Macht in Summe an Gehältern und Bezügen, wie gesagt ohne Kosten der Pensions­
leistungen für Ex-Politiker, den Betrag von 317 Millionen Euro aus. Jedes Jahr.
Quelle: Halmer / Hauenschild
Viele eilen an ihm vorüber, beachten ihn nicht einmal. Manche allerdings lassen sich auf ein kurzes Gespräch ein. Michael Ikrath (ÖVP)
führte im alten Jahr einen der engagiertesten, aber letztlich doch
erfolglosen Wahlkämpfe in eigener Sache. Ikrath ist im Hauptberuf
Generalsekretär des Sparkassenverbandes; er sagt, er habe sich an die
Vorgaben gehalten. Trotzdem kritisiert er das Gesetz, das er selbst mit
beschlossen hat: »Ich bin nicht ganz sicher, ob das System, das man
jetzt geschaffen hat, mit dieser Sieben-Millionen-Deckelung für alle,
ob das wirklich schon das Gelbe vom Ei ist. Weil ich einfach glaube,
dass die Grenzen eher zu niedrig angesetzt sind. Es wird Dynamik entstehen: Entweder hat man nachher viel Erklärungsbedarf oder man ist
schon im Vorhinein sehr kreativ und versucht gesetzliche Lücken dann
doch wieder auszunützen.«
Wichtigster Werbeträger waren für die Parteien weiterhin PrintInserate. Und hier entpuppte sich das »Team Stronach« als mit Abstand
zahlungsfreudigster Werbekunde: Nach offiziellen Listenpreisen
39
investierte das TS rund 7,8 Millionen Euro allein in Zeitungsanzeigen
– fast so viel wie SPÖ (3,0 Millionen Euro), ÖVP (3,4) und FPÖ (2,0) zusammen. Auch die NEOS, von Bau-Tycoon Hans-Peter Haselsteiner nicht
nur ideell unterstützt, hatten zwei Drittel ihres Werbebudgets in Print
investiert.
Inserate sind das Teuerste am Wahlkampf, sagt »Focus«-Chef Klaus
Fessel: »Ich kann Ihnen als Beispiel geben, dass eine ganzseitige
Anzeige beispielsweise in der ,Kronen Zeitung‘ 31.000 Euro laut offizieller Preisliste kostet, in der Zeitschrift ,Österreich‘ eine ganzseitige
Anzeige 20.000. Zum Vergleich: Bei ,Heute‘ kostet dieselbe Anzeige offiziell 16.000 Euro.«
Werbung in Radio, Fernsehen, Kino und Internet wird bei »Focus«
ebenfalls dokumentiert. Der »elektronische Wahlkampf« kommt
hierzulande nur langsam in Schwung. Dabei wären die Spots vergleichsweise billig. Online- und Radiowerbung spielen mit jeweils gut
einer Million Euro und TV-Werbung in den »Privaten« mit knapp 1,5
Millionen nur eine geringe Rolle im Wahlkampf.
Vor allem neue und kleine Parteien wie die NEOS setzen aber darauf
und wollen damit junge Wähler erreichen. Dann wird Wahlwerbung
zugespitzt und ironisch. Die Grünen steckten 2013 eine halbe Million
Euro in den Internetwahlkampf, verzichteten aber 2013 fast gänzlich
auf TV-, Radio- und Kino-Werbung.
»Achtung – Ruhe bitte – Aufnahme!« Die Scheinwerfer leuchten, die Kamera läuft. Ein wenig Nervosität, wie bei einer live-Sendung, macht sich breit. Die FPÖ versuchte es diesmal gleich mit
einem eigenen Fernsehsender im Internet. In den Dachzimmern des
Parlamentsklubs wurde ein Fernsehstudio eingerichtet. Drei freiheitliche Mitarbeiterinnen versuchen sich als TV-Moderatorinnen in blau
gefärbter Propaganda.
FPÖ-Wahlkampfleiter und Generalsekretär Herbert Kickl warf sich vor
unserer Kamera in die Brust: »Für uns ist eines wesentlich: dass wir
die Dinge, die wir drucken, die wir produzieren lassen, dass wir die
alle in Österreich erstellen. Ich weiß nicht, ob andere Parteien auch
40
Über soviel Geld verfügen die Parteien
Die Parteien finanzieren sich über
• Mitgliedsbeiträge,
• Fraktionsfinanzierungen befreundeter Kammern, etwa der Arbeiter- oder der
Wirtschaftskammer,
• so genannte Parteisteuern, also Abgaben, die Mandatare zu leisten haben,
• staatliche Parteienfinanzierungen in Bund und Ländern,
• staatliche Klubförderungen in Bund und Ländern,
• staatliche Zuschüsse an die Parteiakademien und über
• Klein- und Großspenden,
Hubert Sickinger rechnet vor, dass demnach im Jahr 2012
• die ÖVP über ein Gesamtbudget von 122 Millionen Euro verfügte,
• die SPÖ über 104 Millionen,
• die FPÖ über 44 Millionen und auch
• die Grünen über noch immer stattliche 25 Millionen Euro, um ihren Parteiapparat
zu bedienen.
• Das BZÖ kam zum letzten Mal auf knapp 8 Millionen.
• Vom Team Stronach und den vom Bauunternehmer Hans-Peter Haselsteiner mitfinanzierten NEOS werden wir die eingesetzten Millionenbeträge erst mit deren
Rechenschaftsberichten am Ende dieses Jahres erfahren.
Quelle: Das Buch »Politisches Geld« / DDr. Hubert Sickinger
diesen Anspruch haben. Für uns als soziale Heimatpartei ist klar:
Wir wollen dieses Geld in Österreich investieren.« Nachfrage von €CO:
»Aber Ihre Kugelschreiber und Feuerzeuge kommen schon auch aus
China?« Antwort: »Die Kugelschreiber und die Feuerzeuge, die haben
eine große Stückzahl und eine große Produktion und ich glaube nicht,
dass das in Österreich in der Form lieferbar ist.«
Lieferbar wäre alles schon, aber billiger produziert werden die
Wahlgeschenke halt in China. Und so rechnet nicht nur die angebliche »soziale Heimatpartei« genau nach – alle lassen in Asien fertigen.
Zwischen zehn und zwanzig Cent kostet ein Kugelschreiber, ähnliches
gilt für Feuerzeuge oder Schlüsselanhänger.
Insgesamt f ünf Mill ionen Euro haben die Par teien 2013 f ür
Wahlgeschenke ausgegeben, hat Wolfgang Bosch errechnet. Er ist
Geschäftsführer der Firma Mitraco, eines jener Unternehmen, die sich
auf Werbegeschenke spezialisiert haben: »So ein Werbeartikel, der hat
41
alle Krisen gut überstanden, weil Sie etwas mitgeben. Wenn Sie eine
Plakatwerbung sehen, die sehen Sie, wenn Sie vorbeifahren; das ist
sehr wichtig, aber die Nachhaltigkeit kommt letztendlich, wenn Sie
dann das Schreibgerät oder das Feuerzeug auch in Händen halten. Zum
Werbewert selbst: Es gibt eine Statistik, die besagt, ein Feuerzeug oder
ein Kugelschreiber wechseln 15-mal den Besitzer.«
Natürlich: Österreichs Parteien lieben Plakate. In kaum einem anderen Land wird in Wahlkampfzeiten so viel zugekleistert wie bei uns.
Die Plakatflächen sind auf Wochen im Voraus gebucht. Die Miete einer
Wand kostet bis zu 400 Euro für vierzehn Tage. Insgesamt 9,9 Millionen
Euro haben die Parteien dafür ausgegeben. Am meisten plakatierte die
SPÖ. Insgesamt fünf »rote« Plakatwellen gab es; österreichweit, jedesmal 4500 Stück. Kosten: 2,9 Millionen Euro. Der SPÖ dicht auf den
Fersen liegt das »Team Stronach« (2,2 Millionen). Auf Platz drei folgen hier aber schon die Grünen, die in der »Focus«-Aufstellung auf 1,8
Mio. Euro für »Außenwerbung« kommen. Nach eigenen Angaben sind
es 1,6 Millionen Euro. Pro Welle gab es je drei Sujets, die sich bis zur
dritten Welle auf insgesamt 5200 16-Bogen-Flächen, 2200 Citylights
und Bahnhofsplakaten und 12.000 Kleinflächensujets steigerten. Die
Volkspartei hat innerhalb von sechs Wochen 3000 Plakate geklebt und
dafür 1,4 Millionen Euro investiert. Die FPÖ investierte nur gut eine
Million Euro in Plakate.
Mit einer Plakat-Finanzier ung über den Parlamentsklub sorgen die Sozialdemokraten auch f ür einen der Auf reger dieses Wahlkampfes. Solche »Quersubventionierungen« sind nach den
neuen Parteienförderungsgesetzen ausdrücklich untersagt. Erst
nach Protesten der anderen Parteien übernahm schließlich das
Hauptquartier in der Löwelstraße die Kosten. SPÖ-Wahlkampfmanager
Norbert Darabos im Nachhinein: »Wir haben unser Wahlkampfbudget
ausf inanzier t, über die nor male budgetäre Ausstattung der
Sozialdemokratischen Partei. Wir brauchen dafür keine zusätzlichen
Gelder.«
Die NEOS schließlich stellten sich zum ersten Mal einer Wahl. Die
Auftaktveranstaltung in der Aula der Akademie der Wissenschaften in
Wien war mit 83.000 Euro noch relativ günstig. Im Wahlkampf baute
42
29. September, Löwelstraße: dieses Ergebnis berauschte niemanden (Foto: SPÖ/Zinner)
die junge Gruppierung weniger auf Großplakate als vielmehr auf Direktund Zielgruppenwerbung. Nur eine Handvoll Großplakate wurde affichiert. Über 3500 Dreieckständer, davon allein 1100 in Wien, brachten
die NEOS ihre Botschaften unters Volk. Dabei verwendeten sie drei verschiedene Motive in zwei Serien. Noch haben sie nicht alle Kosten abgerechnet, aber allein in der heißen Phase des Wahlkampfes butterten
sie 1,1 Millionen Euro in die Wahlwerbung. Damit haben sie pro Wähler
aber immer noch nur vier Euro investiert.
Last, but not least, auch die Meinungsforscher und Politologen haben mit der Wahl 2013 ein sehr gutes Geschäft gemacht; Parteien
u nd Med ien grei fen i n d iesen Z eiten der w a hlpol it i sc hen
Auseinandersetzungen verstärkt auf Umfragen zurück. Eine klassische
Sonntagsumfrage kostet beispielsweise 10.000 Euro. Interessant sind
deren Ergebnisse vor allem »in der Zeitreihe«, also in der Veränderung
zu den Ergebnissen der letzten Sonntagsumfrage. Etwas kostspieliger
sind die Zielgruppen-Befragungen, mit deren Hilfe vor allem die größeren Parteien regelmäßig ihre Positionierungen und Sprachregelungen
auf Tauglichkeit abklopfen lassen.
Über mögliche Schulden und noch offene Kredite sprechen die
Parteimanager nicht so gern. Norbert Darabos, nur als ein Beispiel von
43
mehreren: »Das ist jetzt sicherlich nicht das Thema, das ich ansprechen werde. Es ist so, dass die SPÖ liquid ist und einen Wahlkampf
finanzieren kann. Die Frage nach den Schulden ist eine, die ich für
völlig irrelevant halte.«
Geldsorgen hatte nur das »Team Stronach« im Wahlkampf keine. Aber
das Ergebnis war wenig effizient: Den Gesamtkosten von 10,7 Millionen
Euro stehen bloß 268.679 Wähler gegenüber – das entspricht fast 40
Euro Mitteleinsatz pro Stronach-Wähler. Über den Kamm geschert
haben die Parteien für jede gültige Stimme knapp sieben Euro an
Wahlwerbung ausgegeben. Nicht zum ersten Mal kann die FPÖ auf
den effizientesten Mitteleinsatz verweisen – mit Ausgaben von nur
3,6 Euro pro Stimme müsste ihr eigentlich ein Werbe-Emmy verliehen
werden.
Die erhobenen Zahlen zeigen übrigens auch, wie stark die Parteien
ihre Werbung wieder einmal auf das Wahlkampf-Finale konzentriert
haben: Fast 80 Prozent der Werbeausgaben wurden im September registriert (25,8 Millionen Euro). Im August waren es nur 4,9 Millionen, im
Juli 1,8 Millionen Euro. Diese Fieberkurve ist in der Branche bekannt;
immer gegen Ende zu liegen die Nerven blank.
Die eingangs erwähnte Sieben-Millionen-Grenze, für den Milliardär ist
sie unwichtig gewesen. Noch im Spätsommer 2013 hatten wir ahnungsvoll gefragt: Was ist, wenn ihm nach der Wahl die vom Gesetz her vorgesehene Geldstrafe aufgebrummt wird? Damals zuckte Frank Stronach
nur mit den Schultern. »Das Gesetz hat gewisse Rahmenbedingungen,
ich weiß, und wenn man darüber hinaus geht, dann muss man halt extra noch etwas bezahlen. Aber es ist nicht verboten, dass man mehr
ausgeben kann.«
Übrigens: Vorlegen müssen die Parteien ihre exakte Abrechnung
der Wahlkampfkosten erst Ende 2014, gemeinsam mit den übrigen
Rechenschaftsberichten für das Jahr 2013. Wir werden am Ball bleiben.
Auch wir wollen wissen, wieviel eine einzelne Stimme wert ist.
44
Die Frau an der Spitze
der Weltwirtschaft
von Katinka Nowotny
Juristin, später Finanzministerin, heute Direktorin des
Internationalen Währungsfonds: Die Französin Christine Lagarde
ist die wohl mächtigste Frau in der Weltwirtschaft. Die ehemalige Synchronschwimmerin hat das zwischendurch negative Image der Institution IWF entscheidend verändert – und
kämpft vor allem an vorderster Front mit um das Überleben der
Eurozone.
Wie wird man zur mächtigsten Frau in der Wirtschaftswelt? Über
den Aufstieg der deutschen Kanzlerin Angela Merkel zur politischen Leitfigur Europas wurden schon zahlreiche Bücher geschrieben.
Aber die Karriere von Christine Lagarde, seit 2011 die Direktorin des
Internationalen Währungsfonds (IWF), ist ähnlich faszinierend und
spannend. Hinter dieser Geschichte stehen eine starke Persönlichkeit,
viele überraschende Ereignisse – und die Bedürfnisse einer Institution,
die als Folge des Finanzcrashs und der Euroschuldenkrise wieder enorm
an Bedeutung gewonnen hat.
Der Währungsfonds – der »International Monetary Fund« – hat
seinen Sitz in der US-Hauptstadt Washington, wird aber traditionell von Europäern geleitet. Gegründet wurde der IWF – gemeinsam
mit seiner Schwesterorganisation, der Weltbank – auf der BrettonWoods-Konferenz von 1944, als vor allem Briten und Amerikaner den
Grundstein für eine neue Weltwirtschaftsordnung legten.
Der IWF war dazu gedacht, ein festes Wechselkurssystem zu führen
und allfällige Krisen zu managen. Aber selbst, als sich das BrettonWoods-System der fixen Anbindung an den Dollar Anfang der siebziger Jahre sozusagen selbst überlebte, blieb der IWF das Zentrum
der Weltwährungspolitik. In der Asienkrise von 1998 sprang der IWF
mehrmals ein, um ostasiatische Staaten und später auch Russland und
Brasilien vor dem Staatsbankrott zu bewahren. Auch zahlreiche afrikanische Staaten sind von Hilfen des IWF abhängig.
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»Der Währungsfonds wurde gegründet, um Ländern, die in Währungsoder Zahlungsbilanzschwierigkeiten sind, mit Geldmitteln in dem Fall
beizustehen, wenn die internationalen Märkte nicht mehr bereit sind,
diesen Ländern Geld zu gewähren«, sagt Wilfried Stadler, ehemaliger
Vorstand der »Investkredit«, heute Lektor an der WU Wien.
Die Hilfe des IWF ist freilich nicht gratis.
Die Experten des Währungsfonds nehmen
die Wirtschaftsstruktur des Hilfe suchenden Landes unter die Lupe – und verlangen
dann Reformen, damit sich die Zahlungsprobleme nicht später wiederholen. Meist fordern sie harte Einschnitte in Staatsausgaben und
Sozialprogramme, die sich das Land nicht leisten kann. Der Zorn der
betroffenen Bevölkerung richtet sich dann meist gegen den IWF – und
nicht gegen die eigenen Regierungen, die die Probleme – je nachdem
– durch Korruption oder Misswirtschaft oder politische Fahrlässigkeit
eigentlich verursacht hat.
Der IWF zahlt – aber
er verlangt Reformen
Und: Die vom IWF geforderten Reformen stoßen meist auch auf
Widerstand mächtiger Interessengruppen, die auf Kosten der breiten
Bevölkerung von verkrusteten Strukturen profitieren wollen. Dazu gehören Monopole, Preiskartelle oder Konzerne, die gut von überteuerten
Staatsaufträgen leben.
Lagarde weiß, dass die Empfehlungen des IWF nie zur Gänze aufgenommen und umgesetzt werden – und sie deshalb immer wieder
benötigt werden. »Wir wollen nicht nur die Feuerwehr spielen, wir
wollen die Strukturen in den Staaten verändern«, sagte sie bei einem
Auftritt an der Universität Sankt Gallen in der Schweiz. »Aber werden
wir in Zukunft Krisen verhindern? Wahrscheinlich nicht, weil es im
Kapitalismus immer Krisen geben wird.«
Nach der Jahrtausendwende, als sich die Finanzkrisen in den
Schwellenländern gelegt hatten, schien es eine Zeitlang, als ob der IWF
nicht mehr benötigt würde. Private Investoren sorgten für einen massiven Kapitalzufluss in die Dritte Welt und die Währungen der früheren
Krisenstaaten waren gleichzeitig flexibel und stabil. Doch das änderte
sich mit dem hausgemachten Finanzcrash. Überraschenderweise waren
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Christine Lagarde: eine Synchronschwimmerin macht ihren Weg (Foto: IWF/Spilotro)
es dann nicht mehr Schwellenländer, die den IWF zu Hilfe riefen, sondern die hoch verschuldeten Staaten der Eurozone. Auch in Mittel- und
Osteuropa war der IWF für einige Länder der echte »lender of last resort«; ein letzter Zahler in der Not also, wenn auch ein ungeliebter.
Auf dem Höhepunkt der Eurokrise stellte das amerikanische »Time
Magazine« auf seiner Titelseite die für uns wenig schmeichelhafte
Frage: »Kann Lagarde Europa noch retten?«
Wie kam Lagarde in diese Position? Geboren ist sie am Neujahrstag
1956 in Paris als Christine Lallouette, aufgewachsen ist sie in der
französischen Hafenstadt Le Havre – als eines von vier Kindern
­e ines Literaturprofessors und einer Lehrerin. Ihre Leidenschaft ist
das Wasser; und das öffentliche Schwimmbad wird zu ihrem zweiten
Zuhause. Mit 13 wird sie Synchronschwimmerin. Sie schafft es bis ins
französische Nationalteam, gewinnt eine Bronzemedaille bei den nationalen Meisterschaften. Ihre Teamkollegin Marion Lassarat erinnert
sich an diese Zeit: »Sie hat ihre Ziele immer erreicht, aber niemals auf
Kosten anderer. Sie hätte nie jemanden verdrängt.«
Persönlicher Ehrgeiz verbunden mit Teamgeist wurde auch ihr
Markenzeichen als Anwältin. Dabei bekam sie aber von Anfang an die
offene Diskriminierung von Frauen zu spüren. Ihre Biographin Marie
47
Visot erzählt: »Bei ihrem ersten Vorstellungsgespräch hat ihr der Chef
gesagt: Sie werden die ersten sechs Monate nur Akten schlichten und
dann ohnehin Kinder bekommen. Wir werden ja sehen, was aus Ihrer
Karriere wird.«
Lagarde entschied sich 1981 für eine andere
Kanzlei, die US-Sozietät Baker & McKenzie.
Zu den USA hatte sie damals schon eine
enge Beziehung. Nach ihrer Matura war sie
mit ­e inem AFS-Stipendium in ­e inen Vorort von Washington gegangen, sie studierte Englisch und nahm ein Praktikum im Büro von
Senator William Cohen an. Ihr Englisch ist akzentfrei und sie hat auch
­einen amerikanischen Managementstil entwickelt – einschließlich der
Bereitschaft, sich von unfähigen Mitarbeitern rasch zu trennen.
Wer unfähig ist, wird
sehr bald verabschiedet
Bei Baker & McKenzie machte sie eine rasante Karriere, wurde als
erste Ausländerin Chefin der Geschäftsführung und eine ausgewiesene Expertin für internationales Handelsrecht. Mit 49 wechselte sie in die französische Politik; zuerst 2005 als Vizeministerin
für Außenhandel, dann 2007 unter Präsident Nicholas Sarkozy als
Landwirtschaftsministerin. Nach nur wenigen Wochen wird Lagarde im
Zuge einer turbulenten Regierungsumbildung in Paris sogar zur Finanzund Wirtschaftsministerin berufen – eine der mächtigsten Positionen
im Staat.
Die Anfänge im öffentlichen Leben sind nicht pannenfrei. Als die
Benzinpreise steigen, empfiehlt sie den Franzosen den Umstieg aufs
Fahrrad. Als »Madame Fettnapf« wird sie darauf höhnisch in den
Medien tituliert. In diese Zeit fällt auch eine Affäre, die sie bis heute
belastet: In einem Entschädigungsverfahren mit dem prominenten Geschäftsmann Bernard Tapie lässt sie sich vorschnell auf einen
Vergleich ein. Daraufhin kommt der Vorwurf, sie habe öffentliche
Gelder veruntreut. Lagarde bestreitet dies – aber die französische
Polizei ermittelt bis heute.
Eine andere Affäre wird für sie im Frühjahr 2011 dann wieder zum
Sprungbrett: Ihrem Landsmann Dominique Strauss-Kahn, dem Chef des
Internationalen Währungsfonds, passiert der pikant-hässliche Skandal,
48
Geld vom IWF gibt’s nur gegen Reformen (Foto: IWF/Jaffe)
in einem New Yorker Hotel vom Zimmermädchen beschuldigt zu werden, es vergewaltigt zu haben. Der Vorwurf wird später vom Gericht
als »unerwiesen« zurückgenommen. Doch Strauss-Kahn, unrasiert und
in Handschellen den US-TV-Kameras vorgeführt, muss als IWF-Chef
abtreten.
Zu diesem Zeitpunkt war der Chefposten des IWF 65 Jahre lang von
Europäern besetzt worden. Diesmal wollten mächtige Schwellenländer
mit dieser Tradition brechen. Nur ein besonders wirklich starker
Kandidat also konnte das prestigeträchtige Amt den Europäern noch
sichern. Frankreichs Präsident Sarkozy schickte kurzerhand seine
beste Ministerin ins Rennen – und das war Lagarde. Gerade ihre
Rolle als Außenseiterin wird zu ihrem größten Atout: die Frau in
der Männerwelt, die Anwältin in einer Bastion der Ökonomen, die
Unangepasste im Regelwerk. Sie stand für Aufbruch und Reformen.
Selbstbewusst erklärte sie: »Eine Europäerin zu sein, sollte kein Vorteil
sein – aber auch kein Nachteil. Ich will ja nicht als Europäerin gewählt
werden oder weil ich den Europäern in ihrer Krise geholfen habe.« Mit
großer Mehrheit schließlich wird Lagarde zur IWF-Direktorin gewählt
– die erste Frau an der Spitze einer internationalen Finanzinstitution.
Die Euro-Schuldenkrise, die gerade ihrem Höhepunkt zusteuert, wird
49
Lagardes erste Herausforderung. Sie laviert zunächst zwischen der
deutschen und der französischen Position hin und her. »Sie fühlt sich
mit dem Sparkurs der Deutschen wohler als mit dem Geldausgeben der
Franzosen«, sagt ihre Biografin Visot. Aber mit der Zeit äußert sich
Lagarde immer kritischer über die Sparpolitik, die »das Wachstum
in den Krisenstaaten abwürgt«, und fordert schließlich lautstark
eine Lockerung sowie einen drastischen Schuldenschnitt für Länder
wie Griechenland. Damit stellt sie sich offen gegen Merkel, die andere starke Frau in Europa. Erstmals agiert der IWF als Anwalt der
Schwachen und nicht der Investoren.
E w a l d No w o t n y, d e r G o u v e r n e u r d e r
Öster reichischen Nat ionalbank, schätzt
Lagarde seit ihrer Zeit als f ranzösische
Finanzministerin. »Sie hat ein enorm kühles Selbstbewusstsein; sie ist wirklich immer voll präsent und sehr
gut informiert«, erzählt er. Lagarde fordert von Europas Regierungen
schließlich Strukturreformen ein, um das Wachstum zu beschleunigen und im internationalen Wettbewerb nicht weiter zurückzufallen.
»Die Volkswirtschaften der Schwellenländer fahren mit 5,3 Prozent
Wachstum im Jahr«, beschreibt sie ihr Bild. »Amerika, die Schweiz und
Schweden fahren im zweiten Gang und holen auf. Europa und teilweise
auch Japan aber stehen im Verkehr und bekommen den Gang nicht
hinein.«
»Sie ist selbstbewusst
und gut informiert«
Lagarde betont bei ihren Auftritten ihre feminine Seite – durch ihre
Kleidung, durch ihre Sprache. Die geschiedene Mutter zweier erwachsener Söhne sieht sich als Bahnbrecherin für andere Frauen. Und
sie ist auch überzeugt, dass Frauen Fähigkeiten besitzen, die in der
Wirtschaft dringend benötigt werden. Wilfried Stadler beschreibt es so:
»Was Lagarde tut, erinnert mich an den Versuch, aus den Euroländern
wieder Synchronschwimmer zu machen, so wie sie dies vor dem
Ausbruch der Krise gewesen sind. Wenn das jemanden gelingen kann,
dann der erfolgreichen Synchronschwimmerin Christine Lagarde.«
50
Salzburg: Von Spekulanten,
Jongleuren und Politikern
von Günther Kogler
Erinnern sie sich? Im Frühjahr des Vorjahres beschäftigt die
österreichische Innenpolitik nur ein Thema – der »Salzburger
Finanzskandal«. Kopfschüttelnd erfahren die Bürger aben­
teuerliche Details darüber, wie frech in diesem Bundesland
mit Steuergeld gezockt wurde; und sie werden auch informiert,
dass sich »quasi seit Monaten« eine Heerschar an Beamten,
Prüfern und Buchhaltern auf fieberhafter Suche nach »vielen
verschwundenen und verschollenen Millionen« befindet. Nun:
Diese Schlagzeile hätte auch heute noch Gültigkeit – im Frühjahr
2014.
Der Schut t i st noch i mmer n icht weggeräumt. In verbr iefter Form liegt er heute gesammelt in den Räumlichkeiten der
Korruptionsstaatsanwaltschaft Wien. 50 Kisten voll mit Kontoauszügen,
Derivatverträgen, Korrespondenzen mit über 300 Banken, zehntau sende au sged r uc k te E-Ma il s, hu nder te P f a ndbr iefe u nd
Schuldverschreibungen – alles fein säuberlich kopiert und eingescannt.
Als €CO zu Jahresbeginn 2013 in der Dampfschiffstraße in Wien dreht,
nähert sich die zeitraubende Erfassungsarbeit gerade ihrem Ende. In
den Kopierern und Scannern liegen die Originaldokumente – allesamt
hastig beschlagnahmt in den Räumlichkeiten des Finanzreferates des
Amtes der Salzburger Landesregierung.
Der Druck auf die v ielen f leißigen Helferlein in der Wiener
­K orruptions­s taatsanwaltschaft damals ist groß. Die Salzburger
Landespolitik möchte bereits mit der Aufarbeitung des unfassbaren
Skandals beginnen – nur wie, wenn sämtliche Originalpapiere noch in
Wien liegen? Externe Wirtschaftstreuhandkanzleien und Anlageprofis
sollen bereits eine Bewertung des berühmten »Schattenportfolios« der
»einfachen Referatsleiterin« Monika Rathgeber vornehmen – nur wie,
wenn auch sie keinen Zugriff auf die Dokumente erhalten?
51
Salzburg: noch immer ist der Schutthaufen nicht weggeräumt (Foto: Stadt Salzburg)
Als die Ermittler die Berge an Unterlagen dann doch wieder freigeben, stockt allen der Atem: Über die Finanzverwaltung des Landes
Salzburg waren 1,35 Milliarden Euro veranlagt worden. In Zinsswaps,
Fremdwährungskrediten, Derivaten. Das Risiko, das mit Steuergeld eingegangen wurde: exorbitant. Selbst Willi Hemetsberger, der damaligen
Salzburger Landesregierungsmehrheit nicht unbedingt feindschaftlich
gesinnt, musste als Chef der prüfenden »Ithuba Capital« einräumen,
dass »das Land übers Ziel geschossen ist«. Eine Verwaltung dürfe »mit
öffentlichen Mitteln« nicht »derart spekulative Bankgeschäfte« eingehen; ganz und gar »unverständlich« sei es, dass das Land für seine risikoreichen Veranlagungen sogar »Schulden aufgenommen hatte«.
Was vorgefunden wurde, verschlug einem schon damals die Sprache. 45
Anleihen waren in türkischen Lira veranlagt – mit einer vorhandenen
Schwankungsbreite von immerhin 30 Prozent. Über 430 Millionen Euro
hatte das Land Salzburg in solchen Papieren liegen. Zusätzlich gab es
komplizierte Hybridpapiere, dreifach verschränkte Euro-Anleihen und
allein 490 Millionen Euro in strukturierten Wertpapieren, unter ihnen exotische Konstruktion wie »range accruals«. Mit einem Wort: In
Salzburg war man mit fremdem Geld (der Steuerzahler) und fremdem
Risiko (wieder der Steuerzahler) ins Casino gegangen.
52
Heute, über ein Jahr später, ist wenigstens in der politischen Debatte
wieder Normalität eingekehrt. Den Schlussstrich hatten die Wähler
gezogen; sie straften die tatsächlichen oder wenigstens vermeintlichen Schuldigen an den Ungeheuerlichkeiten ab. Landeshauptfrau
Gabi Burgstaller, die die Salzburger SPÖ auf lichte 46 Prozent
Zustimmung geführt hatte, musste die Partei mit historisch niedrigen 24 Prozent wieder zurückgeben. Sie ist in der Zwischenzeit in
die Salzburger Arbeiterkammer zurückgekehrt. Schon zuvor hatte
die Affäre die Zukunftshoffnung der Salzburger SPÖ, David Brenner,
ins politische Abseits gespült; nicht zu Unrecht vermutlich, er war
als Finanzlandesrat immerhin der politisch Verantwortliche für die
Zustände in der Finanzabteilung gewesen.
Und die waren, gelinde gesagt, abenteuerlich gewesen. 45 eng beschriebene Seiten benötigten die Prüfer des Bundesrechnungshofes, um
sich im Oktober des Vorjahres ihre Empörung über die Zustände im Amt
der Salzburger Landesregierung von der Seele zu schreiben. Auch eine
Kurfassung sollte nur noch ungläubiges Staunen auslösen.
• Das Management des Landes Salzburg nahm seine Kontroll- und
Aufsichtsverantwortung nicht ausreichend wahr.
• Im Finanzmanagement und in der Buchhaltung des Landes war
kein wirksames, effizientes Kontrollsystem eingerichtet.
• Die gängigen Prinzipien einer Kontrolle – Transparenz, Vier-AugenPrinzip, Funktionstrennung und Kontrollautomatik – waren nicht
sichergestellt.
• Der Internen Revision war per Erlass des Landesamtsdirektors die
Prüfung des Rechnungswesens untersagt.
• Mitarbeiter der (beamteten) Finanzabteilung waren per Dekret der
jeweiligen (politischen) Finanzreferenten ermächtigt, Konten ohne
Wissen und Zugriff der Landesbuchhaltung zu eröffnen und zu
schließen.
• Die über diese Konten getätigten Finanzgeschäfte schienen nirgendwo auf.
• Die öffentlichen Rechnungsabschlüsse und Budgetvoranschläge,
die im Salzburger Landtag debattiert wurden, waren wertlos, weil
seit Jahren falsch.
53
Dauerbesuch von den RH-Prüfern in der Mozartstadt (Foto: Stadt Salzburg)
Soweit, manchmal sogar im Wortlaut, die Formulierungen im Endbericht
des Bundesrechnungshofes. € CO unterhält seit Jahren einen guten
Kontakt zu den Prüfern dieser Kontrollinstanz – da ein Schlussbericht
immer ein bisschen geglättet und gemildert ausfällt als die Rohfassung,
können wir die ursprünglichen Originalkommentare der Kontrollore zumindest erahnen. Selbst manchem Beamten des Bundesrechnungshofes
muss es schwer gefallen sein, nicht zum Wutbürger zu werden.
Wie gesagt: Die Rauchschwaden des politischen Kampfgetümmels haben sich wieder verzogen. Der Zorn der Salzburger Wähler hat prominente Opfer gefordert; er erwischte die aktuell handelnden Personen.
An die, die leise mit einem System begannen, das im Vorjahr so laut,
so teuer und so brutal crashte, reichte er nicht mehr heran. Auf das
Schlachtfeld ziehen nun Juristen, Staatsanwälte und Verteidiger. Die
Aufarbeitung werden die Gerichte erledigen müssen. Das Finanzreferat
war nicht immer der SPÖ unterstellt gewesen; früher einmal war die
ÖVP dafür zuständig, die auch den Landeshauptmann in Salzburg
gestellt hatte. Und umgegangen wird auch mit einem inzwischen
pensionierten Hofrat werden müssen, der als zuständiger Leiter der
Finanzabteilung zu Protokoll gegeben hatte, sich »nicht so wirklich« in
die Arbeit seiner Fachreferenten eingemischt zu haben, weil er sich ja
»auch um die Liegenschaften des Landes zu kümmern« hatte.
54
Nicht vollendet sind auch die finanziellen Aufräumarbeiten in der
Mozartstadt; die hochriskanten Veranlagungen sind zwar weitgehend
aufgelöst, eine Endabrechnung aber noch immer nicht möglich, weil
noch immer Einstiegspreise und Kursentwicklungen evaluiert werden
müssen. Die nunmehrige Landesregierung weiß nur, dass das Land
Salzburg höher verschuldet ist, als angenommen – und zwar deutlich
höher, vermutlich um einen Betrag jenseits von fünfhundert Millionen
Euro. Aber wie am Anfang erwähnt: Dutzende Beamte, Prüfer und
Buchhalter suchen und rechnen noch immer. Erst im Sommer des heurigen Jahres wird ein gültiger Abschluss des Salzburger Haushaltes von
2012 vorliegen.
Übrig bleibt noch die »einfache Referatsleiterin« Monika Rathgeber.
Die zierliche Frau, die sich all ihr Finanzwissen nach eigenen Angaben
selbst angeeignet hat, war zunächst als »Zocker-Moni« von der Presse
hingerichtet und nur wenige Wochen später von derselben als »vermutlich unschuldig« dargestellt worden, weil »eine kleine Beamtin allein«
angeblich niemals für so ein milliardenschweres Finanzkonstrukt verantwortlich zeichnen könne, »ohne dass die Politiker etwas gewusst«
hätten. Fakt ist: Sie war für die Konten zeichnungsberechtigt, sie
hatte die Konditionen mit den Geld gebenden Banken ausgehandelt,
sie verfügte als Einzige über die totale Übersicht der Finanzabenteuer.
Monika Rathgeber hat sich ihren Frust jedenfalls auch von der Seele
geschrieben. Kurz vor Weihnachten 2013 veröffentlichte sie ein Buch:
»Am System zerbrochen« heißt es. Es beschreibt die Wochen und
Monate im Vorfeld des Platzens des Finanzskandales in Salzburg, erzählt, wie Vorgesetzte und Politik immer nervöser wurden, berichtet, wie es ihr persönlich ergangen ist, als sie sich »mitten in einer
Hexenjagd« wiedergefunden habe.
Ihre Geschichte enthält, vermutlich ist es ihr nicht aufgefallen, eine
Pointe. Wie eine griechische Tragödie unaufhaltsam fortgeschritten
ist der Skandal in Salzburg nämlich just ab jenem Zeitpunkt, als der
Finanzlandesrat in der Presse nachlesen musste, dass die Stadt Linz bei
einem Swap-Deal mit 400 Millionen Euro unter Wasser geraten war. Da
begann er sich für die Veranlagungen im Land Salzburg zu interessieren – für jene, für die er immer selbst zuständig gewesen war.
55
Große Worte –
meist sogar richtige
gesammelt von Günther Kogler
»Es gibt kein Budgetloch.«
Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) und Anflüge »fokussierter
Unintelligenz« im Herbst 2013.
»Wir haben ein Erwartungsloch.«
ÖGB-Präsident Erich Foglar hat ebenfalls Schwierigkeiten mit der
Realität
»,Shades of Grey‘ ist nichts dagegen, das ist dermaßen obszön …«
Der Kärntner Kurzzeit-Team-Stronach-Chef Siegfried Schalli über die
E-Mail-Korrespondenz seiner Gattin mit Ex-Parteifreund Gerhard Köfer.
»Mein Gott, ein reines Fantasiespiel, reines Kopfkino.«
Ehefrau Cornelia Schalli über das, was angeblich wirklich geschah
»Da lachen mich die anderen ja aus.«
Salzburgs SPÖ-Vorsitzender Walter Steidl erklärt, warum er mit einem
Gehalt von 7752 Euro als Klubchef allein nicht durchkommt.
»Wer mein Nachfolger wird, ist noch offen. Das werden die
Mitglieder bestimmen. Aber ich habe großen Einfluss auf die
Mitglieder.«
Parteichef Frank Stronach und die Basisdemokratie in seinem Team
»Das ist uns passiert.«
Upps … NEOS-Chef Matthias Strolz fällt spät die magere Frauenquote
im eigenen Klub auf.
»Ich habe mir noch keine Gedanken über eine Zukunft ohne
Politik gemacht.«
BZÖ-Obmann Josef Bucher unterläuft im Herbst 2013 ein Fehler.
56
Die Alpine-Pleite – ein
Baukonzern geht unter
von Sabina Riedl
Österreichs zweitgrößter Baukonzern, die Alpine, hat mit Bomben
und Granaten eine Rekordpleite hingelegt; die stellt sogar die
Konsumpleite von 1995 in den Schatten. Wurden bei der Insolvenz
des roten Handelsriesen nach heutiger Währung 2,4 Milliarden
Euro vernichtet, crasht beim Untergang des Alpine-Konzerns
locker der doppelte Betrag. Ein Wahnwitz der Sonderklasse.
Das genaue Ausmaß der Alpine-Insolvenz ist auch Anfang 2014 noch
nicht absehbar, doch rechnen die Kreditschutzverbände durchwegs
mit fünf Milliarden Euro an offenen Forderungen (das entspricht etwas
mehr als einem Prozent des gesamten Bruttoinlandsproduktes). Damit
wird die Talsohle aber noch nicht erreicht. Aus den Trümmern des einstigen Renommierkonzerns gibt es kaum noch etwas zu holen. Auf der
Habenseite gibt es gerade einmal 28 Millionen Euro an liquiden Mitteln,
59 Grundstücke, die – so hoffen die Gläubiger – nur teilweise verpfändet
sind, und einen noch unbekannten Verkaufserlös aus den Gerätschaften
der Alpine, der bisher erst 14 Millionen Euro eingebracht hat.
Die Sollseite hat es in sich: Mit 1,6 Milliarden Euro an nicht mehr bedienten Krediten werden voraussichtlich Banken und Versicherungen
die größten Einbußen hinnehmen müssen. Dazu kommen tausende von
offenen Forderungen von Lieferanten, kleineren Baubetrieben und von
Handwerks- und Gewerbeunternehmen. Noch schweben viele in Gefahr,
ebenfalls in den Abgrund mitgerissen zu werden. Der Masseverwalter
hat mehrmals durchblicken lassen, dass die Aussichten der Gläubiger,
ihr Geld wieder zu sehen, »sehr schlecht« stünden. Die Kreditschützer
rechnen mit einer Quote von einem mageren Prozent – wenn überhaupt. Auch die Steuerzahler werden kräftig zur Kasse gebeten – die
Republik hatte rund 150 Millionen Euro an Haftungen für die Alpine
übernommen, die allesamt schlagend werden.
Die unvollendeten Baustellen der Alpine stehen in der Zwischenzeit
wie Mahnmale in Österreichs Landschaft. Als € CO im Vorjahr die
57
eingestellten Alpine-Baustellen abklappert, finden wir unweit des
Wiener Zentralfriedhofs eine besonders skurrile Situation vor: Wie
überdimensionale Zahnstocher ragen da ein paar fast fertig gestellte
Brückenpfeiler in den Himmel. Die Alpine hatte die Betonarbeiten
für die Eisenbahn-Verbindungsstrecke zwischen Flughafen und
Zentralbahnhof übernommen.
Die verlassene Skulptur war nur eine von 15
Baustellen der ÖBB, auf der die Alpine AG als
Eine rostige Leiter
eigenständige Baufirma verpflichtet worden
als stumme Zeugin
war. Noch im Sommer 2013 war die Baustelle
verwaist. Eine rostige Leiter verrottete in einem Tümpel – eine stumme
Zeugin des plötzlichen Firmenendes. Nur die Stahlarbeiten an der
Brücke, die anderwärtig vergeben waren, gehen planmäßig weiter. Der
Auftrag hätte der Alpine 20 Millionen Euro eingebracht; hätte – wenn
sie ihn fertiggestellt hätte.
Nun wird abgerechnet, was an Leistung erbracht wurde – und der restliche Auftrag wird neu ausgeschrieben. Der Bauherr, die ÖBB, muss sich
nach einer neuen Baufirma umsehen. Business as usual, aber dennoch
lästig. Der Baufortschritt dürfte sich durch die Alpine-Pleite verzögern.
Wenigstens einen finanziellen Verlust muss die Bahn nicht befürchten,
erklärt ÖBB-Konzernsprecher Michael Braun: »Dadurch, dass wir nicht
in finanzielle Vorleistung getreten sind, haben wir keinen Schaden.
Die großen Baustellen wie etwa rund um den Wiener Hauptbahnhof,
die werden in Arbeitsgemeinschaften betreut; fällt ein Teilnehmer aus
einer ARGE heraus, übernehmen die verbleibenden Teilnehmer das offene Auftragspensum. Da geht der normale Betrieb also weiter, da wird
einfach weitergebaut.«
Die besagten 20 Millionen Euro sind übrigens ein Kleinauftrag für die
Bundesbahnen, den größten Bauherrn der Republik. Der Betrag macht
nicht einmal ein Prozent jener Summe aus, die die ÖBB jährlich in Bau
und Erhalt ihrer Eisenbahn-Infrastruktur stecken. Auch die Sorge,
man könnte für den Pleite gegangenen Alpine-Konzern keinen Ersatz
finden, hält sich bei den Eisenbahnern in Grenzen. Die aufgeblähte
Bauwirtschaft in Österreich dürstet förmlich nach Aufträgen – und offenbar auch nach Arbeitskräften.
58
Das Alpine-Logo: ein Baukonzern verschwindet (Foto: Krauss-Rirsch)
Denn eines hat im Vor jahr über raschend gut geklappt: Die
Neuvermittlung der kurzzeitig arbeitslos gewordenen Bauarbeiter.
Die ehemaligen Alpine-Mitarbeiter wurden bundesländerweise in
Informationsveranstaltungen rund um die betroffenen Standorte von
Gewerkschaft und Arbeiterkammer »notversorgt« – mit Ausfüllhilfen
und umfassender arbeitsrechtlicher Beratung wurden die meisten
der 4500 österreichischen Alpine-Beschäftigten durch einen bürokratischen Irrgarten geleitet. Es gab offene Löhne und Abfertigungen
geltend zu machen und den Übertritt in eine Auffanggesellschaft zu
unterschreiben. Binnen Wochen kamen dann aus allen Bundesländern
gute Nachrichten: Andere Baukonzerne übernahmen komplette
Belegschaften und Bautrupps. Das Kalkül der ehemaligen Konkurrenten
der Alpine: sich über die Arbeiter neue Aufträge in die Bücher zu holen.
Hätte man allen Ankündigungen von Porr und Co. geglaubt, dann wäre
zwischenzeitlich die Nachfrage nach Bauarbeitern sogar größer gewesen als die Zahl der arbeitslos gewordenen Alpine-Hackler. Am Ende ist
es sich doch nicht ganz ausgegangen. Während etwa in der Steiermark
oder in Salzburg nahezu einhundert Prozent der Alpine-Beschäftigten
bei anderen Baufirmen unterkamen, gab es in Niederösterreich und vor
allem in Wien Lücken. Darüber ärgerte sich vor allem die Gewerkschaft,
weil die Jobsituation am Bau auch 2013 alles andere als rosig war. Im
59
Viel Arbeit für den Masseverwalter (Foto: Krauss-Rirsch)
Jänner 2012 waren noch 76.000 Bauarbeiter ohne Job gewesen, zu
Jahresbeginn 2013 gar schon 83.000.
Ein dickes Ende droht freilich an einer anderen Front. In den
Kreditschutzverbänden wird nach wie vor mit Sorge die Situation jener Betriebe verfolgt, die Subaufträge der Alpine erledigten. Zwei
Folgeinsolvenzen trudelten im alten Jahr bereits ein, 80 weitere Firmen
schweben nach den Unterlagen der Kreditschützer »in Gefahr«. Auch
dort wackeln 1000 Jobs. Hans-Georg Kantner vom »Kreditschutzverband
von 1870«: »Wenn Sie an die tausenden Zulieferer denken und vor allem
an die Subunternehmer, die in Summe um mehrere hundert Millionen
Euro umfallen, dann fürchte ich, wird es da noch Probleme geben.«
Freilich: Österreichs Platzhirsche der Bauwirtschaft hat die Pleite
der Alpine nicht überrascht. Auf dem Wiener Zentralbahnhof, einer
Riesen-Baustelle mit knapp einer Milliarde Auftragsvolumen, sind sie
noch immer alle versammelt, so als wäre nichts passiert – allen voran
die Strabag und die Porr. Die Alpine-Logos waren blitzartig von der
Bildfläche verschwunden. Dem Chef der Porr AG, Karl-Heinz Strauss, der
selbst harte Sanierungsjahre hinter sich hat, kam der Ausfall der Alpine
nicht unbedingt ungelegen. Eine willkommene Marktbereinigung
also? »Eine wirkliche Bereinigung wird es nicht geben. Der Markt
60
Knapp vier Milliarden Euro Miese: Österreichs größter Konkursfall (Foto: Krauss-Rirsch)
in Österreich ist überbesetzt«, so der Generaldirektor der Porr. »Die
allzu rasche Expansion der Alpine hat eben dazu geführt, dass auch
Stammländer wie Österreich stark betroffen sind. Jubelmeldung ist es
für keinen – alle leiden darunter. Große Unsicherheiten bei Bauherren,
bei Mitarbeitern, bei Planern, bei Projekten sind die Folge – aber insgesamt wird es eine Erleichterung für die heimische Bauwirtschaft sein.«
Auch die »graue Eminenz« der Bauindustrie, der Unternehmer HansPeter Haselsteiner, der sich nach Jahrzehnten im Vorstand der Strabag
im letzten Jahr zurückgezogen hat, analysiert die Alpine-Großpleite
ohne große Emotionen. »Bauunternehmungen, die weniger als 20
Prozent Eigenkapital bezüglich der Bilanzsumme ausweisen, leben
gefährlich«, so der ehemalige Baulöwe. »Sie halten einen nicht auszuschließenden Rückschlag, der immer wieder passieren kann, nicht
mehr aus.«
Und welche Lehren sollten seiner Meinung nach aus dem AlpineSc hl a m a ssel gezogen werden? »Ic h baue d a rau f, d a ss d ie
Finanzdienstleister, also die Banken, aber auch die Versicherungen,
die die Garantien zur Verfügung stellen, etwas gelernt haben: mehr
darauf zu achten, wie schaut denn die Eigenkapitalquote aus; und
dass sie Druck ausüben auf die Gesellschaften, ihre Rentabilität zu
61
verbessern – es geht eben nicht nur um Marktanteile und darum, nur
Umsätze einzukaufen.«
Im Nachhinein wissen es alle besser. Genau
das aber tat der spanische Eigentümer FCC
– Fomento de Construcciones y Contratas –
mit dem vormals soliden österreichischen
Bauunternehmen. Die schöne Konzernchefin, Milliardärin Esther
Alcocer Koplowitz, die den Konzern von ihrer Mutter, Esther Koplowitz,
übernommen hatte, verlangte von der Alpine einen erbarmungslosen
Expansionskurs. Die Umsätze sollten sich in kürzester Zeit vervielfachen – mit abenteuerlichen Wachstumsbestrebungen von Osteuropa
bis nach China. Sieben Jahre dauerte das Bauabenteuer, selbst verpulverte die FCC 700 Millionen Euro. Zig Manager wurden verschlissen
– allein, die positiven Resultate blieben aus. Dann drehte die Madrider
Lady quasi über Nacht den Geldhahn zu und schickte die Alpine in die
Wüste.
Die schöne Chefin
setzte auf Expansion
Georg Kantner vom Kreditschutzverband von 1870 schätzt, dass es
mindestens zehn Jahre dauern wird, bis der Konkurs der Firma Alpine
in Österreich abgehandelt ist. Allein die Verfahren rund um die von der
Alpine spät begebenen Unternehmensanleihen werden die Juristen auf
Jahre hinaus beschäftigen. Kantner ergänzt seine Ahnung mit einem
Beispiel aus der österreichischen Wirtschaftsgeschichte: »Eine große
Bauinsolvenz – Sie erinnern sich an Maculan – aus dem Jahre 1996 hat
elf Jahre gedauert, bis sie aufgearbeitet, bis der letzte Prozess geführt,
das letzte Urteil gesprochen war.«
Das verflixte Jahr 2013 also ist für die Alpine zum Sargnagel geworden.
Sie ist innerhalb weniger Wochen von der Landkarte der Wirtschaft
verschwunden, auf der sie so lange Zeit nicht zu übersehen gewesen
war – als einer der größten und traditionsreichsten Baukonzerne des
Landes. Verschwunden – einfach so. Ein ruhmreiches Kapitel unternehmerischen Handelns sieht anders aus.
62
Teures Wohnen: Warum
die Mieten so hoch sind
von Mag. Beate Haselmayer
Etwa die Hälfte aller ÖsterreicherInnen lebt in Mietwohnungen.
Hunderttausende sind Monat für Monat auf der Suche nach
­einer neuen Wohnung. Auf dem privaten Wohnungsmarkt, der
immerhin vierzig Prozent aller Mietwohnungen ausmacht, sind
die Preise in den letzten Jahren enorm gestiegen. Gründe dafür
gibt es eine ganze Reihe. Jetzt wird die Wohnbauförderung zumindest wieder zweckgebunden. Aber: Das allein soll reichen?
Wer heutzutage eine Mietwohnung sucht, braucht entweder ausreichend Budget oder ausreichend Geduld. Viele durchforsten monatelang die Angebote auf den Internetplattformen für Wohnungsuchende.
Verzweifelt müssen sie dabei täglich feststellen: Der Wohnungsmarkt
ist überhitzt. Preise jenseits von zehn Euro pro Quadratmeter
Wohnfläche sind in Ballungsräumen wie Wien keine Seltenheit mehr.
Wer dann doch eine günstige Wohnung erspäht und mit vielen
Mitinteressenten zum Besichtigungstermin kommt, findet oft Objekte
vor, die nicht gerade in optimalen Zuständen sind. Eine leistbare
Wohnung in zentraler Lage, gut ausgestattet – dieser Traum scheint
bald der Vergangenheit anzugehören. Denn vor allem in den Städten
haben die Mietpreise gewaltig angezogen.
Ein Trend, der in Öster reich deutl ich zu spüren ist: Immer
mehr Menschen zieht es in die Stadt. Bessere Jobs, bessere
Bildungsmögl ichkeiten – es gibt v iele Gründe daf ür, seinen
Lebensmittelpunkt in den urbanen Raum zu verlegen. Hinzu kommen Migranten, die meist in Ballungszentren sesshaft werden. Allein
in Wien sind in den letzten zehn Jahren 170.000 neue Bürger dazugekommen. Und schon bis zum Jahr 2035 sollen dann wieder zwei
Millionen Menschen in der Bundeshauptstadt leben – so viele, wie
es schon einmal gegeben hat, als Wien k. u. k. Residenzstadt der
Habsburgermonarchie gewesen war.
63
Da es nicht genug Neubauten gibt, wird der Wohnraum immer knapper. Besonders hart trifft das Menschen mit niedrigen Einkommen.
Für sie wird es immer schwieriger, eine passende Wohnung zu finden.
Gabriele Zgubic von der Arbeiterkammer Wien kennt viele Familien,
die sich selbst eine einfache Mietwohnung nicht leisten können:
»Junge Familien tun sich schwer, wenn sie jetzt eine Wohnung suchen.
Nehmen wir eine 60-Quadratmeter-Wohnung als Beispiel. Wenn man
zehn Euro für den Quadratmeter verlangt, sind das schon 600 Euro für
eine eigentlich sehr kleine Wohnung«, berichtet sie.
Der stark steigenden Nachfrage nach Wohnungen steht ein nur langsam wachsendes Angebot an neuen Wohnungen gegenüber. Das ist
­einer der zentralen Preistreiber auf dem Wohnungsmarkt.
Experten sind sich einig: Dort, wo die Mieten
am stärksten gestiegen sind – allen voran
Es wird einfach
Salzburg, Innsbruck und Wien – wird zu wezu wenig gebaut
nig gebaut. Der Grund: Es ist schwierig, den
Bau leistbarer Wohnungen zu realisieren. Wenn neue Wohnungen
gebaut werden, dann sind es fast ausschließlich Eigentums- oder
Vorsorgewohnungen. Und die können sich meist nur gehobene
Einkommensschichten leisten.
Besonders nachgelassen hat die Bautätigkeit im Bereich der geförderten Wohnungen. Jahrelang wurden jährlich 33.000 bis 34.000
Neubauwohnungen pro Jahr durch die Wohnbauförderung finanziert.
Das waren fast 80 Prozent des gesamten Wohnbauvolumens. Zwischen
2009 und 2011 sank die Bautätigkeit jedoch auf 26.000 Einheiten.
Schuld an diesem Rückgang: Änderungen in der Gesetzgebung rund
um die Wohnbauförderung und steigende Grundstückspreise.
Zunächst aber eine Erklärung dazu, wie der geförderte Wohnbau den
privaten Wohnungsmarkt beeinflusst. Dort sind die Preise explodiert,
doch die Gründe dafür sind auch auf die Entwicklungen im geförderten Wohnungsbau und im Bau von Gemeindewohnungen zu finden. 41
Prozent der ÖsterreicherInnen, die in Mietwohnungen leben, leben in
privat angemieteten Wohnungen, 19 Prozent in Gemeindebauten und
40 Prozent in Genossenschaftswohnungen.
64
Sinkt nun also die Bautätigkeit im Breich der Gemeindebauten und
Genossenschaftswohnungen, wird der Andrang auf dem privaten Markt
immer höher. Und dann passiert genau das, was in den letzten Jahren
der Fall war: Die Preise steigen und steigen.
Umgekehrt würde mehr Bautätigkeit im geförderten Bereich dazu führen, dass sich die
Abhilfe bringt nur
Situation auf dem privaten Wohnungsmarkt
gefördertes Wohnen
wieder entspannt. Und eben das fordern viele
Experten. Im €CO-Interview richtet Wolfgang Amann vom »Institut für
Immobilien, Bauen und Wohnen GmbH« einen Appell vor allem an die
Stadt Wien: »Es ist darauf zu achten, dass im ausreichenden Maß geförderter Wohnbau umgesetzt wird. Ansonsten wird es nicht gelingen,
die Marktpreisdynamik in den Griff zu bekommen.«
Die Tatsache, dass nicht ausreichend geförderte Wohnungen errichtet werden, hat schlicht und ergreifend damit zu tun, dass die Länder
weniger Wohnbauförderung gewähren. Und das wiederum ist auf zwei
Gesetzesänderungen zurückzuführen: Ab 2001 mussten die Rückflüsse
aus den Wohnbauförderungsdarlehen nicht mehr zweckgewidmet
werden. Und 2008 wurde auch die so genannte Zweckwidmung der
Wohnbauförderung selbst aufgehoben. In der Realität bedeutete das,
dass das Geld, das unter dem Deckmantel des leistbaren Wohnens jedem Berufstätigen vom Gehalt abgezogen wird, nicht mehr in den geförderten Wohnungsbau investiert werden musste. So konnten etwa
auch Infrastrukturprojekte – Bahnstrecken und Tunnelprojekte – mit
dem Geld finanziert werden.
Wa r u m d i e P ol it i k s e i ne r z e it d i e G e s e t z e r u nd u m d i e
Wohnbauförderung geändert hat? Man wollte den unter erheblichem
finanziellem Druck stehenden Ländern helfen, ihre Ausgaben zu reduzieren. Die vorhandenen Mittel nicht mehr in die Wohnbauförderung
zu investieren, sei aber äußerst riskant gewesen, meinen Experten
heute. Gabriele Zgubic seitens der Arbeiterkammer Wien forderte
schon im Herbst letzten Jahres: »Es wäre wichtig, dass sowohl die
Wohnbauförderungsmittel als auch die Rückflüsse aus diesen Darlehen,
die vergeben werden, wieder zweckgewidmet werden. Sie sollten ausschließlich für den Wohnungsneubau verwendet werden.«
65
In Wien wurden im Jahr 2011 überhaupt nur noch 3000 geförderte
Wohnungen errichtet; die Hälfte von dem, wieviele notwendig gewesen wären. Einigermaßen konnte der Rückgang durch den frei finanzierten Wohungsbau kompensiert werden, doch nicht vollständig. Die
Mieten zogen weniger stark an als in Innsbruck und Salzburg, dennoch
sind in der Bundeshauptstadt die Preissteigerungen auf dem privaten
Markt beachtlich.
Auch die Wartelisten auf Gemeinde- und Genossenschaftswohnung sind
länger als je zuvor. Im €CO-Interview versuchten wir Wohnbaustadtrat
Michael Ludwig mit den fehlenden geförderten Wohnungen zu konfrontieren – doch der wies jegliche Kritik von sich: »Wir bauen so
viele geförderte Wohnungen wie keine andere europäische Großstadt.
Wir werden auch in Zukunft sicher nicht jedem Wiener eine Gemeindeoder sonstwie geförderte Wohnung zur Verfügung stellen können. Aber
wir werden vieles tun, um die Zahl an geförderten Wohnungen möglichst hoch zu halten.«
Mit einem, wie soll man sagen, »Spezialprojekt« versucht die Stadt
Wien gerade, der Wohnungsknappheit entgegenzuwirken. Auf dem
ehemaligen Flugfeld Aspern am Rande der Stadt wird die so genannte
»Seestadt Aspern« quasi aus dem Boden gestampft. Das Bauprojekt
wird von der Stadt als »Call« bezeichnet – ein Aufruf an alle Bauträger,
unter speziellen Finanzierungsbedingungen dringed notwendige
Neubauten zu errichten. Die Vision: Bis zum Jahr 2030 sollen 20.000
Menschen in der Seestadt angesiedelt werden, neue U-Bahn-Station
inklusive.
Tatsächlich folgen viele Bauträger dem Ruf der Stadt Wien. An der
Peripherie sind wegen der günstigeren Grundstückspreise Bauvorhaben
leichter zu realisieren als in Zentrumsnähe. Aber dieses Thema führt
uns direkt zum nächsten Preistreiber auf dem Wohnungsmarkt: zu den
Kosten für den Quadratmeter Grund und Boden.
Es liegt auf der Hand: Sind die Grundstückspreise hoch, wird weniger gebaut; natürlich auch weniger geförderte Wohnungen. Wer
Förderungen in Anspruch nehmen w ill, muss sich streng an
Vorschriften halten; etwa eine Obergrenze für einen Quadratmeter
66
Baugrund. Hohe Grundstückspreise sind also ebenfalls mit verantwortlich für die Wohnungsknappheit.
Für unsere Dreha rbeiten tra fen w i r Peter Sommer von der
Gemeinnützigen Bau- und Siedlungsgenossenschaf t »Schönere
Zukunft« auf der Baustelle auf dem ehemaligen Flugfeld in Aspern. Er
zeigte uns den Platz, an dem seine Genossenschaft 61 Mietwohnungen
mit Kaufoption errichten wird. Und er erklärte uns, warum es für
Bauträger in Wien schwierig ist geförderte Wohnungen zu errichten:
»Die Grundstücke sind mittlerweile derartig teuer geworden, dass das
zu den jetzigen Richtlinien schwer bis gar nicht realisierbar ist«, so
Sommer. Nur am Stadtrand gebe es noch erschwingliche Grundstücke.
Der Anstieg der Grundstückspreise freilich
mag auch mit der Flächenwidmungspolitik
Kritik: Umwidmungen
der Stadt zusammenhängen. In den Augen
»viel zu langsam«
v ieler Bauträger w ürden Umw idmungen
»viel zu langsam« durchgeführt. Gesichert ist jedoch ein weitere
Konsequenz: Steigende Grundstückspreise führen dazu, dass immer
mehr in Immobilien investieren.
Die Schuldenkrise im Euro-Raum, die Angst vor dem Zerfall der EuroZone und einer Hyperinflation – das alles hat dazu geführt, dass
in den letzten Jahren viele Investoren und viele Private ihr Geld
in Immobilien angelegt haben. Frei nach dem Motto: »Grundbuch
statt Sparbuch«. Diese Entwicklung beeinflusste den Wohnungsmarkt
enorm. Die steigende Nachfrage nach Zinshäusern hatte zur Folge,
dass dort die Preise anzogen. Investoren wollen aber die bestmögliche Rendite erzielen. So schlägt sich der hohe Preis, den sie für den
Erwerb der Häuser berappten, häufig in höheren Mieten nieder. Das
bestätigt auch Udo Weinberger, der Präsident des österreichischen
Verbands der Immobilientreuhänder: »Es ist natürlich so, dass der
Vermieter sich bemüht, das Bestmögliche an Miete zu bekommen. Er
kalkuliert alles durch und er wird dann vielleicht einige Punkte in der
Mietzinsbildung zu seinen Gunsten auslegen.«
Diesem Bestreben steht nur ein Mietrechtsgesetz gegenüber, das
Spielraum lässt. Für Altbaumieten etwa gibt es ein so genanntes
67
»Richtwertesystem« mit einer Mietzinsgrenze. Einige darin enthaltene Regelungen sind aber unkonkret und schwammig formuliert.
Häufig werden Zuschläge zum Mietzins verrechnet – sei es für die
Stockwerkslage, einen Lift oder einen Balkon –, die gar nicht zulässig
sind.
Noch dazu sind sich mitunter nicht einmal die Gerichte darüber e­ inig,
welche Zuschläge erlaubt sind und welche nicht. Gabriele Zgubic
von der Arbeiterkammer Wien kennt viele Beschwerdeführer, die
über Jahre hinweg zu viel Miete bezahlt haben: »Wir haben einen
Fall von einer Wohnung, bei dem drei Instanzen drei unterschiedliche Richtwerte festgestellt haben. Das ist eigentlich ein unhaltbarer
Zustand.« Mögliche Zuschläge und fixe Abschläge müssten ganz genau
geregelt werden.
Mieter, die glauben, dass sie zu viel Miete bezahlen, haben die
Möglichkeit, sich an die Schlichtungsstelle oder an ein Gericht zu
wenden. Nicht selten kommt heraus, dass pro Quadratmeter bis zu
drei Euro zu viel verlangt wurden. Doch viele scheuen vor dem Gang
zur Schlichtungsstelle zurück. Wer einen befristeten Mietvertrag hat
– und das sind immerhin zwei Drittel aller Mieter –, befürchtet zuallererst, keine Vertragsverlängerung zu bekommen. Und wer vor Gericht
einen niedrigeren Mietzins einklagt, trägt das Risiko, dass das Gericht
dagegen entscheidet und die Prozesskosten letztlich beim Kläger
landen.
Es ist also ein komplexes Zahnradspiel, eine Ansammlung eng verwobener Entwicklungen, die dafür sorgen, dass Wohnen in österreichischen Großstädten so teuer geworden ist. Einige Trends, wie
der Bevölkerungszuwachs, sind nicht aufzuhalten. Andere wären beeinflussbar. Es gäbe Hebel, die man umlegen kann, um e­ iner
­e klatanten Wohnungsknappheit vorzubeugen. Die von der neuen
Regierungskoalition beschlossene Wiedereinführung der Zweckbindung
der Wohnbauförderung ist einer davon. Ausgeschöpft hat die Politik
ihr Instrumentarium damit nicht.
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Löhne und Gehälter: So viel
verdienen die Österreicher
von Dr. Christina Kronaus
Er liest sich wie ein Krimi, der letzte Einkommensbericht des
Rechnungshofes. Und er ist von ungebrochener Brisanz und
Relevanz, weil er zeigt, wie unterschiedlich und oft auch ungerecht Einkommen in Österreich verteilt sind. Uns hat er zu einer
Hintergrundgeschichte inspiriert. Wieviel haben sie denn wirklich
verdient, Frau und Herr Österreicher, im Jahr 2013?
Besuch im Millenium Tower in Wien. Hier residiert der IT-Dienstleister
»EBCONT« mit knapp mehr als 100 Mitarbeitern. Sonja Schuster ist eine
von ihnen. Vor drei Jahren war die 29-jährige Software-Entwicklerin
und -Beraterin auf Jobsuche. Sie hat ihre Bewerbung auch ins Internet
gestellt; auf die Job-Plattform »monster.at«, die vor allem junge,
internet­a ffine Bewerber als Sprungbrett ins Berufsleben benutzen.
Zwölf Firmen haben damals um sie geworben, auch einige ganz große
und bekannte aus der IT-Branche. Sonja Schuster hat sich für den
kleinen Spezialisten »EBCONT« entschieden. Das gute Gehalt war für
die junge Frau wichtig. Noch wichtiger waren andere Faktoren: flache Hierarchien, respektvoller Umgang untereinander, eine moderne
Firmenkultur – und Weiterbildung.
»Das Gehalt war für mich nicht das Wichtigste. Ich verdiene 3000
Euro brutto im Monat. Das ist noch nicht das Fixgehalt, es kommen
Prämien hinzu. Hauptgrund hierherzugehen war die Weiterbildung«,
erzählt IT-Consultant Sonja Schuster. »Ich habe vorher einen Job gehabt, da habe ich mir das alles selber zahlen müssen. Das ist mühsam,
vor allem, wenn man sich dann Urlaub nehmen muss, weil das Seminar
eben am Freitag oder Donnerstag stattfindet. Hier ist das nicht so.
Weiterbildung wird hoch honoriert. Sie wird bezahlt. Und man kann
sich selbst sehr gut entfalten.«
Die Mitarbeiter von »EBCONT« unterstützen große Firmen dabei,
ihre technischen Probleme zu lösen und Daten sicher zu speichern.
Die Herausforderung ist, riesige Datenmengen aufzubereiten, zu
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Facharbeiter mit Qualifikation werden gut bezahlt (Foto: Julian Carvajal)
verknüpfen und zu sichern. Der Firmenchef setzt auf Technologien
wie »Tablets« und »Smartphones«. Ein Erfolgsprodukt ist der »KittleCoach«, ein medizinisches Online-Nachschlagewerk für Ärzte, das bisher mehr als 60.000-mal verkauft wurde.
Erfolgreiche Arbeit wird belohnt. Das gilt auch für die Suche nach
neuen Mitarbeitern. Wer neue fähige Kollegen für die Firma findet,
bekommt ebenfalls Geld, erzählt Geschäftsführer Magister Johannes
Litschauer. »Unser Motto ist: Gehalt ist nicht alles. Wir haben ein
Gehalt, das durchaus okay sein soll. Wir zahlen IT-Kollektivvertrag und
darüber. Dann gibt es prämienbasierte Gehaltsanteile, zum Beispiel für
die Mitarbeiteranwerbung. Wir zahlen 2500 Euro für eine erfolgreiche
Anwerbung. Unsere Projektvertriebsprämien kann man nicht so genau
beziffern, das kommt auf die Größe an. Das kann von einigen hundert bis zu einigen tausend Euro gehen. Ähnlich ist das auch mit den
Verdienstprämien im Projekt.«
Nicht zuwenig und nicht zuviel – was ist das richtige Gehalt für
Mitarbeiter? Wie viel ist gute Arbeit wert? Kienbaum Management
Consultants mit Sitz in der Wiener Innenstadt berät Firmen bei der
Bezahlung ihrer Fach- und Führungskräfte. Es geht darum, den richtigen Marktwert zu kennen. Jedes Jahr sieht sich das Unternehmen
70
genau an, wo die Gehälter in der Branche liegen und veröffentlicht
­einen Bericht. Welche akademischen Fachkräfte sind derzeit besonders
gefragt in Österreich – abgesehen von der IT-Branche?
Das zahlten die Firmen 2013 an Bruttobezügen:
•Technik: 2500 bis 3300 Euro
•Wirtschaft: 2300 bis 3000 Euro
•Sozialwissenschaften: 2100 bis 2900 Euro
•Naturwissenschaften: 2500 bis 3100 Euro
•Rechtswissenschaften: 2600 bis 3100 Euro
•Mathematik/Informatik: 2400 bis 3100 Euro
Christoph Dovits gibt uns einen Überblick: »Im technischen Bereich
werden insbesondere Maschinenbau, Elektronik, Metall nachgefragt.
Absolventen dieser Studienrichtungen können mit einem Gehalt von
im Schnitt 3000 Euro brutto im Monat rechnen, es geht bis zu 3500
Euro, bei ganz speziellen Qualifikationen sogar darüber. Im wirtschaftlichen Bereich sehen wir Rechnungswesen und Controlling, das sind
Bereiche, die sehr nachgefragt sind, so gut wie in jedem Unternehmen.
Das lässt sich breit einsetzen im Bereich Wirtschaftsprüfung. Da liegen
wir im Schnitt bei 2500 Euro pro Monat.«
Besuch bei der Firma »Herz Energietechnik« im Südburgenland, einem
österreichischen Betrieb mit 220 Mitarbeitern, der sich erfolgreich
auf dem europäischen Markt behauptet und trotz Krise zweistellig
wächst. Mit einem Sortiment von Wärmepumpen, Stückholzkesseln,
Hackschnitzel- und Pelletsanlagen. Der Geschäftsführer ist gebürtiger
Iraner. Er redet gerne mit seinen Leuten, ist hörbar stolz auf seinen
Erfolg. Seine Heizkessel sind »eine beliebte Form der Geldanlage« geworden, meint Geschäftsführer Morteza Fesharaki: »Die Konsumenten
sind zur Zeit sehr offen dafür, ihre Heizungsanlagen umzurüsten, hin
71
zu erneuerbaren Energien, weil die Öl- und Gaspreise steigen, ebenso
die Stromkosten. Wir haben das Gefühl, dass die Leute momentan
nicht wissen, wohin sie ihr Geld investieren sollen. Da stecken sie es
lieber in eine neue Heizung, als es zur Bank zu tragen.«
Bei »Herz Energietechnik« wird nach dem Metaller-Kollektivvertrag
bezahlt. Gute Facharbeiter wie Schweißer werden dringend gesucht.
Einer von ihnen erzählt, wie er zu seinem jetzigen Job gekommen ist.
»Ich bin durch meinen Bruder aufmerksam geworden. Der hat mir erzählt, dass die Stelle frei ist. Ich bin sofort genommen worden. Mir
taugt das Arbeitsklima hier. Es ist abwechslungsreich und angenehm,
hier zu arbeiten.« Und was verdient man als gelernter Schweißer?
»Zirka 1400 Euro netto«, erzählt Herbert Mogg.
Ein Überblick über die Einstiegsgehälter in Österreich:
•Maturanten verdienten 1400 bis 1800 Euro,
•Facharbeiter zwischen 1600 bis 2100
•und Akademiker von 1800 bis 3000 Euro.
In der Firma herrscht ein spürbar gutes Betriebsklima. Für österreichische Verhältnisse ist man auch ungewöhnlich transparent, was
die Offenlegung der Gehälter betrifft. Der Chef verdient – nach
Eigenangaben – zwischen 10.000 und 15.000 Euro, der Finanzchef zwischen 3000 und 5000 Euro.
Und das durchschnittliche Gehaltsniveau im Betrieb? Finanzchef
Peter Kerschbaumer: »Die Bandbreite der Gehälter beginnt bei 1400
Euro brutto bei einem Hilfsarbeiter in der Produktion und endet
bei zirka 2900 Euro brutto für einen qualifizierten Mitarbeiter, im
72
Frauengehälter: gegenüber Männern noch immer ein Minus (Foto: Sergey Nivens)
Techniksegment durchaus bei 3500 Euro brutto. Das durchschnittliche
Gehalt am Standort liegt zwischen 1900 und 2500 Euro brutto.
Wir haben uns auch angesehen, ob diese Bruttogehälter in Österreich in
den letzten zehn Jahren auch mehr geworden sind. Die ernüchternde
Bilanz: Die Inflation frisst die Lohnzuwächse auf. Ein Rechenbeispiel:
Ein Beschäf t igter aus der Elektro- und Elektronik industr ie,
Beobachtungszeitraum 2005 bis Anfang 2014. Aus dem monatlichen
Bruttolohn in der Höhe von 2480 werden 3090 Euro. Das ist ein Anstieg
um 28 Prozent. Allerdings werden während des gleichen Zeitraumes 21
Prozentpunkte von der Inflation wieder aufgezehrt. Nur sieben Prozent
beträgt die reale Gehaltsteigerung in zehn Jahren also. Noch ernüchternder an unserem Beispiel: Netto wächst das Gehalt um nur 46 Euro.
Die gute Nachricht: Österreich hat im Vergleich zu anderen europäischen Ländern eine noch relativ stabile Einkommenssituation. Doch
auch bei uns wächst der Druck. Die Arbeitslosigkeit steigt. Die sicheren Jobs werden weniger, die Arbeitskonflikte mehr. Und immer öfter
wird unter dem Kollektivvertrag gearbeitet.
Der Volkswirt und unabhängige Gewerkschafter Markus Koza sieht
eine gefährliche Entwicklung für die Gesellschaft: »Was wir erleben,
73
ist ein Auseinanderdriften der Arbeitsverhältnisse. Die guten stabilen
Arbeitsverhältnisse, die ein gutes Einkommen, ein gutes Überleben garantieren, werden immer weniger, während in Branchen, die angeblich
Zukunftsbranchen sind, etwa in der Pflege oder in sozialen Diensten
und in ,Greenjobs‘, die Arbeitsbedingungen immer schlechter werden.
Auch die Gehälter werden immer niedriger. Die Einkommen dort sind
schwach, reichen kaum zum Überleben. Wir haben einen hohen Anteil
an Teilzeitbeschäftigten, an prekär Beschäftigten und einen sehr hohen Frauenanteil.«
Der Blick auf die Spitzengehälter:
Ein Teamleiter mit zehn Jahren Berufserfahrung liegt im Schnitt
bei 5200 Euro brutto. Ein Abteilungsleiter in einer mittelständischen Firma nach 15 Jahren bei 7200 Euro und ein Bereichsleiter im
Großunternehmen nach 20 Jahren bei 10.000 Euro brutto. Dazu kommen noch Prämien bis 44.000 Euro pro Jahr.
Pflegeberufe wie Krankenschwester, Altenfachbetreuer oder Heimhilfe
sind zum Beispiel echt schlecht bezahlte Berufe – und das, obwohl
immer mehr Pflege und Unterstützung gebraucht würden. So verdient
eine Heimhilfe mit 35 Stunden Arbeit im Monat um die 1300 Euro
netto.
Das österreichische Durchschnittseinkommen liegt übrigens bei
1732 Euro netto, Männer verdienen ein Drittel mehr als Frauen, unter denen es einen hohen Anteil an Teilzeitbeschäftigten gibt. Das
Durchschnittsgehalt von Frauen liegt bei 1386 Euro netto, jenes von
Männern bei 2001 Euro netto.
Wir hätten also etwas zu verteidigen – und auch Ungerechtigkeiten
zu beheben. Es sollte gelten: gute Löhne für gute Arbeit. Und Jobs, die
uns fordern und fördern – und Freude in unser Leben bringen.
74
Konkurrenz für den Kredit:
Die »crowd« und das »money«
von Hans Hrabal
Traditionelle Bankkredite kommen, trotz historisch niedriger Zinsen, kaum bei den Unternehmen an. Deshalb wird die
Branche immer findiger; sie entwickelt immer neue Formen des
»Crowd-funding«. Doch weil die Sicherheiten für die Anleger
(die »crowd«) mager scheinen, läuft die Finanzmarktaufsicht
Sturm. Und weil die eingesammelten Summen (die »fundings«
und deren Zinserlöse) nicht immer den Weg zum Fiskus finden, kommt auch Widerstand von den Steuerbehörden. Neue
Finanzierungsmethoden, die laut Grundkonzept billiges Geld vor
allem in Start-ups spülen sollten, haben es in Österreich noch
schwer.
Der Paradefall ist bekannt wie ein bunter Hund: Der Unternehmer
Heini Staudinger hat in Schrems, tief im Waldviertel, eine erfolgreiche Schuhproduktion aufgezogen. Seine Firma GEA beschäftigt 130
Mitarbeiter. Die Verkäufe laufen, Tendenz steigend.
Das ist in Zeiten wie diesen an und für sich schon bemerkenswert.
Noch viel bemerkenswerter ist freilich, wie Staudinger Gründung
und Aufbau seiner Firma finanziert hat. Nämlich gänzlich ohne
Bankkredite und auch ohne staatliche Förderung. Staudinger ist auch
kein reicher Erbe, der altes Familiensilber arbeiten lässt. Er hat sein
Unternehmen auf die älteste Weise finanziert, die es wahrscheinlich in der Geschichte der Wirtschaft gibt. Er hat sich das Geld von
Verwandten und Freunden ausgeborgt.
Gegründet hat Staudinger seine alternative Schuhmanufaktur einst
»mit wenigen tausend Euro, die ich halt g’rade in der Tasche hatte«.
Damit hat er sich ein paar Monate durchgewurstelt und als sein
Schuhwerk auf unvermutet viel Nachfrage stieß, hat er dann »einfach
mehr Geld gebraucht«. 1999 hat er von 192 »Freunden, Verwandten
und Geschäftspartnern« dann Kapitaleinlagen in Form von Darlehen in
75
der Gesamthöhe von 2,979 Millionen Euro zur laufenden Finanzierung
des Betriebs entgegengenommen.
Der Greißlersohn hat diese Einlagen von Anfang an auch ordentlich
verzinst. Mit vier Prozent bot er seinen Darlehensgebern eine faire,
wenn auch nicht berauschende Rendite. Aber die hat er immer verlässlich bezahlt und außerdem wussten die Anleger ja ohnehin, worauf sie
sich einließen: »Wer bei mir sein Geld reinlegt, tut das ja net, weil er
maximale Zinsen will, sondern weil ihm gefällt, was wir hier tun; weil
er unsere Produkte mag, weil er oder sie mit uns irgendwie verbunden
ist – geschäftlich, verwandtschaftlich, ideell.«
Die Konstruktion hat jedenfalls jahrelang zur Zufriedenheit aller
Beteiligten funktioniert. Das Unternehmen ist gewachsen; der GEABrand wurde bekannter, immer mehr Menschen, meist aus der grünalternativen Szene, begeisterten sich für Staudingers öko-hippe
handgemachte und nachhaltig produzierte Schuhe. Das sind die mit
den dicken Sohlen und den schrillen Farben.
Und irgendwann war sein Bekanntheitsgrad ziemlich hoch, weit über
Schrems, das Waldviertel und Niederösterreich hinaus. Als seine
Erfolgsgeschichte auch von Wiener Wirtschaftsgazetten beschrieben wurde, bekam er freilich rasch Probleme. Nicht etwa, weil seine
Produkte schlecht gewesen wären, sondern wegen seines handgestrickt-bodenständigen Finanzierungmodells. Die Finanzmarktaufsicht
(FMA) nahm Staudinger unter Feuer.
Weil sein »Crowd-funding« (der Kredit von der Masse) dem heimischen Bankwesen-Gesetz widerspricht, wurde Staudinger zu einer
Verwaltungsstrafe von 10.000 Euro und zu einer Beugestrafe von 2000
Euro verdonnert. Der aber wollte das partout nicht bezahlen, fühlte
sich im Recht und ist nach wie vor »bereit, für die Sache auch ins
Gefängnis zu gehen«. Soweit wird es wohl nicht kommen. Die Causa
hat mittlerweile verdammt viel Staub aufgewirbelt, bis hinein in die
hohe Politik.
Der Verstoß Staudingers aus Sicht der FMA besteht im Kern aus
der »mangelnden Einhaltung der Prospektpf l icht« und »der
76
Heini Staudinger: Ein Revoluzzer bereitet Kopfweh (Foto: ORF)
Einlagensicherungsregeln«. Beides legitime und hochsinnvolle
Bedingungen, wenn es darum geht, Anlegern ein Mindestmaß an
Sicherheit zu gewährleisten. Die Frage ist nur, wo die Grenze liegt bzw.
welchem Unternehmen wie viel Aufwand zugemutet wird.
D e r Ur s pr u ng de r s t re nge n R e gel n l i e g t i n de n z a hl re ichen Anlegerskandalen der Vergangenheit. Vor allem vor der
Finanzkrise von 2008 regierte in der heimischen Investoren- und
Beteiligungsszene vergleichsweise Wildwuchs. Am Ende standen zehntausende geschädigte Anleger, Begriffe und Namen wie Immofinanz,
Meinl European Land und Auer von Welsbach sind den Geschädigten in
intensiver Erinnerung.
Weil der Staat seinerzeit ein wenig lax kontrollierte und überdies ein wenig spät reagierte, ist seither Härte angesagt. Die
Finanzmarktaufsicht ist eine vergleichsweise junge Behörde, die in der
heutigen Form erst als Folge der Finanzkrise entstand. Jetzt gelten
strengere Regeln. Ob es eine gute Idee war, sich als Beweis dafür gerade den »Fall Staudinger« herauszupicken, müssen andere beurteilen.
Denn der Mann ist nicht nur polemisch hochbegabt und weiß die
Öffentlichkeit geschickt für sich zu nützen (seit dem Streit mit der
77
FMA hat GEA seine Umsätze verdoppelt); er steht auch als Symbol
für ein umfassenderes Themenfeld. Staudinger beweist, dass es als
Unternehmer auch ohne Banken und ohne deren Kredite und die daran geknüpften Bedingungen gehen kann; damit spricht er nicht nur
alternativ-linken Kreisen aus der ideologischen Seele, sondern auch
gestandenen bürgerlichen Unternehmern.
Szenenwechsel: In den Extraräumen des Café
Landmann
an der Wiener Ringstraße disku»Junge Wirtschaft«
tieren im Frühjahr 2013 Jungunternehmer
fordert Alternativen
m i t A n d r e a s S c h i e d e r (S P ), d a m a l s
noch Finanzstaatssekretär. Thema: Möglichkeiten alternativer
Finanzierungen. Gastgeber ist die »Junge Wirtschaft«, eine Gruppe
bereits patenter Unternehmer unter 40, die sich im Rahmen der
Wirtschaftskammer organisiert haben. Schieder fühlt sich eher unwohl. Die Klientel ist nicht die seine. Unterstützt von ÖVP und Grünen
machen die Jungunternehmer Druck auf die SPÖ, doch alternative
Finanzierungsmodelle à la Staudinger zu erleichtern. Vor allem die gegenwärtigen »Prospekthaftungsregelungen« finden sie übertrieben.
Unternehmer, die Fremdmittel von Anlegern hereinnehmen, benötigen bereits ab einem Betrag von 100.000 Euro einen ziemlich ausgefeilten und teuren Anlegerprospekt, für den Rechtsanwälte und
Wirtschaftstreuhänder beschäftigt werden müssen. Im restlichen
Europa wird das so streng nicht gespielt. Dort müssen richtig dicke
Prospekte erst ab einem Anlagevolumen von fünf Millionen Euro vorgelegt werden.
Der Tiroler Unternehmer Marcus Roth ist Sprecher der Jungunter­
nehmer. »Die gegenwärtige Regelung schneidet vor allem junge
Projekte und Unternehmen vom billigen Geld ab, weil sich gerade die
die teuren Prospekte nicht leisten können. Dadurch treibt man sie in
die Arme der Banken, wo sie für das Geld entweder mehr an Zinsen
berappen müssen oder erst überhaupt keine Kredite bekommen, weil
die konservativen Auflagen dort meist nicht für Jungunternehmer
passen.« Diese Kritik ist von der Haltung Staudingers nicht weit
entfernt. Das »Crowd-funding« soll also auch in Österreich leichter,
schneller und unkomplizierter werden.
78
»Crowd-funding« ist international als Finanzierungsmodell gerade
ziemlich schick. Es kommt – wie könnte es anders sein – aus der USamerikanischen Start-up-Szene, wo es in den letzten Jahren üblich
ist, sich gute Ideen und kreative Projekte nicht von schwerfälligen
Banken, sondern von sympathisierenden »crowds«, also von Gruppen
außerhalb des klassischen Banken- und Finanzmarktes, finanzieren zu
lassen. Oft spielte sich das Ganze ausschließlich über das Internet ab.
Sogar ohne den Projektbetreiber direkt zu kennen konnte man kleinere und auch größere Beträge in ein Projekt, das gefiel, investieren.
Das Modell ist in den USA erfolgreich. Und weltweit wurden damit 2012 immerhin Finanzierungen in der Höhe von 2,8 Milliarden
Dollar aufgestellt. Für das letzte Jahr war ein Volumen von 5,1
Milliarden erwartet worden. Oft handelte es sich um Projekte, die
von den Banken zuerst ignoriert und mittels alternativer Finanziers
dann doch gegründet wurden. Kein Wunder, dass die Gruppen- oder
Schwarmfinanzierung mittlerweile auch Anhänger in Europa gefunden hat. Vor allem in Großbritannien, aber auch in Deutschland und
Skandinavien boomt der Markt.
Reinhard Willfort ist einer der wenigen Spezialisten für »Crowdfunding« in Österreich. Seine Firma ISN, Innovation Service Networks,
leistet im Österreich Pionierarbeit. Im Internet mobilisierte er mit
seiner Website 1000x1000.at bereits über 380 Investoren, die bereit
waren, fünf Millionen Euro in unkonventionelle Projekte zu stecken.
»Gute Projekte gibt es in Österreich genug. Aber wie soll man einem
Zwei- oder Drei-Personen-Start-up die Herstellung eines umfangreichen Anlegerprospekts zumuten? Wir stehen in den Startlöchern.
Aber so richtig kann diese Finanzierungsform erst fliegen, wenn die
Auflagen angepasst werden.« Bisher betreut Willfort nur Miniprojekte,
deren Finanzierungsbedarf unter den 100.000 Euro liegt.
Besonders bizarr ist die Situation, weil gerade viele Gewerbetreibende,
mittelständische Firmen und Jungunternehmer über eine mangelnde
Kreditversorgung durch die Banken klagen. Das erscheint nur auf den
ersten Blick unglaubwürdig, befindet sich der Zinssatz in Europa doch
schon seit Monaten auf historischen Tiefstständen – Kredite müssten
da doch besonders billig sein »Eben nicht«, konstatiert die Präsidentin
79
des Österreichischen Gewerbevereins, Margarete Kriz-Zwittkovits. »In
Wirklichkeit leiden wir fast unter einer Art Kreditklemme. Was helfen
uns Kreditbedingungen, die auf dem Papier zwar billig sind, wenn in
Wirklichkeit das Geld nicht bei den Betrieben ankommt?«
Die Banken, so Kriz-Zwittkovits, rückten die günstigen Kredite nicht
heraus. »Sie sind von den vielen Pleiten geschockt und übervorsichtig
geworden. Außerdem müssen sie das Geld im eigenen Kreislauf behalten, weil sie wegen der neuen Bankenauflagen die Eigenkapitalquote
aufstocken müssen.« Fazit: »Das Geld bleibt bei den Banken; die
Firmen schauen durch die Finger.« Das ist besonders alarmierend, weil
die Eigenkapital-Ausstattung der Unternehmen im internationalen
Vergleich schwächelt. Heimische Klein- und Mittelbetriebe verfügen
nur über eine Eigenkapitalquote von durchschnittlich 26 Prozent. In
Italien sind es 28,5, in Deutschland 30, in Spanien 37, in Polen sogar
49 Prozent.
Heini Staudinger nützt derweil solcherart Rückenwind für die
­e igene Sache. Er hat eine Bürgerinitiative ­g egründet, um seine
Sicht der Dinge durchzukämpfen. Es geht vorrangig gegen die
Finanzmarktaufsicht, aber die w irklichen Gegner des Finanz­
revoluzzers sind die Banken. Staudinger: »Von den 23 Millionen
Kleinbetrieben in ganz Europa würden viele ohne die Unterstützung
von Freunden, Partnern und der Familie nicht mehr existieren, weil
sie von den Banken längst keine Kredite mehr bekommen. Die müssen
unter Druck gesetzt werden; sie haben uns die Misere, in der sich die
Wirtschaft befindet, vor der Finanzkrise selbst eingebrockt.«
Das klingt sehr nach Robin Hood; ein bisschen vernachlässigt es den
Schutz der vielen Kleinanleger; und die Sehnsucht der Steuerbehörden,
dass die versprochenen und of t nur in Naturalien gewährten
Beteiligungserlöse wenigstens zum Teil auch abgeliefert werden. Es
handelt sich dabei nämlich um Zinserträge – und um nichts anderes. Aber Herr Staudinger findet bei vielen Kleinunternehmern sicher
Zuspruch.
80
Tauschen und Teilen: Ist es
wirklich das neue »Haben«?
von Mag. Bettina Fink
Schon als Kind werden wir dazu erzogen, das Spielzeug doch –
bitte, danke, das gehört sich so – mit anderen zu teilen. Und
wer würde Nachbarn, die an der Türe klingeln, nicht auf die
Schnelle seinen Schlagbohrer leihen? Tauschen und teilen liegen uns, irgendwie, im Blut. Doch inzwischen ist es auch ein
Geschäftsmodell geworden. Eines, das gar vom traditionsreichen
Wirtschaftsmagazin »Forbes« zu einem der zehn bedeutendsten
Trends der Gegenwart erklärt wurde.
Tatsächlich wachsen überall »Tauschplattformen und -börsen« wie die
Schwammerl aus dem Boden. Nichts, was zwischen Privatpersonen nicht
ausgetauscht oder verliehen würde: Kleider, Lebensmittel, Werkzeuge,
Autos, Urlaubsdomizile – aber auch »persönliche Talente« bis hin zu,
na ja, »Geld für Projekte«. Die so genannte »Sharing-Economy« wächst
allein in den USA jährlich um 25 Prozent. Und hierzulande?
Auch der Wiener Philip Weihs, im Brotberuf Managementberater, verleiht Dinge, die er hat und nicht täglich benötigt: eine Spielekonsole,
einen Beamer, den Schlagbohrer, den Kugelgrill etc.: um ein paar Euro
pro Tag. »Ich bin immer wieder erstaunt, was sich in meiner Wohnung
so stapelt – und langsam wird’s auch zu viel. Alles muss man doch
nicht kaufen.« Organisiert wird der Verleih über die Internetplattform
»usetwice.at«. Dort finden sich die, die anbieten, und die, die suchen.
Damit Philip Weihs all seine Gegenstände sicher wieder zurück erhält, wird derzeit vom Mieter eine Kaution eingehoben, die in etwa der
Hälfte des Zeitwerts entspricht. Später einmal soll die Absicherung über
Kreditkarte oder elektronische Bezahlsysteme laufen.
Gründer und Betreiber der Verleihplattform ist Markus Heingärtner. Viel
wurde bislang in die Entwicklung investiert. Für den Vermittlungsservice
werden rund 15 Prozent der Mietgebühr einbehalten. Langfristig will
sich das österreichische Startup auf diese Weise finanzieren. Auf
jeden Fall ist Markus Heingärtner von der Idee des Verleihs unter
81
Privatpersonen überzeugt. »Wir gehen davon aus, dass in zwei bis drei
Jahren rund 10.000 Gegenstände auf unserer Homepage angeboten
werden und erwarten rund 5000 Vermieter allein in Wien.« Das Ziel:
Jeder Interessierte soll möglichst in der Nähe etwas ausleihen können.
Es macht natürlich keinen Sinn, für einen Schlagbohrer kilometerweit zu fahren. Herauskommen soll eine Art »Nachbarschaftshilfe« –
­allerdings gegen einen kleinen Obolus. Und wenn man weiß, dass so ein
Schlagbohrer in einem durchschnittlichen Haushalt über die Jahre aufsummiert netto gerade einmal 20 Minuten in Betrieb ist – dann macht
die Sache mit dem Verleihen und Tauschen irgendwie Sinn.
Dazu kommt ein Generationenwechsel. Früher,
ja früher, da wurde das erste Auto ersehnt
und vom Mund abgespart – ein eigenes zu
besitzen, das war das höchste Ziel für die
Elterngeneration. Und heute? Viele der Unter-30-Jährigen sind in einer
selbstverständlichen materiellen Fülle aufgewachsen und definieren
sich nicht mehr ausschließlich über »Eigentum«. Sie müssen ein Auto
nicht mehr »besitzen«: Ihnen reicht es, wenn sie möglichst bequem von
A nach B kommen. Ob mit dem eigenen Auto oder einem geliehenem, ob
mit Fahrrad oder öffentlichem Verkehr – das ist nicht so relevant. Es
geht nur darum, mobil zu sein. Das ist der Humus, auf dem die Sharing–
Economy gedeiht. Dazu kommt das Internet, das Menschen, die sich
nicht kennen, verbindet – und schon kann man auch Autos ganz einfach teilen und verleihen.
Es geht nicht immer
um das »Eigentum«
So wie Tobias Judmaier. Er lebt in Wien – und nutzt sein Auto im Schnitt
zwei Mal die Woche. Den Rest der Zeit steht es – und kostet. Darum
stellt er sein Fahrzeug anderen, die es gerade benötigen, zur Verfügung.
Sechs Personen haben sein Auto bereits mitgenutzt. Gewinn will Herr
Judmaier keinen machen, er will einfach die hohen Fixkosten reduzieren.
39 Euro verlangt er, wenn jemand sein Auto einmalig für einen ganzen
Tag fahren möchte. Nutzt jemand regelmäßig sein Auto, »teilt« es sozusagen jede Woche mit ihm, verlangt aber nur noch 7,50 Euro am Tag.
Probleme, jemand Fremdem sein Auto zu überlassen, hat Herr Judmaier
keine: Für ihn ist das Auto ein Gebrauchsgegenstand. Und er sieht die
Sache rational: Das Teilen hilft ihm Geld zu sparen. Alles andere wäre –
aus seiner Sicht – ein »sinnloser Luxus«.
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Organisier t w ird das pr ivate Autoteilen unter anderem über
die Internetplattform Carsharing 24/7. Dort treffen mehr als 200
Fahrzeugbesitzer auf 2700 Nutzer. Die meisten verleihen ihr Auto nur,
wenn die Mieter dieses um 5 bis 9 Euro pro Tag versichern. So wird das
finanzielle Risiko bei allfälligen Unfällen reduziert – und die Angst
vor unerfreulichen Scherereien sinkt auf beiden Seiten. Die laufenden
Kosten des Autos werden über einen eigenen Preiskalkulator auf der
Homepage berechnet. Das ist die Grundlage für die Leihtarife, die die
Mieter bezahlen.
Teilen statt Tauschen ist noch keine Massenbewegung; der Trend schreitet langsam, aber kontinuierlich voran. Die »old Economy« jedenfalls
will auch schon mit von der Partie sein: So steigen etwa auch die großen Autokonzerne sukzessive in das Leih- und Tauschgeschäft ein.
Daimler hat mit dem Carsharing-Unternehmen »Car2go« in zahlreichen
Großstädten bereits einen Fuß in der Tür. Andere Automobilbauer kaufen
sich verstärkt in Leihwagenfirmen ein. Und selbst die CEBIT in Hannover,
die weltweit wichtigste Ausstellung und Konferenz für die digitale
Wirtschaft, hatte sich 2013 die Sharing Economy zum Thema gemacht.
Denn geteilt werden immer öfter auch Dienstleistungen, Speicherraum
– oder einfach »nur« Wissen. Eine Zeitenwende also, die sich da ankündigt? Oder einfach nur Geschäfte – im neuen Kleid?
Nun, die Idee des Tauschens ist nicht neu. Die Wienerin Annemarie
Stebel organisiert seit 30 Jahren über »Homelink International«
Wohnungstausch für die Urlaubszeit. Früher wurden dafür jährlich
dicke Kataloge verschickt und gewälzt, heute macht das Internet alles leichter. Etwa 200 Österreicher jährlich nutzen das Angebot der
Tauschinitiative – und die meisten haben sich zu regelrecht passionierten Wohnungstauschern entwickelt. Begonnen hatte »Homelink«
in den USA – mit Lehrern, die sich während der langen Ferienzeiten
Wohnungen gegenseitig überließen. In den letzten Jahren kommen ganz
neue Kunden dazu. »Vor allem Familien nutzen das Angebot – oft auch
aus Kostengründen. Denn wer kann sich schon einen Urlaub in Florida
leisten, wenn man auch noch Unterkunft für mehrere Personen bezahlen
muss.« Für weniger gut bestückte Haushaltskassen ist die neue »Share
Economy« eine echte Entlastung. Und klar: Gerade die »Generation
Praktikum« weiß das neue Angebot zu schätzen.
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Auch Doris Harrer-Dullnig hat’s schon mehrfach probiert. Mit ihrer Familie war sie schon in San Francisco, Brüssel und New York auf
Urlaub – während die Tauschpartner zeitgleich ihre Wohnung in Wien
genutzt haben. 112 Euro jährlich kostet die Mitgliedschaft bei der
Vermittlungsbörse; ansonsten fallen keine Kosten an. Man muss allerdings bereit sein, seinen persönlichsten Wohnbereich für andere zu
öffnen und packt für die Zeit des Wohnungstausches am besten weg,
was man anderen nicht zeigen will. »Die größte Angst ist anfangs, dass
etwas gestohlen wird oder dass ich in eine völlig demolierte Wohnung
zurückkomme: Das war bisher nie der Fall. Ich persönlich habe keine
schlechten Erfahrungen gemacht«, zieht Frau Harrer-Dullnig Bilanz –
nach zehn Jahren Wohnungstausch. Nur einmal ist eine wertvollere Vase
zerbrochen – sie wurde von den Tauschpartnern anstandslos ­ersetzt.
Das Gute ist: Man kann auch kleinere Wohnungen in der Stadt gegen
ganze Häuser mit Pool tauschen. Wenn man das offen kommuniziert und
die Tauschpartner einverstanden sind – kein Problem. Die Offerte auf
der Internetplattform klingen durchaus verlockend. Der Kühlschrank ist
bei der Anreise gefüllt – in beiden Wohnungen. Manchmal kann sogar
das Auto der Tauschpartner mitgenutzt werden. Oder: man kann sich
in deren Segelklub tummeln, zu dem man sonst niemals Zugang hätte.
Auf jeden Fall lässt man sich auf fremde Lebensweisen ein, auf
Wohnungen, die von meist unbekannten Menschen »belebt« werden. Das
setzt Offenheit voraus. Das Tauschen und Leihen ist kein »anonymes«
Geschäft wie im Supermarkt, es hat eine starke soziale Komponente.
Eine echte Erfolgsstory also, die andererseits für immer mehr
Diskussionen sorgt. Denn sobald Geld fließt, rückt die »Share Economy«
sehr nahe an das klassische Gewerbe der »Zimmervermietung« heran. Weltweit wird also die Forderung nach einer Regulierung solcher
Privatgeschäfte immer lauter. Und auch die Frage, wann wird einfach
geteilt und getauscht und ab wann beginnt die »Geschäftemacherei am
Fiskus vorbei«, ist noch nicht überall geklärt.
Vieles spielt sich im »Graubereich« ab. Tauschen, Teilen oder Leihen: Es
ist ein weites Feld. Auf alle Fälle tun sich spannende Perspektiven auf.
Für Privatpersonen – und für Unternehmen.
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Der »freie Markt«: Kartelle,
Absprachen und Monopole
von Hans Hrabal
Heimische und vor allem auch europäische Kartellwächter versuchen Monopolisten abzustrafen und so den freien Wettbewerb
zu gewährleisten. Dabei haben sie in den letzten Jahren
große Erfolge erzielt und in Summe bereits Milliardenstrafen
verhängt. Nur: Was ändert das an den Mauscheleien ­unter
den Unternehmen, Absprachen, Kartellen und auch an
Monopolstellungen?
Der Besprechungstisch, an dem die kleine Truppe sich versammelt
hat, ist ebenso groß wie die Aufgabe, der sich die Anwesenden zu
stellen haben. Universitätsprofessor Martin Winner hat seine engsten Mitarbeiter um sich geschart. Seine Büroleiterin, juristische
Fachreferenten, Ermittler. Wir befinden uns nicht an einer Universität;
hier spielt sich das echte Leben eines angeblich freien Marktes ab.
Winner ist Leiter der »Bundes-Wettbewerbsbehörde der Republik
Österreich« (BWB). Das ist etwas lang. In der Praxis hat die
Einrichtung einen anderen Namen: Kartellbehörde. Ihre Aufgabe ist
nicht mehr und nicht weniger, als den freien Wettbewerb, der die
Grundlage einer geordneten Marktwirtschaft sein soll, zu garantieren.
Ein hehres Ziel – das freilich an den sprichwörtlichen »Kampf gegen
Windmühlen« erinnert.
Winner und sein Team sollen verhindern, dass in der Wirtschaft gemauschelt wird; dass Preise abgesprochen, Märkte aufgeteilt werden. Eine Praxis, die wohl ebenso alt ist wie das Wirtschaften
sel bst. Wenn sich zwei konk ur r ieren, i st ei ne »i nfor melle
Einigung« ziemlich naheliegend – zum Vorteil beider. Aber: zum
Nachteil der Kunden. Absprachen, Nichtangriffspakte, Bildung
von Oligopolen oder gar von Monopolen – das alles sind altbewährte Modelle unter vermeintlichen Wettbewerbern überall auf
der Welt. Und eine Kartellbehörde soll all dies verhindern – oder
zumindest aufdecken.
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Doch wo endet der bloß »normale« Gesprächskontakt unter
Branchenkollegen – und wo beginnt die »unerlaubte Absprache«?
Die Beweisführung ist schwierig. Es ist verwunderlich, dass die
Kartellwächter in solchen Grauzonen überhaupt Beweise zutage fördern. Und dennoch haben Winner und seine Truppe zuletzt wirklich
erstaunliche Ermittlungen durchgezogen.
Es passierte in einer kalten Februar-Nacht im Jahr 2012. Dunkle
Gestalten tauchen in der österreichischen Konzernzentrale des deutschen Handelsgiganten REWE in Wiener Neudorf auf. Sie verschaffen
sich Zugang zu den Büroräumlichkeiten. Es sind keine Einbrecher,
es sind die Ermittler der BWB. Nach jahrelangen Recherchen war
es soweit. Sie fühlten sich in der Lage, gegen einen der mächtigsten Konzerne Österreichs, der unter anderem die »Billa«- und die
»Merkur«-Ketten betreibt, vorzugehen.
Man beschlagnahmt Akten und Computer und zieht wieder ab. Die
Hausdurchsuchung ist erfolgreich. Die BWB hatte ihre Hausaufgaben
gemacht. Nach juristischen Schlagabtäuschen mit den Anwälten des
Konzerns geben diese klein bei. Die BWB verdonnert REWE im Frühjahr
letzten Jahres wegen »verbotener Preisabsprachen mit Lieferanten« zu
einer 20-Millionen-Strafe.
REWE bezahlt anstandslos und geht wieder zum Tagesgeschäft über.
Die demonstrierte Coolness soll nicht täuschen. Der BWB ist mit der
Verurteilung ein durchaus respektabler Coup gelungen. Es ist die
zweithöchste Strafe, die hierzulande je wegen eines Kartellverstoßes
ausgesprochen wurde. Und auch die politisch-symbolische Bedeutung
des Falls ist beachtlich.
Die Causa REWE hilft, dass das Thema bei einem breiteren Publikum
ankommt. Jeder in Österreich hat schon irgendwann einmal bei »Billa«
oder bei »Merkur« eingekauft. Bisherige Kartellfälle waren meist weniger öffentlichkeitswirksam. Sie spielen sich oft in Branchen ab, die
klein und überschaubar sind. Meist sind sowohl Täter als auch Opfer
Unternehmen. Da hält sich die Anteilnahme der Medien in Grenzen.
Die Liste der wegen unerlaubter Preisabsprachen bestraften Branchen
und Unternehmen beeindruckt dennoch.
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Preisabsprachen im Handel: wer schützt die Konsumenten? (Foto: Christian Schnettelker)
75 Mill ionen werden gegen die Hersteller von Aufzügen und
Rolltreppen (Otis, Schindler, Kone, Doppelmayer etc.) verhängt; sieben Millionen gegen die Paylife Bank. Vier Millionen muss Phillips
Lifestyle Electronics zahlen, 1,9 Millionen Hersteller von Chemikalien.
1,5 Millionen werden von Herstellern von Druckchemikalien verlangt,
1,5 Millionen von der Telekom Austria, 1,1 Millionen vom so genannten
»Fassbierkartell«, bei dem Brauereien mitmachten. 1,1 Millionen Euro
zahlte die Berglandmilch, eine Million die Verkäufer von Dämmstoffen
für den Hausbau (BauMax, OBI, Hornbach etc.). Es ist eine schier endlose Liste, die noch zahlreiche andere Branchen umfasst: Hersteller
von Badezimmerarmaturen, der Autohandel, die Produzenten von
Süßwaren, die Zementindustrie, der Filmverleih, die Fahrschulen.
– Hält sich wirklich niemand an den endlos beschworenen »freien
Markt«?
Die Summe aller seit 2002 von der BWB verfügten Strafen beläuft
sich auf 117,4 Millionen Euro. Eine wirkliche »Verhaltensänderung«
dürf ten aber auch die höchsten Strafen letztlich nicht auslösen – glaubt zumindest die Arbeiterkammer. Auch in der AK kämpft
man gegen Preisabsprachen und Kartelle. Ihr geht es vor allem um
Konsumenteninteressen. »Preisabsprachen machen Produkte teurer
und das geht immer zu Lasten des Konsumenten.«
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Voest-Alpine AG: Selbstanzeige im Schienenkartell (Foto: voestalpine)
AK-Präsident Rudi Kaske hat sich des Themas höchstpersönlich angenommen. Der Fall »REWE« ist für ihn »nur die Spitze des
Eisberges«. Kaske fordert, dass die Strafbeträge »gleich direkt in
den Konsumentenschutz und in noch bessere Möglichkeiten für die
Kartellermittler« reinvestiert werden sollten. »Derzeit fließen diese
Mittel ins allgemeine Budget. Das freut zwar die Bundesregierung,
bringt dem Kampf gegen solche Praktiken aber nichts. Wir brauchen
mehr Geld für eine effektive Preisüberwachung, für Ermittlungen und
für Verfahren; andernfalls bekommen wir die Absprachen nie in den
Griff.«
Drei Stockwerke unter dem Präsidentenbüro arbeiten jene AKExperten, die sich seit Jahren mit der Thematik herumschlagen. Hier
kennt man die Mühen der Ebene. Das Hauptproblem: Trotz der hohen Strafen, die die Kartellanten immer wieder mal bezahlen müssen, kommt bei den eigentlich Geschädigten, den Konsumenten, so
gut wie nie die Wiedergutmachung an. Kartellexpertin Renate Ginner
hat erst einen Fall erlebt, bei dem dies gelungen ist. Damals ging es
um Preisabsprachen unter Grazer Fahrschulen. »Damals ist einer der
Fahrschul-Mitarbeiter vor dem Kartellgericht umgefallen und hat gestanden. Damit war die Beweislage unstrittig und öffentlich bekannt.
Die Fahrschulen wurden zu insgesamt 75.000 Euro Strafe verurteilt.
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Und Fahrschüler, die überteuerte Kurse gebucht hatten, bekamen auf
unser Betreiben hin ihr Geld zurück.«
Entschädigungen sind allerdings nicht Sache der Behörde oder der
Kartellgerichte. Will ein Geschädigter einen Ersatz einfordern, dann
muss er, nach erfolgter Verurteilung eines Unternehmens, ein gesondertes Schadenersatzverfahren bei Gericht einleiten lassen. Eine
Entschädigung auch bei klarer Beweislage ist für einzelne Kunden damit so gut wie unmöglich gemacht. Geschädigte dürfen nicht »in ihrer
Gesamtheit« klagen, sondern müssen ihre Anliegen einzeln vor Gericht
bringen.
Dazu kommt noch, da ss sie i n d ie
Ermittlungsakte des BWB gegenwärtig kei- Kein Einblick in
nen Einblick nehmen dürfen. Grund: der die Ermittlungsakten
Datenschutz. Ginner: »Diese Regelung ist ein
Skandal und natürlich nur im Interesse der verurteilten Firmen. Weil
ohne diese Akteneinsicht ist ja die Frage wer, wann, wie und von wem
geschädigt wurde, für potenzielle Kläger gar nicht abzuschätzen. Und
auch das Verbot von Sammelklagen ist Unsinn. Denn wer klagt etwa
REWE, wenn es in seinem Fall kaum um hundert Euro persönlichen
Schaden geht, in der Summe es aber um hunderttausende oder gar
Millionen Euro an Benachteiligungen gehen würde?«
Natürlich fordert die AK dringend eine Gesetzesänderung. Immerhin
erhält sie in der Causa vor allem aus Brüssel massiv Unterstützung. Der
geregelte und freie Wettbewerb ist für die EU-Kommission sozusagen
der heilige Gral der Wirtschaftsgemeinschaft. Und die Sitten, die sind
nicht nur in Österreich, sondern noch viel mehr im übrigen Europa
ziemlich verlottert.
Auch die Kommission hat eine eigene Wettbewerbsbehörde, die in
Einzelfällen sogar mit den nationalen Behörden kooperiert, vor allem
aber ihre eigenen Verfahren betreibt. Auf dieser übergeordneten Ebene
hagelt es seit Jahren beträchtliche Strafen. Sie betreffen die üblichen Verdächtigen: Aufzughersteller, die Chemie- und Pharmabranche,
Elektronik- und Energieriesen, Hersteller von Gipskartonplatten, die
Telekommunikation. Die Verfahren werden international geführt, die
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Strafzahlungen erreichen astronomische Höhen. Die Aufzugslobby
wurde insgesamt zu 992 Millionen Euro verurteilt. Thyssen-Krupp
fasste im Verfahren um das so genannte »Stahlkartell« 480 Millionen
aus (Österreichs VOEST, die ebenfalls involviert war, profitierte dabei übrigens von der »Kronzeugen«-Regelung). Auch andere Firmen
wurden ohne Ansehen von Rang und Namen zur Ader gelassen:
Hoffman-La Roche mit 462 Millionen, Siemens mit 397 Millionen, der
italienische Energiekonzern ENI mit 272 Millionen.
Brüssel kennt übrigens kein Halten. Schon
existiert eine Richtlinie, die vorsieht, dass
Gruppenklagen Geschädigter von den jeweiligen Mitgliedsländern ermöglicht werden müssen. Auch eine Akteneinsicht in die Verfahren der Kartellgerichte soll
nach den Wünschen des Wettbewerbskommissars in den nationalen
Rechtsprechungen verankert werden. Der Druck, der aufgebaut wird,
ist beträchtlich. Allzu lange werden die Lobbyisten der Industrie diese
Entwicklung kaum noch aufhalten können.
Die EU ermöglicht
bald Gruppenklagen
In der BWB wird die europäische Initiative begrüßt. Winner: »Die
Umsetzung ist eine Frage der Zeit. Aber wenn alles seinen Lauf geht,
dann werden Firmen, die Preise absprechen, in Zukunft ihr blaues
Wunder erleben.« Der Mann ist es gewohnt geduldig zu sein und auf
den rechten Moment zu warten. Das ist auch bei seinen Verfahren, die
bisher aufgegangen sind, so gewesen.
Im Moment laufen in der BWB übrigens neue Ermittlungen, diesm a l R E W E -M it b e w e r b e r S PA R ; au c h dor t w u rde n b e re it s
Hausdurchsuchungen durchgeführt, die Reaktion des Konzerns zeigt,
dass ein Nerv getroffen wurde. Und auch gegen ein österreichweites
Molkereikartell wird seit letztem Jahr ermittelt. Die zehn größten
Molkereien des Landes stehen unter Verdacht, sich seit Jahren preislich abzusprechen. Wenn dies stimmt, dann hat das die Konsumenten
und Konsumentinnen wirklich viele Millionen gekostet.
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Armutsfalle Teilzeitarbeit: Die
Rechnung kommt später…
von Mag. Bettina Fink
Die Pensionen sind sicher, schwört die Politik immer wieder.
Nun ja, irgendeine Pension wird es wohl auch in Zukunft geben.
Die Frage ist nur: Reicht diese dann auch zum Leben? Eines ist
wirklich sicher: Wer lange Teilzeit statt Vollzeit arbeitet, wird
besonders massive Einbußen bei der Pension erleben. Immerhin
eine Million Österreicher sind nur teilzeitbeschäftigt. Der Großteil
von ihnen, nämlich 800.000, sind Frauen. Ihnen droht reale
Altersarmut.
Schon heuer könnte der große Schock erfolgen: Dann nämlich,
wenn das so genannte »Pensionskonto« eingeführt wird und die
Anspruchsberechtigten Post von der PVA erhalten. Erstmals kann dann
jeder schwarz auf weiß nachlesen, wie hoch seine oder ihre künftige
Pension ausfallen wird. Bei Frauen ändert sich sowieso einiges: Viele
Jahrgänge werden auf jeden Fall später in Pension gehen – für heute
44-Jährige gilt bereits das Pensionsalter 65.
Tatsache ist auch: Bei der Berechnung der künftigen Pensionen werden vor allem Frauen zu den Verlierern zählen, »denn es werden
längst nicht mehr die besten 15 Jahre für die Pensionshöhe angerechnet, wie es früher einmal der Fall war, sondern schon heute
die besten 25 Jahre«, so Winfried Pinggera, der Generaldirektor der
Pensionsversicherungsanstalt. »Und bald wird das ganze Erwerbsleben,
also jeder einzelne Arbeitsmonat, als Grundlage zur Berechnung der
Pension herangezogen.« Phasen mit geringerem Einkommen, mit
Arbeitslosigkeit oder Zeiten, in denen man zu Hause bei den Kindern
blieb, fallen dann enorm ins Gewicht, weil Beitragsmonate fehlen oder
nur wenig für die Pension einbezahlt wurde. »Vollzeit oder Teilzeit –
das macht bei der Pension der Zukunft einen massiven Unterschied.«
Vielen Frauen, die Kinder erzogen, Teilzeit arbeiteten oder sich gar
eine längere Auszeit für die Familie nahmen, dürfte das so nicht bewusst sein.
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Star t in einen ganz nor malen Arbeitstag. P ia S. br ingt zuerst ihre dreijährige Tochter Mia in den Kindergarten. Frau S. ist
Arbeitsrechtlerin bei einer österreichischen Möbelkette. Sie arbeitet zweieinhalb Tage die Woche, also 20 Stunden, in der Verwaltung.
Viel mehr Zeit im Job kann sie sich momentan neben dem Kind nicht
vorstellen – es gibt auch so genügend Herausforderungen für eine
junge Familie. »Es fängt schon in der Früh damit an, dass ich mit Mia
rechtzeitig aus dem Haus komme. Wenn sich das Morgenritual verzögert, dann verfolgt mich das den ganzen Tag. Ich komme später in
die Arbeit, muss Mia aber trotzdem rechtzeitig von der Krippe abholen.« Vollzeit zu arbeiten ist derzeit unvorstellbar für die Juristin. Da
nimmt sie auch ein geringeres Einkommen in Kauf – immerhin arbeitet ihr Mann voll.
Und da, wo Frau S. arbeitet, im Handel, ist das bei den meisten Frauen
so: Sie arbeiten Teilzeit. Der Kinder und des Haushalts wegen. Bei
Christa R., Verkäuferin, sind es 22 Stunden die Woche. Und obwohl die
Kinder mittlerweile groß sind, ist sie seit der ersten Geburt bei dieser
Teilzeitlösung geblieben. An die Pension denkt sie kaum. Frau R. ahnt
zwar, dass diese nicht gar so üppig ausfallen wird, doch wie wenig es
tatsächlich werden kann, weiß sie noch nicht.
Wir werfen stellvertretend einen Blick auf die künftig zu erwartenden
Pensionen einer heute 23-jährigen Verkäuferin – Vollzeit und Teilzeit
im Vergleich.
Unsere Annahme: Die Verkäuferin verdient
rund 1500 Euro. Ab der Lehre arbeitet sie
Modelle zum
bis zum 65. Lebensjahr Vollzeit durch, also
Durchrechnen
die ganzen 45 Jahre. Am Ende kommt sie auf
1330 Euro Pension – nach heutigem Wert.
Variante 1: Unterbricht sie nach einem Kind die Vollzeitbeschäftigung
für sieben Jahre durch Karenz und eine 20-Stunden-Teilzeit, arbeitet
dann aber wieder Vollzeit durch, kommt sie immerhin noch auf 1310
Euro Bruttopension. Nicht sehr viel weniger. »Das hat mit der besseren Anrechnung der Kindererziehungszeiten im Pensionskontomodell
zu tun«, erklärt Winfried Pinggera. Pro Kind werden bis zu vier Jahre
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Teilzeitfalle Kassiererin: das Geld fehlt später (Foto: Robert Hoetink/shutterstock.com)
lang rund 1600 Euro monatlich auf die Pension angerechnet – egal
wie viel oder wie wenig man parallel dazu arbeitet und verdient.
Erst Variante 2 zeigt, was bei langer Teilzeitbeschäftigung passiert.
Arbeitet dieselbe Verkäuferin nach dem Kind und einer kurzen Auszeit
zu Hause bis zum Ende ihrer Karriere nur noch auf 20-StundenTeilzeitbasis durch, sinkt ihre Pension auf magere 750 Euro monatlich.
Nach einem jahrzehntelangen Arbeitsleben bleibt die Pension damit
unter der österreichischen Armutsschwelle.
Solche Pensionshöhen setzen einen zweiten Verdiener voraus – oder
einen dicken finanziellen Polster. Allein kommt man damit jedenfalls
kaum über die Runden. Angesichts hoher Scheidungsraten ist lange
währende Teilzeit also ein riskantes Unterfangen, warnt Bernadette
Pöcheim von der Arbeiterkammer Steiermark. »Teilzeit muss man sehr
bewusst planen und so kurz wie möglich halten – oder sich über die
Konsequenzen klar sein und anderweitig vorsorgen. Denn am Ende
kann es sonst ein böses Erwachen geben.« Augen zu und durch ist mit
Blick auf die eigene Pension keine gute Strategie.
Wer jung ist, der kann sein Leben ja noch neu planen. Doch was, wenn
man bereits über 50 ist und schon jahrelange Teilzeitarbeit hinter sich
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hat? Da hilft nur noch eines: länger arbeiten. Nur dadurch lassen sich
sehr niedrige Teilzeitpensionen noch »auffetten«. Das Problem: Der
Arbeitgeber muss mitspielen und die Frauen auch tatsächlich länger
beschäftigen. »Es ist einfach so, dass bei der Pensionshöhe künftig
jeder Arbeitstag zählt. Geht eine Frau beispielswiese nicht mit 57 in
Hacklerpension, sondern arbeitet bis 60 weiter, bringt das rund 20
Prozent mehr Pension«, rechnet Winfried Pinggera von der PVA vor.
Pia S., unsere Juristin, ist mittlerweile im Büro
angekommen. Sie ist wenige Wochen nach der
Teilzeitkräfte
Geburt ihrer Tochter schon wieder »geringfüarbeiten effizient
gig« im Job eingestiegen. Sie möchte ihre momentane Halbtagsstelle sukzessive um ein paar Stunden erweitern. Als
Arbeitsrechtlerin weiß sie, dass Teilzeit zur Falle werden kann. Eine
Erfahrung hat sie jedenfalls schon gemacht: »Als Teilzeitkraft arbeitet man extrem effizient. Die Kaffeepausen werden gestrichen, der
soziale Kontakte im Betrieb reduziert sich, weil man ein sehr straffes
Arbeitsprogramm in den wenigen Arbeitsstunden durchziehen muss.«
Dazu kommt, dass auch f ür Akademiker innen in Teilzeit die
Pensionsaussichten nicht rosig sind – selbst wenn sie während ihrer Karriere mehr verdienen als etwa eine Verkäuferin. Das spezielle
Problem der Akademikerinnen: Sie haben lange Ausbildungszeiten
h i nter s ic h u nd kom men des wegen of t nu r au f 40 Ja h re
Erwerbstätigkeit – wenn überhaupt. Schule und Studium zählen nämlich nicht für die Pension – es sei denn, man hat diese Zeiten schon
um teures Geld nachgekauft. Künftig gibt es diese Option übrigens
nicht mehr.
Und so sieht der Vergleich Vollzeit versus Teilzeit für eine junge
Akademikerin mit einem Einkommen von 3000 Euro aus: Beginnt sie
nach dem Studium mit 25 zu arbeiten, kann sie mit 65, am Ende der
40 Arbeitsjahre, mit 2130 Euro Pension rechnen.
Variante 1: Unterbricht die Frau ihre Vollzeitkarriere für sieben Jahre
durch Karenz und 20-Stunden-Teilzeit, steigt danach aber wieder voll
ein, kann sie dank angerechneter Kindererziehungszeiten mit rund
2000 Euro Pension rechnen – nur knapp weniger.
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PVA-Zentrale in Wien: jetzt kommt das Pensionskonto (Foto: Karl Gruber)
Wieder Variante 2: Arbeitet dieselbe Akademikerin nach Geburt,
Karenz und kurzer Auszeit hingegen bis zum Ende ihrer Karriere
nur halbtags weiter, sinkt die Pension auf gerade einmal 1200 Euro
brutto. Und da sind »allfällige Zeiten von Arbeitslosigkeit oder sonstige Unterbrechungen nicht einmal berücksichtigt. So glatt laufen
Karrieren nämlich in den seltensten Fällen durch«, meint Winfried
Pinggera.
Wer Teilzeit arbeitet, hat auch noch an ganz anderer Stelle im
Berufsleben Nachteile. Die Gefahr, dass man auf der Karrierespur zurückbleibt, ist groß. Frau Schreibers Arbeitgeber zeigt sich zwar flexibel, sie kann einen halben Tag von zu Hause aus arbeiten. Trotzdem
ist klar: Wer nicht immer da ist, verpasst leichter eine Beförderung.
»Man wird viel weniger wahrgenommen und bei Entwicklungschancen
leichter übersehen«, macht Manfred Monsberger, Personalchef bei
»kika/Leiner«, den Betroffenen nichts vor. »Helfen kann es, wenn
vorab gemeinsam mit dem Arbeitgeber Möglichkeiten überlegt werden, wie trotzdem eine Führungsaufgabe in Frage kommt.« Doch
wer später in eine Führungsaufgabe hineinwächst oder diese Option
überhaupt verpasst, der verdient auch deutlich weniger und verliert
»Gehaltssprünge« – mit den bekannten Auswirkungen auf die spätere
Pensionshöhe.
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Wegen der Kinder zu Hause bleiben kann teuer werden (Foto: Volodymyr Baleha)
Re i n f i n a n z iell bet rac htet i s t Te il z e it jeden f all s e i n kl arer Verlustbringer – nur wenn die Lebensqualität steigt, werden die Einbußen leichter weggesteckt. Ein Unbehagen bleibt
trotzdem: Der Spagat zwischen Kind und Karriere ist – noch immer
– überwiegend Frauensache. Der Blick in eine nachmittägliche ElternKind-Spielgruppe in Wien spricht Bände – wir finden eine quasi männerfreie Zone vor.
Schließlich: Auch wenn immer wieder vor der Teilzeitfalle gewarnt
wird – in der Realität ändert sich wenig. Tatsache ist: Väter verdienen oft mehr als die Mütter (und damit ist klar, wer die Karenz in
Anspruch nimmt …) und nicht alle Arbeitgeber sind überhaupt offen
für Männerkarenzen.
Frauen seien gewarnt: In der Gegenwart mit dem eigenen Kind erscheint die Pension weit weg und wird als zweitrangig angesehen. Das
kann ein Fehler sein. Die eigene finanzielle Absicherung sollte nicht
aus den Augen verloren werden. Das neue Pensionskonto wird zumindest transparent machen, was man künftig an Pension zu erwarten
hat – und vor allem: was nicht.
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Die Energiewende – und die
Angst vor dem »Blackout«
von Hans Hrabal
Österreich steht mit an der europäischen Spitze, wenn es
um den Ausbau nachhaltiger Energiequellen geht. Tausende
»Kleinproduzenten« bereits speisen »ihren« Strom ins öffentliche Netz ein. Das hat nicht nur Vorteile. Die Leitungen sind
dafür nicht ausgerichtet. Die Stromversorgung wird dadurch auf
absehbare Zeit instabiler – und teurer.
Die Stimmung ist gespannt. Der Saal ist zum Bersten voll. Die
Creme de la Creme der heimischen Energiewirtschaft hat sich zusammengefunden. Und lauscht. Vorne auf dem Podium spricht
der Wiener Journalist und Buchautor Marc Elsberg über sein
Werk: ­e inen Spannungsthriller, der weit über die heimischen
Grenzen hinaus bekannt ist und zahlreiche Käufer, vor allem auch
in Deutschland, gefunden hat. Das Buch heißt »Blackout« – und
es geht darin um Terroristen, die es sich zum Ziel gesetzt haben,
die gesamte Stromversorgung Europas durch ein paar wohlgezielte
Sprengstoffanschläge und Hackerattacken zum Zusammenbruch zu
bringen.
Was dies bedeuten würde, schildert Elsberg in seinem Buch anschaulich und detailreich. Ein »Blackout« ist in der Realität eine
Mega-Katastrophe: Sämtliche Verkehrsleitsysteme fallen aus; Züge
entgleisen, auf Flughäfen bricht das Chaos aus; Städte liegen im
Dunkeln; alle Kommunikationssysteme, vom Telefon bis zum Internet,
geben den Geist auf; Computer, Fernsehen, Radio funktionieren nicht;
Fabriken stehen; Krankenhäuser, Feuerwehren, Armee und Polizei
sind handlungsunfähig; Jets ohne Leitsysteme fallen wie Tauben
vom Himmel; Panik bricht aus; Plünderungen und bürgerkriegartige
Zustände greifen um sich; Atomkraftwerke geraten außer Kontrolle.
Das »Blackout« des Stromnetzes zieht, Schritt für Schritt, den
Zusammenbruch der Zivilisation nach sich – und fordert Millionen
Opfer.
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Marc Elsberg diskutiert dieses Horrorszenario im Sommer 2013 im
Ares-Tower in der Donaucity in Wien – anlässlich einer Veranstaltung
von »Österreichs Energie«, des Interessenverbandes der heimischen
E-Wirtschaft. Natürlich glaubt hier niemand wirklich an einen bevorstehenden Terroranschlag. Der Autor wird eingeladen, um ein Thema
öffentlichkeitswirksam auf den Punkt zu bringen, das auch Manager,
Techniker und Lobbyisten der E-Wirtschaft seit Monaten beschäftigt:
Nicht um Terror geht es, sondern um Politik. Auch von dort könnte ein
»Blackout« drohen.
Seit »Fukushima« in Japan geschehen ist, befindet sich die europäische Energiepolitik im
Umbruch. Mit ihr auch die Energiewirtschaft.
Deutschland hat »die Energiewende« ausgerufen. Die Bundesregierung unter Angela Merkel will raus aus der
Atomenergie und rein in den Ausbau nachhaltiger Energiequellen. Und
Merkel versucht auch gleich Gesamt-Europa »in Richtung« zu trimmen.
Die neuen energiepolitischen Überlegungen, die Energiewende, betreffen also alle – auch wenn nicht alle Regierungen, so wie Deutschland,
die finanziellen Möglichkeiten haben, den neuen Kurs umzusetzen.
Fukushima hat
alles ausgelöst
Deutschland jedenfalls verplempert keine Zeit. In nur wenigen Jahren
wurden in Nord- und Ostsee gigantische Windparks aus dem Schlick
gestampft. Im Süden, also dort, wo es in Europa Sonne im Überfluss
gibt, fördert die EU die Errichtung riesiger Solarkraftwerke. Vor allem
Spanien, Griechenland und Süditalien sollen so – mittelfristig – zu
Stromexporteuren werden.
Das Ganze hat einen Haken. Ganz anders als bei kalorischen oder
nuklearen Kraftwerken, die dort hingebaut wurden, wo auch der
unmittelbare Energiebedarf am höchsten ist, liegen die wind- und
sonnenreichen Gegenden Europas weit weg von den industriellen
Zentren – und den großen Städten.
Damit die nachhaltige Energie aus Wind und Sonne also dorthin gelangen kann, wo sie gebraucht wird, müssen tausende Kilometer von
Stromleitungen her, die es so bisher nicht gibt. Das vorhandene StromVersorgungsnetz so gut wie aller europäischen Länder wurde noch
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nach anderen Leistungserfordernissen konzipiert: nach dem Prinzip
überschaubarer regionaler Versorgungskreisläufe.
Die neuen Stromautobahnen jedoch sollen in nur wenigen Sekunden in
der Lage sein, gigantische Mengen an Strom über Regionen und Länder
hinweg zu verschieben. Je nachdem, wo und wann Energie benötigt
wird, und je nachdem, ob im Norden gerade der Wind bläst oder im
Süden die Solarzellen glühen, soll das Leitungsnetz in die eine, in die
andere oder auch in beide Richtungen gleichzeitig übertragen.
Das kostet erst einmal Milliarden von Euro. Aber nicht nur das.
Die Errichtung dauert. Die Genehmigung und der Bau eines neuen
Leitungssystems dauern trotz politischen Rückenwinds etwa zehn
Jahre. Viel länger jedenfalls als die Errichtung von neuen Kraftwerken
– egal, ob nachhaltig oder nicht. Die schöne neue Energiewende-Welt,
sie droht an dieser Diskrepanz zu scheitern. Und weil das nicht passieren darf, müssen zuerst die alten Netze die Lücke schließen.
Womit wir wieder beim »Blackout« sind. Weil die alten Leitungen
zu schwach sind, sind sie bei extremen Stromtransfers schnell einer
Überlastung ausgesetzt. Und auch ein ständiges Hin und Her zwischen Wind-, Sonnen- und »traditionell« produzierter Energie aus allen
Teilen Europas kann bestehende Netze rasch aus dem Gleichgewicht
bringen. Eine ernsthafte Bedrohung, die zwar nicht gleich dem finalen
»Blackout« entspricht, aber sehr wohl zu regionalen und überregionalen Zusammenbrüchen von Versorgungsnetzen führen kann. Für hunderte Millionen Euro Schaden ist solch ein Szenario allemal gut. Oder
auch für mehr. Auch in Österreich.
Mit oder ohne Stromautobahnen: Ein europäischer Nord–Süd-Transit
fließt sehr oft längs durch Österreich. Die voll besetzten Sesselreihen
und die angestrengten Gesichter im Ares-Tower waren Indiz dafür, dass die heimischen Energiemanager das längst wissen. Ein
Entkommen gibt es nicht. Wie bei anderen Verkehrssystemen auch
ist das österreichische Stromnetz voll in das gesamteuropäische
Stromnetz integriert und – in vielerlei Hinsicht – bereits heute beispielsweise auf die deutschen Bedürnisse ausgerichtet. Aber eben nur
in »vielerlei« Hinsicht – nicht in allen Punkten.
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Schon jetzt wird in Österreich an ersten Teilstücken einer späteren
Nord–Süd-Stromautobahn gebaut. Gleich bei Salzburg-Stadt, nahe der
bayerischen Grenze, ist im Frühjahr 2013 ein Bauabschnitt für eine
neue Strom-Hochleistungsstrecke in Betrieb gegangen. Sie ist Teil der
380-kV-Leitung, die von Kaprun in den Tauern, an Salzburg vorbei
bis nach Oberösterreich zum Stromknoten Sankt Peter an der deutschen Grenze verläuft. Das Projekt wird von der APG, der »Austrian
Power Grid«, errichtet und betrieben und von der EU massiv gefördert.
Offiziell erfolgt der Ausbau, um die Versorgung des Wirtschaftsraums
rund um die Stadt Salzburg abzusichern. Aber das ist nur die halbe
Wahrheit.
Von € C O ge f r a g t b e s t ä t i g t Wol f ga ng
Anzengruber, der Vorstandsvorsitzende der
heimischen Verbundgesellschaft, dass die
»Salzburgleitung« zwar an Salzburg vorbeiführt, aber nicht für Salzburg allein errichtet wird. Österreich verfügt dank seiner Topographie über weit mehr nachhaltige Wasserkraft
als irgendein anderes Land Europas. Weil sich Strom nur sehr schwer
speichern lässt, ist Wasser die beste Form, elektrische Energie zu
speichern. Das wird vor allem im Winter relevant, wenn besonders
viel Strom gebraucht wird. Gerade den deutschen Nachbarn und den
Industriezentren in Bayern müssen wir seit Jahren aushelfen, wenn
es bei deren Stromversorgung knapp wird. Und das wird in Zukunft,
wenn deutsche Kraftwerke, die nicht nachhaltig sind, abgedreht werden, erst recht und immer öfter der Fall sein.
Strom lässt sich
nur schwer speichern
Im Klartext: Österreichs Wasserkraftwerke sind die Lückenbüßer
für die deutsche Energiewende. Fließt der nachhaltige europäische Stromverbund von Nord nach Süd – und umgekehrt –, würde
Österreich aber dann vom umfassenden Stromtransit-System auch profitieren und, beispielsweise aus Norddeutschland, billige Wind- und
Sonnenenergie beziehen.
Außerdem: Auch hierzulande schießen Windräder und PhotovoltaikProjekte aus dem Boden. Auch sie sind f ür die vorhandene
Netzarchitektur durchaus nicht nur Bereicherung, sondern auch
Belastung.
100
Potzneusiedl im Nordburgenland, Bezirk Neusiedl am See. Gleich
neben der Autobahn zwischen Wien und Budapest liegt eine flache Landschaft. Oft brauen sich hier Unwetter zusammen, es weht
ein starker, zügiger Wind. Es ist »ein Wetter«, das für die Energie
Burgenland, den landesnahen Energieversorger, das schönste Wetter
ist. Denn wenn der Wind stark und kontinuierlich bläst, dann klingelt
bei der Energie Burgenland die Kassa.
Peter Sinowatz ist Geschäftsführer der »Netz Burgenland«, einer
Tochterfirma, die den Ökostrom ins allgemeine Stromnetz einspeist.
Der Strommanager marschiert durch den Windpark von Potzneusiedl,
dem größten des Burgenlands, einen der größten Österreichs. Wohin
der Blick sich richtet, überall sieht man Windräder. Dutzende Rotoren
produzieren wertvollen, nachhaltigen Ökostrom. Erst im Frühjahr 2012
war diese riesige Windenergieanlage errichtet worden.
Die beiden Windräder des Typs »E 126« des deutschen Herstellers
Enercon sind mit 135 Meter Nabenhöhe beinahe so hoch wie der
Stefansdom. Die Windturbinen leisten jeweils 7,5 Megawatt und produzieren jährlich 14,2 Millionen kWh Strom. Das reicht, um gemeinsam 8000 Haushalte mit Strom zu versorgen – oder die Hauptstadt des
Burgenlandes, Eisenstadt.
Sinowatz ist auf diesen Fortschritt sichtlich stolz. Denn Potzneusiedl
ist kein Einzelfall: »Insgesamt haben wir im Burgenland jetzt 286
Windräder; das ist etwa ein Drittel des Gesamtbestandes in Österreich.
Bis Anfang 2014 werden sie zusammen so viel Windenergie erzeugen,
wie das ganze Bundesland insgesamt an Strom verbraucht. Damit sind
wir nicht nur Spitzenreiter in Österreich, sondern auch die europäischen Vorzeigeregionen in Sachen Windenergie.«
Da s Bu rgenla nd u nd Potzneu siedl si nd reprä sentat iv, aber
längst keine Einzelfälle. Ganz Österreich befindet sich mitten
in einer Energiewende. Sie ist weniger von Fukushima und einem
Ausstieg aus der Atomkraft getrieben als von einer allgemeinen
Ökologisierung und Demokratisierung der Stromproduktion. Die
»grüne Energiepolitik« ist in der Produktion angekommen. Seit
Jahren werden von Bund und Ländern und Gemeinden Windkrafträder,
101
Photovoltaik-Lösungen und Biomasse-Anlagen auf mannigfaltige Weise
gefördert. Mit Erfolg.
Insgesamt gibt es österreichweit zehntausende so genannte »nachhaltige Einspeisungen« ins Versorgungsnetz. Es sind nicht nur große
Anlagen, wie Potzneusiedl oder andere professionelle Player, wie die
»Burgenland Energie«, die sie errichten und betreiben. Meist sind es
kleine Gemeinden, mittelständische Unternehmen – und Private.
Ob irgendjemand einen Ü berblick darüber hat, w iev iel Strom
sie wann erzeugen und ins Netz abgeben, ist freilich fraglich.
»Demokratisierung« der Energieerzeugung heißt auch Unübersichtlich­
keit. Was den Energie-Öko freut, treibt die Netzplaner in den
Wahnsinn. Sie sind angehalten, die Bedarfs- und Versorgungs­s tröme
im Voraus möglichst detailliert zu planen. Nicht nur um die angemessenen Mengen Strom zur richtigen Zeit zum Kunden zu schaffen, sondern auch um die Netzauslastung im Auge zu bewahren, die insgesamt
– siehe vorhin – nie besonders stark schwanken sollte, weil sonst
Netzausfälle die Folge sind. Mit Großkraftwerken ließ sich leicht planen. Doch wie plant man mit tausenden dezentralen Produzenten, die
je nach eigenem Bedarf und je nachdem, ob die Sonne scheint oder der
Wind weht, dem Netz Strom entnehmen oder diesem Strom einspeisen?
Auch wenn man die Szenarien eines »Blackouts«, wie im Buch-Thriller
als übertrieben erkennt und der E-Wirtschaft konstatiert, vor allem
bei neuen Kosten schnell auf die PR-Tränendrüsen zu drücken, ist
­e ines klar: Die alten Netze halten den neuen Erfordernissen nicht
stand. Und wenn man sie ausbauen oder gar ersetzen will, dann kostet
das Geld.
Womit wir bei den Konsumenten und Stromkunden angelangt wären.
Rund acht Milliarden Euro wird der Netzausbau in Österreich nach aktuellen Studien bis zum Jahr 2020 kosten. Das wird ohne eine allgemeine Verteuerung der Strompreise kaum umsetzbar sein. Das ist die
schöne neue Energiewende-Welt. Sie wird teuer – und sie wird auf sich
warten lassen.
102
Die Airbus-Story: Europa
übernimmt die Lufthoheit
von Angelika Ahrens
Der europäische Flugzeugbauer Airbus hat in Asien einen spektakulären Durchbruch geschafft. Die mächtige »Japan Airlines«
hat Airbus einen Milliardenauftrag erteilt. Und das ist in einem
Land, in dem bisher der US-Konkurrent Boeing die Nase vorn
hatte. Das verschiebt das Kräftegleichgewicht im Luftraum
Schneller und bequemer ist mehr Passagiere: So schaut die einfache
Rechnung der großen Airlines aus. Und deswegen hat Japan Airlines im
letzten Jahr gleich mal 31 Flugzeuge des neuen Langstrecken-Flugzeugs
A 350 bestellt – im Wert von sieben Milliarden Euro. Die Flugzeuge sollen
bis zum Jahr 2019 ausgeliefert werden. Rabatte in der Luftfahrtbranche
sind zwar durchaus handelsüblich; aber es bleibt ein Riesen-Auftrag.
Vor allem: Es war das allererste Mal, dass die Airline beim europäischen
Airbus-Konzern bestellt und gekauft hat. Denn Japan galt bisher als
Boeing-Land. Japanische Airlines haben ihre Flieger bisher fast ausschließlich bei dem US-Flugzeugbauer bestellt. Die »Japan Airlines«
waren genauso wie die »All Nippon Airways« strategische Großkunden
von Boeing.
Airbus-Werk in Toulouse: auf dem Weg zur Lufthoheit (Foto: Airbus S.A.S/F. Lancelot)
103
Die Kontrahenten: das Airbus–»Schlachtschiff« A350… (Foto: Airbus S.A.S/FIXION)
Neben der Zusammenarbeit mit japanischen Zulieferern hatten Boeing
vor allem die engen Beziehungen zwischen Tokio und Washington geholfen. Doch bei Boeings Großraum-Flugzeug »Dreamliner« gab es immer
wieder diverse Pannen. Die beiden japanischen Airlines waren wegen
der Zwischenfälle mit dem »Dreamliner« öfter in den Schlagzeilen, als
ihnen lieb war. Mit Negativ-Schlagzeilen nämlich. Anfang 2013 mussten
sogar Flugzeuge auf dem Boden bleiben: Es bestand Brandgefahr bei den
Lithium-Ionen-Akkus. In einer Maschine der Japan Airlines war während
eines Bodenchecks Feuer ausgebrochen. Ein »Dreamliner« der All Nippon
Airlines musste wegen eines schmorendes Akkus gar notlanden. Beide
Airlines hatten zu den ersten Kunden dieses Flugzeugmodells gegolten.
Das Flugverbot traf sie so schwer wie keine andere Fluggesellschaft
weltweit.
Das hatte Auswirkungen auf den Kampf um die Lufthoheit. Noch im alten Jahr startete eine fernöstliche Gegenbewegung. Die »Japan Airlines«
bestellten 31 Langstrecken-Flugzeuge bei Airbus; 25 weitere Maschinen
sollen folgen. Für den A 350 setzt Airbus (wie Boeing bei der 787) stärker
als bisher auf moderne Verbundmaterialien und lässt Aluminiumbauteile
weg. Damit sparen sich die kostengeplagten Airlines Gewicht und somit
wieder Treibstoff.
Weitere Aufträge für den A 350 bekam Airbus auch von Ethihad Airways
(50 Stück). Im Herbst zog der Konzern dazu noch einen Großauftrag von
der Deutschen Lufthansa an Land.
104
…und sein Gegenspieler aus den USA, die Boeing 777 (Foto: Mark Harkin)
Doch der Kampf unter den Luftfahrt-Konzernen geht weiter. Vor wenigen Monaten trumpfte Boeing mit einer Rekordbestellung auf. Der amerikanische Erzrivale des europäischen Airbus-Konzerns sicherte sich für
seinen neuen Hoffnungsträger 777X (das Nachfolgemodell seines erfolgreichen Langstreckenfliegers 777, der mit dem A 350 von Airbus konkurriert) rund 260 Aufträge im Wert von 100 Milliarden US-Dollar. Das sind
umgerechnet 74 Milliarden Euro. Wenn es nach dem Listenpreis geht.
Das Projekt mit dem neuen 777X befeuert allerdings den Dauerstreit zwischen den USA und Europa – nämlich den über Luftfahrt-Subventionen.
Der europäische Airbus-Konzern protestiert gegen milliardenschwere
Hilfszusagen des US-Bundesstaates Washington. Nachdem sich die
Boeing-Mitarbeiter in Seattle gegen den Tarifvertrag des Konzerns
ausgesprochen hatten, wollte sich das Management einen anderen
Fabriksstandort suchen, um das neue Modell herzustellen. Der USBundesstaat Washington versprach dem Unternehmen daraufhin fast
neun Milliarden Dollar an Steuererleichterungen.
Das ist dem europäischen Airbus-Konzern ein Dorn im Auge: Denn
aus Sicht von Airbus ist das ein glatter Verstoß gegen Auflagen der
Welthandelsorganisation (WTO). »Boeing missachtet erneut die WTO,
verstößt gegen internationale Verträge und fährt fort mit seinen
Handlungen, die den internationalen Handel verzerren«, kritisierte
eine Airbus-Sprecherin. Die Regierung des US-Bundesstaates sieht in
den Hilfen freilich »kein Problem«.
105
Große Worte –
meist sogar richtige
gesammelt von Günther Kogler
»Lieber Michael!« »Lieber Werner!«
Bundeskanzler Faymann und Vizekanzler Spindelegger scheinen sich
nach 74 Tagen Regierungsverhandlungen wirklich einig zu sein.
»Ihr werdet mir nicht fehlen.«
Maria Fekter wird am Tag der Koalitionseinigung von einer Schar
Fotografen und Reportern erwartet. Uns wird sie fehlen.
»Etwas mehr als eine Stunde.«
Die frischgebackene Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP) auf
die Frage, wie lange ihr Bedenkzeit gewährt wurde, den neuen Job
anzunehmen.
»Ich habe nicht gedient.«
Ursula von der Leyen auf die Frage, ob sie sich auf ihren Job als neue
deutsche Verteidigungsministerin schon vorbereitet habe.
»Es soll uns Ländern niemand unterstellen, dass wir machtgeil sind.«
Aber woher denn, Herr Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP).
»Meine Frau ärgert sich, wenn sie das liest«.
Fritz Neugebauer, oberster Beamtengewerkschafter, über die mediale
Schelte, er sei ein »Betonschädel«.
»Dauerhaft ist es nicht akzeptabel, dass ein Brausehersteller
100.000 Merzedes-Benz-Mitarbeitern vor der Nase herumfährt.«
Merzedes-Motorsportchef Toto Wolf ärgert sich über den dreimaligen
Formel-I-Konstrukteursweltmeister »Red Bull«.
»Ich muss keine zehn Millionen Euro verdienen. Ich kann auch
mit fünf Millionen gut leben.«
Daimler-Chef Dieter Zetsche während einer Diskussion über die hohen
Managergehälter in Deutschland.
106
Das »Ferien-Dilemma«: Was
tun mit den eigenen Kindern?
von Mag. Bettina Fink
Sie ist erholsam für die Kinder, auch Lehrer genießen sie – doch
berufstätige Eltern beißen sich an ihr alljährlich die Zähne aus:
die Ferienzeit. Während Mama und Papa streng limitierte fünf
Wochen Urlaub haben, kommen die Kinder spätestens ab der
Volksschule auf 14 Wochen schulfrei im Jahr. Das bringt so manche Familie an den Rand ihrer Möglichkeiten – finanziell und organisatorisch. Das Angebot an guter Ferienbetreuung wird zwar
immer größer – doch es kostet. Und nicht zu wenig.
Ein ganz normaler Tag im Juli. Für Monika M. bringt er von der Früh weg
Stress: Erst einmal fährt sie ihre Tochter quer durch den Morgenverkehr
in ein Feriencamp, um sich dann selbst auf den Weg zur Arbeit zu machen. Sie weiß noch nicht so recht, wie sie all die Arbeit in ihrem Job
bis 16 Uhr erledigen soll. Denn dann muss sie sich schon wieder auf den
Weg machen, um ihre Tochter abzuholen. Das Camp schließt um 17 Uhr.
Der Sommer ist für Frau M. – eine Alleinerzieherin – immer besonders
belastend. Es ist ein Spiel, das sich jedes Jahr wiederholt: Rund drei
Wochen nimmt sie selbst Urlaub; ein bis zwei Wochen übernimmt die
Oma die Enkelin, bleiben also immer noch vier bis fünf Wochen Ferien
»übrig«. Die verbringt die Tochter diesmal eben in einem »Feriencamp«.
Das heißt aber: bis zu 1000 Euro an Betreuungskosten. Ein Sommer in
Österreich ...
Und doch: Frau M. ist froh, ein gutes Ferien-Tagescamp gefunden zu
haben, in dem sich ihre Tochter wohl fühlt. Eines wie dieses, das €CO
besuchte: Rund 220 Schüler bevölkern das Areal der De-la-Salle-Schule
in Wien-Strebersdorf. Zwischen 7 und 17 Uhr bietet dort der Anbieter
»feriencamps.at« Sport, Spiel und Spaß: von Fußball über Tennis bis zu
Bogenschießen oder Schwimmen im Schulhallenbad. Die Kinder freut’s.
Veranstaltet wird das Camp von Alfred Meindl. Er ist karenzierter Lehrer.
Vor Jahren hat er mit der Sommerferienbetreuung und gerade einmal
zwei Dutzend Kindern begonnen. Mittlerweile ist daraus ein veritables
107
Sommercamp mit Walddetektiven: eine Woche um 188 Euro (Foto: VIUDeepBay)
Unternehmen geworden. Zwischen 180 und 235 Euro kostet eine »AktivWoche« mit »Betreuung und Verpflegung all inclusive«.
Vor Schulbeginn, wenn dann auch die »Nachzipf«-Phase näher rückt,
wird das Freizeitprogramm durch verschiedenste »Lerncamps« ergänzt.
Die Kosten dafür: ebenfalls zwischen 150 bis 320 Euro pro Kopf und
Woche, abhängig von der Altersstufe, der Lernintensität und zusätzlich
kombinierbaren Angeboten wie Fußball oder Computereinheiten. In den
Lerncamps unterrichten viele Studenten, aber auch etliche Lehrer, die
offiziell Ferien haben.
Scheinbar haben diese Zeit und auch Lust auf Nebenjobs. Während sich
unser Schulsystem eine lange Pause gönnt, wird Ferienbetreuung zum
blühenden Geschäft. Vor allem für jene, die die Nöte berufstätiger Eltern
lösen – gegen Barzahlung. Die Nachfrage ist groß. Der Markt für professionelle Ferienbetreuung boomt, bestätigt auch Alfred Meindl unserem
Team: »Vor allem in den Tagescamps ohne Übernachtung, die wir vor
Jahren eingeführt haben, ist die Zahl der Mitbewerber stark gestiegen.
Ebenso wie der Bedarf auf Seiten der Eltern.«
Bei seinen »feriencamps.at« bleiben die Schüler im Schnitt rund drei
Wochen unter Aufsicht, manche auch länger. Das lässt erahnen, welche
108
finanziellen Ausgaben Eltern über einen Feriensommer hinweg auf sich
nehmen, um ihre Kinder betreut zu wissen. Sofern sie sich das leisten
können. Hier ein paar Beispiele, was Ferien so kosten:
• Eine Abenteuer-Sportwoche der Sportunion Wien ohne
Übernachtung war 2013 um 209 Euro zu haben.
• Ein Walddetektive-Tagescamp der Kinderfreunde kostete ohne
Übernachtung 188 Euro.
• Das sechstägige Hip-Hop-Tanz-Camp der JUFA Deutschlandsberg
war samt Übernachtung um 349 Euro buchbar.
• Ein 14-tägiges Lern- und Adventurecamp in Mariapfarr kostete bei
camps.at mit Übernachtung 980 Euro.
• Und eine 14-tägige Sprachreise nach England wurde von
Camps4You um 2000 Euro angeboten.
Natürlich geht es auch etwas günstiger als im Camp. Etwa mit Ferien
in einem Kinderhort. Doch die Plätze sind limitiert – und rasch ausgebucht. Im Hort des privaten Betreibers »Kinder in Wien, KIWI« im
23. Wiener Gemeindebezirk ist ganzjährig geöffnet. Bis zu 50 Kinder täglich werden schließlich im Sommer betreut. Die Eltern sind erleichtert,
einen Platz für ihre Kinder gefunden zu haben. »Manchmal würde mein
Sohn schon lieber mit der Familie frei haben oder mit Freunden Fußball
spielen gehen«, erzählt Christine Mayrhuber, Mutter des 10-jährigen
Arian. »Ich frage ihn dann einfach, wie sich neun Wochen Sommerferien
bei fünf Wochen Urlaub für die Eltern organisieren lassen sollen – und
dann ist er eh ganz einsichtig. Bitter ist es manchmal schon – für beide
Seiten.«
In den Ferien wird im KIWI-Hort nicht nur Standardprogramm geboten. Oft gibt es Ausflüge und Exkursionen, etwa zum Flughafen – die
Ferien sollen auch hier »etwas anders« sein. Im Sommer besuchen auch
viele Gastkinder den Hort. Der Run auf die Plätze ist enorm. Wer Glück
hatte, ist mit rund 300 Euro für einen ganzen Monat dabei. Wer nur
eine einzelne Woche bucht, bezahlt 95 Euro – für bis zu elf Stunden
täglich inklusive Essen. »Finanziell leichter wird das Ganze durch
Steuervergünstigungen«, so Christine Kollmann, Regionalleiterin bei
KIWI. »Eltern können beim Steuerausgleich die Kosten für qualifizierte
Ferienbetreuung absetzen.« Konkret sind es bis zu 2300 Euro jährlich,
109
die für Kinder bis zum 10. Lebensjahr (bis zum 16. Lebensjahr bei
Kindern mit einer Behinderung) von der Finanz berücksichtigt werden.
Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Familien ändern sich
laufend. Die Frauenerwerbsquote steigt, viele Familien können sich das
Leben in einem »Alleinverdiener-Haushalt« nicht mehr leisten. Auch
die Großeltern sind oft noch berufstätig – oder sie leben weit von den
Kindern entfernt. Der familiäre Rückhalt in der Kinderbetreuung wird
geringer, das »Ferienproblem« dafür immer größer. Österreich hat grundsätzlich nicht genug Hortplätze. Während die professionelle Betreuung
in den Städten noch halbwegs gut organisierbar ist, haben Horte auf dem
Land, sofern es sie überhaupt gibt, meist nicht durchgängig geöffnet.
So haben sie in Wien im Schnitt nur vier bis fünf Werktage pro Jahr geschlossen – in Vorarlberg hingegen gibt es bis zu 55 Schließtage jährlich.
Und letztlich geht es nicht nur um Betreuung – sondern um möglichst
gute Betreuung. Die sechsjährige Mao aus Niederösterreich zum Beispiel
verbringt, als wir sie besuchen, ihre letzten Ferien vor dem Eintritt ins
Schulleben – zu Hause. Ein Luxus, den sich die Familie leistet; Vater
Andreas ist in Elternteilzeit gegangen und nimmt sich Zeit für die Tochter.
Maos Kindergarten im Bezirk Baden hätte sogar vier Wochen im
Sommer geöffnet. Und trotzdem will Mao nicht hin, obwohl sie während des Jahres gerne im Kindergarten ist. Denn im Sommer sind die
Betreuungspersonen oft andere, die Gruppen werden neu gemischt;
Fremde Kinder kommen dazu, engste Freunde fallen weg. Fazit: Mao weigert sich. Aus Sicht der Eltern geht es nicht nur um eine Beaufsichtigung
in den Ferien – sie wollen »Qualität haben. Und die ist in den Ferien
nicht immer so gegeben«, so Vater Andreas Schimanko. Alles nicht so
einfach also. Die Ansprüche sind hoch, wenn es um die eigenen Kinder
geht – und angesichts klammer Kassen auch nicht immer erfüllbar.
Ab Herbst kommt Mao in die Schule. Der örtliche Hort – immerhin gibt
es einen – hat während des Jahres bis 16.30 Uhr geöffnet. Mit der beruflichen Realität des IT-Fachmanns und der Unternehmensberaterin
hat das allerdings wenig zu tun. Die Ferien werden dann auch für sie
zur ultimativen Herausforderung. Ohne professionelle Betreuung wird
es nicht gehen.
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Wenn die Schule Ferien macht haben die Eltern ein Problem (Foto: Udo Springfeld)
Darauf stellt sich die Familie schon einmal ein. Wie sie die 14 Schulfreien
Wochen im Jahr regeln wird, weiß sie noch nicht. Viele Eltern fühlen
sich im Stich gelassen. »Der Anspruch der Wirtschaft an Eltern ist ja,
flexibel zu sein und zur Verfügung zu stehen. Dasselbe bräuchte es auch
bei der Kinderbetreuung in Österreich«, meint etwa Karen Fanto, selbstständige Unternehmerin und Mutter von Mao. »Aus meiner Sicht wäre
es ganz klar, dass auch Kindergärten und Schulen nur fünf Wochen im
Jahr geschlossen haben dürfen – also genau so viel Urlaub haben wie
die Eltern.«
Manchmal werden in der Not auch durch Eigeninitiative von Eltern,
Vereinen und Ehrenamtlichen Lösungen gefunden. So wie in Steinbrunn
im Burgenland. Zumindest drei Wochen lang gibt es hier in den Ferien
ganztags Kinderprogramm. Etwa: Orientierungslauf auf dem Sportplatz
der Gemeinde. Die Organisation hat der örtliche Kinderfreunde-Obmann,
Andreas Posch, übernommen. Eltern und Vereinsmitglieder helfen zusammen. Nur 50 Euro kostet eine Betreuungswoche.
Der Bedarf an professioneller Kinder-Ferienbetreuung steigt auch auf
dem Land. Viele Familien aus Wien sind nach Steinbrunn ins Burgenland
gezogen, auf Großeltern und familiäre Unterstützung können also die
wenigsten zurückgreifen. Die Gemeinde und die Nachbargemeinde
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Kinder wollen beschäftigt werden – das geht ins Geld (Foto: Jana Henning)
unterstützen die Initiative finanziell. »So bleibt alles erschwinglich,
man muss nicht zu viel verlangen von den Eltern.«
Auch Elisabeth Kirchmeir hat ihre achtjährige Tochter Yolanda hier untergebracht – und hilft selbst bei der Organisation der Ferien hin und
wieder mit. Sie hat lange nach einer Betreuungsmöglichkeit im Sommer
gesucht. Erst in Steinbrunn wurde sie fündig. »Ich hab’ mich im Internet
schlau gemacht und das war im Burgenland die einzige Möglichkeit, wo
ich meine Tochter ganztägig gut betreut weiß und wo es für mich auch
erschwinglich war – ich bin richtig froh darüber.«
Von unserer Kamera wird eingefangen: Der Orientierungslauf ist beendet, die Kinder versammeln sich im Zieleinlauf. Jetzt müssen noch
die Preise und Urkunden vergeben werden. Strahlende Kinder, gutes
Wetter; Sommerferien können toll sein. Vorausgesetzt, man wohnt am
richtigen Ort, hat Glück, ist zeitlich flexibel oder verdient gut. In den
Ferien regiert in Österreich nämlich allzu oft noch der Zufall – wenn es
um Kinderbetreuung geht.
Nur eines ist fix: Die Schulen haben Pause. Neun Wochen lang.
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Diamanten: Funkelnde Steine
mit attraktiven Renditen
von Katinka Nowotny
Der angeblich »beste Freund von Frauen« wird auch für
Investoren zunehmend interessant. Der Diamant. Die Preise
für das funkelnde Glück sind in den vergangenen Jahren konti­
nuierlich gestiegen. Die Steine sind überdies leicht zu transportieren und bieten bisher Schutz vor Geldentwertung. Aber beim
»Kaufen«, beim »Halten« und »Verkaufen« ist höchste Vorsicht
angesagt.
Wie lässt sich ein großes Vermögen am besten vor neugierigen Blicken
verstecken? Auf einem anonymen Konto auf einer karibischen Insel
oder mittels Briefkastenfirma in Liechtenstein? Was immer man tut,
es hinterlässt Spuren, vor allem wenn Gelder dann verschoben werden
müssen.
Wie wäre es daher mit einem nur eine Zündholzschachtel großen
Behältnis voller Diamanten, fragt Professor Leopold Rössler. Er ist
Präsident der Österreichischen Gemmologischen Gesellschaft, also
einer der führenden Diamantenexperten des Landes: »Eine kleine
Schachtel voller geschliffener Diamanten könnte ich als meinen tragbaren Reichtum bezeichnen. Die ist dann vielleicht 500.000 Euro wert.
Dafür bekomme ich sicherlich eine kleine Villa.«
Manchmal steckt ein noch viel größeres Vermögen in einem einzigen
Stein. Einer der berühmtesten Diamanten der Welt, der ErzherzogJoseph-Diamant, kam im November 2012 bei Christie’s in Genf zur
Versteigerung. Er stammt aus einer indischen Mine in Golkanda
und gehörte einst Erzherzog Joseph August von Österreich. Sein
neuer Besitzer, der anonym bleiben wollte, zahlte schließlich 20,355
Millionen Schweizer Franken, umgerechnet 17 Millionen Euro, für das
einzigartige Juwel.
Auch im Wiener Dorotheum kommen Diamanten regelmäßig zur
Versteigerung. Und auch wenn die Millionenschwelle hierzulande kaum
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überschritten wird, so kann ein einzelner edler Stein schon einmal gut
und gerne 500.000 Euro erzielen.
Diamanten sind etwas Besonderes. Keiner ist jünger als 900 Millionen
Jahre. Sie bestehen aus reinem Kohlenstoff und sind die härtesten
Substanzen, die in der Natur vorkommen. Deshalb werden sie auch in
der Industrie zum Schneiden und Bohren eingesetzt. Aber ihr Mythos
lebt von einer anderen Verwendung – als begehrtes Schmuckstück.
Und als etwas exotisches, aber interessantes Investment.
Als Geldanlage führen Diamanten noch ein
Schattendasein. Sie werden aber zunehmend
von Investoren entdeckt, die Alternativen
zu Aktien, Anleihen und Immobilien suchen.
Experten haben deshalb für Kleinanleger einige Tipps bereit: Hände
weg von ungeschliffenen Rohdiamanten etwa, denn die eignen sich
als Wertanlage erst ab sehr großen Mengen (und dann ist man kein
»Kleinanleger« mehr). Zweitens: Zwar treten Diamanten in allen Farben
auf, aber auf der sicheren Seite ist man nur mit den klaren, farblosen
Steinen. Die lassen sich auch nicht so leicht fälschen. Wünschenswert
ist auch ein qualitätvoller, klassischer Brillantschliff.
Als Geldanlage
ein Schattendasein
Der gängigste Investment-Stein ist der Einkaräter, der aus gerade einmal 0,2 Gramm Kohlenstoff besteht. In mittlerer Qualität müssen für
ihn etwa 10.000 Euro hingelegt werden. Das ist viel Geld, aber noch
kleinere Steine eignen sich kaum als Anlage, meint Gabriele Breisach,
die Obfrau der Gerichtlichen Sachverständigen für Edelsteine. »Die unterste Grenze ist ein Halbkaräter«, sagt sie. »Man soll natürlich keine
schlechte Qualität kaufen, aber es muss auch nicht das teuerste Stück
sein, damit es ein gutes Investment wird. Mein Tipp wäre, sich einen
guten Berater auszusuchen – und dann nachzudenken.«
Vier Faktoren bestimmen den Wert eines Diamanten – im Englischen
werden sie die vier C genannt: Carat, Colour, Cut, Clarity – also
Gewicht, Farbe, Schliff und Reinheit. Festgehalten werden diese
Eigenschaften in einem Zertifikat, das von einem anerkannten Institut
stammen sollte. Das holländische HRD und das amerikanische GIA haben dabei den besten Ruf.
114
Weisse, geschliffene Steine sind die Werthaltigsten (Foto: Kim Alaniz)
Damit gewährleistet ist, dass Stein und Zertifikat zusammengehören, wird beim GIA die Nummer des Zertifikats auf der Rundiste – der
Gürtellinie des Brillanten – eingraviert. Mit einer Lupe lässt sich daher ein Stein eindeutig identifizieren.
Das Wichtigste beim Kauf ist die Verlässlichkeit des Verkäufers. Denn
längst können in Labors künstliche Diamanten hergestellt werden, die
zwar von der Industrie gebraucht werden, aber weitaus weniger wert
sind. Fälscher verkaufen sie gerne als echte Schmucksteine – und verdienen damit Millionen.
Das Problem ist, dass nur geschulte Juweliere den Unterschied erkennen. Selbst in zehnfacher Vergrößerung ist es noch schwer, auch für
einen Fachmann, zwischen »echt« und »unecht« zu unterscheiden.
Deshalb gilt es als höchst riskant, von Privatpersonen zu kaufen – wer
also Diamanten eingeschweißt im Sackerl anbietet, das nicht geöffnet
werden kann, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Betrüger. Wer tolle
Renditen verspricht oder gar eine Rückkaufgarantie gibt, ebenso. Denn
die werden von seriösen Marktteilnehmern nicht angeboten.
Allerdings müsse man bei professionellen Diamantenhändlern und
Juwelieren auch Gewinnspannen von mehr als 60 Prozent in Kauf
115
nehmen, räumt die Sachverständige Breisach ein. Andererseits: Je näher an der Quelle gekauft wird, desto günstiger wird der Preis. Das
Zentrum des Diamantenhandels ist übrigens Antwerpen, wo auch die
weltbesten Schleifer sitzen.
Überhaupt: Als Investment zahlen sich Diamanten nur aus, wenn
sie mindestens zehn Jahre lang gehalten werden; noch besser wären 20 Jahre. Denn der private Käufer zahlt zusätzlich 20 Prozent
Mehrwertsteuer, die er beim Wiederverkauf nicht zurückbekommt.
Diese Beträge müssen erst einmal verdient werden.
Ein weiterer Punkt, den man beim Kauf von
Diamanten beachten sollte, ist das staatliche
Herkunftszertifikat, das vor so genannten
Blutdiamanten schützt. So werden Steine bezeichnet, die in Bürgerkriegsregionen in Zentral- und Westafrika geschürft – oder in Minen, in denen Arbeiter ausgebeutet und Kinder
beschäftigt werden. Der »Kimberley-Prozess«, dem sich 75 Staaten
angeschlossen haben, soll seit dem Jahr 2003 den Handel mit solchen
Steinen verhindern und den Käufern ein reines Gewissen erlauben.
Wichtig wäre ein
Herkunftszertifikat
Als Anlageform, das vor Geldentwertung und Marktturbulenzen schützen soll, stehen Diamanten in direkter Konkurrenz mit Edelmetallen,
vor allem mit Gold. Nur: Ganz so stark wie der Goldpreis ist der Wert
der Edelsteine in den vergangenen Jahren nicht gestiegen. Von 1999
bis 2011 kletterte der Preis von Gold um 350 Prozent, bei Diamanten
gab es in diesem Zeitraum einen Anstieg von »nur« 200 Prozent.
Allerdings entwickeln sich Diamantenpreise zumeist kontinuierlich
aufwärts, während der Goldpreis stark schwankt – nach 2007 ein
dramatischer Anstieg, seit September 2011 wieder ein deutlicher
Rückgang. Und anders als bei Gold und bei Rohstoffen gibt es für
Diamanten keine Derivate – also Finanzprodukte, mit denen man auf
die Preisentwicklung wetten kann. Das macht das Investieren schwieriger, verhindert aber spekulative Blasen und Abstürze.
Und für den Gegenwert eines Fünfkaräters (der also ein Gramm wiegt)
in bester Qualität müssten mehr als 16 kg Gold aufbewahrt werden,
116
betont der deutsche Diamantenhändler Ulrich Freiesleben. In politisch instabilen Ländern, wo wohlhabende Personen immer auch
an die Möglichkeit einer Kapitalflucht denken müssen, können sich
Diamanten als eine Art Lebensversicherung erweisen.
Dafür aber werden die Schmucksteine wegen ihrer Winzigkeit auch
wieder leichter gestohlen. Wer wertvolle Juwelen aufbewahrt, braucht
also starke Tresore – und entsprechende Versicherungen.
Eine etwas sicherere Möglichkeit ist eine Investition in einen
Diamantenfonds. Allerdings ist dies nichts mehr für Kleinanleger: Der
KPR-Diamantenfonds etwa erfordert eine Mindestanlage von 250.000
US-Dollar. Und wer am Diamond Circle Capital PLC teilnehmen will,
muss mindestens eine Million US-Dollar in die Hand nehmen.
Bei Diamanten übrigens beobachten Experten zwei gegenläufige
Trends – einen stetigen Anstieg der Nachfrage und einen Rückgang
der Produktion. Fachleute beziffern ihn mit fünf Prozent pro Jahr seit
2006. Der Grund: Neue Diamanten lassen sich in vielen schon weitgehend ausgelaugten Minen immer schwerer finden. Obwohl jetzt neue
Vorkommen in der Antarktis vermutet werden.
In einer wirklich langfristigen Betrachtung steigen Diamanten aber
fast immer besser aus als Gold, betonen Diamantenhändler: Seit 1949
haben die Preise um durchschnittlich 15 Prozent im Jahr zugelegt.
Darin spiegeln sich Jahre hoher Inflation ebenso wider wie ein steigender Wohlstand, der die Zahl an Interessenten ständig erweitert. Auch
in den Schwellenländern China und Indien können sich heute viele
Menschen Diamanten leisten – und tun es auch.
Ein Verkauf zum angemessenen Marktpreis erweist sich andererseits
manchmal als schwierig. Anders als beim Gold gibt es für die kleinen Steinchen keinen standardisierten Preis. Diamanten, betonen
Anlageberater, sind also höchst illiquide Sachwerte. Schnell und unkompliziert können sie nicht in Geld zurückverwandelt werden.
Dass Diamanten so stark nachgefragt werden, liegt wohl weniger an
den erhofften Preissteigerungen – es liegt an der unvergleichlichen
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Diamanten: als Wertanlage riskant, als Schmuck unschlagbar (Foto: Byjeng)
Schönheit des Objekts. Als Schmuck verarbeitet sind selbst kleine
Steine immer noch der Inbegriff von weiblicher Eleganz und Luxus
– und das nicht erst, seit Marilyn Monroe im Filmmusical Blondinen
bevorzugt ihr berühmtes »Diamonds are a girl’s best friends« gesungen hat. Und der geniale Slogan »Diamonds are forever« des südafrikanischen Diamantenriesen De Beers spricht sowohl Liebhaber als auch
Investoren an.
All jene, die sich für die Edelsteine als Anlageobjekt interessieren, ­h ören von Experten schließlich auch den gleichen Rat
w ie Kunstsammler: Kauf t nur das, was euch w irklich gefällt.
Preisentwicklungen sind nie mit Genauigkeit vorauszusagen. Nur die
Freude an einem wunderschönen Stein ist dem Besitzer sicher.
»Die Frage, ob Diamanten ein gutes Investment sind, würde ich so beantworten«, sagt die Sachverständige Gabriela Breisach: »Ich selber
würde mein Geld nur zu einem geringen Anteil in Diamanten anlegen.
Nur das wirklich frei verfügbare Kapital, mit dem Rest würde ich auf
andere Optionen ausweichen. Dann aber kann ich die Schönheit im
Schmuck genießen und mich am Stein einfach erfreuen.«
118
Wettlauf der Superzüge –
aber ein »Restrisiko« bleibt
von Hans Hrabal
Hochgeschwindigkeitszüge machen die Eisenbahn fit für das
21. Jahrhundert. Bei Tempo 350 wird im Intercity-Verkehr die
Konkurrenzfähigkeit zum System Flugzeug wieder hergestellt.
Also wird allerorten schneller und noch schneller gefahren. Das
kostet Unsummen, weil die Bahnstrecken für »high speed« hergerichtet und die Sicherheitssysteme massiv aufgerüstet werden
müssen. Aber ist es dann doch nicht so, dass trotz aller Technik
ein »Restrisiko« bleibt?
Es waren die wohl schaurigsten Bilder, die das Fernsehen 2013 zu
bieten hatte: Ein spanischer Superschnellzug des Typs Alvia, auf der
Strecke zwischen Madrid und Santiago de Compostela in Galizien eingesetzt, rast mit knapp 190 Sachen in eine Kurve, die nur für 80 km/h
zugelassen ist – und entgleist. Wie auf einer Modelleisenbahn schleudern die Waggons über die Schienen; aber es ist nicht die Tricktechnik
Hollywoods, die diese Szene schreibt, es ist die Wirklichkeit.
Der Unfall wird bis zuletzt von Überwachungskameras, die entlang
der Bahnstrecke installiert sind, aufgezeichnet. Fernsehsender in aller Welt zeigen die Bilder und auch die Folgen der Katastrophe: 80
Passagiere sterben, 130 werden, meist schwer, verletzt. Die Bestürzung
ist global.
Dem Unfall wurde sogar Symbolcharakter zugesprochen. Spanien
durchlitt gerade das tiefste Wellental seiner politischen und wirtschaftlichen Krise. Man hätte alles nötiger gehabt, um die Moral
des Landes aufzurichten, nur nicht dieses schaurige Schauspiel.
Superschnelle Züge sind in Spanien nicht einfach nur Verkehrsmittel.
Sie sind so etwas wie die nationalen Symbole der technologischen
Entwicklung, der Präzision, der Professionalität. Sie stehen für vieles,
was Spanien als hochentwickelter europäischer Industriestaat gerne
sein möchte – aber eben in manchen Bereichen nicht ist.
119
Bei den Superzügen spielt Spanien an der Weltspitze mit. Das
Hochgeschwindigkeitsnetz der Bahn kann sich sehen lassen. Nur
wenige Länder Europas sind von ihrer Topographie her derart ideal
für superschnelle Züge geschaffen. Riesige Ebenen, oft menschenleer, in denen die windschlüpfigen Garnituren oft stundenlang mit
Höchstgeschwindigkeit dahinbrausen können. Bis, ja bis …
Dass Superzüge und Hochgeschwindigkeitsstrecken wichtig für ein
nationales Image sind, ist nicht neu. Als Vorreiter gelten diesbezüglich die Franzosen mit ihrem TGV, dem Train a Grande Vitesse. Bereits
1981 ging der erste TGV zwischen Paris und Lyon in Betrieb und
machte schon damals 300 km/h. Bis heute ist die Entwicklung des
französischen Herstellers Alstom eines der schnellsten Zugsysteme
der Welt. Und natürlich einer jener Mythen, die das technologisch-industrielle Selbstbewusstsein der Grande Nation ausmachen. Insgesamt
gibt es in Frankreich mittlerweile rund 2000 Zugkilometer, die für
Höchstgeschwindigkeiten ausgebaut sind. Das gallische Zuggeschoss
fährt auch in Deutschland und in England vor. Der »Eurostar«, der
Paris und London durch den Tunnel unter dem Ärmelkanal verbindet
ist, ein TGV. Ein englisches Gegenstück gibt es nicht.
Der TGV ist insgesamt eine wirtschaftliche Erfolgsstory. Er diente
als Vorlage für die spanischen AVE-Züge (es gibt in Spanien unterschiedliche Hochgeschwindigkeitsstrecken, die mit verschiedenen
Zugmodellen unterschiedlicher Anbieter betrieben werden), wurde für
den italienischen Superschnellzug »Italo« abgepaust, ebenso für die
südkoreanischen Superzüge vom Typ KTX, die in Lizenz von Hyundai
gefertigt werden.
Die Franzosen waren in Europa also die Ersten; sie genießen – vor allem im Export – immer noch einen gewissen Vorteil gegenüber der
Konkurrenz. Allein sind sie mit ihrem Know-how im milliardenschweren Infrastrukturmarkt rund um das »System Bahn« schon lange
nicht mehr. Nachbar Deutschland hat längst sein eigenes System entwickelt, den ICE, den Inter-City-Express, eine Technikleistung des
Industriegiganten Siemens. Auch der ICE, den es mittlerweile in vielen
Versionen gibt, ist für die Deutschen mehr als nur ein schnöder Zug.
Auch hier geht es um Nationalstolz. Wo welcher Zug fährt, wer sich bei
120
Japans Prestigeprojekt: der Shinkansen fährt Tempo 400 (Foto: Sukhoi37)
welcher Ausschreibung durchsetzt, ist immer auch eine Frage der wirtschaftlichen Position, die das Land, aus dem der Anbieter kommt, im
Gefüge der Staaten innehat.
Im Rahmen eines weitgehend getakteten europäischen Liniennetzes
gibt es gegenwärtig etwa 180 ICE-Bahnhöfe in Europa. Zumeist liegen sie in Deutschland, aber es gibt sie auch in den Niederlanden, in
Belgien, in Dänemark, in der Schweiz und auch in Österreich. Für die
Deutschen eine besondere Genugtuung: Die superschlanken Garnituren
machen auch in Frankreich Halt.
Auch der ICE ist eine Erfolgsstory. 2012 waren damit 76,6 Millionen
Reisende allein in Deutschland unterwegs. Das entspricht immerhin 58 Prozent der Reisenden im Fernverkehr der Deutschen Bahn.
Andererseits ist der ICE aber auch schon wieder technologische
Vergangenheit. Mit der »Velaro«-Serie will Siemens nochmals nachbessern. Die Baureihe hat in Tests bereits Geschwindigkeiten über 400
km/h erreicht. Und Exportprojekte für Spanien, Russland und China
gibt es auch schon.
Die Superzüge sind auch in Asien sozusagen »nationaler Auftrag«.
In Japan bauen die Technologiekonzerne Hitachi und Kawasaki
121
Rot und schnell: Ferrari designte den »Italo« (Foto: NTV/SASSO/TOMA)
seit den 1980ern gemeinsam an den diversen »Shinkansen«. Diese
Baureihen erreichen zwischen Tokio und Osaka seit langem schon
Geschwindigkeiten bis zu 330 km/h. Auch der Shinkansen wird exportiert. Dann trägt er den Markennamen »Bullit«.
Unnötig zu erwähnen, dass auch die Volksrepublik China haben muss,
was andere haben. In China stehen Hochgeschwindigkeitszüge seit
Jahren ganz oben auf der politischen Agenda. Das Land ist groß, die
Bevölkerung riesig, die schnellen Züge sollen die boomenden Regionen
der aufstrebenden Weltmacht verbinden.
Die off izielle Statistik weist aus, dass es 2012 bereits 13.000
Hochgeschwindigkeits-Kilometer gab. 5000 davon sind für Tempo 350
ausgelegt. In den nächsten Jahren ist ein weiterer massiver Ausbau geplant. Wie bei anderen Projekten auch holen sich die Chinesen für ihre
gigantomanischen Vorhaben Technologie aus dem Ausland. In Peking
und in Shanghai tummeln sich die Anbieter geradezu: Die frankokanadische Bombardier-Rotax ist mit ihrer »Zefiro«-Baureihe ebenso vor Ort
wie Hitachi mit seiner Shinkansen-Technik und die deutsche Siemens
rittert sich mit ihrer auf dem ICE basierenden Velaro-Plattform mit
den TGV-Klonen von Alstom. China ist ein begehrter Auftragsgeber –
­außerdem zahlt Peking schnell und in bar.
122
Die großen Bahngesell schaf ten w issen aber auch, dass das
Thema Hochgeschwindigkeit nicht nur eine Sache des jeweiligen
Nationalstolzes ist. Für die Eisenbahn ist Speed längst eine Frage
des Überlebens geworden. Das System Schiene musste in den letzten
Jahrzehnten massiv Federn lassen. Der automobile Individualverkehr
boomte, schnelle Pkw und gut ausgebaute Autobahnnetze machten es
für die Bahn genauso schwer mitzuhalten wie die immer günstigeren
Angebote der Fluglinien, vor allem im Intercity-Verkehr.
Das ist auch in Österreich so. Christian Kern ist Generaldirektor der
ÖBB. Eine seiner strategischen Herausforderungen ist es, die ÖBB in
puncto Geschwindigkeit konkurrenzfähig zu machen. Das ist nicht
leicht und vor allem nicht billig. Kern: »Schon aus topographischen
Gründen ist es in Österreich schwer, Höchstgeschwindigkeiten zu erreichen. Unsere Berge erlauben es einfach nicht, in Dimensionen von
300 oder gar 400 km/h zu denken. Wir versuchen daher ein Paket aus
Geschwindigkeit und anderen Faktoren der Zeitersparnis zu schnüren:
Reduzierung von Wartezeiten und Nutzung der Reisezeit durch gute
Infrastruktur.«
Trotzdem versuchen die ÖBB, wo es möglich ist, aufs Tempo zu drücken. Auf der Westbahnstrecke zwischen Wien und Salzburg jedenfalls begann bereits mit Dezember 2012 eine neue Zeitrechnung. Auf
dem Abschnitt Wien-Hadersdorf nach St. Pölten und zwischen St.
Valentin und Linz-Kleinmünchen machen die »Railjets« der ÖBB bis zu
230 Sachen. Angetrieben werden die schnittigen »Railjets« dabei von
Hochleistungsloks des Typs »Taurus« von Siemens. Das Projekt »medium-speed« kostete bislang rund 2,8 Milliarden Euro. Dafür ist der
Bahnfahrer jetzt um rund 30 Minuten schneller in Salzburg.
Heimische Firmen übrigens sind beim Thema Hochgeschwindigkeit
gar nicht schlecht im Geschäft. Die hiesige Niederlassung von
Siemens liefert Einzelkomponenten an das Münchner Mutterhaus
zu. Die Voest-Alpine stellt besonders belastbare Spezialweichen für
die schnelle Zugstrecken und punktet nach wie vor mit den kopfgehärteten Langschienen. Plasser und Theurer haben mit ihren
Schienen-Verlegemaschinen und Stopfgarnituren nahezu eine globale
Monopolstellung erreicht.
123
ÖBB-Railjet: Sparversion eines Superzuges (Foto: ÖBB/Harald Eisenberger)
Was die Sicherheit der Superzüge anbelangt, ist vor allem die
Kapsch-Gruppe international am Ball. Kapsch liefert die wichtigen Kommunikationsleitsysteme für die Bahn, die der Knackpunkt
sind, wenn die Geschwindigkeiten steigen. Karl Kapsch weiß, dass
ab Tempo 150 km/h komplett neue Anforderungen an die Systeme
entstehen: »Dies ist die Geschwindigkeit, bei der der Mensch
nicht mehr in der Lage ist, Ereignisse rechtzeitig zu begreifen. Die
Reaktionsgeschwindigkeit nimmt massiv ab. War das Signal jetzt
,Rot‘ oder ,Grün‘? Bei Hochgeschwindigkeitszügen muss deshalb ein
Leitsystem errechnen, wie schnell gefahren werden darf, die Garnitur
sozusagen im Hintergrund steuern und überwachen.«
Tatsächlich hat auch die Europäische Union bereits einen Standard für
Hochgeschwindigkeitsstrecken entwickelt. Das »European Rail Traffic
Management System« (ERTMS) ist eine Spezifikation, die »intelligent
reagiert« und Züge per Software überwacht. Unter anderem zwingt es
eine Garnitur zum Abbremsen, sollte der Lokführer die höchstzulässige Geschwindigkeit überschreiten.
Leider befindet sich ERTMS erst in der Einführungsphase. Die spanische Garnitur, die vor Santiago de Compostela so furchtbar spektakulär
aus der Kurve flog, hatte das neue System noch nicht eingebaut.
124
Geteilte Autowelt: Oldtimer
hui, Neuwagen pfui
von Hans Wu
Seit geraumer Zeit befindet sich die internationale Autoindustrie
in der Krise. Darunter leiden auch die heimischen Autohäuser.
Volle Lagerplätze und Rabattschlachten für Neuwagen sind das
sichtbare Zeichen der Probleme einer Leitindustrie. Dabei gäbe
es eine Fahrzeugsparte, die sich über steigende Nachfrage nicht
beklagen kann: der Markt für Oldtimer.
Das Ennstal in der Obersteiermark ist im Sommer ein ruhiges Plätzchen,
das Wanderer und Sommerfrischler gerne aufsuchen. Außer, es fährt
gerade die »Ennstal-Classic« durchs Tal. Dann brummen archaische
Motoren, dann wird das Straßenbild drei Tage lang von altertümlichen
Karossen geprägt. Immerhin, es handelt sich um traumhaft schöne
Autos, die durch eine traumhaft schöne Landschaft gleiten. Da darf
schon einmal drei Tage lang Benzingeruch in der Luft liegen.
Keines der lack- und chromglänzenden Gefährte hat weniger als vierzig Jahre auf der Karosserie und je älter es ist, desto willkommener
ist es. Auf Zuseher und Teilnehmer übt die Nostalgie-Rallye schon seit
Jahren ihren ganz besonderen Reiz aus. »Wenn man sich vorstellt, in
der damaligen Zeit solche Formen zu entwickeln, Dinge neu zu erfinden, die noch gar nicht da waren. Heute ist alles zu definiert; aber
diese alten Autos haben so viel Esprit, haben so viel Innovation. Ihr
Design ist umwerfend. Heute ist letztendlich vieles fad«, schwärmt
uns auch Tobias Moretti ins Kameramikrofon; er ist auch einer der vielen Prominenten, die beim Glamour-Autokorso mitmachen.
Was viele Nostalgiker und manche Schrauber und Bastler aber ebenfalls erfreut: Sie sind mit ihren alten Geräten noch immer auf der Höhe
der Zeit. Der Spaß ist ordentlich profitabel geworden. Das meiste, was
jahraus, jahrein nur in den gepflegten Garagen der Oldtimer-Anhänger
zu bewundern ist, hat in den letzten Jahren enorm an Wert gewonnen.
Wer auf Qualität setzte, gewann besonders viel.
125
Heinz Svoboda beobachtet diese Wertsteigerungen seit Jahren. Der
Oldtimer-Fan veranstaltete einst selbst Nostalgie-Rallyes und betreibt heute eine Versicherung für die Besitzer der Autos von anno
dazumal. Je bekannter die Marke, je kleiner die Serie, je besser der
Erhaltungszustand, desto höher der Preisanstieg. Als Beispiel zeigt er
uns einen Ferrari 512 BBI mit zwölf Zylindern aus den 1970er-Jahren.
900 Stück nur sind von dem Luxussportwagen gebaut worden: »Im
Moment wird der so um die 150.000 Euro gehandelt; wahrscheinlich
wird er die 200.000-Euro-Grenze relativ bald überschreiten. Es gibt einzelne Exemplare, die in einem wirklich exzellenten Zustand sind, für
die das schon bezahlt wird. Man darf nicht vergessen: Dieses Auto hat
vor fünf Jahren noch nicht mehr als 70.000 Euro gekostet.«
Mit Oldtimern ließ sich sogar besser verdienen als mit Aktien. Die
Bergfahrt des Index der »Historic Automobile Group« ist, mit einem
Hänger zwischendurch, stetig steil nach oben gegangen. Und nach
dem Finanzcrash von 2008 haben die Oldtimer Dow Jones und Co. überhaupt ordentlich abgehängt. Allein von 2009 bis heute hat sich der
Wert der exklusiven Gefährte um fast das Doppelte gesteigert.
Als Oldtimer gelten Fahrzeuge, die mindestens 30 Jahre am Blech haben. Es qualifiziert sich aber nicht jedes Auto nur allein wegen des
Alters. Konfektionsware aus der Massenfertigung, wie zum Beispiel ein
30 Jahre alter Kleinwagen, wird nicht anerkannt. Bei Oldtimern aus
den 70ern und 80ern handelt es sich zumeist um Wagen, die damals
schon Luxus waren. Noch ältere Modelle haben es da schon ein bisschen einfacher; da reicht ein hervorragender, fahrbarer Zustand. Das
älteste Modell, das bei der Ennstal-Classic mitmachte, stammte übrigens aus dem Jahr 1923.
Die Ferraris und die Porsches zählen auch bei den Oldies zu den teureren Marken. Es sind die Fahrzeuge, die die heute 40- bis 50-Jährigen
aus ihrer Kinderzeit noch aus dem berühmten Autoquartett gekannt
haben. Die Nachfrage nach der rollenden Nostalgie hat ihre Wurzeln
tatsächlich oft in der Jugendzeit der Käufer. Es ist ein Markt mit
­e iner Ware, die in den nächsten Jahren absehbar knapper wird. Mit
den großen Massenproduktionen der modernen Autoindustrie ab den
80er-Jahren wird auch die Anzahl der »besonderen Fahrzeugtypen«,
126
Autohaus Pichler in Wels: Oldtimer hui – Neuwagen pfui (Foto: H. Stasny)
die in den nächsten Jahrzehnten zu Oldtimern heranreifen können,
immer kleiner.
Oldtimer hui, Neuwagen pfui. Der Bruch zur realen Welt der neu produzierten Autos könnte größer nicht sein. Europa erlebte im Jahr
2013 eines der schlimmsten Absatzjahre seit dem Ende des Zweiten
Weltkrieges. Große Konzerne wie Renault, Citroen und auch Fiat
schrieben Milliardenverluste. Die Krise beutelte europaweit eine ganze
Industrie, wobei das Nord-Süd-Gefälle auch auf dem Automarkt ins
Auge sticht.
Für €CO analysierte Ferdinand Dudenhöffer, der Essener Professor für
Automobilwirtschaft, die Situation: »Es ist so, dass der europäische
Markt äußerst schwer ist; wir gehen davon aus, dass das in den nächsten fünf Jahren so bleiben wird. Die Eurokrise, die hat Spanien, die
hat Frankreich, die hat Italien tief in die Rezession geschickt und deshalb kämpfen Peugeot und Citroen ums Überleben. Fiat versucht mit
Chrysler das nächste Ufer zu erreichen. Ähnlich ist es mit Renault.
Also in Südeuropa, da geht es schon hoch her in den Fabriken.«
Nach zwei wirklichen Boomjahren inklusive Abwrackprämie geht in
der Zwischenzeit auch in Österreich die Zahl der neu zugelassenen
127
Wenn sechs Millionen Euro ein Rennen fahren Der Klassiker von morgen – ein Investment um 300.000 Euro BMW Z1: der fahrbare Klassiker für 30.000 Euro 128
(Foto: Bentley)
(Foto: H. Stasny)
(Foto: BMW)
Die besten Anlagen, die Italien zu bieten hat 89 Jahre Geschichte für 200.000 Euro 288 GTO: eine Wertanlage im Millionenbereich (Foto: H. Stasny)
(Foto: Bentley/Dominic Fraser)
(Foto: H. Stasny)
129
In Wels stehen die Schätze im Keller (Foto: H. Stasny)
Pkw zurück. Aber was die Statistik Austria mit einem Minus von acht
bis neun Prozent ausweist, wollte uns gegenüber nur ein Autohaus im
oberösterreichischen Wels bestätigen. Dort werden italienische Marken
vertrieben und erst dort berichtet Seniorchef Horst Pichler von ruinösen Rabattschlachten im Neuwagensegment: »Der Autoverkauf als
solches ist zusehends schwieriger geworden. Und was wirklich zu sagen ist: Es ist uns nicht gelungen, die Überkapazitäten ordentlich zu
verkaufen. Heute wird vorrangig über Preisrabatte, über Lockangebote
Ware in den Markt gepresst. Schauen sie sich nur an wie die Händler
einander konkurrieren.«
Nicht verkaufte Überkapazitäten – das geht auf Kosten der überlebenswichtigen Auslastung der Fahrzeugindustrie. Nur die Musterknaben
Deutschland und England können ihre Automobilwerke auslasten: die
Bundesrepublik mit 6,6 Millionen produzierten Fahrzeugen und das
Vereinigte Königreich mit 1,9 Millionen. Das ist ein Auslastungsgrad
der vorhandenen Kapazitäten von fast 85 Prozent. Just zum
Jahreswechsel 2013/2014 mussten die Fabriken in Deutschland sogar
wieder Sonderschichten einlegen. Wobei klar sein muss: Auch für die
deutschen Edelmarken BMW, Mercedes, Porsche und Audi stagniert der
Absatz in Europa; nur die exorbitanten Zuwachsraten auf dem asiatischen Markt treiben hierzulande noch die Fließbänder an.
130
Ansonsten war es aber schon duster in Europa. Spanien baute 2,9
Millionen Autos, das waren 75 Prozent Auslastung; ebenfalls 2,9
Millionen kamen aus Frankreich (72% Auslastung). Russland schaffte
mit 3,6 Millionen Fahrzeugen nur 61 Prozent Auslastung. Schlusslicht
war wieder einmal Italien: 1,3 Millionen Pkw, das bedeutete eine ruinöse Quote von nur 55 Prozent Auslastung.
Für Ferdinand Dudenhöffer verhießen diese
Katastrophenziffern »finstere Aussichten
Schlechte Aussichten
f ü r Job s « u nd ga n z e Fa br i ke n: »D i e
für Jobs und Fabriken
Automobilhersteller in Südeuropa schreiben
große Verluste. Fehlende Kapazitätsauslastung bedeuten sofort rote
Zahlen. Man bräuchte 90 oder wenigstens 85 Prozent – durchgehend.
Das haben sie nicht. Das heißt: In den nächsten Jahren wird es echte
Fabriksschließungen geben. Das ist bereits auf dem Weg, es wird zum
Teil schon umgesetzt und dann man muss schauen, wie man mit zusätzlicher Produktion, die bei Fiat zum Beispiel aus den USA kommen kann, die bei Renault zum Beispiel von Nissan kommen kann, die
Situation in Europa überbrückt.«
Für Fiat-Verkäufer Horst Pichler waren das keine guten Nachrichten.
Probleme beim Hersteller in Italien bedeuten auch Probleme beim
Verkäufer in Wels. Ohnehin geht es den kleinen Autohäusern hierzulande seit Jahren immer schlechter. Zu dominant ist die Konkurrenz
der großen Firmen wie Peugeot oder Renault.
Davon ist auch der Familienbetrieb in Wels betroffen, dabei gibt es dort
immerhin noch Geschäftsfelder, die, dank betuchter Stammkunden,
zusätzlichen Umsatz bringen. So repariert und wartet Horst Pichler
Luxussportwagen, bevorzugt die aus dem Hause – der Betrieb bleibt
italophil: Ferrari.
Die größte Freude bereitet Horst Pichler die Werkstattarbeit, die
im Keller des Autohauses verrichtet wird. Dort erhalten historische Rennwagen von ganz privilegierten Kunden ihren Service. Vom
»Formel-II-Boliden« aus den 70ern bis zum Fiat Abarth aus den 60ern,
durchwegs handelt es sich um Oldtimer, die schon in ihrer Zeit nicht
nur für die schnöde Straße allein bestimmt waren.
131
Für die Sammler von Luxusautos für die Rennpiste gilt Horst Pichler
übrigens seit Jahrzehnten als erste Adresse in Österreich – vor allem
auch, wenn es um Wartung und Reparatur geht. Die fast schon mu­
sealen Boliden in seinem Keller bezeichnet er liebevoll auch als »meine
Kinder«. Verdienen kann er an den Spezialaufträgen angeblich nicht
viel, Aufwand und Arbeitszeit liegen meist weit über dem, was verrechnet werden kann.
Für Horst Pichler zählen bei dieser Arbeit aber ohnehin ganz andere
Werte. Auch er hat von den Wertsteigerungen auf dem Oldtimer-Markt
profitiert. »Es hat in den letzten zwei Jahrzehnten einen regelrechten Boom gegeben; die Nachfrage nach solchen Fahrzeugen war enorm.
Bestimmte Typen werden wie Kunstwerke gehandelt; sie haben astronomische Wertzuwächse erfahren.«
Freilich: Einen Oldtimer kann man nicht einfach vor die Haustür stellen. Garage und Wartung erfordern einen echten Aufwand, abhängig auch davon, wie oft das Gefährt bewegt werden muss. Auch das
Herstellen der Mobilität ist bei den Nostalgie-Autos teurer als bei den
Alltagsgefährten.
»Es ist auf alle Fälle so, dass man sich überlegen muss, was will man
eigentlich mit einem solchen Fahrzeug machen. Will man es nur ein
bisschen hegen und pflegen oder will man längere Touren machen, also
zum Beispiel auf Urlaub fahren, mit Frau oder Freundin runter in die
Toskana in einem schönen Alfa Romeo Cabrio. Also: Wieviele Kilometer
fahre ich im Jahr? Das ist schon ein Thema. Ein paar tausend Euro sind
es sicher im Jahr, die so ein Auto verschlingt«, berichtet Horst Pichler.
Es ist also auch ein bisschen Liebhaberei, die man sich in der Zeit nach
dem Ankauf noch leisten können muss. Erst recht, wenn man sich mit
seinem Oldtimer auch gerne auf der Straße sehen lässt.
Andererseits: Es steigt die Anzahl jener Käufer, die die teuren
Fahrzeuge gar nicht in den Straßenverkehr lassen, sondern in trockenen Lagerhallen wegsperren. Der Boom der »motorisierten Nostalgie«
hat ganz schnöde Ursachen. Bei Zinsentiefstand und anhaltender
Unsicherheit über den Euro werden die »guten, alten Werte« auf vier
Rädern wieder entdeckt …
132
Fünf Todsünden, die
Anleger arm machen
von Katinka Nowotny
Wer beim Geldanlegen vom großen Reichtum träumt, erlebt
oft ein bitteres Erwachen. Gerade Kleinanleger begehen aus
Unwissenheit und manchmal aus Gier klassische Fehler, die am
Ende oft in hohen Verlusten münden. Mit etwas Vorsicht und
Verstand lassen sich die größten Schnitzer aber vermeiden.
Dieses Jahrbuch sagt Ihnen wie.
Tausende Kleinanleger auch in Österreich haben im Zuge der
Finanzkrise von 2008 Geld verloren. Einiges davon wäre vermeidbar
gewesen. Wenn alle Börsen in den Keller stürzen, dann ist jeder, der
nicht nur in Sparbücher investiert, direkt betroffen. Das gilt für große
Hedgefonds-Manager genauso wie für Anleger mit ein paar tausend
Euro.
Aber während die meisten Großen sich inzwischen wieder auf der
Gewinnschiene finden, sind viele Kleinanleger auf ihren Verlusten
sitzen geblieben. Schuld an ihrem Unglück waren aber nicht nur
Gebot Nummer 1: Du sollst nicht einem Berater blind vertrauen (Foto: Andrey Popov)
133
»die unberechenbaren Märkte«, manchmal war es auch das eigene
Verhalten. Sie hatten strategische Fehler gemacht, waren Hochstaplern
und Betrügern auf den Leim gegangen und sie hatten sich bei ­ihren
Entscheidungen vom Reiz des Geldverdienens und nicht von der
Vernunft leiten lassen.
Aus der Vielzahl von Irrtümern, die Amateure auf dem Finanzmarkt
begehen, lassen sich einige Grundmuster herausfiltern. Es sind die
»Todsünden der Kleinanleger« – und davon gibt es mindestens fünf.
Wer zu einem erfahrenen Arzt geht, kann
meist damit rechnen, gut beraten und behandelt zu werden. Auch einem etablierten
Autohändler kann man zutrauen, dass er
dem Kunden das passende Auto verkauft. Nur beim Preis hat er andere
Interessen als der Käufer, aber das lässt sich ausverhandeln.
1. Du sollst nicht einem
Berater blind vertrauen
Anders ist es bei Geldanlagen. Hier sind Interessenkonflikte vorprogrammiert. Berater – egal ob in großen Banken, kleinen Firmen oder
gar ganz Unabhängige – verdienen an den Provisionen des Produktes,
das sie verkaufen. Und die sind oft dann besonders hoch, wenn die
Renditeaussichten niedrig oder das Risiko beträchtlich ist – also der
Kunde eigentlich die Finger davon lassen sollte. Doch das weiß dieser
nicht immer im Vorhinein. Was immer also als Erstes angeboten wird,
gehört daher zunächst einmal hinterfragt.
Banken wollen vor allem ihre hauseigenen Fonds vermarkten – die
sind überdies den Beratern geläufig und gut bekannt. Selbstständige
Vermittler wiederum haben of t Vereinbarungen mit einzelnen
Anbietern, die ihnen besonders hohe Provisionen bezahlen. So wurden übrigens einst die Risikopapiere der »Immofinanz« und der
»Meinl European Land« (MEL) an Anleger verkauft, die eigentlich nur
Sicherheit wollten.
Ein guter Berater ergründet im Gespräch die gesamte Finanzsituation
des Ku nden, er f r ag t z uers t s e i ne Bedü r f n i s s e u nd s e i ne
Risikobereitschaft und schnürt dann ein kostengünstiges Paket. Doch
das kostet viel Zeit und bringt kurzfristig oft keinen hohen Verdienst.
134
Sinnvoll sind daher oft Vereinbarungen, bei denen der Berater
für seine Zeit eine Pauschalgebühr bezahlt bekommt und keine
Provisionen kassiert. Das will übrigens auch die EU. Und grundsätzlich
sollte man mit mehreren Beratern sprechen und genau hinhören, wer
die besten Fragen stellt.
Gefährlich ist es auch, heißen »Trends« hinterherzulaufen. Was in der
Zeitung steht oder am Stammtisch besprochen wird, ist meist bereits
gelaufen. Wer dann noch aufspringt, kann viel verlieren, warnt Peter
Fuchsberger von der »Schoellerbank«; »Wer so einem Trend hinterher
hechelt, verhält sich wie ein Autofahrer, der nur in den Rückspiegel
schaut. Dann sieht man die Gefahren, die vor einem liegen, nicht.«
Jeder Anleger träumt davon, mit
wenig Risiko einen möglichst ho- 2. Du sollst nicht die Risiken
hen Gewinn zu erzielen. Doch das aus den Augen verlieren
ist e­ igentlich unmöglich. Höhere
Renditen ergeben sich immer aus größeren Risiken, auch wenn die
nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Wer das Risiko übersieht,
kann zwar oft einige Jahre gut fahren – vor allem in einer Boomphase
–, erlebt dann aber ein böses Erwachen.
»In meiner Praxis als Gerichtsgutachter erlebe ich immer wieder, dass
sich Kleinanleger von einer Meinung oder einem Berater beeinflussen lassen, ihm blind vertrauen und nicht hinterfragen: Wie kann so
viel Rendite mit null oder so wenig Risiko einhergehen?« berichtet
Susanne Lederer, eine Sachverständige für das Bankwesen. »Bei meinen Gutachten wird meist das Risiko zum springenden Punkt – jenes
Risiko, das dem Investor nicht bewusst war.«
Das spricht nicht gegen Risiken – im Gegenteil. Wer mehr verdienen
will als der Durchschnitt, der muss sich auch etwas trauen. Aber das
funktioniert nur dann, wenn man finanziell und emotional in der
Lage ist, auch Verluste zu verkraften. Wer dies nicht kann, verliert
besonders viel. Denn dann verkauft man in Panik, wenn der Markt
auf dem Tiefpunkt angelangt ist – und hat nichts davon, sollten sich
die Papiere wieder erholen. Coolness und Gelassenheit sind in diesem
Geschäft immer wichtig.
135
Und Geldanlagen, die Gewinne ohne Risiko versprechen, sind meist
besonders gefährlich, weil sie auf Lug und Trug aufbauen. In krassen
Fällen stehen sogar Pyramidenspiele dahinter – also »Investments«,
bei denen der Anbieter die versprochenen Renditen aus jenen Mitteln
finanziert, die spätere Anleger einzahlen. Die Letzten gehen dann irgendwann leer aus. Das war das Modell, mit dem US-Finanzjongleur
Bernie Madoff Milliarden von seinen Kunden abzockte.
Wie lässt sich eigentlich die Qualität von
Finanzprodukten bewerten, wenn sich die
3. Du sollst nicht
Zukunft nicht voraussehen lässt? Experten
Kosten unterschätzen
raten z u e i ner e i n f ac hen Ü bu ng: D ie
Entwicklung eines Fonds oder eines Zertifikates ist immer unberechenbar und die vergangene Performance sagt nichts über die Zukunft
aus. Aber eines lässt sich immer exakt errechnen: die Kosten, die offenen und die versteckten.
Anleger sollen daher vor allem darauf schauen, dass sie möglichst wenig Gebühren und Aufschläge berappen müssen und auch die etwaige
Rendite nicht von versteckten Transaktions- und Verwaltungskosten
aufgefressen wird. Ein oder zwei Prozent klingen zwar nicht viel, machen aber oft den Unterschied zwischen einer guten und einer mittelmäßigen Rendite aus – oder gar zwischen Gewinn und Verlust.
Ein typischer Fehler ist etwa, bei Lebensversicherungen die Prämie
monatlich zu bezahlen statt einmal im Jahr. Der so genannte
»Unterjährigkeitsaufschlag« kann zwei bis fünf Prozent ausmachen,
erzählt Gabi Kreindl vom Verein für Konsumenteninformation. Und anoder ersparen tut man sich dann fast nichts.
Wie lassen sich Kosten senken? Mit Banken lässt sich über
Fondsaufschläge, Depotgebühren und andere Kosten verhandeln.
»Wenn ich nur die Hälfte vom dem zahle, was im Prospekt verlangt
wird, kann ich mir beim Fondssparen über Laufzeit zusätzlich viel
Geld ersparen«, sagt Gutachterin Susanne Lederer.
Standardprodukte sind oft billiger als innovative und komplizierte
Anlageformen, auch wenn sie weniger attraktiv klingen. Indexfonds,
136
Handeln mit Aktien: nicht die Risiken aus den Augen verlieren (Foto: Ismagilov)
die nur einen Börsenindex abbilden, sind günstiger als gemanagte
Fonds – und meist genauso erfolgreich.
Das teuerste Vergnügen ist das kurzfristige Handeln mit Wertpapieren,
denn da summieren sich die Kosten. »Es gibt das Sprichwort: Hin
und her macht Taschen leer«, erklärt Peter Fuchsberger von der
»Schöllerbank«. »Wenn ich eine einmal getroffene Entscheidung nach
kurzer Zeit wieder revidiere und etwas anderes mache und das dann
wieder über Bord werfe – da entstehen zuallererst Gebühren und die
Wahrscheinlichkeit, dass man damit Erfolg hat, ist sehr gering.« Die
günstigste Strategie ist daher, Geld einmal klug anzulegen und dann
möglichst lange liegen zu lassen.
»Diversifizierung« ist das wichtigste Rezept
für eine erfolgreiche Geldanlage. Aus heuti- 4. Du sollst nicht alles
ger Sicht wäre es natürlich gut gewesen, Ende auf ein Pferd setzen
der neunziger Jahre sein Vermögen in AppleAktien zu investieren. Aber das konnte damals niemand wissen. Wer
andererseits alles in Nokia investiert hätte, würde heute arm aussehen.
Das Beste ist es daher, das Risiko zwar zu suchen, weil es höhere
Renditen ermöglicht, aber möglichst breit zu streuen. Wenn ein Papier
137
stark fällt, dann kann man zumindest darauf hoffen, dass sich andere
besser entwickeln.
Ein gutes Portefeuille für Kleinanleger sieht daher einen Mix von
Sparbuch, Anleihen und Aktien vor – und das möglichst mit Fonds,
weil die eine breite Streuung zu relativ geringen Kosten ermöglichen.
Andreas Toifl von der Raiffeisenbank Wien-Niederösterreich empfiehlt seinen Kleinanlegern höchstens 20 Prozent Risiko. »Bei einem
Großanlager, der langfristig veranlagt, kann das Risiko aber schon bis
zu 40 oder gar 60 Prozent gehen«, sagt er.
Mit einem Teil seines Geldes kann man auch so richtig zocken – aber
nur, wenn man das Geld nicht wirklich braucht. Wer weiß, vielleicht
wird dabei ein persönlicher Traum wahr. Aber der Albtraum eines
Totalverlustes muss auch verkraftbar sein.
Das Schlimmste, was Kleinanleger tun können, ist auf Pump mit Risiko zu investieren.
Wer sein eigenes Geld verliert, steht »nur«
mit leeren Taschen da. »Aber einen Kredit
muss ich zurückzahlen«, sagt Lederer. »Zusätzlich zum Verlust kommt
der Kreditgeber und fordert sein Geld zurück. Und das habe ich ja
nicht, sonst hätte ich mir ja keinen Kredit aufgenommen.«
5. Du sollst nicht zum
Kredit greifen
Natürlich klingt es verlockend, ohne großen eigenen Einsatz auf
dem Finanzmarkt Geld zu verdienen. Und wer von einer tollen
Investmentchance hört, aber das Geld dafür nicht hat, ist rasch
versucht, sich die Mittel dafür auszuborgen. Schließlich kann man
sie ja mit den späteren Gewinnen leicht zurückzahlen. Nur: Es gibt
auf der Welt aber keinen so todsicheren Tipp, dass man dafür einen
Privatkonkurs riskieren sollte. Und ein solcher steht aber immer im
Raum. Investieren auf Kredit ist daher ein absolutes »no go«.
Wer diese fünf Todsünden meidet, wird vielleicht nicht so reich wie
andere; aber er vermeidet schlimme Verluste und kann immer gut
schlafen.
138
»Intelligent drive« – nur: Wer
will »selbstfahrende Autos«?
von Angelika Ahrens
Hybrid oder nicht Hybrid – das ist nicht mehr die Frage. Die
Frage lautet: Fährt Ihr Auto in Zukunft selbst? Vielleicht gar
schon Ihr nächstes Auto? Sodass Sie für andere Dinge wie etwa
Telefonieren oder gar Internet-Recherchieren mehr Zeit haben?
Was wie Science-Fiction klingt, ist vor wenigen Monaten bereits
relativ erfolgreich getestet worden.
Die Hände des Fahrers ruhen auf den Oberschenkeln. Auf dem
Armaturenbrett bewegt sich eine Zusatzkamera, in der Mittelkonsole
fällt ein großer roter Knopf auf. »Not-Aus« steht unter ihm zu lesen. Das
Lenkrad bewegt sich wie von Geisterhand. Das Gefährt rollt in normalem Tempo über die Landstraße. Das ist keine Szene aus einem neuen
Hollywood-Film. Das sind Bilder von Daimlers Testfahrten mit dem
selbstfahrenden Auto.
Der deutsche Autohersteller will seiner Kundschaft bis zum Jahr 2020
selbstfahrende Autos anbieten. Und der Erste sein, der solche Automobile
serienmäßig auf den Markt bringt. Im Fokus steht dabei das so genannte
»hoch automatisierte Fahren«. Das heißt auf gut Deutsch: dass der
Wagen und seine Bordelektronik zahlreiche Verkehrssituationen allein
bewältigen könnte. Beispiele: das Fahren auf der Autobahn oder das
»stop and go« im Stau.
Schon bei der Präsentation der neuen S-Klasse hatte Daimler ein System
vorgestellt, das den Wagen bis Tempo 30 selbstständig durch einen Stau
lenken konnte. Mit einer modifizierten S-Klasse fuhren die Entwickler
auf der historischen Route der ersten Langstreckenfahrt von Bertha
Benz von Mannheim nach Pforzheim – ohne Chauffeur. Die Arbeit des
Fahrers übernahmen Kameras, Radarsensoren und natürlich jede Menge
Rechenpower.
Auf Zuruf »vorfahren lassen« – wie »KITT« aus der Fernsehserie »Knight
Rider« in den 1980er-Jahren – das wird noch ein bisschen auf sich
139
Autos, die selbst fahren: auch Google will einsteigen (Foto: Steve Jurvetson)
warten lassen. Aber auf der Autobahn »gleiten« oder im Stau »mitschwimmen« – das jedoch könnte schon in einigen Jahren ein Autopilot
übernehmen, heißt es bei Daimler. Bei komplexen Situationen, wie an
der ungeregelten Kreuzung oder im Stadtverkehr mit Fußgängern oder
Radfahrern, da gibt es für den Autopiloten freilich noch eindeutig
Grenzen. Der Fahrer muss nach wie vor selbst lenken.
Ähnliches spielt sich seit geraumer Zeit im Flugverkehr ab. Start- und
Landemanöver müssen auch die Piloten übernehmen. Nur: Der japanische Autohersteller Nissan hat im alten Jahr noch angekündigt, ebenfalls bis zum Jahr 2020 ein Auto auf den Markt zu bringen, das komplett
computergesteuert fahren kann. Das bestätigte Nissan-Chef Andy
Palmer auch auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt.
»Natürlich werden Sie Ihre 85-jährige Mutter oder Ihre 15-jährige Tochter
auf die Rückbank setzen und ein Ziel einprogrammieren können und
der Wagen bringt sie vollkommen selbstständig und sicher dorthin und
auch wieder zurück.«
Die wahre Stärke solcher Assistenzsysteme werde oft verkannt, monierte
Palmer. Es gehe nicht darum, den Fahrer zu entmündigen, sondern um
»eine Erweiterung der Möglichkeiten«, wurde er im »Handelsblatt«
zitiert. In der Vision von Nissan sieht das so aus: Das System kann
140
natürlich auch passiv bleiben, sammelt aber permanent Umgebungsdaten
und wertet diese aus. Laut Palmer geschieht das »zehnmal schneller, als
ein Mensch dies könnte«. Erkennt das System einen nahenden Unfall
und hält es die Reaktion des Fahrers für nicht angemessen, übernimmt
es sogar kurzzeitig die Kontrolle über das Fahrzeug. Die elektronischen
Helfer »kennen keine Müdigkeit, sind nicht zerstreut und haben auch
keine Schrecksekunde«, heißt es weiter. Bedenken an der Zuverlässigkeit
und Zweifel vor allem an der Akzeptanz bei den Autokäufern haben
­weder Nissan noch Daimler.
Sind »selbstfahrende Autos« also unausweichlich für den Lenker von
morgen? Daimler und Nissan sind nicht die einzigen Autobauer, die eine
klare Vision vom »autonomen und unfallfreien Fahren« haben. Alle großen Hersteller wie BMW, Audi oder der US-Elektro-Auto-Hersteller Tesla
arbeiten daran, das Fahren »unabhängig vom Menschen sicherer und
bequemer« zu machen«.
Und nicht nur die traditionellen Autohersteller setzen darauf. Der USInternetkonzern Google testet bereits seit Jahren seine Version eines
selbstfahrenden Autos. Die Testgefährte kurven mit ihren radarähnlichen Aufbauten seit geraumer Zeit schon durch die Straßen der USBundesstaaten Kalifornien und Nevada. Seit Google-Street-View sieht das
nicht mehr ganz so ungewohnt aus – nun werden die »gewonnenen«
Bilder der Umgebung jedoch gleich in der Bordelektronik verarbeitet.
Google schwebt vor allem ein Robotertaxi vor, das seine Fahrgäste automatisch einsammelt und ans Ziel bringt.
Willkommen also in der automobilen Zukunft! Daimler jedenfalls will
sich mit dem selbstfahrenden Auto »den Spitzenplatz in der Oberklasse«
sichern. Doch noch steckt der Kofferraum voller Computer, ist nicht einmal Platz für ein Kosmetiktäschchen. Das heißt, es muss sich vor allem
in der Bordelektronik noch etwas tun. Und natürlich in der Frage der
Absturzsicherheit der Computersysteme. Ein blauer Bildschirm mit dem
lapidaren Text »Fatal error ... Bitte wenden Sie sich an den Hersteller«
macht sich bei Tempo 130 auf der Autobahn nicht so gut.
Wenn diese Probleme gelöst sind, kommen die wirklichen: Was kostet
ein selbstfahrendes Auto? Und überhaupt: Wer will eines »fahren« …? 141
Große Worte –
meist sogar richtige
gesammelt von Günther Kogler
»Mir ist nichts peinlich!«
Das wäre einem größeren Publikum auch aufgefallen, Herr Stronach.
»Es gibt keinen Genierer in der österreichischen Politik.«
»Standard«-Herausgeber Oscar Bronner ärgert sich über die vielen
Regierungsinserate in den Boulevardmedien.
»Die Pensionen sind sicher. Aus. Ende.«
Die Seniorenvertreter Karl Blecha (SPÖ) und Andres Khol (ÖVP)
verlassen sich, ohne sie zu fragen, auf die Steuerzahler.
»Man kann es auf eine sehr einfache Formel bringen: Der Wähler
ist ein Trottel.«
Alt-Landesrat Gerhard Hirschmann (ÖVP) ist mit einigen
Wahlergebnissen unzufrieden.
»Wir werden aufsandeln.«
Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) versucht, seinen
Parteikollegen und Ex-Chef Christoph Leitl aus der Schusslinie zu
nehmen.
»Die Mariahilfer Straße ist bereits nach wenigen Wochen ein
Erfolg.«
Wiens Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne) weiß nicht, wo
die MaHü liegt.
»Welchen Teil des Wortes ,Gift‘ haben Sie nicht verstanden?«
Die »Grünen«-Chefin Eva Glawischnig erteilt Bienen-»Mörder« Nikolaus
Berlakovich (ÖVP) Nachhilfeunterricht.
»Arbeitsuche ist Arbeit.«
AMS-Chef Johannes Kopf kennt sich aus.
142
Neue »Shopping-Welt« –
gebummelt wird »online«
von Sabina Riedl
Der klassische Handel, der sprichwörtliche Laden um die Ecke,
muss um seine Existenz zittern – nicht mehr und nicht weniger.
»Online«-Shopping, das Bummeln in den Schaufensterläden der
virtuellen Welt, greift nicht nur rascher um sich als angenommen. Viele Branchen sind drauf und dran, von der so genannten E-Commerce »kannibalisiert« zu werden – so umschreibt
die Wirtschaftswelt folgenden Vorgang: Eine neue Geschäftsidee
frisst eine alte Geschäftsidee auf. Restlos.
Ru nd neu n M i ll i a rden Eu ro, al s o z i rk a 16 P roz ent i h rer
Konsumausgaben, geben die Österreicher bereits im Internet aus. Die
Zahl derer, die »online« shoppen, hält bereits bei 50 Prozent; bei
den 24- bis 35-Jährigen sind es sogar schon 70 Prozent. Während die
Branchen Buchhandel und Elektronik bisher am meisten Marktanteile
an Amazon und Co. verloren haben, bricht der Online-Handel derzeit
in die Mode- und in die Möbelbranche ein; momentan verzeichnet die
virtuelle Geschäftswelt in diesen Branchen ihre größten Zuwachsraten.
Die Wirtschaftskammer hat aus Sorge um die realen heimischen
Betriebe das Programm »Handel goes www« ins Leben gerufen; es soll
Geschäftsleute anleiten, wie man selbst einen tollen Web-Auftritt hinlegt, wie man es schafft, aus der Masse hervorzustechen anstatt in
den unendlichen Weiten des Internet unterzugehen. Das Drohpotenzial
ist überbordend: Schon die Hälfte der Ausgaben, die Österreicher im
Internet tätigen, fließen an internationale Shoppingportale.
Die Revolution unseres Kaufverhaltens kam auf leisen Sohlen in die
Wohnzimmer. Das Leben des »homo digitalensis« hat sich endgültig
ins Netz verlagert – immer mehr Zeit verbringen wir am Computer,
erledigen Dinge, für die wir uns früher anziehen und auf die Straße
gehen mussten, am PC vom bequemen Sofa aus: Amtswege, die
Steuererklärung, eine Banküberweisung. Dieser Trend hat natürlich
auch längst unser Konsumverhalten erfasst und nachhaltig verändert.
143
Zeitmangel, Bequemlichkeit und unbegrenzte Angebote jenseits aller
Ladenöffnungszeiten sind »die Formel«, die den Beutezug im Internet
so unwiderstehlich macht. Es gibt ja mittlerweile auch alles bereits
»online« zu kaufen: Bücher, Elektronik, Musik, Filme, Schuhe, Kleider,
Kredite, Häuser, Goldbarren, Haustiere … die Liste ließe sich beliebig
lange fortsetzen.
Ernst Gittenberger von der »KMU Forschung
Austr
ia« ist dem Einkaufsverhalten der
Schlechte Lagen
ÖsterreicherInnen auf der Spur – im Auftrag
stehen unter Druck
der heimischen Klein- und Mittelbetriebe,
denen das »online«-Shopping zusehends das Geschäft abgräbt. Im
alten Jahr hat er eine Studie dazu veröffentlicht, die eine eher düstere Prognose für die Unternehmen alten Zuschnitts zeichnet. »Der
Internethandel wird die weniger frequentierten Lagen auch im städtischen Bereich stark unter Druck setzen«, schätzt Gittenberger. »Nur
Einkaufsagglomerationen wie die Mariahilfer Straße in Wien, der
Graben oder der Kohlmarkt werden vom Interneteinzelhandel kaum
betroffen sein, nicht zuletzt auch deshalb, weil sehr viele stationäre
Einzelhandelsketten bereits eine duale Strategie fahren – mit einem
Ladengeschäft und einem ,online‘-Handel zusätzlich.«
Das Segment, das den schlimmsten Kahlschlag hinnehmen musste,
ist laut Gittenbergers Studie der klassische Buchhandel. Sogar große
Ketten wie »Thalia« oder »Amadeus« kämpfen nach wie vor mit
Umsatzrückgängen und Marktanteilsverlusten – zusätzlich versucht
der deutsche Verlagsgigant Bertelsmann derzeit »online« Terrain zu
gewinnen.
Nur: Was tun gegen den Goliath unter den Internet-Händlern, gegen »Amazon«? Der schreibt bereits heute einen Jahresumsatz von
61 Milliarden Euro – weltweit. Dabei hat die aufgeblähte Logistik
des Paket- und Versandriesen groteske Folgen gezeitigt, die Anfang
2013 an das Licht der Öffentlichkeit kamen. Die ARD-Reportage
»Ausgeliefert! Leiharbeiter bei Amazon« bot einen unschönen Einblick
in die Geschäftsgebarung des »Online«-Zampanos: Hungerlöhne für die
meist ausländischen Paketboten, menschenunwürdige Unterkünfte,
Leiharbeit ohne soziale Sicherheit, modernes Sklaventum … die
Kehrseite der Erfolgsmedaille. Es gab monatelang hässliche Presse und
144
ein ramponiertes Image, auch der Arbeitskampf mit revoltierenden
Belegschaftsvertretern ist ebenfalls noch nicht ausgestanden – an
Amazons unumstrittenem Platz eins unter den Onlinehändlern hat der
Skandal jedoch nichts geändert.
In Österreich verdient Amazon 225 Millionen Euro im Jahr: Die
Plattform ist auch bei uns die klare Nummer eins. Das weitere Ranking
in der Alpenrepublik: Auf Platz zwei liegt der Universal Versand mit
84 Millionen, Eduscho casht knapp 44 Millionen, Conrad Elektronik
43 Millionen Euro, die Computerkette Ditech 34,6 Millionen und die
Bekleidungskette Esprit 21,3 Millionen Euro.
»Bekleidung hat in den letzten Jahren Elektronik und Bücher bei den
Ausgaben überholt«, führt Ernst Gittenberger das überraschendste
Ergebnis seiner Studie weiter aus. »Auch sehen wir einen klaren
Trend. Im Bucheinzelhandel gibt es weiterhin eine deutliche, massive
Verschiebung von den stationären Geschäften hin zu den Online-Shops.
Aber mittlerweile kann man so gut wie alles online kaufen.«
Sogar der elitäre Zirkel der Modeschöpfer samt seinen teuren
Kreationen ist – ganz demokratisch – von den großen Schauen auf
den Laufstegen von Mailand, New York oder Paris in die Niederungen
des Internets hinabgestiegen. Mittlerweile will sich auch kein
Luxus-Unternehmen mehr leisten, auf die »online«-Kundschaft –
früher hätte man in diesem Preissegment naserümpfend gesagt:
Laufkundschaft – zu verzichten.
Wer also Valentino und Co. einkaufen möchte, muss nicht mehr in
eine der teuren Nobelboutiquen pilgern und sich von hochnäsigen
Verkäuferinnen von oben herab behandeln lassen. Das geht in der
Zwischenzeit auch, ohne das Sofa zu verlassen – im Bademantel und in
Patschen. Das Onlineportal »mytheresa« ist der erste Internet-Versand
für Top-Labels von Louboutin bis Louis Vuitton. Es wurde von einer
Münchner Boutiquenbesitzerin ins Leben gerufen: 2000 Kleider (zu
­einem Stückpreis von bis zu 8000 Euro) werden täglich von Bayern aus
in die ganze Welt verschickt. Dabei ist die Kundschaft im Nahen Osten
und im asiatischen Raum jene mit der höchsten Zufriedenheit. Über 90
Prozent der georderten Edelroben werden behalten – und bezahlt. Von
145
dieser Statistik sind die deutschen Kundinnen weit entfernt. Etwa die
Hälfte der sündhaft teuren Designerkleidchen wird daheim probiert,
möglicherweise sogar einmal getragen – und wieder zurückgeschickt.
Eigentlich logisch, hat doch der InternetBekleidungshandel quasi am Wühltisch begonnen: Mit bill igen Textil ien aus dem
Versandhauskatalog. Aber heute bietet jede
größere Textilkette – Zalando oder H&M zählen da schon zu den
»ganz Großen« – ein hochpreisiges Premium-Segment samt »Online«Bestellung an. Selbstverständlich: Eine Styleberatung samt einer
Probierpuppe, die man nach Belieben an-, um- und ausziehen kann,
findet sich ebenfalls auf den Web-Seiten. Wer also keine Lust hat, sich
am Samstagnachmittag vor überfüllten Umkleidekabinen anzustellen, um in ein neues Outfit zu schlüpfen, kann am Computer gustieren,
kombinieren – und vielleicht auch zuschlagen.
Begonnen hat
alles am Wühltisch
An der Wühltisch-Mentalität der Kundinnen hat das freilich nichts geändert. Im Gegenteil: Es scheint, als würde die Anonymität des OnlineShoppings die guten Sitten des Kaufverhaltens restlos unterminieren
– vor allem den Umgang mit unbezahlter Neuware. Die Lager der großen
Bekleidungsversandhäuser wie »Otto« und »Zalando« gleichen nicht
zufällig überdimensionalen Reinigungen. Vieles, was nicht gekauft
wird, kommt – einmal getragen – wieder zurück. Dafür darf sich
die Post über das zusätzliche Geschäft freuen. Denn das, was sie im
Zeitalter von Internet und e-mail bei den Briefen an Geschäft eingebüßt hat, macht sie mit den Päckchen wett, die für die Bequemlichkeit
von Königin Kundin kreuz und quer über den Globus gekarrt werden.
Bettina Lorentschitsch, die Obfrau der Bundessparte Handel in der
Bundeswirtschaftskammer, hilft stationären Händlern beim Einstieg
in den Onlinehandel. Der birgt selbst für große Player finanzielle
Tücken. Lorentschitsch bestätigt auch, was viele längst vermuten:
dass der Online-Diskont im großen Stil ein Nullsummenspiel, manchmal sogar ein riesiges Verlustgeschäft ist. »Wenn man sich anschaut,
dass ,Zalando‘ nach wie vor rote Zahlen schreibt und auch ,Amazon‘
im letzten Jahr wieder in die Verlustzone geraten ist, zeigt sich, dass
der billige Verkauf à la longue nichts bringt«, so Lorentschitsch. »Was
146
natürlich noch dazukommt, sind die aufwändigen Marketingaktionen
dieser Unternehmen, die viel Geld kosten; andererseits sind die
Konsumenten nicht bereit, die Ware, die sie nicht wollen, zu behalten. Es werden 50 Prozent aller im Textilonlinehandel bestellten Waren
wieder zurückgeschickt. Und diese Ware ist oft nicht mehr verkäuflich
und muss günstig abverkauft werden – dennoch kommen Ausgaben
für die Reinigung, für Personal, das um- und auspackt, hinzu. Das
heißt, die Kosten im Onlinehandel sind auch für die Großen beträchtlich.« Was bleibt, ist freilich der Verdrängungswettbewerb.
Erwin Pellet betreibt in Wien ein exklusives Küchenstudio in dritter
Generation; der Siegeszug des Onlinehandels scheint auch vor seiner
Branche nicht haltzumachen. Undenkbar, dass sich jemand vor fünfzehn Jahren eine Küche im Internet bestellt hätte. Aber den neuen
Kundenwünschen muss man sich beugen und so hat auch er auf seiner
Website eine Funktion für Online-Bestellung eingerichtet. Aber es sind
weniger die Kästchen, die im Internet gekauft oder ausgesucht werden,
sondern die Geräte, die Kunden nach einiger Zeit austauschen müssen oder möchten. Auf einen eigenen Schauraum zu verzichten, wäre
für Herrn Pellet zwar eine enorme Ersparnis, aber dennoch nicht sinnvoll. Denn Oberflächen, Material und Ausarbeitung ihrer Luxusküchen
wollen die Kunden nach wie vor im Geschäft anschauen. Vielen kleinen und mittelständischen Möbelhändlern bleibt also nur die teurere
Doppelstrategie: das Geschäft mit den ausgestellten Stücken und der
persönlichen Beratung – und jenes mit dem Internetshop als Zugabe.
Dennoch sind immer mehr Einrichter ausschließlich online unterwegs –
sie sparen sich teure Mieten und Betriebskosten für große Flächen und
Lagerräume und natürlich fürs Personal. Damit können sie den stationären Handel preislich unterbieten und neue Kunden anlocken – die
Schar der Geiz-ist-geil-Gesellschaft wächst, erst recht in Zeiten der
Wirtschaftskrise.
Die Psychologie der Online-Schnäppchenjagd ist also nicht zu unterschätzen. Eigenmächtig, ohne fremde Einflussnahme eine ganze
Kaskade von Leistungen auszulösen, vom Preisvergleich über das
Aussuchen der Ware, der Bestimmung der Zahlungsmodalität –
Kreditkarte, Ratenzahlung oder Paypal – bis hin zur Versandart,
147
hinterlässt offenbar in den Gehirnen der ehemals steinzeitlichen Jäger
und Sammler eine tiefe Befriedigung – und die User mehren sich.
2006 kauften 1,8 Millionen Österreicher im Netz, 2010 waren es bereits 2,5 Millionen und 2013 sollen es gar 3,3 Millionen sein. Nur
noch 17 Prozent tun es noch gar nicht, weiß Andreas Pamberger
vom Unternehmensberater »Price Waterhouse Coopers« zu berichten. Und an die wollen die großen Multi-Channel-Retailer noch herankommen – so heißen im Jargon jene Ketten, die den Kunden die
Kombination aus Läden und Internet-Service bieten. »Es ist einer unserer Mythen«, so Pamberger, »dass der lokale Einzelhandel immer
einen Vorteil gegenüber dem internationalen hat, weil er angeblich
die lokalen Gegebenheiten kennt, weil er in den Markt eingebettet
ist. Das sehen wir nicht so. Es besteht für den lokalen Einzelhandel
nach wie vor eine große Gefahr durch die großen, global agierenden
Multi-Channel-Retailer.«
Ein österreichisches Startup verdient zum Abschluss noch Erwähnung
– nicht nur, weil es so kolossal erfolgreich war, sondern auch, weil sein
Erfinder den umgekehrten Weg gegangen ist. Gerfried Schuller war zuerst »online« – und dann folgte eine Ladenkette. »Blue Tomato« in der
Wiener Neubaugasse verkauft Snowboards, Skater- und Surfer-Mode,
angesagte Kultlabels und trendige Accessiores für eine junge, hippe
Käuferschar. Lifestyle und Adrenalin gibt’s inklusive – an den Wänden
beeindrucken Hochglanz-Videos auf riesigen Flachbildschirmen, auf
denen Snowboard-Stunts in Superzeitlupe zu bewundern sind. Der
ehemalige Schladminger Snowboard-Europameister Gerfried Schuller
hatte seine Leidenschaft zum Beruf erkoren – und aus einem winzigen Internet-Handel für Snowboard-Bedarf, den er von Schladming aus
betrieb, einen Weltkonzern gemacht. Bereits Mitte der neunziger Jahre
war sein Online-Shop ein Welterfolg.
Das Pferd von hinten aufzuzäumen erwies sich in diesem einen Fall als
Glücksgriff. 2012 klingelte die Kasse – der Schladminger SnowboardCrack verkaufte seinen Shop mit der blauen Tomate im Logo an den
zweitgrößten US-Sportartikelhändler um kolportierte 82 Millionen
Euro. Ein Traumlauf, der beweist, dass man höchst erfolgreich auf der
Internetwelle surfen kann – ohne von ihr verschlungen zu werden.
148
Von der Musicalbühne ins
Fitnessstudio: Schwitzen für Geld
von Hans Wu
Der Markt der Fitnessstudios boomt. Dabei gibt sich der Kunde
von heute schon lang nicht mehr mit den einfachen »MuckiBuden« zufrieden. Das Angebot an Fitness zum Antrainieren
ist differenzierter als je zuvor. Luxusclubs konkurrieren mit
Billiganbietern, aber auch diverse Spezialanbieter erfreuen sich
über Zuwachs. Für den Fitness-Markttest engagierte €CO eine
»natürlich blonde« Expertin.
Auch für die Muse der leichtesten Art interessiert sich €CO im vergangenen Jahr. Die ORF-Wirtschaftsredaktion besucht das Wiener
Ronacher-Theater. Dort lief 2013 das Musical »Natürlich blond«, ein
Bühnenremake des gleichnamigen Hollywood-Films, in dem von der
Wandlung eines oberflächlichen It-Girls zu einer Harvardjuristin erzählt wird.
Der Kritik gefiel diese Erfolgsstory weniger; für sie war die Darbietung
wenig schmeichelhaft »ein Musical als Blondinenwitz«. Die künstlerische Bewertung überließ €CO gerne den Kollegen vom Fach; wir interessierten uns vor allem für die Schauspielerin Linda Geider. Die
31-jährige Wienerin spielte in einer Nebenrolle die »Fitness Queen«
– und deswegen bekam sie bei uns die Hauptrolle in unserem Bericht
über Fitness-Clubs.
In ihrer Rolle als Fitnesstrainerin verwandelte sie die Bühne in eine
Turnhalle. Beeindruckend das Multitasking der Darstellerin: Spielen,
Singen und Schnurspringen. Doch – und das war für uns die entscheidende Frage – wie hält Linda Geider sich fit, in der vorstellungsfreien
Zeit? Und wieviel wäre sie dafür bereit zu zahlen? Unser Celebrity
hatte hier ganz klare finanzielle Vorstellungen: »Ich würde den guten Mittelweg gehen: Ich würde sagen, ich gebe gerne 50 Euro aus. Ich
muss aber auch nicht 50 Euro ausgeben, wenn es ein Fitnesscenter
gibt, das mir die gleichen Möglichkeiten bietet für 20 Euro; dann
nehme ich das.«
149
Schwitzen für Geld: hier kann man sich richtig quälen (Foto: kennejima)
Mit unserer Testkundin begaben wir uns runter von der Showbühne
und hinaus ins richtige Leben der zahlenden Fitnesskonsumenten. Auf
eine Tour durch die aktuellen Angebote für die freiwillige körperliche Anstrengung. Für unsere erste Station musste Linda Geider dann
auch schon einmal mehr ausgeben, als die budgetierten 50 Euro im
Monat. Der »Holmes Place« ist ein so genannter Premiumanbieter im
teuren ersten Wiener Bezirk. Rund 90 Mitarbeiter sorgen hier für Kraft,
Ausdauer, Bewegung und Wellness der zahlenden Kundschaft.
Betreuung, die sich der Anbieter etwas kosten lässt: 113 Euro beträgt hier die niedrigste Monatsgebühr. Unsere »Natürlich-blond«Vorturnerin entschied sich darüber hinaus für ein »Personal Training«.
Bei den finanzstarken Mitgliedern sei dies besonders gefragt, berichtet man uns. Trotz der 60 Euro pro Stunde – dem Preis einer
Automechaniker-Meisterstunde im Mittelklasse-Segment, die als
Gebühr zusätzlich berappt werden muss.
Am anderen Ende der Preisskala stehen die Diskontanbieter, die hierzulande seit Jahren den klassischen Anbietern das Leben schwer machen.
Beim österreichischen Anbieter »FITINN« kostet der Monatsbeitrag
19,90. Das Motto »Weg mit dem Speck« hat hier doppelte Bedeutung.
Im Gegensatz zu den teuren Premiumanbietern macht sich hier die
150
Betreuung aber auch eher rar. Der Kunde sollte hier am besten schon
selbst wissen, was er an Hantelbänken und Kraftmaschinen so zu verrichten hat.
Für unseren sportlichen Musicalstar war dies beim Probetraining natürlich kein Problem. Ungewohnt waren für sie die kleinen Extras, für
die beim Diskonter, der knappen Kalkulation wegen, extra gezahlt
werden muss: Getränke, die Benutzung der Waage und das Duschen.
Bei Letzterem geht es weniger um die paar Euro, die zusätzlich verdient werden können, sondern um die Ersparnis beim Verbrauch von
Wasser und Wärme, erfuhren wir. Und: »Viele Kunden« würden das
Duschangebot »ohnehin nicht in Anspruch nehmen«.
Wie sich der Markt aufteilt, erzählte uns Gerhard Span, seines Zeichen
Obmann des Fachverbands für Fitnessbetriebe: »Wir müssen grundsätzlich in der Fitnessbranche drei verschiedene Unternehmergruppen
unterscheiden. Das eine ist natürlich der stark wachsende Billigmarkt,
mit 19,90 oder 20 Euro. Dann hab ich den Mittelbau, das sind meistens
die Studios um die 60 Euro, und dann die wirklich exklusiven Anlagen,
so um die und über hundert Euro.«
Insgesamt wollte der Herr Obmann zufrieden sein: 600.000 Mitglieder
waren im Vorjahr in den heimischen Fitnessclubs eingeschrieben, um
fünf Prozent mehr als 2012. Auch die Anzahl der Clubs ist gewachsen:
um 30 Prozent, auf 869 Standorte. Zusammen wird ein Umsatz von 337
Millionen im Jahr erwirtschaftet. »Wirtschaftlich ist aber zu sagen,
dass in den letzten fünf Jahren der pro Mitglied zu erzielende Umsatz
um etwa vier bis fünf Prozent gesunken ist; das ist natürlich die
Konsequenz des aufstrebenden Billigmarktes«, erklärte Gerard Span.
Teurer als die Billiganbieter, aber günstiger als die Nobelclubs tritt das
Kieser-Training auf dem Markt auf. Erfunden wurde das vom Schweizer
Werner Kieser. Im Grunde handelt es sich um ein Krafttraining mit
ganz speziellen Fitnessgeräten. Ab 37,90 wird man in die eidgenössisch nüchtern gehaltenen Trainingshallen hinein gelassen. Hier wird
das moderne »Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper« propagiert, verwirklicht in einem schlauen Businesskonzept. Gezieltes
Krafttraining in einem medizinischen Kontext soll die Mitglieder
151
gesund und funktionsfähig für die Erfordernisse der modernen
Leistungsgesellschaft halten.
Bei der letzten Station unserer Tour durch die Fitnessszene konnte
Test-Turnerin Linda Geider das Training etwas femininer angehen.
»Miss Sporty« ist die organisierte sportliche Ertüchtigung für die
Frau ab 30; der Kern der Methode ist ein Zirkeltraining, das spe­z iell
auf weibliche Anforderungen abgestimmt wurde. Es ist die große
Erfolgsgeschichte auf dem Markt des vergangenen Jahres.
Der Mitgliedsbeitrag beginnt ab 45,99, rund hundert Standorte in
Österreich gibt es bereits. Das waren um 13 Prozent mehr Clubs
als noch 2012. Der Grund, warum die »Miss Sporty«-Clubs wie die
Schwammerl aus dem Boden schießen, liegt am Franchise-System der
Kette. Die Startkosten für eine Filiale sind für neue Betreiberinnen
überschaubar: 14.000 Euro müssen für die Marke und den Support
bezahlt werden, weitere 20.000 für die Geräte, die bei weitem nicht
so kompliziert gehalten sind wie beim Kieser-Training. Dank des
Konzeptes bewusst klein gehaltener Frauenrunden pro Einheit ist auch
der Platzbedarf überschaubar.
Und was war bei Linda Geider nach ihrer Ochsentour durch die
Fitnessclubs hängen geblieben? »Für mich neu war, dass es eine unglaubliche Spannbreite gibt. Dass es für jeden Anspruch eigentlich das
richtige Konzept gibt. Man muss sich nur bewusst werden, was möchte
ich? Möchte ich wirklich jemanden um mich haben, der sagt: Das
machst du richtig, das machst du falsch. Oder man ist selbst jemand,
der weiß, was man tun muss, und kann dadurch die Kosten reduzieren.
Diese verschiedenen Fassetten, auch mit einer reinen Damengruppe
trainieren zu dürfen, das war wirklich sehr interessant.«
Und natürlich möchten wir zum Abschluss nicht einer ganzen Branche
das Geschäftsmodell ruinieren. Hinweisen möchten wir aber schon
darauf, dass es ein Mitglied der €CO-Redaktion gibt, das eine relativ
günstige Variante ausrecherchiert hat, sich Fitness anzutrainieren. Es
hat sich eine Springschnur organisiert.
Anschaffungskosten: fünf Euro.
152
Partneragenturen: So viel
Geld kostet uns die Liebe
von Dr. Christina Kronaus
Man kann sie finden – die Liebe in der virtuellen Welt.
Zweifellos. Aber obwohl wir »screenen« und die »Partnerprofile«
abgleichen können – ohne das Quäntchen Glück finden Frau
und Mann auch hier nicht zusammen. Und: Es gibt auch besondere Risiken und Defizite, über die wir meist zu wenig erfahren. Erstens ist die Liebe im Internet ein Riesengeschäft.
Und zweitens sind Partneragenturen ihren Nutzern oft peinlich.
Viele Paare erfinden im Nachhinein oft ganz konventionelle
Kennenlerngeschichten.
€CO trifft im Sommer des Vorjahres ein Ausnahmepaar. Das Glück ist
ihm anzusehen. Seit über zwei Jahren teilen Sabine und Herbert ihren Lebensweg. Der 38-jährige IT-Fachmann und die 33-jährige medizinisch-technische Assistentin aus Niederösterreich haben sich im
Internet gefunden und verliebt. Die Musik von Tom Petty war mit dabei. Sabine hat Herbert die romantische Musiknummer »Square One«
in einer E-Mail mitgeschickt. Sie erzählt vom Frieden mit dem alten
Leben und dem Offensein für das Neue. Damit hat die junge Frau ihren Gesprächspartner berührt. Er begann sich ernsthaft für sie zu
interessieren.
Heute sehen sie ihre Begegnung als Doppel-Jackpot für beide. Und das
kam so. »Angefangen hat das damit, dass mich ein Freund überredet
hat, dass ich auf eine Internetplattform gehen soll«, erzählt Herbert.
»Am Anfang hab ich mich ein bisserl gewehrt. Aber er hat gesagt,
wenn ich es nicht tue, dann macht er es für mich. Dann habe ich gesagt, dann mache ich es lieber selber.«
»Ich bin relativ bald auf den Herbert gestoßen«, erzählt Sabine. Er ist
sehr eingegangen auf sie. »Er hat mir auch sehr viele Fragen gestellt,
das ist nicht so oft vorgekommen. Die meisten Männer haben eher von
sich selbst erzählt. Aber er hat wirklich nachgefragt, das hat mir sehr
gut gefallen.« Herbert wirft ein: »Ich habe in meinem Profil angegeben,
153
was ich gerne können möchte. Und da habe ich reingeschrieben, ich
würde gerne Gedanken lesen können. Weil dann würde ich mir nämlich viel einfacher tun bei den Frauen.« Das hat Sabine gefallen.
Sie kontaktieren sich, schreiben einige Monate Mails hin und her, erzählen von sich und von ihrem Leben. Dann treffen sie sich. Beide
sind schrecklich nervös. Doch es ist Liebe auf den ersten Blick. Sabine:
»Und wie ich ihn zum ersten Mal gesehen habe, das war für mich super,
perfekt. Das hat gleich für mich gepasst, wirklich.«
Nach dem ersten Treffen wachsen sie schnell zusammen, teilen ihren
Alltag; und ihre Liebe zu Tieren, Sport und Reisen. Eine wunderschöne
Geschichte, die wir über unsere Kameras erzählen dürfen. Nur: Nicht
so viele beginnen und noch weniger enden so romantisch.
Das Internet hat die Schlafzimmer der Österreicher erobert. Mehr
als 700.000 Singles tummeln sich in hunderten von Flirtbörsen und
Partneragenturen. Wer sich aktiv in einer Singlebörse betätigen will,
muss rund 60 Euro pro Monat zahlen. Nur wenige Agenturen sind »österreichisch« wie etwa love.at oder websingles.at.
Marktführer »Parship« gehört zur deutschen Verlagsgruppe Holzbrinck,
hier sind mehr als 10 Millionen User registriert. Der Branchenzweite
»Elitepartner« mit knapp 4 Millionen Usern gehört zu Burda Medien,
»friendscout 24« ist im Besitz der Deutschen Telekom. Die heimische
Onlinedating-Branche, so wird geschätzt, kommt derzeit auf einen
Jahresumsatz von 17,7 Millionen Euro – das ist mehr als das Achtfache
von vor zehn Jahren. Steigendes Interesse verbuchen – laut Insidern –
Agenturen, die etwas schlichter einfach nur Seitensprünge vermitteln.
Wer d ie ec hte L iebe suc ht, w i rd M itgl ied bei kl a ss i sc hen
Partnervermittlungsagenturen. Die sind teuer, dafür gibt es einen wissenschaftlichen Matching-Test, der bei der Partnersuche helfen soll.
Und höhere Erfolgschancen, wie man betont.
»Parship« hat hierzulande insgesamt 400.000 registrierte Mitglieder,
erzählt die Chefin von »Parship«-Österreich, Sandra Gabler. »Wir haben insgesamt eine Erfolgsquote von 38 Prozent, das heißt, 38 Prozent
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Gefunden! Zur Liebe per Internet braucht’s viel Glück (Foto: lightwavemedia)
unserer Premium-Mitglieder geben an, wenn sie sich abmelden, dass
sie es tun, weil sie einen Partner gefunden haben.« »Wir verlieren
jeden Tag Kunden«, heißt es denn auch halbironisch in einem TVWerbespot von »Parship«. »Und das freut uns. Weil wir sie paarweise
verlieren.«
Doch so einfach ist das Zusammenführen zu Paaren nicht. Viele finden
statt der großen Liebe nur Enttäuschungen. Was »Partnershopping«
langfristig für unser Leben bedeutet, das wissen wir auch noch nicht.
In ihrem Buch: »Diesen Mann in ihren Warenkorb legen« hinterfragt
die deutsche Journalistin Annabel Dillig die virtuelle Jagd nach dem
besten Partner.
Nächstes Faktum ist: Die virtuelle Liebe ist teuer. Bei »Parship« kostet eine dreimonatige Mitgliedschaft 180 Euro, sechs Monate belaufen
sich auf 240 Euro. Bei »ElitePartner«, wo man besonders auf gebildetes,
noch besser akademisches Publikum abzielt, sind es 210 bzw. 300 Euro.
Drei Monate Mitgliedschaft bei »Friendscout« kosten ab 90 Euro bzw. ab
120 Euro für sechs Monate. »Websingles« bietet seine Dienste noch gratis an. In den so genannten Seitensprungportalen wie etwa »Secret.at«
bezahlt man nach »credits« – also einer angeblich virtuellen Währung.
Die muss man freilich real bezahlen. Für ein »Angebotsmail« braucht
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man 19 »credits«. 300 »credits« kosten 20 Euro, 2000 »credits« gibt
es um 99 Euro. Nur zum Vergleich: Auch die Partnersuche in der
­realen Welt ist nicht billig. Das alteingesessene Institut Hollerer in
Linz verlangt zum Beispiel 3600 Euro für einen Jahresvertrag mit
Intensivbetreuung,
In letzter Zeit ist das Geschäft mit der Liebe rauer geworden.
»Partnerbörsen im Zoff« titelte das Handelsblatt, »Hauen und Stechen
im Reich der Liebe« die Frankfurter Allgemeine. Der Markt ist überhitzt, das zeigen die vielen Lockangebote und Rabatte. Die Agenturen
werfen sich mittlerweile gegenseitig unlauteren Wettbewerb vor.
Der Verein f ür Konsumenteninformation
rät Partnersuchenden auch zur besonderen Vorsicht bei der Unterzeichnung von
Ver trägen im Internet. »Wir empfehlen
Konsumenten natürlich jeden Buchungsschritt, den sie im Internet
machen, mittels einer Fotografie, mittels eines Screenshots zu dokumentieren und abzuspeichern«, empfiehlt Maria Ecker vom VKI. »Damit
man belegen kann, was man angeklickt hat und was nicht. Wichtig
ist ja auch, dass die AGBs angeklickt werden: Ich akzeptiere die allgemeinen Vertragsbedingungen, heißt es da. Wenn ich diese allgemeinen
Vertragsbedingungen anklicke, werden sie auch Vertragsinhalt. Es ist
vernünftig, sich diese AGBs auszudrucken und sie sich herunterzuladen. Und sie im Vorfeld natürlich auch zu lesen.«
Belegen, was man
angeklickt hat
Andreas Groll ist Künstler und Fitnesstrainer. Nach dem Ende einer
Beziehung suchte er Ablenkung in Online-Börsen. Zweieinhalb Jahre
war er unterwegs im Internet auf der Suche nach einer Partnerin.
Seine Erfahrungen könnte man vielleicht am besten als »durchwachsen« bezeichnen. Er hat ein schmales Buch darüber geschrieben: »Lobo
und die Frauen«. Für ihn steht fest: Im Supermarkt der Liebe muss
man aufpassen, was man kauft. Seiner Meinung nach gibt es »viele gefälschte Profile«. Der Grund: »Um die Leute bei der Stange zu halten,
um interessant zu sein. Und natürlich auch, um die Leute zum Zahlen
zu animieren«, berichtet er von seinen Erfahrungen. »Auch mir ist
das schon passiert. Da ist eine Chat-Anfrage gekommen. Ein Hallo, ein
Okay und ein Smiley. Und dann war das Profil gelöscht. Und damit war
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Parship: Der Platzhirsch in Österreich (Foto: Parship)
die Sache erledigt. Und ich habe gezahlt für eine Woche und das war
der Erfolg davon.«
Andreas Groll, der nicht nur Fitnesstrainer und Buchautor ist, sondern auch Musik macht, hat mehrere Videos über seine Erfahrungen
mit Partneragenturen im Internet gemacht. Sie sind auf Youtube zu
hören. »Ich beschließe, wenn ich heimkomme, alle meine Profile zu
löschen« ist eine Zeile, die nach ganz viel schlechten Erfahrungen
klingt. Andreas Groll hat weder die große noch eine kleine Liebe gefunden hat. Dafür viele Menschen, die ihm süchtig nach Liebe wirkten. »Das alles hat einen Suchtfaktor. Die Gefahr daran ist, dass es
so einfach geht. Dass man ein Profil anlegt, dann anonym ist und auf
die Suche geht und in Ruhe aussuchen kann. Und immer wieder neue
Leute dazukommen. Man schaut dann immer weiter. Es gibt sicher
Leute, die dann in Beziehungen gehen und parallel weiter ihre Profile
aktiviert haben und weiter suchen. Frei nach dem Motto: Es könnte ja
was Besseres nachkommen.«
Seine Erfahrungen im Internet möchte Andreas Groll trotzdem nicht
missen. »Es waren nette Begegnungen dabei, manchmal gab es auch
gemeinsame Aktivitäten wie Skifahren.« Doch nachhaltig geblieben ist
ihm keine Freundschaft in der realen Welt.
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Partnerbörsen: der Datenschutz lässt zu Wünschen übrig (Foto: Sergio Vassio)
Tatsache ist: Es gibt kaum kritische und vor allem kaum unabhängige
Untersuchungen zu Partnerbörsen im Netz. Eine der wenigen kommt
von der deutschen Stiftung Warentest. Sie hat einen aufwändigen
Test durchgeführt – und viel Positives wie auch viele Mängel gefunden, etwa beim Datenschutz. Deshalb bekamen die meisten Agenturen
nur die Noten »befriedigend« oder »ausreichend«. »Parship« bekam
als einzige Agentur ein »gut«. Eine besondere Warnung gab es vor
Testabos mit versteckten Vertragsklauseln.
Unser Ende wenigstens soll harmonisch sein. Wir kehren wieder zu
unserem Traumpaar zurück. Sabine und Herbert haben sich keine
Schrammen geholt im Internet. Vielleicht auch deshalb, weil sie sich
sehr rasch gefunden haben und beide nicht sehr lange im Internet unterwegs waren. Sie sind sogar günstig davon gekommen. »Ich habe länger gewartet«, erzählt Sabine. »Da habe ich immer wieder Vorschläge
von ,Parship‘ bekommen. Ich habe dann ein Angebot genommen, das
war für neun Monate, pro Monat habe ich 20 Euro bezahlt. Das war
okay, das hat sich gelohnt. Und das würde ich wieder machen«, sagt
Sabine und lacht, als sie Herberts verdutztes Gesicht sieht.
Sie wird es nicht mehr machen müssen. Die beiden haben geheiratet.
Ein Happy End einer Liebesgeschichte, die in der virtuellen Welt begann.
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Der Kampf um die
teuren Gratishandys
von Hans Wu
Aus fünf wurden drei. Der Mobilfunkmarkt in Österreich hat
mit der Übernahme von »orange« durch »drei« erneut einen
Anbieter weniger. Für Experten ist das eine »Marktbereinigung«
– und das prognostizierte Ende der Tarifschlacht ist auch noch
nicht eingetreten.
Im vergangenen November bekamen die drei österreichischen
Mobilfunkbetreiber Post von der Regierung. Der Inhalt: gesalzene
Rechnungen. »drei« muss 300 Millionen Euro bezahlen, von »T-Mobile«
verlangt die Republik 600 Millionen; und Marktführer A1-Telekom soll
sogar über eine Milliarde Euro auf den Tisch legen.
Die beachtlichen Summen sind das Ergebnis einer wochenlangen
Versteigerungsschlacht, bei der es eigentlich um nichts anderes als –
Luft gegangen ist. Na ja, um unsichtbare elektrische Wellen, die über
den Äther geschickt werden. Erworben haben die Netzanbieter nämlich
nur so genannte Funkfrequenzpakete – die sie aber dringend für die
neue Mobilfunktechnologie LTE brauchen. Das Kürzel steht für »Long
Term Evolution« – und damit sollen die boomenden Smartphones noch
schneller mit Daten versorgt werden.
Alles in allem also hohe Ausgaben für einen Markt, in dem das
Verdienen ohnehin schwer geworden ist.
Die Vorgeschichte: Als zum Jahreswechsel 2002 der Euro den Schilling
ablöste, war Österreich bereits ein Land der Handybesitzer. Neukunden
konnten sich die damaligen Anbieter »A1«, »max.mobil«, »One« und
»telering« nicht mehr allzu viele erwarten. Doch das Geschäft mit
Schilling und Groschen pro Minute und SMS war in den Jahren davor
für alle Marktteilnehmer gut gegangen.
Weitere Umsatzzuwächse wären nur durch technologischen Fortschritt
möglich, dachten sich die Strategen in den Firmenzentralen. Die
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»telering«: Nach »Weg mit dem Speck« kam »der Inder« (Foto: telering)
Kürzel für diese Hoffnung hieß UMTS, mit Hilfe des Internet für das
Handy wollte man mehr Geld von den Kunden holen. Der Boom der
»New Economy« der späten 90er diente als Vorbild. Die neuen Märkte,
die das Internet schaffte, wollten die Netzanbieter in aller Welt auch
ihren Mobilfunkteilnehmern näherbringen. Sie träumten vom Kunden,
der nicht nur telefoniert und SMS verschickt, sondern mit einem netzfähigen Handset im Internet surft, Fotos verschickt, Spiele spielt,
Musik herunterlädt und Videos ansieht.
Selbstverständlich wollte man auch ordentlich verdienen. Im
Netzbetreiber-Fachchinesisch hieß das Motto: Hoch mit dem ARPU!
Diese Abkürzung steht für »Average Revenue per User« und beschreibt den durchschnittlichen Umsatz, der pro Kunde erzielt werden kann. ARPU wurde zum Zauberwort im bereits gesättigten Markt.
Businesspläne, Firmenerweiterungen und Millioneninvestitionen in
Technik – alles drehte sich nur um diese vier Buchstaben.
Doch damit war 2003 Schluss. »Telering«, ausgerechnet der kleinste
Anbieter, entwickelte sich zum Spielverderber. Die Kampfansage wurde
per Fernsehwerbung ausgerichtet: »Weg mit dem Speck!« Ging es in
der Vermarktung vorher um den Verkauf von Lifestyle und Technologie,
bestimmte fortan nur noch der tiefste Preis die Marktdynamik. Die
160
Kunden, die lange den Anbietern ihres Vertrauens gegenüber loyal geblieben waren, wechselten plötzlich massenhaft zu den jeweils günstigsten Tarifen, die angeboten wurden.
Der ehemalige »telering«-Manager Michael Krammer, damals verantwortlich für das Anzetteln der Preisschlacht, sieht im Rückblick »die
Logik eines Marktes«, der sich zu schnell entwickelt hat: »Man darf
nicht vergessen: Die Telekommunikationsindustrie in Österreich wurde
erst 1996 privatisiert. Vorher war sie ein Monopol. Und dann hat diese
Industrie eben alle Phasen eines Marktes, alle Lebenszyklen durchgemacht, die es so gibt. Es gab eine sehr rasche Wachstumsphase, in
der es vom Prinzip egal war, wie schaut der Preis aus, wie schauen die
Tarife aus, wie schauen die Handys aus. Jeder wollte so etwas, es gab
nur einen Verteilungswettbewerb. Und dann, als die Sättigung erreicht
war, kam es zum richtigen »Wettbewerb«.
Mitten in diesen stieg 2003 noch ein fünfter Netzbetreiber ein. »drei«,
eine Mobilfunkmarke des chinesischen Konzerns Hutchison Whampoa.
Das Innovationsversprechen der dritten Mobilfunkgeneration war nicht
nur Programm, sondern auch in den Namen geschrieben. Eigentlich
wollte man mit der Spezialisierung auf 3G-Dienste, wie zum Beispiel
Videotelefonie, Kunden gewinnen. Doch Internet über Mobilfunk interessierte damals die schnäppchenjagenden Kunden in der Alpenrepublik
nur mäßig. Binnen kurzer Zeit entwickelte sich auch »drei« zu einem
Billig-Netzanbieter auf dem heiß umfehdeten Markt.
Die Folge: Eine Abwärtsspirale sinkender Umsätze, vor allem bei den
alteingesessenen Anbietern »A1«, »T-Mobile« (ehemals »max.mobil«)
und »One« (ab 2007 »orange«). »Weg mit dem Speck!« wurde bei den
Unternehmen vor allem auf Kosten der Mitarbeiter umgesetzt, deren Anzahl über die Jahre immer kleiner wurde. Jeder wusste, was
eigentlich zu tun gewesen wäre: Tarife erhöhen – und vor allem die
Subventionierung der Gratishandys streichen. Doch keiner wagte den
ersten Schritt.
Vor allem war von der Kürzung der finanziellen Stützung von Handys ab
2007 keine Rede mehr, denn da betraten neue Akteure den Schauplatz.
Große Konzerne aus Übersee, die vorher nur wenig mit Handys und
161
Mobilfunk zu tun hatten. Mit dem »iPhone« wurde fast über Nacht ein
erstes, richtiges Smartphone geboren. Steve Jobs’ Geniestreich revolutionierte den Markt und bescherte »Apple« Rekordgewinne.
Es folgte Google m it sei nem mobilen Betriebssystem Android, mit dem die
Sm a r t phones vor allem os t a s i at i sc her
Hersteller wie »Samsung«, »LG«, oder »HTC«
betrieben werden. Mit einem Schlag standen große marktbeherrschende Namen wie Nokia oder Blackberry im technologischen Abseits.
Mit »iPhones« und »Android-Smartphones« machten die Kunden
auf einmal das, von dem Mobilfunkbetreiber und die a­ lten HandsetHersteller zuvor immer geträumt hatten: Sie surften im Internet, verschickten Fotos, spielten Spiele, luden Musik herunter und sahen sich
Videos online an.
Riesen wie Nokia
standen im Abseits
Der Zentraleuropachef von »Sony Mobile«, Gerhard Sturm, weiß sogar
zu berichten, dass es bei den modernen Mobiltelefonen immer weniger um den »eigentlichen Zweck der Geräte« geht: »In Großbritannien
wurde vor kurzem eine Marktstudie gemacht, da hat man geschaut,
wie die Leute das Smartphone nutzen. An erster Stelle war Internet,
an zweiter stand die Nutzung sozialer Netzwerke, an dritter war Musik,
auf Platz vier lagen Spiele. Telefonie kam erst auf Platz fünf. Es geht
also nicht mehr um Telefonie, sondern um etwas anderes. Es geht um
ein Multifunktionsgerät, das man immer bei sich hat. Und es geht
­natürlich auch um den Zugriff auf digitale Inhalte.«
Für den Oberösterreicher, der für den japanischen Konzern die
Mobilfunksparte in immerhin 19 Ländern leitet, ist der SmartphoneMarkt eine große Herausforderung. Seine »Android«-Geräte sind
angesichts der Dominanz von Apple und Samsung maximal dritte
Wahl bei den österreichischen Kunden. Aber: Es war schon einmal
schlechter gelaufen. Mit dem Erscheinen des »iPhone« wurden die
Geräte, die in einem Joint-Venture mit Ericsson entstanden waren,
zum Ladenhüter. 2012 trennte man sich vom schwedischen Partner,
wollte allein ­einen Platz auf dem Markt erobern. Der Weg zurück zur
Spitze der Technologieführerschaft aber ist kein leichter. Der harte
Wettbewerb unter den Marktführern Apple und Samsung lässt wenig
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Platz für andere – auch nicht für einen ehemaligen Technologieführer
aus Japan.
Der Erfolg der »Samsung«-Geräte hat auch zum ansteigenden
Marktanteil von Googles Android im vergangenen Jahr beigetragen. In über 80 Prozent aller Smartphones weltweit läuft bereits
das Betriebssystem des Suchmaschinenkonzerns. Google profitiert
vom angeschlossenen Onlineshop, dem »Play Store«, über den es
Spiele, Programme, Musik, e-books und Filme verkauft. Apple, das das
»iPhone« mit einem eigenen Betriebssystem und Onlineshop ausgestattet hat, hält mittlerweile nur noch 13 Prozent vom Markt. Nur durch
das allgemeine Wachstum des Sektors hat die kalifornische Firma zum
wiederholten Mal mehr »iPhones« verkauft als im Jahr davor.
Ohnehin gilt Apple als der große Abstauber der Branche. Keine andere
IT-Firma macht so viel Gewinn. Kein Wunder. In der billigsten Version
des aktuellen »iPhone 5S« sind Bauteile im Wert von 150 Euro verarbeitet. Im Laden kostet das Gerät rund 700 Euro. Klar: Vertrieb, Marketing
und Werbung verschlingen auch Unsummen – aber diese Lücke zwischen Herstellungs- und Verkaufskosten in diesem Preissegment bei
dieser Menge ist einmalig.
Und welche Rolle spielen in dieser schönen neuen Welt der mobilen Kommunikation unsere heimischen Netzbetreiber? Fast scheint
es so, als ob sie hauptsächlich Geräteverkäufer geworden sind. TVWerbung, Auslage und Prospekte drehen sich hauptsächlich um
Neuerscheinungen der Smartphone-Hersteller aus den USA und
Ostasien. Andreas Bierwirth, Geschäftsführer von »T-Mobile Austria«,
sieht das Geld der Kunden in die falsche Richtung fließen: »Was man
deutlich bemerkt, ist, dass die Kunden heutzutage sehr viel zahlungsbereiter für das Endgerät werden. Unsere Kunden entscheiden
sich immer mehr für sehr hochwertige Endgeräte, für das iPhone, das
Samsung Galaxy oder auch für das Sony Xperia. Das sind Geräte, die
überall bekannt sind. Dabei ist die Zahlungsbereitschaft deutlich größer geworden. Sie kommt bei uns nicht an, weil wir natürlich nur die
Geräte verkaufen. Wir haben, leider Gottes, nicht allzu viel davon. Wir
müssen unser Geld damit verdienen, dass wir Daten und Stimmen von
den Antennen zu den Endgeräten transportieren.«
163
Sendeturm Arsenal: teurer Kampf um die Frequenzen (Foto: A1)
Und damit lässt sich immer weniger verdienen. Der gefürchtete ARPU,
der durchschnittliche Umsatz pro Teilnehmer, ist weiter im Sinken begriffen. Lag er 2008 noch bei 20 Euro, so konnten 2012 nur noch 14
Euro pro Kunde und Monat erzielt werden. Auch bei den drei verbliebenden Betreibern, samt zugehörigen Billigmarken wie »Bob«, »Yess«
und »telering« (mittlerweile bei T-Mobile), hat der Preiskampf keinen
Deut nachgelassen.
Die Rolle des »Challengers« ist mittlerweile auf »drei« übergegangen, wie Geschäftsführer Jan Trionow auch offen erklärt: »Unser
Verständnis ist, dass wir der Herausforderer sind; diese Rolle wollen
wir beibehalten. Wir wollen weiter wachsen, wir wollen weiter mit
besseren Produkten und attraktiven Preisen auf dem Markt wachsen.
Wir sehen uns gut aufgestellt. Wir wollen natürlich unseren Teil des
Marktes bekommen. Ich glaube, ein Drittel des Marktes zu erreichen,
das ist für uns ein realistisches Ziel.«
Doch bis dahin hat auch der selbst ernannte Herausforderer noch
einiges zu stemmen. An einer größeren Investition in die technische Infrastruktur kommt auch »drei« nicht vorbei. Die insgesamt
zwei Milliarden Euro, die alle Anbieter der Republik für die neuen
Frequenzen bezahlt haben, sind nur der Anfang neuer, hoher Ausgaben.
164
Für den Marketingvorstand der »A1 Telekom«, Alexander Sperl, sind
das »unumgängliche Ausgaben«, denn während der Verbrauch von
Sprachminuten und SMS gleich geblieben sind, ist der Datenhunger der
Kunden dank der Smartphones um fast sechzig (!) Prozent im Vergleich
zum Vorjahr gestiegen,
Tendenz übrigens weiter stark steigend: »Die Netze müssen aufgerüstet
werden, um diese Datenvolumen transportieren zu können. Aus dem
Grund ist es wichtig, eine vernünftige ökonomische Basis zu finden.
Wir müssen Investitionen tätigen können«, erklärt Sperl. Wieviel diese
Investitionen in die Netze kosten wird, wollte uns übrigens keiner der
Betreiber genau sagen. Fachleute gehen von einer mittleren dreistelligen Millionensumme aus.
Erste Anzeichen, dass die hohen Kosten letztendlich doch noch auf die
Kunden abgewälzt werden, gibt es bereits. Im vergangenen Jahr haben
die Anbieter geschickt an den Gebühren für Neukunden gedreht. Vor
allem für Tarife mit höherer Geschwindigkeit muss der Kunde heute
schon etwas tiefer in die Tasche greifen.
Auch d ie Anziehungskraf t der Smar tphones w ill man »zum
Zurückverdienen« nutzen. Also gilt die Regel: Je weniger der Kunde
für ein neues Vertragshandy zahlen muss, desto höher ist der monatliche Tarif. Dabei ist es in der Gesamtkostenrechnung immer günstiger, mehr für das Gerät sofort zu zahlen. €CO hat nachgerechnet und
ist bei den Gesamtkosten, gerechnet auf die üblichen zwei Jahre der
Bindung, auf aufschlussreiche Ergebnisse gestoßen. Ein angebliches
»Gratishandy« kann dabei im Endergebnis um rund 500 Euro teurer
kommen als ein Gerät, für das man am Anfang sofort 300 Euro in bar
hinlegt – in Kombination mit dem niedrigsten Markttarif. In manchen
Fällen war es sogar günstiger, ein Smartphone auf dem freien Markt
zum Vollpreis zu kaufen und dafür einen Tarif nur mit Sim-Karte zu
nehmen.
Ob die Anbieter mit Rechentricks wie diesen wieder zu höheren
Umsätzen kommen, ist schwer abzuschätzen. Fest steht, dass auch
2014 die wahren Gewinner auf dem österreichischen Mobilfunkmarkt
»Apple«, »Samsung« und »Google« heißen.
165
Große Worte –
meist sogar richtige
gesammelt von Günther Kogler
»Möge Gott euch vergeben für das, was ihr getan habt.«
Ein frisch gewählter Papst Franziskus bedankt sich beim
Kardinalskollegium. Heute erinnern sich viele Purpurträger an diesen
Satz.
»Wir sind alle Sünder.«
Papst Benedikt geht in Pension – und macht echt neugierig.
»De facto ist er jetzt Bischof von Limburg.«
Ein Kirchenrechtler erklärt die juristische Situation von Papst
Franziskus, der den verschwenderischen Bischof Tebartz-van Elst
beurlaubte.
»Ich möchte weiterhin Guantanamo schließen, es ist jedoch
schwerer, als ich dachte.«
»No, we cannot!« – US-Präsident Barack Obama.
»Bin ich nun entführt?«
Boliviens Präsident Evo Morales ist sich nach einer erzwungen
Zwischenlandung in Wien-Schwechat nicht ganz sicher, wo die
Österreicher stehen.
»Diese Frage ist fast eine Beleidigung meiner Intelligenz.«
Ex-Vizekanzlerin Susanne Riess (FPÖ) denkt tatsächlich nicht an eine
Rückkehr in die Politik.
»Ich bin als Parteichef gewählt und werde Parteichef bleiben.«
Kärntens FPK-Chef Kurt Scheuch ahnt im Frühjahr 2013 offenbar noch
gar nichts.
»Klein sind wir geworden.«
Der frühere ÖVP-Obmann Josef Taus trauert den Großparteien ÖVP und
SPÖ nach.
166
»Waldviertel-Cluster« – der
Blues der Abgeschiedenheit
von Angelika Ahrens
Mystisch und geheimnisvoll ist es, aber auch verschlafen und
vergessen – das Waldviertel. Vielen jungen Menschen ist es
ein wenig zu beschaulich – sie ziehen weg. Einige findige
Unternehmer haben in den letzten Jahren gegenzusteuern versucht. Mittlerweile ist das Waldviertel für seine Delikatessen
und seinen Gesundheitstourismus bekannt. Jetzt wollen die
Handwerker nachziehen.
Neue Jobs sollen ehemalige Waldviertler wieder zurückholen. Rund um
das Thema Bauen, Umbauen und Sanieren wurde dazu eine Plattform gegründet, die die Rückholaktion bewerben und vermarkten soll. Übrigens
ganz nach dem Beispiel des steirischen Autocluster.
Unweit der Burg Rapottenstein wird gesägt, gehobelt und poliert,
was das Zeug hält. Firmenchef Hermann Neulinger muss sich, als ihn
unser Team besucht, schon bald auf den Weg machen. Mit ein paar
Ausstellungsbetten im Gepäck geht es diesmal nach Dubai. Der Scheich
verlangt nach ihm. Besser gesagt nach seinen geölten und gewachsten
Zirbenholz-Betten. In solch typisch österreichischen Schlafstätten will
er sich so richtig wohl fühlen.
»Zirbenholz ist gesund, es fördert den Schlaf und senkt die Herzfrequenz
um bis zu 3500 Schläge pro Tag. Das heißt, man spart sich eine Stunde
Herzarbeit pro Tag und ist besser erholt«, erklärt der findige Waldviertler
Firmenchef. Billig sind die Betten nicht, die Hermann Neulinger mit
seinen 13 Mitarbeitern herstellt. Bis zu 7500 Euro können vier Pfosten
inklusive Lattenrost und Matratzen für zwei Personen schon mal kosten.
Aber es ist eben alles handgemacht, bis hin zu den Liegeflächen. Und bio
ist es auch. Der 41-jährige Tischlermeister hatte den Betrieb vor einigen
Jahren von seinem Vater übernommen. Der arbeitet übrigens auch noch
immer mit. Als der ORF zu den Dreharbeiten eintraf, hobelte er gerade
an einem »Sonderprogramm«: an einem Tisch des verstorbenen Malers
167
Friedensreich Hundertwasser. Neulinger senior hatte den weltbekannten
österreichischen Künstler oft getroffen, da der im Laufe seines Lebens
auch einige Zeit im Waldviertel gewohnt hatte. So kam es auch, dass
die Vater-Sohn-Tischlerei bereits große Hotels und Museen in Wien beliefern durfte.
Nur eine halbe Stunde von Rapottenstein
entfernt fliegen auch bei Stephan Schrenk
die Späne. Der 33-Jährige hat ebenfalls den
väterlichen Tischlereibetrieb übernommen.
Allerdings ist das hier das exakte Gegenprogramm zur ZirbenbettTischlerei seines Kollegen. Stephan Schrenk betreibt eine maschinell
hochwertige und moderne Zimmerei. Er produziert und verkauft mit
rund 70 Mitarbeitern Treppen für große Fertigteil-Häuser. Schrenk hat
auch die Initiative und Internet-Plattform »Waldviertler Handwerker«
2013 mitbegründet (­w ww.­waldviertlerhandwerker.at). Mittlerweile sind
fast 50 Unternehmen mit von der Partie, die insgesamt 960 Mitarbeiter
beschäftigen.
50 Unternehmen sind
mit von der Partie
»Es gehen uns zu viele junge Menschen verloren, hier im Waldviertel.
Wir wollen mit dieser Plattform zeigen, dass es noch viele traditionelle Handwerksbetriebe gibt, dass man sich noch etwas aufbauen kann. Wir wollen den jungen Leuten eine Perspektive geben.
Und Arbeitsplätze schaffen«, erklärt Stephan Schrenk. Die neuen
»Cluster«-Mitglieder wollen über die Internet-Plattform übrigens nicht
nur Arbeitsplätze schaffen, sondern auch neue Kundschaft aus den
Ballungszentren anlocken. »Wir wollen gemeinsam Dinge weiterentwickeln, gemeinsam Aufträge übernehmen, nicht als Einzelkämpfer auf
dem Markt auftreten. Der Vorteil für den Konsumenten: Er hat mehrere
Gewerke auf einmal zur Hand«, so Schrenk. Und das ist zum Beispiel
beim Hausbau interessant.
»Wir erhoffen uns mehr Geschäft. Und wir hoffen, dass die Leute wieder rückwandern, zurück ins Waldviertel. Wir wollen unser Waldviertel
lebenswert erhalten. Es gehören alle Handwerker zusammengeschlossen. Miteinander – das ist der bessere Weg für die Zukunft«, ergänzt
Hermann Neulinger.
168
Mit der Entwicklung einer starken Marke wollen sich die »Cluster«Handwerker wettbewerbsfähiger machen, damit es die Unternehmen
auch in zwanzig Jahren noch gibt. Denn die Bevölkerung schrumpft seit
Jahrzehnten, ­eigentlich schon seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
Von 1951 bei 2011 ist die Bevölkerung um rund 17 Prozent geschrumpft.
Vor allem in den letzten zwölf Jahren ist es abwärts gegangen. Haben
2001 im Waldviertel noch mehr als 220.000 Menschen gelebt, sind
es heute um 30.000 weniger. Das heißt auch: weniger potenzielle
Mitarbeiter in den Firmen. Die Überalterung schreitet schneller voran,
als viele befürchtet haben.
Das lässt auch Universitätsdirektor Peter
Weichhart nicht kalt. Er lehrt am Institut
Zuzug in die Städte
f ür Geographie und Regionalforschung.
hält weiterhin an
»A bw a nder u ng bet r i f f t n ic ht nu r d a s
Waldviertel. Weltweit ist das das Schicksal peripherer Regionen, die
eine größere Distanz zu den Ballungszentren haben. Auch der Lungau
im Salzburger Land oder die Obersteiermark gehören zur Peripherie, zu
den Schwächeräumen ­eines Landes. Mit der Bevölkerung verschwinden
auch Arbeitsplätze und Kaufkraft. Die Lebensbedingungen nehmen
ab. Es werden die Altersheime des Staates werden. Das ist ein richtiger
Teufelskreislauf.«
Die neue Waldviertler Plattform sei ein Rezept auf regionaler Ebene, dem
entgegenzuwirken, meint der Professor. Aber ist sie auch von Erfolg
gekrönt? »Das hängt sehr davon ab, wie engagiert die Handwerker, die
Menschen sind. Wie viele sich zusammenschließen«, prognostiziert er.
Die Unternehmer aus dem Waldviertel wollen übrigens nicht nur mit
­ihrer Handschlagqualität gegenüber der Billigkonkurrenz aus Osteuropa
punkten. Viele haben sich in ihren Bereichen spezialisiert und liefern
zum Beispiel Spezialfenster für das Schloss Schönbrunn. Oder sie verlegen alte Fliesen in Mustern der Jahrhundertwende-Häuser in der Wiener
Innenstadt. So schlecht sieht sie nicht aus, die Zukunft.
169
Große Worte –
meist sogar richtige
gesammelt von Günther Kogler
»Wenn jemand im Casino Haus und Hof verspielt, dann werden
auch nicht die Nachbarn mitzahlen.«
Also keine Beteiligung an einer »bad bank« der Hypo-Alpe-Adria –
Bank-Austria-Chef Willibald Cernko.
»Daheim kann es gestohlen werden.«
Unschlagbares Argument – Raiffeisen-Obmann Erwin Hameseder auf
die Frage, warum man trotz Niedrig-Zinsen sein Geld auf die Bank
legen sollte.
»Ich gehe, aber ich laufe nicht davon.«
Hypo-Alpe-Adria-Chef Gottwald Kranebitter tritt im Sommer ab. Im
Herbst wird das wahre Ausmaß des Hypo-Debakels bekannt.
»Machen Sie sich keine unnötigen Gedanken um uns. Joe Kaeser
ist ein exzellenter Finanzvorstand. Wir sind gemeinsam gut und
erfolgreich unterwegs.«
Der Österreicher Peter Löscher verkennt im Spätsommer 2013 die
wahren Kräfteverhältnisse im Siemens-Konzern.
»Ich will den ganzen Balkan, so schaut’s aus. Wir haben eine
unglaubliche Aktion in Planung, die war noch nie da auf der Welt.
Das wird alles toppen, Sie werden sehen.«
Ex-»daily»-Eigentümer Rudolf Haberleitner hat noch nicht in seine
Bilanzen geschaut.
»Noch ein Säufer.«
Stanislav Goworuchin, einst Wahlkampfchef von Wladimir Putin, heißt
den russischen Staatsbürger Gerard Depardieu willkommen
»Ohne Ball am Fuß ist mein Kopf kaputt.«
Was soll man dagegen sagen? Marko Arnautovic wird in Bremen beim
Schnellfahren erwischt
170
Vom »Himmel auf Erden«: Der
Schlager ist ein Schlager ist ein …
von Sabina Riedl
Ein viel gescholtenes Genre greift seit geraumer Zeit nach den
Sternen; während die Umsätze aller anderen Musikrichtungen
einbrechen, feiert der Schlager fröhliche Urständ’ – und
bringt dem Musikbusiness Millionen. Der Kundschaft holen die
Schlagerstars die Sterne vom Himmel, den Musikverlegern bescheren sie den »Himmel auf Erden« tatsächlich.
Was ist der Schlager nicht belächelt, als »Schnulze« oder »Mutti-Musik«
verunglimpft worden? Jeder kennt zwar die Melodien und die Texte von
Roy Black und Co. wie »Ganz in Weiß mit einem Blumenstrauß« oder
»Bist du einsam heut’ Nacht?«, doch die wenigsten bekennen sich freimütig dazu, gerne Schlager zu hören. Doch gerade bei den tatsächlichen
Verkäufen ist die Schlagermusik »der Bringer«.
Der Markt für deutschsprachige Schlager- und Volksmusik ist eine
halbe Milliarde Euro schwer. Unter den Topverdienern rangieren nicht
wenige Österreicher: DJ-Ötzi oder Newcomer Andreas Gabalier verdienen Millionen und bringen volle Hallen und ausverkaufte Konzerte.
Einziges Problem des Schunkelsounds: das miese, provinziell anmutende Image. Selbst die Plattenfirmen, die in erster Linie mit diesem
Genre Geld verdienen, schmücken sich lieber mit coolen Rock-Stars und
­bösen Rapper-Buben als mit Schmusesängern und Schlagerbarden. Es ist
eine zweigeteilte Welt – denn die Schlagerstars sind unbestritten die
Zugpferde und Lasttiere der angeschlagenen Musikindustrie.
Die sind sich nämlich auch nicht zu schade für die beinharte Fanarbeit
– sie tingeln durch Bierzelte, singen bei Kaufhauseröffnungen, treten
beim Frühschoppen, beim Saustechen und bei Feuerwehrfesten auf, sie
schreiben Autogramme bis an den Rand der persönlichen Erschöpfung,
kurz geben sich volksnah – und das bringt den kommerziellen Erfolg.
So treten sie auf, die neuen Gagenkaiser der leichten Muse: in Lederhose
statt Lederjacke, die Ziehharmonika umgeschnallt statt der Stratocaster.
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Deutschlands »Bauspar-Domina«: Schlagerstar Andrea Berg (Foto: Lado Alexi)
Die Fans shaken begeistert zur Hüttenmusi und zum Umtata. Der
Schlager scheint dem Tal der Peinlichkeit entstiegen zu sein und erweist
sich zusehends als Exportschlager: DJ-Ötzi, Simone & Charly Brunner
und Andreas Gabalier kennt man längst weit über Österreichs Grenzen
hinaus. Letzterer bezeichnet sich selbst als »Volks-Rock’n’Roller« und
kombiniert geschickt die 50er-Jahre-Rockabilly-Retrowelle mit österreichischer Volksmusik. Die Gitarre hält er wahrscheinlich nicht zufällig
wie US-Folklegende Johnny Cash, die Frisur erinnert an den jungen Elvis
Presley, dazu gibt’s in breiter Mundart Refrains wie »Wenn Zuckerpuppen
kess mit dem Schulterblatt’l zucken«. Mit solchen schlichten Reimen
und wenigen Akkorden bringt Andreas Gabalier, Shootingstar unter den
Volkstümlichen, die volle Stadthalle zum Kochen – und verdient dabei
ein Vermögen.
Ein echter Schlagerveteran ist der Murauer Charly Brunner, der bis
vor zwei Jahren im Zweigesang als »Brunner und Brunner« mit seinem Bruder auftrat und mit sieben Millionen verkauften Alben ein
Megaseller des heimischen Schlager-Genres ist. Heute singt er im Duo
mit Gesangspartnerin Simone, die sich vorher erfolglos im Rock- und
Pop-Genre versucht hatte. Auch Charly Brunner wollte Rockstar werden,
doch nach jahrelangen Versuchen, sich in diesem Genre zu etablieren,
spielte er bei einem Gig zum Spaß die »Caprifischer« ein – und erntete
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frenetischen Applaus. Von da an verschrieb er sich mit Haut und Haaren
dem Schlager. So erfolgreich, dass er sich eigentlich zur Ruhe setzen
könnte.
»Der Schlager rettet schon lange die Musikbranche«, sinniert Charly
Brunner im €CO-Interview selbstbewusst, »die amerikanischen Acts, die
in den großen Limousinen vorfahren und die angeblich alle wunderbare
Gagen kassieren, die werden von uns Schlagersängern finanziert.« In
seinem Metier ist es sicher schwer, nicht zynisch zu werden. Man stelle
sich vor: Als Schlagerstar bedient man einen Markt von Rührseligkeiten,
liefert Lieder über Herz und Schmerz, die sich wie die warmen Semmeln
verkaufen, aber kaum jemand will zugeben, dass er »diese Musik« toll
findet. Ein sensibles Gemüt könnte an so viel Verlogenheit zerbrechen. So sind etwa die Gerüchte nie verstummt, dass Roy Black sich
wegen seiner Depressionen buchstäblich zu Tode getrunken haben
soll. Auch Charly Brunner litt unter der Doppelmoral, die offenbar eine
Begleiterscheinung des Musik-Business ist.
»Es war nie schick im eigenen Betrieb zu sagen: Ich war gestern auf
einem ,Brunner und Brunner‘-Konzert. Es hat wirklich Fans gegeben,
die sind mit Haube, aufgestelltem Mantelkragen und aufgepicktem
Schnurrbart in die Konzerthalle gegangen. Eine Schlager-CD zu besitzen,
das hatte so einen Hauch von Pornografie«, philosophiert Charly Brunner
und fügt hinzu: »Jeder hat eine, aber keiner gibt es zu.«
Erst seit auch junges Publikum ganz ungeniert zum Schlager und zur
Volksmusik abtanzt, scheint sich das Imageproblem in Luft aufzulösen.
»Es gab in der Vergangenheit so eine Art Geschmackspolizei, vor allem
waren es Journalisten, die einfach nicht bereit waren, über dieses Genre
zu berichten«, meint Brunners Partnerin Simone Stelzer. »Erst heute,
da es das Internet gibt, ist das ganz anders, weil jeder Mensch sich das
holen kann, was er will, was er braucht.«
Nur, machen wir uns nichts vor, der Schlager polarisiert immer noch:
Peinlich, schmalzig, trivial, lästern die einen, mitreißend, herzerwärmend, heimatverbunden, meinen die anderen. Allerdings erweist sich
das Genre als krisensicher. Während die CD-Verkäufe in den letzten
25 Jahren dramatisch eingebrochen sind, hat sich der Tanker Schlager
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als unsinkbar erwiesen. Immerhin spült die Schunkelmusik allein in
Österreich jährlich 40 Millionen Euro in die Kassen der Branche. Was
Wunder, dass »der Schlager« in den Verkaufsregalen der Stores immer
prominenter platziert wird.
Selbst Dagmar Rauscher, Geschäftsführerin des altehrwürden EMI Music
Store in der Wiener Kärntner Straße und bekennender Nicht-SchlagerFan, hat heute mehr Schlager-CDs im Sortiment als noch vor fünf
Jahren. Weil »das Genre viel stabiler ist als die so genannte ,normale‘
Unterhaltungs- oder Popmusik, die in den letzten Jahren sehr stark eingebrochen ist«, sagt sie.
Außerdem ist die Fangemeinde in ihrem Kaufverhalten konservativ
– sie zahlt bar. Während die Fans anderer Musikrichtungen vermehrt
im Internet »shoppen« oder – mitunter auch illegal – downloaden,
liebt das Schlagerpublikum physisch einlegbare CDs und legt Wert auf
die Booklets, in denen es die Texte zum Nachlesen und die bunten
Bilderbögen von den Idolen zu bewundern gibt.
Den Trend zur Volks- und Schlagermusik verfolgt man im Verband der
österreichischen Musikindustrie jedenfalls mit Erstaunen. In keinem
anderen Genre gibt es Phänomene wie dieses: Die Bestverdienerin unter
den deutschen Schlager-Ladies, Andrea Berg, hält sich mit ihrem Bestof-Album seit unglaublichen 553 (!) Wochen in den Charts – das sind
fast elf Jahre. Die deutsche Qualitätszeitung »Die Zeit« beschrieb die
47-jährige ehemalige Krankenschwester aus Krefeld im alten Jahr wenig
charmant als »Bauspar-Domina« – in Anspielung auf ihre Bühnenoutfits,
hauptsächlich schwarze Leder- und Latex-Korsetts.
Freilich: In Zeiten sinkender Musikeinnahmen freut sich die Branche
über jede real verkaufte CD – künstlerischer Anspruch hin, Bühnenoutfit
her. Der Schlager belebt dankenswerter Weise einen angeschlagenen
Wirtschaftszweig. Thomas Böhm vom Verband der Österreichischen
Musikwirtschaft IFPI hat sich den Trend genau angesehen: »Schlager/
Volksmusik«, sagt er, »hat in den letzten Jahren den Anteil am gesamten österreichischen Musikmarkt steigern können und liegt bereits bei
zirka 25 Prozent. Das heißt, dass immerhin jede vierte CD, jedes vierte
Album dem Schlagergenre zuzuordnen ist.«
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Volle Hütte: in Österreich ist Andreas Gabalier gut im Geschäft (Foto: Gerald Lobenwein)
Nur über das Einkommen der Schlagermillionäre schweigen die
Musikverlage diskret – es hat atemberaubende Höhen erreicht. Wer dem
Publikum die Sterne vom Himmel holt, beschert sich selbst den Himmel
auf dem eigenen Girokonto. In Deutschland haben Helene Fischer und
Co. vom Einkommen und auch von den Tantiemen her selbst die Beatles
längst abgehängt. »Vor zehn Jahren«, so Thomas Böhm, »waren 15
Schlager/Volksmusik-Interpreten unter den Top 100 der Jahrescharts, im
Vorjahr waren es 25. Also es gibt eine deutliche Steigerung. Man sieht auf
allen Ebenen, dass die Schlager- und Volksmusik auf dem Vormarsch ist.«
Ein denkwürdiges Ereignis im deutschen Fernsehen hat diesen Trend
buchstäblich eingeläutet: Unter Kuhglockengebimmel feierte die
Schweizerin Beatrice Egli im Mai 2013 ihren Sieg in Dieter Bohlens
Talenteshow »Deutschland sucht den Superstar« (DSDS) – als erste
Schlagersängerin in der Geschichte der Sendung. Viele Brancheninsider
sahen darin eine historische Weichenstellung – weg von der Popmusik
hin zum Schlager.
»Dieter Bohlen weiß, was er macht«, konstatiert dazu Charly Brunner.
»Der hat gesehen, dass sein DSDS den Bach runter geht beziehungsweise weniger Einschaltquoten hat und er ist ja nicht dumm. Bohlen
hat mit Schlager begonnen – vor »Modern Talking« hat er ja Schlager
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DSDS-Erfinder Dieter Bohlen: Was er anfasst, wird zu Geld (Foto: Dirk Vorderstraße)
komponiert, Schlager gesungen und jetzt hat er Schlagerzeit ausgerufen und alle hecheln hinterher. Man muss ihm dankbar sein; die ganze
Industrie muss ihm dankbar sein.« Der Longseller von Andrea Berg, »Du
hast mich 1000 Mal betrogen«, stammt übrigens aus der Feder Dieter
Bohlens ...
Nur das Archiv ist wie immer brutal. Im Internet kann sich noch immer jeder Bohlens Schlager-Gehversuche ansehen und -hören – »Hale,
hey Louise« etwa trällerte er da in den siebziger Jahren im CowboyOutfit zu zwei Akkorden; und bot, grausam genug, damals schon einen
Vorgeschmack auf seine musikalische Hinterlassenschaft.
In Zeiten der Krise scheint die Sehnsucht nach dem »damals«, nach
der »heilen kleinen Welt«, nach dem »Griff nach den Sternen« eine
immer größere Rolle zu spielen. Es ist der beste Nährboden für
»Heimatnostalgie« und »Musik mit Bodenhaftung«. Selbst in den
Metropolen gelten Zeltfeste neuerdings als angesagt. Die Wiener Wies’n
ist jung und hip geworden – ebenso wie Dirndln, Quetsch’n und Goiserer.
Und: Wer sich weder für Schlager noch für das Volkstümliche erwärmen
kann, den kann vielleicht der Mammon umstimmen: Österreich gilt seit
Andreas Gabalier & DJ Ötzi als Schlager-Exportland Nummer eins. Je gefragter der Schlager, desto dicker sind auch wir im Geschäft.
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An morgen denken – wer
wird mich einmal pflegen?
von Dr. Christina Kronaus
Der Blick in die Zukunft lässt uns ziemlich alt aussehen: Die
Lebenserwartung steigt. Das ist auf der einen Seite wunderbar,
wirft auf der anderen aber auch nicht unwichtige Fragen auf.
Fünf Prozent der Österreicher sind derzeit älter als 80 Jahre; in
drei Jahrzehnten nur sollen es doppelt so viel sein. Da könnten
wir dabei sein. Nur: Wer wird uns einmal pflegen? Und: Wer wird
das bezahlen?
Viele Menschen mit einem »Pf legethema« sprechen nicht gerne
­d arüber. Und nur wenige Menschen wollen sich vor einer Kamera
darüber ­­äußern. Denn es geht um Dinge, die belasten und die man
nicht gerne in die Öffentlichkeit trägt: um finanzielle Sorgen, um
allzu Menschliches, um Einsamkeit und um Leid. Und um überforderte Angehörige. Pflege ist noch immer ein Tabuthema. Doch es
gibt auch erste Zeichen eines Wandels – bessere Information, mehr
Transparenz; die Einsicht, dass es neue Modelle braucht. Am besten
­einen Masterplan für ganz Österreich.
Achim Gauger ist Unternehmensberater. Jetzt braucht er selbst dringend Rat. Er hat eine kranke Mutter, die in Tulln lebt. Pflegestufe
V. Sein Hausarzt hat ihm Prospekte von Agenturen mitgegeben,
die 24-Stunden-Betreuung anbieten. Doch kein Prospekt hat den
Niederösterreicher bisher überzeugt. Auch eine Recherche im Internet
nicht. Er vermisst kompetente Gesprächspartner und vergleichbare
Fakten. Das irritiert ihn: »Das Gefühl, das ich habe, wenn man sich
die Prospekte der 24-Stunden-Anbieter und die Websites dazu ansieht:
Jetzt kommen mehr Kosten auf mich zu als die, die mir vermittelt werden. Man stellt fest: Man ist relativ rasch – wenn man die Förderungen
weglässt – in einem Bereich von 2000 Euro und darüber, da ist eigentlich nach oben alles offen.«
Vor sechs Jahren wurde die 24-Stunden-Betreuung zu Hause legalisiert; zur großen Erleichterung für Betroffene und Angehörige, die
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sich um schwerkranke Familienmitglieder kümmern. Sie wird sogar
öffentlich gefördert. Wer zwei durchgehend angemeldete Pflegerinnen
beschäftigt, bekommt ab Pflegestufe III im Monat 550 Euro vom
Bundessozialamt zugeschossen. Zusätzlich zum Pflegegeld, das, je
nach Pflegebedarf, in sieben Stufen von rund 155 Euro bis 1660 Euro
monatlich ausmacht.
Aus dem ehemal igen Schwarzmarkt
»24-Stunden-Pflege« hat sich ein boomen»24-Stunden-Pflege«
der öffentlicher Markt entwickelt. Nur: Neben
als Boom-Markt
vielen seriösen Anbietern wie der Caritas,
dem Roten Kreuz oder der Volkshilfe ­locken in diesem Umfeld mittlerweile auch viele unseriöse Agenturen, die viel Geld mit der Not betagter und kranker Menschen machen und Pflegerinnen ohne Ausbildung
vermitteln und diese ebenfalls ausbeuten.
Bei der Frage nach den Kosten heißt es oft nicht nur im Internet: Bitte
warten. Die Webseiten würden gerade überarbeitet werden. Man findet keine konkreten Angaben zu den Tages- und Monatskosten. Dafür
gibt es auf den Webseiten Pseudozertifikate, die Qualität vortäuschen
sollen.
Besonders gefährdet sind hilfsbedürftige Menschen mit Mindestrente
und ohne Angehörige, weiß der Geschäftsführer des Vereins »Chronisch
krank«, Jürgen Holzinger. An ihn wenden sich immer wieder Menschen,
die vor dem Absturz stehen: »Wir haben Betroffene, die wirklich existenzgefährdet sind, die keine Angehörigen und Kinder haben, die sie
wirklich umsorgen und die Pflege organisieren. Hier gibt es Agenturen,
die tausende von Euro für die Pflegeleistung kassieren – im Vorhinein.
Hier gibt es keine Kontrolle von der öffentlichen Hand.«
E s g i b t t at s ä c hl i c h z u w e n i g K ont rol l e. D e r Ve re i n f ü r
Konsumenteninformation versuchte etwas Licht in den Pflegemarkt
zu bringen. Er verglich Leistungen und Kosten der Anbieter. Die
Bilanz: Mehr als die Hälfte aller überprüften Agenturen agieren »wenig transparent«. Warum aber, fragt €CO nach, getraut sich niemand in
Österreich, eine Liste der seriösen Institute zu veröffentlichen? Schnell
wird klar: Niemand will die Verantwortung übernehmen, wenn eine
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Gute Pflege ist teuer, aber das Bundessozialamt hilft (Foto: Photographee.eu)
bestimmte Agentur als »seriös« empfohlen wird – und es dann doch zu
Problemen kommt. 24-Stunden-Pflege daheim »ist Privatsache«, wird
uns bei unseren Recherchen erklärt.
Auch im VKI hat man – wie derzeit fast überall – zu wenige
Ressourcen, um einzelne Agenturen näher zu testen, erklärt uns die
Juristin Angela Tichy. »Es ist sehr schwierig herauszufinden, welche
Agenturen wirklich seriös sind. Wir haben versucht, das zu eruieren.
Wir müssten uns vor Ort anschauen, wie es wirklich ist, wenn eine
pflegebedürftige Person betreut wird; diese Möglichkeit haben wir
nicht. Wir können uns nur darauf verlassen, welche Informationen wir
von den Anbietern dazu erhalten.«
Den Angehörigen bleibt oft nur eines: sich mit anderen pflegenden
Angehörigen zu vernetzen und Informationen auszutauschen. Es gibt
einige Organisationen wie das Rote Kreuz, die Treffen vermitteln. Bei
jedem dieser Pflegeabende kommen viel Wissen und viele Erfahrungen
zusammen. Und es gibt Vorträge zum Thema Pflege. Kostenfrei.
Ein großer Erfolg ist, dass es seit Jahresbeginn die so genannte
Pflegekarenz gibt. Pflegende Angehörige können erstmals bis zu
drei Monate in Pflegekarenz gehen und während dieser Zeit ein
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Für viele unerschwinglich: Das Pflegebett in einem Heim (Foto: Mark Hillary)
einkommensabhängiges Karenzgeld in Höhe des Arbeitslosengeldes
(maximal 1400 Euro) beziehen. Daneben gibt es die Möglichkeit der
Pflegeteilzeit, die ebenfalls maximal drei Monate in Anspruch genommen werden kann. Dabei darf die Arbeitszeit auf ein Minimum von zehn
Stunden pro Woche reduziert werden; das Gehalt wird anteilig errechnet.
Pflegende, die ihren Job ganz aufgeben, um sich um einen schwer
kranken Angehörigen zu kümmern, können sich ab Pflegestufe III
über die PVA kostenlos selbst pensionsversichern und sich bei dem zu
Pflegenden mitversichern, was die Sozialversicherung betrifft. Wer
überhaupt kein Einkommen mehr hat, kann die Mindestsicherung in
der Höhe von 814 Euro beantragen. Allerdings wird in solchen Fällen
das gesamte Haushaltseinkommen zur Berechnung herangezogen.
Mobile Palliativ- und Hospiz-Betreuungen laufen über die Krankenkasse
und sind kostenfrei. Allerdings ist die Palliativversorgung in jedem
Bundesland anders geregelt. Nur selten gibt es Rufbereitschaft am
Wochenende.
Als großes Vorbild in Sachen Pflege gilt österreichweit das westlichste
Bundesland – Vorarlberg. Hier gibt es eine Reihe höchst außergewöhnlicher Dinge. Einen Hauskrankenpflege-Verein etwa, der auf einer
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100-jährigen Tradition beruht. Pro Familie zahlt man rund 30 Euro
Mitgliedsbeitrag pro Jahr. Dafür bekommt man im Alter verlässlich
Besuch von Diplomkrankenschwestern – gegen ein nur noch geringes
Entgelt.
Weiters gibt es einen Betreuungspool, der
von der öffentlichen Hand ins Leben gerufen
Die Pflege kommt
wurde und von ihr mitfinanziert wird. Eine
aus Osteuropa
Anlaufstelle für alle, die mit der Pflege zu tun
haben: für die Pflegerinnen vor allem, die meist aus Osteuropa kommen.
Und die durch diese Anlaufstelle der Gefahr der Ausbeutung durch unseriöse Agenturen entgehen. Wer beim Vorarlberger Betreuungspool
anfragt, bekommt klare Auskünfte und klare Prospekte. Die Kosten
sind transparent. Auch für die Betroffenen, die Pflege brauchen und
oft nicht mehr einschätzen können, wie viel Unterstützung sie tatsächlich benötigen. Und für deren Angehörigen, die unter Druck stehen, die beste Pflege zu finden. Eine Pflege, die man sich auch leisten
kann.
Und: Es gibt eine Landesrätin, die selbst pflegende Angehörige war.
Frau Greti Schmid ist dieses Thema wichtig. Sie musste früher viel Geld
für die Pflege in die Hand nehmen. Nun hat sie sich auch überlegt, wie
betreuende Angehörige gesund gehalten werden können. Denn viele
pflegende Angehörige werden wegen der Belastung und des psychischen Drucks nicht selten selber krank. Greti Schmid: »Wir organisieren gemeinsam mit Gebietskrankenkasse und Arbeiterkammer einen
Urlaub für pflegende Angehörige, quasi kostenlos. Zweitens stellen wir
Personen, die ihre Angehörigen zu Hause betreuen, zusätzlich zum
Pflegegeld ab der Stufe V 200 Euro pro Monat zur Verfügung.«
Im Zuge unserer Recherchen besuchen wir Familie Niedermair in
Dornbirn. Irma Niedermair ist 85 Jahre alt. Die vierfache Mutter bezieht Pflegegeld der Stufe IV. Sie braucht umfassende Betreuung. Eine
Krankenschwester kommt einmal die Woche vorbei. Irma Niedermair
hat selbst fast 30 Jahre beim Hauskrankenpflege-Verband eingezahlt.
Nun muss sie nur noch für die Fahrtspesen der Krankenschwester aufkommen. Sohn Peter ist es gelungen, ein gutes Pflegenetzwerk für
seine Mutter zu organisieren:
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Der Blick in die Zukunft, der uns ganz schön alt aussehen lässt (Foto: Florian Richter)
»Wir sind sehr zufrieden«, meint er, »weil wir viele Partner haben.
Wir haben eine Hausärztin, die ständig zur Verfügung steht, wir haben zwei Pflegerinnen, die meine Mutter rund um die Uhr betreuen.
Dann gibt es den Krankenpflege-Verein, der wöchentlich kommt. Und
wir haben eine gute nachbarschaftliche Situation. Viele verlässliche
Mitspieler also, die jederzeit zur Verfügung stehen.«
Zu einer professionellen Pflege gehört, wenn nötig, auch eine gute
Schmerzbekämpfung. Peter Niedermair hält deshalb Kontakt zu einem
erfahrenen Schmerzexperten in der Palliativstation Hohenems. Der
steht bereit, wenn es notwendig sein sollte. Der größte »Schatz« der
Familie aber ist die 24-Stunden-Pflege selbst. Die beiden Pflegerinnen
wechseln einander ab; sie wurden vom Betreuungspool vermittelt. Ihr
Werkvertrag ist ausführlich und klar; er definiert Leistungen und
Einsatzzeiten, die zu erbringen sind, natürlich das Entgelt und auch
die Kündigungsfristen.
Die Familie Niedermair ist privilegiert. Sie hat gute Beziehungen
– und sie kann sich diese Pflege leisten. Aber trotz Pflegegeld und
Förderungen muss Irma Niedermair auf Erspartes zurückgreifen. Die
Honorare für die Pflegerinnen betragen insgesamt 2400 Euro pro
Monat, die Fahrkosten belaufen sich auf 400 Euro; 300 Euro sind für
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Lebensmittel, 300 Euro für Medikamente und nochmal 300 Euro für
Telefon, Strom, Heizung und Versicherung zu bezahlen. Die Fixkosten
belaufen sich insgesamt also auf 3700 Euro. Das ist viel Geld.
Auf der Habenseite stehen die eigene Pension plus Witwenrente, insgesamt 1360 Euro, das Pflegegeld der Stufe IV, 660 Euro, die Förderung
des Bundessozialamtes für die 24-Stunden-Pf lege von 550 Euro.
»Einnahmen« von 2570 Euro also. Fehlen folglich 1130 Euro, die Irma
Niedermair vom Ersparten bezahlen muss.
Die Familie findet: Diese Pflege ist ihr Geld wert. Irma Niedermair
sagt, sie fühle sich sehr wohl und gut behütet, obwohl sie manchmal Schmerzen erleide. Und auch die anwesende Betreuerin Yveta
Haluskova aus der Slowakei zeigt sich zufrieden: »Es passt alles wunderbar. Frau Irma ist sehr ruhig und sehr freundlich.«
Die wesentlichste Kritik am System: Nicht in jedem Bundesland kann
man gleich gut vom Pflegegeld leben. Das hat die »Caritas« berechnet. Ein Beispiel für die unterschiedliche Höhe der Eigenleistung: Eine
Pensionistin, Pflegestufe III, wird mobil drei Mal die Woche von einer
Heimhilfe unterstützt. Einmal im Monat kommt die Krankenschwester.
Ihre Pension beträgt 950 Euro.
Die Kosten dafür: Im Burgenland 165 Euro, in Niederösterreich 129
Euro, Kärnten 118, Salzburg und Steiermark 113, Vorarlberg 111, Wien
78, Oberösterreich 76, Tirol und Osttirol 75 Euro. Dieser Aufstellung ist
hinzuzufügen: Ändern sich Pflegestufe oder Leistungen, ändern sich
natürlich sofort auch die Zuzahlungen.
Franz Küberl wiederholte €CO gegenüber kurz vor seinem Abgang als
»Caritas«-Präsident seine alte Forderung: Pflegeleistungen sollten
überall in Österreich gleich viel kosten. »Ich fürchte, die Bundesländer
lieben zunächst sich selbst und ihre eigene Geschichte und ihre ­eigene
Struktur. So bleibt wenig Kapazität, um voneinander zu lernen und
aufeinander zuzugehen. Aber unser Staat lebt schon davon, dass
Menschen aufeinander zugehen. Und wir leben auch davon, dass die
Bundesländer aufeinander zugehen. Die Pflege wäre ein sehr guter
Exerzierplatz für dieses Miteinander.«
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Noch ein paar Tipps:
•Der Verein für Konsumenteninformation hilft, wenn
es rechtliche Probleme mit Pflegeagenturen gibt. Der
Verein »Chronisch krank« hat etliche Agenturen in allen
Bundesländern unter die Lupe genommen. Die Mitarbeiter
geben telefonisch Auskunft, wie Angehörige eine seriöse Agentur ausfinden machen können. Diskontpreise
von 35 Euro pro Tag verheißen nichts Gutes. Ein seriöser Pflegetarif beginnt bei 50 Euro aufwärts und kann,
je nach Schwere der Erkrankung, bis zu 120 Euro am Tag
betragen.
•Es gibt auch Nachtpfleger, die Angehörige unterstützen.
Der Tarif für eine Nacht liegt bei 90 Euro.
•Menschen, die Hilfe nicht an jenem Ort benötigen, an dem sie hauptgemeldet sind, also zum
Beispiel ein Wiener, der in seinem Wochenendhaus in
Niederösterreich Pflegeleistungen benötigt, zahlt den
Privatkundentarif und erhält keine Förderung vom Land
Niederösterreich.
•Es gibt auch Neurologen, die Hausbesuche machen, wenn
auch zu wenige. Ein Hausbesuch kostet um die 200 Euro.
Ein Teil dieses Betrages wird von der Krankenkasse
rückerstattet.
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»Geld vom Golf«: Zwischen
Zinsverbot und Profitstreben
von Günther Kogler
Nein, einander geschenkt haben sich das Abendland und das
Morgenland nichts. Seit Jahrtausenden wurde kein Verbrechen,
keine gegenseitige Demütigung ausgelassen. Und noch immer
begegnen wir der arabischen Welt mit nahezu gemeingefährlicher
Naivität. Der »arabische Frühling«, im Westen bejubelt, ­endet
dort, wo er anbricht, in Anarchie – und in Flüchtlingslagern.
Und auf einmal sucht »Geld vom Golf« Anlagemöglichkeiten in
Europa. Nur: Was steckt hinter den »Geschäften aus Tausend
und einer Nacht« …?
Es ist noch gar nicht so lange her, da f indet in Österreichs
Bundeshauptstadt eine nicht alltägliche Konferenz statt. In der
Wirtschaftskammer Wien treffen sich im Frühjahr des Vorjahres, von
der Öffentlichkeit nicht sonderlich beachtet, Vertreter großer Fonds
und Investoren aus der arabischen Welt mit Bankmanagern und
Fondsverwaltern aus Österreich. Selbst Beobachter aus London und aus
Paris reisen an. Wien ist eben Wien – ein Treffpunkt.
Viele solcher Konferenzen hatte es bisher noch nicht gegeben. Geld
aus dem Morgenland sucht Anlagemöglichkeiten im Abendland. Da
schwingen viele Unsicherheiten mit. Wird Geld gewaschen? Wird gar
Geld gewaschen, das terroristischen Hintergrund hat? Wie verlässlich ist das arabische Finanzsystem? Wie dauerhaft fallen etwaige
Finanzbeteiligungen aus? Wie lassen sich unterschiedliche Kulturen
auf einen gemeinsamen (Beteiligungs-)Nenner bringen?
Es bedarf prominenter Fürsprecher. Richard Schenz, ehemals OMVGeneraldirektor und als stellvertretender Wirtschaf tskammerPräsident quasi Gastgeber der Veranstaltung, weiß Gutes zu berichten.
Weit mehr als ein Jahrzehnt ist es her, dass sich Österreichs größter Mineralölkonzern eine arabische Finanzbeteiligung an Bord holte.
Ein Finanzfonds aus Abu Dhabi besitzt seither einen beträchtlichen
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Anteil am Aktienvermögen der OMV; er ist sogar syndiziert mit jenen
Anteilen, die die Republik noch immer an der internationalsten Firma
unterhält, die in Österreich angesiedelt ist.
Schenz wickelte seinerzeit eine heikle Mission ab. Frisches Kapital der
OMV zuführen; gleichzeitig eine weitgehende Eigenständigkeit des
heimischen Mineralölkonzerns abzusichern; die arabischen Investoren
bei Laune zu halten; den österreichischen Besitz zu bewahren. Ein
Drahtseilakt. Eine »mission« nur für jemanden, der trittsicher ist.
»Arabische Geschäftspartner fassen nur sehr langsam Vertrauen; das
kostet viel Zeit und enorm viel Geduld«, erzählt Schenz €CO. »Aber,
wenn sie Vertrauen aufgebaut haben, dann sind sie verlässliche, treue
Geschäftspartner. Jedenfalls verlässlicher und treuer als die meisten
in der westlichen Welt.«
Allerdings, fragen wir nach, Geld verdienen wollen arabische Anleger
wohl auch? Trockene Antwort: »Natürlich. Geld verdienen tun sie
gerne. Nach ihren Maßstäben und nach ihren Werten tun sie das sogar
sehr gerne.«
Tja, dann gibt es eigentlich nur noch das kleine Problem mit der
Scharia. Das ist jene politische Ausrichtung, von der wir im Westen
­sagen würden, sie sei stark von der Religion beeinflusst. Vom Koran.
Doch von Anfang an: Tatsache ist, noch immer gelten viele islamische Länder als politisch und wirtschaftlich rückständig. Tatsache
aber ist auch: Sie holen auf. Langsam, aber stetig. Mit einem auf der
Scharia beruhenden Finanz- und Wirtschaftskonzept. Farmida Bi,
Wirtschaftsanwältin in London, erklärt €CO: »Ein Scharia-konformes
Finanzprodukt muss sich an die Prinzipien des Islam halten. Es gilt
ein striktes Zinsverbot. Es gibt weitere Einschränkungen. Mit dem
Geld darf nicht spekuliert werden. Geht es nur darum, Geld zu generieren, ohne dass dem Geschäft eine Nachhaltigkeit zugrunde liegt,
wird es geächtet. Und: Finanzprodukte dürfen nicht mit Pornografie,
mit Tabak, mit Alkohol oder etwa Schweinefleisch handeln.«
Wir sehen uns um, zuallererst auf dem Finanzplatz London. Der gilt
als der, naja, sagen wir es positiv, pragmatischste der Welt. Hier wird
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In Dubai sitzt eine Regierungsbehörde für »Islam-konforme Produkte« (Foto: Mike Hauser)
alles gehandelt, was gut und auch was böse ist. Selbstverständlich
auch die so genannten »Islamischen Finanzierungen«. »Islamic banking« heißt das Zauberwort in »der City«, im Bankenviertel Londons.
Internationale Wirtschaftskanzleien entwerfen Finanzprodukte, die
alle Regeln des Koran berücksichtigen. Halal – »erlaubt« – werden Lebensmittel genannt, die den arabischen Glaubensvorgaben
entsprechen. Hier wird halal mit Geld gearbeitet. Mit unglaublichen Steigerungsraten, allesamt höher als herkömmliche westliche
Produkte. Das Anlagevolumen mit dem berühmten »Geld vom Golf«
liegt weltweit bereits bei einer Billion Euro – das ist eine Ziffer mit
zwölf Nullen.
Als Grenzgängerin zwischen den Kulturen glaubt Farmida Bi die
Gründen zu kennen. »Nach dem Anschlag auf das World Trade Center
hat es im arabischen Raum Mitgefühl mit den USA gegeben. Aber
dann kamen die vom Westen angezettelten Kriege in Afghanistan
und im Irak. Das alles empfand die islamische Welt als demütigend.
Sie wurde mitverantwortlich gemacht für die Taten von Kriminellen.
Andererseits stieg das Selbstwertgefühl der arabischen Welt. Sie
suchte ihre Wurzeln. Das hat dem Modell eines neuen islamischen
Finanzsystems den entscheidenden Schub gegeben. Damit hat das
Geschäft erst so richtig zu laufen begonnen.«
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Schauplatzwechsel, gleich um ein paar tausend Kilometer. Das Emirat
Dubai. Vor Jahren hat man hier begonnen, sich auf die Zeit »nach dem
Öl« vorzubereiten. Immobilien heißt das Zauberwort. €CO trifft einen
»Zuwanderer«. Peter Casey ist Finanz- und Versicherungsexperte. Es ist
vor zehn Jahren von London nach Dubai gezogen. Allein muss er sich
hier nicht fühlen. 85 Prozent der Beschäftigten in Dubai kommen aus
dem Ausland. Er trifft auf der Arabischen Halbinsel auf Menschen unterschiedlichster Herkunft und Bildung.
Dubai beherbergt mehr Nationalitäten als New York. Der Islam
ist Staatsreligion; die Regeln der Scharia prägen das öffentliche Leben. Der wirtschaftliche Aufschwung ist traditionell westlich finanziert. Aber: Der Anteil von »Islamic Finance« am gesamten
Geschäftsvolumen von Dubai ist beträchtlich: Er beläuft sich auf 22
Prozent.
Das Duba i »Internat ional Financial Center« ist der Sitz der
Regier ungsbehörde f ür Islam-konfor me Finanzprodukte. Der
Abendländer Peter Casey leitet sie. »Meine Erfahrung ist: Leute mit
einem ausgeprägten Glauben wollen das auch zum Ausdruck bringen.
Ich persönlich verstehe, dass sich auch das Geschäft mit dem Geld religiösen Werten unterordnen soll. Nehmen wir als Gegenstück westliche Fonds, die sich offen deklarieren, sich an christliche Werte halten.
Davon gibt es etliche. Und nun geht es um ein Investment, sagen wir,
in ein Unternehmen, das sich mit künstlicher Befruchtung beschäftigt. Da wird es viele geben, die sagen, o.k., das ist kein Problem für
mich; es wird aber auch andere geben, die sagen: Das kommt nicht in
Frage. Also: Heute haben wir auch in der westlichen Welt Situationen,
bei denen in einer christlichen Gemeinde keine Übereinstimmung zu
erzielen ist. Dasselbe spielt sich im islamischen Kulturkreis ab.«
Nächster Schauplatzwechsel: Bahrain, der kleinste der Golfstaaten.
Er ist Sitz der Organisation »islamischer Finanzinstitute«. Unter der
Leitung ihres Generalsekretärs werden hier und nur hier die Regeln
für die islamischen Banken und die islamische Finanzindustrie erarbeitet. Als der Eckpfeiler islamischer Finanzierungen werden immer
wieder ethische Grundsätze angeführt. Das klingt fürs Erste einmal
unglaublich nobel.
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Mohammad Nedal Alchaar ist dieser Generalsekretär. Er erzählt uns:
»Ethische Werte geben einen Anhaltspunkt. Die Scharia bildet das
Rückgrat der islamischen Welt – für die Gesellschaft und für die
Religion. In der Praxis sollten alle unsere Investments Schutz bieten:
für den, der das Geld hergibt, für den, der das Geld erhält. Wenn sie
so wollen: Wir wollen am Planeten Erde mitbauen – das wäre das ganz
große Ziel.«
Das sind Sätze, die wir vor zehn Jahren noch jedem westlichen
Fondsmanager abgekauft haben. Dann kam, na ja, sie wissen schon
… Die Wirklichkeit ist, wie so oft, eine andere. Das Morgenland unterscheidet sich kaum vom Abendland. Die Klüfte sind dieselben. An vielen Orten in den arabischen Ländern sind sie sogar viel größer als im
Westen. Sagenhafter Reichtum trifft auf unermessliche Armut.
Auch in den Golfstaaten gibt es nämlich
»Gastarbeiter«. Sie kommen aus noch ärmeren
Vision einer modernen
Gegenden des Kulturkreises: aus Indien, aus
arabischen Welt
Pakistan, aus Bangladesch. Hunderttausende
von ihnen sind gekommen, um, wie zu den Gründerzeiten im Westen,
die Vision der »modernen Städte« der arabischen Welt zu verwirklichen. Die muslimischen Brüder vom indischen Subkontinent leben
in Behelfsunterkünften – außerhalb Dubais, außerhalb Abu Dhabis,
­außerhalb des Reichtums. Wer als Arbeiter seinen Job verliert, hat
drei Monate Zeit, sich einen neuen zu beschaffen; ansonsten wird er
ausgewiesen. Gewerkschaften oder gar ein soziales Auffangnetz, das
gibt es nicht.
Wir fragen Dinesh, einen Gastarbeiter aus Nepal, wie es ihm geht. Die
Antwort ist desillusionierend und könnte, politisch unkorrekt gesprochen, von Österreichs »Kolaric« kommen: »Weshalb sollte ich glücklich
sein? Ich musste meine Familie verlassen, um hierherzukommen. Ich
bin hier, weil ich Geld brauche. Wer ist schon glücklich, wenn er in
­einem fremden Land arbeiten und seine Familie zurücklassen muss?«
Ga n z nor m ale »A rbe it sm igr a nten« al so w ü rden w es tl ic he
Sozialforscher sagen. Alles wie gehabt. Der Spagat zwischen Anspruch
und Wirklichkeit einer in der Zwischenzeit globalen Wirtschaft. Der
189
Der Traum von einer modernen arabischen Welt: Dubais »Palmeninsel« (Foto: NASA)
Traum vom besseren Leben – reduziert auf Zwölf-Stunden-Schichten,
schlechte Löhne und einen einzigen freien Tag in der Woche. »Imagine
your life«, da wie dort.
Aber: Auch das gibt es. Eine neue Unternehmerschicht. Man findet sie,
wo niemand sie vermuten würde: in den riesigen Industriegebieten
um Kayseri in Zentralanatolien. Ja, wir sind in der Türkei, in
­e inem riesigen Wirtschaftsraum, den wir nicht und nicht in die
Europäische Union integrieren wollen. Hier wird alles produziert:
Möbel, Haushaltswaren, High-Tech. Allein rund um Kayseri sind 850
Betriebe mit rund 60.000 Beschäftigten angesiedelt. Gearbeitet wird
im Drei-Schicht-Betrieb. Letztes Jahr generierte der Industriepark
­einen Umsatz von vier Milliarden Euro.
Milkay, ein auf Textilrecycling spezialisierter Betrieb, finanziert
seine Investitionen – offiziell – ausschließlich aus Rücklagen oder
Gewinnen. Dennoch: Auch Chef Tahir Nursacan, ein bulliger türkischer
Geschäftsmann wie aus dem Bilderbuch, kann in seinen Geschäften
das islamische Zinsverbot nicht immer konsequent einhalten »Nehmen
wir an, jemand will 5000 Euro bei uns investieren. Auf diesen Betrag
wird ein Erlös vereinbart, der einem normalen Zins entspricht. Dieser
Aufschlag müsste dann wieder reinvestiert werden. So sollte es nicht
190
möglich sein, durch den Verleih von Geld allein mehr Geld zu verdienen. Wie wir das handhaben? Das ist diffizil. Natürlich dürfen wir
nicht Zinsen legalisieren. Das ist unmöglich. Aber andererseits möchten wir auch ausbauen, größer werden. Wir erfinden Auswege. Es ist
nicht wirklich erlaubt. Aber es gibt Hintertüren. Wir beten zu unserem Schöpfer, dass er uns allen vergibt.«
Angetrieben von den ungeheuren Einnahmen aus dem Ölgeschäft
sucht die Wirtschaft in den muslimischen Ländern noch immer
nach ihrem eigenen Weg. Ein Spagat – zwischen jahrhundertealten
Traditionen und den Profitmodellen des westlichen Systems.
Als vor fünf Jahren auch die arabische Welt vom Platzen der
Finanzblase in Mitleidenschaft gezogen wurde, markierte das e­ inen
entscheidenden Einschnitt. Auch in der islamischen Welt wurde der
zügellose Kapitalismus hinterfragt. Und: Deutlicher als im Westen
führte die Debatte zu einer Neuorientierung. Islam-konforme
Finanzierungen drängten sich in den Vordergrund. Geschäfte auf
der Basis der Scharia. Der hingeklotzte Prunk in den künstlichen,
auf Meersand aufgebauten Welten von Dubai und Abu Dhabi lässt
sich nicht mehr abreißen, aber er steht nicht mehr im Mittelpunkt;
Rechtsgelehrte, so genannte Scholars, entscheiden darüber, was ein
guter und was ein unerlaubter Deal ist.
Unsere Londoner Wirtschaftsanwältin Farmida Bi erläutert: »Wenn Sie
ein Finanzprodukt auf den Markt bringen, genügt nicht eine einfache
Ankündigung: Das gibt es jetzt; kauft es einfach. Sie benötigen eine
Bestätigung einer Schule, einer Kontrollinstanz. Das ist eine Fatwa,
eine offizielle Bestätigung einer religiösen Stelle. Da heißt es: Ja, wir
haben die Papiere geprüft, es ist alles in Ordnung. Wenn Sie dieses
Finanzprodukt kaufen, dann bewegen Sie sich im Rahmen unseres
Glaubensrechts.«
Wieder ein Ortswechsel: In Manama, der Hauptstadt des kleinen Königreiches Bahrain, findet jedes Jahr die Konferenz der
»Organisation der islamischen Finanzinstitute« statt. Es ist ein
Treffen, das im Westen kaum wahrgenommen wird – ein Fehler. Hier
machen sich Politiker, Banker und islamische Rechtsgelehrte in
191
informellen Zirkeln aus, was erlaubt ist und was nicht. Umgelegt
auf das Abendland trifft sich in Manama die amerikanische Federal
Reserve mit der Royal Bank of England und der Europäischen
Zentralbank. Begleitet von den Oberhäuptern der katholischen und der
anglikanischen Kirchen.
Scheich Mohammed Saleh Yaquby, ein islamischer Rechtsgelehrter, erläutert uns die Stimmungslage: »Gemeinsam mit der Kolonialisierung
wurden bei uns westliche Gesetze eingeführt, natürlich auch die westliche Art des Bankwesens. Die Mehrheit der arabischen Bevölkerungen
freilich hat das westliche Zinsmodell nie akzeptiert. Auch dann nicht,
als sie selbst ihr Vermögen in genau dieses Banksystem transferierten. Sie mussten das tun, weil es keine andere Möglichkeit gab. Fakt
aber ist: Viele arabische Länder sind »underbanked«, die Leute glauben nicht, dass das System mit den Zinsen gut ist. Als sich dann die
Kolonialmächte zurückziehen mussten, gab es viele, sehr viele unter uns, die sagten: Hey, lasst uns doch zu unserem eigenen, alten
Banksystem zurückkehren.«
Wie sträf l ich vom Westen das alljährl iche Treffen in Manama vernachlässigt wird,
zeigt eine einzige Ziffer: Es gibt gerade einmal 300 Scharia-Gelehrte, die die Vielzahl an
Finanzprodukten im arabischen Raum bewerten. Davon sind aber, so
wie bei uns, mehrere zehntausend auf dem Markt. Ein Flaschenhals
also, kontrolliert von den Wächtern der Religion. Und niemand sollte
einem Irrglauben verfallen, der Pragmatismus der Tagungsteilnehmer
wäre nahezu grenzenlos.
Scharia-Gelehrte
bestimmen alles
Von der reinen Lehre her sind Obligationen, Derivate, alles, was sich
westliche Finanzmathematiker jemals erdachten, verpönt. Nicht einmal Kreditkarten dürften erlaubt sein – auch sie funktionieren ja
auf einem geächteten Zinsgeschäft. Die Findigkeit der Gelehrten aber
ist, wie soll man sagen, einzigartig. Im Notfall wird der Koran großzügig ausgelegt – im Sinne der Geldhäuser. Schließlich soll die strenge
Befolgung der Lehre zu keinem Wettbewerbsnachteil gegenüber dem
westlichen System führen. Das wäre auch ein Verstoß gegen die
Schrift; das hätte sich der Prophet vermutlich auch nicht gewünscht.
192
Überdies werden die Wächter für ihre Gutachtertätigkeit bezahlt.
Das macht flexibel nach innen. Nur nach außen wird Strenge demonstriert. Mufti Muhammad Taqi Usmani, ebenfalls ein islamischer
Rechtsgelehrter, vertritt Thesen, die auch von »attac« kommen könnten. »Wenn im Westen Geld gehandelt wird, wird kein zusätzlicher
Nutzen geschaffen. Ich verleihe Geld, verlange dafür einen bestimmten Zinssatz und das ist es dann auch schon. Aber das allein schafft
keinen Mehrwert. Wir hingegen haben den Beweis erbracht: Wird
Geld nach unseren Regeln angelegt, eingesetzt, dann gibt es einen
Mehrwert, eine Nachhaltigkeit. Es kann nicht aus Geld Geld gemacht
werden, wie das bei den Derivaten der Fall ist. Wo ist der Mehrwert,
die Nachhaltigkeit? Das sind alles nur Zahlen und Ziffern, mit denen
die Computer gefüttert werden.«
Mufti Usmani war es gewesen, der auf einer der alljährlich stattfindenden Konferenzen der Geld- und Glaubenswächter für einen Eklat
gesorgt hatte. Den Gutachtern hatte er »Käuflichkeit« vorgeworfen, unzähligen schon auf dem Markt befindlichen Produkten die
»Reinheit« aberkannt. Aber: Die Sache war bereits gegessen. Die Fonds,
die Investorengruppen, die Anleger im arabischen Raum verfügten
bereits über zu viel Geld, um nicht am internationalen Geschäft teilnehmen zu wollen. Seither hat die Zeit ihr Übriges getan. Alles wird
hochprofessionell gemanagt, gleich wie in der City of London oder
an der Wall Street in New York. Egal, ob es sich um staatliche Fonds
oder um islamische Banken handelt – die Besitzer, die Eigner haben
Interessen. Sie wollen Geld verdienen.
Im Notfall müssen die Spuren verwischt werden. Eine der erfolgreichsten Anleihen aus der Region ist das bekannte »Dubai Port«Projekt. Die Hälfte des Geldes kommt aus dem verpönten Westen, die
andere aus traditionell islamischen Wertpapieren, den so genannten
Sukuks. Die Frage ist nur: Ist das Geschäft als Ganzes sauber, wenn
nur eine Hälfte sauber ist? Unsere Wirtschaftsanwältin aus London
gibt den Zwiespalt zu: »Das hat natürlich einen Gewissenskonflikt
ausgelöst. Zwei Geldgeber, eine komplizierte Transaktion. Sie war
riesig. Aber auf einmal haben die arabischen Banken gesehen, welche Möglichkeiten sie haben. Und die westliche Welt hat ihrerseits
den islamischen Markt wahrgenommen, erstmals. Bis dahin waren
193
wir nur mit Nischenprodukten in Verbindung gebracht worden, als
Randfiguren«, gesteht Farmida Bi.
Und überhaupt: Warum sollte es nicht auch in der arabischen Welt
Generationenkonflikte geben. Knapp zwei Autostunden von Dubai
entfernt liegt Abu Dhabi. Die Hauptstadt der Vereinigten Arabischen
Emirate verfügt ebenfalls über reiche Ölvorkommen. Noch glitzert Abu
Dhabi nicht so sehr wie Dubai, aber das Emirat hat Großes vor. Es will
seine Hauptstadt zu einer Weltstadt machen, die mit London und Paris
konkurrieren kann.
Rami al Tayar ist Hotelmanager; wie viele seiner Generation ist er
jung und hervorragend ausgebildet. Seinen Job in einer amerikanischen Hotelkette hat er sich hart erarbeitet. Seine Lebensgeschichte
ist höchst spannend – seine Familienhistorie noch viel mehr. Rami
schwärmt von seinem Vater, einem ehemaligen Profi-Fußballer. »Mein
Vater ist, wie soll ich sagen, einer vom alten Schlag. Er hat ein
Smartphone, genauso wie ich; aber er verwendet es nicht. Es ist ihm
zu kompliziert. Bei ihm im Büro stapeln sich die Papiere. Für mich
wäre so eine Arbeitsweise unvorstellbar. Ich bin aufgewachsen mit der
Playstation, mit Sega Genesis. Er hat gearbeitet und immer mit seinen
Kunden und Angestellten geredet – und er hat ausgezeichnet Fußball
gespielt.«
Rami al Tayars Vater Mohammad war noch vor der Geburt seines
Sohnes als Fußball-Profi von Ägypten nach Abu Dhabi gekommen. Die
Entscheidung, nach dem Ende seiner Kickerkarriere zu bleiben, fiel
ihm nicht schwer. Der anbrechende Ölboom bot ihm die Chance seines
Lebens. Gemeinsam mit einem arabischen Partner gründete er in dem
Emirat eine Firma. Einen Vertrag gibt es bis heute nicht. »Wir haben
unsere Geschäfte gemacht, ohne einen Vertrag zu unterzeichnen. Wir
haben einander einfach vertraut. Wir haben geglaubt, was der andere
gesagt hat.«
€CO trifft Mohammad al Tayar in einem vorsintflutlich anmutenden
Büro. Unterlagen, Aufzeichnungen, vermutlich auch wichtige Papiere
liegen ungeordnet und nicht eingeheftet wirr durcheinander. Wenn
sich wer in dem Chaos auskennt, dann gibt es nur einen einzigen
194
Wissenden: »Die Leute sind doch zum Großteil dieselben geblieben. Es
sind Leute, die in der Wüste leben. Sie leben nicht in einer Stadt, sie
kommen aus der Wüste, leben einfach, bescheiden. Sie haben noch ein
Herz. Niemals wird es heißen: Du arbeitest für mich. Immer wird es
heißen: Wir beide arbeiten gemeinsam.«
Zum Abschluss: w ieder in Wien, w ieder in der Zentrale der
Wirtschaftskammer in der Wiedner Hauptstraße. Sie wissen schon:
Arabisches Geld sucht westliche Anlagemöglichkeiten. Ein prall gefüllter Konferenzsaal im Erdgeschoss. Natürlich, heißt es auch hier, müssten die Geschäfte sauber sein.
Sara Mohamed ist eine orientalisch gekleidete selbstbewusste Frau, die sich nicht nur »Wir hoffen auf
hervorragend im Westen zu bewegen weiß, gute Investments«
sondern auch noch bestens universitär ausgebildet ist – und, als kleines Zubrot, die milliardenschwere »Al
Bashayeer Investment Company« vertritt. »Warum wir heute hier sind?
Wir hoffen, Investitionsmöglichkeiten zu finden, Beteiligungen an guten, soliden Unternehmen in Österreich. Vielleicht auch an solchen,
die momentan unter ihrem Wert gehandelt werden. Investoren aus den
Golfstaaten suchen immer nach Anlagemöglichkeiten.«
Und €CO wäre nicht €CO, würden wir nicht rasch auf den Kern der
Operation stoßen. Abelhak El Kafsi von den »Islamic Finances« gibt
gerne preis, was wir ohnehin von Anfang an vermutet hatten: »Es
gibt einen Teil der Welt, da gibt es Öl im Überfluss; anderswo, das
wissen wir, herrscht Mangel. Österreich bietet für uns hervorragende
Möglichkeiten. Das Rating ist zwar nicht mehr Triple-A, aber es ist
AA-plus. Das ist hervorragend.«
Wir unternehmen einen letzten, verzweifelten Versuch: Ist AA-plus
wirklich »eine ausgezeichnete Bewertung«? Kurze Antwort: »Natürlich
ist es das. Das ist sogar hervorragend.«
Wir ahnen: Aus den Bazaren sind hochmoderne Finanzzentren geworden. Das Morgenland tickt nicht anders als das Abendland. Geld bahnt
sich seinen Weg – überall auf der Welt.
195
Große Worte –
meist sogar richtige
gesammelt von Günther Kogler
»In Bestform würde ich beide in ein- und derselben Runde
umhauen.«
Ex Box-Weltmeister Mike Tyson hält noch nichts von den amtierenden
Schwergewichts-Titelträgern Vitali und Wladimir Klitschko
»Es gibt keinen Grund, ein Gentleman auf der Strecke zu sein. Bei
uns fahren keine Frauen.«
Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel über die Manieren auf den
Rennstrecken
»Die Tour de France drei Wochen lang ungedopt zu fahren, das ist
nicht gesund.«
Ex-Rad-Profi Stefan Schumacher wird positiv auf das verbotene
Aufputschmittel Cera getestet
»Bisschen wie ’ne Pussy gefahren.«
Schirennfahrer Felix Neureuther ist mit seiner Leistung in Sölden
unzufrieden.
»Ich weiß, dass das doof ist. Aber ich zahle volle Steuern.«
Deutschland hätte nur genau hinhören müssen – Bayern-Präsident Uli
Hoeneß 2005 in einem Interview
»Es war der Kick, pures Adrenalin.«
Bayern-Präsident Uli Hoeneß philosophiert über seine nächtlichen
Börsezockereien, die er via Internet jahrelang betrieb
»Ich denke, wir sollten niemanden verurteilen, der einen Fehler
gemacht hat. Selbst die katholische Kirche gewährt eine zweite
Chance.«
Bayern-Ehrenpräsident Franz Beckenbauer macht Steuerhinterzieher
Uli Hoeneß die Mauer
196
»Zurück gehen wir mit dem Helikopter.«
Eine Eintragung im Gipfelbuch kostet einem niederländischen Paar
viel Geld.
»Lieber ein Dirndl im Schrank als Geld auf der Bank.«
Mode-Ikone Gexi Tostmann kämpft gegen niedrige Sparbuch-Zinsen
»Wer eine alpine Schiweltmeisterschaft austragen darf, kann
eigentlich nur einen Fehler machen: streiten!«
ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel ärgert sich über die Schladminger
Touristikbetriebe
»Kärnten ist reich an künftigen Entbehrungen.«
Neo-Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) weiß, was auf seine
Landsleute zukommt
»Die lange Bank – das ist Österreichs liebstes Möbel.«
Bernd Schilcher, einstmals ÖVP-Politiker in der Steiermark, kennt
seine Landsleute.
»Wir sind auf dem richtigen Weg. Das ist leider im Wahlkampf
untergegangen.«
Gabi Burgstaller (SPÖ) wundert sich über ihre Abwahl als Salzburger
Landeshauptfrau.
»Ich gebe gerne zu, dass ich jetzt wieder dort angekommen bin,
wo ich hingehöre.«
Das hatten sich immer schon viele gedacht – Norbert Darabos (SPÖ)
übersiedelt vom Verteidigungsministerium wieder in die Löwelstraße
»Das Pferdefleisch gehört zu Wien wie die Sachertorte.«
Margarete Gumprecht, Pferdefleischhauerin, versteht die Aufregung
um falsch deklarierte Lebensmittelprodukte nicht
»Das wäre Ostern, Weihnachten, Neujahr, Ramadan, alles zusammen.«
»Westbahn«-Chef Clemens Schneider träumt politisch korrekt davon,
dass das Infrastrukturministerium den ÖBB keine Wettbewerbsvorteile
mehr zuschanzt
197
Die AutorInnen des ORF-Teiles
Angelika Christine Ahrens
Geboren: 24. 3. 1972 in Salzburg,
aufgewachsen in Freilassing/Deutschland
Schulbildung: Abitur am Rottmayr-Gymnasium
Laufen (Abschluss 1991)
Bis 1994 Sparkasse Berchtesgadener Land, parallel dazu eine TV/
Radioausbildung; 1994 Brokerbüro Hornblower Fischer New York;
1994–96 Studium an der Europäischen Journalismus Akademie,
Donauuniversität Krems (Master of Advanced Studies,
Journalism in Print, Radio and Television).
Ab 1995 für den ORF (Österreicher Rundfunk) unterwegs
zunächst als Volontärin im Aktuellen Dienst Niederösterreich.
Ab 2001 Moderation und Gestaltung der Börsenleiste in der »ZiB
13 Uhr«, TV-Beiträge in der »ZiB 1«, »ZiB 2« und €CO sowie seit
2002 Moderation des Wirtschaftsmagazins €CO
Mag. Bettina Fink
Geboren in Bregenz, Vorarlberg
seit 2000: Redakteurin beim Wirtschaftsmagazin €CO,
zuvor bei der Zeit im Bild
1994–2000: ORF-Landesstudio Vorarlberg, Chefin vom Dienst für
die Sendung »Vorarlberg heute«.
1993–94: Freie Journalistin in Berlin. Ständige freie
Mitarbeiterin der Tageszeitung »taz«, Kulturberichte für »Die
Welt«, Hörfunk-Beiträge für den »Sender Freies Berlin«
1990–93: »Energieinstitut Vorarlberg«, Projektleiterin für
Öffentlichkeitsarbeit in der Non-Profit-Organisation.
1989–90: »Vorarlberger Nachrichten«, Bregenz, Redakteurin in
den Bereichen Lokales, Kultur und Wirtschaft
Studium der Germanistik, Publizistik und Kommunikations­
wissenschaften an den Universitäten Salzburg bzw. Innsbruck
Mag. Beate Haselmayer
geb. 1981 in Tulln in NÖ.
Studium der Publizistik und Kommunikationswissenschaften,
Slawistik und Deutsch als Fremdsprache in Wien.
Studienaufenthalte in Russland und der Ukraine.
Stipendium an der Donau-Universität Krems (Lehrgang für
Fernsehjournalismus). 2006: Recherche für Dokumentarfilme.
2007–2012: Freie Reporterin für die ORF-Reportagesendung »Am
Schauplatz«. 2011–2012: Freie Mitarbeiterin in der »Zeit im Bild«.
Seit März 2012: Redakteurin im ORF-Wirtschaftsmagazin €CO.
198
Hans Hrabal
geb. 19. 9. 1964
Seit Sommer 2010 Redakteur beim Wirtschaftsmagazin €CO, ORF
2004–10 Leiter Business Development Neue Medien, ORF
2000–04 Projektleiter Fernsehdigitalisierung,
1998–2000 Redakteur für Konsumentenschutz- und
Bürgerservice-Themen beim Vorabendmagazin
Willkommen Österreich, ORF
1992–98 Redakteur Wir Bürgerservice, ORF
1988–92 Freier Journalist für TREND, PROFIL, WIENER, Ö3
Studium der Politikwissenschaft und Handelswissenschaft in
Wien. Post Graduate Studien in Washington D.C., Bologna und
Berlin
Günther Kogler
geb 1956 in Übelbach in der Steiermark; Matura in Graz;
Computerausbildung Systemprogrammierer;
seit 1982 verheiratet, zwei Kinder
1976 Freier Mitarbeiter »Kleine Zeitung«,
1979 Redakteur für Innenpolitik
1988 Leiter der Lokalredaktion »Kleine Zeitung«, Graz
1989 ORF-Landesstudio Steiermark
1994 ORF Wien, Politikmagazin »Der Report«
seit 1998 Vortrags- und Prüfungstätigkeit im Rahmen des
»­Medienkundlichen Lehrganges« an der Universität Graz
2001 Sendungsverantwortlicher »TV- Diskussionen«
seit 2010 stv. Sendungsverantwortlicher €CO
Hobbys: Neugier, Architektur, steirischer Weißwein,
Flugmaschinen aller Art
Dr. Christina Kronaus
Studium der Romanistik und Publizistik
an der Universität Wien.
Lehrgang für Werbung und Verkauf an der
Wirtschaftsuniversität Wien.
Journalistische Lehrjahre in der »Presse«,
seit 1984 Reporterin/Filmemacherin für den ORF/3Sat.
Produktionen für internationale Fernsehprojekte.
Lehrtätigkeit für die europäische
Konsumentenschutzorganisation BEUC
in Brüssel und die Fachhochschule St. Pölten.
199
Katinka Nowotny
Jahrgang 1964; Studium Volkswirtschaft und Soziologie an der
Universität Wien, Master (M.A.) in Television Journalism an der
New York University mit einem Fulbright-Stipendium.
Seit mehr als zwei Jahrzehnten Fernsehjournalistin aus
Leidenschaft. Aufgewachsen in Kairo, New York und Wien hat sie
immer wieder für das Weltjournal aus Krisengebieten berichtet:
aus Nordkorea, aus Sarajevo, aus New York nach 9/11. Nebenbei
15 Jahre lang Österreich-Korrespondentin von CNN World View.
Zahlreiche Journalistenpreise. 2011 »Chefin vom Dienst« im
Weltjournal. Ab 2012 im Stammteam von €CO. Ganz nach dem
Motto: »Wirtschaft in diesen Zeiten ist spannend wie selten
zuvor.« Verheiratet; zwei Kinder. Eine begeisterte Ruderin und
jeden Sommer besteigt sie einen Dreitausender in Österreich.
Sabina Riedl
Geboren am 14. 5. 1965 in Wien
Aufgewachsen in den USA, in Chapel Hill, North Carolina.
1976–83 Gymnasium in Wien 19, ­Gymnasiumstraße
Ab 1984 Studium am Institut für Übersetzer- und
Dolmetscherausbildung / Englisch und Italienisch
Seit 1987 Redakteurin im ORF
1998 Staatspreis für Wissenschaftspublizistik für die
Dokumentation »Der kleine Unterschied«, ein Feature über
Geschlechtsunterschiede in der Sendereihe Modern Times Spezial
Seit 1999 ist sie als Redakteurin für das
Wirtschaftsmagazin €CO im Dauereinsatz
Sie ist Mutter einer 13-jährigen Tochter und frönt privat
dem Boxsport, Reisen, Kinofilmen, Rockmusik und dem
Gitarrespielen.
Dr. Alexander Sattmann
1972 in Klagenfurt geboren, wuchs zweisprachig (Deutsch/
Slowenisch) auf, maturierte am Bundesgymnasium für Slowenen
in Klagenfurt und studierte an der Universität Wien Publizistikund Kommunikationswissenschaften sowie Politikwissenschaft.
Bereits mit 19 Jahren begann Alexander Sattmann seine ORFKarriere im Landesstudio Kärnten. Während der Studienzeit
arbeitete er immer wieder für den ORF. Alexander Sattmann war
unter anderem ORF-Korrespondent für Slowenien und wechselte
2001 in die Redaktion des Politikmagazins »Report« nach Wien.
Von ihm erschienen ist bisher das Buch »Kärnten verstehen«.
200
Die AutorInnen des ORF-Teiles
Ernst Johann Schwarz
Am 4. Dezember 1954 in Krumbach/Bucklige Welt in
Niederösterreich geboren. Maturierte 1973 am Humanistischen
Gymnasium Wiener Neustadt, studiert an der Universität
Wien. Von 1977 bis 1991 Archivar am Institut für angewandte
Sozial- und Wirtschaftsforschung. 1991 bis 1995 Leiter der
Dokumentation des Zentrums für angewandte Politikforschung.
Seit 1995 innenpolitischer Redakteur im ORF-»Report«.
2010 Prälat-Leopold-Unger-Journalistenpreis für die
Fernsehgeschichte »Österreich ohne Ausländer«. Privat
interessiert an Literatur und Theater, an griechischen Inseln
und Schipisten aller Schwierigkeitsgrade.
Mag. Hans Tesch
Jahrgang 1955. Studierter Betriebswirtschafter,
Wirtschaftsuni Wien.
Journalist mit Leib und Seele. Begonnen 1979 als Freier
Mitarbeiter der Zeit-im-Bild-Redaktion, dann Redakteur und
Chefredakteur im ORF-Landesstudio Burgenland. Seit Anfang
2011 Leiter von €CO. Sachbuchautor von »Sicher selbständig«
und »Bauen, kaufen, finanzieren«, Wirtschaftsverlag
Ueberreuter. Projektentwickler und Studienverfasser
Als ehrenamtlicher Obmann des Franz-Liszt-Vereines im Wohnort
Raiding die Basis für den Bau des Konzerthauses und somit für
den heute hochkarätigen Konzertbetrieb geschaffen.
»Liest« gerne Hörbucher, »studiert« gerne Wein-Jahrgänge.
Tätigkeit als Hobby-Winzer im Geburtsort Horitschon.
Hans Wu
Geboren in Wien, am 28. 11. 1969
Sohn von Liu Lee-Chun, Landwirtin, und
DI Dr. Wu Zun-Ho, Landwirt
1980–88 BRGXXI Ödenburgerstraße in 1210 Wien
1988–95 Studium der Geschichte an der Uni Wien
1991–2000 Redakteur/Gestalter beim ORF.
2002 Application Research Manager und Trendscout beim
­Mobilfunkbetreiber ONE GmbH
2003 Produktentwickler beim Mobilfunk-Serviceentwickler
­Connovation GmbH
2003–07 Produktmanager bei ORF Online
2007–09 Redakteur bei der ORF-Sendung »Wie bitte?«
2009 Wechsel zur ORF-Wirtschaftssendung €CO
201
Von links nach rechts:
Franz Gschiegl, Zoltan Bakay, Mildred Hager
202
Rainer Münz, Bernadett Povazsai-Römhild, Thomas Schaufler
203
Die Aktienbörsen 2014:
Mehr Chancen als Risken
von Franz Gschiegl
Nach dem sehr guten Börsenjahr 2012 waren auch 2013 die meisten Aktienmärkte auf der Gewinnerseite vorzufinden. Können die
Aktien 2014 ihren Höhenflug fortsetzen oder ist eine Trendumkehr zu befürchten? Wenn auch die positiven Argumente noch
deutlich überwiegen, so ist doch im weiteren Jahresverlauf etwas
Vorsicht angebracht und ein selektives Vorgehen zu empfehlen.
Mutige Investoren, die sich 2013 den Dividendenwerten anvertrauten, wurden neuerlich überwiegend belohnt. Nach einem fulminanten
Börsenjahr 2012 wurde erwartungsgemäß der Schwung ins nächste
Jahr mitgenommen und sowohl die Anleihemärkte als auch die meisten
Aktienbörsen konnten sich anfangs von ihrer positiven Seite präsentieren. Beim genaueren Hinsehen verlief die Entwicklung der globalen
Dividendenwerte doch etwas anders als jene der Anleihen.
Grundsätzlich war zwar der Börsezug 2013 nicht mehr im fulminanten
Tempo des Vorjahres unterwegs, trotzdem konnte man nicht allzu viel
falsch machen. Etliche Aktienbörsen, vor allem die wichtigste, nämlich
die Wallstreet, konnten sogar neue historische Rekordstände erzielen, ebenso wie etwa die benachbarte deutsche Börse. Dabei konnten
die »etablierten Märkte« deutlich besser als die lange Jahre hochgejubelten »Emerging Markets«, also die aufstrebenden Börseplätze, abschneiden und im Durchschnitt 15 bis 20 Prozent an Plus aufweisen.
Unter den Verlierern befanden sich hingegen einige Schwellenbörsen
wie etwa Brasilien, Mexiko und China. Apropos Minus: Gold lag mit einem Preisverfall von 25 Prozent kräftig im roten Bereich, auch andere
Rohstoffe mussten tiefere Notierungen hinnehmen.
Der Höhenflug bei den Anleihekursen wurde hingegen im Mai kräftig gebremst. Nach den neuerlichen Zinssenkungen der Europäischen
Zentralbank und vieler anderer Währungshüter nahmen viele Anleger ihre
Gewinne mit, da sie mit einer deutlichen Zinswende rechneten. Die amerikanische Notenbehörde hatte nämlich wissen lassen, dass sie ihre Politik
204
Der DAX erstmalig über 9000 Punkte. (Foto: Arne Dedert / dpa / picturedesk.com)
des »billigen Geldes« und vor allem die Wertpapierankaufsprogramme
ändern wolle. Nach einem schwachen Börsensommer, in dem vor allem
die Schwellenbörsen, sowohl bei den Aktien als auch bei den Anleihen,
Verluste hinnehmen mussten, nahmen die US-Währungshüter ihre
Ankündigungen wieder zurück, worauf die Weltbörsen im letzten
Jahresdrittel wieder kräftiger zulegten. Die Zinssenkung auf das historische Rekordtief von 0,25 Prozent durch die Europäische Zentralbank
im November 2013 war nur noch Ausdruck der Tatsache, dass weiterhin,
zwecks Entlastung der schwer verschuldeten Staaten vor allem in der
Mittelmeerregion, mit tiefem Zinsätzen zu rechnen ist.
Wetterleuchten bleiben nicht aus
Die Weltbörsenhausse ist im März 2014 bereits fünf Jahre alt und brachte
an den meisten Aktienmärkten ein Plus von deutlich über 100 Prozent,
in Deutschland sind es beispielsweise sogar 150 Prozent. Prominente
negative Ausnahmen sind hier etwa Österreich und Hongkong, wo es
»nur« ein Plus von etwa 80 Prozent in diesem Zeitraum gab. Der viel
­zitierte Finanzcrash hatte im März 2009 zum zyklischen Tiefststand der
Dividendentitel geführt. Trotz zahlreicher bekannter Belastungsfaktoren
haben sich die Indizes schrittweise nach oben gearbeitet und etwa in
New York und Frankfurt zu neuen historischen Höchstständen geführt.
205
Unter den prominentesten Aktienumschlagplätzen konnte, besonders im
ersten Halbjahr, Japan den Titel »Phönix aus der Asche« mit einem Plus
von fast 40 Prozent erzielen. Das geschah allerdings auch auf Kosten
eines deutlichen Währungsrückganges, womit das Gesamtergebnis aus
Sicht des Euroinvestors deutlich geschmälert wurde.
Jene Kassandrarufer, die schon die längste Zeit einen Börseneinbruch erwartet hatten, fanden in den schwachen Börsentagen des Frühsommers
jedenfalls eine willkommene Bestätigung ihrer Thesen.
Was waren aber nun die Auslöser für dieses Wetterleuchten?
Die Belastungsfaktoren sind rasch aufgezählt: Da waren die Sorgen,
dass die US-Notenbank ihren voll aufgedrehten Geldhahn etwas zukurbelt und bald nicht mehr Wertpapiere im Gegenwert von 85 Mrd.
Dollar pro Monat aufkauft (was im September 2013 wieder entschärft
wurde). Da war und ist die Unsicherheit über die Perspektiven der
Weltwirtschaft und die ungelöste Euro-Krise. Und das neue Thema des
»Währungskrieges«, welches mit dem bewusstem Yen-Absturz eingeläutet wurde. Für negative Schlagzeilen sorgte – wie erwähnt – der
Preiseinbruch bei Gold und vor allem Silber, hier hat sich tageweise tatsächlich die Euphorie in eine Panik gewandelt.
Die eher ruhiges Fahrwasser gewohnten Anleihebesitzer wurden auch
kräftig durchgerüttelt, war doch der Mai des Vorjahres einer der
schwächsten Monate seit etlichen Jahren. Nachdem die EZB (Europäische
Zentralbank) am 2. Mai 2013 ihren Leitzinssatz auf ein bis dahin noch
nie da gewesenes Rekordtief von 0,5 Prozent gesenkt hatte, sahen viele
Anleger dies als Zinstief ohne weitere Fantasie an und begannen in den
Folgetagen mit kräftigen Verkäufen. Lag die Rendite von zehnjährigen
deutschen Bundesanleihen am 5. Mai 2013 noch bei 1,15 Prozent, so stieg
dieser Wert in wenigen Tagen auf 1,50 Prozent und im Herbst sogar kurzfristig auf 2 Prozent. Dies zog rechnerisch einen Kursverlust nach sich,
der die Zinseinkünfte von über zwei Jahren kostete. Wie zumeist mussten die zuvor am stärksten gestiegenen Papiere, etwa aus dem Bereich
der Schwellenländer, insbesondere aber auch Unternehmensanleihen, die
größten Verluste hinnehmen.
206
Federal Reserve Gebäude in Washington, DC (Foto: KAREN BLEIER / AFP / picturedesk.com)
Historisches Zinstief erreicht?
Das Zinsthema, gehört zu den wichtigsten Einflussfaktoren an den
Aktienmärkten. Schaut man sich die bedeutungsvollen deutschen Zinsen
an: Am 1. 6. 2012 war der historische Tiefstand von 1,13 Prozent bei
den deutschen Bundesanleihen zu sehen. Nach einer kleinen Bewegung
nach oben kam es dann zum »Test« dieses Tiefststandes am 5. 5. 2013
mit 1,15 Prozent. Danach gab es die Aufwärtsbewegung bis zur 2,00er
Marke. Natürlich können die Zinsen auch in den nächsten Monaten
weiter nach oben tendieren, aber die entscheidenden wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen werden bald als natürliche Barriere wirken, denn
der Konjunktur in Europa geht es nicht wirklich gut.
Wo ist aber dann ein »fairer« Zins anzusetzen? Grundsätzlich gilt auch
für Anleihemärkte das Gleiche wie für die volatileren Aktienbörsen:
Sie antizipieren die Erwartungen der aktiven Marktteilnehmer, was bedeutet, dass die Börsen dem realen Geschehen einige Monate vorauseilen. In der internationalen Zinslandschaft hat die US-Notenbank, die
FED (Federal Reserve), den bei weitem höchsten Stellenwert. Wie lange
bleibt der Geldhahn dort noch aufgedreht? Das ist die essenzielle Frage.
Die »Fed« hat sich dabei zweier Parameter verschrieben: solange die
Arbeitslosenzahlen sich nicht deutlich verbessern und solange keine
207
höhere Inflation befürchtet wird, gibt es Geld im Überfluss. Gingen die
Börsianer im Frühjahr noch davon aus, dass dies zumindest bis Ende
2014 der Fall ist, gab es nun die ersten Unsicherheiten, ob die Geldpolitik
nicht vielleicht schon früher eine Kehrtwende erfährt. Dies hat zu den
vorübergehenden Kursverlusten geführt. Der Spielraum für weitere
Zinsanstiege ist in den nächsten Monaten ein begrenzter. Ob dabei
eine »Bondbubble« platzen könnte, ist ein beliebtes Diskussionsthema.
Da an den Rentenmärkten ja ein vielfaches Volumen im Vergleich
zu den Weltaktienmärkten im Umlauf ist, besteht hier eine gewisse
Beunruhigung. Diese können wir zumindest für Renten mit besserem
»Rating« etwas eindämmen. Erstens werden Staatsanleihen bester und
guter Bonität immer einen hohen Anteil an Wertpapierdepots einnehmen, viele institutionelle Investoren müssen sogar hohe Quoten an
Staatsanleihen halten, zweitens, sind die Alternativen in vergleichbaren Risikoklassen sehr begrenzt. Da wäre der Geldmarkt zu nennen, aber
dort sind ja die Zinsen überhaupt am Gefrierpunkt angelangt. Japan und
die Schweiz sind die besten Beispiele für Länder mit nachhaltig sehr
niedrigen Zinssätzen und dort besteht trotzdem eine kontinuierliche
Nachfrage, vor allem auch aus dem Sicherheitsdenken heraus. Auch wenn
man sich mit den niedrigen Erträgen aus Anleihe- und Geldmarkt nicht
gerne anfreunden möchte – die Alternativen sind eben sehr rar. Eine
Zinswende, die wahrscheinlich ohnehin schon stattgefunden hat, ist per
se daher noch kein Malheur, auch wenn kurzfristige Kursverluste gerade
von Anleihebesitzern nicht sehr geliebt werden. Andererseits herrscht
im Gegensatz zu manchen nervösen Aktionären bei den Anleihebesitzern
oft eine »Endzeitmentalität« vor, da man nicht so stark auf die Kurse
fixiert ist, sondern eben das Ende der Laufzeit und damit die Tilgung
der Anleihe abwartet. Für die Aktienmärkte sind natürlich hohe Zinsen
auf dem Anleihemarkt oder bei den Spareinlagen eine bedeutende
Konkurrenz, aber von wirklich hohen und damit interessanten Zinsen
sind wir noch ein großes Stück entfernt.
Viele Investoren haben in den letzten beiden Jahren auf der Suche nach
höheren Erträgen den Sektor der Unternehmensanleihen entdeckt und
ihre Aktivitäten auch auf die Emerging Markets ausgedehnt.
Die Emerging Markets haben zwar noch für 2014 ein gewisses Potenzial,
da hier die Emissionsvolumina, also die begebenen und daher auf dem
208
Markt erhältlichen Papiere, im Vergleich zu den etablierten Märkten
noch gering sind. Außerdem hält die Diversifizierung der internationalen Großanleger noch an. Trotzdem ist Vorsicht angebracht. Es ist risiko­
ärmer auf breit streuende Investmentfonds zu setzen um nicht vom
Schicksal eines oder nur weniger Emittenten abhängig zu sein.
Die Top-10-Themen, die für ein freundliches
Aktienjahr 2014 sprechen:
1. Hohe »Cash Mountains«: Weltweit werden rekordhohe Bargeld­
bestände gemeldet, mit unterschiedlichem Tempo und Druck werden akzeptable Veranlagungsformen bei möglichst geringem Risiko
gesucht.
2. Anhaltende Liquiditätshausse und tiefe Zinsen: Auch wenn da und
dort schon die Tiefststände in diesem Zyklus gesehen wurden, so
bleiben die Zinsniveaus generell weiter niedrig (außer wenn es
eine aufkeimende Inflation zu bekämpfen gilt, was erst in den
Folgejahren erwartet wird). Dadurch wird weiterhin viel Geld an die
Wertpapierbörsen fließen.
3. Anlagenotstand: Auch wenn die Zinsen nun etwas höher
sind, müssen Pensionskassen, Versicherungen und andere
Kapitalsammelstellen verzweifelt nach Alternativen suchen.
4. »Die kalte Enteignung«: Seit geraumer Zeit wird kräftig Stimmung
gegen das Sparbuch gemacht. Obwohl die Inflation sehr gering ist,
muss am Sparbuch ein Realverlust hingenommen werden, weltweit
werden dabei 2014 etwa 100 Mrd. Dollar »vernichtet«.
5. Mangelnde Alternativen zu Aktien: Auch Aktiengegner müssen
allmählich erkennen, dass es wenig interessante Alternativen
gibt. Bei Anleihen muss man kurzfristig mit Kursrückgängen bei
Zinsanstiegen rechnen. Gold hat etwas von seinem Glanz verloren,
Immobilien sind schwerer handelbar und bei Kunstgegenständen
ist man auch nicht vor Preisschwankungen gefeit.
6. Relative Attraktivität: Aktien weisen langfristig die interessantesten Erträge auf, Mut und Ausdauer werden hier belohnt. Der
durchschnittliche Ertrag lag bei den entwickelten Märkten in den
letzten 37 Jahren bei ansehnlichen 8,50 Prozent.
7. Interessante und faire Aktienbewertungen: Nicht nur mangels Alternative, sondern auch wegen historisch betrachtet
209
­interessanten Bewertungen, wird das Interesse an Aktien steigen.
Die Unterbewertungen wurden zwar durch die Anstiege der letzten
Jahre abgebaut, aber eine »faire« Bewertung ist auch ok.
8. Nach der »lost decade«, also jener Zehnjahresperiode, die eine
negative Entwicklung brachte, könnte nun eine »winners
decade« folgen.
9. »Die Hausse nährt die Hausse«: Steigende Kurse bringen wachsenden Mut mit sich. Wer bisher gezögert hat, der muss dann verspätet
auf den dahinbrausenden Börsenzug aufspringen.
10.Die allmähliche Rückkehr des Anlegervertrauens unterstützt dann
auch die Börsen.
Die Top-10-Argumente der Pessimisten für 2014
1. Die Börsen sind schon stark gelaufen. Nach bald fünf Jahren
Hausse droht demnächst ein kräftigerer Einbruch.
2. Die Staatsschulden ufern aus und sind nicht mehr in den Griff zu
bekommen.
3. Das fragile Finanzsystem wird einem neuen Belastungstest durch
große Pleiten unterzogen.
4. Den Banken-, Finanz-, Wirtschafts- und Vertrauenskrisen folgt
eine Sozialkrise.
5. Der Konsument ist überschuldet und spart wieder mehr.
6. China wankt und reißt die Weltwirtschaft mit, wir schlittern wieder in eine Rezession.
7. Die Anleihemärkte brechen stärker ein und lösen eine allgemeine
Finanzpanik aus.
8. Politische Instabilitäten belasten.
9. Die Inflation startet plötzlich und verunsichert die Börsianer.
10.Der »Währungskrieg«, der in Japan seinen Ausgang nahm, greift
um sich.
Die Strategietipps für das neue Jahr
Unsicherheiten werden auch 2014 den Jahresverlauf prägen, aber
grundsätzlich ist es noch nicht zu spät, um auf den Börsenzug aufzuspringen. Viele Investoren haben die Hausse verpasst und haben
noch Nachholbedarf. Schwache Börsenphasen mit Bewölkung am
210
Börsenhimmel sollten zur Schnäppchenjagd genützt werden, vielleicht
gibt es sogar einen attraktiven »Winterschlussverkauf« an den Börsen.
Trends beachten: In dieser Börsenphase ist es sinnvoller auf bereits
bestehende Trends aufzuspringen als nach vernachlässigten Börsen
Ausschau zu halten (es hat meist einen Grund, wenn Aktien nicht steigen, während andere schon im Höhenflug sind). Diversifikation nicht
vergessen: Risikostreuung bleibt oberstes Gebot, auch wenn sich manche Möglichkeiten als noch so toll präsentieren. Hier bewährt sich der
Einsatz von Fonds.
Blickt man auf die Weltbörsen, so sollte der Wallstreet noch ein entsprechendes Potenzial zugetraut werden. Europa hat noch Nachholbedarf,
hier sind auch die Bewertungen attraktiver. Aus der Sicht der
Überseekunden ist allerdings die anhaltende Verschuldungsproblematik
ein belastendes Thema.
Nachdem die Schwellenländer nach ihrem Höhenflug schon über mehrere
Jahre eine wenig zufrieden stellende Wertentwicklung aufweisen und
vielerorts das Wirtschaftswunder der BRIC-Staaten1 zu Grabe getragen
wurde, sind hier wieder mittelfristig interessante Kurschancen gegeben.
Aufgrund des komplexen Themas sollte man hier zwecks Risikostreuung
und Titeldiversifizierung auf Investmentfonds setzen. Mutige Investoren
könnten auch wieder auf die Türkei, mit einem Plus von 58 Prozent der
Star-Performer aus 2012, setzen. Einige Probleme haben im Sommer 2013
zu massiven Liquiditätsabzügen geführt, was sowohl bei Aktienkursen
als auch bei der Währung zu kräftigeren Kursverlusten geführt hatte.
Die Türkei bleibt weiterhin ein sehr interessanter Wachstumsmarkt,
unsere »Schwellenbörse vor der EU-Haustüre«. Mit dem etappenweisen
Erwerb eines Länderaktienfonds, wie etwa dem ESPA STOCK ISTANBUL,
sollte man hier für etwas Ausdauer entsprechend belohnt werden.
Franz Gschiegl ist Volkswirt und J­ urist und seit etwa 30 Jahren
Börse- und Finanz­m arktexperte. Seit 1991 ist er Mitglied des
Vorstands der ERSTE-SPAR­I NVEST sowie der ERSTE IMMOBILIEN
KAG. Er hat zahlreiche einschlägige Bücher zu Themen wie
Veranlagung, Bank und Börse geschrieben und ist Referent bei
diversen Fachveranstaltungen. Außerdem ist Gschiegl ständiger
Autor des Monatsmagazins GEWINN.
1 Brasilien, Russland, Indien und China
211
Geldanlage, wohin
mit dem Ersparten?
von Thomas Schaufler
Oberstes Ziel jeder Geldanlage ist der Werterhalt und, entsprechend der
Risikobereitschaft, die Chance auf einen positiven Zusatzertrag nach
Abzug der Inflation. Genau dieser Anlagewunsch ist im Moment mit konservativen Anlagen, welche kein oder kaum Risiko beinhalten, nicht zu
erreichen. Die EZB hält mit Ihrer Geldpolitik die Zinsen deutlich unter
den Inflationsraten.
Entsprechend der komplexen wirtschaftlichen Lage in der Eurozone
wird auch die Geldpolitik der EZB immer komplexer. Die Zentralbank
muss einerseits für die gesamte Eurozone die Preisstabilität gewährleisten, und andererseits dafür sorgen, dass die niedrigen Zinsen in allen
Mitgliedsländern ankommen, und Extremrisiken für die Euro Stabilität
vermieden werden können. Dies ist für die Mission der Zentralbank eines
»starken und stabilen« Euros grundlegend wichtig.
Vermögensaufteilung bleibt das Thema 2014
Anleger sind mehr denn je gefordert, Investitionen mit kalkulierbaren
Risiken einzugehen, wenn das Ergebnis am Ende keine Minusrendite sein
soll. Um aber nicht vielleicht auf das vermeintlich falsche Pferd zu setzen, ist eine breite Streuung über mehrere Anlageklassen das Wichtigste.
Auch ein Blick in die Vergangenheit belegt, dass eine breite Streuung
fast immer positive Renditen über einen längeren Zeitraum liefert.
Denn auch in der Vergangenheit gab es immer wieder Krisen, welche sich
über einen kürzeren oder längeren Zeitraum gezogen haben.
Die drei Wünsche eines Anlegers, höchste Sicherheit, überdurchschnittliche Rendite und jederzeit mögliche Verfügbarkeit können
niemals von einem einzelnen Produkt vereint werden. Daher ist die
Vermögensaufteilung so wichtig, denn je nach verfügbarer Summe sollte
man sich anhand dieser drei Wünsche genau überlegen, welchen Teil des
Vermögens man für welchen Zweck und Zeitraum veranlagen will.
212
Anlagendreieck
Rendite
Sicherheit
Das Anlagendreieck
Verfügbarkeit
Ein Beispiel: In der Vergangenheit gab es immer wieder Krisen, ob die
Dotcom-Blase oder die Ölkrise in den 1970er-Jahren. Wer da jeweils sein
Geld in nur einer Anlageklasse veranlagt hatte, ist meistens nicht gut
weggekommen. Nimmt man also an, man hätte genau einen Tag vor
Ausbruch der jeweiligen Krise in die verschiedenen Anlageklassen (siehe
Tabelle) gleichgewichtet investiert, so wäre der Ertrag – mit Ausnahme
der Japankrise, die auch hier ein kleines Minus verursachte – immer
positiv gewesen.
Nach genau fünf Jahren zeigt sich in der Wertentwicklung der verschiedenen Anlageklassen ein sehr unterschiedliches Bild. Mit Ausnahme von
Öl, hat KEINE Anlageklasse immer funktioniert und positive Renditen
gebracht. Auch das im Moment so beliebte Gold konnte gerade in den
80er- und 90er-Jahren nicht überzeugen. Anleihen zeigen sich zwar
sehr robust, konnten aber auch nicht immer positive Renditen bringen.
Gerade bei tiefen Zinsen bergen Anleihen auch ein höheres Verlustrisiko.
Jedoch: bei einer gleichgew ichteten Auf teilung über mehrere
Anlageklassen wurde fast immer ein positives Endergebnis nach fünf
Jahren erzielt und der reale Wert konnte erhalten werden. Eine breite
Diversifikation zahlt sich also wirklich aus, wie auch die Vergangenheit
belegt. Ein weiterer Vorteil ist die reduzierte Volatilität, also das
213
Perfomance der jeweiligen Anlageklasse bei einem Investment einen Tag vor der
Krise mit einer Behaltefrist von 5 Jahren und Ertrag des gesamten Portfolios
Um das Bild möglichst realistisch zu zeichnen, wurde folgende Basis verwendet:
Aktien: MSCI World Index
Schweizer Franken gegenüber Euro
Anleihen: JP Morgan Bondindex
Gold in USD
Immobilien: EPRA Immobilienindex
Öl (Light Sweet Oil) in USD
US-Dollar-Index: Entwicklung Dollar
gegenüber Euro, Yen, Franken, Pfund,
Kanadischer Dollar und Schwedische Krone
Ölkrise 1973
Öl
+344,95%
Gold
+125,40%
Anleihen
+22,06%
US Dollar
+4,23%
Aktien
+1,06%
Ertrag
77,74%
Aktien
+48,30%
US Dollar
+32,26%
CHF
+6,81%
Anleihen
-12,54%
Ertrag
35,83%
Aktien
+6,35%
CHF
-7,78%
US Dollar
-11,22%
Gold
-26,80%
Ertrag
6,34%
Aktien
+7,64%
Gold
-6,14%
US Dollar
-6,45%
Öl
-25,33%
Immobilien Ertrag
-45,35%
-1,89%
Immobilien CHF
+24,99%
+11,00%
US Dollar
+10,02%
Aktien
-5,02%
Gold
-6,83%
Ertrag
15,21%
Gold
+9,07%
CHF
+8,34%
US Dollar
+0,06%
Immobilien Aktien
-9,74%
-26,10%
Ertrag
14,34%
Anleihen
+52,00%
Gold
+49,70%
CHF
+3,94%
Aktien
-13,42%
US Dollar
-15,71%
Ertrag
31,87%
Immobilien Anleihen
+114,94% +42,92%
Aktien
+38,73%
CHF
-4,23%
US Dollar
-21,24%
Ertrag
63,10%
CHF
+30,05%
US Dollar
+3,15%
Öl
+6,95%
Immobilien Ertrag
-9,03%
22,40%
CHF
+46,49%
Energiekrise 1979/80
Öl
+111,30%
Gold
+64,68%
Aktiencrash 1987
Anleihen
+73,65%
Öl
+10,19%
Japankrise 1990
Anleihen
+53,87%
CHF
+8,51%
Asienkrise 1997
Anleihen
+39,09%
Öl
+33,25%
Russlandkrise 1998
Öl
+87,92%
Anleihen
+30,86%
Internetblase 2000
Immobilien Öl
+83,71%
+62,89%
11. September 2001
Öl
+143,65%
Gold
+126,96%
Lehman 2008*
Gold
+73,24%
Anleihen
+32,94%
*bis 13.09.2013
214
Aktien
+19,53%
Schwankungsverhalten eines breit gestreuten Portfolios. Durch eine
Streuung erhöht sich die Renditeerwartung und das Risiko wird gleichzeitig reduziert. Ein doppelt positiver Effekt. Gleichzeitig haben viele
Anleger noch den Schock von 2008 im Hinterkopf, als Börsenkurse weltweit steil nach unten gingen und viele Wertpapiere an Wert verloren.
Aber genau dessen muss man sich als Wertpapierinvestor bewusst sein:
Was hinauf geht, geht auch mal hinunter. Daher ist es auch so wichtig,
nur jenen Geldbetrag in Wertpapiere zu investieren, den man während
des gewählten Veranlagungszeitraums nicht benötigt.
Aber selbst nach der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers in den
USA und der größten Finanzkrise hat ein diversifiziertes Portfolio eine
positive Rendite gebracht. Und nach 2008 konnten nicht nur Gold und
Anleihen profitieren, sondern auch Aktien erzielten (im Beispiel MSCI
Wolrd Index) auf Fünf Jahre-Sicht ein Plus.
Die Antwort auf individuelle Diversifikation:
»gemanagte Veranlagungskonzepte«
Durch die weiterhin unsichere Wirtschaftslage erfreuen sich aktiv gemanagte Dachfondslösungen oder Vermögensverwaltungslösungen wachsender Beliebtheit. Die Bedeutung einer strategischen Portfolioausrichtung
hat nichts an ihrer Wichtigkeit verloren, jedoch ist das richtige Timing
bei volatilen Börsen noch wichtiger geworden, da die langfristigen,
mehrjährigen Trends der Vergangenheit angehören. Schon seit geraumer Zeit sind an den Kapitalmärkten große Schwankungsbreiten zu beobachten, ohne klare Trends nach oben oder unten. Kurse schwanken
mehr oder weniger um ihren Mittelwert und dabei kann es ohne aktive
Asset Allocation passieren, dass sich unterm Strich am Jahresende der
Depotstand nicht verändert hat.
Der Trend hin zu gemanagten Veranlagungen lässt sich auch anhand aktueller Zahlen belegen. So konnte die Erste Bank in der
Vermögensverwaltung seit Beginn der Finanzkrise im Jahr 2008 einen
Kundenzuwachs von über 50 Prozent erzielen.
Die Kunden verlangen neben einer guten Performance, umfassende
und leicht verständliche Informationen über das Portfolio, über die
215
Produktkonfigurator auf www.youinvest.at
getätigten Managemententscheidungen bis hin zu einer umfassenden
Markteinschätzung.
Passend dazu bieten Erste Bank und Sparkassen in Kooperation mit der
ERSTE-SPARINVEST seit 1. 10. 2013 mit YOU INVEST einen völlig neuen
Zugang zum Geldanlegen – eine Veranlagung mit der man »reden« kann.
Regelmäßig werden Webinare und Chats mit den Veranlagungsexperten
angeboten und laufend das aktuelle Marktgeschehen erläutert. Statt
komplexer Finanzberichte sehen Kunden auf einen Blick das Wesentliche
in einem klaren, regelmäßigen Bericht über ihre Veranlagung. Jederzeit
kann man sich auf youinvest.at über die Entwicklung oder den aktuellen Anlagemix der Veranlagung informieren.
Bei den akt iv gemanagten YOU I N V EST Dachfonds entscheiden die Investoren vorab über ihr Anlageziel. Mit einem einfachen
Produktkonfigurator kann sich jeder seine Veranlagung auf y­ ouinvest.at
selbst zusammenstellen. Zuerst wählt man sein Anlageziel aus. Ob z. B.:
die Veranlagung als Pensionsvorsorge, regelmäßige Auszahlung oder für
die Ausbildung der Kinder gedacht ist. Danach legt man fest, in welcher
Risikostufe man veranlagen möchte: Hoch | Mittel | Niedrig. Und schlussendlich gelangt man zum Konfigurator (siehe Abbildung) mit einer exakten Übersicht, die man noch fein einstellen kann:
216
Viel Cash auf Girokonten und Sparbüchern geparkt (Foto: Frank Chmura / picturedesk.com)
Hier wird dann der geplante Einmalerlag festgelegt, Höhe und Rhythmus
der Zuzahlung sowie der Anlagezeitraum. Verändert man eine dieser
Variablen, so ändert sich automatisch die Grafik, welche unter anderem
den Wertzuwachs bzw. den Auszahlungsbeitrag zeigt. Für Privatkunden
gibt es hier also eine Menge verschiedener Kombinationsmöglichkeiten,
die man sich selbst auswählen kann. Mit einer eigenen Businessline gibt
es auch spezielle Möglichkeiten für Firmenkunden, ihre Gelder mit YOU
INVEST zu veranlagen.
Risikostreuung durch strukturierte Produkte
Strukturierte Produkte und Zertifikate sind durch ihre risikoreduzierte
und ertragsoptimierte Ausstattung ebenfalls bestens geeignet und
bieten hier zahlreiche Alternativen an, bei denen nicht der maximale
Ertrag, sondern eine ausgewogene Balance zwischen Risiko und Ertrag
im Vordergrund steht.
Bonus-Zertifikate sind eine gute Alternative zu einem AktienDirektinvestment. Denn während bei einem Aktieninvestment nur bei
steigenden Kursen Erträge erzielt werden, profitieren Bonus-Zertifikate
bereits von stagnierenden oder sogar leicht schwächeren Kursnotierungen.
Das Ertragspotenzial ist somit oft höher als bei einem Direktinvestment.
217
Der wichtigste Bestandteil für ein Bonus-Zertifikat ist die Dividende.
Denn diese wird zur Finanzierung der Bonuszahlung eingesetzt.
Bonus-Zertifikate kombinieren drei Vorteile in einem Produkt.
• Man profitiert von steigenden Kursen eines zugrunde liegenden
Basiswerts.
• Man erhält eine Bonuszahlung.
• Man ist vor fallenden Kursen bis zur Sicherheitsschwelle geschützt.
Sollte es jedoch zu einem unerwarteten Kursrutsch kommen, entfällt die
Bonuszahlung und der Kurs des Basiswerts wird am Laufzeitende gutgeschrieben. Auch in diesem Fall ist der Investor bei der Kursentwicklung
nicht schlechter gestellt als der Aktionär.
Neben Bonus-Zertifikaten gibt es aber noch eine Vielzahl weiterer
»Teilschutz«-Produkte, welche Schutz vor moderaten Kursrückgängen
bieten und gleichzeitig Renditen deutlich über dem Sparbuch
ermöglichen.
Risikostreuung durch Auswahl verschiedener Anlageklassen
Bonus-Zertifikate können als Risiko reduzierendes Instrument eingesetzt werden. Unabhängig von der Wahl des Anlageproduktes gilt es
auch den Blick auf die angesprochene Portfolio-Diversifikation zu legen
und verschiedene Anlageklassen auszuwählen. Neben den Standards wie
Sparbuch, Bausparen usw. gehören auch Wertpapiere dazu. Aktien sind
da nur ein Parameter in einer klar strukturierten Portfolio-Aufteilung.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil sind Anleihen. Aber auch die Anleihen
bergen einige Risiken, welche es zu beachten gibt. Das Bonitätsrisiko,
also das Risiko, dass sich die Kreditsituation des Unternehmens, welches die Anleihe begibt, bis hin zur Zahlungsunfähigkeit verschlechtert,
steht hier im Vordergrund. Da aber mit vermeintlich sicheren Anleihen,
wie etwa deutschen Bundesanleihen kaum Ertrag erzielt werden kann –
einjährige Veranlagungen kosten hier sogar Geld –, muss für mehr Ertrag
auch bei Anleihen der Schritt zu mehr Risiko gegangen werden.
Im Bereich Immobilien gibt es ebenfalls zahlreiche Investitions­
möglichkeiten. Neben einem direkten Immobilienerwerb oder
218
Beteiligungen bietet sich auch ein offener Immobilienfonds an, welcher breit gestreut in Immobilien investiert. Der Erste Immobilienfonds
erzielt seit Jahren konstante Erträge. Er erfreut sich auch wegen der
konservativen Anlagestrategie und dem Fokus auf Wohnimmobilien konstanter Volumenszuflüsse.
Auch Gold gilt als wichtiger Portfoliobaustein trotz der aktuellen
Korrekturen. Allerdings wurde gerade von vielen verunsicherten
Anlegern das Edelmetall in den vergangenen Jahren in den Portfolios
übergewichtet. Andere wiederum meiden Gold zur Gänze. Gold wird also
sehr kontrovers gesehen. Fest steht allerdings, dass das Edelmetall in
einem diversifizierten Portfolio nicht fehlen sollte. Und die jüngsten
Kurskorrekturen bieten auch wieder interessantere Einstiegsniveaus.
Dennoch gilt es auch auf die Risiken zu achten. Gold notiert zum einen
in US-Dollar. Daraus ergibt sich für den Anleger ein Währungsrisiko.
Zum anderen können weitere Kursschwankungen im Moment nicht ausgeschlossen werden. Aber Gold sollte man sich auch nicht deswegen ins
Portfolio legen, weil man vielleicht auf Kursgewinne hofft. Vielmehr ist
es als Depotversicherung anzusehen, Goldmünzen oder ein Barren sind
reale Werte die immer ihren Gegenwert haben werden.
Wie bei allen Portfoliobausteinen gilt: Die Dosis macht es und eine
breite Streuung der Anlageklassen hilft, das Risiko zu minimieren und
gleichzeitig die Ertragschancen zu optimieren. Wer sich also nicht laufend mit aktuellen Kursentwicklungen selbst beschäftigen möchte, der
sollte sich eine gemanagte Vermögensverwaltung, wie z. B. YOU INVEST,
näher ansehen.
Thomas Schaufler leitet in der Erste Group den
Wertpapierverkauf für Privatkunden und Sparkassen.
Außerdem ist er im Vorstand der Erste Asset Management
für den Retail-Kundenvertrieb verantwortlich. Schaufler
beschäftigt sich seit etwa 15 Jahren mit Wertpapieren,
Kapitalmärkten und Vertriebsstrategien.
219
Staatsverschuldung und
Niedrigzinspolitik
Rainer Münz, Bernadett Povazsai-Römhild
Seit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise im Jahr 2008 ist
die Verschuldung von Staaten mehr denn je ein Thema. Nicht
zuletzt deshalb, weil hohe Staatsschulden in manchen Ländern
Auslöser oder Verstärker, in andern Ländern hingegen Folge der
Krise waren und sind. Nun versucht die Europäische Union mit
Rettungsschirmen und Budgetdisziplin gegenzusteuern, während die Europäische Zentralbank frisches Geld druckt und eine
­aggressive Niedrigzinspolitik verfolgt.
Welche Rolle spielt die Staatsverschuldung in der Krise?
Die Krise begann im Oktober 2007 in den USA. Auf dem amerikanischen
Häusermarkt platzte eine Preisblase. 2008 ging die US-Investmentbank
Lehman Brothers pleite, was eine Welle der Verunsicherung auslöste.
2008–09 erreichte die Krise Europa. Es stellte sich heraus, dass einige
europäische Banken die US-Immobilienblase mitfinanziert hatten. Durch
sorglose Kreditvergabe verursachte Immobilienblasen gab es allerdings
auch in Irland und Spanien. Als sie platzten, führte dies zu hohen
Kreditausfällen. Das schwächte den Finanzsektor dieser Länder. Banken
wurden mit Staatsgeld gerettet, um sie nicht pleitegehen zu lassen. Das
wiederum ließ die Staatsschulden Irlands und Spaniens stark ansteigen.
Das Platzen der Immobilienblase und die Schwächung des Finanzsektors
zeigten rasch Auswirkungen auf die Realwirtschaft dieser Länder: Die
bis dahin überdimensionierte Bauindustrie verlor rasch an Bedeutung,
Firmen investierten weniger, die Arbeitslosigkeit stieg auf ein bisher
ungekanntes Niveau. In der Folge reduzierten viele Privathaushalte ihren Konsum.
In Italien, Griechenland und Portugal war die Ausgangssituation eine
andere. Dort gab es keine Immobilienblase, aber die Staatsschulden dieser Länder lagen schon vor Beginn der Krise weit über dem Durchschnitt
der Eurozone. Die Krise führte auch hier zu wachsender Arbeitslosigkeit,
220
Abbildung 1: Staatsschulden der Euro-Länder, 2013, in % des BIP
180
135
90
45
EE
LU
LV
SK
FI
SI
MT
NL
AT
DE
FR
ES
EE
BE
CY
IE
PT
IT
GR
0
Quelle: AMECO
geringerer Investitionstätigkeit und Einschränkungen beim Konsum.
Bis heute haben die Krisenländer Europas – aber auch andere EUStaaten – eine beachtliche Summe an öffentlichen Schulden angehäuft.
Relativ zur jährlichen Wirtschaftsleistung, dem Brutto-Inlandsprodukt
(BIP), hat Griechenland die höchsten Staatsschulden (2013: 176% des
BIP), gefolgt von Italien (133%), Portugal (128%), Irland (124%) und
Zypern (116%) (siehe Abbildung 1). In absoluten Zahlen hat in Europa
Deutschland die höchsten öffentlichen Schulden (2013: 2.177 Mrd. Euro),
gefolgt von Italien (2.073 Mrd. Euro) und Frankreich (1.932 Mrd. Euro).
(siehe Abbildung 2)
In Ländern wie Griechenland und Italien waren die Staatsschulden
schon vor Ausbruch der Krise recht hoch. Im Gegensatz dazu stiegen
die Staatsschulden in Ländern wie Irland, Zypern und Spanien erst in
der Krise deutlich an. (siehe Abbildung 3)
Treiber hoher Staatsschulden ist einerseits die Krise seit 2008. Sie ließ
in etlichen Ländern die Steuereinnahmen aufgrund einer geringeren
Wirtschaftsleistung sinken und die Staatsausgaben ansteigen. Ursache
dafür sind sowohl gestiegene Leistungen der Arbeitslosenversicherung
als auch einmalige Ausgaben, wie z. B. für die Rettung von Banken und
Autoherstellern. Viele Länder reagierten darauf mit Steuererhöhungen
221
Abbildung 2: Staatsschulden der Euro-Länder, 2013, in Mrd. Euro
3.000
2.250
1.500
750
EE
MT
LV
LU
CY
SI
SK
FI
IE
PT
AT
GR
BE
NL
ES
FR
IT
DE
0
Quelle: AMECO
und Sondersteuern, wie z. B. die Bankensteuer in Österreich, die allerdings zu einer Schwächung der heimischen Banken gegenüber der ausländischen Konkurrenz führt.
Die Maastricht-Kriterien sollten eigentlich die fehlende Integration
Europas auf der Ebene der Staatshaushalte – auch Fiskalunion genannt
– ersetzen. Eine Fiskalunion hätte bedeutet, dass die Euro-Länder entweder ein gemeinsames Budget bekommen oder zumindest über eine
gemeinsame Wirtschafts- und Fiskalpolitik verfügen. Allerdings wollten
die einzelnen EU-Staaten seinerzeit bei der Einführung der gemeinsamen
Währung nicht so viel von ihrer Budgethoheit opfern.
Also einigten sie sich – ohne Fiskalunion – auf die Maastricht-Kriterien.
Alle Staaten, die den Euro einführen wollten, mussten sich verpflichten,
ihre Staatsschulden bei maximal 60 Prozent des Brutto-Inlandsproduktes
und ihre Neuverschuldung unter 3 Prozent des Brutto-Inlandproduktes zu
halten. Wie wir heute wissen, wurden diese Kriterien von manchen EuroStaaten – z. B. Italien und Griechenland – schon vor Einführung des Euro
nie erfüllt. Aber auch in den letzten zwölf Jahren seit der Euroeinführung
hielten sich nicht nur die heutigen Krisenländer, sondern auch Staaten
wie Deutschland, Frankreich und Österreich über mehrere Jahre nicht an
die vereinbarte (Neu-)Verschuldungsgrenze. Lediglich Estland, Finnland
222
Abbildung 3: Zuwachs der Staatsschulden der Euro-Länder
in der Krise 2008–2013, in % des BIP
180
2008
2008–2013
135
90
45
EE
LU
LV
SK
FI
SI
MT
NL
AT
DE
FR
ES
EE
BE
CY
IE
PT
IT
GR
0
Quelle: AMECO
und Luxemburg haben beide Maastricht-Kriterien seit Einführung des
Euro im Jahr 2002 immer erfüllt. (siehe Abbildungen 4a und 4b)
Erst seit Ausbruch der Eurokrise begannen die Staaten Europas zumindest
bei der Überwachung der Haushaltsdisziplin konkrete Maßnahmen zu
setzen. Nun müssen die Euro-Länder ihre Budgetentwürfe jedes Jahr zur
Begutachtung nach Brüssel schicken, bevor die nationalen Parlamente
darüber abstimmen.
Der Euro in der Krise: Was ist das Problem für die Länder Südeuropas?
Seit Anfang 2010 sprechen wir von einer Krise der Eurozone. Als erstes konnte Griechenland seine Schulden aus eigener Kraft nicht mehr
bedienen. Danach folgten Irland und Portugal. Spanien beanspruchte
Hilfe zur Rekapitalisierung eines Teils seiner Banken. Zuletzt benötigte
Zypern im Jahr 2013 Hilfe.
Die Existenz des Euro als gemeinsame Währung und der Europäischen
Zentralbank (EZB) als gemeinsame Zentralbank sind für diese Länder ein
Teil ihres Problems. Denn sie versperren zwei Wege, die viele Länder in
der Vergangenheit beschritten haben, um ihre Probleme zu lösen. Erstens:
Sie druckten frisches Geld, um ihre Staatshaushalte zu finanzieren. Die
223
Abbildung 4a: Staatsschulden der Euro-Länder, 2002–2013, (in % des BIP)
Belgien
Deutschland
Estland
Finnland
Frankreich
Griechenland
Irland
Italien
Lettland
Luxemburg
Malta
Niederlande
Österreich
Portugal
Slowakei
Slowenien
Spanien
Zypern
Eurozone
2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011
103,4 98,4 94,0 92,0 87,9 84,0 89,2 95,7 95,7 98,0
60,7 64,4 66,2 68,6 68,0 65,2 66,8 74,5 82,5 80,0
5,7
5,6
5,0
4,6
4,4
3,7
4,5
7,1
6,7
6,1
41,5 44,5 44,4 41,7 39,6 35,2 33,9 43,5 48,7 49,2
58,8 62,9 64,9 66,4 63,7 64,2 68,2 79,2 82,4 85,8
101,7 97,4 98,6 100,0 106,1 107,4 112,9 129,7 148,3 170,3
31,8 31,0 29,4 27,2 24,6 24,9 44,2 64,4 91,2 104,1
105,4 104,1 103,7 105,7 106,3 103,3 106,1 116,4 119,3 120,7
13,6 14,7 15,0 12,5 10,7
9,0 19,8 36,9 44,4 41,9
6,3
6,2
6,3
6,1
6,7
6,7 14,4 15,5 19,5 18,7
57,9 66,0 69,8 68,0 62,5 60,7 60,9 66,5 66,8 69,5
50,5 52,0 52,4 51,8 47,4 45,3 58,5 60,8 63,4 65,7
66,2 65,3 64,7 64,2 62,3 60,2 63,8 69,2 72,3 72,8
56,8 59,4 61,9 67,7 69,4 68,4 71,7 83,7 94,0 108,2
43,4 42,4 41,5 34,2 30,5 29,6 27,9 35,6 41,0 43,4
27,8 27,2 27,3 26,7 26,4 23,1 22,0 35,2 38,7 47,1
52,6 48,8 46,3 43,2 39,7 36,3 40,2 54,0 61,7 70,5
65,1 69,7 70,9 69,4 64,7 58,8 48,9 58,5 61,3 71,5
68,0 69,2 69,6 70,3 68,6 66,4 70,2 80,0 85,4 87,3
Noch kein Mitglied der Eurozone
Maastricht-Kriterium erfüllt
2012
99,8
81,0
9,8
53,6
90,2
156,9
117,4
127,0
40,6
21,7
71,3
71,3
74,0
124,1
52,4
54,4
86,0
86,6
90,6
2013
100,4
79,6
10,0
58,4
93,5
176,2
124,4
133,0
42,5
24,5
72,6
74,8
74,8
127,8
54,3
63,2
94,8
116,0
95,5
Maastricht-Kriterium nicht erfüllt
Quelle: AMECO
erhöhte Geldmenge bewirkte eine höhere Inflation im eigenen Land –
also eine Geldentwertung. Somit konnte zumindest ein Teil der Schulden
»weginflationiert« werden. Zweitens: Sie werteten ihre eigene Währung
gegenüber anderen Währungen ab, z. B. durch massiven Verkauf der
eigenen Währung auf den Devisenmärkten. Durch die Abwertung wurden ihre Exporte für Abnehmer billiger und die Volkswirtschaft wieder
wettbewerbsfähiger. Keine dieser Strategien ist für Länder der Eurozone
möglich, da sie als Mitglieder einer Währungsunion ihre Währung nicht
allein beeinflussen können.
Wie funktionieren die Rettungsschirme für Krisenländer?
Als wichtigstes Instrument der Krisenbekämpfung rief die Europäische
Union die beiden so genannten Rettungsschirme ins Leben: Der vorläufige Schirm EFSF (=European Financial Stability Facility) stand ab August
2010 zur Verfügung. Seit Oktober 2012 ist der permanente Schirm ESM
(=European Stability Mechanism) im Einsatz. Der ESM hat Mitte 2013 den
EFSF vollständig abgelöst. Das bedeutet, dass der EFSF keine Neukredite
mehr vergibt.
Die beiden Rettungsschirme sind eigentlich kleine Währungsfonds, die
den Euro-Ländern, der Europäischen Union und dem Internationalen
224
Abbildung 4b: Budgetdefizit(=Neuverschuldung) der Euro-Länder, 2002–2013, (in % des BIP)
Belgien
Deutschland
Estland
Finnland
Frankreich
Griechenland
Irland
Italien
Lettland
Luxemburg
Malta
Niederlande
Österreich
Portugal
Slowakei
Slowenien
Spanien
Zypern
Eurozone
2002
-0,1
-3,8
0,3
4,2
-3,1
-4,8
-0,3
-3,1
-2,3
2,1
-5,7
-2,1
-0,7
-3,4
-8,2
-2,4
-0,3
-4,4
-2,7
2003
-0,1
-4,2
1,7
2,6
-4,1
-5,6
0,4
-3,6
-1,6
0,5
-9,0
-3,1
-1,5
-3,7
-2,8
-2,7
-0,3
-6,6
-3,1
2004
-0,1
-3,8
1,6
2,5
-3,6
-7,5
1,4
-3,5
-1,0
-1,1
-4,6
-1,7
-4,4
-4,0
-2,4
-2,3
-0,1
-4,1
-2,9
Noch kein Mitglied der Eurozone
2005
-2,5
-3,3
1,6
2,9
-2,9
-5,2
1,6
-4,4
-0,4
0,0
-2,9
-0,3
-1,7
-6,5
-2,8
-1,5
1,3
-2,4
-2,5
2006
0,4
-1,6
2,5
4,2
-2,3
-5,7
2,9
-3,4
-0,5
1,4
-2,7
0,5
-1,5
-4,6
-3,2
-1,4
2,4
-1,2
-1,3
2007
-0,1
0,2
2,4
5,3
-2,7
-6,5
0,2
-1,6
-0,4
3,7
-2,3
0,2
-0,9
-3,1
-1,8
0,0
2,0
3,5
-0,7
2008
-1,0
-0,1
-2,9
4,4
-3,3
-9,8
-7,4
-2,7
-4,2
3,2
-4,6
0,5
-0,9
-3,6
-2,1
-1,9
-4,5
0,9
-2,1
Maastricht-Kriterium erfüllt
2009
-5,6
-3,1
-2,0
-2,5
-7,5
-15,7
-13,7
-5,5
-9,8
-0,7
-3,7
-5,6
-4,1
-10,2
-8,0
-6,3
-11,1
-6,1
-6,4
2010
-3,7
-4,2
0,2
-2,5
-7,1
-10,7
-30,6
-4,5
-8,1
-0,8
-3,5
-5,1
-4,5
-9,8
-7,7
-5,9
-9,6
-5,3
-6,2
2011
-3,7
-0,8
1,1
-0,7
-5,3
-9,5
-13,1
-3,8
-3,6
0,1
-2,8
-4,3
-2,5
-4,3
-5,1
-6,3
-9,6
-6,3
-4,2
2012
-4,0
0,1
-0,2
-1,8
-4,8
-9,0
-8,2
-3,0
-1,3
-0,6
-3,3
-4,1
-2,5
-6,4
-4,5
-3,8
-10,6
-6,4
-3,7
2013
-2,8
0,0
-0,4
-2,2
-4,1
-13,5
-7,4
-3,0
-1,4
-0,9
-3,4
-3,3
-2,5
-5,9
-3,0
-5,8
-6,8
-8,3
-3,1
Maastricht-Kriterium nicht erfüllt
Quelle: EZB
Währungsfonds gemeinsam finanziert bzw. garantiert werden. Die EFSF
wurde mit Garantien in der Höhe von 780 Mrd. Euro abgesichert und
konnte Euro-Ländern Budgethilfen in Höhe von 440 Mrd. Euro geben.
Der ESM ist mit Garantien und Kapital in der Höhe von 700 Mrd. Euro
ausgestattet und kann bis zu 500 Mrd. Euro verleihen.
Die Rettungsschirme gewähren jenen Euro-Ländern finanzielle Hilfe, die
Schwierigkeiten bei der Finanzierung ihrer Staatsschulden haben. Der
ESM darf zugleich in Schieflage geratenen Banken direkt mit frischem
Kapital ausstatten. Voraussetzung dafür ist allerdings eine gemeinsame Eurozonen-weite Bankenaufsicht, die erste Stufe der geplanten
Europäischen Bankenunion.
Finanzielle Unterstützung durch die Rettungsschirme bedeutet, dass
die betroffenen Länder sich nicht über den – für sie in der Regel teureren – Kapitalmarkt finanzieren müssen. Sie geben also keine eigenen Staatsanleihen mehr aus, sondern bekommen stattdessen von den
Rettungsschirmen Geld geliehen. Dazu borgen sich die Rettungsschirme
selbst Geld auf dem Kapitalmarkt aus und reichen es in Form moderat
verzinster Kredite an die Krisenländer weiter. Das soll den hoch verschuldeten Ländern Luft verschaffen. Kredite aus den Rettungsschirmen
dienen sowohl der Finanzierung laufender Haushaltsdefizite als auch der
Rückzahlung alter Schulden.
225
Allerdings sind diese Finanzhilfen an klare Auflagen geknüpft. Die betroffenen Länder müssen versuchen, mehr Steuern einzuheben, ihre
Staatsausgaben zu begrenzen, Staatsbetriebe zu privatisieren, ihre
Arbeitsmärkte flexibler zu gestalten und nach Möglichkeit international wettbewerbsfähiger zu werden. Die Einhaltung dieser Auflagen wird
von der so genannten Troika überwacht. Sie besteht aus den Vertretern
der Europäischen Zentralbank, der Europäischen Kommission sowie des
Internationalen Währungsfonds.
Bislang haben die Rettungsschirme in fast allen Fällen geholfen, einen
Staatsbankrott zu vermeiden. Denn ein Staat gilt dann als bankrott,
wenn er keine Zinsen auf die ausgegebenen Staatsanleihen zahlt oder mit
der Tilgung alter Schulden im Rückstand ist. Solche Länder können auf
dem Kapitalmarkt auch keine neuen Staatspapiere ausgeben. Technisch
gesehen, war dies zuletzt nur in Griechenland der Fall. Es wurde Anfang
2013 umgeschuldet. Private Besitzer griechischer Staatsanleihen – darunter Banken, Versicherungen, Pensionskassen und private Investoren
– mussten auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten. Allen anderen
Krisenstaaten Südeuropas und ihren Gläubigern blieb dies bisher erspart.
Das Geld aus den Rettungsschirmen wurde sofort für Zinszahlungen und
die Tilgungen alter Schulden verwendet.
Im Dezember 2013 konnte Irland als erster Krisenstaat den Rettungsschirm
verlassen. Irland verkauft somit seine Staatsanleihen wieder auf dem
Kapitalmarkt, muss aber den EFSF-Kredit zurückzahlen.
Welche Rolle spielt die Europäische Zentralbank?
Neben den beiden Rettungsschirmen (EFSF und ESM) spielt die Europäische
Zentralbank seit Beginn der Krise eine zentrale Rolle. Sie versucht über
niedrige Leitzinsen einerseits mehr Geld in die Realwirtschaft zu bringen, indem sie das Geld an Geschäftsbanken verleiht, die es wiederum
in Form von Krediten an ihre Kunden weitergeben, und andererseits die
Anleihenmärkte in Schwung zu halten, indem sie Staatsanleihen kauft
Dadurch wuchs die Bilanzsumme der EZB rasch an: Mitte 2012 erreichte
sie ihren bisher höchsten Stand von 3.102 Mrd. Euro. Seitdem reduzierte
sie sich auf 2.300 Mrd. Euro. (siehe Abbildung 5)
226
Abbildung 5: Bilanzsumme der Europäischen Zentralbank, 2008–2013, in Mrd. Euro
3.200
2.400
1.600
800
2008
2009
2010
2011
2012
2013
0
Quelle: EZB
Diese Vorgehensweise gilt auch für andere Zentralbanken. Am aggressivsten ging die Schweizer Nationalbank (SNB) vor. Ihre Bilanzsumme
wuchs zwischen 2008 und 2013 um fast 500 Prozent. Auf dem Höhepunkt
der Krise kaufte die SNB der Schweizer Großbank UBS in großem Stil
problematische Wertpapiere ab und sie verkaufte beinahe unlimitiert
Schweizer Franken gegen andere Währungen, um den Höhenflug des
Franken zu stoppen. Das Ziel der SNB ist ein Wechselkurs von mehr
als 1,20 Euro pro Schweizer Franken. An zweiter Stelle liegt die USamerikanische Notenbank: Seit 2008 wuchs die Bilanzsumme der FED
um fast 300 Prozent. Die Bilanzsumme von Chinas Zentralbank hat sich
seit 2008 immerhin verdreifacht. Im Vergleich dazu ist die Bilanz der
Europäischen Zentralbank mit +118 Prozent bloß doppelt so groß wie
2008. Gemessen an der Wirtschaftsleistung macht sie »bloß« ein Viertel
des BIP der Eurozone aus.
Grundsätzlich haben die Zentralbanken 2007/2008 auf die Krise sehr
schnell reagiert und Geschäftsbanken, Staaten und Teile der Realwirtschaft
massiv mit frischem Geld versorgt. Anfangs ging es darum, die Fehler
der Weltwirtschaftskrise ab 1930 nicht zu wiederholen. Diese Maßnahme
hatte Erfolg: Ein großer Wirtschaftseinbruch wie in den 1930er-Jahren
blieb den meisten Ländern erspart.
227
Mit dem billigen Geld gibt es aber zwei Probleme. Erstens: Der größere zeitliche Spielraum verleitet Staaten dazu, die so dringend notwendigen Strukturreformen nicht anzugehen. Zweitens: Diese extrem
­lockere Geldpolitik verliert mit der Zeit ihre positive Wirkung. Die in der
Eurozone von Land zu Land ganz unterschiedlich hohen Kreditzinsen
für Unternehmen und Privathaushalte zeigen auch, dass ein Teil des
zusätzlichen Zentralbankgeldes gar nicht dort ankommt, wo es hin soll,
nämlich bei den Akteuren der Realwirtschaft. Das hat auch damit zu tun,
dass etliche Banken nun viel zurückhaltender Kredite vergeben. Ein Teil
des von der EZB günstig zur Verfügung gestellten Geldes wird nämlich
auch von den Geschäftsbanken zum Kauf von Staatsanleihen verwendet.
Schließlich dürfen wir eine Gefahr nicht übersehen: Die rasch und enorm
gewachsene Geldmenge lässt sich wohl kaum auf einen Schlag wieder
zurückfahren, auch wenn manche Zentralbanken bereits angedeutet
­haben, dass sie die Geldschwemme demnächst reduzieren wollen. Die EZB
hat damit schon begonnen. Über kurz oder lang führt viel billiges Geld
zu einer höheren Inflation. Niedrige Zinsen und höhere Inflation haben
für Schuldner, besonders für hoch verschuldete Staaten, den angenehmen Nebeneffekt, dass ein Teil ihrer Schulden »weginflationiert« wird.
Denn durch Inflation wird der Wert der Schulden kleiner. Zudem bedeutet Inflation steigende Preise für Güter und Dienstleistungen, was dem
Staat höhere Steuereinnahmen bringt. Diese wiederum könnten helfen,
die Staatsschulden zu bedienen.
Was bedeuten niedrige Zinsen für Sparer und Schuldner?
Noch nie waren die Leitzinsen so niedrig. Anfang November 2013 senkte
die EZB ihren Leitzinssatz auf 0,25 Prozent pro Jahr. Mitte 2008 kostete das Zentralbankgeld noch 4 Prozent, Anfang 2012 immerhin noch 1
Prozent . Damit gibt es in der Eurozone nun ebenso billiges Geld wie in
den USA, in Japan und in der Schweiz.
Die Entscheidung, die EZB-Leitzinsen nun auf 0,25 Prozent abzusenken, war und ist nicht unumstritten. Manche halten die Politik des
noch billigeren Geldes angesichts einer weithin schwachen Konjunktur
in Europa für richtig. Andere machen sich Sorgen wegen der negativen
Auswirkungen für Sparer und Versicherungen.
228
Auf jeden Fall sind die niedrigen Zinsen auf den ersten Blick keine gute
Nachricht für Privathaushalte und Firmen mit hohen Spareinlagen;
auch die Renditen von Lebensversicherungen und Pensionskassen leiden. Für Sparer ist es von Nachteil, wenn die Inflationsrate über dem
Zinsniveau liegt, denn das bedeutet, dass die Preise schneller steigen
als die Zinseinnahmen. Somit verlieren die angesparten Beträge und
Bargeldreserven mit der Zeit real an Wert, also an Kaufkraft. Deswegen
ist es wichtig, auch über andere Veranlagungsformen als das klassische
Sparbuch oder den Bausparvertrag nachzudenken.
Was für die Sparer von Nachteil ist, ist für Kreditnehmer eher vorteilhaft. Die niedrigen Zinsen machen Kredite günstiger. Deshalb besteht
die Hoffnung, dass ein Teil des billigen Zentralbankgeldes über solch
günstige Kredite die Realwirtschaft ankurbelt.
Rainer Münz leitet das Research & Knowledge Center der
Erste Group und ist Vorsitzender im Erste School Board.
Von 2008 bis 2010 war er Mitglied der »Reflexionsgruppe
Horizont 2020–2030« der Europäischen Union (so
genannter »EU-Weisenrat«).
Bernadett Povazsai-Römhild war bis 2007
Unternehmensberaterin bei Capgemini mit Fokus
Bankensektor. Sie ist im Research & Knowledge Center
der Erste Group tätig und spezialisiert auf die demo­
graphischen und volkswirtschaftlichen Entwicklungen
in Zentral- und Osteuropa.
229
Euro oder Dollar,
wer ist stärker?
von Mildred Hager
Eigentlich könnte man auch fragen »Hr. Draghi oder Fr. Yellen, wer ist
stärker?«, und zwar stärker im Sinn von vertrauenswürdiger. Denn sowohl
der Euro als auch der Dollar sind so genanntes Fiatgeld, also Geld, das nicht
mit Gold unterlegt ist, sondern auf einem direkten Vertrauensvorschuss
basiert. Seit dem 11. Jahrhundert gibt es Fiatwährungen. Diese bieten
den Vorteil, dass man nicht auf vorgegebenes und womöglich zeitweise
knappes Angebot an Gold angewiesen ist: Seit dem 20. Jahrhundert
entscheiden die Zentralbanken über das Angebot, also die Geldmenge.
Eine variable Geldmenge ist besonders wichtig in einer Rezession, denn
da wird prinzipiell Geld nur sehr teuer verliehen, weil ja auch die wirtschaftlichen Risiken hoch sind. Das ist noch einmal schlechter für die
Wirtschaft, weil zum Beispiel Investitionen teuer sind. Da kann nun die
Zentralbank einspringen und beschließen, Geld billig zu verleihen, also
Zinsen zu senken, damit die Wirtschaft nicht noch stärker leidet. Damit
das aber nur in einer Rezession passiert und nicht in einer Boomphase,
wo durch zu viel Geld bei hoher Nachfrage auch Inflation entstehen kann,
hat die Zentralbank ein Inflationsziel. Das heißt, sie garantiert, dass die
Kaufkraft der Währung nicht mehr abnimmt als im Schnitt etwa zwei
Prozent im Jahr oder, noch einfacher gesagt, man kann sich jedes Jahr
ca. zwei Prozent weniger Güter mit dem gleichen Geld kaufen.
Es ist nicht das Ziel der Zentralbank, die Kaufkraft konstant zu halten,
also eine Null-Inflation zu erreichen. Der Grund dafür ist, dass man
­einen »Puffer« braucht weil die Zinsen nicht unter null gesenkt werden
können. Bei einer sehr scharfen Rezession wie z. B. nach Lehman ist
die Wirtschaft so schwach, dass trotz Nullzinsen die Nachfrage absinkt
und damit auch die Inflation. Wenn die Inflation zu normalen Zeiten
bei zwei Prozent ist, sinkt sie dann zum Beispiel nahe null ab. Das
Preisniveau sinkt aber noch nicht, denn sonst wäre man bald in einer
Deflation, wo mit sinkenden Preisen gerechnet wird und deshalb Konsum
und Investitionen aufgeschoben werden, weil alles immer billiger wird.
Das drückt das Wachstum. Um zu niedrige Inflation zu vermeiden und
230
Janet Yellen (FED) (Foto: JIM LO SCALZO / EPA / picturedesk.com)
Mario Draghi (EZB) (Foto: PHT / EXPA / picturedesk.com)
damit es nicht dazu kommt, dass womöglich eine Deflation befürchtet
werden muss, hat auch die EZB die Zinsen nahe Null gesenkt.
Ursprünglich ist Geld zur Wertaufbewahrung und als Zahlungsmittel
zur Vereinfachung der Tauschgeschäfte »erfunden« worden. Beim
Tauschgeschäft gibt es Bedarf für Geld, sobald mehr als zwei Personen
untereinander Güter tauschen wollen. Das Geld ist schon lange vor den
Zentralbanken von den Nationalstaaten verwaltet beziehungsweise
ausgegeben worden. Deshalb gibt es in Amerika eine andere Währung
als in Europa und man braucht für ein Tauschgeschäft zwischen einem
Amerikaner und einem Europäer einen Wechselkurs zwischen Euro und
US-Dollar. Denn ein amerikanischer Produzent will früher oder später seinen Erlös in US-Dollar haben, der europäische Käufer aber in Euro zahlen.
Dafür muss jemand die Euro in Dollar tauschen, was er nur machen wird,
wenn er die gleichen Kaufgelegenheiten in beiden Währungen hat. Das
heißt, er zahlt einen Tausch- oder eben Wechselkurs, so dass er genau die
gleichen Güter in Euro kaufen kann, wie er sie vorher in Dollar kaufen
konnte. Ein bisschen abstrahiert ist das das Prinzip der Kaufkraftparität.
Je nach Schätzmethode – man kann ja nicht alle Preise von allen Gütern
statistisch erfassen – liegt dieser Wert derzeit in Euro und US-Dollar
zwischen 1,20 und 1,30 Dollar pro Euro. Das heißt, dass der Euro derzeit
(bei mehr als 1,30 Dollar pro Euro) »teuer« und der Dollar »billig« ist.
231
Deklarierte Fremdwährungsreserven weltweit: Dollar bleibt Nummer eins
7.000.000
USD
Allocated Reserves
EUR
5.250.000
3.500.000
1.175.000
1999
2001
2003
2005
2007
2009
2011
0
Quelle: EZB
Auf der anderen Seite ist es so, dass man manche Güter nur oder relativ gesehen »billiger« auf einem der beiden Kontinente bekommt. Dadurch gibt
es mehr Nachfrage nach diesen Gütern und der entsprechenden Währung.
In den USA wird tendenziell mehr aus dem Ausland importiert als dorthin
exportiert. Das ist ein Handelsbilanzdefizit, d. h. mehr Nachfrage aus den
USA als nach US-Gütern. In der Eurozone ist diese Bilanz ausgeglichen.
Deshalb gibt es von dieser Seite mehr Netto-Nachfrage nach Euro, um in
der Eurozone Güter zu bezahlen, als nach Dollar. Daraus folgt, dass der
Euro stärker als der Dollar sein sollte.
Die andere Geld-Funktion ist die Wertaufbewahrung. Der Dollar ist
weltweit immer noch die wichtigste Wertaufbewahrung. Entstanden
ist das dadurch, dass der Dollar mit Gold unterlegt war und alle anderen Währungen an den Dollar geknüpft waren (Bretton Woods). Dieses
System war aber in den 1970er-Jahren nicht mehr haltbar 2 und es wurden vermehrt unabhängige Zentralbanken für die einzelnen Währungen
mit flexiblen Wechselkursen eingeführt. Der Dollar ist aber die wichtigste Reservewährung geblieben und das Vertrauen ist derartig, dass
laut San Francisco Fed geschätzte zwei Drittel der 100-Dollar-Scheine im
Ausland gehalten werden (ein Teil könnte auch mit »Schwarzgeschäften«
zusammenhängen). Nicht nur Private, auch Zentralbanken halten
Fremdwährungsreserven. Damit hat die Zentralbank zusätzlich zum
232
2 Der Dollar war insofern mit Gold unterlegt, als die Konvertierbarkeit
theoretisch gegeben sein sollte; dies wurde aber zunehmend schwierig
da die Dollar-Geldmenge ausgeweitet wurde aber der Goldbestand nicht.
Zinsen wieder höher in den USA
6
6
5
5
3M US Libor
3M Euribor
4
4
3
3
2
2
1
1
0
2005
2009
2013
0
10J US Renditen
10J DE Renditen
2005
2009
2013
Quelle: EZB
»Vertrauen« auch eine gewisse Reserve an Dollar, die sie einsetzen
kann, um ihre Währung auf dem Markt »zu verteidigen«, also diese
­gegen Dollar kaufen, falls eine Abwertung droht (oder im Gegenteil die
Reserve akkumuliert sich, weil die Zentralbank die Währung schwächt
wie z. B. in der Schweiz). Seit es den Euro gibt, wird er auch immer
mehr als Reservewährung gehalten, der Dollar bleibt aber mit Abstand
die Nummer eins.
Geld ermöglicht Ersparnisse sowie Kredite. Jemand, der Erspartes hat,
also einen Überschuss an produzierten Gütern, möchte das aufbewahren, bis er es verbrauchen kann. Auf der anderen Seite braucht vielleicht
jemand, der keine Ersparnisse hat, sofort Geld, um in Zukunft mehr zu
produzieren (z. B. für eine Maschine, das wäre eine Investition). Dann
kann das Geld verliehen werden, wobei das Risiko für dieses Geschäft mit
Zinszahlungen abgegolten wird. Aus der Funktion als Vermittler dazwischen sind Banken entstanden. Bei der Wertaufbewahrung ist natürlich
wichtig, wie viel man vorraussichtlich zurückbekommt, also die Zinsen.
Heutzutage können Investoren in verschiedenen Währungen veranlagen
und bekommen je nachdem nicht die gleichen Zinsen. Wenn es konstante
Wechselkurse geben würde, wäre es daher lukrativer, in Währungen mit
höheren Zinsen zu veranlagen. Noch vor eineinhalb Jahren waren die
kurzfristigen Zinsen (also zum Beispiel der 3M Libor 3) in den USA ein
3 Libor: London Interbank Offered Rate: Ist der Zinssatz, zu dem jene Banken
auf dem Markt Gelder von anderen Banken aufnehmen beziehungsweise
angeboten bekommen (Euribor in der Eurozone)
233
FED vs. EZB Bilanz in Euro
4.000
EZB Balance sheet (Bn EUR)
Fed Balance sheet (Bn EUR)
3.000
2.000
1.000
2002
2005
2008
2011
0
Quelle: EZB
bisschen niedriger als in der Eurozone. Jetzt sind aber sowohl die kurzfristigen als auch die langfristigen Zinsen (zum Beispiel die Renditen
auf zehnjährige Staatsanleihen) in der Eurozone niedriger als in den USA.
Deshalb sollte eigentlich der Dollar stärker sein.
Zusätzlich dazu hängt der Ertrag nicht nur von den Zinsen, sondern auch
vom künftigen Wechselkurs ab. Hier spielt wieder das Vertrauen in die
Währung oder in die Zentralbank eine große Rolle. Das Ankaufprogramm
der Federal Reserve (Fed) führt zum Beispiel derzeit scheinbar immer
noch zu Ängsten, dass zu viel Geld im Umlauf ist und daher hohe Inflation
oder Geldentwertung droht (die Fed kauft jeden Monat Anleihen um 85
Mrd. Dollar, das heißt sie »druckt« dafür jeden Monat 85 Mrd. Dollar und
erhält die Anleihen als Gegenleistung). Weil aber derzeit die Nachfrage
immer noch so viel geringer ist als das Angebot, das theoretisch produziert werden kann (»Produktionspotenzial«), steigen auch die Preise
nicht stärker. In jedem Fall nimmt gerade die Dollar-Liquidität stärker
zu als die in Euro, also die Bilanz der Fed wächst stärker als die der EZB,
und das scheint den Dollar stark zu belasten.
Zugleich sollen die Maßnahmen der Zentralbank aber auch der Wirtschaft
helfen. Das Wachstum in den USA ist derzeit aus drei Gründen höher als
in der Eurozone: Erstens ist der Konjunkturzyklus weiter fortgeschritten,
234
BIP Wachstum höher in den USA, besonders seit der Schuldenkrise und dank der Fed
2
USA BIP q/q
Eurozone BIP q/q
1
0
-1
-2
2005
2009
2013
-3
Quelle: EZB
weil es in den USA keine so weitreichende Staatsschuldenkrise und daraus
entstehende Rezession gegeben und die Fed schneller und entschiedener
agiert hat. Die Wirtschaft in den USA bekommt somit relativ gesehen
mehr Unterstützung als in der Eurozone.
Zweitens wächst auch die Bevölkerung in den USA ständig nennenswert,
was nur in wenigen europäischen Ländern der Fall ist (zum Beispiel
Frankreich). Deshalb gibt es automatisch mehr Nachfrage, die Skala der
Volkswirtschaft kann permanent erhöht werden und das ist Wachstum.
Mehr Arbeiter können auch mehr produzieren. Leider hat die Krise in
dem Bereich auch in den USA Spuren hinterlassen, weil es seit 2008 zwar
immer mehr Menschen im arbeitsfähigen Alter gibt, aber nicht gleich
viel mehr Arbeitsuchende. Viele Langzeit-Arbeitslose sind entmutigt und
scheinen nicht mehr in der Statistik auf, weil sie derzeit nicht mehr für
die Produktion zur Verfügung stehen. Das Potenzial ist aber da, und das
hängt gerade in den USA stark mit Immigration zusammen. Diese könnte
auch in der Eurozone ein wichtiger Wachstumsmotor sein.
Schließlich und drittens gibt es in den USA mehr Innovation. In Amerika
wird mehr für Forschung und Entwicklung ausgegeben als in den meisten Eurozone-Ländern (nur Deutschland und Österreich können erfreulicherweise ganz gut mithalten) und das fördert auch neue Produkte oder
235
bessere Prozesse. Produktivität gibt an, wie viele Güter ein Arbeiter herstellen kann. Das hängt vom Prozess und den Hilfsmitteln (»Kapital«) ab.
Die Produktivität ist in den USA höher als bei uns und das heißt h
­ öheres
BIP-Wachstum (BIP = Anzahl Arbeiter mal Produktivität). Zusätzlich geht
es auch um die Entwicklung neuer Produkte oder Dienstleistungen, wobei die USA traditionell stark sind. Das Wachstum in den USA wird somit
insgesamt höher bleiben als in der Eurozone und das wiederum spricht
dafür, dass der Dollar in Zukunft stärker sein sollte.
Es gibt einige längerfristige Faktoren, welche Hr. Draghi und Fr. Yellen nur
begrenzt beeinflussen können (Demographie, technologischer Fortschritt),
die aber auf das Vertrauen in die Währung Auswirkungen haben können.
Andere Faktoren wie etwa die Zinsen oder Geldmenge werden direkt von
ihnen festgelegt. Sobald absehbar wird, dass das Wirtschaftswachstum
in den USA robust genug ist, um die Anleiheankäufe und die damit einhergehende Geldmengenausweitung der Zentralbank zu verlangsamen,
dürfte auch die Stimmung bezüglich des Dollar wieder kippen. Denn dann
sollte absehbar sein, dass die Anleiheankäufe erfolgreich die Wirtschaft
gestützt, aber nicht hohe Inflation generiert haben. Dann sollten die
Bedenken bezüglich der Fed-Maßnahmen und der Dollar-Liquidität zunehmend in den Hintergrund rücken und auch der Dollar sollte wieder etwas
weniger »billig« werden. Bis dahin kann aber noch einige Zeit vergehen.
Wenn sogar die fundamentale Einschätzung in eine Richtung deutet,
»können die Märkte länger irrational bleiben, als man selbst liquide ist«.
Mildred Hager war nach dem Diplom in Physik an der
ETH Zürich und dem Dokorat in Mathematik in der
Forschung tätig (UC Berkeley). Als Senior Economist ist
sie im Research für die Einschätzung von EZB und FED
sowie der Eurozone und USA-Konjunktur, Renditen und
Wechselkursen zuständig.
236
Unsere Nachbarn im Osten:
Wachstum oder tote Hose?
von Zoltan Bakay
Für Österreich ist die Region Zentral- und Osteuropa (CEE) mehr als nur
ein Markt unter vielen. Es ist die Region, zu der Österreich einen reichen historischen Bezug hat und CEE 4 ist die Region, in der Österreich
womöglich seine Zukunft hat. Denn im Jahr fünf nach dem Kollaps der
amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers geht es Europa nicht
besonders gut. Speziell dem südlichen Teil. Hauptproblem ist die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit. Vereinfacht gesprochen, es wird zu wenig
erwirtschaftet, um das hohe Ausgabenniveau sowohl des staatlichen als
auch des privaten Sektors zu rechtfertigen. Was grundsätzlich fehlt, ist
nachhaltiges Wachstum.
Ganz im Gegensatz dazu CEE. Die Region als Ganzes zeichnet sich
durch ein deutlich niedrigeres Lohnniveau aus, welches auch 20 Jahre
nach dem Fall des Eisernen Vorhangs bei weniger als 30 Prozent des
Durchschnitts der Eurozone liegt. Der relative Wohlstandsunterschied
zu Westeuropa bewirkt, dass für Politiker und Bürger in CEE die
Verringerung der Wohlstandslücke zum Westen gleichermaßen das zentrale Ziel ist. Dieser Prozess hat vor allem in den vergangenen zehn
Jahren zu einer beeindruckenden Aufholjagd geführt.
Wo aber steht die Region heute? In welchem Verhältnis stehen die Länder
zueinander? Was hat sich im Vergleich zur Vorkrisenwelt verändert und
wo liegen die Anknüpfungspunkte für regionale Großinvestoren wie
Österreich in der Zukunft?
Die Länder Zentral- und Osteuropas unterscheiden sich
Grundsätzlich hat die Krise einen wichtigen Aspekt offengelegt. CEE ist
nicht gleich CEE. So wie Schweden nicht unbedingt gleich Portugal ist,
kann auch kein Gleichheitszeichen zwischen Länder wie Bulgarien und
Tschechien gesetzt werden. Häufig wird übersehen, dass sich die Länder
der Region – trotz gemeinsamer Vergangenheit im »Ostblock« – kulturell-historisch ebenso unterscheiden wie viele Westeuropäer.
4 CEE: Central and Eastern Europe
237
Das ist CEE… (Foto: Verena Brandt / Visum / picturedesk.com)
Aber auch rein wirtschaftlich gibt es bedeutende Differenzen.
Wohlstandsunterschiede zwischen den Ländern in CEE sind häufig größer als die zwischen den Ländern in Westeuropa. Beispielsweise ist das
Pro-Kopf-BIP Tschechiens mit 14.600 Euro knapp dreimal so hoch wie das
Bulgariens oder ein slowenischer Arbeiter verdient mit knapp 15 Euro
dreimal so viel wie ein Arbeiter in Rumänien.
In der Krise haben sich besonders jene Länder leichter getan, die auch
in den Vorkrisenjahren ein ausgeglicheneres Wachstum – also geringere
interne und externe Ungleichgewichte – hatten. Dazu zählen insbesondere Polen und die Slowakei.
Zentral- und Osteuropa in den Krisenjahren
Als die Welt im Jahr 2008 in den Krisenmodus wechselte, war die
Ausgangslage für Zentral- und Osteuropa nicht unbedingt ideal. Nachdem
klar wurde, dass sich weder Europa noch CEE dem globalen Schock entziehen kann, war die Sorge groß, dass das Wachstumsmodell im »Emerging
Europe« besonders stark getroffen werden könne. Diese Sorgen waren nicht
ganz unbegründet, denn CEE hatte zu diesem Zeitpunkt einen für europäische Verhältnisse beispiellosen Investitions- und Konsumboom hinter
sich. Man fürchtete, dass das plötzliche Ende weltweiter Kapitalzuflüsse
238
…aber auch das ist CEE. (Foto: Overmann)
in Verbindung mit dem sich anschließenden Nachfrageschock das CEEWachstumsmodell in seinem Kern erschüttern würde.
Zwar ließen die vorausgesagten Schockwirkungen tatsächlich nicht auf
sich warten, in Summe war deren Wirkung aber nur von kurzer Dauer.
Denn bereits ab der zweiten Jahreshälfte 2009 konnten exportorientierte EU-Staaten, allen voran Deutschland, den Nachfrageeinbruch in
den USA und in Resteuropa durch Exporte vor allem nach Asien auffangen. Im Schlepptau dieser Entwicklung konnte Zentral- und Osteuropa,
als mittlerweile bedeutender Zulieferermarkt an dieser Entwicklung mit
teilhaben. Bereits 2010 standen in den meisten CEE-Staaten die Zeichen
wieder auf Wachstum. Diesmal allerdings beinahe ausschließlich auf
Basis von Exporten.
Nichtsdestotrotz ist die Krise auch an Zentral- und Osteuropa nicht spurlos vorbeigezogen. Das nachfragegetriebene Wachstum der Vorkrisenzeit
basierte primär auf ausländischen Kapitalzuflüssen. Die krisenbedingte Verunsicherung ließ diese Kapitalzuflüsse auf ein Minimum
schrumpfen, was wiederum Konsum- und Investitionen einbrechen
ließ. Je nach Abhängigkeit von diesen Zuflüssen kamen die einzelnen Volkswirtschaften besser oder schlechter durch die Krisenjahre.
Kapitalschwache Länder wie Ungarn, Rumänien oder Kroatien hatten
239
und haben bis zum heutigen Tag mehr zu kämpfen als Staaten wie die
Tschechische Republik oder die Slowakei.
Trotzdem hat die gut entwickelte industrielle Produktionsbasis in
Verbindung mit dem wettbewerbsfähigen Lohnniveau die Region in den
vergangenen Jahren vor dem Schlimmsten bewahrt. Dies zeigt sich besonders im direkten Vergleich mit dem Süden des Kontinents. Während
in Griechenland, Italien, Spanien und Portugal das aggregierte BIP zwischen 2008 und 2012 um sieben Pozent schrumpfte, konnte das BIP der
Region CEE – trotz Abwertungen der Landeswährungen – real um über
zwei Prozent wachsen.
Das exportgetragene Wachstum der letzten Jahre hat darüber hinaus
die Leistungsbilanzen vieler CEE-Staaten deutlich verbessert. Das heißt,
es wird weniger ausländisches Geld zur Finanzierung der Wirtschaft
benötigt. Dies ist zwar allgemein begrüßenswert, geht aber auch auf
die Zurückhaltung beim Konsum und bei den Investitionen zurück.
Nichtsdestotrotz bleibt festzuhalten, dass die Region aufgrund geringerer Leistungsbilanzdefizite 5 heute wesentlich weniger verwundbar ist
als noch vor ein paar Jahren. Auch kein Nachteil in unsicheren Zeiten
wie diesen.
Ausblick für Zentral- und Osteuropa: 2014 und 2015
Mit der Verbesserung der gesamteuropäischen Aussichten hat sich
auch die Stimmung in CEE verbessert. Vorlaufende Indikatoren wie
z. B. die Verbraucherstimmung, Einkaufsmanagerindices 6 und die
Auftragsentwicklungen deuten seit Längerem auf eine Trendumkehr
bei Unternehmen und Verbrauchern hin. Dies ist eine bedeutende
Entwicklung, schließlich wird das BIP normalerweise zu mehr als zwei
Dritteln vom Konsum und von Investitionen getragen. Wenn diese
Komponenten zu wachsen beginen, hat das normalerweise eine durchschlagende Wirkung. Realwirtschaftliche Wachstumsdaten für die letzten Monate 2013 belegen diese Entwicklung.
Ferner profitiert die Region von der allgemein niedrigen Inflation
in Europa. Dies ermöglichte es den lokalen Notenbanken, ihre
Leitzinsen zu senken. Allerdings bleibt festzuhalten, dass – ebenso
240
5 Leistungsbilanzdefizit: Ein Land, das mehr importiert als es exportiert.
(gleichbedeutend ist mit einem Vermögensrückgang)
6 Einkaufsmanagerindex: Indikator zur Konjunkturentwicklung
wie in vielen anderen Ländern – auch in CEE die Wirtschaftsakteure
noch immer verunsichert sind. Vor diesem Hintergrund reicht das
schwache Kreditwachstum derzeit noch nicht aus, um deutlich höheres Wachstum zu tragen. Unabhängig davon entfaltet die niedrige
Inflation aber noch eine andere positive Wirkung: Durch den geringeren Preisanstieg bleibt den Menschen mehr Geld in der Tasche.
Und höhere Realeinkommen wirken sich im Allgemeinen positiv auf
die Inlandsnachfrage aus.
Der neue Optimismus zeigt sich auch in einem Gutachten der
Europäischen Kommission, die durchwegs von einer anziehenden Konjunktur ausgeht. Die Hauptänderung im Vergleich zu den
Vorjahren wird in der Verlagerung des Wachstums vom Export
auf die Inlandsnachfrage gesehen. Was die einzelnen Länder betrifft, hängt die Entwicklung auch davon ab, inwiefern laufende
Konsolidierungsbemühungen noch negative Einflüsse auf die Einkommen
bzw. Investitionen haben. Für 2013 wird in Zentral- und Osteuropa
für Tschechien, Kroatien und Slowenien von einem Rückgang von
–1, –0,7 bzw. –2,7 Prozent ausgegangen. Zu vermerken ist, dass
vor allem Tschechien noch immer die Nachwirkungen bedeutender
Konsolidierungsmaßnahmen spürt, deren Ausklingen aber zu einer
spürbaren Verbesserung führen wird. Kroatien kämpft mit strukturellen Schwierigkeiten im Bereich des Arbeitsmarkts und hohen Schulden
im Privatsektor. Slowenien ist das einzige CEE-Land, welches ähnliche Probleme wie andere südeuropäische Staaten hat. Das ehemalige
Musterland der EU durchlebt derzeit eine Bankenkrise, die maßgeblich
auf die Inlandsnachfrage drückt. Es wird nicht erwartet, dass das Land
vor 2015 aus der Rezession herauskommt.
Als sehr stabil er weisen sich – w ie auch in den Jahren davor – die polnische und die slowakische Wirtschaft, wobei sich die
Wachstumsaussichten insofern unterscheiden, als die Slowakei etwas
exportlastiger wachsen wird, wohingegen das Wachstum in Polen primär von der Inlandsnachfrage getragen wird. Auch Rumänien durchlebt eine Phase mit anziehendem Wachstum, welches sich langsam vom
Export hin zu einer anziehenden Inlandsnachfrage entwickelt. Das
Land konnte im dritten Quartal 2013 mit der höchsten Wachstumsrate
in der gesamten EU überzeugen. Positiv überraschen konnte auch die
241
Prognose des realen BIP-Wachstums (in %)
2013
2014
2015
3
1,5
0
Österreich Tschechien Slowakei
Ungarn
Kroatien
Polen
Rumänien
Serbien
Eurozone
-1,5
Quelle: Europäische Kommission
ungarische Wirtschaft, deren Wachstum von hohen Zuwächsen in der
Automobilwirtschaft und anziehender Inlandsnachfrage getragen wurde.
In Summe kann festgehalten werden, dass das BIP-Wachstum der Region
bereits ab 2014 wieder deutlich über dem EU-Durchschnitt liegen wird.
Dieser Trend wird sich dann auch in den Folgejahren fortsetzen. Dahinter
liegen vor allem jene Mechanismen, die auch in der Vorkrisenzeit zu
höherem Wachstum führten, sprich die anziehende Inlandsnachfrage.
Auch stimmen die meisten Beobachter darin überein, dass die Fehler der
Vergangenheit wahrscheinlich nicht wiederholt werden. Damit ist das zu
schnelle und unausgeglichene Wachstum einiger Staaten gemeint. Daher
die generelle Vermutung, dass das Wachstum zwar überdurchschnittlich
sein wird, das Vorkrisenniveau aber nicht mehr erreicht wird.
Die Frage ist, ob es weitere, bereits heute absehbare Entwicklungen gibt,
die im Laufe der kommenden Jahre zu berücksichtigen sind?
Alte Wachstumsmodelle werden an ihre Grenzen stoßen
Betrachtet man die kaufkraftbereinigte BIP-Entwicklung pro Kopf, zeigt
sich, wie sich die Länder im Vergleich zu einander entwickelt haben.
242
Reales BIP pro Kopf, kaufkraftbereinigt (in % des EU28-Durchschnitts)
2000
2012
120
90
60
30
EU15
Slowenien
Tschechien
Slowakei
Ungarn
Polen
Rumänien
Bulgarien
0
Quelle: Eurostat
Der Darstellung ist zu entnehmen, dass sich die Länder Zentralund Osteuropas dem EU-Durchschnitt immer weiter angenähert haben. Dank der etwas höheren Wachstumsraten werden sie
dies voraussichtlich auch in den kommenden Jahren noch eine
Weile weiter fortsetzen. Die Erfahrungen aus anderen Ländern
zeigen jedoch, dass das Wirtschaftswachstum mit zunehmendem
Entwicklungsgrad abnimmt.
Warum ist das so? Je weniger entwickelt eine Volkswirtschaft ist,
desto leichter ist es, die Produktivität zu steigern. So war es während der Industrialisierung Anfang des 19. Jahrhunderts und so
war das in der Aufschwungphase nach dem zweiten Weltkrieg. Alle
Schwellenländer erleben das und auch CEE hat eine 15-jährige Phase
hohen Wachstums hinter sich. Länder wie die Tschechische Republik,
Slowenien oder die Slowakei liegen mittlerweile auf dem Niveau der
schwächeren Westeuropäer. Polen, Kroatien und Ungarn sind nicht weit
weg davon. Die Wachstumsmodelle dieser Länder basieren vor ­allem
auf den substanziellen Lohnkostenvorteilen gegenüber Westeuropa.
Westliche Unternehmen nutzen diese, um arbeitslastige Teile i­hrer
Produktion auszulagern. Umgekehrt profitieren die zentral- und
osteuropäischen Länder vom Marktzugang sowie vom technischen
Know-how dieser Firmen.
243
Prognose der Bevölkerungsentwicklung in Westeuropa (EU-15) und
Zentral- und Osteuropa (EU-13)
110
EU-15
EU-13
105
100
95
90
85
2010
2015
2020
2025
2030
2035
2040
2045
2050
2055
2060
80
Quelle: Eurostat
Aber dieser Entwicklung sind Grenzen gesetzt, denn ein Schwellenland
verliert mit steigenden Lohnkosten schnell an Attraktivität. Umgekehrt
ist aber gerade die allmähliche Annäherung des Lohnniveaus an das
westeuropäische ein nachvollziehbares Langfristziel für Zentral- und
Osteuropa. Vor diesem Hintergrund ist annehmbar, dass das auf niedrigen Lohnkosten basierende Wachstumsmodell, zukünftig nur bedingt zur tatsächlichen Angleichung der Lebensverhältnisse geeignet
ist. Diesem Problem werden sich jene Länder zuerst stellen müssen, die
heute am weitesten entwickelt sind. Für diese Länder wird die entscheidende Frage lauten, wie sie sich neu positionieren müssen, um weiterhin
gegenüber Westeuropa aufschließen zu können.
Die demographische Entwicklung als zusätzliche Herausforderung
Ein weiteres wichtiges Thema ist die schwache Demographie der
Region. Bis weit in die 1980er-Jahre hinein stand die Region in
dieser Hinsicht weitaus besser da als Westeuropa. Die Öffnung der
CEE-Volkswirtschaften Anfang der 1990er-Jahre brachte nicht nur wirtschaftliche Transformationsprozesse, sondern sie setzte auch substanzielle gesellschaftliche Veränderungen in Gang. Der plötzliche Verlust
von Millionen von Arbeitsplätzen, der Umbau der Gesellschaft sowie die
244
Anteil der Bevölkerung über 64 Jahre in Prozent
(Mittelwert für Tschechien, Slowakei, Polen, Ungarn und Rumänien)
30
22,5
15
7,5
1990
2000
2010
2020
2030
2040
2050
2060
0
Quelle: UN
Infragestellung gesellschaftlicher Wertvorstellungen bewirkten eine
massive Verunsicherung der Bevölkerung. Dies führte zu einem bedeutenden und lang anhaltenden Einbruch der Geburtenzahlen.
Von dieser Entwicklung hat sich die Region bis heute nicht vollständig erholt. Zentral- und Osteuropa gehörte 2012 zu den Regionen mit
den niedrigsten Geburtenzahlen weltweit. Darüber hinaus sorgte die
Öffnung der Grenzen dafür, dass viele CEE-Bürger in der Hoffnung auf
bessere Verdienstmöglichkeiten ihren Heimatländern den Rücken kehrten. Niedrige Geburten und negative Wanderungsbilanzen führen auch
in den kommenden Jahren zu einer negativen Bevölkerungsentwickung.
Daneben gibt es noch eine gegenläufige Tendenz: Die Lebenserwartung
in CEE wird weiter deutlich zunehmen. Diese hat sich in den vergangenen 20 Jahren von zirka 70 auf knapp 75 erhöht. Dadurch verändert
sich die Altersstruktur der Gesellschaft, wobei der Anteil der Älteren
rapide zunimmt.
In Summe lässt sich sagen, dass wir uns auf schrumpfende und gleichzeitig alternde Gesellschaften einstellen müssen. Anders als in Westeuropa
wird dieser Prozess – mangels Zuwanderung – wesentlich schneller
ablaufen.
245
Was bedeuten diese Entwicklungen für CEE und für Investoren?
Mittelfristig wird sich die Ressource Arbeit in der ganzen Region verknappen und günstige Löhne als zentraler Wettbewerbsvorteil werden
– vor allem in entwickelteren Regionen – mit der Zeit an Bedeutung
verlieren. Beide Faktoren beeinträchtigen die Produktivität und wirken
somit der angestrebten Wachstumsperspektive entgegen. Daraus ergeben
sich zwei zentrale Entwicklungspfade: Entwickeltere Regionen werden
versuchen, den Fokus stärker als bislang auf höherwertige Arbeit zu verlagern, während weniger entwickelte Regionen versuchen werden, bisher
ungenutzte Beschäftigungsreserven stärker zu aktivieren.
Fokus höherwertige Tätigkeiten
Bereits heute gilt der Fachkräftemangel in Ost und West als eine zen­trale
Wachstumsbremse. Anstatt der häufig komplizierten Anwerbung von
qualifizierten Migranten könnten zukünftig verstärkt Anstrengungen
unternommen werden, relevante Qualifikationen lokal in CEE zu fördern und einzusetzen. Beispiele für derartige Entwicklungen zeichnen
sich z. B. in der Automobilbranche ab, die den Fachkräftemangel über
lokale Ausbildungskooperationen bekämpfen. Das Gleiche gilt für die
Zusammenarbeit mit Hochschulen. Ein stärkeres Engagement in diesem Bereich, würde dabei helfen potenzielle Fachkräfte in die richtigen Studiengänge zu kanalisieren und gegebenenfalls frühzeitig an
Unternehmen zu binden.
Weitere Potenziale liegen im Bereich der arbeitsintensiven, höherwertigen Dienstleistungen. Dazu zählen z. B. die Gesundheitsbranche,
Pflegeberufe, technische Planung oder qualifizierte handwerkliche
Leistungen. Diese Berufe verlieren in Westeuropa zunehmend an
Attraktivität, obwohl es dafür eine stabile Nachfrage gibt. Sowohl die
höhere Mobilität potenzieller Kunden und Dienstleister als auch günstigere Transportmöglichkeiten oder gar netbasierte Ansätze könnten
zukünftig in einem weitaus größeren Umfang genutzt werden.
Ein drittes bislang wenig aufgegriffenes Thema in CEE ist im Bereich der
umweltschonenden Energietechnik zu sehen. Dieses Themenfeld spielt in
Zentral- und Osteuropa bislang nur eine untergeordnete Rolle, wird aber
246
Erwerbstätigenquote für die
Altersklasse 15–64 (2012)
28,3–55,0%
55,0–61,9%
61,9–67,6%
67,6–73,5%
73,5–82,2%
Daten nicht verfügbar
Quelle: Eurostat
in den kommenden Jahren – allein schon wegen der Verpflichtungen
im Rahmen der EU-Strategie 2020 – auch hier stärker in den Fokus
­rücken. Hier könnte der Erfahrungsvorsprung in Westeuropa genutzt
werden, um die Marktentwicklung über lokale Kooperationen entsprechend voranzutreiben.
Fokus Beschäftigungspotenziale
Viele CEE-Märkte zeichnen sich – verglichen mit den entwickelten
Staaten Westeuropas – durch deutlich niedrigere Beschäftigungsquoten
aus. Berücksichtigt man auch die Selbständigen und Mini-Jobber erhält
man die von der EU ausgewiesene Erwerbstätigenquote.
Wie die Darstellung zeigt, liegt diese Quote, mit Ausnahme Tschechiens,
in den meisten CEE-Regionen eher auf dem Niveau Südeuropas als auf
dem des entwickelten Nordwestens. Dies ist ein Erbe aus der Zeit des
Falls des Eisernen Vorhangs, als viele Millionen Jobs verloren gingen,
die – trotz hoher Wachstumsraten in den Folgejahren – eigentlich nie
vollständig ersetzt wurden.
Die niedrige Erwerbstätigenquote ist ein häufig unterschätztes
Wachstumspotenzial, dem man vor allem abseits der boomenden
247
Vergleich Staaten des Westbalkans 2012 mit CEE-Staaten im Jahr 2000,
reales BIP pro Kopf, kaufkraftbereinigt (in % des EU28-Durchschnitts)
2000
2012
80
60
40
20
SL
CZ
HU
SK
PL
MN
MD
SR
AL
BG
BH
RO
0
Quelle: Eurostat
Hauptstadtregionen in zahllosen Dörfern ohne wirkliche Perspektive
begegnet. I m G egen s at z z u den s c h nell au f s c hl ie ß enden
Hauptstadtregionen ist man hier, was Produktivität und Löhne betrifft,
häufig um Jahre zurück. In den vergangen Jahren hat sich gezeigt, dass
dieses Arbeitskräftepotenzial durchaus sinnvoll eingesetzt werden kann.
Millionen von Rumänen und Bulgaren arbeiten in Südeuropa. Polen,
Balten, aber auch viele Ungarn, Tschechen und Slowaken hat es in den
deutschen Sprachraum bzw. auf die Britischen Inseln gezogen. Und auch
grenznahe zentraleuropäische Regionen in Pendeldistanz zu Westeuropa
verzeichnen deutliche Wanderungsgewinne. Auch hat sich gezeigt, dass
Migrationsströme nicht nur in eine Richtung gehen. Viele Zentral- und
Osteuropäer zeigen eine durchaus hohe Rückwanderungsbereitschaft,
wenn sich die wirtschaftliche Perspektive in den Heimatländern
verbessert.
In diesem Sinne hat sich hier ein neues Arbeitskräftepotenzial
ent­w ickelt, dass als »mobile Wachstumsreser ve« von mehreren Ländern gleichzeitig genutzt werden kann. Diese Entwicklung
sollte bewusster genutzt werden, beispielsweise durch effektivere
Vermittlungsmechanismen und durch die Verbesserung rechtlicher und
sozialpolitischer Rahmenbedingungen.
248
Abschließend: Neue Wachstumsmärkte rücken in den Fokus
Unabhängig von dem bisher Gesagten werden die kommenden Jahre noch
eine weitere wichtige Veränderung bringen. Erklärtes Ziel der EU ist es,
auch die Region Westbalkan 7 zu integrieren. Es ist gut vorstellbar, dass
diese Märkte – analog zu den bisher aufgenommenen CEE-Staaten – gerade in den Frühphasen ihrer Aufnahmebemühungen besonders attraktive Wachstumschancen bieten werden.
Serbien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Albanien, Kosovo und
Mazedonien haben in Summe eine Gesamtbevölkerung von knapp
19 Millionen Einwohnern. Dies entspricht in etwa der Bevölkerung
Rumäniens, wobei sie aber lediglich etwas mehr die Hälfte des rumänischen BIP erwirtschaftet. Darüber hinaus ist die Region politisch noch
nicht besonders stabil. In der Kosovo-Frage sind zwar seit Kürzerem
Fortschritte zu verzeichnen, von einer abschließenden Lösung oder
gar Aussöhnung zwischen Serben und Kosovaren zu sprechen, ist aber
sicherlich verfrüht. Und auch in anderen Ländern der Region gibt es
ungeklärte Fragen. So ist in Mazedonien weiterhin unklar, wie sich das
Land zukünftig nennen wird. Ebenso unklar ist der Zusammenhalt der
serbischen und bosnisch-kroatischen Teile Bosnien-Herzegowinas.
Nichtsdestotrotz wird es Lösungen geben, da letztendlich der Wunsch
nach mehr Wohlstand – analog zu anderen Regionen in der Welt – den
Ausschlag geben wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das deutlich
niedrigere Wohlstandsniveau der Region das Potenzial für eine längere
Konvergenzphase – ähnlich der der zwischen 2004 und 2007 aufgenommenen Staaten8 – in sich birgt. Allein schon aus diesem Grund spricht
vieles gegen die Vorstellung von CEE als »tote Hose«.
7 Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Serbien, (Kroatien seit 1. 7. 2013 Mitglied)
8 Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowenien, Slowakei, Ungarn, Malta, Zypern, Rumänien, Bulgarien
Zoltan Bakay war bis 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter an
der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Seit 2007 ist
er im Research & Knowledge Center der Erste Group tätig und
spezialisiert auf die volkswirtschaftliche Entwicklung der
Wachstumsregionen in Zentral- und Osteuropa.
249
Schauplatz Börse:
Wer wagt, gewinnt
Franz Gschiegl
Frau und Herr Österreicher zeichnen sich generell durch eine sehr
starke Risiko-Aversion aus, die Quote der Aktienbesitzer liegt im
niedrigen einstelligen Prozentbereich. In Deutschland hingegen,
wo man sich ja ebenso wie in den USA über neue historische
Rekordhöchststände bei Aktien freut, wurde unlängst immerhin
ein Wert von 15 Prozent gemeldet. In den Vereinigten Staaten
herrscht seit langem eine andere Aktienkultur vor, dort besitzt
jeder Zweite Dividendenwerte.
Sparbuch mit Vollkaskoversicherung
Worin ist nun die Skepsis gegenüber Aktien begründet? Wieso lieben
Herr und Frau Österreicher in erster Linie das Sparbuch? Einerseits ist
es wohl die Einlagensicherung bis 100.000 Euro pro Person und Institut,
die quasi eine Gratis-Vollkaskoversicherung darstellt. Andererseits blockieren die Unsicherheit über den Ausgang eines Aktieninvestments und
ein möglicher Verlust die Risikofreude. Während sich »sichere« Anleihen
durch exakte Termine von Zinszahlungen und Laufzeiten und somit
auch Tilgungen auszeichnen, ist bei Aktien alles ungewiss. Die Gefahr
des unrichtigen »Timings«, also der Wahl des falschen Zeitpunktes des
Einstieges und vor allem Ausstieges, ist hier ein valides Argument. Nicht
nur Privatanleger, sondern auch viele »Profis« lassen sich emotional
zu Fehlentscheidungen hinreißen, wenn die Erwartungen nicht erfüllt
wurden, geänderte Rahmenbedingungen auftauchen oder interessantere
Investments entdeckt werden.
Auch das kühne Verlangen, mit Aktien rasch reich zu werden, ist statistisch nicht haltbar. Nur wer seine Investments – besonders in dem
kleinen Zeitfenster am Beginn oder am Ende einer kräftigen Hausse, zu
der exponentielle Anstiege vorkommen können – tätigt, der kann als
Glückspilz in kurzer Zeit hohe Gewinne einstreifen. Doch wer verlässt
schon gerne die Party, wenn sie am schönsten ist? Wer steigt schon aus,
wenn es an der Börse endlich gerade super läuft? Naja, der Kater am
nächsten Tag ist dann oft schon vorprogrammiert.
250
Da muss man es dann doch eher mit dem Börsenaltmeister Andrè
Kostolany halten, der auf die Frage, wie man es an der Börse schnell zu
Reichtum bringt, folgende Antwort gab: »Ich kann Ihnen leider nicht
sagen, wie Sie an der Börse schnell reich werden können, ich kann Ihnen
aber sagen, wie Sie schnell arm werden: indem sie versuchen, an der
Böse schnell reich zu werden.«
Aktien bringen langfristig 8,5% Ertrag
Die Megagewinne an der Börse sind leider eine Seltenheit, überdurchschnittliche Ergebnisse wollen mühsam erkämpft werden. Blicken
wir auf eine Statistik der »Erste-Sparinvest«, so konnte man mit
Investments an den etablierten Börsen im Zeitraum von 1975 bis 2012
jährlich ein Plus von 8,5 Prozent erzielen. Zieht man die Inflationsrate
von durchschnittlich 2,9 Prozent ab, so ergeben sich immerhin noch 5,6
Prozent. Beim Sparbuch rutscht man hier schon leicht ins Minus, da die
Inflation mehr als die 2,5 Prozent Sparbuchertrag wegknabbert. Gerade
im aktuellen Umfeld niedrigster Zinsen muss der Kaufkraftverlust einkalkuliert werden, ein Vermögensaufbau über den Geldmarkt und somit
auch mit dem Sparbuch ist zur Zeit leider nicht möglich.
Wird nun das Argument gebracht, dass die Aktien nach einem fast fünfjährigem Anstieg schon »zu teuer« sind, so muss man auf die relative
Attraktivität dieser Anlageklasse hinweisen.
Solange die Zinsen niedrig bleiben, stellen Dividendenwerte eine interessante Alternative dar – auch wenn die Kurse schon hoch sein mögen.
»Hoch« und »Tief« sind ohnehin relative Begriffe an der Börse, weshalb
man sich dann doch an historischen Daten orientiert. Gemäß klassischer
Börsenkennzahlen herrscht nach den mehrjährigen Anstiegen keine
Unterbewertung mehr vor, sondern eher eine »neutrale« und »faire«
Bewertung. Von einer Überbewertung sind wir allerdings an fast allen
Aktienmärkten noch weit entfernt.
Steigende Kurse – steigender Mut
Dieses klassische Phänomen lässt sich nahezu durchgehend beobachten. Nach einer Krise, nach einer Baisse fehlt allgemein der Mut, bei
den sehr niedrigen Kursen zu investieren, zu stark sitzt die Angst im
Nacken, zu stark sind jüngste Kursverluste noch in Erinnerung. Mit
251
steigenden Kursen weicht allmählich die Skepsis, gerne wäre man
nun zu den historischen Tiefstkursen eingestiegen, aber die sind eben
Geschichte. Irgendwann hat man dann keine Geduld mehr, auf tiefere
Einstiegskurse zu warten, und tätigt erste zögerliche Investments. Läuft
die Börse weiter, wächst der Mut und weitere Käufe folgen. Steigende
Aktien –steigender Mut; und wann ist der Mut am größten? Richtig: am
Top der Börsen, womit das nachfolgende Fiasko schon Programm ist. Zu
lange wird dann mit Verkäufen abgewartet, erste Kursrückgänge werden
ignoriert, weitere »durchgezittert« und am Ende der Baisse wird dann
panikartig verkauft, womit der Zyklus neu zu laufen beginnt.
Aktien wem Aktien gebühren
Gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma? Gibt es eine »optimale
Strategie«?
Grundsätzlich sind natürlich die Risikobereitschaft, der vorgesehene
Anlagehorizont sowie überhaupt »das Finanzleben« zu checken.
Kaum jemand wird direkt vom Sparbuch gleich komplett in Aktien
umschichten, eine schrittweise Annäherung ist da sinnvoll. Ein guter Einstieg ist z. B. ein Fondssparplan mit periodischen Einzahlungen
oder ein gemischter Investmentfonds, der eine maximale Aktienquote
von beispielsweise 30 Prozent aufweist. Bei einer Bandbreite von 0 bis
30 Prozent Aktien, wobei die Differenz in Anleihen angelegt wird, ist
auch ein »schlechtes« Aktienjahr zu verkraften, da die Erträge aus den
Anleihen die Aktien-Kursrückgänge etwas abfedern können.
Grundsätzlich werden an den Aktienmärkten Erwartungen und
Hoffnungen gehandelt, die auch sehr oft von der Realität abweichen.
Mit einer langfristigen Strategie sind jedoch durchwegs interessante
Gewinne mit Dividendenwerten zu erzielen – wenn man nicht emotional gesteuert zu Fehlreaktionen neigt.
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Finanzbildung im Fokus
Das erste Taschengeld, der erste Ferialjob, die Entscheidung für eine
Ausbildung, die Finanzierung der ersten Wohnung oder die Überlegung
für eine Pensionsvorsorge – der bewusste und verantwortungsvolle
Umgang mit Geld zieht sich durch die verschiedensten Lebensphasen.
Aus Umfragen weiß man, dass die Österreicher bei Wirtschafts- und
Finanzthemen ihr Wissen selbst als eher mangelhaft einschätzen und
dass Engagement von Banken im Bereich Finanzbildung durchaus erwartet wird. Erste Bank und Sparkassen sind seit vielen Jahren mit diversen
Finanzbildungsaktivitäten in Österreich aktiv.
Die Sparkassengruppe arbeitet seit Jahren eng mit Schuldnerberatern
und Jugendorganisationen zusammen. Junge Erwachsene die Fragen
zu Finanzthemen haben oder Hilfe brauchen, werden hier beraten.
Zusätzlich besuchen Sparkasse-Mitarbeiter jährlich bis zu 40.000
Kinder und Jugendliche in Schulen um den Umgang mit Geld zu erarbeiten. Gemeinsam mit Fachdidaktikern und der Schuldnerberatung
wurden eigens dafür Module für die verschiedenen Schulstufen entwickelt. Den Volksschülern werden die Grundlagen des Wirtschafts- und
Geldkreislaufes vermittelt, während bei Jugendlichen Themen wie
Haushaltsplanung und Schuldenprävention im Fokus stehen. Für Lehrer,
die in Sachen Finanzbildung auf dem neuesten Stand sein wollen, bieten
die Sparkassen eigene Workshops an.
Für alle, die gerne einmal mit volkswirtschaftlichen Ideen experimentieren wollen, gibt es ECO-Mania (eco-mania.at). Das volkswirtschaftliche Planspiel vermittelt auf spielerische Art und Weise
Zusammenhänge und schafft ein besseres Verständnis für Themen wie
z. B. Inflation, Arbeitslosigkeit oder Budgetplanung. Die Teilnehmer
schlüpfen in die Rollen von Regierung, Nationalbank, Unternehmen
und Haushalten. Am Schluss des Spiels steht die Erkenntnis, dass alle
Mitglieder einer Volkswirtschaft konstruktiv zusammenarbeiten müssen um »das Spiel zu gewinnen«. Sparkassen u. a. in Tirol, Vorarlberg
und Niederösterreich besuchen mit dem ECO-Mania-Spiel jedes Jahr viele
Schulen, um das Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge weiter
zu fördern.
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Sparefroh TV
Finanzielle Bildung für Kinder
Der richtige Umgang mit Geld will früh gelernt sein – schließlich wird
bereits im Kindesalter der Grundstein für einen vernünftigen Bezug
zu Geld gelegt. Aus diesem Grund startete 2010 Sparefroh TV. Dieses
Projekt der Erste Bank und Sparkasse wurde in Zusammenarbeit mit dem
Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur ins Leben gerufen.
Bisher sind vier Folgen erschienen, die sich verschiedenen Themen widmen: »Was ist Geld?«, »Was kauf ich mir?«, »Wie funktioniert der Markt?«
und »Was ist ein Unternehmen?«
Die Filme sind nach pädagogischen Richtlinien und altersgerecht für
die 1. bis 4. Schulstufe gestaltet. Das Bundesministerium empfiehlt
Sparefroh TV auch für den Unterricht. Dafür wurden, mit Unterstützung
des Zentrum Polis und der Initiative für Politik lernen in der Schule
und der Initiative für Teaching Entrepreneurship (ifte), passend zu
den Filmen Unterrichtsmaterialien für die 3. und 4. Schulstufe erstellt.
Eltern oder Lehrer können Sparefroh TV und zahlreiche Lehrunterlagen
im Zentrum Polis bestellen. Außerdem sind alle Folgen auf YouTube,
facebook.com/sparefroh oder sparefroh.at verfügbar.
www.sparefroh.at
www.politik-lernen.at
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www.geldundso.at – Webseite für Jugendliche und ihr Geldleben
Finanzielle Bildung für Jugendliche
Die ersten Schritte in ein selbstständiges Leben werden bereits in jungen
Jahren getan. Mit dem ersten Job und dem ersten Konto kommt auch
die Verantwortung für die eigenen Finanzen. Für die Unsicherheiten die
sich in diesem Lebensabschnitt auftun, gibt es die Website geldundso.at.
Jugendliche finden hier Antworten zu Fragen wie »Wieviel kostet es
mein Konto zu überziehen und wie kann ich das vermeiden?« oder
»Kann ich es mir leisten, in eine WG zu ziehen?«. Die Seite wurde gemeinsam mit Jugendlichen entwickelt und deckt viele Themen ab, die
Heranwachsende in Bezug auf ihre eigenen Finanzen beschäftigen.
www.geldundso.at
Gemeinsam mit dem Institut für Wirtschaftspädagogik der Wirtschafts­
universität Wien und dem Impulszentrum für EntrepreneurshipEducation bietet das gleichnamige Geldundso-Schulpaket praktische
Unterrichtsmaterialien für AHS und BHS. Themen des Schulpakets
sind: »Umgang mit Geld«, »Aktuelle Themen aus der Wirtschaft« und
»Unternehmerisches Denken«. Die Schulpakete kann man auf g­ eldundso.at
herunterladen.
www.geldundso.at/schulpaket
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Auf einen Espresso mit Rainer Münz
Finanzielle Bildung für Erwachsene
Oftmals mangelt es an Zeit, sich mit aktuellen Wirtschafts- und
Finanzthemen auseinanderzusetzen oder es fehlt einfach an
Hintergrundwissen. Aus diesem Grund wurde die Videoserie »Auf
­einen Espresso mit Rainer Münz« ins Leben gerufen. Dort vermittelt
Rainer Münz auf verständliche Art und Weise Wirtschaftswissen und
das während der Dauer eines Espressos. Der international bekannte
Forscher leitet das Research & Knowledge Center der Erste Group und ist
Vorsitzender im Erste School Board. Von 2008 bis 2010 war er Mitglied
der »Reflexionsgruppe Horizont 2020–2030« der Europäischen Union
(sogenannter »EU-Weisenrat«).
Beleuchtet werden aktuelle wirtschaftliche Entwicklungen und
Begriffe aus der Finanzwelt. Es ist kein Vorwissen dafür notwendig. Die
Themenvielfalt ist groß, es werden aktuelle Fragen beantwortet wie:
»Wird es den Euro in ein paar Jahren noch geben?« »Wie geht es weiter
mit Griechenland?« oder »Was bedeutet die Senkung der Leitzinsen
durch die EZB für uns?« Sie wird auch vom Bundesministerium für
Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz empfohlen.
www.sparkasse.at/finanzbildung
www.youtube.com/erstebanksparkasse
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