Slow Media
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SLOW MEDIA Skizze eines Forschungs- und Praxisfeldes in fünf Schritten Foliensatz für ein Seminar [mit ausführlicher Literaturliste im Anhang] SLOW MEDIA - Auswahl journalistischer Produkte mit Elementen von SLOW MEDIA - BBC Four Goes Slow Nur elitäre Medien? Keineswegs – z.B. Slow-TV als Quotenhit in Norwegen: http://www.nrk.no/presse/slow-tv-1.12057032 Das Thema SLOW MEDIA – Veränderte Zeit- und Wertemuster in der Mediennutzung und im Journalismus. Skizze eines Forschungs- und Praxisfeldes. Thesen zur Relevanz Die Beschleunigung der Produktion und Nutzung von Medien sowie die Krise des bezahlten Journalismus haben weitreichende Konsequenzen für eine aufgeklärte Öffentlichkeit in demokratischen Gesellschaften. Der Strukturwandel in der Medienbranche und im Journalismus führt nicht nur zu teilweise prekären Arbeitsverhältnissen, sondern auch zu einem veränderten Verständnis von Journalismus. Jenseits dieser Diskussion zum Journalismus leiden viele Menschen unter den Beschleunigungs- und Entfremdungseffekten durch intensive Mediennutzung in der Arbeits- und Lebenswelt. Auf einer Metaebene sind die Prozesse Teil einer wachsenden ökonomischen Verwertung von Zeit und Aufmerksamkeit. Slow = ? „(…) Statt die Beschleunigung des beruflichen und privaten Lebens weiter voranzutreiben, rücken Werte wie Achtsamkeit, Qualität und Monotasking in den Vordergrund. Dabei steht ´Slow´ gerade nicht für langsam oder rückwärts-gewandt, sondern für stark, intelligent, durchdacht-reflektiert, open-minded, rational-emotionales Gleichgewicht, Selbst-bewusstsein, Life-Balance, * Nachhaltigkeit.“ SLOW MEDIA ist eine Metapher bzw. ein ergänzendes Leitbild und ein mögliches Korrektiv zu aktuellen Trends der Informationsüberflutung, Oberflächlichkeit und der kostenlosen Nebenbeinutzung - auch jenseits des aktuellen Nachrichtenjournalismus. SOW MEDIA = SLOW FOOD für den Kopf? * Hans Georg Stolz ehem. DWG u. Uni Mainz: http://slow-media-institut.net/medienforschung Slow Media – andere Zugänge: ZEIT und Nachhaltigkeit, Achtsamkeit, Resonanz Die Ökonomin Lucia Reisch zur Zeitpolitik als Nachhaltigkeitspolitik: Innovative Unternehmen haben erkannt, dass gerade für qualifizierte junge Menschen Zeitsouveränität und die Verträglichkeit von Arbeitszeit, gesellschaftlicher Zeit und Eigenzeit einen hohen Stellenwer haben. Für M. Horx ist Achtsamkeit ein Freiheitsbegriff und Zukunftstrend: „Achtsamkeit bedeutet, Wissen wieder an Kompetenz, Information an Vermögen, Kommunikation an Verstehen zu koppeln. Dazu gehört: Geduld lernen. (…) Achtsamkeit ist Ablenkungs- und Aufmerksamkeitsdiät.“ [Vgl. L. Reisch: „Auf dem Weg in eine zeitachtsame Gesellschaft? Zeitpolitik als Nachhaltigkeitspolitik“] Claus Eurich plädiert für einen integralen Journalismus durch Achtsamkeit: Grundlage ist eine bewusste, intentionale Aufmerksame, wache und respektvolle Grundhaltung gegenüber allen Wahrnehmungen und Bewusstseinshaltungen. [Vgl. C. Eurich: Achtsamkeit – Grundzüge eines integralen Journalismus. In: Journalistik Journal 1/2011] (http://www.horx.com/Downloads/Die-Aera-der-Achtsamkeit.pdf] 1/2014 Resonanz ist der Schlüsselbegriff des Soziologen Hartmut Rosa: Achtsamkeit und unmittelbare Erfahrungen können die Weltreichweite wieder verkürzen. Sie sind Mittel gegen die totale Kontrolle der kapitalistischen Weltzeit über unser Leben. [Vgl. H. Rosa: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin: Suhrkamp 2016] Forschungsfelder / Einordnung Metaebene: - Gesellschaft und Zeit Soziale Grenzen des Wachstums Verwertung von Zeit u. Aufmerksamkeit Fremd- vs. Selbstbestimmung Digitale Lebenswelt Journalismus SLOW MEDIA Übrige Publizistik Work-Life-Balance Digitale Arbeitswelt (PR, Marketing …) Digitaler Arbeitsschutz Medienpolitik stehen hier im Mittelpunkt Thema am Rande wichtig, aber hier kein Thema Öffentlichkeit Medienkompetenz Einige Aspekte in aller Kürze - wir haben nur wenig Zeit ! - Metaebene: Entgrenzung, Beschleunigung, Entfremdung - Eigenzeit vs. Medienzeit - Ökonomische Verwertung von Zeit und Aufmerksamkeit - Exkurs: Viele Erkenntnisse sind nicht neu - Medienzeiten: Muster und Schlussfolgerungen - Das SLOW MEDIA Manifest - Werte, Qualität und Zeit im Journalismus - Entschleunigung, Kontrolle, Selbstbestimmung - Zwischenbilanz, erste Empfehlungen und Forschungsperspektiven Anhang: Literaturliste zum Thema Hinweise: Die Dimension ZEIT selbst wird hier nicht vertieft – nur der Aspekt Eigenzeit vs. Medienzeit wird gestreift. ZEIT wird ganz allgemein verstanden als soziales Hilfskonstrukt zur Strukturierung und Wahrnehmung von Abläufen im Leben und in der Gesellschaft. Zeitregime sind aber auch Herrschaftsinstrumente. Geißler, K; Geißler, J.: Time is honey (…). München: Oekom 2015. http://www.slowmovement. com/ Auch die Slow-Bewegung ist hier kein Thema. http://slowmedia.typepad.c om/slow-media/ http://www.theworldinstitut eofslowness.com/ 1. Schritt Gibt es einen gesellschaftlichen Zusammenhang von Zeit, Beschleunigung und Entfremdung? Wissenschaftliche Ansätze und Alltagserfahrungen. (Metaebene) Metaebene: Entgrenzung, Beschleunigung, Entfremdung * - Moderne und Kapitalismus sind auf Steigerung, Wachstum und Entgrenzung angelegt. Bleiben Wachstum und marktgängige Innovationen auf höherem Niveau aus, kommt es zu Krisen – andere, noch größere Krisen gibt es aber auch durch herkömmliches Wachstum. - Für alle Tätigkeiten zur Steigerung benötigen wir: Zeit ! - Die Zeitkrise: Zeit kann nicht wachsen (ein Tag/eine Woche/ein Jahr/ein Leben). - Die Folgen: Zeitdruck, neue Zeitstrategien und sinkende Aufmerksamkeit. - Viele technische Innovationen versprechen Zeit zu sparen bzw. unsere räumliche Reichweite zu vergrößern. Das Smartphone aber z.B. vernichtet eher Zeit - und Multitasking ist ein Mythos. - Internetkonzerne und die world.com produzieren immer neue Wünsche, liefern scheinbar kostenlos Wohlfühlangebote und befördern letztlich das Frustrationsparadox. - Digitale Medien können nützlich sein. In der Summe beanspruchen sie aber mehr Zeit und Aufmerksamkeit - Zeitwohlstand sieht anders aus. - Vermutete Lösungen: Beschleunigung, Verdichtung, Gleichzeitigkeit. [* Diese Erkenntnisse beruhen weitgehend auf Hartmut Rosa, auf den noch verwiesen wird] Metaebene: Immer weniger Zeit? - Das Paradox: • • • • wir kommunizieren mit Lichtgeschwindigkeit, können in Zügen mit 300 km/h reisen, das Internet bietet uns rund um die Uhr Information, es kann uns Arbeit abnehmen und mit anderen verbinden, hinzu kommt das Zeitgeschenk der wachsenden Lebenserwartung. - Und trotzdem stehen viele Menschen und Organisationen ständig unter Zeitdruck. - Aber egal wie schnell wir sind: Die To-Do-Listen werden nicht kürzer. Wir machen einfach immer mehr, schneller und gleichzeitig. Selbstausbeutung? - Trotz neuer Zeitoptionen wachsen für viele Fremdbestimmung und Frust. - Durch die Überforderung entstehen hohe volkswirtschaftliche und soziale Kosten – und für viele sinkt die Lebensqualität. - Der äußere Zeitdruck verlagert sich nach innen. Wir träumen zwar von unbeschwerten Aus- und Mußezeiten, halten es aber nur schwer aus, wenn nichts mehr bimmelt, klingelt und uns ablenkt. - Andere suchen in einem scheinbar unendlichen virtuellen Optionsraum nach normativen Bezugspunkten und Sinn im Leben Die Last der Freiheit? Metaebene: Zeit kann nicht wachsen – aber es gibt individuelle Eigenzeiten. - Menschen nehmen reale Zeitspannen – das ´Jetzt-Empfinden´ oder die subjektive ´Eigenzeit´ (Helga Nowotny) - sehr unterschiedlich wahr. - Individuelle (zyklische) Eigenzeit kommt aus dem Körper (Basis sind wiederkehrende Rhythmen wie Tage und Jahreszeiten und eigene Wahrnehmungen/Erlebnisse) - Es gibt offensichtlich eine Art Grundtakt in unserem Leben. Viele Alltagshandlungen (Händeschütteln etc.) erstrecken sich über ungefähr zwei bis drei Sekunden bzw. entsprechenden Einheiten (Taktungen). Das Erlebte wird als Einheit erlebt – als ´Jetzt´. - Mit Aufmerksamkeit kann die gefühlte Zeit vermehrt werden. Die Gehirnforschung zeigt, dass z.B. Menschen mit Meditationserfahrung eine generell langsamere Zeiterfahrung haben. Vgl.: Schwägerl, Christian: Das Jetzt will Deine Aufmerksamkeit. In: ZEIT WISSEN 6/2015: http://www.zeit.de/zeit-wissen/2015/06/gegenwart-zeit-jetzt-forschung http://pdf.zeit.de/zeit-wissen/2015/06/0615quellen.pdf Metaebene: Eigenzeit vs. Medienzeit - „Dieses Gefühl für die eigene Zeit, für das ureigene Jetzt (…) gibt es heute kaum noch. (…) unser Jetzt folgt einer rasant wachsenden Zahl von Taktgebern, die auf uns einwirken und unseren Alltag kontrollieren.“ mediale Eigenzeit + digitale Weltzeit - Veränderte Eigenzeit - z.B. durch die intensive Nutzung des Smartphones: • • • • • - Smartphones tragen permanent Aufgaben an uns heran (lt. menthal.org 2015 im Durchschnitt alle 12 Min.), lenken ab und können damit z.B. einen Arbeitsflow stören soziale Medien schaffen ein globales digitales Jetzt das digitale Smartphone-Jetzt ist stimulusorientiert: bei jeder Nutzung schüttet der Körper etwas Dopamin aus „aber letztlich ist das ein Zeit- und Ichtöter“ (Marc Wittmann, Uni Freiburg) das Dopamin lässt die Zeit „auf einen kleinen Punkt zusammenschnurren“. „(Es kann) Befriedigung auslösen (…), einen Moment auf Facebook oder Twitter einzufangen und mit anderen weltweit zu teilen. Es ist nicht nur ein probates Mittel gegen Einsamkeit, sondern setzt im Gehirn auch Belohnungsmoleküle frei, weil wir soziale Anerkennung erfahren.“ Zitate: Schwägerl 2015 / https://menthal.org/ / Wittmann: https://sites.google.com/site/webmarcwittmann/Home Metaebene: Übergriff auf die Eigenzeit und Achtsamkeit - Kurze Dopaminschübe durch Medienzeiten gehen mit Druck und Stress einher: „Eine Krise entsteht auch, wenn wir den eigenen Anschluss an die Weltzeit verlieren, zum Beispiel, wenn wir unsere E-Mails und Twitter-Nachrichten zu lange nicht kontrollieren und sich Berge unverarbeiteter Information aufhäufen.“ (Schwägerl 2015) -> vernetzt, verstrickt, abhängig? - Anschlussthesen: • • • • • Die ökonomischen Übergriffe auf die Eigenzeiten und Lebenswelten der Menschen gehen tendenziell mit einer Konfektionierung und Rationalisierung der individuellen Jetzt-ZeitErlebnisse (Eigenzeiten) einher. Zentral sind dabei Vernetzung und Weltzeit im Internet, die für viele zum globalen Taktgeber werden und damit immer mehr Kontrolle über unser Leben erlangen. Achtsamkeit und unmittelbare Erfahrungen können die Weltreichweite wieder verkürzen (Rosa). Sie sind Mittel gegen die totale Kontrolle der kapitalistischen Weltzeit über unser Leben. Aber auch dieser Ansatz ist in Teilen schon wieder instrumentalisiert worden im Dienste einer Selbstoptimierung: „Hurry up and slow down“. Meditation als Fitnessübung für eine immer schnellere Welt? Man kann, muss sein Smartphone aber nicht unbedingt verschenken. Wichtig wäre, sich nicht einfach dem Zeitstrom hinzugeben, sondern z.B. Momente in tiefer Aufmerksamkeit mit anderen zu teilen (z.B. ausführlich von einer Reise erzählen, statt durch die Fotos zu rasen) - oder den Zeitstrom möglichst selbstbestimmt zu gestalten. Natürlich gibt es auch „positiven Stress“ … aber Der Stressreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und andere Studien belegen, dass zeitliche Arbeitsverdichtung immer mehr Menschen psychisch krank macht. Die Zahl der Krankheitstage hat sich in den letzten acht Jahren um das Achtzehnfache erhöht (53 Mio. Krankheitstage in Deutschland): • 58 Prozent der 20.000 Befragten gaben an, dass von ihnen „häufig die gleichzeitige Betreuung verschiedenartiger Arbeiten“ verlangt wird; • Multitasking ist nicht effizient - ob daraus Stress entsteht, hängt davon ab, wie geistig anspruchsvoll die gleichzeitig zu verrichtenden Tätigkeiten sind; • ca. 16 Prozent gaben an, regelmäßig „an der Grenze der eigenen Leistungsfähigkeit zu arbeiten“; • ein Viertel der Befragten gab an, dass häufiger die Pausen ausfallen. Besonders bedenklich: Die höchste Zustimmung, dass „mein Leben in den vergangenen drei Jahren stressiger geworden ist“ gibt es lt. einer aktuellen TK-Studie mit 93 % bei den 18-25 Jährigen! -> hier besteht Bedarf für vertiefte wissenschaftliche Untersuchungen. http://www.baua.de/de/Publikationen/Fachbeitraege/Gd68.pdf?__blob=publicationFile https://www.tk.de/centaurus/servlet/contentblob/590188/Datei/115474/TK_Studienband_zur_Stressumfrage.pdf Studien dazu: 16 aktuelle Studien und Gutachten zu den speziellen Aspekten psychischer Gesundheit in der Arbeitswelt – ergänzend: B. Badura et al.: FehlzeitenReport. Verdammt zum Erfolg – die süchtige Arbeitsgesellschaft? Wiesbaden: VS-Springer 2013. http://psyga.info/ueber-psyga/ materialien/studien/#c474 http://index-gutearbeit.dgb.de/++co++482296a06698-11e5-baa6-52540023ef1a Anderer Lösungsansatz: Digitaler Arbeitsschutz http://www.tuv.com/de/deutsc hland/ueber_uns/presse/meldu ngen/newscontentde_203393.h tml Metaebene: Digital Divide - Stressempfinden und die Gefahr von Kontrollverlust wirken auf einzelne Nutzergruppen unterschiedlich. - Während einige die unbegrenzten Möglichkeiten sehr produktiv und kontrolliert für sich nutzen, viele sich ambivalent verhalten, wächst gleichzeitig die Gruppe der Menschen mit Kontrollverlusten in der Mediennutzung. - Die selektive Medienaneignung wird in der Rezepitionsforschung seit langem untersucht, getragen von der Knowledge-Gap-These, nach der die Kluft zwischen einer selbstbestimmten und einer unkontrollierten Mediennutzung wächst – gerade auch durch das Internet. - Wissensdifferenzen wachsen dadurch tendenziell, obwohl digitale Medien eigentlich das Potential haben, sie zu reduzieren. [Zillien, Nicole; Haufs-Brunsberg, Maren: Wissenskluft und Digital Divide. Baden-Baden: Nomos 2014.] - Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine aktuelle Studie der Weltbank. Danach werden durch das Internet global wirtschaftliche und politische Unterschiede eher verstärkt als vermindert. Ergänzung: http://www.worldbank.org/ Forschungsansätze – z.B.: en/publication/wdr2016 Metaebene: Entgrenzung, Beschleunigung, Entfremdung Der Soziologe und Sozialphilosph Hartmut Rosa arbeitet an einer kritischen Gesellschaftstheorie zum Zusammenhang von sozialer Beschleunigung und Entfremdung. Hinweis: Es geht es um „die Frage nach dem guten Leben – und (…) warum es uns heute vielfach nicht gelingt, ein solches zu führen“. Eigentlich sind die Freiräume für ein gutes Leben durch die Liberalisierung moralischer Normen und sozialer Konventionen in den westlichen Gesellschaften größer denn je. Eigentlich könnten viele ein eigenes Konzept des guten Lebens wählen und verwirklichen.* Dieser Liberalisierung steht jedoch die scheinbar unaufhaltsame Beschleunigung des sozialen Lebens im Kapitalismus gegenüber. Dieses Regime der Deadlines kann Lebensentwürfe scheitern lassen und führt zu einem sich immer stärker ausbreitenden Gefühl der Entfremdung. * Aber vielleicht sind Google & Co. gerade deswegen so erfolgreich, weil sie die Erlösung von der Freiheit versprechen: „Wohlfühlmatrix statt Freiheitsmühsal „(Precht). [Hartmut Rosa: Beschleunigung und Entfremdung. Entwurf einer kritischen Theorie spätmoderner Zeitlichkeit. Berlin: Suhrkamp. (engl. Original 2010, Übersetzung 2013, 4. Aufl. 2014)] Ergänzend: H. Rosa: Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne. Frankfurt: Suhrkamp 2005 (10. Aufl.) Drei Ebenen der Beschleunigung nach Rosa 1. Technische Beschleunigung: - Transport, Kommunikation, Produktion - Beschleunigung zielgerichteter Prozesse - z.B. E-Mail statt Brief (oder Telefonat) 2. Beschleunigter sozialer Wandel: - Gegenwartsschrumpfung: Rahmen- u. Handlungsbedingungen ändern sich in immer kürzeren Zeitabständen - z.B. die permanent veränderte Oberflächen von Software - oder der Ausstieg aus der Kernkraft und der Ausstieg aus dem Ausstieg -> wie dauerhaft ist Gegenwart? (Eventjournalismus) - oder die permanente Umstellung von Studiengängen - die Hamsterräder vervielfachen sich: individuell, gesellschaftspolitisch und im globalen ökonomischen Wettbewerb 3. Beschleunigtes Lebenstempo: - Handlungs- u. Erlebnisepisoden je Zeiteinheit -> z.B. Fast Food, Speed Dating, Quality Time (Power Nap oder Apps wie Menthal Balance) … - die Hamsterräder drehen sich immer schneller – ohne Ziel. Die (sozialen) Steigerungsraten liegen über den (technischen) Beschleunigungsraten Zum Beispiel Sisyphusarbeit E-Mail: - - früher brauchte man im Beruf vielleicht für zehn Briefe eine Stunde heute können zehn oder mehr E-Mails in einer halben Stunde geschrieben werden daraus ergäben sich eigentlich 30 Minuten freie Zeit, aber wir entschleunigen unser Leben nicht, sondern schreiben jetzt vielleicht 20 Mails das funktioniert zwar technisch ganz gut, aber wir können in einer Stunde nicht über 20 Vorgänge nachdenken und entscheiden, was man kommunizieren will und was das für Folgen haben könnte (und in den nächsten Tagen auf die vielen zusätzlichen Kontakte antworten) entweder arbeiten wir immer länger, schneller, machen Fehler - oder vernachlässigen andere Aufgaben – für die wir eigentlich bezahlt werden. Noch dramatischer sind mögliche Konsequenzen z.B. in digitalen Finanzmärkten, die Kapital jenseits realer ökonomischer Abläufe schneller als im Sekundenbereich transferieren. Oder in der Politik, wo die Demokratie immer öfter an diskursive Grenzen stößt, weil permanent ganz schnell entschieden werden muss - „alternativlos“ (z.B. über militär. Auslandseinsätze). Soziale und kommunikative Prozesse lassen sich nicht mehr im Gleichschritt mit der Technik oder formalen Entscheidungen beschleunigen – Engpass Mensch! Beschleunigung und Kontrollverlust können umschlagen in dysfunktionale Entschleunigung, wie z.B. Kommunikationschaos, Börsencrash, Verkehrsstau – oder Depression. Metaebene: rasender Stillstand – und kein Zielhorizont „(…) Ein Burn-out kommt nicht durch schnelles Rennen, auch nicht durch einen Zwang zum schnellen Rennen. Er kommt dann, wenn man das Gefühl hat, man müsse immer schneller rennen, nur um den Platz zu halten.“ [Rosa 2012, S. 48] Wissenschaftliche Befragungen nach Suizidwellen in Unternehmen verdeutlichen das bedrückende Gefühl, „immer wieder umbauen zu müssen, jedes Jahr unter erhöhtem Druck zu stehen, aber nicht, um irgendeinen Zielhorizont zu erreichen (…). Die Menschen müssen einfach schneller laufen, damit nicht die Krise ausbricht (…).“ [ebenda] „Das Sinnbild der Beschleunigung in der Spätmoderne ist das Hamsterrad bzw. der rasende Stillstand. Hier heißt es, immer schneller laufen zu müssen, ohne irgendwohin zu kommen.“ [ebenda, S. 52 , Herv. P.S.] Metaebene: Wachstumslogik, Zeit und Aufmerksamkeit im Spätkapitalismus* Endlichkeit materieller Ressourcen Konsumsphäre Lebensgemeinschaften Zivilgesellschaftliche Sphäre Staatsbürgerliche Sphäre [Zeit/AK] Lebensqualität [Geld/Zeit/AK] Warenwelt Individuelle Endlichkeit/ soziale Grenzen Lebenswelt Kapitalverwertung: Geld -> Ware -> Geld+ Ware+ -> Geld++ … Zeitverwertung: Zeit ->Dr Ware -> Zeit - Ware+ -> Zeit - - … Aufmerksamkeit: AK -> Ware -> AK - … [Geld/Zeit/AK] Arbeitswelt Ware+ -> AK - - Sinn und Werte im Leben * Diskussionsentwurf P.S. - Gilt für kapitalistische Länder und für Staaten eines gelenkten Kapitalismus oder Postkommunismus. Global gab es 2014 lt. des Global Wealth-Reports der Bosten-Consulting-Group ein Finanzvermögen von 146,8 Billionen € (Bargeld, Aktien, Wertpapiere, Fonds), das letztlich nach profitablen Anlagemöglichkeiten und Verzinsung sucht – auch in gesättigten Märkten: https://www.bcgperspectives.com/content/articles/financial-institutions-growth-global-wealth-2015-winning-the-growth-game/?chapter=2#chapter2_section2 Metaebene: Beschleunigung in der Waren-/Arbeits- und Lebenswelt Lebenswelt * Waren- u. Arbeitswelt (kaum marktgängig/ Empathie-gesteuert) (Markt-/Geld-gesteuert/Wettbewerb) - - Zeitverdichtung durch Kapitalverwertung trotz BIP-Wachstum werden viele gesellschaftlich notwendige oder wünschenswerte Leistungen nicht erbracht das erhöht den Druck in der Lebenswelt, wo gleichzeitig die gesellschaftlichen Erwartungen steigen. - Arbeitnehmer - Konsument Zeitverdichtung und z.T. Überforderung durch gesellschaftliche Rollenerwartungen: • Ziele/ Sinn? • • • • • - Lebenspartner - ggf. Mutter/Vater - Tochter/Sohn Erwartungen in den - Mitglied sozialer Lebensgemeinschaften Selbstentfaltung/-optimierung Gemeinschaften/ Communities zivilgesellschaftliches - Staatsbürger Engagement - (…) staatsbürgerliche Anforderungen ´Sorgearbeit´: ggf. Kindererziehung oder Betreuung/Pflege Angehöriger (…) Staatliche Rahmenbedingungen, Leistungen u. sozialer Ausgleich (Maßstab: Grundgesetz und der gesell. Diskurs zu „Ich und/oder Wir“) * Freizeit + Reproduktionszeit, einschl. Verpflichtungs-/Obligationszeiten Metaebene: Thesen zur Verwertung von Zeit und Aufmerksamkeit Die Kapitalverwertung in der Waren- und Arbeitswelt stößt in westlichen Industriegesellschaften zunehmend an Grenzen (Marktsättigung, ökologische Grenzen, Konsumfrust, Stress und sinkende Lebensqualität …). Gleichzeitig sucht immer mehr Finanzkapital (2014 ca. 147 Billionen €) nach profitablen Anlagen auch in gesättigten Märkten. Ungeachtet permanenten Marktwachstums werden grundlegende Leistungen wie Kindererziehung und Altenpflege (sog. ´Sorgearbeit´ neben der Berufstätigkeit), die wichtig sind für ein gutes Leben, vom Markt (bezahlbar) kaum erbracht. Dies führt zu einer Selbstüberforderung vieler Menschen, die sich in zusätzlichem Zeitstress äußert. Die direkte und indirekte Ausbeutung von Zeit und Aufmerksamkeit in der Arbeits- und Lebenswelt ist eine konsequente und durch die erwartete Selbstausbeutung zum Teil perfide Erweiterung klassischer Ausbeutung von Arbeit im Spätkapitalismus. Ein Schlüssel für die Ausbeutung von Zeit und Aufmerksamkeit sind Beschleunigungsund Gleichzeitigkeitseffekte - insbesondere durch das Internet und digitale Medien mit daten- und werbungsbasierten Geschäftsmodellen (mangelnde Preistransparenz). Diese Formen sind nicht immer eindeutig als Ausbeutung erkennbar (z.B. große Teile von Social Media in der Lebenswelt). Sie dringen immer tiefer in unser Leben ein und haben ein hohes Fremdbestimmungspotential. Ein Indiz für das kapitalistische Interesse ist der Hype von Internetkonzernen an den Börsen und in den Finanzmärkten (= ökonomische Erwartungen in diese Geschäftsmodelle). Erkenntnisse und Klarstellungen auf der Metaebene 1. (Quantitatives) Wachstum geht mit Beschleunigung einher. Angebotssteigerung, Verkürzung der Produktzyklen (Waren, Dienstleistungen, Kontakte) und Ausweitung der Handlungsoptionen gehen Hand in Hand und erzeugen Zeitprobleme, Entfremdung und Belastungen unserer Beziehungen zur Natur, zu unserer Arbeit, zu unseren Mitmenschen und zu uns selbst (Rosa). 2. Entschleunigung ist kein Selbstzweck – und daher nicht die alleinige Lösung (auch wenn es immer häufiger zwangsweise zur Entschleunigung kommt). Viele Entwicklungen gehen viel zu langsam. 3. Letztlich ist auch Beschleunigung nicht das zentrale Problem, sondern die sozialen Steigerungsraten (aber weitere Beschleunigung verschärft diesen Effekt). 4. Auch die Technik zwingt uns nicht die Steigerungs- und Beschleunigungsraten auf (das Internet z.B. hatte nach der militärischen Entwicklungsphase viel mehr Elemente einer ´Technology of freedom´ als das heute dominierende ´world.com-Netz´). 5. Ursächlich auf allen Ebenen sind vielmehr der sozio-ökonomische Herrschafts- und Verwertungskontext und damit verknüpfte sozio-kulturelle Nutzungspraktiken. Auf einer Metaebene geht es letztlich um das Aufbrechen und die Transformation der system-immanenten (quantitativen/äußeren) Wachstums- und Steigerungszwänge. Es geht um Postwachstumsstrategien, Selbstbestimmung, Werte, Resonanz und Lebensqualität. Exkurs: Viele Erkenntnisse sind nicht neu Klassiker dazu: - Die Beschleunigungskrise im Zuge der ökonomischen Verwertungslogik erwächst letztlich aus der Eigendynamik des Geldes und der Zinseszinslogik*. Sie ist im Kern eine ökonomische Krise, die Hand in Hand geht mit einer sozialen und ethischen Krise: einer Sinnkrise. Dabei sind wir nicht nur Getriebene, sondern auch Triebkräfte. - Eine Entschleunigung von Wirtschaft und Gesellschaft wird nur im Rahmen von Postwachstumsstrategien gelingen. Das erzeugt aber große gesellschaftliche Widerstände – und zum Teil auch Ängste. - Viele Menschen sind offen für Entschleunigung. Aber Postwachstum ist für viele immer noch ein Tabuthema. Schmacher, E.F.: Small is beautiful. Die Rückkehr zum menschlichen Maß. München: Oekom 2013/ Neuauflage (engl. Original: 1973). - Wie lange solche sozialen Veränderungen dauern, lässt sich an der Umweltdiskussion oder an der Klimapolitik ablesen: Schon vor rund 40 Jahren waren die Probleme und Lösungen in ihren Grundzügen bekannt. Erst heute sind diese Themen in der Gesellschaft angekommen. Aber die notwendige Mobilitätswende z.B. ist nach wie vor kaum vermittelbar. * u.a. Chr. Pfluger: Das nächste Geld. Zürich: edition Zeitpunkt 2015 Hirsch, F.: The Social Limits to Growth. Routledge 1978. Exkurs: Viele Erkenntnisse sind nicht neu - Bei der Entschleunigung geht es um eine Fortschreibung der Ökologie- und Nachhaltigkeitsdiskussion in Richtung von Zeitbzw. Kommunikationsökologie: Eine erste Annäherung an eine Kommunikationsökologie: „Die neuen Informations- und Kommunikationstechniken schaffen Probleme unbekannter Art. Sie rufen unerwartete und unerwünschte Effekte hervor, die soziale- und ökologische Kosten verursachen. Es besteht die Gefahr der Zerstörung der Kommunikations-Gleichgewichte in der Gesellschaft und in den Menschen, was ebenso bedrohlich ist, wie die Zerstörung von Natur und Umwelt.“ (Einband) Mettler-Meibom: Soziale Kosten in der Informationsgesellschaft (…). Frankfurt: Fischer 1987. Schritte in Richtung Neuorientierung und Transformation des Systems – „Es ginge auch anders!“ Lebensqualität, Entfaltungsräume und Sinn Zeitwohlstand und Selbstbestimmung Solidarität, Verteilungsgerechtigkeit und Teilhabe Anerkennung planetarer Grenzen Anerkennung persönlicher und sozialer Grenzen + inneres Wachstum Soziale Bewegungen für Entschleunigung und Achtsamkeit Zeitpolitik: förderliche politische Rahmenbedingungen Übergreifende Postwachstumsstrategien Exkurs: Versandete Ansätze zur Folgenabschätzung und Ökologie von Medien, Kommunikation und neuen IuKTechnolgien In der kritischen Diskussion zur Medien- und IT-Entwicklung gibt es mehrere Diskussionsstränge mit unterschiedlichen Schwerpunkten: Medienökologie: Ein Oberbegriff für die Folgen-/Risikoabschätzung und Gestaltung neuer IuK-Technolgien, Green-IT (Ökologie der Hardware, einschl. Strahlendiskussion) bis hin zur Medienpädagogik/-kompetenz (Schwerpunkt Individualkommunikation: Vermeidung von Informationsüberlastung, Erreichbarkeitsstress etc.) mit Handlungsempfehlungen – z.B.: Grimme-Institut, KIT/ITAS, NGOs (Greenpeace). Kommunikationsökologie: Ein älterer Ansatz, medienökologische Aspekte auf den Umgang mit Information und Kommunikation auszuweiten. Der Versuch, die klassische Ökologiebewegung durch eine soziale Bewegung für Kommunikationsökologie zu erweitern, scheiterte aber (http://www.ikoe.de/index2.html). Achtsamkeit im Journalismus: Claus Eurich forschte bis vor einigen Jahren zu Ansätzen eines integralen Journalismus mit folgenden Leitwerten: Wahrhaftigkeit, Empathie, Hören, Dialog statt Debatte, Widersprüche aushalten, Kontextualität. Hinweise: Eurich, Claus: Achtsamkeit – Grundzüge eines integralen Journalismus. In: Journalistik Journal 1/2011. Donath, Matthias; Mettlervon Meiboom, Barbara: Kommunikationsökologie: Systemische und historische Grundlagen. Münster: LitVerlag 1998. Mettler-Meibom, B.: Soziale Kosten in der Informationsgesellschaft. Überlegungen zu einer Kommunikationsökologie. Frankfurt: Fischer 1987. http://www.grimmeinstitut.de/imblickpunkt/pdf/I B-Medienoekologie.pdf https://www.itas.kit.edu/pub likationen.php 2. Schritt Zurück zu SLOW MEDIA und zur Frage: Wie sind die zeitlichen Nutzungspräferenzen? Medienzeiten: Muster und Schlussfolgerungen Nutzungsdauer der Medien 2015 (Bevölkerung in Deutschland ab 14 J., in Min./Tag) Fernsehen Hörfunk 137 Internet (privat) 107 CD/MC/LP/MP3 24 Tageszeitung 9 Bücher 173 26 Min. publ. M. 48 Min. publ. M. 187 51 23 19 22 Zeitschriften 6 Video/DVD 6 Insgesamt 208 144 ab 14 Jahre 14-29 Jahre 9 9 … 566 knapp … 568 10 Std. Daten: ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation 2015, repräsentative Basis: n = 4.300 (gewichtet) Je nach Messmethode und Abgrenzung liegen die Zahlen tendenziell höher - z.B. bei AGF/GfK: TV z.B. bis 240 Min. Für die Gesamtmediennutzung wäre die personale Kommunikation mit Smartphones (insges. ca. 2,5 Std. täglich) hinzuzurechnen: https://www.uni-bonn.de/Pressemitteilungen/195-2015 Medienzeiten: Mediennutzung der Onliner im Tagesverlauf (Tagesreichweiten in % - 2014) Quelle: ARD/ZDF-Onlinestudie 2014, Basis: Deutsch sprechende Onlinenutzer ab 14 Jahren in Deutschland (n= 1.434). Siehe auch: Breuning/Eimeren: 50 Jahre „Massenkommunikation“: Trends in der Nutzung und Bewertung der Medien. In: Media Perspektiven 11/2015, S. 505-525 (Langzeitstudie über 50 Jahre, Single-Source-Daten) Medienzeiten: Muster und erste Schlussfolgerungen - Fast 10 Std. private Mediennutzung (ohne personale Kommunikation in Social Media + Spiele): Haben wir zu viel Zeit ? - Mediennutzung ist quantitativ der bedeutendste Teil im alltäglichen Zeitbudget: im Durchschnitt täglich 10 Std./ wöchentlichen 70 Std. (z.T. Parallel- u. Nebenbeinutzung). - Rund 86 % der Mediennutzung entfallen auf die tagesaktuellen Medien TV, Radio, Internet (ist daneben Zugangsplattform für weitere Dienste). - Die größte Zeitkonkurrenz ergibt sich zwischen herkömmlichen Massenmedien (werden inzwischen auch intensiv online genutzt) und Social Media bzw. der Individualkommunikation im Internet. - Die sozialen Funktionen der Medien im Tagesverlauf: • TV = klassisches Abendmedium (kein ´Auslaufmodell´) • Radio = Tagesbegleiter, fällt ab 11:00 Uhr kontinuierlich ab • Internet = Tagesmedium, steigt ab dem späten Vormittag an (Universalplattform, gut ¼ der Nutzung = klass. Medien) • Tageszeitungen = Morgen- und Pausenmedium (Sonderrolle Wochen- und Sonntagszeitungen) -> lean-back -> Nebenbeimedium -> lean-forward / digitale Rituale -> analoge Rituale Zur Differenzierung: Mediennutzung ist immer milieuspezifisch. Viele Studien arbeiten mit den Sinus-Milieus, z.B. Engel/Mai: Mediennutzung und Lebenswelten 2015. In: Media Perspektiven 10/2015, S. 427-441. Medienzeiten: Muster und erste Schlussfolgerungen Zeitliche und soziale Gestaltungsmuster in der Mediennutzung: • durch Sozialisation geprägte Nutzungsmuster -> „Media-Natives“ • um (vermeintlich) Zeit zu sparen (Zeitnot), z.B. durch Multitasking • bzw. um durch Parallel-Nutzung Zeit zu verdichten (Gleichzeitigkeit) • um den Tagesablauf zeitlich zu strukturieren (bis hin zur Ritualisierung) • als Nebenbei-Nutzung (z.B. Auto + Radio) -> oder Bier + TV? • als para-soziales Hintergrundrauschen (über 40 % Einpersonenhaushalte in D) • als Strategie gegen Langeweile: Zeitüberfluss (z.T. TV-Nutzung) • aber auch als Auszeit/ Entschleunigung, z.B. durch die bewusste Nicht-Nutzung Medienzeiten: Digital Natives als Schlüsselgruppe? - Ja, Digital Natives (14-24 Jahre +/-) sind wichtig für die Forschung, um frühzeitig Trends und Entwicklungsdynamiken zu identifizieren. - Aber, es sind Differenzierungen nötig. Jahrelang war z.B. für Werbung in Medien nur die Zielgruppe der 14-49-Jährigen interessant, bevor die medienökonomische Bedeutung älterer Zielgruppen erkannt wurde: • • • • - Anteil der 14-24-Jähr. in D.: 25-39: 40-59: 60 u. älter: 8,65 Mio. 15,05 Mio. 24,66 Mio. 22,19 Mio. größere u. wachsende Gruppe / höheres verfügbares Einkommen Eigene Befragungen zum Mediennutzungsverhalten Studierender am Mediencampus Dieburg der h_da (OJ, IW) zeigen zudem, dass selbst diese Zielgruppe Medien sehr heterogen nutzt -> Aussagekraft aggregierter Daten? * http://de.statista.com/statistik/daten/studie/1365/umfrage/bevoelkerung-deutschlands-nach-altersgruppen/ Mediatisierung mobil – Kinder und Jugendliche - Hervorgehoben sei eine aktuelle Studie von Knop et. al im Auftrag der LfM: Mediatisierung mobil (2015). Die repräsentative Befragung von 500 Kindern, Jugendlichen (8-14 J.) und ihren Eltern zur Smartphone-Nutzung verdeutlicht, wie stark das mobile Internet sozial in die Lebenswelt von (jungen) Digital Natives eingreift – z.B.: • Fast die Hälfte gibt zu, durch das Handy z.B. von Hausaufgaben abgelenkt zu werden (48 %) • 20 % geben durch die starke Nutzung schulische Probleme zu • 24 % fühlen sich durch die permanente Kommunikation über Messenger-Dienste gestresst • 8 % gelten als suchtgefährdet. [Nach der sozial-medizinische n PINA-Studie liegt die Prävalenz/ Häufigkeit der Internetabhängigkeit der 14-16 Jährigen bei 4 % - plus ´problematischer Internetgebrauch´ von 4,6 % = 8,6 %, auch hier ist der Anteil der Mädchen signifikant höher.] [In einer aktuellen DAK/Forsa-Befragung (12-17 J. + Eltern) zeigt sich, dass mehr als die Hälfte der Erziehungsberechtigten (bildungsabhängig) den Kindern keinerlei Grenzen setzt oder Regeln mit ihnen vereinbart.] Hinweise: Diverse Langzeitstudien zum Nutzungsverhalten von Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und Familien. Knop et al. (LfM-Studie): Mediatisierung Mobil (…). LfMSchriftrenreihe 77. ard-zdf-onlinestudie.de (jährl.) Engel/ Breuning: Massenkommunikation 2015. In: MP 7-8/2015: 310-322. Rumpf et.al: Prävalenz der Internetabhängigkeit (PINAStudie) 2011 u. 2013. Weinstein / Lejoyeux: Internet Addiction or Exsessive Internet Use (2014): http://www.researchgate.net/ publication/44670852_Internet_Addiction_or_ Excessive_Internet_Use http://www.dak.de/dak/download/Forsa_Studie_ Internetsucht_im_Kinderzimmer-1728400.pdf? (Forsa-Befragung 2015) Exkurs: mikroökonomische Allokationsansätze wenig zielführend - Seufert und Wilhelm haben mit einem mikroökonomischen Forschungsansatz Entscheidungen zur Auswahl (Allokation) unterschiedlicher Mediengattungen und -genres unter knappen Zeitbudgets in der Arbeitszeit, Freizeit und Reproduktionszeit untersucht. These: Die Auswahlentscheidungen variieren vor allem mit der täglich verfügbaren Zeit (weniger aufgrund individueller Vorlieben). Basis der Sekundäranalysen sind die MA-Daten der Langzeitstudie 1995-2010. - Ergebnisse: • mit zunehmender Freizeit steigt die Nutzung aller Medien (TV 3x stärker als Internet) • in der Reproduktionszeit (einkaufen, kochen etc.) steigt vor allem die Nutzung des Radios • es gibt keine systematischen Komplementaritätsbeziehungen zwischen der Zu- und Abnahme einzelner Mediennutzungen (und nur schwache Substitutionsbeziehungen) • vielmehr dominiert eine funktionale Arbeitsteilung zwischen Mediengattungen • veränderte Präferenzen durch das Internet gehen vor allem zu Lasten der Zeitungsnutzung in der Freizeit. Bewertung: • der Ansatz setzt trotz eines enormen methodischen Aufwands enge Grenzen, denn Mediennutzung ist nur bedingt eine ökonomisch rationale Auswahlentscheidung (problematische Grundannahmen wie Homo Oeconomicus, Preistransparenz etc.) • auch die (theoretische) Abgrenzung von Freizeit, Arbeitszeit und Reproduktionszeit ist im Alltag so kaum noch möglich und sinnvoll (außer beim TV). - Seufert, W./ Wilhelm, C.: Mediennutzung als Zeitallokation. Baden-Baden: Nomos 2014 Was soll SLOW MEDIA sein? Was könnte SLOW MEDIA sein? Das SLOW MEDIA Manifest: - 2010 von Sabria David, Jörg Blumtritt u. Benedikt Köhler (Slow Media Institut) verfasst - in 10 Sprachen übersetzt - SLOW MEDIA: • • • • • • • • • • • • • • sind ein Beitrag zur Nachhaltigkeit fördern Monotasking zielen auf Perfektionierung machen Qualität spürbar fördern Prosumenten sind diskursiv und dialogisch sind soziale Medien nehmen ihre Nutzer ernst werden empfohlen statt beworben sind zeitlos sind auratisch sind progressiv, nicht reaktionär setzen auf Qualität werben um Vertrauen und nehmen sich Zeit, glaubwürdig zu sein. http://www.slow-media.net/manifest Bewertung der Kriterien: - abstrakt und z.T. abgehoben trotzdem sehr anregend ein Manifest eben. Und unvollständig - ergänzend: - SLOW MEDIA = Relevanz - SLOW MEDIA = Transparenz - SLOW MEDIA = Fair Media Slow Media * siehe auch Code of Fairness: https://www.freischreiber.de/ positionen/code-of-fairness/ [* kein offizielles Label – nur zur Veranschaulichung] Ergebnisse der SLOW MEDIA Types-Studie 2015: Wie Slow sind die Deutschen? - Empirische Studie [Wiss. Leitung: Prof. Dr. Hans Georg Stolz - Uni Mainz] zu einer Typologie von SLOW-MEDIA. Soll ein Alternativmodell zu den Sinus-Milieus sein. - Durchführung der Onlinebefragung [d.core München], n=2.222, 14-69 Jahre, 50 Indikatorfragen zu Lifestyle, Arbeitsleben, Konsum und Mediennutzung; vorgestellt auf der re:publica15 - Dimensionen: http://www.dcore.de/index.php/slow/ https://re-publica.de/session/slow-media-types-ergebnisse-repraesentativen-studie SLOW MEDIA Types 2015 17,4 % 13,8 % 17,1 % 11,7 % http://www.dcore.de/index.php/slow/ https://re-publica.de/session/slow-media-types-ergebnisse-repraesentativen-studie 7,7 % 11,4 % 11,0 % 9,9 % SLOW MEDIA Types 2015 Einzelauswertungen: z.B. „häufige Nutzung von Zeitung und TV“ (trennt methodisch gut): Zeitung TV 9,9 % 17,2 % Die Luxuriösen 21,4 % 19,3 % Die Nachhaltigen 17,0 % 12,2 % Die Fokussierten 14,4 % 13,0 % Die Netzwerker 4,3 % 7,9 % Die Digitalen (…) https://re-publica.de/session/slow-media-types-ergebnisse-repraesentativen-studie SLOW MEDIA Types 2015 Exemplarische Einzelfragen: voll u. ganz trifft zu nein Es ist wichtig, sich voll und ganz auf etwas zu konzentrieren, was man gerade macht: 31,7 % 60,8 % 7,5 % Ich lerne gerne neue Leute kennen: 23,6 % 54,0 % 19,3 % Ich vermeide oberflächliche Gespräche: 18,9 % 53,9 % 24,1 % Wenn ich besondere oder schlechte Erfahrungen mit einem Unternehmen mache, lasse ich das auch andere wissen (Social Media): 28,3 % 29,9 % 31,4 % Ich verbringe meine Sonntage am liebsten mit der Familie: 42,3 % 41,0 % 16,7 % Auf Social Media lerne ich interessante Leute kennen: 23,5 % 32,4 % 36,6 % 92,5 % https://re-publica.de/session/slow-media-types-ergebnisse-repraesentativen-studie SLOW MEDIA Types 2015 Einige Ergebnisse der Basisstudie: - 92,5 % der Deutschen finden es wichtig, sich voll und ganz auf das zu konzentrieren, was man gerade macht. Das steht im Widerspruch zur Welt der Unterbrechung und zur postmodernen Gleichzeitigkeit. - 69 % genießen es, beim Lesen, beim Surfen im Internet oder beim Sehen von Filmen in eine andere Welt abzutauchen. Menschen wollen mehrheitlich (und generell) kein Multitasking in der Mediennutzung. - Für 76 % ist Qualität das wichtigste Entscheidungskriterium beim Einkauf. Qualität wird generell geschätzt. Erkenntnis: Offenheit gegenüber SLOW MEDIA https://re-publica.de/session/slow-media-types-ergebnisse-repraesentativen-studie Erste Bewertung der SLOW MEDIA-Basisstudie: - - - - Erste empirische Studie zum Thema, aber Abgrenzungsprobleme – z.B.: ´Gestresste´ als „Restkategorie“ und zu kleinteilige Typisierung. Ambivalenz zwischen Marktforschung und Medienforschung – erfasst z.B. Lebensstile zu allgemein (und anders als in den gängigen Milieustudien) – offene Frage: Wer kann journalistische Qualität in SLOW MEDIA bewerten und wer bezahlt dafür? Die Rezipienten-Perspektive kommt insgesamt zu kurz. Exkurs: Neue Ära der Achtsamkeit? Für den Zukunfts- und Trendforscher Matthias Horx ist Achtsamkeit der Schlüssel zur Wiedereroberung des Selbst: „Achtsamkeit heißt, dass man das Trommelfeuer der Erwartungen, die Flut der Bilder und Ideologien, abschalten lernt – um wahrzunehmen, WAS IST.“ „Achtsamkeit heißt, anders kommunizieren lernen, denn alles Leben ist Beziehung. Erst wenn man Menschen empathisch wahrnehmen kann (…) erfährt man Weltverbundenheit.“ „Achtsamkeit bedeutet, Wissen wieder an Kompetenz, Information an Vermögen, Kommunikation an Verstehen zu koppeln. Dazu gehört: Geduld lernen.“ „Achtsamkeit ist Ablenkungs- und Aufmerksamkeitsdiät …“ http://www.horx.com/Downloads/Die-Aera-der-Achtsamkeit.pdf 3. Schritt Welche Rolle spielen Werte, Qualität und Zeit im Journalismus und in den Medien? Grundprobleme der Werte- und Qualitätsdiskussion: 1. Dualität: Medien und journalistische Leistungen sind Kultur- und Wirtschaftsgüter zugleich [jenseits öffentlich-rechtlicher oder gemeinnütziger Angebote]: Kulturgüter idealistische Ausrichtung an gesellschaftspolitischen und demokratietheoretischen Zielen. Wirtschaftsgüter materialistische Ausrichtung an einzelwirtschaftlichen Renditezielen (oder zumindest Kostendeckung bei Community-Angeboten). Anders ausgedrückt: Meritorische Güter gesellschaftlich wünschenswert, aber nur bedingt marktgängig. 2. Kontextabhängigkeit: Maßstäbe für Qualität, Funktion, Leistung variieren nach: • • • • 3. Rahmenbedingungen (Arbeitsbedingungen, Marktlage …) Medium, Auftrag, Zielgruppe etc. Perspektive (Produzenten, Rezipienten, Gesamtgesellschaft) normativen Bezügen (gesellschaftlich, professionell, individuell). Involviertheit: Journalismus und Medien konstruieren gesellschaftliche Wirklichkeit und sind Teil des Wertediskurses. Hinweise: Kiefer/ Steininger: Medienökonomik. München: De Gruyter O. 2014 (3. Aufl.). Beck, K.: Das Mediensystem Deutschlands (…) Wiesbaden: VS-Verlag 2012. Schicha/ Brosda (Hg.): Handbuch Medienethik. Wiesbaden: VS-Verlag 2010. Filipovic/ Jäckel/ Schicha (Hg.): Medien- und Zivilgesellschaft (Kommunikationsu. Medienethik). Weinheim/ Basel: Beltz 2012. http://www.netzwerkmedienethik.de/ http://gruenerjournalismus.de/positivistenhaben-uebernommenmedienethik/ http://www.initiativequalitaet.de/ Vorab Was ist für Sie Qualität im Journalismus? Journalismus und Medien: Funktion, Qualität, Rahmenbedingungen* - Journalistische Rahmenbedingungen (aktuell): Arbeitsbedingungen z.T. prekär permanente technische Innovationen angespannter Arbeitsmarkt Interessenv./Solidarität? Selbstvermarktungsdruck Rollenverständnis? wachsende Interaktionsanforderungen komplexere Themen neue Stilformen Druck von Interessengruppen wächst Zeit- und Leistungsdruck nehmen extren zu Eventjournalismus (…) Funktion/Leistung (gesamtgesellschaftlich) Meinungsbildung Öffentlichkeit Themenradar Kontrolle Kritik Integration Kompetenz Information Unterhaltung (Themen/Umsetzung) Relevanz Aktualität Objektivität Recherchetiefe Qualität K.-Reduktion (professionell) Orientierung Kreativität Lösungsoptionen Pluralität** Haltung Transparenz Preis-/Leistung Teilhabe Qualität (Nutzersicht) Verständlichkeit Kostenloser Zugang Soziale Konformität Glaubwürdigkeit (…) Bildung Wandel Stabilität Inspiration - Rahmenbedingungen für Medien (aktuell): starke Marktverschiebungen wachsende Reichweiten der Leitmedien, sinkende bei Folgemedien sinkende Einnahmen Digitale Investitionen lukrativer außerhalb des Journalismus Konzentrationsschub Kooperation (z.B. Rechercheverbünde) Stellenabbau in Redaktionen Trennungsgebote wiechen auf (z.B. Native-Ad) weniger publizistische Einheiten (Journalismus) Social Media als Echoraum Vertrauenskrise u. Diffamierung („Lügenpresse“) (…) * Anregungen aus div. Quellen von: H. Bonfadelli, V. Lilienthal, K. Meier, S. Russ-Mohl, T. Schäfer ** redaktioneller Pluralismus: z.B. im Wirtschaftsjournalismus auch jenseits des neoliberalen und monetaritischen Mainstreams. Demokratischer Wertekanon und ethische Werte im Journalismus* Ethische Werte und Ziele im Journalismus: Journalistische Rahmenbedingungen (aktuell): - Druck auf professionellen Journalismus wächst - Nötig wäre mehr Zeit für guten und bezahlten Journalismus - Wahrhaftigkeit (alle Fakten) Unabhängigkeit Aufklärung und Transparenz Diskursfähige Öffentlichkeit Gesamtgesellschaftliche Verantwortung (z.B. Generationengerechtigkeit) Respekt und Achtsamkeit Rahmenbedingungen für Medien (aktuell): - Druck auf Qualitäsmedien wächst - Orientierungsfunktion der Leitmedien u. -milieus (siehe Zitatanalysen) - gesell. Funktionen noch erfüllbar? Demokratisch-humanistischer Wertekanon Offene Gesell- Menschen- Meinungs- u. Soz. u. gesell. Nachhalrechte schaft/Pluralität Inform.-freiheit Ausgleich tigkeit* [* Ethische Perspektiven im Journalismus sind abhängig von der Weltsicht und vom theoretischen Hintergrund. Dieser Ansatz wird getragen von der Vorstellung eines Wertekanons in demokratisch-humanistischen Gesellschaften - theoretisch verortet an einer Schnittstelle von Kritischer Theorie und Konstruktivismus (in Abgrenzung zum vorherrschenden Positivismus). -> vgl. http://gruener-journalismus.de/positivisten-haben-uebernommen-medienethik/] * Zum Nachhaltigkeitsbegriff: http://gruener-journalismus.de/nachhaltigkeit/ Professioneller Journalismus … „… recherchiert, selektiert und präsentiert Themen, die neu, faktisch und relevant sind. Er stellt Öffentlichkeit her, indem er Gesellschaft beobachtet, diese Beobachtung über periodische Medien einem Massenpublikum zur Verfügung stellt und dadurch eine gemeinsame Wirklichkeit konstruiert. Diese konstruierte Wirklichkeit bietet Orientierung in einer komplexen Welt.“ (K. Meier 2013: 14) Ergänzung und Präzisierung: Journalismus in Demokratien ist einem demokratisch-humanistischen Wertekanon verpflichtet und trägt bei zum Funktionieren sowie zur Kritikfähigkeit von ausdifferenzierten Gesellschaften. Er ist unabhängig und unterscheidet sich damit von anderen publizistischen Formen interessengeleiteter Kommunikation (PR/Öffentlichkeitsarbeit, Lobbyismus, Campaining, Corporate Publishing bis hin zu Marketing). Journalismus beschreibt und kommentiert alle relevanten Themen für seine Zielgruppen möglichst objektiv, umfassend und macht auch Hintergründe, gesellschaftliche Interessen sowie handelnde Akteure transparent. Journalismus benötigt professionelle Arbeitsbedingungen, Zeit und eine angemessene Vergütung und Wertschätzung. Aber muss nicht unterschieden werden zwischen Nachrichten- und Hintergrundjournalismus? Aber muss im Zusammenhang mit SLOW MEDIA nicht unterscheiden werden zwischen Nachrichten- und Hintergrundjournalismus? Ja, natürlich lebt Nachrichtenjournalismus von Aktualität, Prägnanz und Schnelligkeit. Aber auch im aktuellen Nachrichtenjournalismus muss professionelle Qualität als entscheidendes Abgrenzungskriterium zu nicht-journalistischen Angeboten im Internet und in Social Media gelten. Themenkompetenz, Gegenrecherche, Einordnung etc. sind dabei zentral, um langfristig glaubwürdig zu sein. Nein, wir dürfen den Nachrichtenjournalismus in der Qualitätsdiskussion und in Teilen auch aus der Diskussion zu SLOW MEDIA nicht einfach ausklammern! Und Entschleunigung allein ist kein Garant für guten Journalismus! Die großen journalistischen Versäumnisse z.B. in der Finanzkrise oder im VW-Betrugsskandal sind nicht auf zu wenig Zeit zurückzuführen. Viele Fakten waren über Jahre bekannt (…). Ebenso ist z.B. Postwachstum kaum ein journalistisches Thema, obwohl es in seiner ganzen Dimension seit Jahren klar umrissen ist und als eine Schlüsselfrage für Wirtschaft und Gesellschaft in entwickelten Industrieländern gilt. Die wie ein Mantra vorgetragene Wachstumsideologie wird journalistisch nicht thematisiert, geschweige denn hinterfragt. Ein weiteres Beispiel ist das lange vernachlässigte Thema Migration und Flucht (…) Wertschätzung für Journalismus – kein einheitliches Bild - Nutzungszeiten (siehe Medienzeiten) - Zahlungsbereitschaft: • • • • lt. einer Bitkom-Befragung zahlten 2014 rd. 1/3 der Internetnutzer für Online-Journalismus durchschnittlich 15,10 € 42 % wären bereit, vor allem für aufwendige Reportagen u. Hintergrundberichte zu zahlen (60 % schließen das generell aus) – zum Vergleich: ein Zeitungsabo (Print) kostet rd. 45-60 € p.m. die ITK-Ausgaben stiegen in D 2014 auf knapp 1.500 € p.a. z.T. hohe Zahlungsbereitschaft für kostenpflichtige Experimente (Crowdfunding) und in Medien-Communities (z.B. taz) Indikator Nettowerbeeinnahmen zentraler Medien (ZAW-Zahlen): TV Zeitung Online + Mobil Publikumszeitschriften Radio Summe dieser Medien - 2005 3,9 Mrd.€ 4,4 Mrd.€ 0,3 Mrd.€ 1,8 Mrd.€ 0,7 Mrd.€ 11,1 Mrd.€ 2010 3,9 / +/-0 3,6 / -12 % 0,9 / +300 % 1,4 / -22 % 0,7 / +/10,5 2014 4,3 / +10 % 2,8 / -24 % 1,4 / +167 % 1,2 / -11 % 0,7 / +/10,4 Nutzungsmotive (2015, ab 14 J, n = 4.120, milieuspezifische Abweichungen): „mitreden können“: „Denkanstöße bekommen“: „informieren“: „Entspannung“: TV 68 %, TV 64 %, TV 63 %, TV 83 %, Internet 45 %, Zeitg. 43 %, Radio 39 % Internet 51 %, Radio 42 %, Zeitg. 40 % Internet 51 %, Zeitg. 46 %, Radio 39 % Radio 64 %, Internet 31 %, Zeitg. 19 % Hinweise: Breuning/Eimeren: 50 Jahre „Massenkommunikation“: Trends in der Nutzung und Bewertung der Medien (1965-2015). In: Media Perspektiven 11/2015, S. 505-525 Engel/Mai: Mediennutzung und Lebenswelt 2015. In: Media Perspektiven 10/2015, S. 427-441. https://www.bitkom.org/ (Branchen-/Interessenverband) Zum Thema Zahlungsbereitschaft (Journalismus, übriger Content u. Technik) besteht Forschungsbedarf. Bindung an die Medien (Längsschnitt, ab 14 J., n=4.120, Mehrfachnennung) „Es würden sehr stark/ stark vermissen“ 1980 1990 2000 2010 Fernsehen Radio [oder das Auto Tageszeitung Internet 47 % 52 % 60 % - 51 % 56 % 63 % - 44 % 58 % 52 % 8% 45 % 52 % 42 % 38 % ] / 2015 45 % 50 % 36 % 40 % + Images der Medien (Direktvergleich 2015, n= 4.120) „Trifft am ehesten zu auf“ anspruchsvoll ab 14 J./14-29 J. objektiv glaubwürdig unterhaltsam Fernsehen Radio Tageszeitung Internet 31 % / 15 % 13 % / 7 % 36 % / 43 % 20 % / 34 % * 32 % /24 % 17 % /14 % 31 % /31 % 20 % /31 % 31 % /18 % 19 % /16 % 35 % /45 % 15 % /21 % * 61 % /47 % 18 % /11 % 4%/ 2% 17 % /40 % ab 14/14-29 ab 14 / 14-29 ab 14 / 14-29 Breuning/ Eimeren: 50 Jahre „Massenkommunikation“ (…). In: Media Perspektiven 11/2015, S. 523 * Geringe Nutzung (außer als Angebote im Internet) – hohes (vermutetes?) Qualitätsniveau -> Forschungsbedarf Die beliebtesten Freizeitbeschäftigungen der Deutschen (BAT-Freizeitmonitor) Randnotiz: Viele Befragte würden gerne etwas anderes tun (als Medien nutzen): - spontan das, wozu sie Lust haben (2/3) - häufiger ausschlafen (2/3) - mehr mit Freunden unternehmen (…) Einfach weniger Medien nutzen! Im Ernst: Dies muss differenzierter untersucht werden. http://www.freizeitmonitor.de/de/zahlen/daten/statistik/freizeit-aktivitaeten/2015/die-beliebtesten-freizeitaktivitaeten-der-deutschen.html Zeit und SLOW MEDIA in der Journalismusforschung - Zeit und SLOW MEDIA sind in der Journalismusforschung noch keine eigenständigen Themen. - Weischenberg et al. kamen schon 2006 im Vergleich ihrer Studien ´Journalismus in Deutschland´ (1993/ 2005) zu dem Ergebnis: „Zeitaufwand für Recherche gesunken, für Technisches und Organisatorisches gestiegen.“ (Weischenberg et al. 2005, S. 354) - Besonders problematisch ist die Arbeitsbelastung bei Freien Journalisten, die ihre Zeit zwar freier einteilen können, aber im Durchschnitt schlechter bezahlt werden als fest angestellte: „Viele freie Journalisten haben das Gefühl, ständig im Dienst zu sein.“ (…) „Nur die wenigsten schaffen es, Arbeit und Privatleben voneinander abzugrenzen.“ (Buckow 2011, S. 29) - - Pörksen sieht in seiner Forschungsarbeit zum Medienwandel im digitalen Zeitalter und zur Hysterie in Social Media die Notwendigkeit zur Entschleunigung: „Information ist schnell – Wahrheit braucht Zeit.“ (Pörksen 2016) Die vorliegenden Diskussionsansätze zu SLOW MEDIA und erste empirische Studien sind an einer Schnittstelle von Netzinitiativen und Marktforschung entstanden SLOW MEDIA Manifest Hinweise: Buckow, I.: Freie Journalisten und ihre berufliche Identität (…). Wiesbaden: VS Research 2011. DJV-Umfrage Freie Journalisten 2014: http://www.djv.del Meier, K./ Neuberger, C. (Hg.): Journalismusforschung. Stand und Perspektiven. BadenBaden: Nomos 2013. Nadeschdin, Dimitrie: Unverzichtbar: Warum Zeitmanagement für freie Journalisten so wichtig ist. In: Fachjournalist 9/2015: http://www.fachjournalist.de/ Pörksen, B.: „Wahrheit braucht Zeit“ . TV-Interview im Nachmagazin der ARD v. 29.1.2016:http://www.tagesscha u.de/inland/geruechte-103.html Weischenberg, S./ Mailik, M./ Scholl, A.: Journalismus in Deutschland (…). In: Media Perspektiven 7/2006, S. 346361 http://www.journalismusforschun g.de/ 4. Schritt Was sind Lösungsansätze? Wie könnten Entschleunigung, Kontrolle, Selbstbestimmung und mehr WertSchätzung im Umgang mit Journalismus und Medien aussehen? Entschleunigung, Kontrolle, Selbstbestimmung Kriterien für journalistische Medien – Nutzerperspektive: Slow Food für den Kopf (Diskussionsentwurf) * - - - Monotasking: Medien bewusst auswählen und möglichst nur ein Medium zur Zeit aufmerksam nutzen Downshifting: z.B. (auch) Zeitungen oder wertige Magazine lesen, statt (nur) im Internet surfen – oder Podcasts genießen, statt Dauerberieselung durch Mainstream-Radio Nutzung + Genuss: Bücher, CDs, DVDs etc. überhaupt nutzen und genießen, statt nur kaufen und ins Regal stellen – oder streamen und fair bezahlen Relevante Nutzung: mediale Themen nach Bedeutsamkeit auswählen, Informationen verstehen und eigene Positionen hinterfragen, ggf. mit Bedacht kommentieren Gelassene Nutzung: nicht treiben lassen von der Vorstellung, alle vermeintlich wichtigen Themen verfolgen zu müssen Ganzheitliche Nutzung: längere Texte (Kommentare, Reportagen etc.) und Bücher möglichst ganz lesen, statt nur die Teaser oder Snippings – oder statt Texte nur zu ´scannen´ (gilt aber auch für TV/Zapping, Musik-/Video/Skipping etc.) Achtsame Nutzung: respektvolle Grundhaltung und eigene Lernbereitschaft * Liebe Multitasker, Digital Natives und Online-Fans: SLOW MEDIA und vor allem die jetzt folgende Entschleunigungsdiskussion ist kein persönlich gemeinter Angriff auf Sie/Euch! Es geht auch nicht um einen Katalog für korrekte Mediennutzung . Entschleunigung, Kontrolle, Selbstbestimmung (…) Kriterien für journalistische Medien – Nutzerperspektive: „Slow Food für den Kopf“ (Diskussionsentwurf) - - Soziale Nutzung: Empfehlungen in Social Media etc., aber auch aus der Zeitung vorlesen, Zeitungen und Bücher weitergeben etc. – oder vielleicht einmal ge-meinsam lesen im ´Slow Reading Club´, reine ´Echoräume´ in Social Media meiden Geschützte Nutzung: datenarme Konzepte und überwachungsfreie Medien bevorzugen Faire Nutzung: Geschäftsmodelle (werbe- oder datenfinanziert, genossenschaftlich oder community-finanziert) und Arbeitsbedingungen reflektieren -> gute Standards honorieren Bewertung: eigene Maßstäbe für Qualität, Glaubwürdigkeit und Gefallen entwickeln und bewusst nach ihnen in Medienprodukten suchen; überlegen, was ein Beitrag „wert“ ist Soziale Entlastung: sich über brisante oder belastende Themen mit anderen austauschen und ggf. in den Medien oder im Gespräch nach Lösungen suchen Auszeiten von Medien: medienfreie Zeiten, z.B. Media Sabbatical-Tage einrichten Soziale Nachhaltigkeit: Medienzeit und Lebenszeit grundlegend in Einklang bringen, Zeitsouveränität gewinnen Technische Nachhaltigkeit: nicht jeden Technikhype mitmachen, Geräte möglichst lange nutzen, teilen, reparieren, verschenken oder verwerten Entschleunigung, Kontrolle, Selbstbestimmung Kriterien für soziale/ personale Kommunikation, z.B.: - Hinweise: auch hier möglichst Monotasking: möglichst nur ein Medium zur Zeit weniger Mails und privat ausgewählte handgeschriebene Briefe an Wochenenden und im Urlaub keine beruflichen Mails etc. in einem Gebäude oder in der Nachbarschaft zu jemanden hingehen, statt telefonieren, posten oder eine Mail schreiben Smartphone und Internet möglichst nicht parallel in Gesprächen oder in Meetings nutzen respektvoll kommunizieren durch Aufmerksamkeit und Achtsamkeit medienfreie Zeiten einlegen oder einfach Medien bewusster nutzen (…) Und - echte Entschleunigung ist mehr als funktionale Entschleunigung (z.B. durch Meditationswochen für Manager im Kloster, um danach wieder fit zu sein für den Beschleunigungswettbewerb – oder durch Quality-Time). Wenn Beschleunigung „Gegenwartsschrumpfung“ ist, dann müsste Entschleunigung auf „Gegenwartsdehnung“ zielen. Fischer, E.P./ Wiegandt, K. (Hg.): Dimensionen der Zeit. Die Entschleunigung unseres Lebens. Frankfurt/M.: Fischer 2012, u.a.: - Binswanger ,M.: Die Tretmühle des Glücks. - Reheis, F.: Entschleunigung. - Rosa, H.: Was heißt und zu welchem Ende sollen wir entschleunigen? Als soziale Bewegung z.B.: http://www.zeitverein.com/index.html Ergänzend zur Resonanzerfahrung: Das Ziel von Entschleunigung ist letztlich soziale bzw. gesellschaftliche Resonanzerfahrung. Video mit H. Rosa: Ich will mehr Zeit https://www.youtube.com/watch?v=YjDAzb qZiDU&feature=youtu.be SLOW MEDIA als Praxisfeld Medien-/ Themenentwicklung: - Slow Media als Marktnische - Slow Media und Zeit als spannende journalistische Themen Qualitätskriterien für Slow Media konkretisieren + kommunizieren: - z.B. Label für Slow Media * - oder für Recherche * ** oder: Soziales Fair Media * Geschäftsmodell * Slow Media als Weiterbildungsthema [* kein offizielles Label / ** Label: www.freischreiber.de] Peter Seeger: SLOW MEDIA - h_da / ikum 2016 Zeitstrukturen und Qualität auf journalistischer und redaktioneller Ebene - Professionelles journalistisches Arbeiten auf hohem Niveau benötigt entsprechende Arbeitsbedingungen und organisatorische Spielräume bei fairer Bezahlung. - Zeitlicher Druck gehört zum Journalismus, aber zeitliche Mindeststandards müssen immer eingehalten werden (z.B. für Gegenrecherche). Qualitätsmedien könnten die Dauer der Recherche für aufwändige Beiträge angeben (siehe ZEIT). - Zeitliche- und Experimentierspielräume für journalistische Themen setzen Vertrauen voraus seitens der Redaktionsleitung und des Kollegiums. - Journalistisches Arbeiten auf dem Qualitätsniveau der hier erörterten SLOW MEDIA erfordern neben gutem journalistischem Handwerkszeug, Themenkompetenz und Kreativität. - Andere Impulse könnten von Ansätzen spiritueller Achtsamkeit, des Respekts und der eigenen Lernbereitschaft im Journalismus im Sinne von Claus Eurich ausgehen. - Entsprechende Redaktionsstatuten könnten hilfreich sein, insbesondere in Konfliktsituationen. - Für Nutzer sind Medien Vertrauensgüter: insbesondere Qualitätsmedien wie SLOW MEDIA sollten ihre hohen Standards besser kommunizieren (z.B. durch Hinweise zur Recherche oder mit Label für Redaktionsstatuten, Fair Media oder SLOW MEDIA). - Professioneller und engagierter Journalismus lebt von der Interaktion mit Nutzern – auch um gegenseitig zu lernen und Wertschätzung zu erlangen (beiderseitige Resonanzerfahrungen). https://de.wikipedia.org/wiki/Redaktion Publizistisch-technische Produktionselemente von SLOW MEDIA Tempo reduzieren -> z.B. Langsam-/Echtzeit-TV in Norwegen: http://www.nrk.no/presse/slow-tv-1.12057032 -> z.B. Audio-Slide-Show statt Video/Film: http://berlinfolgen.2470media.eu/index.96.de.html http://www.schoellkrippen-ganz-nah.de/ dramaturgische Reduktion -> z.B. ´Leise Filme´: http://www.heilig-film.de/ thematische Reduktion -> z.B. Blog zu einem Thema: http://www.slow-media.net/ redaktionelle Rhythmen -> z.B. Wochen- vs. Tageszeitung: www.freitag.de ; www.zeit.de thematische Tiefe erweitern -> z.B. ARTE-Themenabende: http://www.arte.tv/guide/de/suchergebnisse?keyword=thema Slow als Special-Interest-Thema -> http://www.slow-journalism.com/delayed-gratification-magazine https://www.substanzmagazin.de/ http://emotion-slow.de/ (Mindstyl-Segment) Slow Media im Fachjournalismus -> http://gruener-journalismus.de/aktuelle-trends-derenergiewendeim-slow-media-format/ gemeinnützige Recherchemedien https://correctiv.org/ (…) 5. Schritt Zwischenbilanz zum Thema SLOW MEDIA – veränderte Zeit- und Wertemuster im Journalismus? Ein relevantes Forschungs- und Praxisthema? Hat das Thema Perspektiven? Einordnung von Slow Media: - SLOW MEDIA funktioniert als (smarte) Metapher nicht nur für die Entschleunigung von Medien, sondern auch für mehr Qualität, Kompetenz und Kreativität in der (wechselseitigen) Medienkommunikation. - Gleichzeitig kann SLOW MEDIA eine Brücke schlagen zum Digitalen Arbeitsschutz und zur Beschleunigung des Alltags durch digitale Medien. - SLOW MEDIA wäre ein ergänzendes Leitbild und ein mögliches Korrektiv zu aktuellen Trends der Informationsüberflutung, Oberflächlichkeit und Ablenkung bzw. Nebenbeinutzung. - SLOW MEDIA wird Medien und Journalismus (Produktion, Nutzung und Gesellschaft) absehbar nicht revolutionieren, kann aber eine konstruktiv-kritische Diskussion in Wissenschaft und Praxis befördern und wie z.B. Slow Food zu einer Sensibilisierung im Alltag führen. - Slow Media sollte aber auch als interessante journalistische Nische im hart umkämpften Medienmarkt diskutiert werden. Erste Forschungsansätze zu SLOW MEDIA: - Zeit und SLOW MEDIA sind als eigenständige Themen in der Journalismus- und Medienforschung noch nicht angekommen. - Einige Kriterien für SLOW MEDIA aus dem Manifest sind anschlussfähig: Nachhaltigkeit, Monotasking, Qualität, diskursiv /dialogisch, um Vertrauen werben/ Zeit nehmen für Glaubwürdigkeit. Sie müssen ergänzt werden um: Relevanz, Transparenz, Fair Media. - Erste empirische Ergebnisse lassen auf Offenheit der Nutzer gegenüber dem Thema schließen und zeigen, dass vertiefte Untersuchungen sinnvoll sind. - Ein weiteres Indiz ist das Interesse an anspruchsvollen, glaubwürdigen und objektiven Qualitätsmedien, wie es in lfd. Befragungen zu den Images von Medien zum Ausdruck kommt. - Weitere Anknüpfungspunkte bietet die ältere Diskussion zur Kommunikationsökologie, die – so die Forschungsempfehlung – aufgearbeitet und aktualisiert werden sollte. Ebenso sollte die Medienethik auf spezifische Beiträge zu SLOW MEDIA vertieft untersucht werden. Metaebene: Entgrenzung, Beschleunigung, Entfremdung: - Eine hohe Aktualität erfährt das Thema dadurch, dass viele Menschen unter den sozialen Beschleunigungseffekten und fehlenden Resonanzerfahrungen im Alltag leiden. - Kritische Wachstumstheorien (Binswanger, Jackson, Peach, Reheis, Schumacher) hinterfragen die rein monetär gemessene Lebensqualität. Rosa zeigt, dass die Moderne und der Kapitalismus auf Steigerung, Wachstum und Entgrenzung angelegt sind (ökonomisch gesteuert in den Waren- und Arbeitsmärkten, in der Lebenswelt durch Zeitverdichtung u. Überforderung). Diese Metatheorien sind anschlussfähig für die weitere Forschung zu SLOW MEDIA. - Da die für die Steigerung notwendige Zeit nicht wachsen kann, kommt es zu Beschleunigungs- und Gleichzeitigkeitseffekten (Mythos Multitasking, Zeiträuber Smartphone). Dadurch sinkt die Aufmerksamkeit, der Zeitaufwand steigt und der Arbeitsflow leidet. - Digitale Medien können nützlich sein, beanspruchen insgesamt aber immer mehr Zeit und Aufmerksamkeit. Viele Menschen nutzen die Zeitersparnisse nicht, sondern machen einfach immer mehr (rasender Stillstand und Ziellosigkeit), was Stress und ein Gefühl der Entfremdung befördern. Hier werden neue kapitalistische Verwertungsmuster sichtbar. - Soziale und kommunikative Prozesse lassen sich nicht mehr im Gleichschritt mit der Technik beschleunigen. Die Kontrollverluste können u.a. umschlagen in Kommunikationschaos oder Depression. Medienzeiten und Rezeptionsforschung: - Die Medienutzungsforschung bietet eine solide Datenbasis. Neben den quantitativen Daten sollten vor allem mögliche Erkenntnisse zu den Nutzungsmotiven konkret zu SLOW MEDIA ausgewertet werden. - Eine Arbeitshypothese für weiterführende Untersuchungen könnte die Vermutung sein, dass insbesondere anspruchsvolle Medienkommunikation mit der abnehmenden Aufmerksamkeit (durch verkürzte, beiläufige und gleichzeitige Mediennutzung) im Alltag konfrontiert ist. - Auch die vermutet wachsende Zeitkonkurrenz zwischen journalistischen Massenmedien und Individualkommunikation in SOCIAL MEDIA sollte genauer analysiert werden. - Knapp 10 % junger Mediennutzer (sozial noch nicht gefestigt) zeigt Anzeichen von Kontrollverlust in der Nutzung. Hier wird ein gravierendes Kompetenzproblem sichtbar, zumal mehr als die Hälfte der Eltern keinerlei Grenzen setzt. Auch wenn diese Entwicklung außerhalb des Kernthemas SLOW MEDIA liegt, sollte die Forschung dazu an anderer Stelle vertieft werden. Werte und Qualität im Journalismus und in den Medien: - Grundprobleme: Dualität (Kultur- u. Wirtschaftsgut), Kontextabhängigkeit, Involviertheit. - Ethische Werte und Ziele im Journalismus basieren in unserem Kulturkreis auf einem demokratisch-humanistischen Wertekanon. Daraus lassen sich Einzelwerte ableiten: o Wahrhaftigkeit o Unabhängigkeit o Aufklärung u. Transparenz o Diskursfähige Öffentlichkeit o Gesamtgesell. Verantwortung o Respekt - Die Medienethik ist in der Journalismusforschung unterrepräsentiert. Es gibt jedoch bei Fachvertretern der Medienethik eine große Offenheit, die genutzt werden sollte. - Für konkretere empirische Untersuchungen konnten operationalisierbare Qualitätskriterien herausgearbeitet werden (professionelle Ebene): o Kompetenz o o o o - Relevanz Recherchetiefe Aktualität Komplexitätsreduktion o o o o o Objektvität Orientierung Kreativität Transparenz Haltung Angesichts der Verwerfungen in den Medienmärkten ist es aber wichtig, dass Qualität aus Nutzersicht anders bewertet werden kann: kostenloser Zugang, Preis/Leistung, soziale Konformität, Teilhabe, Verständlichkeit, Glaubwürdigkeit Entschleunigung, Kontrolle, Selbstbestimmung (Nutzerperspektive): - Aus der übergreifenden gesellschaftskritischen Theoriediskussion lassen sich folgende Kriterien für journalistische Medien hinsichtlich Entschleunigung, Kontrolle und Selbstbestimung ableiten: o o o o o o o Monotasking Downshifting Nutzung + Genuss Relevante Nutzung Gelassene Nutzung Ganzheitliche Nutzung Soziale Nutzung o Geschützte Nutzung o Faire Nutzung o Bewertung o Soziale Entlastung o Auszeiten von Medien o Soziale Nachhaltigkeit/Zeitsouveränität o Technische Nachhaltigkeit - Auch wenn diese Kriterien noch präzisiert und gestrafft werden müssen, könnten sie Grundlage für vertiefte empirische Untersuchungen zu einzelnen Medien bzw. journalistischen Produkten sein. - Aus den Kriterien lassen sich auch weitergehende praktische Empfehlungen ableiten, wie z.B. die Entwicklung von Label für einzelne Qualitätskriterien (z.B. Fair Media, zu den Geschäftsmodellen oder zu besonderer Fach- und Recherchekompetenz - SLOW MEDIA oder zur Dauer aufwändiger Recherchen). Zeit und Entschleunigung auf journalistischer und redaktioneller Ebene: - Die Journalismus- und Redaktionsforschung liefert aus allgemeinen Befragungen Hinweise zu veränderten Zeitstrukturen. So sinkt z.B. die verfügbare Zeit für Recherche, während sie für Technisches und Organisatorisches steigt. Insbesondere Freie haben das Gefühl, ständig im Dienst zu sein. - Es gibt noch keine spezifische Journalismusforschung zum Thema Zeit oder Slow Media. Erste Anknüpfungspunkte dafür bietet der Ansatz der Achtsamkeitsforschung von Claus Eurich oder auf der Ebene der Rahmenbedingungen die Diskussion zu neuen gemeinnützigen Angeboten oder Public Services, um Spielräume für Qualitätsjournalismus zu erhalten. - International bietet Constructiv Journalism Anregungen für die Qualitäts- und Wertediskussion zu SLOW MEDIA. - Torsten Schäfer verweist auf Forschungslücken zur journalistischen Work-Life-Balance. Hier sieht er auch Bedarf für wissenschaftlich-basierte Weiterbildungskonzepte. - Auch im Journalismus sollte stärker aufgeklärt werden über Mythen digitaler Medien (z.B. Multitasking) und Reboundeffekte des Zeitmanagements. - Zeit, Entschleunigung und Postwachstum sind auch inhaltlich spannende journalistische Themen, die in der Aus- und Weiterbildung erschlossen werden sollten. - Medien und Journalisten sollten beim Rezipienten für Qualitätsbewusstsein werben SLOW MEDIA als qualitativ hochwertige und faire Medien. Danke für Ihre ZEIT und Aufmerksamkeit! Anhang: Literaturliste zum Thema Zeit und Slow Media - Beck, Klaus: Das Mediensystem Deutschlands. Strukturen, Märkte, Regulierung. Wiesbaden: Springer Fachmedien 2012. - Behrendt, Siegfried: Entlastend und belastend zugleich. Der ökologische Fußabdruck unserer digitalen Medien. In: Gräßer, Lars; Hagedorn, Friedrich (Hg.): Medien nachhaltig nutzen. Beiträge zur Medienökologie und Medienbildung. Schriftenreihe Medienkompetenz des Landes NRW. Band 11 kopaed. S. 19-30. https://www.lmz-bw.de/fileadmin/user_ upload/Medienbildung_MCO/fileadmin/bibliothek/behrendt_fussabdruck/behrendt_fussabdruck.pdf - Bonfadelli, Heinz: Medien und Gesellschaft im Wandel. Bonn: bpb 2014: http://www.bpb.de/gesellschaft/medien/medienpolitik/172610/medien-und-gesellschaft-im-wandel?p=all - Binswanger, Mathias: Die Tretmühle des Glücks. Warum Wachstum die allgemeine Lebenszufriedenheit nicht erhöht. In: Fischer/Wiegandt (2012): Dimensionen der Zeit, a.a.O., S. 248-267. - Blumtritt, Joerg; David, Sabria: Die Slow Media Types. Ergebnisse einer repräsentativen Studie: https://republica.de/session/slow-media-types-ergebnisse-repraesentativen-studie - Breuning, Christian; van Eimeren, Birgit: 50 Jahre Massenkommunikation. Trends in der Nutzung und Bewertung der Medien. In: Media Perspektiven 11/2015, S. 505-525. (Basis: ARD-ZDF Online-Studien 1964-2015: http://www.ard-zdfonlinestudie.de/ ) - Buckow, Isabelle: Freie Journalisten und ihre berufliche Identität. Eine Umfrage unter den Mitgliedern des Journalistenverbands Freischreiber. Wiesbaden: VS-Research 2011. - Cray, Jonathan: Gesellschaft ohne Schlaf. Bonn: bpb 2015 (Original: 24/7 Late Capitalism and the Ends of Sleep 2014). - Carr, Nicholas: Wer ich bin, wenn ich online bin … und was macht mein Gehirn solange? München: Blessing/ Randomhouse 2010 (3. 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Der Postwachstumsatlas, hrsg. von LE MONDE diplomatique/ taz. Berlin 2015. - Binswanger, Hans Christoph: Die Wachstumsspirale. Geld, Energie und Imagination in der Dynamik des Marktprozesses. Marburg: Metropolis 2006. - D´Alisa, Giacomo; Demaria, Federico; Kallis, Giorgios: Degrowth. Handbuch für eine neue Ära. München: Oekom 2016. - Gorz, André: Ökologie und Freiheit. Beiträge zur Wachstumskrise. Reinbek: Rowohlt 1980 (Klassiker) - Jackson, Tim: Wohlstand ohne Wachstum. Leben und wirtschaften in einer endlichen Welt. München: Oekom 2013, 2. Aufl. (engl. Original 2009) - Peach, Niko: Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie. München: Oekom 2012. - Schumacher, Ernst-Friedrich: Small is beautiful. Die Rückkehr zum menschlichen Maß. München: Oekom 2013 (engl. Original 1973, Klassiker). - Wohlstand ohne Wachstum. Schwerpunktthema der bpb in APuZ 27-28/2012: https://www.bpb.de/apuz/139180/wohlstand-ohne-wachstum [Alle URLs wurden zuletzt am 2.3.2016 abgerufen und überprüft]