Salafismus im Landkreis Esslingen

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Salafismus im Landkreis Esslingen
Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 15 / 5929
15. Wahlperiode
17. 10. 2014
Kleine Anfrage
des Abg. Thaddäus Kunzmann CDU
und
Antwort
des Innenministeriums
Salafismus im Landkreis Esslingen
Kleine Anfrage
Ich frage die Landesregierung:
1. Wie groß schätzt sie die Anhängerschaft des Salafismus im Landkreis Esslingen ein (jeweils aufgegliedert nach Jugendlichen bis 18 Jahren, jungen Erwachsenen bis 21 Jahren und Erwachsenen sowie jeweils nach Geschlechtern)?
2. Wie viele Anhänger aus dem Landkreis Esslingen sind nach ihrer Kenntnis
zwischenzeitlich in anderen Bundesländern in der Salafistenszene aktiv (ungeachtet der Tatsache, ob sie offiziell zum Zeitpunkt dieses Engagements in Baden-Württemberg melderechtlich erfasst waren oder nicht)?
3. Welche Vereine und Gruppierungen, die den Salafisten nahestehen, sind im
Landkreis Esslingen bekannt?
4. Welche Aktivitäten gehen von diesen Vereinen und Gruppierungen aus (u. a.
mit Angabe, welche Prediger regelmäßig diese Vereine und Gruppierungen besuchen)?
5. Ist ihr der Verein „Gemeinschaft Deutschsprachiger Muslime Nürtingen e. V.“
bekannt (mit Angabe der von ihm ausgehenden Aktivitäten)?
6. Liegen ihr Erkenntnisse darüber vor, in welcher Form im Landkreis Esslingen
ansässige Vereine und Gruppierungen mit Vereinen und Gruppierungen mit
salafistischen Hintergrund in Deutschland, vor allem jedoch in der Region Stuttgart, vernetzt sind (organisatorisch oder personell durch Doppelmitgliedschaften bzw. Vorstandstätigkeiten in beiden Vereinen und Gruppierungen usw.)?
7. Welche Erkenntnisse liegen ihr über die in Frage 1 benannten Anhänger zum
Anteil deutscher Konvertiten, zum Anteil von Deutschen mit Migrationshintergrund und zum Anteil von Ausländern vor?
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Eingegangen: 17. 10. 2014 / Ausgegeben: 18. 11. 2014
Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet
abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente
Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“.
Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 15 / 5929
8. Haben sich aktuell Salafisten aus dem Landkreis Esslingen an den Kriegen im
Nahen und Mittleren Osten beteiligt bzw. beteiligen sich derzeit noch?
9. Welche Erkenntnisse – aufgeschlüsselt nach Namen, Geschlecht, Alter und
Wohnort – liegen ihr über aus dem Landkreis Esslingen stammende und in
den Kriegen im Nahen und Mittleren Osten getötete Dschihadisten vor (ungeachtet der Tatsache, ob sie offiziell zum Zeitpunkt dieses Engagements in
Baden-Württemberg melderechtlich erfasst waren oder nicht)?
10. Liegen ihr Erkenntnisse zur Gewaltbereitschaft der in Frage 1 benannten Anhänger sowie bereits zurückgekehrter oder zurückkehrender, aus dem Landkreis Esslingen stammender Dschihadisten vor (ungeachtet der Tatsache, ob
sie offiziell zum Zeitpunkt dieses Engagements in Baden-Württemberg melderechtlich erfasst waren oder nicht)?
13. 10. 2014
Kunzmann CDU
Antwort
Mit Schreiben vom 10. November 2014 Nr. 4-1080/0 beantwortet das Innenministerium die Kleine Anfrage wie folgt:
1. Wie groß schätzt die Landesregierung die Anhängerschaft des Salafismus im
Landkreis Esslingen ein (jeweils aufgegliedert nach Jugendlichen bis 18 Jahren, jungen Erwachsenen bis 21 Jahren und Erwachsenen sowie jeweils nach
Geschlechtern)?
Zu 1.:
Im Landkreis Esslingen sind der Landesregierung keine minderjährigen Anhänger
des Salafismus bekannt. Bei den jungen Erwachsenen bis 21 Jahren sind zwei
männliche Personen bekannt, die Anhänger des Salafismus sind. Die Zahl der erwachsenen Salafisten über 21 Jahren wird auf etwa 33 geschätzt. Eine Person davon ist weiblich.
Im Hinblick auf das Personenpotenzial ist allerdings von einer gewissen Dunkelziffer auszugehen. Insgesamt ist in Baden-Württemberg derzeit von etwa 550 Anhängern salafistischer Bestrebungen auszugehen.
2. Wie viele Anhänger aus dem Landkreis Esslingen sind nach ihrer Kenntnis zwischenzeitlich in anderen Bundesländern in der Salafistenszene aktiv (ungeachtet der Tatsache, ob sie offiziell zum Zeitpunkt dieses Engagements in BadenWürttemberg melderechtlich erfasst waren oder nicht)?
Zu 2.:
Hierzu liegen der Landesregierung keine Informationen vor.
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Landtag von Baden-Württemberg
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3. Welche Vereine und Gruppierungen, die den Salafisten nahestehen, sind im
Landkreis Esslingen bekannt?
4. Welche Aktivitäten gehen von diesen Vereinen und Gruppierungen aus (u. a.
mit Angabe, welche Prediger regelmäßig diese Vereine und Gruppierungen besuchen)?
Zu 3. und 4.:
Im Landkreis Esslingen ist kein Verein bekannt, der als salafistisch bezeichnet
werden kann. Lediglich bei dem Verein „Gemeinschaft Deutschsprachiger Muslime Nürtingen e. V.“ besteht der Verdacht, dass er salafistische Tendenzen aufweist.
5. Ist ihr der Verein „Gemeinschaft Deutschsprachiger Muslime Nürtingen e. V.“
bekannt (mit Angabe der von ihm ausgehenden Aktivitäten)?
6. Liegen ihr Erkenntnisse darüber vor, in welcher Form im Landkreis Esslingen
ansässige Vereine und Gruppierungen mit Vereinen und Gruppierungen mit
salafistischen Hintergrund in Deutschland, vor allem jedoch in der Region
Stuttgart, vernetzt sind (organisatorisch oder personell durch Doppelmitgliedschaften bzw. Vorstandstätigkeiten in beiden Vereinen und Gruppierungen
usw.)?
Zu 5. und 6.:
Der Verein „Gemeinschaft Deutschsprachiger Muslime Nürtingen e. V.“ ist der
Landesregierung bekannt. Er wurde am 6. Februar 2013 gegründet und am 12. Februar 2013 in das Vereinsregister beim Amtsgericht Nürtingen eingetragen. Der
Vereinssitz ist identisch mit der früheren Wohnanschrift des 1. Vorsitzenden, der
jedoch einige Monate nach der Vereinsgründung in sein Heimatland Pakistan
zurückkehrte. Bislang sind keine Erkenntnisse über Aktivitäten des Vereins bekannt geworden.
Der Verdacht des Vorliegens von salafistischen Tendenzen ergibt sich aus der
Vereinssatzung, nach der im Falle der Vereinsauflösung bzw. bei Wegfall steuerbegünstigter Zwecke das Vermögen an die „Gemeinschaft Deutschsprachiger
Muslime e. V.“ in Pforzheim fallen soll. Bei der „Gemeinschaft Deutschsprachiger Muslime e. V.“ handelt es sich um eine salafistische Einrichtung, der aus diesem Grund bereits die Gemeinnützigkeit und die damit einhergehende steuerliche
Privilegierung aberkannt wurde. Es fällt auf, dass die „Gemeinschaft Deutschsprachiger Muslime Nürtingen e. V.“ die Satzung der „Gemeinschaft Deutschsprachiger Muslime e. V.“ nahezu wortgleich übernommen hat.
Es ist daher davon auszugehen, dass es eine Vernetzung zwischen der „Gemeinschaft Deutschsprachiger Muslime Nürtingen e. V.“ und der „Gemeinschaft
Deutschsprachiger Muslime e. V.“ gibt oder gegeben hat.
Darüber hinaus dürfte es aufgrund der räumlichen Nähe des Landkreises Esslingen zur Landeshauptstadt Stuttgart vielfältige Kontakte zwischen Anhängern der
salafistischen Szene des Landkreises Esslingen und solchen aus dem Großraum
Stuttgart geben. Zudem sind einzelne Personen aus dem Landkreis Esslingen bekannt, die Mitglieder oder Besucher einschlägiger salafistischer Moscheevereine
im Großraum Stuttgart sind.
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7. Welche Erkenntnisse liegen ihr über die in Frage 1 benannten Anhänger zum
Anteil deutscher Konvertiten, zum Anteil von Deutschen mit Migrationshintergrund und zum Anteil von Ausländern vor?
Zu 7.:
Von den in der Antwort zur Frage 1 genannten Personen besitzen neun ausschließlich die deutsche Staatsangehörigkeit, wobei alle einen Migrationshintergrund aufweisen. 15 Personen besitzen eine ausländische und drei eine doppelte
Staatsangehörigkeit. Zu acht Personen liegen keine diesbezüglichen Informationen vor. Bei drei Personen handelt es sich um Konvertiten.
8. Haben sich aktuell Salafisten aus dem Landkreis Esslingen an den Kriegen im
Nahen und Mittleren Osten beteiligt bzw. beteiligen sich derzeit noch?
9. Welche Erkenntnisse – aufgeschlüsselt nach Namen, Geschlecht, Alter und
Wohnort – liegen ihr über aus dem Landkreis Esslingen stammende und in den
Kriegen im Nahen und Mittleren Osten getötete Dschihadisten vor (ungeachtet
der Tatsache, ob sie offiziell zum Zeitpunkt dieses Engagements in BadenWürttemberg melderechtlich erfasst waren oder nicht)?
Zu 8. und 9.:
Soweit bekannt, reisten seit dem Jahr 2013 bislang drei Personen aus dem Landkreis Esslingen in Richtung Syrien oder Irak aus, um sich mutmaßlich am Jihad
zu beteiligen. Dabei handelt es sich um zwei Personen aus Kirchheim unter Teck
und eine Person aus Filderstadt. So halten sich ein 24-jähriger deutsch-französischer Staatsangehöriger aus Kirchheim unter Teck seit März 2013 und ein 19jähriger deutsch-türkischer Staatsangehöriger aus Filderstadt seit Juli bzw. August
2014 in Syrien bzw. im Irak auf. Weitere Erkenntnisse weisen darauf hin, dass
sich zumindest der 19-Jährige der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat
(IS) angeschlossen hat. Bei der dritten aus dem Landkreis Esslingen ausgereisten
Person handelt es sich um einen 18-Jährigen aus Kirchheim unter Teck mit bosnisch-herzegowinischer Staatsangehörigkeit, der bei seiner Ausreise noch minderjährig gewesen war. Er soll sich bereits im Juli 2013 dem IS in Syrien anschlossen
haben und kam wahrscheinlich im März 2014 bei Kampfhandlungen ums Leben.
Den Sicherheitsbehörden liegt hierfür jedoch keine behördliche Bestätigung vor.
Insgesamt liegen Erkenntnisse zu etwa 20 Personen aus Baden-Württemberg vor,
die in Richtung der Kampfgebiete ausgereist sind. Unter den Ausgereisten befinden sich auch einige minderjährige Personen. Bei fünf Personen konnte eine Ausreise nach Syrien bzw. in den Irak bislang verhindert werden. Vier der ausgereisten Personen sollen bereits in Kampfgebieten gestorben sein.
10. Liegen ihr Erkenntnisse zur Gewaltbereitschaft der in Frage 1 benannten Anhänger sowie bereits zurückgekehrter oder zurückkehrender, aus dem Landkreis Esslingen stammender Dschihadisten vor (ungeachtet der Tatsache, ob
sie offiziell zum Zeitpunkt dieses Engagements in Baden-Württemberg melderechtlich erfasst waren oder nicht)?
Zu 10.:
Hinsichtlich der Gewaltbereitschaft der in der Antwort zur Frage 1 genannten Anhänger lassen sich keine eindeutigen Aussagen treffen, da die Übergänge zwischen „politischem Salafismus“ und „jihadistischem Salafismus“ fließend sind.
Jihadistische wie auch politische Salafisten rezipieren dieselben Autoritäten und
Vordenker. Sowohl die ideologischen Grundlagen als auch die angestrebten politischen und gesellschaftlichen Ziele sind bei beiden Gruppen gleich. Sie unterscheiden sich vor allem in der Wahl der Mittel, mit denen sie ihre Ziele verwirklichen wollen. Der „politische Salafismus“ stützt sich auf intensive Propagandatätigkeit, die sogenannte da’wa (Ruf zum Islam, Missionierung). Hinsichtlich der
Gewaltfrage wird keine einheitliche Haltung vertreten. Vertreter des „jihadisti-
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schen Salafismus“ hingegen glauben ihre Ziele durch Gewaltanwendung (in salafistischer Terminologie: jihad) realisieren zu können. Die überwiegende Mehrzahl
der hier in Rede stehenden Anhänger des Salafismus im Landkreis Esslingen
dürfte dem „politischen Salafismus“ zuzuordnen sein.
Bisher sind keine Personen aus dem Landkreis Esslingen bekannt, die aus Kampfgebieten nach Deutschland zurückgekehrt sind. Generell wird aber bei Rückkehrern aus Kampfgebieten in Syrien oder im Irak von einem gesteigerten Gefährdungspotenzial ausgegangen. Dies resultiert aus der Annahme einer mutmaßlich terroristischen Ausbildung in Theorie und Praxis, der Teilnahme an Kampfhandlungen, einer weiterführenden ideologischen Radikalisierung sowie gegebenenfalls traumatischen Erlebnissen.
Gall
Innenminister
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