ADI – Leichtbau mit Gusseisen
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ADI – Leichtbau mit Gusseisen
Sonderdruck aus Heft 6 (2003)/Heft 7-8/2004 Kosten- und lastfalloptimiert konstruieren ADI – Leichtbau mit Gusseisen Bei der Wahl eines geeigneten Werkstoffs hat der Konstrukteur die Qual der Wahl: entweder hochfest, aber spröde (Keramik), oder zäh, aber weniger fest. Eine Optimierung dieser gegenläufigen Eigenschaften schließt sich bei konventionellen Konstruktionswerkstoffen aus. In diesem Spannungsfeld eröffnet die Gruppe der ADI-Gusseisenwerkstoffe völlig neue Horizonte, denn hier gilt: „Strength meets toughness“. ADI steht für Austempered Ductile Iron und bezeichnet einen wärmebehandelten duktilen Sphäroguss, der bei gleicher Bruchdehnung eine doppelt so hohe Festigkeit wie konventionelles Gusseisen mit Kugelgraphit aufweist. ADI hat als typischer Gusseisenwerkstoff aufgrund seines hohen Graphitanteils eine etwa 10 % geringere Dichte als Stahl und weist das für Gusseisen übliche gute (Geräusch-) Dämpfungsvermögen auf. Die Zugfestigkeit ist vergleichbar mit der vieler Stahlsorten. Im Verhältnis zu Sphäroguss liegen die Dauerfestigkeitswerte auf fast doppelt so hohem Niveau (Bild 1). Oberflächenbehandlungen wie Festwalzen, Shot Peening oder Bearbeitung nach der Wärmebehandlung verbessern sie nochmals. Das Kerbempfindlichkeitsverhältnis, das das Verhältnis der Dauerfestigkeit von ungekerbten und gekerbten Proben bezeichnet, liegt für ADI bei den untersuchten Kerbgeometrien zwischen 1,2 und 1,6, während es für Schmiedestahl zwischen 2,2 und 2,4 liegt. ADI ist also weniger kerbempfindlich. Anders als bei konventionellen Gusseisensorten mit Kugelgraphit verläuft die Dauerfestigkeit von ungekerbten ADI-Proben nicht proportional zur Zugfestigkeit, sondern zeigt ein Maximum für die Werkstoffe, die aufgrund der Temperaturführung bei der Wärmebehandlung einen besonders hohen Anteil an stabilisiertem Austenit enthalten. Die Zugfestigkeit ist also bei ADI kein Maß für die Dauerfestigkeit [1]. Besonders interessant ist dieser Aspekt selbstverständlich hinsichtlich der technischen Betriebsfestigkeit realer Bauteile und der Abschätzung ihrer Versagenswahrscheinlichkeit unter Schädigung, das heißt der intrinsische Widerstand eines Werkstoffs gegen Riss- Werkstoff Zugfestigkeit Rm Kurzzeichen [N/mm2] Bainitisches Gusseisen EN-GJS-800-8 > 800 EN-GJS-1000-5 > 1 000 EN-GJS-1200-2 > 1 200 EN-GJS-1400-1 > 1 400 Gusseisen mit Kugelgraphit EN-GJS-350-22-LT > 350 EN-GJS-400-15 > 400 EN-GJS-700-2 > 700 fortschritt. Um die Zähigkeit verschiedener Werkstoffe zu vergleichen, wird gern die jeweilige Kerbschlagarbeit der Werkstoffe genutzt. Diese Werte sind experimentell mit wenig Aufwand zu ermitteln, bieten aber keine Hilfe bei der Auslegung von Bauteilen. Die Kerbschlagarbeit von gekerbten und ungekerbten CharpyProben bei Raumtemperatur und bei tiefen Temperaturen sind geringer als die von Schmiedestählen, aber drei Mal höher als die von konventionellen Gusseisensorten mit Kugelgraphit [2]. Aufgrund der hohen Festigkeits- und Dehnungswerte (Tabelle) können bei vorgegebenen Lasten extrem leichte Bauteile konstruiert werden – ADI-Konstruktionen können sogar gegenüber Aluminiumlösungen leichter sein [3]. ADI ist also weit mehr als eine Alternative zu EN-GJS-600–3 oder St37. Es steht bei niedrigeren Kosten im Wettbewerb mit Stahlguss, mit vergüteten Schmiedestählen mit hoher Festigkeit wie 42CrMo4 und 34CrNiMo6 und sogar zu typischen „Leichtbauwerkstoffen“ [4]. Großes Marktpotential im Fahrzeugbau Zu Beginn des verstärkten ADI-Einsatzes in den USA waren etliche Anwendungen im Zahnradbereich erfolgreich. Dabei stellte sich heraus, dass nicht nur die erforderlichen mechanischen Eigenschaften erfüllt wurden, sondern neben den geforderten Lasteigenschaften im Betrieb auch eine deutliche Geräuschminderung auftrat. Zusätzlich weisen Bauteile aus ADI wie beispielsweise Zylinder aufgrund des hohen Kohlenstoffgehalts auch gewisse Notlaufeigenschaften auf. ADI bewährt sich auch 0,2%-Dehngrenze Rp0,2 [N/mm2] Bruchdehnung A5 [%] Härte HB 30 Bild 1 Eigenschaften von Gusseisenwerkstoffen im Vergleich. bei Anwendungen, bei denen neben hoher Festigkeit und ausreichender Zähigkeit auch noch Verschleißfestigkeit gefordert ist (Zahnkränze, Kurbelwellen, Lauf- und Förderrollen usw.). Der größte Markt liegt im Bereich Lastwagen, Busse und schwere Anhänger. Im amerikanischen und europäischen Markt sind Anwendungen im Fahrwerksbereich Allgemeingut. Volvo, Saab, Freightliner, Iveco, MAN, Navistar, DaimlerChrysler, General Motors, Ford, Kenworth und Mack und ihre Tier 1– und Tier 2-Supplier setzen alle ADI-Komponenten ein. ADI in der Forschung Die Aktualität des Themas für den europäischen Markt zeigt sich auch an einigen Forschungsthemen, die derzeit in Deutschland bearbeitet werden. Ziel ist der Einsatz von ADI in Sicherheitsbauteilen im Fahrwerksbereich, um Mechanisch-physikalische Werkstoffdaten für ADI nach DIN EN 1564 und > 500 > 700 > 850 > 1 100 >8 >5 >2 >1 260...320 300...360 340...440 380...480 > 220 > 250 > 420 22 15 2 110...150 135...185 235...285 Autoren zum Vergleich Gusseisen mit Kugelgraphit nach DIN EN 1563 Dipl.-Ing. Jens Gründling, Technischer Vertrieb, Tel. 0521/9315–236, Dr.-Ing. Christine Bartels, Produktentwicklung, Tel. 05241/938–234, Dr.-Ing. Dipl.-Kfm. Ulf Schliephake, Technischer Vertrieb, Tel. 0521/9315–254, CLAAS GUSS GmbH, Am Stadtholz 52, 33609 Bielefeld. Bild 2 ADI-Radnabe (links): 2 % leichter und 20 % preiswerter als die vergleichbare Aluminiumlösung. Quelle: WZL, W. Kloepper Bild 3 Rädercassette aus ADI – Herausforderung an Gefüge, Planizität und Reproduzierbarkeit der Herstellungsprozesse. gungen sind extrem genau ausgeführt, um den Zahnradverschleiß zu minimieren und gleichzeitig einen möglichsten geräuscharmen Betrieb zu ermöglichen. Gießtechnisch bestehen die Herausforderungen in einer schon für konventionellen Sphäroguss eng tolerierten Planizität und in einem mikrolunkerfreien Gefüge des Bauteils. Die beiden Seitenteile der Rädercassette sind großflächige dünnwandige Bauteile; trotzdem ist für das Rohmaterial nur eine kleine Toleranz zulässig. Bei der Wärmebehandlung ergibt sich das zusätzliche Problem, das Härteverzug auf jeden Fall vermieden werden muss. Durch Einspannung in einer Verschraubung und Eintauchen in Längsrichtung, um Blasenbildung und Wärmestaus zu vermeiden, konnten diese Forderungen erfüllt werden. Auch die Bearbeitung steht vor ähnlichen Anforderungen. Aber selbst Tieflochbohrungen sind bei diesem Material beherrschbar – mit den im Automobilmotorenbau üblichen engen Toleranzen. Fazit Schmiedeteile zu ersetzen (Gewichts- und Kostenvorteile). Für diese dynamisch hochbelasteten Bauteile spielt die hohe Dauerfestigkeit die entscheidende Rolle. Sicherheitsbauteile, die den Vorschriften des Kraftfahrtbundesamtes genügen müssen, müssen ihr Verhalten unter Sonderbelastungen (Überlast- und Unfallsituation) unter Beweis stellen. ADI-Bauteile (und auch Bauteile aus Sphäroguss) können in solchen Situationen eine beträchtliche Verformbarkeit aufweisen. Trotzdem herrscht die Meinung vor, dass Gusseisenwerkstoffe spröde und ohne nennenswerte plastische Verformungen brechen. Diese Meinung resultiert aus Laboruntersuchungen, bei denen die Bruch- und Kerbschlagzähigkeit von Proben im Vergleich zu anderen Werkstoffen herangezogen wurden. Exemplarische Untersuchungen an Realbauteilen (unter anderem Radnabe, Bild 2) haben aber gezeigt, dass durch eine verbesserte Gestaltung des Bauteils und eine geeignete Werkstoffauswahl die Nachteile überkompensiert werden können. Die Gießereitechnologie ist sowohl durch entsprechende Werkstoffe als auch durch die Freiheit der Formgebung in der Lage, unterschiedlichste Forderungen an die Betriebsfestigkeit der Bauteile zu erfüllen. Allerdings müssen hierbei technologie- und werkstoffbedingte Kenntnisse über Gusswerkstoffe berücksichtigt werden, die derzeit im Rahmen aktueller Forschungsvorhaben ermit- telt werden. Es stellt sich die Frage, ob klassische bruchmechanische Kennwerte, die nur an einfachen Probegeometrien ermittelt werden, ausreichen, um die komplexen Anforderungen an Sicherheitsbauteile zutreffend zu beschreiben. Parallel dazu sind die aktuellen Möglichkeiten der Simulationstechniken (Gießereiprozesssimulation und Lastfallanalysen [5; 6]) anzuwenden, um die prozesssichere Fertigung porenund mikrolunkerfreien, gleichmäßigen Gefüges sicher zu stellen. Notwendige Hilfsmittel wie 3D-CAD und insbesondere Simulationsprogramme zur Formfüllung und Erstarrung stehen jedem Gießer zur Verfügung. V10-TDI-Rädercassette Ein absolutes Highlight sowohl aus Sicht eines Gießers als auch vieler Motorfachleute stellt eine aktuelle ADI-Anwendung dar. Die Rädercassette des VW-10-Zylinder-Diesel-Motors (230 kW), des weltweit leistungsstärksten PkwDieselmotors, wird aus zwei ADI-Gussteilen gefertigt. Er ist derzeit unter anderem im VW Touareg und im VW Phaeton im Einsatz. Die Rädercassette (Bild 3) ist das Herzstück des integrierten Steuer- und Nebenaggregateantriebes des Motors. Die Nockenwelle der Pumpe-Düse-Zylinderköpfe und alle Nebenaggregate werden über die in ihr fixierten Stirnradgetriebe angetrieben. Freiräume und Einbaubedin- Durch intelligente phantasievolle Konstruktionen in Gusseisenwerkstoffen können Materialeigenschaften optimal genutzt und signifikante Gewichtsreduzierungen sowie Eigenschaftsverbesserungen erreicht werden. Mit der Werkstoffgruppe der ADI-Gusseisenwerkstoffe steht eine Alternative zur Verfügung, die im Spannungsfeld von Kosten, Belastbarkeit, Gewicht und Freiheit im Design ein Potential bietet, das bisher allenfalls in Ansätzen genutzt wird. Literatur [1] Grech, M.; Young, troit, Michigan, J.M.: Impact Properties 6.-9.3.2000. of Cu-Ni Austempered [4] Keough, J.R.: Aus- Ductile Iron. Cast Metals tempered ductile iron ver- (1988) Vol. 1(2), S. sus aluminium: No con- 98–103. test. Applied Process [2] Martinez, R.; Boeri, (1996). R.; Sikora, J.: Impact [5] Löhr, C.; Schliephake, and Fracture Properties U.; Bartels, C.: Werkstoff- of ADI, Comparison with reserven durch Gießen 4140 Steel. American ausnutzen. Konstruktion Foundrymens Society 53 (2001), Nr. 7, Congress (1998), Paper S.42–44. No. 98–008. [6] Schliephake, U.; Hup- [3] Keough, J.R.; Hayry- pertz, A.; Bartels, C.: nen, C.: Automotive Ap- Kosten- und lastfallopti- plication of Austemered miert konstruieren. VDI-Z Ductile Iron: A critical re- Integrierte Produktion view. Casting solutions 144 (2002), Nr. 11/12, for the automotive In- S. 65–69. dustry, SAE 2000, De- C. Klöpper, U. Schliephake, C. Bartels Leichtbaupotenziale durch ADI nutzen Strong Benefits in Weight Reduction by the Use of ADI Inhalt Austempered Ductile Iron – ADI – ist in den USA neben Grau- Abstract Along with grey and spherodial cast iron ADI has conquered und Sphäroguss eine anerkannte und am Markt etablierte Guss- an important position within the family of cast iron materi- eisenqualität. Sie wird in Europa allerdings bisher nur in wenigen als in the US market. In contrast in Europe – up to now – ADI Anwendungsfällen genutzt. Dabei lässt sich durch gezielte Varia- is only used in a few special applications, although for many tion der Wärmebehandlungsparameter der für den jeweiligen An- technical problems ADI offers a suitable material grade. The wendungsfall optimale Gusseisenwerkstoff designen. Zwischen different grades are produced by variations of the heat treat- 800 N/mm2 mit mind. 8% Dehnung und 1600 N/mm2 mit ca. ment parameters. Material properties vary from 800 N/mm2 1% Dehnung ist eine Vielzahl von Lösungen darstellbar – und strength and 8% elongation to fracture up to a strength of das bei erhöhter Verschleißfestigkeit und zugleich drastisch bes- 1600 N/mm2 with only 1% elongation. In addition to econo- seren Dämpfungswerten gegenüber Stahl. Bei gleichzeitig dreidi- mic advantages remarkable positive effects in wear resistance mensionaler Möglichkeit der Formgebung (im Gegensatz zum and drastically improved damping properties can be realised eher zweidimensionalen Schmieden) sind der Phantasie des Kon- by using ADI instead of steel. At the same time the almost strukteurs nur noch wenige Grenzen gesetzt. unlimited possibilities of three dimensional shaping by casting (in contrast to only two dimensions available in forging) give little restrictions to a design engineer’s ideas and visions. Bild 1 2 Herstellung Ausferritisches Grundgefüge im Vergleich zu weiteren Gusseisengefügen ADI wird durch eine mehrstufige Wärmebehandlung aus Sphäroguss hergestellt. Ziel der Wärmebehandlung ist die Einstellung eines Gefüges aus nadeligem Ferrit in einer mit Koh- Autoren 1 Einleitung ADI bezeichnet einen wärmebehandelten duktilen Sphäroguss, der bei gleicher Bruchdehnung eine doppelt so hohe Festigkeit und Dauerfestigkeit wie konventionelles Gusseisen mit Kugelgraphit, sowie eine signifikant höhere Verschleißfestigkeit [1] besitzt. Die Kerbschlagarbeit von gekerbten und ungekerbten Charpy-Proben bei Raumtemperatur und bei tiefen Temperaturen sind zwar geringer als die von Schmiedestählen, aber dreimal höher als die von konventionellen Gusseisensorten mit Kugelgraphit [2]. Für den Vergleich des Bruchverhaltens von ADI und Stahl ist es allerdings wichtig, zu berücksichtigen, dass die Dehngeschwindigkeitsabhängigkeit des Bruchverhaltens für Stahl erheblich größer ist als die von ADI. Daher ist ein Vergleich der Kerbschlagarbeiten für viele Anwendungen wenig aussagefähig. Eine erheblich bessere Kenngröße ist der KIC-Wert. Vergleicht man diese Werte für ADI und Stahl, so stellt man fest, dass die KIC-Werte für ADI-Werkstoffe nicht nur höher sind als die für alle anderen Gusseisensorten außer Ni-Resist. Sie sind auch vergleichbar oder höher als die der meisten gehärteten Stähle. Der Werkstoff ist daher auch für den Einsatz als Sicherheitsbauteil im Kfz- und Lkw-Bereich geeignet. Aufgrund der hohen Festigkeits- und Bruchdehnungswerte können bei vorgegebenen Lasten extrem leichte Bauteile konstruiert werden – in etlichen Anwendungsfällen sind diese auch leichter als Lösungen aus Aluminium [3]. Dipl.-Ing. Carsten Klöpper Wissenschaftlicher Mitarbeiter Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen Steinbachstraße 53 52056 Aachen Tel.: 02 41/80–2 73 64 Fax.: 02 41/80–2 22 93 E-Mail: [email protected] Dr.-Ing. Christine Bartels Produktentwicklung Claas Guss GmbH Brockhäger Str. 218 33330 Gütersloh Tel.: 0 52 41/9 38–2 34 Fax: 0 52 41/9 38–2 88 Dr.-Ing. Dipl.-Kfm. Ulf Schliephake Technischer Vertrieb Claas Guss GmbH Am Stadtholz 52 33609 Bielefeld Tel.: 05 21/93 15–2 54 Fax: 05 21/93 15–2 90 Bild 2 Schematische Temperatur- kaum, die Zähigkeit des Werkstoffs jedoch stark beeinträchtigt [5] (Bild 3). führung zur Herstellung von ADI lenstoff übersättigten Austenitmatrix [4]. Durch den hohen Kohlenstoffgehalt wird der Austenit auch bei Raumtemperatur und bei tieferen Temperaturen stabilisiert. Als Bezeichnung für dieses Gefüge hat sich Ausferrit eingebürgert (Bild 1). Dieser neue Name wird zukünftig auch mit in Kraft treten der aktuell in Überarbeitung befindlichen Normen offiziell festgelegt. Das Gussstück wird im Schutzgasofen bei 840 bis 950° C vollständig austenitisiert. Im zweiten Behandlungsschritt erfolgt eine schnelle Abkühlung – in der Regel im bewegten Salzbad – auf eine Umwandlungstemperatur zwischen 235 und 425° C. Über die Temperatur des Bades wird die Güte des ADI eingestellt. Die maximale Dauer des Abkühlvorganges für diesen Schritt darf bei unlegiertem Sphäroguss als Basiswerkstoff 30 s nicht überschreiten (Bild 2). Die wichtigste Bedingung für eine einwandfreie Vergütung ist die Vermeidung der Perlitbildung während der Abkühlung. Nach Erreichen der Temperatur für die Umwandlung des Austenits beginnt die Bildung des nadelförmigen Ferrits. Dieser a-Mischkristall im System Fe-C hat eine viel geringere Lös- Bild 3 links: Gefüge Grauguß EN-GJL-300 Vx500 Mitte: Gefüge Shäroguß N-GJS-500–7 rechts: Gefüge ADI EN-GJS-1000–5 Schliffbild 1000-fach lichkeit für Kohlenstoff als der Austenit. Der aus -Mischkristall verdrängte überschüssige Kohlenstoff reichert sich im Austenit an und behindert diesen in seiner Umwandlung zu Ferrit. So wird der Austenit stabilisiert. Zu Beginn dieses Prozesses kann eine zu frühe Abkühlung auf Raumtemperatur zu einer Umwandlung von nicht ausreichend stabilisiertem Austenit in Martensit und damit zu einer Gefügeversprödung führen. Deshalb darf die legierungsabhängige Mindesthaltedauer keinesfalls unterschritten werden. Eine zu lange Haltedauer führt zur Carbidbildung und damit ebenfalls zur Versprödung des Werkstoffs, was vermieden werden muss. Auf der Umwandlungstemperatur wird das Gussstück solange gehalten, dass die maximal mögliche Menge an stabilisiertem Austenit nach der anschließenden Abkühlung auf Raumtemperatur vorliegt. Um die guten Eigenschaften, die die verschiedenen ADI-Qualitäten auszeichnen, auf hohem Niveau zu halten, muss besondere Sorgfalt auf eine optimale Magnesiumbehandlung und anschließende Impfung zur Sicherstellung zahlreicher, gut ausgebildeter Sphärolithen gelegt werden. Die Entstehung von Gefügedefekten (Primärcarbide, Seigerungen, Porositäten u.a.) muss vermieden werden. Derartige Fehler sind durch Wärmebehandlungen kaum bzw. nicht zu beseitigen. Aus einer schlechten Gussqualität kann auch durch eine know-howträchtige Wärmebehandlung kein hochwertiger Werkstoff mehr hergestellt werden. Durch Mikrolunker, gestörter Kugelausbildung und Korngrenzencarbide wird die Festigkeit zwar 3 Spanende Bearbeitung von ADI Einen Diskussionspunkt für die Serienproduktion einbaufertiger Teile stellt häufig noch die spanende Bearbeitung dar. Während ADIBearbeitungsproblemen bei Kleinserien bisher mit einer getrennten Vorbearbeitung vor der Wärmebehandlung begegnet wurde, ist bei Serienanwendungen aus wirtschaftlichen und logistischen Gründen eine komplette Bearbeitung im vergüteten Zustand sinnvoll. Eine Bearbeitung vor der Wärmebehandlung wäre aus zerspanungstechnischer Sicht zwar die beste Lösung. Allerdings ist bei derartigem Vorgehen die Volumenzunahme durch die Gefügeumwandlung durch die ADI-Wärmebehandlung genau zu bestimmen und in der Bearbeitungszugabe zu berücksichtigen. Die üblicherweise hohen Anforderungen an Toleranzen und Oberflächenqualität an den Funktionsflächen machen aber i.d.R. eine weitere spanende Bearbeitung nach der Wärmebehandlung erforderlich. Aus diesem Grund geht der Trend beim ADI zu einer möglichst endkonturnahen Rohteilherstellung und einer vollständigen spanenden Bearbeitung im wärmebehandelten Zustand. Bei Gusseisen-Werkstoffen wird die Zerspanbarkeit grundsätzlich stark von Menge und Ausbildung des eingelagerten Graphits beeinflusst. Die Graphiteinlagerungen reduzieren zum einen die Reibung zwischen Werkzeug und Werkstück und unterbrechen zum anderen das metallische Grundgefüge. Dies führt im Vergleich zu graphitfreien Stahlwerkstoffen zu günstigen kurzbrechenden Spänen und geringeren Zerspankräften. Da ADI trotz seiner stahlähnlichen mechanischen Eigenschaften durch ein graphithaltiges Gussgefüge gekennzeichnet ist, gelten diese positiven Zerspaneigenschaften auch für diesen Werkstoff. Allerdings muss auch der Einfluss der Härte, die Neigung zur Verfestigung und die Zähigkeit des metallischen ausferritischen Grundgefüges für eine Bewertung der Zerspanbarkeit und eine Auslegung der Zerspanwerkzeuge berücksichtigt werden. Härte, Festigkeit und Verfestigung stellen Anforderungen an die Bild 4 mechanische Verschleißfestigkeit der Zerspanwerkzeuge. Zähigkeit und gute Verformbarkeit auf hohem Festigkeitsniveau erfordern weiterhin thermische Verschleißeigenschaften, die bei konventionellen Gusswerkstoffen eine eher untergeordnete Rolle spielen. Aus diesem Grund empfiehlt sich der Einsatz verschleißfester K-Hartmetalle mit verschleißfesten, thermisch stabilen Beschichtungen wie TiAlN für Bearbeitungsoperationen wie das Drehen, Bohren und Fräsen. Anwendbare Schnittgeschwindigkeiten liegen hierfür etwas unterhalb derer von konventionellem Gusseisen mit Kugelgraphit oder Vergütungsstahl, im Vergleich zu Stahl kann aber im allgemeinen mit höheren Vorschüben auf Grund der geringeren mittleren Zerspankräfte gearbeitet werden. Beim Drehen ist auch der Einsatz keramischer Schneidstoffe wie Al2O3+ZrO und whiskerverstärkter Keramik mit wesentlich höheren Schnittgeschwindigkeiten möglich, falls auf eine steife Werkzeugaufspannung geachtet wird. Ein Vorteil gegenüber vergleichbaren Vergütungsstählen ist weiterhin die generelle Möglichkeit einer Trockenbearbeitung [6](Bild 4). Probleme bei der Zerspanung von ADI, z.B. beim Bohren und Fräsen, ergeben sich meist durch die Auswahl ungeeigneter Werkzeuggeometrien. Durch die speziellen Eigenschaften des ADI liegen die statischen und dynamischen Belastungen nahe an der Schneidkante und führen in Abhängigkeit der Geometrie des Werkzeugs teilweise früh zum Versagen. Durchgeführte Optimierungen für die Fertigungsverfahren Bohren und Fräsen hinsichtlich der Werkzeuggeometrie aber auch des Schneidstoffs und der Beschichtung lassen erhebliche Verbesserungen im Vergleich zu Standardwerkzeugen erkennen und machen den Werkstoff wirtschaftlich bearbeitbar (Bild 5). Standzeitvergleich verschiedener Schneidstoffe beim Drehen von ADI-900 Bild 5 Effektive Bohrbearbeitung durch optimierte Werkzeuge Bild 6 Filterkopf Bild 5 4 Anwendungsbeispiel Filterkopf Die Kombination eines Hochleistungswerkstoffs mit den Formgebungsmöglichkeiten des Verfahrens Giessen eröffnet für viele Anwendungsgebiete neue Möglichkeiten. Ein Beispiel ist das in Bild 6 gezeigte Bauteil. Es handelt es sich um einen Filterkopf für das Hydrauliksystem von Kunststoffspritzgussmaschinen. In diesen Filterkopf wird eine Filterpatrone eingeschraubt, die das Hydrauliköl reinigt. Die Kunststoffspritzgussmaschinen fertigen in Reinraumathmosphäre Verpackungen für die Lebensmittelindustrie wie beispielsweise Magarinedosen. Diese Maschinen arbeiten das gesamte Jahr 24 Stunden am Tag, lediglich unterbrochen von einem möglichst kurzen Wartungsintervall. Bei jedem Spritzzyklus wird dabei das Hydrauliköl und damit auch der Filterkopf mit einem Druck von 250 bar beaufschlagt. Da ein Versagen während des Betriebs auf Grund des Reinigungsaufwandes im Rein- raum mit längeren Stillstandszeiten verbunden wäre, forderte der Hersteller der Kunststoffspritzgussmaschinen, dass ein Filterkopf 100 Mio. Lastwechsel ertragen müsse. Diese Anforderung war mit der bisher verwendeten Standard-Sphärogussqualität nicht mehr zu erfüllen. Da die Möglichkeit durch konstruktive Veränderungen die Lebensdauer des Bauteils zu erhöhen, nicht bestand, war also eine Werkstoffsubstitution nötig. Schmiedestähle, die wegen ihrer hohen Dauerfestigkeiten häufig für dynamisch stark beanspruchte Bauteile verwendet werden, schieden hier aus, weil das Verfahren des Schmiedens das Einbringen der gebogenen Kanäle nicht erlaubt. Diese sind aus strömungstechnischen Gründen jedoch erforderlich. Aus dem gleichen Grund schied auch eine Bearbeitung aus dem Vollen aus. Ein idealer Werkstoff für die beschriebene Anwendung ist der ausferritische Gusseisenwerkstoff EN-GJS-800–8. Er bietet eine Dauerfestigkeit, die in den Bereich von Schmiedestählen reicht. Gleichzeitig erlaubt er als Gusswerkstoff dem Konstrukteur ein hohes Maß an gestalterischer Freiheit. So ist auch das Einbringen von komplexen Innengeometrien problemlos möglich. Aufgrund der Expansion des Graphits bei der Erstarrung von Sphäroguss lassen sich gießtechnisch anspruchsvolle Bauteile wie der gezeigte Filterkopf lunkerfrei herstellen. Dies ist in Stahlguss nur mit enormem Aufwand an Speisungstechnik oder überhaupt nicht möglich. Das Beispiel zeigt, dass sich viele Bauteilanforderungen nur realisieren und Bauteile optimieren lassen, wenn sich die Kombination Bild 7 Schätzung der weltweiten ADI-Produktion schaftsverbesserungen bzw. Gewichtsreduzierungen erreicht werden. Es steht eine neue Werkstoffgruppe zur Verfügung, die im Spannungsfeld von Kosten, Belastbarkeit, Gewicht und Freiheit im Design ein Potenzial bietet, das bisher allenfalls punktuell genutzt wird. Literatur [1] S. Shepperson and C. Gusseisenwerkstoff”, Kon- Allen: „The Abrasiv Wear struieren und Giessen 24 Behaviour of Austempe- (1999) 4, S. 17 – 26 red Spheroidal Cast [6] Klocke, F.; Klöpper, Irons“, Int. Conf. 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IW10 –IW12 ciety (Veranst.), ISBN [3] Keough, J.R.: „Aus- 0–87433–257–7, S. tempered ductile iron ver- 73–82 sus aluminium: No con- [7] Keough, John R., test“, Applied Hayrynen, Cathy: Process, 1996 „Automotive Application [4] Herfurth, K: ,;Aus- of Austemered Ductile tenitisch-ferritisches Iron: A critical review“ Gusseisen mit Kugelgra- Casting solutions for the phit, Teil 1: Austenisie- automotive Industry, SAE rung“, Giesserei-Praxis 2000, Detroit, Michigan, 3/2003, s: 99– 106,n 6.-9.3.2000 Teil 2: Unvollständige [8] Kovacs, B.V. und Ke- isothermische Austenit- ough, J.R.: „Physical Pro- umwandlung, Giesserei- perties and Application Praxis 4/2003, of Austempered Gray S. 137 – 142 Iron“, Transactions of [5] Day, S., Röhrig, K.: the Americain Foundry „ADI – ein hochwertiger, Society, 1993, paper aber auch anspruchsvoller 93–141, S. 232 – 292 Bild 8 eines geeigneten Formgebungsverfahrens mit einem leistungsfähigen Werkstoff finden lässt. ADI eröffnet hier völlig neue Horizonte, die in den USA heute schon viel stärker genutzt werden als in Europa [7] (Bild 7 und 8). 5 Ausblick Als weiteres Beispiel einer neu designten Werkstoffsorte sei an dieser Stelle das AGI (Austempered Grey Iron) angeführt. Dieser Werkstoff wurde entwickelt, um die hervorragenden gießtechnischen Eigenschaften von Grauguss, die extrem dünne Wandstärken ermöglichen, mit Festigkeitswerten, die denen des Sphärogusses vergleichbar sind, zu vereinen. AGI ist ausferritischer Grauguss, der die Kombination hohe Festigkeiten, hohe Geräusch- und Schwingungsdämpfung, hervorragende Wärmeleitfähigkeit und hohe Verschleißfestigkeit ermöglicht. In der industriellen Anwendung stehen Turbinengehäuse, Trommelbremsen, Mehrfachröhrenwerke und Rotoren in der Diskussion [8]. Durch intelligente phantasievolle Konstruktionen in ADI können signifikante Eigen- CLAAS GUSS GmbH Am Stadtholz 52 33609 Bielefeld Tel.: 05 21 / 93 15-254 Fax: 05 21 / 93 15-290 Email: [email protected]