Innovative 27 - Frauenwerk der Nordkirche
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Innovative 27 - Frauenwerk der Nordkirche
innovative Ines Pohl auf dem Frauenmahl in Hamburg 27 innovative Zeitschrift des Frauenwerkes der Nordkirche Nr. 27 Juli - Dezember 2013 Einladung: 1. Jahresempfang des Frauenwerkes Prostitution – ein weites Feld Frauen der Reformation Wandel als Dauerthema? Die AMICA – eine neue Sorgenpuppe Interview mit Prof. Dr. Uta Pohl-Patalong innovative Inhalt | Impressum 2 Inhalt Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Von Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Hintergrund Prostitution – ein weites Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Anstoß Unverwechselbare Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Projekte/Aktionen Grüße von Kerstin Möller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Nichts ist so beständig wie der Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Queere und Feministische Theologie im Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Hannah Arendt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Neues Frauenseminar: Gelebte Spiritualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1. Jahresempfang des Frauenwerkes: Save the date . . . . . . . . . . . . 7 Vorstellung: Christiane Eller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Postkartenserie: Frauen der Reformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Für faire Arbeitsbedingungen in Bangladesh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Einweihung: Annemarie-Grosch-Haus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Hier sind noch Plätze für Sie frei: Seminare und Reisen . . . . . . . . . 11 Who cares? Sorge um die Sorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Schon damals haben wir zusammen gearbeitet: West-Ost-Partnerschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Neue Haltung: Rückenschulung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Vorstellung: Dr. Sibylle Gundert-Hock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Europäische Lobby für Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Solidarisch für Frauen: Projektarbeit des Weltgebetstages . . . . . 16 innovative Interview mit Prof. Dr. Uta Pohl-Patalong, Dekanin der Theologischen Fakultät und Professorin für Praktische Theologie an der Christian-Albrechts-Universität Kiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 27 innovative 27 Zeitschrift des Frauenwerkes der Nordkirche Juli - Dezember 2013 (Redaktionsschluss: 10. April) Herausgeberin Frauenwerk der Nordkirche Gartenstraße 20 24103 Kiel Fon 0431 - 55 779 100 [email protected] www.frauenwerk.nordkirche.de Aus den Frauenwerken Erinnerung an Irene Némirovsky . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Die heilige Geistkraft weht an der Westküste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Die „AMICA“ – eine neue Sorgenpuppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Coaching für Mütter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Das tut gut: 7 Wochen mit Produkten aus der Region und fairem Handel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Neu gemeinsam für die Westküste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Jetzt ist die Zeit … für ein Kunstprojekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Buch-Tipps Dora Lux – mutig und unangepasst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Der Job nach dem Job: Neue Chancen für den Ruhestand . . . . . 28 Eine Frau und die Reformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Auf(er)stehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Bereitet die Wege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Und außerdem Nord-Theologinnen gemeinsam stark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Erste Frauenbiografien-Datenbank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 „Frauen und Reformation“ online . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Die Rückseite Frauenmahl auf dem Kirchentag in Hamburg 2013 – eine Fotocollage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Konzept und Chefredaktion Annette von Stritzky, Fon 0431 - 55 779 105, [email protected] Die Redaktion behält sich vor, Manuskripte redaktionell zu bearbeiten, evtl. auch zu kürzen. Die innovative erscheint i. d. R. im Januar und Juli. Nachdruck mit Quellenangabe und Belegexemplar gern gestattet. Gestaltung und Illustrationen Susanne Adamek, Kommunikation & Design Titelfoto Martin Krok Sekretariat Angela Lückfett, Bärbel Rimbach, Monika Lorengel Auflage 12.000 Exemplare Druck www.druckzentrum-neumuenster.de, gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier, Rohstoff aus nachhaltiger Forstwirtschaft Redaktionsschluss für die inno 28: 15. September 2013 innovative Editorial | Leser_innen-Forum Liebe Leser_innen, wie Sie sehen, schreiben wir nicht mehr „LeserInnen“, sondern „Leser_innen“, das hat verschiedene Gründe, mehr darüber erfahren Sie auf S. 6. Coaching nach einer Kur, West-Ost-Kontakte, gelebte Spiritualität, Sorge-Arbeit, starke Frauen der Reformationszeit, Frauen-Räume in Mecklenburg-Vorpommern, faire Arbeitsbedingungen in Bangladesh, Kunstprojekte, Frauenbiografien-Datenbank oder Lobby für Frauen – wir geben Impulse aus Frauensicht. Die „innovative“, Zeitschrift des ehemaligen Nordelbischen Frauenwerkes, wird Schritt für Schritt zur Zeitschrift des Frauenwerkes der Nordkirche. Und irgendwann wird es unter Umständen gar nicht mehr so wichtig sein, woher die Inspirationen kommen, ob aus Nordfriesland, Stralsund oder Rostock oder aus Hamburg – denn sie sind Anregungen für die ganze Kirche. Ihnen ein besonderes Lesevergnügen – wir freuen uns immer wieder, dass die innovative viel gelesen wird. Sie können weitere Exemplare bekommen unter 0431 55 779 107. Foto: Nordbild 3 Lesen Sie gut – herzliche Grüße aus dem Frauenwerk der Nordkirche, Ihre Lesen mit Gewinn Vielen Dank für die innovative und die Arbeit, die sich damit für Sie und die Kolleginnen verbindet. Ich lese sie immer mit Gewinn und gebe sie gerne weiter. Interessante Texte, wichtige Themen, gute Informationen, flotte Aufmachung, so kann ich meine Eindrücke der innovative zusammenfassen. Kurt Riecke, Propst des Kirchenkreises Altholstein Gewinnerin Bei dem Gewinnspiel in der letzten innovative hat Else Ilner aus Flintbek die Tagesreise mit FrauenReisen Hin und weg gewonnen. Die richtigen Antworten lauteten: 1. Auf welcher Reise tauchen Sie in eine matriarchale Hochkultur ein? Malta – Land der Göttinnen. 2. Mit welchem Verkehrsmittel erkunden Sie die Umgebung der Stadt mit Herz? E-Bike. 3. Wie heißt das deutsche Krankenhaus in Assuan? Germania. Petition gegen … Annette von Stritzky Wir haben die Petition gegen Sexismus in der Werbung unterschrieben. Sie sind herzlich eingeladen, das auch zu tun. Demo, Konzert und Übergabe an den Deutschen Werberat im September in Berlin. Mehr unter www.frauenwerk.nordkirche.de Spenden Sie bekommen die innovative kostenlos – deshalb ist jede Spende willkommen: Frauenwerk der Nordkirche, „innovative“, EDG Kiel, Kto. 10 740, BLZ 210 602 37. Herzlichen Dank allen Spender_innen! Schreiben Wir freuen uns auf Ihre Anregungen und Kommentare zur innovative: [email protected] Immer Aktuelles unter www.frauenwerk.nordkirche.de innovative Anstoß 4 Unverwechselbare Räume Neben dem Evangelischen Zentrum in der Gartenstraße in Kiel gibt es im Nachbarhaus ein Büro, das außergewöhnlich ist: Es ist zugepostert mit Filmplakaten. Meist düster und überdimensional groß. Mehrere Poster von Star Treck, Stirb langsam, aber auch ein Plakat der Simpsons hängen an der Wand. Wenn ich morgens an dem Haus vorbeiradle, sitzt in diesem Büro oft ein Mann im mittleren Alter am Computer. „Räume, die unverwechselbar sind, geben etwas von den Menschen preis, die sie gestaltet und genutzt haben", meint der Pädagoge Tassilo Knauf. Was gibt dieser Mann mit seinen Postern preis? Ich stelle mir vor, dass er gerne Actionfilme sieht und hin und wieder abtaucht in die Filmwelt, um eine Pause zu machen. Sich vorstellt, er würde wie John McClane / Bruce Willis in „Stirb langsam – ein guter Tag zum Sterben“ in Moskau durch die Stadt flüchten, alle Lebensgefahren meistern. Das Büro rechts daneben ist dagegen kahl: Dort hängt nur ein bildloser Kalender an der Wand, auf der Fensterbank eine Grünpflanze, sonst nichts. Woran denkt hier der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin, wenn sie mal eine Pause macht? Das Büro ist so unpersönlich, dass ich nicht sagen kann, ob hier eine Frau oder ein Mann arbeitet. Vielleicht arbeitet hier eine, die konzentriert das tut, was zu tun ist und dann so schnell wie möglich den Raum verlässt? Ein Raum spiegelt etwas von der Person, die ihn nutzt, wieder. Raum und Mensch stehen in einer Wechselbeziehung. Das machen auch die Werbebotschaften von IKEA und Co. deutlich. Die Gestaltung eines Raumes gibt Auskunft darüber, wer da wohnt. Interessant auch: Die Hirnforschung hat herausgefunden, dass Enge, Übermöblierung und übertriebene Raumgestaltung konzentriertes Arbeiten, Kommunikation und soziale Interaktionen erschweren oder sogar unmöglich machen. Ort, ist auch eine Bezeichnung für Gott. Abgeleitet wird diese Bezeichnung für Gott aus einem Satz im biblischen Buch Ester, wo es im vierten Kapitel, Vers 14, heißt: „Denn wenn du in dieser Zeit schweigst, wirklich schweigen solltest, wird den Jüdinnen und Juden von einem anderen Ort (makom) Atem und Rettung erstehen.“ Was genau mit diesem anderen Ort gemeint ist, bleibt unklar, aber die Rabbinen sahen eine unmittelbare Verbindung von Ort und Gott. Gott hat also auch eine räumliche Dimension. Dahinter verbirgt sich meines Erachtens die Vorstellung, dass Gott der Raum ist, an dem es Sicherheit, Errettung, Freiheit und Leben gibt. Einige meinen, makom weist auf Jerusalem hin, das im jüdischen Denken unmittelbar mit Gott verbunden ist. Ich möchte den Ort nicht lokalisieren, sondern weiten und merke dabei: Nicht nur Mensch und Raum stehen in einer Wechselbeziehung, sondern auch Gott gehört dazu. Es ist wie ein Dreiklang. Vielleicht sind Frauenräume und der Kampf um Räume in der Frauenarbeit gerade deshalb so schmerzhaft. Wird der Raum genommen, geht mehr als ein bloßer Raum verloren, sondern auch ein Stück Freiheit, Atem, Rettung – Gott. Unsere gestalteten Räume sagen etwas darüber aus, wie wir Gott sehen. Ich wünsche mir weder „zugeposterte“ noch kahle Räume in unserer Frauenarbeit. Vielmehr wünsche ich mir Räume, die von uns ganz unterschiedlichen Christ_innen und von der Vielfalt in Gott erzählen, die nicht nur funktional, sondern auch etwas schräg sind, die Geborgenheit stiften ohne eine Wohnzimmeratmosphäre zu verbreiten, nicht eng, sondern Weite ausstrahlend. Raum für spirituelle Bewegung. Unverwechselbare Räume, die etwas preisgeben, von denen, die sie gestalten und nutzen und erzählen, in welcher Beziehung sie zu Gott stehen. Susanne Sengstock Das Wort Raum soll mit dem althochdeutschen Wort „Rümi“ verwandt sein, das weit, geräumig, und im übertragenden Sinne auch Freiheit, Bewegung, Kontakt oder Entfaltung bedeutet. Raum oder auch Ort heißt auf Hebräisch makom. Ha-makom, der Raum, der „Vielmehr wünsche ich mir Räume, die von uns ganz unterschiedlichen Christ_innen und von der Vielfalt in Gott erzählen, die nicht nur funktional, sondern auch etwas schräg sind, die Geborgenheit stiften ohne eine Wohnzimmeratmosphäre zu verbreiten, nicht eng, sondern Weite ausstrahlend.“ Susanne Sengstock 5 innovative Projekte | Aktionen Grüße von Kerstin Möller Wegen meiner Krebserkrankung habe ich Anfang 2013 beschlossen, die Leitungen des Hauptbereichs „Frauen, Männer, Jugend“ und des Frauenwerks der Nordkirche nieder zu legen. Es war ein schwerer Schritt, der aber im Tiefsten meines Herzens stimmte und sich bis heute richtig anfühlt. Es ist eine große Entlastung, nicht weiter die Verantwortungen zu tragen. Und es ist gut zu wissen, dass mein Schritt den Weg für Neues frei macht: Für eine neue Hauptbereichsleiterin mit Kirsten Voß und eine neue Leiterin des Frauenwerks (die Stelle ist noch nicht besetzt). Beiden wünsche ich eine segensreiche Arbeit. Für mich hat jetzt mein Körper Vorrang und er sagt mir, was möglich ist. Allein die enorme Fahrerei, die in der Nordkirche ansteht, hätte ich derzeit nicht leisten können. Da merke ich schnell die Grenzen meiner Kräfte. Ich kann momentan auch nur eine Sache zurzeit machen – ziemlich ungewohnt für mich. Ich habe gelernt, damit zu leben, dass ich nicht weiß, wie es weiter geht, wann und ob sich die Kräfte erholen werden – Geduld ist gefragt. Die meiste Zeit geht es mir gut, dafür bin ich dankbar. Das ist ein großes Geschenk. Und ich fühle mich von all den guten Gedanken und Gebeten, die mich begleiten, getragen – das ist wunderbar! Mein größter Wunsch wäre, dass ich wieder gesund werde. Aber angesichts meiner Diagnose bin ich dankbar, wenn meine körperliche und seelische Verfassung stabil bleibt und mir das Leben weiterhin Freude macht. Ein bisschen normales Leben – das wäre schön. Ende Juni ziehen wir nach Flensburg, vom Land in die Stadt, wo ich an alte Beziehungen anknüpfe. Dann kann ich in die Stadt gehen, mit dem Rad einkaufen und mein Mann hat die Möglichkeit, zwischendurch mal kurz nach Haus zu kommen. Darauf freue ich mich sehr. Herzliche Grüße an alle, die mit mir im Frauenwerk und im Hauptbereich unterwegs waren und die mich in Gedanken, mit Briefen, Telefonaten oder Treffen begleiten. Wer mich kennt ahnt: Spaß hätten mir meine Ämter weiterhin gemacht …, aber jetzt ist es ein anderer Weg, auf den ich gesandt bin. Foto: Hans-Peter Christiansen Kerstin Möller Der Wandel ... Nichts ist so beständig wie der Wandel, zu dieser Aussage gelangte schon Heraklit ca. 500 vor Christus und sie gilt bis heute, besonders in unserer Kirche, die in letzter Zeit diverse Veränderungsprozesse durchlaufen hat. Deshalb fand ein Seminar mit gleichlautendem Titel statt. Es gibt positive und negative Veränderungen und solche, bei denen sich erst im Laufe der Zeit herausstellt, in welche Richtung sie sich entwickeln. Jeder Veränderung gemeinsam ist der Prozess, den wir durchlaufen, Dauer und Intensität der Phasen können sich unterscheiden. Um gut in die Veränderung gehen zu können, ist es wichtig, dass jede Phase gelebt wird: 1. Überraschung / Schock / Angst / Widerstand 2. Resignation oder Akzeptanz 3. Erkundung und Gestaltung 4. Zustimmung. In der ersten Phase entscheidet sich oft, ob es zu einer Akzeptanz der Veränderung kommt, oder ob wir resigniert darauf zugehen. Veränderungen bedrohen die Sehnsucht nach Beständigkeit und können Angst machen, besonders wenn Veränderungen als Dauerzustand dargestellt werden. „Das kann doch nicht wahr sein“ ist häufig die erste Reaktion. Die Beschäftigung mit dem Widerstand ist wichtig, denn dadurch wird die psychische Gesundheit sichergestellt. Der Widerstand äußert sich sowohl aktiv (Vorwürfe, polemisieren, ins Lächerliche ziehen etc.) als auch passiv (Streit, Cliquenbildung, Unaufmerksamkeit, Krankheit …). Für alle ist wichtig, den Widerstand zu erkennen und sich über die Ursachen Klarheit zu verschaffen, um angemessen Unterstützung anzubieten. Die Kritische Auseinandersetzung mit der Veränderung ist hilfreich. Erfolgreiche Veränderungsprozesse zeichnen sich durch die Beteiligung und Unterstützung aller Betroffenen, durch das Ernstnehmen von Widerständen sowie durch eine zeitnahe, klare, offene, breite und verständliche Kommunikation aus. Dies heißt früh und regelmäßig mit allen zu kommunizieren, den Prozess nachvollziehbar vorzustellen und auch schlechte Nachrichten mitzuteilen. Dagmar Krok innovative Projekte | Aktionen 6 Lustvoller Aufbruch ins Un_Gewisse Queere und Feministische Theologie im Dialog Es gibt sie, neue befreiungstheologische Ansätze, z. B. queere Theologie. Da diese aus den USA kommende Richtung wenig bekannt ist, fand dazu Anfang Februar in Hamburg das 15. Norddeutsche Forum Feministische Theologie statt. Queer (wörtlich: seltsam, sonderbar, verrückt) war ursprünglich ein Schimpfwort gegenüber Lesben und Schwulen und ist heute eine Bewegung, die sich gegen Diskriminierung von der Norm abweichender Lebensweisen einsetzt und die gängige Vorstellung von zwei Geschlechtern hinterfragt. Nicht immer stimmen biologisches und soziokulturelles Geschlecht überein und nicht alle können und wollen sich auf eine Geschlechtsidentität lebenslang festlegen. Die Theologin Ruth Heß aus Bremen betonte in ihrem Vortrag: „Queer schaut nicht nur auf Randgruppen, sondern auf alle. Queer ist eine antinormative Haltung, die jede_r einnehmen kann und zielt auf ein konkretes Tun.“ Queeres Denken verändert auch Theologie. Ruth Heß machte deutlich, dass das Christentum in seinen Ursprüngen selbst queer ist. „Die Zugehörigkeit zur Kirche löst nach der urchristlichen Taufformel im Galaterbrief kulturelle Identitäten auf. Weiblichkeit und Männlichkeit sind etwas Vorläufiges.“ Aus dieser Perspektive ergeben sich Konsequenzen für konkrete kirchliche Praxis, für unsere Rede von Gott und Jesus Christus, für Tauf- und Traurituale. „Ist das kompliziert“ meinte eine der rund 40 Teilnehmerinnen, „aber mir ist deutlich geworden, dass es wichtig ist, unser Denken und Handeln zu verändern, damit Diskriminierungen aufhören. Dass Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit sichtbar werden, ist doch auch ein Anliegen der Feministischen Theologie.“ Eine schriftliche Form von Sichtbarmachung ist in der Schreibweise der Unterstrich. Statt von ChristInnen mit dem großen Binnen-I, nun von Christ_innen zu schreiben, ist für viele ungewohnt. Der Unterstrich schafft eine Leerstelle für Menschen, die sich geschlechtsmäßig nicht festlegen wollen oder können. Aber ist es in Ordnung, dass die weibliche Form als Suffix hinter einem Leerraum angehängt wird? Ja, meinten nach einem Austausch in einem Workshop viele Teilnehmerinnen, denn so ist echte Teilhabe aller möglich. „Dieses Alles-Infrage-stellen verunsichert sehr“, warf eine andere Frau ein. Das Christentum solle doch Gemeinschaft stiften und Heimat bieten. Beides finde sie vor allem in ihrer Frauengruppe, aber wenn jetzt das Geschlecht nicht mehr unbedingt festgelegt sei, was heißt es denn eigentlich eine Frau zu sein? Was ist Weiblichkeit? Dass wir schnell bei Klischees sind, wenn wir von Weiblichkeit reden, zeigte ein Blick in die Predigtpraxis. Und diese Klischees bewirken, dass auch unsere religiösen Bilder eingeschränkt sind. Bilder der Künstlerin Doris Baum von einer Maria, die im Rollstuhl sitzt oder von einer erotischen, fast obszön anmutenden Darstellung einer dreifaltigen Maria verstören auf den ersten Blick. Aber sie laden auch ein, gewohnte Bilder zu überdenken und den Blick zu weiten. Das gilt auch für unsere Bilder von Gott und Jesus. Können wir uns vorstellen, Gott zu küssen, Zärtlichkeit und Erotik ins unsere Gottesbeziehung aufzunehmen? Können wir uns Jesus als androgyn und fett vorstellen, als einen Jesus, der die gewöhnliche Ästhetik sprengt? Und was würde das für unser Handeln bedeuten? Theologinnen wie Marcella Althaus-Reid und Lisa Isherwood wagen solche Aufbrüche und knüpfen dabei an biblische Traditionen an. Ruth Heß hat deutlich gemacht: Unsere Welt ist von einengenden Normen geprägt und immer mehr Menschen suchen Alternativen. Auf dem Boden der christlichen Traditionen eine queere Kirche in einem feministischen Bewusstsein zu gestalten, ist eine aufregende Herausforderung. „Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden“ (1. Joh 3,2) – am Ende könnte es auch ganz anders sein. Queer will Lust machen zum Weiterdenken, zum Aufbruch ins Un_gewisse. Irene Pabst Susanne Sengstock Maria aus Magdala (2010) Doris Baum Fotos: Dagmar Krok, Susanne Sengstock 15. Norddeutsches Forum Feministische Theologie 7 innovative Projekte | Aktionen Hannah Arendt Auf der Frauensynode beschäftigten sich die Frauen der Nordkirche mit Rechtsextremismus – was lag da näher, als anlässlich des gerade laufenden Hannah-Arendt-Films von Margarete von Trotta sich mit Arendts Totalitarismusanalyse zu beschäftigen?! Fast 10 Jahre lang haben wir im Frauenwerk Lesegruppen zu Hannah Arendt angeboten. In ihrem Buch „Ursprünge und Elemente totaler Herrschaft“ erkennt sie Stalinismus und Nationalsozialismus als noch nie da gewesene Herrschaftsformen. Die in der Menschheitsgeschichte grundlegende Regel „Du sollst nicht töten“ oder positives Recht werden außer Kraft gesetzt durch das Gesetz der Geschichte, das Recht der Natur. Die Geschichte steuert in einem gigantischen Prozess, zu dessen Teil die Einzelnen werden, auf etwas Größeres zu, auf einen Endpunkt, den es zu erreichen gilt: Die klassenlose Gesellschaft oder die Herrschaft einer Rasse über andere. Die einzelnen Menschen werden ihrer Fähigkeit zu Handeln beraubt und werden zu einem einzigen Menschen, einem Riesenkörper, vom eisernen Band des Terrors und Misstrauens zusammengehalten. Der einzelne Mensch ist verlassen, von sich und den anderen. Es gilt gemeinsam den geschichtlichen Prozess zu erfüllen. Wer A sagt muss auch B sagen, durch Deduzieren wird gerechtfertigt, dass Überflüssiges abzusondern ist. Töten wird rechtens. Mit Menschen, die in solchem Denken gefangen sind, ist es sinnlos zu argumentieren. Dagegen stellt Arendt in Bezugnahme auf Augustinus die Fähigkeit des Anfangens. „Das einzige Gegenprinzip ist unsere Fähigkeit des Anfangs, die Fähigkeit eine Reihe von vorne anfangen zu können“, eine gegebene Richtungslinie mit einem neuen Anfang zu durchkreuzen, eine andere Meinung als die des Mainstream zu äußern, etwas anderes Neues zu denken, sich mit anderen auszutauschen und sich mit ihnen in die Welt einzuschalten. Nutzen wir unsere Möglichkeit, Menschen in unseren Räumen und Seminaren immer wieder in pluraler Gemeinschaft neue Anfänge zu ermöglichen! Waltraud Waidelich Neu: Frauensuche – Frauensehnsucht Gelebte Spiritualität im Wandel des Lebens 22. - 24. November 2013 Spiritualität ist eine Lebenshaltung, die davon ausgeht, dass es eine Kraft hinter den Dingen gibt. Sie ist geprägt von dem Wunsch, sich dieser Kraft zu öffnen. In unterschiedlichen Workshops begeben wir uns auf die Suche nach Formen von Spiritualität. Wir entdecken die eigene Spiritualität und vertiefen sie für einen sinnhaften Alltag, für ein verändertes Handeln in Gemeinschaft. Leitung Dagmar Krok, Susanne Sengstock, beide Frauenwerk der Nordkirche, Katarina Weiher, Osterberg-Institut, Donata Oerke, Dipl.-Päd., Eutin, Claudia Hansen, Coach, Mildstedt Ort Christian Jensen Kolleg, Breklum Kosten Vorzugspreis bis 22. August: 140 EUR (danach 175 EUR) - zzgl. Unterkunft /Verpflegung (ca. 160 EUR) Kooperation Osterberg-Institut, Christian Jensen Kolleg 1. Jahresempfang des Frauenwerkes der Nordkirche Sie sind herzlich eingeladen – reservieren Sie doch einfach schon mal das Datum FR, 25. Oktober, 17 Uhr St. Nikolai, Alter Markt, Kiel Eröffnung Bischöfin Kirsten Fehrs Impuls Zwischen ___ Zeiten Das Geschlecht, die Zeit – und was ist nachhaltig? Prof. Dr. Sabine Hofmeister (Leuphana Universität Lüneburg) Vernissage Kunstobjekte, gefertigt von Frauen der Nordkirche Feiern Sie mit uns – gute Gespräche, köstliche Kleinigkeiten und animierende Impulse garantiert! innovative Projekte | Aktionen 8 „Es geht mir um die Ganzheit des Lebens“ Christiane Eller stellt sich als Referentin des Frauenwerks der Nordkirche vor Gerade bin ich auf einem „Fastenseminar für Erfahrene“ auf Rügen. Hier erleben wir das Fasten als körperliches und spirituelles Geschehen. Ich verbinde es bewusst mit biblischem und theologischem Nachdenken. Es ist beglückend mitzuerleben, mit wie viel Offenheit und Erwartungen die Frauen gekommen sind. Aber das, was dann geschieht, lässt sich nicht wirklich erzählen. Manchmal muss ich an die Wunder in biblischen Heilungsgeschichten denken. Das ist es, worum es mir geht: Ich möchte einen Raum ermöglichen, in dem sich Gott in unserem Miteinander und in einzelnen Frauen ereignen kann. Manche der Frauen zehren dann lange von diesen Erfahrungen. Sie haben nach langer Zeit wieder weinen können oder auf andere Weise Befreiung erfahren und die anderen Frauen an ihrer Erfahrung teilhaben lassen können. Miteinander sind wir im Glauben und in den Ausdrucksmöglichkeiten unseres Gottesvertrauens, in unserer Spiritualität, gewachsen. Als ich 2006 meine Arbeit als Leiterin des Ev. Frauenwerks in Mecklenburg-Vorpommern begann, ahnte ich, wie es sein würde, Seminare mit Frauengruppen zu gestalten. Schon in den Kirchengemeinden in Neubrandenburg und in Dorf Mecklenburg, in denen ich Pastorin war, hatte ich Frauenkreise ins Leben gerufen und andere punktuell thematisch begleitet. Mit dem Neubrandenburger Frauenkreis waren wir jedes Jahr zu einer Wochenendrüste nach Zingst gefahren, weil wir biblisch, geistlich und persönlich arbeiten wollten. Manchmal habe ich über die Ansprüche der Frauen gestöhnt, aber sie haben mich herausgefordert. Foto: Eggers / Nordbild Trotzdem war ich dann von dem Geschenk, das mir die Seminare im Frauenwerk bereiteten, überrascht. Diese Dichte an Erfahrungen, Lebensgeschichten, Nachdenken und Gesprächen, WachsenWollen! Dazu die Atmosphäre der Gemeinschaft! Von meiner Vorgängerin Marlies Richter hatte ich ein anspruchsvolles Programm übernommen. Die ersten Jahre hatten wir damit zu tun, trotz der Stellenkürzungen 2005/2007 dieses Programm aufrechtzuerhalten. Im dünn besiedelten Mecklenburg-Vorpommern werden in der kirchlichen Frauenarbeit Tagesveranstaltungen kaum akzeptiert, dafür Wochenend- und Wochenveranstaltungen umso mehr. Dabei kommt uns sicher die schöne Lage vieler Häuser entgegen. 2006 erschien die Bibel in gerechter Sprache. Mit ihrer Hilfe gelang und gelingt es mir, Frauen neu für die Beschäftigung mit biblischen Texten und dahinter liegenden theologischen Fragen zu gewinnen. Auch durch diesen Aspekt meiner Arbeit fühle ich mich bereichert. Manchmal bin ich traurig darüber, dass ich erst so spät begonnen habe, mich systematisch mit Feministischer Theologie zu beschäftigen. Im Laufe der Jahre habe ich entdeckt, wie wichtig das Abendmahl als Essen ist. Wenn wir leibhaftigen Glauben wollen, müssen wir ihm auch leibhaftig Raum geben. Die Arbeit nimmt viel Platz in meinem Leben ein. Ich kann die Fragen, um die es dabei geht, nicht von meinen persönlichen Fragen trennen. Und sonst? Seit ich nicht mehr im Chor singe, höre ich zunehmend gern Musik. Ich gehe oft ins Kino und Theater und lese viel, liebe es in Ausstellungen zu gehen und nach Berlin zu fahren. Ich kann von schönen Landschaften schwärmen (Geheimtipp: Naumburg mit Umgebung). Ab und zu treffe ich mich mit meinem erwachsenen Sohn. Er hat gerade sein Diplom bestanden und fragt, wie viele Frauen und Männer seiner Generation, nach einem neuen Verhältnis von Arbeit und Leben. Überhaupt bin ich gern mit anderen Menschen, mit Freund_innen im Gespräch. Durch den Arbeitsschwerpunkt meiner Kollegin Sibylle Gundert-Hock habe ich eine Gesprächspartnerin für mein Fragen und Suchen nach einem gerechten Leben und Wirtschaften, das allen Menschen zu Gute kommt, ganz in meiner Nähe. Mein Wunsch, an diesem Thema auch zusammen mit jüngeren Frauen weiterzudenken, wird immer stärker. Es geht mir um die Ganzheit des Lebens. Und nun habe ich neue Kolleginnen in Kiel und Hamburg – und auch mit ihnen bin ich punktuell in intensivem Austausch, für den ich trotz der Entfernung zwischen Stralsund und Kiel (310 km!) sehr dankbar bin. Christiane Eller „2006 erschien die Bibel in gerechter Sprache. Mit ihrer Hilfe gelang und gelingt es mir, Frauen neu für die Beschäftigung mit biblischen Texten und dahinter liegenden theologischen Fragen zu gewinnen.“ Christiane Eller 9 innovative Projekte | Aktionen Frauen der Reformation Für faire Arbeitsbedingungen Postkartenserie Seit den katastrophalen Bränden und dem Einsturz der Fabrik in Bangladesch fragen immer mehr Menschen: Wo bekomme ich sozial- und ökologisch faire Bekleidung? Die Konsument_innen fühlen sich mit schuldig, wenn sie hören, dass mehrheitlich Frauen 7 Tage die Woche 12 Stunden und mehr täglich arbeiten. Das schlechte Gewissen spitzt sich zu, wenn Näher_innen verbrennen oder verschüttet werden. Häufig wird in den Medien gesagt, Schuld seien die Verbraucher_innen, die nicht bereit wären, mehr für Kleidungsstücke zu bezahlen. Jedoch: Teure Markenmode kommt oft aus denselben Billigfabriken! „Welche weiblichen Reformatorinnen kommen dir in den Sinn?“ Noch vor kurzer Zeit hätte ich länger überlegen müssen. Aber das hat sich geändert! Seit einem Jahr steht das Thema „Frauen und Reformation“ auf der Agenda des lutherischen Frauennetzwerkes WICAS (Women in Church and Society). Viele Reformatorinnen sind mir seitdem begegnet und haben mich mit ihrem Engagement begeistert. Auf unserer westeuropäischen Konferenz entstand der Wunsch, die weibliche Seite der Reformation sichtbarer zu machen. Zusammen mit ev.-luth. Frauen aus Italien, Österreich und den Niederlanden entwickelten wir eine deutsch-englische Kartenserie. Sechs Frauen der Reformation sind darauf porträtiert und zeigen, wie durch die Reformation ein neues weibliches Selbstbewusstsein entstand. Es ist nicht fair, den Verbraucher_innen ein schlechtes Gewissen zu machen; denn auch für einen 120 € teuren Adidas-Schuh bekommt der indonesische Lieferant nur 5 € und muss damit Löhne und seine gesamten Kosten inkl. Brandschutzmaßnahmen bezahlen. Wenn wir grob überschlagen, dass eine Frau in einer Fabrik in Bangladesch monatlich 37 € Lohn erhält und pro Tag im Akkord ca. 50 Kinderhosen näht, für die ein Discounter 1 € pro Stück bezahlt und diese für 7 € anbietet, wird klar, dass mit der Schuldabwälzung auf die Verbraucher_innen das eigentliche Verteilungsproblem verschleiert wird. Die wohl bekannteste Reformatorin, Katharina von Bora, leitete nicht nur den Haushalt (mehr als 40 Personen), sie war auch Finanzchefin für die Lutherschriften und beteiligte sich schlagfertig an den Tischreden. Argula von Grumbach, aus altbayrischem Adel, war eine echte Trendsetterin. Sie war eine der ersten Flugschriftenautorinnen und erreichte mit ihren reformatorischen Schriften mehr als 30.000 Leser_innen! Wir von der Kampagne für Saubere Kleidung setzen uns deshalb dafür ein, dass mehr von dem Geld, das die Konsument_innen bezahlen an die Fabrikanten und Näher_innen geht. Sie brauchen mindestens das Drei- bis Vierfache um einigermaßen über die Runden zu kommen. Wir sollten uns der ungerechten Verteilung entgegensetzen und unsere deutschen Konzerne zwingen, mehr von dem Profit an die Frauen zu geben, die die Arbeit tun. Olimpia Morata, hochgebildete italienische Humanistin, erhielt einen Lehrauftrag der Uni Heidelberg. Leider verstarb sie, bevor sie ihn annehmen konnte. Eine Frau, die sich auf ganz andere Art für die Reformation einsetzte, war Brigitta Wallner aus Österreich. Als Botengängerin und Bibelschmugglerin setzte sie sich für Glaubensfreiheit und die protestantische Lehre ein und saß mehrmals im Gefängnis. Nach der Gewährung des Toleranzedikts ließ sie sich als lutherisch registrieren – die Gemeinde Gosau folgte ihrem mutigen Beispiel. Die feministische Philosophin Iris Marion Young sagt sinngemäß, dass, wer von ungerechten Strukturen profitiert und in diese involviert ist, auch an deren Veränderung arbeiten sollte. Das tun wir, wenn wir an politisch Verantwortliche schreiben, uns an Petitionen beteiligen und damit als politisch Handelnde und nicht nur als Konsument_innen unser Menschsein bestätigen. Die Karten gibt es unter 0431 55 779 107 oder [email protected] Julia Lersch Foto: Irmgard Busemann Waltraud Waidelich Mahnwache vor kik, C & A und H &M innovative Projekte | Aktionen 10 Annemarie-Grosch-Haus Ein Haus erhält einen Namen Goethe irrte, als er behauptete, dass Namen Schall und Rauch seien. Im Gegenteil! Ein Gebäude mit einem Namen zu versehen, schafft Identifikation für die Arbeit, die dort geschieht. Aus diesem Grund will der Kirchenkreis Altholstein das Haus „Am Alten Kirchhof 5“ in Neumünster, das sein Zentrum kirchlicher Dienste beherbergt, mit Annemarie Grosch in Verbindung bringen und ihm ihren Namen geben. Herzlich willkommen zur „Haustaufe“ am 20. August, 16 Uhr! Annemarie Grosch leitete von 1953-1977 das Frauenwerk der Schleswig-Holsteinischen Landeskirche, das spätere Nordelbische Frauenwerk. Immer wieder wird ihr Ausspruch ‚Man muss Theologie treiben mit der Zeitung in der Hand‘ zitiert, weil er die enge Verquickung von theologischer Einsicht und Sensibilität für gesellschaftliche Entwicklungen verdeutlicht. Und dafür stand Annemarie Grosch. Sie etablierte Bildungs- und Verkündigungsangebote für und mit Frauen in unserer Kirche - wie die Weltgebetstagsarbeit. Sie initiierte und begleitete aber auch maßgeblich den Bau und den Betrieb von Einrichtungen, wie dem heutigen Ev. Kurzentrum Gode Tied in Büsum. Den Satz aus der Methode der Themenzentrierten Interaktion „Störungen haben Vorrang!“, den Annemarie Grosch gern in der Weiterbildung verbreitet hat, mag auch für die Arbeit des Zentrums kirchlicher Dienste im Kirchenkreis Altholstein gelten. Wer Störungen eine so hohe Bedeutung beimisst, dass sie Vorrang vor allem anderen haben, muss zunächst für sie sensibel sein. Sie bzw. er muss die Veränderungen in der Gesellschaft wahrnehmen und ein offenes Ohr für die Probleme des Gegenübers haben. Sie bzw. er muss die Kreativität und den Mut haben, innovative Veränderungen herbeizuführen. Und sie bzw. er müssen die Beharrlichkeit besitzen, den gewohnten Trott immer wieder aufs Neue zu unterbrechen – darin kann uns Annemarie Grosch ein Vorbild sein. Die „Haustaufe“ werden wir am 20. August um 16 Uhr feiern, den anschließenden Festvortrag „Kirche mit anderen. Impulse für eine weltoffene Orientierung" hält Prof. Dr. Ulrike Wagner-Rau (Marburg). Darauf freuen wir uns sehr. Auch die Annemarie Grosch Frauenstiftung begrüßt diese Namensgebung außerordentlich. D r. J e n s B e c k m a n n Fotos: Evangelische Zeitung, Jens Beckmann Wir vom Zentrum kirchlicher Dienste des Kirchenkreises Altholstein sind auf die Idee gekommen, unsere Hauptstelle in Neumünster auf dem Anscharforum mit ihrem Namen zu versehen, weil diese enge Verbindung von Bildung und Diakonie auch für unsere gesamtgemeindliche Arbeit typisch ist. Von Neumünster aus werden die Angebote des Kindertagesstättenwerks, des Jugendwerks, des Frauenwerks und des Beratungszentrums Kiel koordiniert. Hier haben die Verantwortlichen für die Ökumenische Arbeitsstelle, das Projekt „Kirche und Schule“ und den Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt ihren Arbeitsplatz. Es war ein Grundgedanke in der Fusion der beiden Kirchenkreise Kiel und Neumünster, die Arbeit der Dienste und Werke an einem Ort – in Neumünster – zu konzentrieren. So sollen Synergien der einzelnen noch recht selbstständigen Bereiche gestärkt und das, was man manchmal ein wenig despektierlich „Flurkompetenz“ nennt, genutzt werden. Schon am Beispiel der Kindertagesstättenarbeit wird auf den ersten Blick deutlich, dass hier die Bildung und Betreuung der Kinder untrennbar miteinander verknüpft sind. Ähnliches lässt sich auch im Hinblick auf die Jugendarbeit formulieren: Jugendliche aus dem ganzen Kirchenkreis werden hier fortgebildet, um als Multiplikator_ innen in ihren Gemeinden zu wirken und an der missio dei in die Welt teilzuhaben. Zugleich sollen sie in ihren Partizipationsmöglichkeiten in unserer Kirche gestärkt werden, um ihren Interessen und Meinungen Gehör zu verschaffen. Vom Jugendwerk aus werden aber auch Angebote der offenen Jugendarbeit für Jugendliche geleitet, die sich nicht durch kirchengemeindliche Jugendarbeit ansprechen lassen. Und um ein letztes Beispiel zu nennen: Auch im Kirchenkreis Altholstein ist die schon von Annemarie Grosch gewollte Verbindung von Angeboten des Frauenwerks und der Müttergenesung immer noch aktuell: Wir bieten sowohl Bildungsangebote für Frauen als auch eine Kurberatung für Mütter und Väter an. „Immer wieder wird Annemarie Groschs Ausspruch ‚Man muss Theologie treiben mit der Zeitung in der Hand‘ zitiert, weil er die enge Verquickung von theologischer Einsicht und Sensibilität für gesellschaftliche Entwicklungen verdeutlicht.“ Dr. Jens Beckmann 11 innovative Projekte | Aktionen Hier sind noch Plätze für Sie frei – herzlich willkommen! Seminare Timeless: Zeitlos in der Zeit … 1. Jahresempfang des Frauenwerkes bFR, 25. Okt., 17 Uhr, Kiel bSA, 10. Aug., 11 – 16 Uhr, Kiel Musik aus Ägypten – Musikwerkstatt zum Weltgebetstag Einweihung Annemarie-Grosch-Haus bSA, 26. Okt., 10 – 17 Uhr, Kiel bDI, 20. Aug., 16 Uhr, Neumünster FrauenReisen Hin und weg Stimmungsvolle Klosterreise auf den Schwanberg b14. – 21. Sept. (Anmeldeschluss: 12. Juli) Barcelona und Mehr … Wandel und Gewand Tageswerkstätten zum Weltgebetstag bDO, 22. Aug., 18 – 21 Uhr, Hamburg bSA, 2. + MI, 6. Nov., 10 – 18 Uhr, Kiel Im Rad meines Lebens Gib der Seele ein Zuhause bDO, 29. Aug. – SO, 1. Sept., Hartenholm bFR - SO, 8. – 10. Nov., Regensburg: Damenstifte, Fürstin, Knabenchor und besondere Weihnachtsmärkte! Damm (Bad Doberan) Mein Beruf: Was Spaß macht, kann frau /man besonders gut bDO, 29. Aug., 19 – 21 Uhr, Hamburg Und vergib uns unsere Schuld Geschlecht und Skandale im Geldgeschäft Mehr, als nur die Frau an seiner Seite: Walpurga Bugenhagen Auf das Herz eines anderen Menschen lauschen bSA, 16. Nov., 11 – 16 Uhr, Kiel bFR, 20. Sept., 18 – 21 Uhr, Hamburg Gottesdienst und Friedensengagement – bei uns und weltweit Ich tanze, also bin ich bSA, 21. Sept., 10 – 16 Uhr, Kiel Die Kunst, Prioritäten zu setzen bFR, 27. Sept., 10 – 16 Uhr, Kiel bFR, 22. Nov., 17 - 21 Uhr, Hamburg SA, 23. Nov., 11 – 17 Uhr, HH bSO, 29. Sept. – DI, 1. Okt., Ammersbek bFR – SO, 22. - 24. Nov., Breklum Edler als die köstlichsten Perlen – Gespräch mit jüdischen Frauen bFR, 18. Okt., 18 – 21 Uhr, Bad Segeberg Mit Lust und Leidenschaft: Feministisch denken und reden von Gott SA, 19. Okt., 10 – 13 Uhr, Bad Segeberg bFR, 29. Nov., 15 – 18 Uhr, Kiel Mit Schwung Veranstaltungen moderieren bMO, 21. Okt., 10 – 17 Uhr, Kiel (Anmeldeschluss: 8. Okt.) Denkwerkstatt: Feministische Ethiken NEU: Frauensuche – Frauensehnsucht. Gelebte Spiritualität im Wandel des Lebens bSA, 19. Okt., 10 – 17 Uhr, Hamburg b2. – 6. Dez. bSO, 17. Nov., 10 – 15 Uhr, Dithmarschen Werkstatt zum Weltgebetstag aus Ägypten Rituale in der Natur (Anmeldeschluss: 12. Juli) bDO, 14. Nov., 19 – 21 Uhr, Hamburg bFR, 6. Sept., 10 – 17 Uhr, Kiel SA, 21. Sept., 10 – 17 Uhr, HH SO, 22. Sept., 10 – 14 Uhr, HH b9. – 13. Okt. Meditation für mich – Meditation für dich bFR, 6. Dez., 10 – 16 Uhr, Kiel Anmeldung + Infos Seminare: 0431 – 55 779 112 (Bärbel Rimbach) Reisen: 0431 – 55 779 111 (Kirsten Larsen) Das Weihnachtsoratorium tanzen bFR – SO, 6. – 8. Dez., Sellin (Rügen) Entwicklungspolitische Werkstatt zu Ägypten bSA, 7. Dez., 10 – 16 Uhr, Kiel Oder buchen Sie online: www.frauenwerk.nordkirche.de Projekte | Aktionen innovative 12 Who cares? Sorge um die Sorge Care bzw. Sorgearbeit erlebt in der feministischen Debatte eine Renaissance, auch in der Frauensynode. Die Genderaccounting-Bilanz im 1. Gleichstellungsbericht der Bundesregierung belegt, dass Frauen zwischen 18 und 64 Jahren für 708.186 € unbezahlt arbeiten, während Männer dies nur für 382.566 € tun. Ein großer Teil davon ist Sorge für andere. Kein Wunder, dass Frauen in Armutsberichten regelmäßig schlechter abschneiden, als Männer. Es gibt einen Trend, unbezahlte Arbeitsstunden in prekäre, aber immerhin bezahlte Stunden zu transformieren. Statt selbst zu kochen, gehen wir ins Restaurant, bestellen Pizza oder nutzen Fertigprodukte. In Fabriken entsteht so Erwerbsarbeit und Unternehmen erwirtschaften Gewinne. Kinder werden in bezahlten Kitas betreut, Hausarbeit wird auf schlecht bezahlte Migrantinnen abgewälzt. Mit dem Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für unter Dreijährige wird zurzeit noch schleppend unbezahlte Sorgearbeit in bezahlte Fürsorge überführt. Die Versorgung älterer Menschen leisten Pflegedienste oder die Heime. Die Pflegeversicherung befördert den Umwandlungsprozess von unbezahlter in erwerbsförmige Sorgetätigkeit, wenngleich der größte Anteil dieser Arbeit immer noch minimal bezahlt oder unentgeltlich von Frauen erbracht wird. Im 1. Gleichstellungsbericht heißt es: „Männer und Frauen werden befähigt, für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen und auch eine eigene soziale Sicherung aufzubauen.“ Das Ernährer-VersorgerModell, in dem die Sorgearbeit in der Ehe indirekt über abgeleitete Rentenansprüche oder in Abhängigkeit vom Partner über das Ehegattensplitting bezahlt wird, ist im Auslaufen begriffen, auch wenn die Politik der kulturellen Entwicklung noch hinterher hinkt. Sind wir auf dem richtigen Weg? Das Modell der „universellen Erwerbsbürgerschaft“, wie es im Soziologendeutsch heißt, setzt sich als kulturelles Leitbild durch. Gemeint ist, dass man/frau unter Emanzipation versteht, sich am Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsmodell von Männern zu orientieren. Wäre es nicht auch andersherum denkbar? Dass Sorge für Menschen und Natur, Empathie und Zeit für andere keine randständige Existenz neben einer Marktökonomie führen oder gar in sie integriert würden? Die Erklärung der Nordelbischen Frauensynode 2007 zu einer vollwertigen Bezahlung von privater Sorgearbeit durch ein Care-Geld jenseits von Profit, finanziert analog zur Pflegeversicherung, war ein Vorschlag in diese Richtung. Die Idee wurde von Ursula G. T. Müller in ihrem gerade erschienenen Buch über die politische Verortung des Feminismus aufgegriffen. Für sie knüpft das Care-Geld an die Lohn-für-Hausarbeitsdebatte der 70er Jahre an und ändert unser Arbeitsverständnis grundlegend. Mit ihrer Vier-in-einem-Perspektive legt die Soziologin Frigga Haug ein konkretes Modell vor, das immer mehr Beachtung findet. Frauen und Männer arbeiten gleichermaßen ein Viertel der Zeit erwerbsförmig, ein Viertel für Reproduktion, also Sorge, ein Viertel für die eigene Bildung und ein Viertel für die Politik. Aus einer anderen Richtung wird das bedingungslose Grundeinkommen gefordert. Bei manchen Vertreter_innen ist damit auch die Sorgearbeit abgegolten, was allerdings von feministischen Befürworterinnen des Grundeinkommens nicht so gesehen wird. Frauen des Netzwerks „Vorsorgendes Wirtschaften“ denken über eine Theorie der Sorge, Fürsorge und Vorsorge nach. Sie wollen das gängige Verständnis von Wirtschaft und die auf Nutzenmaximierung gründende Ökonomie des 18. Jahrhunderts grundlegend reformieren. Die Natur bedarf der Sorge und auch wir Menschen sind am Anfang und Ende des Lebens auf Sorge und Empathie anderer angewiesen. Wie wir mit dem überwiegend von Frauen geschulterten Arbeitsvolumen der unbezahlten Arbeit umgehen, bedarf unserer intensiven Sorge. Die Frauensynode der Nordkirche wird sich mit den verschiedenen Positionen zur Care-Debatte erneut beschäftigen. Waltraud Waidelich Ursula G. T. Mueller: Dem Feminismus eine politische Heimat 13 innovative Projekte | Aktionen Schon damals haben wir zusammen gearbeitet West-Ost-Partnerschaften „Ich habe aus den Jahren bei der Frauenhilfe sehr viel Gutes auch für mich persönlich mitgenommen. Die vielen Weiterbildungen, die Treffen mit Frauen aus Ost und West auf den Tagungen der Frauenhilfe in der DDR …, das hat mich sehr bereichert. Ich hatte den Eindruck, dass … unsere Arbeit anerkannt wurde … Durch das hervorragende Material, die ‚Arbeitshilfen‘ und den Weltgebetstag konnten wir einmalige Veranstaltungen bieten, wie sie nur von uns kamen. Für viele Frauen war das auch eine Möglichkeit, einmal etwas anderes zu hören und zu sehen, nicht nur immer diesen DDRStil. Wir waren gebildet durch die Hilfe aus dem Westen. Hatten Westlektüre.“ So berichtet Beate Brodowski, ehemalige Referentin, in der Chronik der Mecklenburgischen Frauenhilfe über ihre Arbeit in den 70er und 80er Jahren. Sie ist nicht die einzige der interviewten Mitarbeiterinnen, die hervorhebt, was „Westmaterial“ und „Westlektüre“, was Weiterbildungen und Begegnungen mit Frauen aus den Kirchen in der alten Bundesrepublik für ihre Tätigkeit bedeutet haben. Dietlind Glüer, Referentin für Familienarbeit, erzählt von ihren Weiterbildungen in der Schweiz, wie sie Ueli und Marlies Ott kennen gelernt hat und sie dann jährlich „mit einem Auto voller Material“ nach Mecklenburg kamen, um Seminare in Familienarbeit anzubieten. Ein Kinder- und Jugendtherapeut aus Westberlin kam ebenfalls, um zusammen mit D. Glüer ein Familientraining für Familien mit verhaltensauffälligen Kindern anzubieten. Dietlind Glüer konnte aufgrund dieser erworbenen Fähigkeiten auch als Multiplikatorin für Familienarbeit wirken. Aenne Richter hat als Frauenkreisleiterin in Wismar die Segnungen des „kleinen Grenzverkehrs“ zu schätzen gelernt, den Austausch mit einer Frauengruppe aus Lübeck. 1984 war sie Gast beim Nordelbischen Frauenwerk. Das war ihre erste Westreise, die sie zusammen mit einer anderen Ehrenamtlichen antrat. Dafür hatte die Leiterin der Mecklenburgischen Frauenhilfe gesorgt, die wusste, wie überfordert eine Frau allein bei ihrer ersten Begegnung mit der „Westwelt“ war. „Eigentlich war die Braunschweiger Frauenhilfe unsere Partnerfrauenhilfe ..., nur dass wir zu den Braunschweigern keinen Draht fanden. Doch dann ergab sich ein erster Besuch der Leiterin des Nordelbischen Frauenwerks Heide Emse bei mir. Wir spürten sehr schnell eine Verbundenheit …. Das Nordelbische Frauenwerk war z. B. damals federführend in der feministischen Theologie.“ So schildert Inge Heiling, die damals die Mecklenburgische Frauenhilfe leitete, den Beginn zahlreicher wichtiger Kontakte und Treffen. Auch ich weiß beim Lesen sofort, wovon die Frauen sprechen. Als Schülerin nahm ich an Ostertreffen mit westdeutschen Jugendlichen in Berlin teil. Die Westdeutschen mussten unsere Gruppe abends verlassen, um über die Grenze zurückzukehren in ihr Quartier. Natürlich brachten sie nicht nur Apfelsinen, Bananen und Schokolade mit, sondern auch Bücher, die es in der DDR nicht zu kaufen gab, und die unser Leben geprägt haben: Dorothee Sölles „Hinreise“, Erich Fromms „Haben oder Sein“ oder die in der DDR nicht gedruckten Werke unserer eigenen Autoren. Diese Treffen waren vor allem durch die Begegnung mit freiem Denken sehr wichtig für mich. Uns „einfachen Gemeindegliedern“ im Osten war die Vielfalt der Partnerschaftsarbeit zwischen West und Ost nicht bekannt. Mit der friedlichen Revolution 1989 hörten viele dieser Begegnungen auf. Immer wieder habe ich von Menschen aus den alten Bundesländern gehört, wie enttäuscht sie über den Abbruch waren. Als im letzten Jahr unsere Chronik entstand, wurde mir neu deutlich, welche große Rolle die Partnerschaftsarbeit West-Ost für unsere kirchliche Arbeit in der DDR gespielt hat. Ich denke, dass im Fusionsprozess des Frauenwerks diese gemeinsame Vergangenheit eine Rolle spielen sollte. Wir blicken bereits auf eine uns verbindende Geschichte zurück. Wir können unsere gegenseitige Dankbarkeit noch einmal ausdrücken und Enttäuschungen miteinander anschauen. Und dann den Blick nach vorn auf eine neue gemeinsame Partnerschaft Richtung Osten oder Süden richten. Christiane Eller 1987 am Schweriner See, v.li.: Inge Heiling (Mecklenburgische Frauenhilfe), Imke Lange, Annette von Stritzky ( Pawelitzki) – beide Ev. Frauenwerk Kiel Besuch des Ev. Frauenwerkes Kiel 1987 in Schwerin, v.li.: Annette von Stritzky (Pawelitzki), Inge Heiling (Mecklenburgische Frauenhilfe), Anna-Elisabeth Heister innovative Projekte | Aktionen Räume Rückenschulung Viele Mütter, die als Patientin das Evangelische Kurzentrum Gode Tied in Büsum besuchen, kommen mit Rückenschmerzen. Das viele Heben der Kinder im Baby- und Kleinkindalter und die Belastungen durch die Tätigkeiten im Alltag führen dazu. Ebenfalls tragen die psychischen Herausforderungen durch Partnerschaftsprobleme, Erziehungsschwierigkeiten und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu den Rückenschmerzen bei. In der Mutter-Kind-Klinik Gode Tied in bekommen die Mütter Impulse zu einem veränderten Bewegungsverhalten und einer verbesserten Körperhaltung. In der physikalischen Therapie (Leitung: Jörg Fuglsang) leitet die Physiotherapeutin Doreen Lorenzen diese Rückenschulungen engagiert und humorvoll. Mit praktischen Beispielen aus dem Alltag und gezielten Übungen lernen die Frauen, sich wieder aufzurichten und ihren Rücken zu stärken. Neue Bewegungsabläufe werden trainiert und während der dreiwöchigen Kur gefestigt. Rückenschulen gelten als Klassiker unter den physiotherapeutischen Schulungen, haben sich bewährt und setzen sich als geeignete Methode bei Rückenproblemen weiterhin durch. Andere Anwendungen in der Physikalischen Therapie sind Krankengymnastik, Wassergymnastik, Massagen, Wannenbäder, Schlickpackungen, Reizstrom u. a., je nach medizinischer Indikation. Das fünfköpfige Team wird ergänzt von einer Bewegungstherapeutin, die Walking an der frischen Nordseeluft sowie freie Sportangebote anbietet. Andrea Boyer Weitere Infos Ev. Kurzentrum Gode Tied 04834 - 9509 0 [email protected] www.godetied.com Anzeige Sibylle Gundert-Hock – Referentin des Frauenwerks der Nordkirche Räume öffnen, in denen Frauen sich begegnen und sich mit Lebensgestaltung oder weltweiter Gerechtigkeit beschäftigen. Räume schaffen, in denen die Stärken und Schwächen angeschaut werden und sich neue Sichtweisen und Handlungsräume öffnen – bei einer Bibelarbeit, beim meditativen Tanz oder beim Versuch, die eigene Stimme auszuprobieren. „Das Gute ist“, sagte eine Teilnehmerin, „dass ihr uns ganz vorsichtig in Bewegung bringt und dass sich dann in Seminaren immer wieder neue Wege öffnen. Da wird Veränderung möglich …“ Räume öffnen wir jedes Jahr, wenn wir uns mit dem Weltgebetstag beschäftigen, mit einem Land und dem Alltag der Frauen dort. In Mecklenburg und Vorpommern geschieht das in Zusammenarbeit mit zwei erfahrenen Teams von Ehrenamtlichen. Als Referentin bin ich dabei Moderatorin, begleite Gruppenprozesse – immer wieder frage ich mich auch, wie wir der komplexen Lebenswirklichkeit von Frauen in anderen Kulturen noch besser gerecht werden. Auch mit Fortbildungsangeboten für Multiplikatorinnen öffnen wir neue Räume, z. B. mit der Reihe „Frauen Stärken – kompetent im Ehrenamt“. Wir bieten die Möglichkeit, bei mehrtägigen Seminaren neue Beziehungen zu knüpfen, alte zu stärken und Gemeinschaft in der Auseinandersetzung mit inhaltlichen und kreativen Herausforderungen zu erleben. Bevor ich 2008 im Frauenwerk MecklenburgVorpommern (M-V) anfing, habe ich als Koordinatorin im Eine-WeltLandesnetzwerk M-V gearbeitet und mich mit entwicklungspolitischer Bildung befasst. Ich habe in Deutschland und Nigeria an Hochschulen als Ethnologin und Erwachsenenbildnerin unterrichtet, bin mit meiner Familie von Schwaben nach Mecklenburg gezogen und habe dort drei Söhne aufwachsen sehen. Mir wurde dieser Ausschnitt der Fülle des Lebens, den ich nun viele Jahre im Frauenwerk mit gestalte, zu einer schönen und manchmal ganz schön anstrengenden Aufgabe. Seit Mai 2012 bin ich Referentin des Frauenwerks der Nordkirche. D r. S i by l l e G u n d e r t- H o c k Foto: Eggers / Nordbild Neue Haltung 14 Dr. Sibylle Gundert-Hock 15 innovative Projekte | Aktionen Engagiert über alle Grenzen hinweg Europäische Lobby für Frauen 30 Jahre Ökumenisches Forum christlicher Frauen in Europa (ÖFCFE). Im September 2012 trafen sich 61 Frauen aus 29 Ländern zum Jubiläum in Malvern/Worcestershire. Unsere Gastgeberinnen hatten einen traumhaften Ort von magischer Ausstrahlung ausgewählt, ein ehemaliges Pensionat im Tudorstil mit eigener Kapelle. Es war wohltuend, wie liebevoll wir begrüßt wurden, bereits am Flughafen in Birmingham mit Transfer in die Malvern Hills der West Midlands. Kopräsidentinnen, Coordinating- Committee und Gastgeberinnen hatten ein reichhaltiges Programm vorbereitet, so auch ein Treffen mit Frauen vor Ort in der mittelalterlichen Benediktinerabtei. Eigens zu diesem Termin erschien eine neue Publikation mit dem Titel: Three generations – with energy und vision. 30 years Ecumenical Forum of European Christian Women 1982 - 2012. Mitherausgeberin der englischsprachigen Publikation bin neben Kopräsidentin Martina Heinrichs und Gabriele Kienesberger auch ich, Cornelia Göksu, verantwortlich für die Redaktion. Nachdem unsere erste Dokumentation der Geschichte(n) unseres Forums „Ökumene weiblich“ den Grundstein gelegt hatte, begeisterte sich ein engagiertes Redaktionsteam für diese Mischung aus Chronik und Imagebroschüre. Rückgrat ist die Zeitleiste mit Namen der „Gründungsmütter“ und Kerndaten der Forumsgeschichte sowie ein lebensgeschichtliches Interview mit Ruth Epting. Das Forum präsentiert sich im zweiten Teil: lÖkumemische Frauen teilen ihren Glauben miteinander lJunge Frauen und ihre Perspektiven lAusblicke in die Zukunft. Vorgestellt werden die Modellprojekte des Forums auf europäischer Ebene. Darunter gleich zwei „Herzensanliegen“ unseres deutschen Forums, der Egeria-Pilgerweg und die „Nachbarinnen-Konferenzen rund um die Ostsee“. In ihrem 93. Lebensjahr war unser ältestes Ehrenmitglied und „Gründungsmutter“ Ruth Epting aus Basel angereist. Auf der Bühne des zum Tagungszentrum gehörenden Theaters wurde sie von Kopräsidentin Martina Heinrichs, Niederlande, und Asea Railean aus Moldawien interviewt. Auf Europaebene arbeitet das Forum zurzeit an folgenden Themen: und Spiritualität lWirtschaft und Ökologie lJunge Frauen im Forum. Eine Gruppe junger Frauen hatte sich 2010 bei der Generalversammlung in Loccum zusammengeschlossen, um zu erarbeiten, was für sie im Forum wichtig ist und wo sie ihren Platz sehen. Ganz engagiert arbeitet nun eine Gruppe an der Idee „Kloster auf Zeit“ (Pop-up Monastery). Konkret heißt dies: Wir wollen eine Zeit im Sommer in einem ruhig gelegenen Ort anbieten, wo Frauen aller Generationen miteinander ins Gespräch kommen – Frauen aus allen europäischen Ländern, Frauen aller Glaubensrichtungen. Julia Lersch aus dem Frauenwerk der Nordkirche und dem deutschen Forum plant in dieser Gruppe mit. lLiturgie Besonders beeindruckend fand ich, Waltraud Liekefett, einen Workshop zum Thema ‚Kostbarkeiten unseres Glaubens‘: „In unserem ökumenischen Miteinander ist es so wichtig zu hören, was den Schwestern anderer Glaubensrichtungen wesentlich ist. Es ist ebenso wichtig wahrzunehmen: Wenn katholische und evangelische Schwestern Freiheit benennen, so interpretiert Jede diese Freiheit doch unterschiedlich. Und dann erklärte uns eine orthodoxe Schwester, wie wichtig ihr die Ikone ist, und wie sehr sie die liturgischen Gesänge liebt. So ein Workshop ist einfach ÖFCFE pur, und ich weiß, warum dieses Forum für mich wichtig ist. Ich möchte sehr bewusst unsere Unterschiede wahrnehmen und verstehen und dann erleben, dass wir trotz der Unterschiede sehr schöne Andachten und Gottesdienste miteinander feiern können – so auch in Malvern“. Pastorin Johanna Friedlein: „Für mich war es eine große Freude, mit der jungen Schottin Fiona Buchanan die liturgische Abschlussfeier vorzubereiten und durchzuführen.“ Ein Workshop brachte die Idee, in Zukunft auch ein Nachbarinnen-Treffen „entlang der Donau“ zu planen. Wir im ÖFCFE Nord freuen uns auf eine lebhafte Zusammenarbeit auch in den neuen Regionen unserer Nordkirche! D r. C o r n e l i a G ö ks u , Wa l t r a u d L i e ke fe t t Mehr unter www.oekumeneforum.de www.efecw.net Projekte | Aktionen innovative 16 Solidarisch für Frauen Die Projektarbeit des Weltgebetstages Das Deutsche Weltgebetstags-Komitee setzt mit seiner Projektarbeit Akzente für eine nachhaltige, geschlechtergerechte und Frauen stärkende Entwicklungszusammenarbeit. Das entwicklungspolitische Engagement des Weltgebetstags orientiert sich dabei am christlichen Menschenbild: Jeder Mensch ist Ebenbild Gottes, die Würde jedes Menschen ist unantastbar. Aus dieser Perspektive ist das Interesse an einem „guten Leben“ von jeder und jedem Einzelnen untrennbar mit dem „guten Leben“ der Gemeinschaft verknüpft: leidet ein Teil, leiden alle. Seit 1975 konnten mit den Kollektengeldern fast 6.000 Projekte in rund 150 Ländern mit ca. 63 Mio. € unterstützt werden. Für den Weltgebetstag 2012 sind Kollekten in Höhe von mehr als 2,8 Mio. € eingegangen, von denen 95 Frauenprojekte weltweit gefördert wurden. Es geht dem WGT darum, Ausbeutung und Ungerechtigkeit nicht nur zu benennen, sondern die strukturellen Barrieren, insbesondere für bisher benachteiligte und machtlose Frauen, zu verändern. Ein gleichwertiges Anliegen ist, die alltäglichen Lebensbedingungen von Frauen ganz praktisch und unmittelbar zu verbessern. Auch in Ägypten, dem nächsten Weltgebetstagsland, gibt es zwei spannende Projekte, die mit den Kollekten der WGT-Gottesdienste unterstützt werden: In den letzten zehn Jahren fanden in Ägypten kaum politische oder soziale Reformen statt. Die Revolution führte neben positiven Errungenschaften zur Verschlechterung der bereits schwierigen ökonomischen Situationen für Frauen. In der Region Menya (Oberägypten) leben viele Menschen unter der Armutsgrenze, die Analphabetenrate von Frauen liegt bei fast 60 % und viele der Schulabgängerinnen werden arbeitslos. Diesen Problemen will AUEED begegnen, seit Längerem wird die „Vereinigung für Bildung und Entwicklung“ vom Weltgebetstag gefördert. So hat AUEED in den vergangenen Jahren zahlreiche Alphabetisierungskurse für Frauen und Mädchen gefördert, Vorbereitungskurse für weiterbildende Schulen angeboten und zahlreichen Frauen berufliche Fortbildungen ermöglicht. In den nächsten zwei Jahren sind außerdem Kurse zur Sensibilisierung von Frauenrechten und Geschlechtergerechtigkeit, sowie weitere Alphabetisierungs- und Fortbildungskurse geplant. Das Ziel von AUEED ist, dass sich der Bildungsstand und die Einkommensmöglichkeiten von Frauen und Mädchen in sechs Dörfern der Region Menya verbessert. Langfristiges Ziel ist, eine Sensibilisierung für Frauenrechte und Geschlechtergerechtigkeit in den sechs Dorfgemeinschaften zu erzielen. Eine zweite Initiative aus Ägypten, die in diesem Jahr gestartet ist, sind die „Peace women across the globe (PWAG)“ – die Friedensfrauen weltweit. Viele im Raum der Nordkirche haben durch die Frauenfriedenstage bereits von den Friedensfrauen gehört oder schon mit ihnen gearbeitet. PWAG ist ein globales Netzwerk, das darauf abzielt, den Einfluss von Friedensfrauen weltweit zu stärken, die sich mit Kreativität, vielfältigen Methoden und Mut für Frieden, soziale Gerechtigkeit und eine sichere Zukunft einsetzen. Das Netzwerk will die tägliche Friedensarbeit der Frauen sichtbar machen und regionale und thematische Plattformen schaffen, auf denen Austausch zu Strategien und Methoden stattfinden sowie gemeinsame Projekte entwickelt werden. Gewährleistet wird die Partizipation von Frauen im Demokratisierungsprozess auf allen politischen Ebenen mittels eines Aktionsplans, der im Dialog zwischen allen sozialen Ebenen ausgearbeitet wird. „Informiert beten – betend handeln“ das Motto der WeltgebetstagsBewegung wird in der Projektarbeit sichtbar: Gottesdienst und Engagement für Gerechtigkeit und Frauensolidarität sind untrennbar miteinander verbunden. Julia Lersch Letzte Meldung 20 Frauen der Frauenarbeit in der Nordkirche fahren im September nach Ägypten, um sich in Frauenprojekten direkt vor Ort für den Weltgebetstag 2014 zu informieren! Fotos : AUEED Gottesdienste zum Weltgebetstag (WGT) werden in über 170 Ländern gefeiert. Seit der Gründung der Weltgebetstagsbewegung ist die Kollekte ein wichtiger Bestandteil, sie ist sichtbares Zeichen weltweiter Verbundenheit und Solidarität. 17 innovative Interview Genau wahrnehmen - wertschätzen - forschen Sie sind Professorin für Praktische Theologie … Ich forsche ausgesprochen gern und finde es faszinierend, eine Idee zu haben aus der sich dann etwas entwickelt. Gerade in der Praktischen Theologie gibt es die Chance, Wissen mit Reflexion und Erfahrungen zu verbinden. Ich lehre sehr gern und rege Studierende an, sich über Themen ein Urteil zu bilden, ihre Erfahrungen mit theologischen Themen zu verbinden und darüber dann zu diskutieren. Ihnen liegt ein Kirchenbild am Herzen, das weit über die Ortsgemeinde hinausgeht. Ich plädiere dafür, Kirche auf unterschiedlichen Wegen zu denken, immer in Bezug auf die gemeinsame Aufgabe, das Evangelium zu kommunizieren. Das gilt genauso für die Ortsgemeinde wie für alle anderen Gemeinden, die Personalgemeinde, die Jugend- oder Frauengemeinde oder andere. Die Ortsgemeinde hat eine lange Tradition, ihre herausragende Stellung ist aber nicht theologisch begründet und sie kommt so auch nicht in der Bibel vor. Das territoriale Prinzip, das Menschen nach ihrem Wohnort einer Gemeinde zuordnet, stammt aus dem Mittelalter. Es musste klar sein, wo sie ihren Zehnten abgeben sollen. Aus praktischen Gründen hat es sich dann kirchenrechtlich durchgesetzt, so dass die Ortsgemeinde in den meisten Kirchenverfassungen eine wichtige Grundlage bildet. Das setzt sich fort in Synoden, wo die Gewichte zugunsten der Ortsgemeinde ungleich verteilt sind. Aber diese Form eignet sich lange nicht für alle Menschen. Anderen liegen andere Formen von Gemeinde näher. Deswegen ist es schwierig, eine Form von Gemeinde so hervorzuheben, wenn man möglichst viele und unterschiedliche Menschen mit der christlichen Botschaft erreichen will. Sie sind Dekanin – gab es schon einmal eine Dekanin? Ich bin die erste Dekanin der Theologischen Fakultät seit 1665, solange gibt es die Christian-Albrechts-Uni. Als Dekanin leite ich den Fakultätskonvent und repräsentiere die Fakultät nach außen. Ich ar- „Ja, ich bin für eine Quote, weil ich der Überzeugung bin, dass sonst diese Mechanismen, unbewusst Männern größere Kompetenzen zuzutrauen, greifen.“ beite allerdings eng zusammen mit den Prodekanen, wir begreifen uns erstmalig als Dekanatsteam. Es macht mir Spaß, in Richtung Kommunikation und Transparenz etwas zu verändern. Gendersensibilität ist eines Ihrer Themen – warum? Mir ist wichtig, das Geschlecht als wichtige Kategorie des Menschseins wahrzunehmen, damit es nicht durch die Hintertür ungut wirkt. Nach wie vor werden Menschen stark über ihr Geschlecht festgelegt, meist unbewusst. Wir sortieren Menschen in Geschlechter und verbinden bestimmte Erwartungen an ihr Handeln und Denken. Gerade im beruflichen Kontext ist die Gleichstellung noch lange nicht erreicht, obwohl gerade bei der Frage nach Qualität das Geschlecht keine Rolle spielen sollte. Es gab kürzlich ein interessantes Forschungsprojekt an der Uni Yale: Eine Forschungsgruppe hat auf Stellenausschreibungen geantwortet, mit fiktiven identischen Bewerbungsunterlagen, nur der Vorname war männlich bzw. weiblich. Bei Männern wurden die Kompetenzen deutlich höher eingeschätzt und ein höheres Gehalt angeboten – bei identischen Bewerbungsunterlagen. Menschen tendieren offensichtlich nach wie vor dazu – egal ob Männer oder Frauen – die Kompetenzen von Männern höher zu bewerten als die von Frauen. Sind Sie für eine Quote? Ja, weil ich der Überzeugung bin, dass sonst diese Mechanismen, unbewusst Männern größere Kompetenzen zuzutrauen, greifen. Ich las neulich: Wenn man annimmt, dass sich die Ungleichheit in der Verteilung von Männern und Frauen in Aufsichtsräten von selbst erledigen würde, müsste man 792 Jahre warten, wenn man die Zahlen der letzten Jahre zugrunde legt. Die Quote könnte das deutlich verbessern. Die richtigen Menschen müssen auf die richtigen Posten kommen, das wird mit einer Quote gefördert. Sie haben den Bibliolog eingeführt ... Ich habe dazu beigetragen, ihn in Deutschland, Europa und mittlerweile auch in Südafrika zu verbreiten. Erfunden hat ihn Peter Pitzele, ein jüdischer Nordamerikaner, mit dem ich befreundet bin. Das Spannende am Bibliolog ist, dass eine Gruppe in die Lage versetzt wird, mit dem Bibeltext kreativ umzugehen. Die Leitung moderiert den Prozess zwischen Text und Menschen. Dabei entstehen lebenFoto: DEK T J. Schulze Prof. Dr. Uta Pohl-Patalong im Gespräch mit Annette von Stritzky über Geschlechtergerechtigkeit, die Lust am Forschen, das Engagement als Dekanin, den Gemeindebegriff, kreativen Bibliolog – und ein Pferd, das interessante Rückmeldung gibt. Prof. Dr. Uta Pohl-Patalong Prof. Dr. Uta Pohl-Patalong (*1965) Bezogen ... innovative Interview dige und spannende Begegnungen und Auslegungen. Bibliolog unterscheidet das schwarze Feuer (die Buchstaben des Textes) und das weiße Feuer (Zwischenraum zwischen den Buchstaben). Eine der besonderen Chancen des Bibliologs ist, dass einerseits Menschen, die mit der Bibel vertraut sind, Bibeltexte neu entdecken, und andererseits diejenigen, die die Bibel nicht kennen, neugierig werden auf die Texte – und zu ihrer Auslegung Wertvolles beitragen. Sie halten einen Vortrag zum Thena „Gott“ bei der Leser_innen-Uni der Kieler Nachrichten – worum wird es gehen? Es geht am 11. Dez. darum, religionssoziologische Erkenntnisse allgemeinverständlich darzustellen. Die Bitte ist, dass wir mit einem Quiz beginnen, dessen Fragen im Laufe des Vortrags beantwortet werden. Ich frage z. B., wie die Menschen den Gottesdienstbesuch im 19. Jhd. einschätzen. Er war deutlich niedriger als heute – in den großen Städten schätzen wir 1,5 % der Kirchenmitglieder; für Preetz lag er 1864 bei 2,3 %, heute liegen wir bei 3,7 %. Das sind interessante Erkenntnisse, wenn man den Eindruck hat, früher war alles besser. Solche Erkenntnisse motivieren, mit Klischees aufzuräumen. Wie könnte die Nordkirche in zehn oder zwanzig Jahren aussehen? Meine Vision wäre, dass es nicht mehr relevant ist, aus welchem Bundesland jemand oder ein Thema kommt, weil die verschiedenen Traditionen zu einem gemeinsamen Erfahrungsschatz geworden sind. Eine der Herausforderungen für die (Nord)Kirche ist, das Interesse an Religion noch deutlicher wahrzunehmen. Es gibt eine stärkere Offenheit für religiöse Fragen. Das klassische Gegenüber von Egoismus und Altruismus ist für die meisten Menschen, gerade für die Jüngeren, nicht mehr vorhanden, sondern viele Menschen suchen einen Weg, um sinnvoll für sich und andere und die Gesellschaft und die Natur und global zu leben. Diesen Prozess könnte die Kirche noch intensiver und gesellschaftsrelevanter unterstützen. Was können Sie richtig gut? Ich kann komplexe Themen strukturieren, das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden. Ich erfasse schnell, was hinter einer Aussage, einem Konflikt, einem Problem steht. Ich ermutige Menschen, ihre Stärken zu entfalten. Wertschätzung ist mir wichtig, das üben wir auch in den Seminaren. Was fällt Ihnen nicht so leicht? Gebrauchsanweisungen zu verstehen und sie zu befolgen. Und ich kann schlecht räumlich und grafisch denken. Wenn Menschen schnell etwas aufzeichnen, um etwas zu verdeutlichen, sage ich immer: „Erzähl es mir oder schreibe es auf“. Sie haben eine Tochter – wie kombinieren Sie und Ihr Mann Beruf und Familie? Ich habe eine ganze Stelle, mein Mann eine halbe und Freiberuflichkeit dazu. Wir haben unseren Alltag klar organisiert, bestimmte Tage mit Zuständigkeit für Haushalt und Kind. An diesen Nachmittagen nehme ich nur dienstliche Termine an, wenn ich mit meinem Mann tausche oder sie alleine bleiben kann oder anderweitig verabredet ist. Ich arbeite viel abends und am Wochenende, weil ich ein relativ hohes Stundenaufkommen habe in meinem Beruf. Wo tanken Sie auf? Ich habe ein Pferd, das mir außerordentlich gut tut – eine Verpflichtung zur Freizeit. Pferde erwarten von einem, dass man präsent ist. Wenn ich mein Pferd über den Hof führe und beispielsweise in Gedanken noch in der Uni bin, bleibt er stehen und „fragt“, wo ich eigentlich bin. Bei einem Ausritt, idealerweise im Galopp über die Stoppelfelder, ist die Uni weit weg. Daneben liebe ich die Spaziergänge mit meinem Hund, vorzugsweise am Strand. Woher stammt ihr fremdländisch klingender Namensteil? Die Vorfahren meines Mannes waren Herrenschneider in Frankreich, pantalon, die Hose. Dann sind sie nach Schlesien ausgewandert und das „n“ ist weggefallen, das „g“ haben sie dann angehängt, damit es wieder nasal klingt. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch! Foto: Annette von Stritzky Wie sind Sie aufgewachsen – was hat Sie geprägt? Ich bin in Schleswig aufgewachsen, volkskirchlich sozialisiert, mein Vater war Religionslehrer. Bei uns wurde über Religion gesprochen, ohne dass wir indoktriniert wurden. Ich habe mit bekommen, dass es gut ist, Verantwortung zu übernehmen, meine Eltern sind sozial, gesellschaftlich und kirchlich sehr engagiert. Gerade in Bezug auf die Genderfrage haben mir meine Eltern vermittelt: „Wir trauen dir viel zu, du hast etwas zu sagen, du kannst etwas gestalten“. 18 … und präsent Bisher wurden inter viewt Bischöfin Kirsten Fehrs, Barbara Schmodde, Prof. Dr. h. c. Christa Randzio-Plath, Heike Schlottau, Annegret Bergmann, Erika Förster, Dr. Ute Grümbel, Antje Röckemann, Susanne Jürgensen, Jutta Gross-Ricker, Charlotte Knobloch, Prof. Dr. Annelie Keil, Uta Knolle, Dr. Elisabeth von Dücker, Rut Rohrandt, Bischöfin Maria Jepsen, Annette Hillebrand, Dr. Frauke Hansen-Dix, Ursula Schele, Bischöfin Bärbel Wartenberg-Potter, Margrit Semmler, Franziska Steiof, Prof. Dr. Ulrike Wagner-Rau, Edelgard Lessing, Elisabeth Lingner, Elsbeth Süßebecker 19 innovative Von Frauen Lina Thomsgard (32) betreibt in Schweden als PR-Agentin ein „Gerechtigkeitsbüro“. Weil sie sich ärgerte, dass 82 % aller Meinungsführer, aller Talkrunden, aller DJs, aller Referenten usw. Männer sind, stellt sie Expertinnen-Listen ins Netz bzw. sucht entsprechende Frauen via Facebook. 2013 will sie weitere Büros in Italien, Großbritannien und den USA einrichten, um die Frauen dieser Welt sichtbar zu machen. Haifaa Al-Mansour (38) ist Regisseurin des mit mehreren Preisen ausgezeichneten Spielfilms „Wadjda“, der in Saudi-Arabien produziert wurde. Der Film erzählt die Geschichte eines Mädchens, das Radfahren lernen möchte. Das war Frauen bis vor kurzem verboten. Auch Kinos sind Frauen verboten. Gegen große Widerstände war es der Regisseurin möglich, den Film in Saudi-Arabien zu drehen. Sie führte z. B. Regie vom Auto aus, weil es ihr als Frau nicht gestattet war, sich mit Männern auf der Straße aufzuhalten. Saudi-Arabien ist das Land mit der strengsten Geschlechtertrennung. Haifaa AlMansour lebt – nach Bedrohungen – mittlerweile im Ausland. Der Kinostart von „Wadjda” ist am 13. August. Eva Rühmkorf (77) ist im Januar in Ratzeburg gestorben. Sie war eine der Wegbereiterinnen für Gleichberechtigung. 1979 wurde sie in Hamburg die erste Gleichstellungsbeauftragte, baute die „Leitstelle zur Gleichstellung der Frau” auf und vernetzte, gegen viele Widerstände, bundesweit die Frauen-Gleichstellungs-Initiativen. Die ehemalige stellv. Ministerpräsidentin und Landesministerin für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur bzw. für Bundesangelegenheiten gehörte der schleswig-holsteinischen Landesregierung von 1988 - 1992 an. Vera Baboun (57) palästinensische Katholikin, ist in der 3.000-jährigen Geschichte Bethlehems die erste Bürgermeisterin. Sie ist das einzige weibliche Stadtoberhaupt in Palästina. Die Geschlechterforscherin und Dozentin für englische und feministische Literatur leitete bisher eine katholische Schule, das Rektorat der Universität Bethlehem und eine Familienberatung. Die fünffache Mutter und Witwe (ihr Mann starb an den Spätfolgen israelischer Haft und Folter) gehört zur Liste „Unabhängigkeit und Entwicklung“. Rosa Parks (gest. 2005) wurde im Kapitol bei Anwesenheit von Präsident Barack Obama ein Denkmal gesetzt. Die Ikone der Rosa Parks schwarzen Bürgerrechtsbewegung war 1955 verhaftet worden, weil sie sich geweigert hatte, im Bus einem Weißen den Platz anzubieten. Sie stieß damit die Bewegung gegen Rassentrennung an – und verlor ihren Arbeitsplatz. Parks wäre 2013 100 Jahre alt geworden. Annemarie Schönherr (80) ist im März in Potsdam gestorben. Die Theologin und Pastorin musste 1963 wegen ihrer Heirat ihre Tätigkeit aufgeben und engagierte sich ehrenamtlich u. a. in der Frauenarbeit, im Ökumenischen Forum Christlicher Frauen in Europa und im Kirchentag der DDR bzw. im Deutschen Evangelischen Kirchentag. Julia Atze (40) ist die erste Pastorin am Hamburger Michel. In der knapp 400 Jahre alten Geschichte von St. Michaelis ist sie die erste Frau – bislang gab es am Michel 133 Pastoren. Marija Korsch (64) ist die erste Frau an der Spitze einer börsennotierten Frau, sie ist Aufsichtsratsvorsitzende der Aareal-Bank. Zuletzt war sie für das Firmenkundengeschäft des Bankhauses Metzler verantwortlich. Die gebürtige Kroatin hat in der Finanzindustrie Karriere gemacht. Nur 17 von 407 Vorstandposten der hundert größten deutschen Banken und Sparkassen sind mit Frauen besetzt. Marin Alsop (57) wird als erste Frau die „Last night oft the Proms“ dirigieren und an dem Abend das BBC-Symphonieorchester in der Londoner Royal Albert Hall leiten. Alsop steht dem Baltimore Symphony Orchestra vor und leitet damit als erste Frau ein großes US-amerikanisches Orchester. Jeanine Hennis-Plasschaert (39) ist die erste Frau, die das niederländische Verteidigungsministerium leitet. Die rechtsliberale Politikerin ist seit 2010 für die Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) im Parlament. Zuvor war sie sechs Jahre lang Abgeordnete im Europaparlament. Zu ihren wichtigsten Aufgaben gehört nun die Neuorganisation der Streitkräfte. Margarethe von Trotta (70) wurde mit dem Ehrenpreis des bayrischen Filmpreises geehrt. Im Zentrum ihres Schaffens stehen Frauen, deren Schicksal und emanzipatorischer Kampf um Freiheit, Selbstbestimmung und Würde sie mit großem Einfühlungsvermögen erzählt. Haifaa Al-Mansour Lina Thomsgard Jeanine Hennis-Plasschaert Margarethe von Trotta innovative Hintergrund 20 Prostitution – ein weites Feld Prostitution – (k)ein Problem? Seit 2002 gibt es in Deutschland ein Prostitutionsgesetz. Es wird diskutiert, ob es geändert werden soll. Auch medial ist Prostitution – meist Zwangsprostitution – ein aktuelles Thema. In diesem Artikel betrachte ich Aspekte zur Prostitution. Ich beginne mit Paulus, wende mich der feministischen Bewertung zu und gehe dann auf die Situation von Prostituierten ein. Prostitution ist ein komplexes Thema mit vielen Fragen, einfache Antworten gibt es nicht. Paulus und der Sex „Meidet ungerechte sexuelle Beziehungen!“, schreibt Paulus im 1. Brief an die Gemeinde in Korinth. Wer mit Sexualität verantwortungslos umgeht, sündigt gegen den eigenen Körper und schädigt darüber hinaus die Gemeinschaft, den Leib Christi und damit die Beziehung zu Gott. Für Paulus liegt verantwortungsloses Sexualverhalten (porneia) u. a. dann vor, wenn Männer zu Prostituierten gehen. Diese ablehnende Haltung war zur Zeit des Paulus ungewöhnlich, war Prostitution damals doch weit verbreitet. Egal, ob ein Mann viel oder wenig Geld hatte: Es gab immer die Möglichkeit, sich Sex zu kaufen. Käuflicher Sex war wie öffentliche Spiele Teil der römischen Strategie, Macht zu erhalten. Sklav_innen waren Eigentum von Sklavenbesitzern, die deren Körper verkauften. Da Steuer auf Gewinn fällig war, verdienten an der Prostitution sowohl Sklavenbesitzer als auch die Obrigkeit. Und da viele Frauen damals so wenig verdienten, dass es nicht zum Leben reichte, boten auch freie Frauen Sex für Geld an1. Mit Prostitution verdien(t)en sich Frauen ihren Lebensunterhalt. Wenn Paulus gegen Prostitution argumentiert, macht er das nicht, um Frauen vor Ausbeutung und Gewalt zu schützen. Er hat nur Männer im Blick. Ihm geht es um die Nachfrageseite. Männliche Körper eignen sich nicht für Sex mit Prostituierten. Er meint: Gott ist zu loben, auch mit der eigenen Sexualität. Mit gekauftem Sex ist kein Lob Gottes möglich. Da die Beziehung zwischen einem Mann und einer Prostituierten illegitim sei, zerstöre sie die Gemeinschaft des Mannes mit Jesus Christus 2. Wegen des Leibes Christi sollen Männer Sex nicht käuflich erwerben. Wir als Christ_innen sollen Gott mit Körper, Geist und Seele loben. Dabei wissen wir, dass wir – unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft, körperlicher Verfassung etc. – ein Tempel Gottes sind, in dem die Heilige Geistkraft und der unverfügbare Glanz Gottes wohnt. Damals wie heute haben alle Menschen eine unverlierbare Würde. „Sich und die Welt mit den Augen der Liebe Gottes zu sehen und danach zu handeln, ist Kennzeichen der Christ_innen.“ 3 Daraus folgt eine Haltung der Liebe, die nicht nur der eigenen Person gilt, sondern der Gemeinschaft. Einige argumentieren, Prostitution gebe es seit jeher, sei weit verbreitet und damit normal. Das ist zu kurz gegriffen, denn auch wenn es sie schon lange gibt, gilt doch: Wenn Menschen in ihrer Würde und ihren Rechten verletzt werden, ist es geboten, einzuschreiten. Ob eine Handlung, eine Einstellung, eine Gewohnheit moralisch oder unmoralisch ist, ist nicht davon abhängig, ob sie weit verbreitet ist oder nicht. Ob bei Prostitution die Würde von Frauen oder Männer immer verletzt wird, ist eine andere, spannende Frage. Meines Erachtens lassen sich die vielen Fragen, die beim Thema Prostitution mitschwingen, so zusammenfassen: Ist Prostitution von Freiheit oder Unfreiheit bestimmt? Bzw. sind „Prostituierte frei oder unfrei und können dementsprechend handeln?“ 4 Für uns als Christ_innen gilt: Zur Freiheit hat uns Christus befreit, steht also aufrecht und lasst euch nicht wieder unter das Joch der Sklaverei fangen“, d.h. was unfrei ist und macht, ist abzulehnen. Feministische Positionen oder: Der Streit um die Moral Es wird betont, dass Frauen sich frei für die Prostitution entscheiden können. Die Selbstbestimmung über den eigenen Körper und die eigene Sexualität ermöglichen dies. Jeder Mensch habe das Recht, so zu leben wie er oder sie möchte, solange die Freiheit anderer nicht eingeschränkt werde. Wenn jede_r frei über seine bzw. ihre Sexualität bestimmen kann, umfasse das auch die Möglichkeit der Prostitution. Da aber Prostitution ein gesellschaftlich abgelehntes Verhalten sei, sei es wichtig, sich dafür einzusetzen, die Tätigkeit als einen Job wie jeden anderen zu akzeptieren und die Diskriminierung von Prostituierten zu stoppen, denn daraus folge die Kriminalisierung. So werden sie schnell zu Opfern. 21 innovative Hintergrund Dagegen lehnt die andere Position Prostitution ab. Dass Männer Frauen kaufen können, verletze die Persönlichkeitsrechte von Frauen, sei frauenverachtende sexuelle Gewalt, verhindere Gleichberechtigung und stabilisiere das Patriarchat. Sie sei Ort der Reproduktion männlicher, dominanter Heterosexualität und keine Frau würde wirklich freiwillig in die Prostitution gehen, vielmehr seien es soziale, ökonomische oder psychologische Bedingungen, die Frauen unfrei in die Prostitution führen. Am besten sei es, Prostitution abzuschaffen. Hierfür sei ein Verbot ein erster Schritt. Schweden hat diesen Weg eingeschlagen. Dort gilt ein umfassendes Sexkaufverbot. In einer gleichgestellten Gesellschaft könne es nicht sein, dass Männer Frauen für Geld kaufen 5. Die Wahrheit liegt wohl zwischen beiden Positionen. Auch ich bin geprägt davon, dass jede Person frei über ihre Sexualität bestimmen soll. Auch glaube ich, dass es Frauen gibt, die sich aus freien Stücken entscheiden, Geld mit Sex zu verdienen. Die Gefahr aber, dass daraus ein Abhängigkeitsverhältnis entsteht, dass aus Prostitution Zwangsprostitution wird bzw. dass es zur sexuellen Ausbeutung kommt, ist sehr hoch. Gewalterfahrungen, Stigmatisierungen, Diskriminierung gehören auch zur Prostitution. Wie Paulus leitet auch mich die Forderung und die Sehnsucht nach mehr Gerechtigkeit, und das heißt konkret menschengerechtere Lebensbedingungen. Der Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes hält fest, dass Prostitution eine Tätigkeit ist, die „typischerweise mit erheblichen Gefahren und Risiken behaftet ist“. Situation der Prostituierten und Forderungen Es ist gut, dass wir das Prostitutionsgesetz haben. Prostitution ist nicht mehr sittenwidrig. Prostituierte haben einen Zugang zur Kranken- und Sozialversicherung, können ihre Forderungen einklagen. Das Gesetz soll die rechtliche Situation von Prostituierten verbessern, die Zuhälterei einschränken und Prostitution aus dem kriminellen Milieu herauslösen und richtet sich an legale Sexarbeiter_innen, d. h. an die, die freiwillig ihrer Tätigkeit nachgehen. Für Opfer von Gewalt und Menschenhandel bzw. Zwangsprostitution und Sklaverei, oder auch für die „Sondergruppe“ von Sexarbeiter_innen, wie Drogenabhängige, Minderjährige oder illegale Personen, ist dieses Gesetz nicht. Zuhälterei, Zwangsprostitution oder Prostitution von Minderjährigen ist weiterhin verboten und strafbar. Diese Unterscheidung ist wichtig, denn die Situationen von Frauen, die in der Prostitution arbeiten, sind sehr verschieden. Es ist ein Unterschied, ob eine Frau in einem Club oder auf dem Straßenstrich arbeitet. Es ist ein Unterschied, ob sich eine aus freien Stücken zur Prostitution entscheidet oder es tut, um eine Sucht, den nächsten Schuss, zu finanzieren oder von einem Zuhälter gezwungen wird. Eine Migrantin hat andere Probleme als eine Drogenabhängige6. Auch wenn nicht sittenwidrig: gekaufter Sex ist defizitärer Sex. Wertzuschätzen sind aber die Frauen, die in ihren oft prekären Lebenssituationen einen starken Durchhaltewillen haben, Verantwortung für andere übernehmen und ihr Leben meistern. Es geht nicht darum, Prostituierte zu diskriminieren oder durch das Verbot von Prostitution zu kriminalisieren. Es geht darum, ihre rechtliche und soziale Lage weiter zu verbessern und Möglichkeiten zu schaffen, dass Frauen sicher arbeiten können. Wichtig ist auch, dass sich eine Gesellschaft nicht damit zufrieden gibt, dass Frauen in der Prostitution ein Auskommen finden und mit ihr genügend Geld zum Leben verdienen. Die Zulassung von Migrant_innen zum Arbeitsmarkt, Sonderreglungen zur Arbeitslosigkeitsversicherung, die Ächtung von Gewalt und vor allem gute Beratungsmöglichkeiten über Rechte und Ausstiegsmöglichkeiten sind konkrete Forderungen, wie Frauen gestärkt werden können. Ein Verbot wie in Schweden führt dazu, dass Frauen weniger Schutz haben. Zur Verbesserung der Situation organisiert contra, unsere Fachstelle gegen Frauenhandel in Schleswig-Holstein, gemeinsam mit der Fachhochschule Altenholz und dem Rat für Kriminalitätsverhütung am 29. August eine Fachtagung zur Prostitution und zur Prostitution, die in den Menschenhandel führt. Es ist ein erster Schritt, die Situation von Prostituierten in Schleswig-Holstein zu verbessern. Der Appell „Meidet ungerechte sexuelle Beziehungen!“ ist immer noch aktuell. Susanne Sengstock 1 Vgl. Claudia Janssen, Endlich lebendig. Die Kraft der Auferstehung erfahren, Freiburg 2013, S. 68-72. 2 Luise Schottroff, Der erste Brief an die Gemeinde in Korinth, Stuttgart 2013, S. 107. 3 Beatrice Bowald, Prostitution, S. 194. 4 B. Bowald, S. 143. 5 Vgl. S. Dodillet, Deutschland-Schweden: Unterschiedliche ideologische Hintergründe in der Prostitutionsgesetzgebung, in: APuZ 9 /2013, S. 32 6 Vgl. S. Reichert / A. Rossenbach, Wir wollen den Frauen Unterstützung geben. Ein Gespräch, in: APuZ 9 /2013, S. 5. „Zur Verbesserung der Situation (von Prostituierten, Anm. d. Red.) organisiert contra, unsere Fachstelle gegen Frauenhandel in Schleswig-Holstein, gemeinsam mit der Fachhochschule Altenholz und dem Rat für Kriminalitätsverhütung am 29. August eine Fachtagung zur Prostitution und zur Prostitution, die in den Menschenhandel führt.“ Susanne Sengstock Aus den Frauenwerken innovative 22 Würde und Glanz Erinnerung an Irene Némirovsky Ein Ökumenischer Gedenkgottesdienst des Frauenwerks Altholstein in St. Nikolai (Kiel) erinnerte an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau vor 68 Jahren. Was sind die Menschen, dass du an sie denkst, ein Menschenkind, dass du nach ihm siehst? Wenig geringer als Gott lässt du sie sein, mit Würde und Glanz krönst du sie. Ps 8,5f. Stellvertretend für alle Opfer erinnern wir in diesem Gottesdienst an die jüdische Schriftstellerin Irene Némirovsky, 1903 in Russland geboren, 1918 nach Frankreich emigriert. Mit folgenden Sätzen von Irene Némirovsky gehen Frauen durch die Kirche bis in den Altarraum: „Ich bin Irina Nemirovskaja. Ich wohne in Kiew. Mein Vater ist Bankier und oft geschäftlich auf Reisen. Mama liebt die großen Feste.“ „Die Leute, die zu Papa kommen, reden ganz leise – über Pogrome. Ich weiß jetzt, was das ist. Und das gibt es auch hier, in Kiew.“ „Papa hat uns nach St. Petersburg gebracht. Ich bin so viel allein zuhause. Und ich lese, lese alles, was mir in die Finger kommt.“ „Wir mussten weg aus St. Petersburg: Dort ist die Revolution im Gange. Wir sind nach Finnland geflohen.“ „Im Hotel beobachte ich die anderen Flüchtlinge und mache mir Notizen. Dann schreibe ich Geschichten; ich will ja Schriftstellerin werden.“ „Endlich in Paris!“ „1929 erscheint mein erster großer Roman. Er heißt „Daniel Golder“. Der Titelheld ist ein Finanzmann aus der Bankerwelt meines Vaters, und seine Frau ähnelt meiner Mutter. Sehr schmeichelhaft ist mein Roman nicht. Aber jetzt kennt man mich in ganz Paris!“ Es folgen Zitate aus ihrer Biografie. Noch Mitte der dreißiger Jahre gilt Irene Némirovsky als „Liebling von Paris“. Ihre gesellschaftskritischen Romane werden gefeiert. Sie fühlt sich sicher. Doch auch sie wird ins Sammellager Pithiviers verschleppt und nach AuschwitzBirkenau deportiert. Dort stirbt sie am 17. August 1942 völlig entkräftet. Bis zu ihrer Deportation schreibt Irene Némirovsky über die Ereignisse des Krieges und die deutsche Besatzung. Das Manuskript „Suite francaise“ wird von ihren Töchtern erst in den 90er Jahren entdeckt und 2004 in Frankreich veröffentlicht. Es wird zu einem Bestseller und 2005 ins Deutsche übersetzt. Psalm 8, der im Gottesdienst gelesen wird, wird zur Brücke zwischen dem Schicksal Irène Némirovskys, ihren Werken und unserem Umgang mit Würde. „Mit Würde und Glanz gekrönt“ meint den königlichen Menschen, der Verantwortung für die ganze Erde übernimmt. Die Gestaltung der Welt liegt bei allen Menschen. Wir haben hier ein Konzept universaler Menschenwürde vor uns (inspiriert durch Prof. Dr. Klara Butting), das auf Gemeinschaft und Solidarität setzt. Ihr ganzes Leben ringt Irene Némirovsky um Würde. Der Verlust der Würde durchzieht wie ein roter Faden ihre Bücher. Ihre Gesellschaftskritik kann auch als Klage gelesen werden, als Leiden an der Gier der Menschen und an der Sinnlosigkeit ihres Tuns. Irenes Erbe an uns ist ihr Ringen um ein würdevolles Leben, um Verantwortung aus Würde heraus, gegen allen Widerstand. Der französische jüdische Philosoph Levinas, der fünf Jahre Zwangsarbeit im Lager Fallingbostel leisten musste, wurde nach dem Krieg gefragt, ob die Karte des Lagers für ihn das Gesicht des Bösen darstellt, er antwortet: „Das Böse hat kein Gesicht, nein, das Böse hat kein Antlitz.“ Für Levinas geht es darum, „das Antlitz des Anderen in seiner Verletzlichkeit zu erkennen und uns aus Verantwortung und Güte ihm zuzuwenden.“ Würde wird vor allem erfahrbar, wenn Menschen sich dem anderen von Angesicht zu Angesicht aussetzen. Denn im Antlitz des oder der anderen können wir uns als Ebenbild Gottes wahrnehmen. Wir spiegeln einander, dass Gott uns mit Würde und Glanz krönt, uns alle. Das ist Zuspruch und Anspruch zugleich. Wir sehen uns alle so, wie Gott uns gemeint hat: Mit Würde und Glanz gekrönt. „Gott, Du bist meine Würde“, ruft die Beterin in Psalm 3. Ist das nicht tröstlich, wenn unsere Versuche, Würde und Glanz aneinander zu entdecken, scheitern? Die Würde ist nicht verspielt. Gott hält die Tür zu einem Leben in Würde und Glanz immer offen – treten wir ein, der Eingang liegt im Antlitz des Menschen. Elisabeth Christa Markert „Die Leute, die zu Papa kommen, reden ganz leise – über Pogrome. Ich weiß jetzt, was das ist.“ Irène Némirovsky 23 innovative Aus den Frauenwerken Die heilige Geistkraft weht an der Westküste Bibelteilen – Lebenteilen Frischer Wind – und das schon seit sechs Jahren – in einer Frauengruppe der evangelischen Frauenarbeit in Nordfriesland. Wir sind eine Frauengruppe und fühlen uns von der Heiligen Geistkraft angeweht. Durch das gemeinsame monatliche Bibelteilen, einer Methode afrikanischer Glaubensgeschwister, werden uns die Bibeltexte aus der Bibel in gerechter Sprache lebendig. Wir sind immer wieder begeistert von den Erkenntnissen der Feministischen Theologie, dem Mut der biblischen Frauen, der befreienden Kraft der Psalmen und der Stärkung durch die Evangelien aus der Perspektive und Erfahrung von uns Frauen. Wir erfahren: Wo die Geistkraft spürbar wirkt, geschieht echte Beziehung und Lebendigkeit. hinweg und lässt uns gemeinsam ganz individuelle Wahrheiten finden. Das beleuchtet und erneuert den eigenen Glauben und befreit von starren Denkstrukturen. Die damit verbundenen Unsicherheiten und Fragen haben Raum in der Gruppe, die mit einer offenen und wertschätzenden Atmosphäre den Nährboden schafft für ein tragendes Fundament. Die weibliche Seite Gottes erfahrend, finden wir auf der feministischen Ebene neue Wege aus der von männlichen Theologen festgelegten androzentrischen Bibelauslegung. Wir schauen auf sechs Jahre gemeinsame und uns gegenseitig befruchtende Bibelarbeit zurück und feiern ein Fest. Die Ewige weht wo sie will und wir danken IHR, dass sie an der Westküste, bedingt durch den Wind, besonders stark weht. Durch unsere sechsjährigen gemeinsamen Bibelgespräche machen wir die Erfahrung, dass die heilige Geistkraft in der Bibel in gerechter Sprache verschiedene, auch weibliche Gottesnamen hat, z. B. Ewige, Weisheit, Lebendige, Maria. Sie lassen uns weitsichtig werden – für Me(h)erblick – bis zum Horizont. Diese Namensübersetzung befreit uns Frauen und gibt uns den aufrechten Gang, wodurch Jesus Christus zu unserem Bruder wird. Die heilige Geistkraft befreit von patriarchalen Strukturen und bewirkt dadurch Befreiung im Fühlen und Denken. Bei unseren intensiven Gesprächen fließen auch immer wieder politische Tagesgeschehen mit in den Austausch hinein. Wir demonstrierten z. B. für die Abschaltung der Atomkraftwerke nach der Fukushima-Katastrophe. Durch unsere gute Vernetzung mit anderen Gruppen fahren wir zu gemeinsamen Foren der Feministischen Theologie nach Hamburg. Wir erlebten einen Sabbatstudientag mit der Rabbinerin Dalia Marx. Aber auch interkonfessionell gibt es eine breite Vielfalt. So ist eine Teilnehmerin auf dem Yogapfad, während eine andere mit katholischen Wurzeln die Marialogie einbringt und eine Dritte verbindet Christentum und Sufismus. Dies hebt den Blick über eigene Grenzen „Durch das gemeinsame monatliche Bibelteilen, einer Methode afrikanischer Glaubensgeschwister, werden uns die Bibeltexte aus der Bibel in gerechter Sprache lebendig.“ Martina Hof Martina Hof Anzeige Aus den Frauenwerken innovative 24 Freundin für Frauen in Not Die „AMICA“ – eine neue Sorgenpuppe Das Flensburger Frauenforum (zu dem auch das Ev. Frauenwerk in Flensburg, Kirchenkreis Schleswig-Flensburg zählt) und die deutsche Hilfsorganisation AMICA e. V. rufen zu der Aktion „AMICA – Eine Freundin in der Not“ auf, um Frauen und Mädchen in ehemaligen Kriegsgebieten zu helfen. Seit 20 Jahren baut AMICA psychosoziale Zentren für Opfer strategischer Kriegsvergewaltigungen auf. AMICA heißt Freundin. In diesem Selbstverständnis unterstützt die Organisation lokale Fraueninitiativen auf dem Balkan, im Nordkaukasus, den besetzen palästinensischen Gebieten und seit 2012 auch in Libyen. Begonnen hat die Arbeit während des Bosnienkriegs, als das Schicksal von über 20.000 Frauen, die in speziellen Lagern oft monatelang vergewaltigt und gequält wurden, die Welt erschütterte. Möglich wurden die Projekte vor allem auch durch das tatkräftige Engagement des Ev. Frauenwerks in Flensburg und zahlreicher Unterstützerinnen in Nordelbien (Schleswig-Holstein und Hamburg). „Angefangen haben wir vor 20 Jahren mit den Pflegetaschen“, erinnert sich Ute Morgenroth vom Flensburger Frauenwerk. „Damals baten wir die Bürger_innen um Hygieneartikel, Kosmetik und Babysachen für Frauen in Flüchtlingslagern in Bosnien und Mazedonien. Die Hilfsbereitschaft war einfach überwältigend.“ Seitdem besteht eine Freundschaft zwischen den Flensburgerinnen und der Hilfsorganisation aus Freiburg. Die Spenden kommen Frauen und Mädchen zugute, die durch den Krieg in ihrem jeweiligen Heimatland alles verloren haben und durch Gewalterlebnisse schwer traumatisiert sind. In den Zentren, die AMICA vor Ort mit ihren Partnerinnen errichtet, bietet das Fachpersonal psychosoziale Betreuung, Rechtsberatung und Begleitung in schwierigen Einzelfällen. Zum Programm gehören auch medizinische Versorgung und berufliche Weiterbildung – notwendige Unterstützung beim Aufbau einer neuen Zukunft aus den Ruinen des Krieges. „Die Mitarbeiterinnen von AMICA sind im wahrsten Sinne des Wortes Freundinnen“, so Ute Morgenroth. „Sie besuchen die Projektpartnerinnen im Ausland im Schnitt zweimal pro Jahr und pflegen ein enges Verhältnis. Für die Sorgen und Nöte ihrer Partnerinnen haben sie immer ein offenes Ohr.“ Mit der „Aktion AMICA“ unterstützen die Flensburger Frauen die Hilfsprojekte nun erneut. Die kleine AMICA-Puppe ist ein Sinnbild für die Arbeit der Organisation – eine Freundin. 160 AMICAs haben Frauen und eine Schulklasse aus Flensburg mittlerweile gebastelt. Ute Morgenroth und Birgitt Wulff-Pfeifer (Ev. Frauenwerk Hamburg-West/Südholstein) brachten die „AMICAS“ zur Zentrale in Freiburg. Die ersten „Freundinnen“ verteilte AMICA im April 2013 in Tschetschenien. Die Freude unter den Beschenkten war groß. Eine Frau: „Ich habe so viele Sorgen – die kann ich meiner AMICA gar nicht alle erzählen.“ Die Idee zu dieser Aktion stammt vom Frauenforum Flensburg. „Wir möchten den Gedanken der Hilfsbereitschaft und Solidarität weitertragen und ein Zeichen gegen Gewalt setzen“, so Ute Morgenroth. „Viele vergewaltigte Frauen können mit niemandem über ihr Schicksal reden. Sie sind allein mit ihren Ängsten, weil sie Stigmatisierung und soziale Ausgrenzung fürchten. Diese Isolation durchbrechen die Gruppen in den Projekten. Die Frauen begegnen anderen, die ein ähnliches Schicksal durchlitten haben. Das gibt ihnen Kraft und neuen Mut und hilft die schwierigen Probleme der Nachkriegszeit besser zu meistern.“ Das Vorbild für die AMICA sind die Sorgenpüppchen aus Lateinamerika. Die Bastelanleitung gibt es unter www.amica-ev.org oder beim Evangelischen Frauenwerk in Flensburg (s.u.). Unter dem Stichwort „AMICA“ bitten wir zudem um Spenden auf das Konto des Ev. Frauenwerkes Flensburg, Stichwort „AMICA“, EDG Kiel, BLZ 210 602 37, Konto 353 000. Koordination der Arbeit für AMICA in der Nordkirche Ute Morgenroth, 0461 - 139 01, [email protected] Foto: AMICA e.V. Heide Göttner 25 innovative Aus den Frauenwerken Coaching für Mütter Beratung, Begleitung und Seelsorge für Frauen nach der Kur Wie der Stein ins Rollen kam: Ursprünglich brauchte das Team des Müttertelefons Verstärkung. Per Zeitungsannonce suchten wir daher neue Frauen für die Telefonarbeit. Die Resonanz war enorm. Wir führten mit fast allen Interessentinnen persönliche Gespräche und waren beeindruckt von deren großer Kompetenz und Bereitschaft, sich engagieren zu wollen. Als das Müttertelefonteam gut aufgestellt war, scheuten wir uns davor, die verbliebenen Interessentinnen zu vertrösten oder ihnen gar abzusagen. So tolle Frauen konnten wir doch nicht einfach ziehen lassen! Kurz und gut: Dann muss eben ein neues Projekt entwickelt werden. Es wird ebenfalls ein Telefonprojekt sein. Dieses Projekt könnte einen wichtigen Beitrag zum Thema Nachhaltigkeit in der Kurnachsorge leisten. Über diese Nachhaltigkeit haben wir bereits bei einem Besuch im Ev. Kurzentrum Gode Tied mit Andrea Boyer, Geschäftsführerin von Gode Tied, gesprochen. Sie schreibt im Jahresbericht 2012 des Frauenwerks der Nordkirche: „Die Auswertung der Nachhaltigkeit unserer Maßnahmen, die die Universität Flensburg Anfang 2012 für uns durchgeführt hat, ergab positive Ergebnisse. … Dabei konnten wir ebenfalls ermitteln, dass die Kurnachsorge eine zunehmende Rolle spielt, um die Kurerfolge zu erhalten. Die Frage der Nachhaltigkeit wird uns in 2013 konzeptionell weiter beschäftigen.“ Im November 2013 soll es starten. Eine kleine Gruppe ehrenamtlicher Frauen bereitet sich jetzt darauf vor, Frauen nach ihrer Kur anzurufen. Sie werden sie fragen, wie es ihnen geht und ihnen anbieten, sie bei der Klärung ihrer Anliegen zu begleiten. Die Kontakte entstehen in Zusammenarbeit mit unseren Kolleginnen des Müttergenesungswerkes. Sie informieren schon bei der Kurberatung über dieses Nachsorgeangebot und erfragen, wer angerufen werden will. Die Kurvermittlerinnen wissen, wo es sinnvoll ist, nachzufragen und welche Themen die Frauen nach der Kur bewegen. Das Angebot eines Coachings am Telefon einige Wochen nach der Kur soll helfen, die guten Impulse aus der Kur in den Alltag hinüber zu retten. Unsere Erfahrungen mit den „Sommertagen im Haus am See – eine Erholungswoche für Mutter und Kind“ aus dem letzten Jahr zeigen, dass der Gesprächsbedarf der Frauen auch nach der Kur sehr groß ist. Viele Steine sind dort ins Rollen gebracht worden. Doch in drei Wochen können sich Gewohnheiten nicht ändern, neue Impulse nicht festigen. Wir sind dazu da, sie eine Zeit lang zu begleiten, zuzuhören, zu entwirren und zu sortieren, zu bestärken und wertzuschätzen, was im Alltag gelingt. Wir können eine Zeit lang die gute Nachbarin zur Seite sein. Jetzt liegt der erste von acht Schulungs-Samstagen bereits hinter uns. Schritt für Schritt nähern wir uns unserer Aufgabe. Wir wissen ja alle noch nicht, was uns am Telefon erwarten wird. Wir schulen die Wahrnehmung für uns als Gesprächsanbietende, für die Frau als Nachfragende und für die Gesprächssituation. Die Entwicklung dieses neuen Projekts ist ein offener Prozess, den wir gemeinsam gestalten. „Das Angebot eines Coachings am Telefon einige Wochen nach der Kur soll helfen, die guten Impulse aus der Kur in den Alltag hinüber zu retten.“ Rita Bogateck Rita Bogateck Anzeige innovative Aus den Frauenwerken 26 Das tut gut und befördert Gutes 7 Wochen mit Produkten aus der Region und fairem Handel Als Ökumenische Arbeitsstelle (Pastorin Gertrud Schäfer) und Frauenarbeit im Ev. Bildungswerk (Diakonin Julia Patzke) übernahmen wir es, die diesjährige Fastenaktion der Nordkirche in den Kirchenkreis Plön-Segeberg einzubringen. Dabei hatten wir im Blick, dass es meist Frauen sind, die die Konsumentscheidungen treffen. Besonders für sie suchten wir nach einer Veranstaltungsform ohne Appell an das ständig schlechte Gewissen. Lieber wollten wir den Reichtum, den die Produkte aus der Region und fairem Handel bieten, mit allen Sinnen erlebbar machen. So entstand die Veranstaltung „Probieren und Informieren“. Wir luden regionale Anbieter_innen sowie den Weltladen ein. Joghurt und Frischkäseprodukte (Rieckens Landmilch), Käse (Käsehof Berg), Brötchen und Brot (Passader Backhaus), Dörrfrüchte (Hunkelstide UG) sowie Preetzer Klosterhonig (Imker Nette) umfasste das feine regional und ökologisch produzierte Angebot. Der Weltladen lockte mit fair gehandeltem Kaffee und Süßigkeiten. Mit dem kürzlich entstandenen Kurzfilm „Sauenhaltung auf dem Betrieb Schwarz“ (Sabine Roth) konnten sich die Besucher_innen über die Tierhaltung in einem konventionell betriebenen Hof informieren. Interessante Einblicke in die Historie und die heutigen Strukturen von Kaffeeanbau und -handel gab Gotelind Frede (Weltladen) mit einem Vortrag. Stellwände informierten u. a. über aktuelle Pressemeldungen zu regionalem Nahrungsmittelangebot und über das neue Kochbuch der Nordkirche „Mahlzeit, Gemeinde!“. Für das leibliche Wohl sorgten Schwarzwurzel-Kostproben, eine „regionale“ Gemüsesuppe sowie Kaffee und Kuchen aus dem hauseigenen Café Duft. Für kleine Besucher_innen hatten FÖJ-Absolventinnen ein Glücksrad aufgebaut. Ein buntes Sortiment für Groß und Klein, das wir parallel zur Wochenmarktzeit anboten – mit dem Wunsch, dass die Menschen nach ihrem Einkauf einfach noch einmal vorbei schauen würden. Ein wenig Herzklopfen war dabei, denn mit dieser Art von Veranstaltung gingen wir neue Wege. Es ließen sich ca. 50 Menschen anlocken. Sie kamen neugierig und aufgeschlossen, nahmen sich Zeit zum Probieren und für Gespräche mit den Anbieter_innen. Eine angeregte Diskussion zu Film und Vortrag entstand. Erfreut stellten wir fest, dass sich der Korb mit kleinen Tischgebeten zum Mitnehmen sichtlich geleert hatte. Hat sich die aufwendige Vorbereitung gelohnt? Die Besucher_innen gaben durchweg positive Rückmeldungen. Die Anbieter_innen waren mit ihrem Umsatz – gemessen an vorsichtigen Erwartungen – zufrieden. Und sie signalisierten darüber hinaus, dass sie die Möglichkeit, sich über ihren Stammkund_innenkreis hinaus bekannt zu machen, ebenso wertschätzten wie die Chance, einander kennen zu lernen. Für uns als Veranstalterinnen hat es sich auf einer anderen Ebene schon gelohnt, bevor die ersten Besucher_innen kamen: Es war ein Gewinn, auf verschiedene landwirtschaftliche Betriebe und Hofläden, auf Bäckereien und den Verbund „Feinheimisch“ zuzugehen und eine große Aufgeschlossenheit zu erleben, eine positive Wahrnehmung von Kirche, die sich mit dem Thema des regionalen und fairen Konsums befasst. Auch von den Betrieben, die uns mangels Zeit und Personal absagten, kam das Signal: „Schön, dass Ihr eine solche Veranstaltung plant!“ Auch der Bauernverband Schleswig-Holstein gab Unterstützung. Wir hatten nicht das Gefühl, dass es dort vorrangig darum ging, mehr Abnehmer_innen für die Produkte zu finden. Es gab auch ein spürbares Bedürfnis, sich zu zeigen, ins Gespräch zu kommen, Probleme zu thematisieren. „Ich möchte meinen Berufskollegen Mut machen, ihre Höfe zu öffnen. Nur so können wir Verständnis von den Mitbürgern erwarten“, sagt Landwirt Werner Schwarz in dem gezeigten Kurzfilm. Diese Signale motivieren auch über die Fastenaktion hinaus, die Frage nach ‚gutem‘ Konsumverhalten, das sowohl gut tut als auch Gutes befördert, weiter zu bewegen. Julia Patzke „Diese Signale motivieren auch über die Fastenaktion hinaus, die Frage nach ‚gutem‘ Konsumverhalten, das sowohl gut tut als auch Gutes befördert, weiter zu bewegen.“ Julia Patzke 27 innovative Aus den Frauenwerken Neu gemeinsam für die Westküste Jetzt ist die Zeit … für ein Kunstprojekt Ev. Frauenwerk Rendsburg-Eckernförde Seit März 2013 gibt es beim Evangelischen Regionalzentrum Westküste eine Veränderung. Elisabeth Ostrowski, Referentin für Frauenarbeit in Dithmarschen, hat sich aus ihrer Unterstützung des Kirchenkreises Nordfriesland zurückgezogen, um sich ganz auf ihr Einzugsgebiet in Dithmarschen zu konzentrieren. So wurde für eine viertel Stelle Frauenarbeit jemand Neues gesucht. Nun ist die Stelle seit dem 1. März 2013 mit mir neu besetzt. Gemeinsam mit Britta Jordan, die eine halbe Stelle innehat, bin ich als Referentin für Frauenarbeit im Ev. Regionalzentrum Westküste für die Frauenarbeit in Nordfriesland tätig. In Schöpfungsmythen unterschiedlicher Kulturen wird der Mensch aus Lehm oder Erde geformt. Töpfern ist in der Menschheitsgeschichte etwas Wichtiges. Der direkte Kontakt mit Erde sowie das Erschaffen von Formen verleihen dem Töpfern einen Zauber. Mit dem Töpfern nehmen wir Anteil an der Schöpfungskraft. Diesem Reiz nachzugehen und das Jahresthema „JETZT __ ist die Zeit“ umzusetzen, dafür hatten sich 10 Frauen Zeit genommen: Schöpferisch, gestaltend wirken und dabei Eigenes entdecken. Britta Jordan und ich kommen beide aus Nordfriesland und haben unseren gemeinsamen Sitz in Breklum. Den Umbruch nutzen wir gleich für ein Innehalten, um gemeinsam über Neustrukturierungen nachzudenken. Dazu soll mit Dagmar Krok, Referentin des Frauenwerkes der Nordkirche und engagierten Frauen aus Nordfriesland an einer Konzeption gearbeitet werden. Die Künstlerin Elke Rohloff begleitete dieses Kunstprojekt: „Ton ist ein wunderbarer Werkstoff, mit dem sich jede ausdrücken kann. Ich freue mich über das Projekt und bin dankbar, es betreuen zu dürfen.“ Auch Frauen, die sich das Jahresthema ‚durch die Hände gehen lassen möchten‘ und keine Erfahrung mit Ton hatten, konnten teilnehmen. Das Wochenende bot die Möglichkeit, Intuitives mit Grundtechniken der Tonkunst zu verbinden. Das, was entsteht, erzählt von jeder einzelnen, auch dafür haben wir uns Zeit genommen. Eine inhaltliche Aufteilung ist bereits eingeleitet: So ist Britta Jordan, Diakonin, weiterhin für den Weltgebetstag, religionspädagogische Angebote, spirituelle Spaziergänge und Feministische Theologie zuständig. Ich, Coach und Mediatorin, habe als Schwerpunkt die Stärkung der Ehrenamtlichen. Dazu gehört das Forum Evangelischer Frauen, Seminare für Ehrenamtliche und ggf. persönliche Unterstützung. Ebenfalls wird die Öffentlichkeitsarbeit in mein Aufgabengebiet fallen, um diese zu intensivieren. Zusammen sind wir im Frauenkirchentag, bei gesellschaftlichen Themen und in Gremien aktiv. Die Einbindung richtet sich nach den jeweiligen inhaltlichen Schwerpunkten. Die Freude über neue Impulse und gegenseitige Unterstützung hat uns einen guten Start beschert und wir gehen davon aus, dass aus Nordfriesland noch weitere innovative Ideen zu erwarten sind. Das Seminar begann mit einer Einstimmung ins Thema – einigen Frauen war das Jahresthema neu. Diese Impulse waren der Einstieg in die kreative Arbeit. Elke Rohloff gab noch grundlegende Hinweise zur Arbeit mit Ton bevor wir mit einem Abendsegen endeten. Der nächste Tag bot Zeit für das Erstellen der Skulpturen. Was ist nun daraus entstanden? Es war eine kreative Auseinandersetzung mit „JETZT __ ist die Zeit“ und genauso auch eine Reise in Kindheitserinnerungen, und es entstand Kunst. Das, was jede einzelne geschaffen hat, ist Kunst, die im Auge der Betrachter_in entsteht. Schauen Sie sich diese und weitere Kunstwerke auf dem 1. Jahresempfang des Frauenwerkes der Nordkirche an: FR, 25. Oktober, 17 Uhr, St. Nikolai, Kiel – mit Vernissage! Ich bin gespannt, ob auch in ihren Augen beim Betrachten Kunst entsteht und freue mich über regen Austausch. Bis dahin bleiben sie behütet. Claudia Hansen Sabine Klüh Foto: Elisabeth Rohloff v. l.: Claudia Hansen, Britta Jordan Kleine Sitzende: Im Hier und Jetzt sein, nicht mit dem Kopf immer schon woanders innovative B u c h - Ti p p s 28 Mutig und unangepasst Der Job nach dem Job „Dr. Dora Lux, geb. Bieber, war von 1953 bis zum Abitur 1955 meine Geschichtslehrerin in der Elisabeth-von-Thadden-Schule in Heidelberg. ... Sie war die erste deutsche Jüdin, die ich bewusst wahrnahm – wenige Jahre nach der Shoa eine aufwühlende Erfahrung“. So schreibt die Autorin Hilde Schramm im Vorwort. „Wenn sich durch mein späteres Leben das Bemühen zieht, zur Bearbeitung der NS-Vergangenheit beizutragen, so lässt sich dies zum Teil mit meiner Familienbiographie erklären. Mein Vater ist Albert Speer; er war Hitlers Architekt, von 1942 bis Kriegsende Minister für Bewaffnung und Munition; im Nürnberger Prozess wurde er als Kriegsverbrecher verurteilt. Meine Herkunft zwang mir eine frühe und nicht abschließbare Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus auf. Für meine Selbstfindung war jedoch der Einfluss von Menschen entscheidend, die eine Gegenwelt zur NS-Ideologie verkörperten; Menschen, die mir eine Ahnung davon vermittelten, wie befreiend Humanität und Aufklärung sein können“. Jede Frau, die auf das Renten- und Pensionsalter zugeht, macht sich Gedanken, welche Chancen sich ihr im Ruhestand eröffnen – und nicht jede sieht dem Ruhestand gelassen entgegen. Immer mehr Frauen sind darauf angewiesen, Rente oder Pension durch weitere Arbeit aufzustocken, um einigermaßen über die Runden zu kommen oder um den gewohnten Lebensstil beibehalten zu können. Dora Lux gehörte zu den ersten deutschen Abiturientinnen, und sie war eine Wegbereiterin des Frauenstudiums. Obgleich 1901 in Berlin zunächst nur als „Hörerin“ zugelassen, gelang ihr die Promotion. Sie setzte ihr Recht auf Bildung und Ausübung eines akademischen Berufs durch. In der Weimarer Republik gehörte sie zu den wenigen verheirateten Studienrätinnen und zog gleichzeitig zwei Töchter groß. Obwohl Prof. Dr. Dora Lux 1933 umgehend Berufsverbot erhielt, publizierte sie in den Anfangsjahren der NS-Herrschaft regimekritische Artikel. Später verstieß sie gegen die gesetzliche Vorschrift, sich als Jüdin registrieren zu lassen – und überlebte. Hilde Schramm hat festgestellt, dass diese Form des Widerstandes bisher nicht beschrieben und somit nicht erforscht worden ist. Nach 1945 war sie wieder bis ins hohe Alter als Lehrerin tätig und beeindruckte viele Schülerinnen durch ihren Unterricht gegen den Zeitgeist. Ein zutiefst beeindruckendes Buch! „Neulich bekam ich Post von der Bundesrentenanstalt … Wenn alles so bleibt, wie es ist, kann ich … mit 598 Euro monatlich rechnen. Na super, dachte ich …“ Die Journalistin Gertrud Teusen schreibt aus eigener Erfahrung. Sie schreibt engagiert und offen über den schmerzhaften Abschied vom Beruf, die finanzielle Realität und ihre Suche nach reellen Chancen. Die Situation wird nicht beschönigt und nicht schwarz gemalt. Im Ton freundlich ermutigt sie die Leserin, ihre eigene Situation zu bedenken und mit Hilfe einfacher Fragebögen ihren Träumen, Möglichkeiten und Grenzen auf die Spur zu kommen. Schritt für Schritt leitet sie die Suche nach den eigenen Chancen weiter, denn jede Frau ist anders. Gertrud Teusens Buch soll helfen, den „passenden beruflichen Weg nach dem Abschied aus der Arbeitswelt zu finden und ihn tatsächlich zu gehen“. Das tut es! Es ist ein praktischer Ratgeber, konkret und zielführend. Gertrud Teusen, die Psychologie und Kommunikationswissenschaften studiert hat, stellt eines klar: Die betroffene Leserin ist nicht die einzige Frau, der es so ergeht. Es ist nicht peinlich, einen Job nach der Berufstätigkeit zu suchen. Die Gesellschaft kann froh sein, dass RuheständlerInnen weiter aktiv sind. Ein äußerst lesenswertes Buch, das viele Impulse und konkrete Hilfen gibt, auch zu dem Tabu-Thema „Wenn das Geld im Alter nicht reicht“. Ruth Gänßler- Rehse D r. C o r n e l i a G ö ks u Hilde Schramm Meine Lehrerin Dr. Dora Lux 1882-1959 Nachforschungen Rowohlt-Verlag, Reinbek 2012 ISBN 978-3-498-06421-1 19,95 Euro Gertrud Teusen Der Job nach dem Job Neue Chancen für den Ruhestand Kreuzverlag, Freiburg 2009 ISBN 978-37831-3280-9 14,95 Euro 29 innovative B u c h - Ti p p s Eine Frau und die Reformation Auf(er)stehen Wer dieses Buch zur Hand nimmt und liest, ist schon nach wenigen Seiten ganz und gar in die Zeit der Reformation ab 1526 eingetaucht. Mir fiel es schwer, mit dem Lesen aufzuhören, deshalb ist es ratsam, sich für die rund 500 Seiten einen freien Nachmittag und Abend auszusuchen. Elisabeth von Sachsen war die Schwester vom Landgrafen Philipp von Hessen, der die Reformation unterstützte, und die Schwiegertochter von Herzog Georg von Sachsen, der gegen die Reformation war. Elisabeth, ebenfalls begeistert von Luther und seinen Ideen, versuchte zwischen diesen beiden bedeutenden Männern zu vermitteln, um den Frieden zu sichern und setzte sich ebenso für die Verbreitung der Reformation ein. Als Herzogin am Hofe ihres Schwiegervaters lebend, versuchte sie dies vor allem durch Briefe, die sie ihrem Bruder und auch anderen Verwandten schrieb. Anja Zimmer versteht es geschickt, die historischen Ereignisse, Briefe, Dokumente und von ihr erfundenen Geschichten zu einem spannenden Roman zu verbinden. Durch die Fußnoten weiß die Leserin immer genau, was die Autorin sich an Erzählhandlungen und Gefühlen für die Personen ausgedacht hat und was sie durch Dokumente und anderes Quellenmaterial belegen kann. Dadurch vermittelt sie der Leserin das Gefühl, sowohl einen historischen als auch einen fiktiven Einblick in die Zeit der Reformation zu erhalten. Auch, wenn manche Handlungsstränge durchschaubar erscheinen und auch, wenn dieses Buch deutlich macht, dass die Sorge um männliche Nachkommenschaft höfische Frauen mehr beschäftigte, als alles andere und vor allem mehr als große Politik, zeigt es doch genauso, dass Frauen, mit ihren Tätigkeiten und Ansichten in der Geschichte eine größere Rolle gespielt haben, als es die etablierte Geschichtsschreibung heute immer noch vermittelt. Für 2015 ist eine Fortsetzung geplant mit den Ereignissen nach 1537 – ich freue mich schon auf dieses Buch! Susanne Sengstock Auferstehung ist das zentrale Moment der christlichen Botschaft. Im Lichte der Auferstehung sind die Texte des Zweiten Testaments entstanden. Quasi durch die Brille der Auferstehung sind alle diese Texte zu lesen. Was aber bedeutet Auferstehung? Mit diesem Buch eröffnet Claudia Janssen für alle, die mit Auferstehung vertraut sind, neue Aspekte der Auferstehung, und für alle, denen dieses Wort fremd ist, verständliche und lebensrelevante Bedeutungen. Sie schreibt: „Mit diesem Buch möchte ich die biblische Tradition der Auferstehung mit dem Alltag in unserer Zeit ins Gespräch bringen: heutige Fragen im Licht der Bibel beleuchten und biblische Traditionen angesichts heutiger Fragen neu zum Sprechen bringen.“ Das gelingt ihr auf eindrückliche Weise. Ausgehend von der Erkenntnis, dass im griechischen nicht zwischen einer religiösen Auferstehung und dem profanen Aufstehen unterschieden wird, sondern das gleiche ist, lädt sie ein, Auferstehung im Leben, mit den Sinnen, im Schmecken, Fühlen, Erinnern, Trauern, Begehren zu erfahren. In neun Kapiteln entfaltet sie mit sinnlichen Wahrnehmungen Auferstehung konkret und alltagstauglich. Jedes Kapitel beginnt mit einer Alltagserfahrung und mit Fragen, denen ein biblischer Text folgt. Gespräche, die die Autorin mit wichtigen Theologinnen führte, sind ebenfalls gute Anregungen Auferstehung neu zu verstehen. Abgerundet wird jedes Kapitel mit je einem Gedicht und dem Abschnitt „30 Minuten Auferstehung“, Auszüge aus den Aufzeichnungen aus ihrer morgendlichen Schreibübung sowie einer exegetischen Auslegung des Bibeltextes und einem weiteren Impuls zur Auferstehung. Es ist einfach faszinierend, wie Claudia Janssen z. B. das Gedicht „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ mit den leuchtenden Birnen mit dem Geschmack der Auferstehung verbindet. So ist ein erstaunliches Lese- und Arbeitsbuch entstanden, das bei allen, für die Auferstehung nicht nur Trost angesichts des Todes ist, im Bücherregal stehen sollte. Susanne Sengstock Anja Zimmer Auf dass wir klug werden Das Leben der Herzogin Elisabeth zu Sachsen Claudia Janssen Endlich lebendig Die Kraft der Auferstehung erfahren Frauenzimmer-Verlag, Kreuz Verlag, Freiburg 2013 Laubach-Lauter 2011 ISBN 978-3-451-61128-5 ISBN 978-3-937013-08-4 12,95 Euro 14,99 Euro innovative B u c h - Ti p p s | U n d a u ß e r d e m Bereitet die Wege Vielleicht ist es kein Zufall, dass Carola Moosbach den Kantaten Johann Sebastian Bachs eine große Bedeutung zumisst. Die Trauma-Spezialistin Luise Reddemann erwähnt immer wieder, wie hilfreich, ja entlastend, für sie das Hören Bachscher Musik, gerade auch seiner Kantaten, ist. Von Carola Moosbach sind die beiden Gebetssammlungen „Gottflamme Du Schöne“ und „Lobet die Eine“ erschienen. Hintergrund ist ihre Auseinandersetzung mit dem Trauma des sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater, das Ringen „um Erlösung von diesem Vater“ (Dorothee Sölle) und von einem den Menschen demütigenden und verletzenden Gottesbild. Nun hat C. Moosbach zu jeder Kantate Bachs, auch zu den Kantaten des Weihnachtsoratoriums, ein Gedicht geschrieben. Dazu hat sie sich nicht nur von der Musik, sondern ebenso von dem Text der Kantate anregen lassen. Im Vorwort schreibt sie, wie schwierig und teilweise kitschig die Kantatentexte oft anmuten. Aber über die Musik hat sie einen Zugang gewonnen. Sie versteht die tiefe Erschütterung der Bachschen Zeitgenossen durch die „Nachbeben des Dreißigjährigen Krieges“, durch Seuchen und Kindersterblichkeit. Sie kann etwas mit der Sinnlichkeit der Bachzeit anfangen. Carola Moosbach lässt sich auf die Dichte und dieses grundlegende Im-Leben-stehen der Texte ein – im Hören der Kantaten lebt sie fünf Jahre lang fast täglich auch mit den zahlreichen biblischen Bezügen, die darin enthalten sind. 30 Nord-Theologinnen gemeinsam stark Seit November gibt es den Konvent der Theologinnen in der Evangelischen-Lutherischen Kirche in Norddeutschland e.V. Der Einladung zu diesem festlichen Ereignis waren rund 50 Frauen von Usedom bis Amrum, von Flensburg bis Hamburg gefolgt. Pastorin Annegret Wegner-Braun führte in die Arbeitsbedingungen und Selbsteinschätzungen der Pastorinnen in Ost und West ein. Sie wertete die Ergebnisse der PastorInnenbefragung aus. Am folgenden Tag wurde die erste gemeinsame Vollversammlung abgehalten. In der neu beschlossenen Satzung heißt es: „Der Verein setzt sich zur Aufgabe, das Gespräch zwischen Theologinnen über ihren Beruf zu fördern, gegenwärtige theologische Fragen gemeinsam zu bedenken und so zu einer theologisch verantworteten Erneuerung kirchlicher Arbeit in unserer Gesellschaft beizutragen. Zu diesem Zweck hält er Kontakt zu dem Konvent ev. Theologinnen in Deutschland, zur Pastorenvertretung und zur Ökumene.“ So steht beispielsweise aktuell zur Debatte, inwieweit nun endlich eine Frauenquote in die Gestaltung der Kirche eingebracht werden sollte. Die Berufung einer einzigen Frau in die Synode, in eine Gruppe von 12 Berufenen, hatte besonderen Ärger hervorgebracht, gerade angesichts der Tatsache, dass sich mehr qualifizierte Frauen zur Verfügung gestellt hatten. Dem neugewählten Vorstand gehören sieben Pastorinnen aus Schleswig-Holstein und Hamburg, Mecklenburg und Pommern an: Antje Eddelbüttel (Elmshorn), Anja Fischer (Schwerin), Hiltraut Freudenberg (Greifswald), Ruth Gänßler-Rehse (Bad Schwartau), Regina Holst (Harburg), Beate Reinhard (Lohmen) und Susanne Sengstock (Kiel). Das heißt weite Wege, die ein weites Denken herausfordern. In allen Unterschieden solidarisch aufeinander zu achten und die gemeinsamen Anliegen der Theologinnen zu fördern, wird auch zukünftig das Anliegen des Theologinnenkonvents sein. Christiane Eller Ute Schöt tler- Block, A nja Fischer Foto: Bettina Morkel Und worum geht es ihr im eigenen Schreiben? „Meine Absicht ist …, einen Widerhall zu Bachs Kantaten zu formulieren, eine zusätzliche Stimme, die mal harmonisch mitschwingt, mal als Variation, mal als freie Phantasie daherkommt, mal aber auch als deutlich vernehmbarer Kontrapunkt zur Gegenstimme wird.“ Damit hilft sie uns, die Bachschen Kantaten stärker in unserer Gegenwart zu hören, sie keinesfalls als Fluchtmittel in eine fromme Bürgerlichkeit zu missbrauchen. Aber auch ohne Kenntnis der Kantaten lassen sich diese Texte gut als Gedichte oder Gebete lesen. Carola Moosbach Bereitet die Wege Poetische Kommentare zu Bachs geistlichen Kantaten Strube Verlag, München 2012 ISBN 987-3-89912-166-7 24 Euro v. l.: Susanne Sengstock, Hiltraut Freudenberg, Anja Fischer, Ruth Gänßler-Rehse, Regina Holst, Beate Reinhard, es fehlt: Antje Eddelbüttel 31 innovative Und außerdem Frauenbiografien-Datenbank „Frauen und Reformation“ online Unter www.hamburg.de/Frauenbiografien/ ist die Landeszentrale für politische Bildung mit der bundesweit ersten FrauenbiografienDatenbank online. Obwohl Frauen mindestens die Hälfte der Menschheit stellen, dominieren Männer wenn es z.B. um Ehrungen und Auszeichnungen geht. Allein die Zahlen für Hamburg belegen das: ca. 2000 Straßen und Plätze sind nach Männern benannt – nur rund 300 nach Frauen. Das gleiche Bild zeigt sich bei der Anzahl der Denkmäler und Erinnerungstafeln. Trotz der Leistungen von Frauen scheint die Erinnerung an sie schneller zu verblassen. Es heißt dann oft: „Uns ist keine Frau von Bedeutung bekannt!“. „500 Jahre Reformation: Von Frauen gestaltet“ startet als Internetportal www.frauen-und-reformation.de und würdigt reformatorische Impulse von Frauen (16.-21. Jhd.). Das Projekt der Ev. Frauen in Deutschland e.V. (EFiD), des Konventes Ev. Theologinnen in der BRD e.V. und des Studienzentrums für Genderfragen in Kirche und Theologie der Ev. Kirche in Deutschland lässt die weibliche Seite der Reformation lebendig werden und lädt ein, sie mitzugestalten. Solche Zeiten sind endgültig vorbei: In der neuen Frauenbiografien-Datenbank können leicht Frauen gefunden werden, die sich verdient gemacht haben. Das elektronische Lexikon bietet einen Fundus von über 1.000 Daten. Wenn 2017 das Reformationsjubiläum gefeiert wird, geht es auch um 500 Jahre Taten und Ideen von Frauen, die aktiv die Reformation und ihre Wirkungsgeschichte gestaltet haben. Das Onlineprojekt setze ein sichtbares Erinnerungszeichen für das Verständnis von Reformation aus Frauensicht, so Dr. Eske Wollrad, EFiD-Geschäftsführerin. Im Mittelpunkt der Datenbank stehen Frauen, die in Hamburg Spuren hinterließen: „Wichtig ist mir immer, die jeweilige Frau in Hamburg zu verorten. Deshalb ist jeder Biografie eine Adresse zugeordnet. So wird Hamburgs Topographie auf den Spuren von Frauen lebendig“, betont Dr. Rita Bake, stellv. Leiterin der Landeszentrale für politische Bildung. Es gab den Antrag, eine der Straßen der Hamburger Hafencity nach der prominenten Reederin Lucy Borchard (1877 - 1969) zu benennen; deren interessanter Werdegang steht in der Frauen-Datenbank. Doch vielmehr richtet Dr. Rita Bake ihr Augenmerk auf das Wirken und Leben der ‚kleinen Frau‘, „die oft im Stillen gearbeitet hat, für die Familie, die Stadt, die Kultur, die Wissenschaft, für sich“. Darüber hinaus werden Orte, Einrichtungen, Vereine und Themen präsentiert, die für Frauen von historischer Bedeutung waren und sind. Spezielle Frauen-Datenbanken wären sicherlich auch für andere Städte und Bundesländer eine große Hilfe! Wer in Hamburg etwas beitragen möchte, wende sich an Dr. Rita Bake, 040 428 23 48 04, [email protected]. D r. C o r n e l i a G ö ks u Biografien reformatorisch wirksamer Frauen: Argula von Grumbach, Anna Maria van Schurman, Dorothee Sölle u.a. machen eutlich, dass die Reformation nur als ein von Männern und Frauen gemeinsam gestaltetes Ereignis zu begreifen ist. Über 150 Frauenbiografien werden in den nächsten zwei Jahren unter www.frauenund-reformation.de zu finden sein, verfasst von Schriftsteller_innen, Theolog_innen und Historiker_innen. Eine Reformationstruhe, bei der die weibliche Seite der Reformation auf die Reise geht, kann im virtuellen Reisebüro gepackt werden. Fragen zur Reformation und zu den reformatorischen Impulsen von Frauen regen zum Nachdenken an und lassen jede Truhe zu einem persönlichen Beitrag zur Reformationserinnerung werden. Im Lerncenter können Internet-Schnitzeljagden stattfinden. Die website kann für Gemeindearbeit, Schule oder Uni kreativ genutzt werden, um Aufgaben rund um Frauen und Reformation eigenständig oder in Gruppen zu lösen. Projekte, Aktivitäten von Gemeinden, Verbänden, Schulen sowie Initiativen, Gruppen oder Einzelnen werden unter Aktuelles vorgestellt. Zeichnung: Birgit Kiupel D r. K r i s t i n a D r o n s c h Frauenmahl auf dem Kirchentag in Hamburg 2013 Veranstalterinnen: Frauenwerk der Nordkirche, Ev. Frauenwerke der Kirchenkreise, Studienstelle für Genderfragen in Kirche und Theologie Tischreden zur Zukunft von Kirche und Gesellschaft aus Wirtschaft (Dr. Friederike Habermann), Theologie (Bischöfin Ilse Junkermann), Politik (Manuela Schwesig), Medien (Ines Pohl) und Philosophie (Prof. Dr. Frigga Haug) – dazwischen kulinarische Köstlichkeiten Manuela Schwesig Stellv. Parteivorsitzende (SPD) Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales in Mecklenburg-Vorpommern Fotos: Martin Krok, Annette von Stritzky Ines Pohl Chefredakteurin der taz