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68 SNOW
FREESTYLE-RAKETE CHRISTOPHE SCHMIDT
Ganz nach oben
getrickst
Sie nennen ihn Young Gun – und das zu Recht.
Christophe Schmidt hat sich in die Spitze der
internationalen Freestyle-Szene katapultiert.
Unter den deutschen Fahrern gilt er als
absoluter Favorit für die kommende Saison.
Text Stephanie Kranz
Fotos Christian Brecheis
Man kriegt ihn schwer zu fassen, den Christophe. Er ist
ständig unterwegs, immer auf Reisen. Und wenn er mal
da ist, entwischt er einem sofort in Richtung Park oder
Pipe. Freestyle ist nicht nur sein Beruf, sondern immer
noch sein liebstes Hobby, das sich das »Freestyle-Nachwuchstalent« vom Bayerischen Schliersee nicht nehmen lässt. Wie bitte? Nachwuchstalent? Das war einmal. Damals, 2003, da wurde er glatt Junioren-Weltmeister und Deutscher Vizemeister in der Halfpipe.
2004 hat Christophe richtig angegriffen und bei den
großen TTR-Events von sich reden gemacht. Beim Burton European Open in Livigno und bei den Nescafe
Championships in Leysin kam er ins Finale und ließ große Namen wie Vinzenz Lüps oder Antti Autti hinter
sich. Beim Worldcup in Sapporo, Japan, schnappte er
sich den vierten Platz und bei den US Open in Stratton
Mountain, USA, den dritten Rang im Slopestyle und den
achten Platz in der Halfpipe. Die Krönung seiner contestreichen, ereignisreichen und erfolgreichen letzten
Saison kam dann eher zufällig. Slopestyler Joni Malmi
verzichtete auf sein Ticket to Ride (aus Schneemangel
gab es keinen Slopestyle-Bewerb) und Christophe rückte nach. Der Trip auf die Lofoten vor der nordnorwegischen Küste zum Arctic Challenge wird dem 21-Jährigen
in ewiger Erinnerung bleiben. Er schaffte es dort sogar
ins Finale! Christophe ist gereift, vom Nachwuchstalent
zur ernst zu nehmenden Konkurrenz für die alten Freestyle-Hasen wie Xaver Hoffmann und David Benedek,
seine Kumpels und Team-Kollegen. Und irgendwo in
seinem Winterkopf schwirrt ein durchaus realistisches
Ziel umher: Olympia 2006.
SNOW 69
»Fehlentscheidungen oder eine
vermeintlich ungerechte Punkteverteilung
gibt es immer. Wenn man das dann
zu ernst nimmt, ärgert man sich nur.«
Christophe Schmidt über Judges bei Contests
Du bist in der letzten Saison viel gereist, warst
monatelang nur unterwegs und bist viele Contests gefahren. Nagt das an der Motivaton?
Ja, man wird müde, vor allem das viele Reisen
brennt mich schon aus, und ich war froh, als ich
mal eine zeitlang meine Ruhe hatte und nicht
mehr nur aus dem Koffer gelebt habe. Ich hatte
gegen Ende der letzten Saison zwar keine Lust
mehr, Contests zu fahren, aber das Snowboarden selbst macht immer noch total viel Spaß.
Wenn ich die Lust am Boarden verlieren würde,
müsste ich schnell was ändern.
Stehst du bei den Contests sehr unter Druck?
Nein, da geht es eigentlich ziemlich locker zu.
Druck gibt es nur, wenn man sich ihn selber auferlegt. Ich würde sagen, ich gehe motiviert in
die Pipe oder den Park, aber nicht verbissen oder
verkrampft, denn das bringt nichts. Man darf
nicht vergessen, dass Snowboard-Freestyle eine
gejudgte Sportart ist, bei der es immer Fehlentscheidungen oder eine vermeintlich ungerechte
Punkteverteilung gibt. Wenn man das dann zu
ernst nimmt, ärgert man sich nur.
Ärgerst du dich, wenn du einen Run versaut hast?
Ja, klar ärgere ich mich, und zwar über mich
selbst, wenn ich schlecht gefahren bin. Aber
Fehler passieren halt – man stürzt bei der Landung oder kriegt einen Grab nicht schön hin …
das ist dann blöd, aber kein Weltuntergang.
Du hast dich kontinuierlich verbessert, vom Junioren-Weltmeister und Deutschen Vizemeister
in der Halfpipe 2002/2003 bis zum international
hochkarätigen Freestyler auf TTR-Events. Kannst
du dich mit dem Prädikat »Freestyle-Nachwuchs« überhaupt noch identifizieren?
Naja. Nachwuchs war ich letztes Jahr, langsam
bin ich etwas zu alt dafür. Nachwuchs war ich
wohl immer, weil ich immer ein ganzes Stück
jünger war als zum Beispiel David (Benedek),
Xaver (Hoffmann) und Jan (Michaelis). Ich habe
für die kommende Saison viele große, wichtige
Ziele.
Die da wären?
Eines meiner wichtigsten Ziele ist ein guter Video-Part. Ich bin schon sehr gespannt darauf,
zum Filmen zu gehen, freue mich auf was ganz
Neues, was ich noch nie gemacht habe. Und
dann Olympia 2006 – das wäre natürlich cool.
Aber dazu müsste ich den ganzen Winter die
FIS-Tour mitfahren, was ich kaum schaffen werde. Man muss viele Sachen machen, verschiedene Contests fahren und eben filmen, was extrem zeitaufwändig ist. Mal sehen, ob sich
Olympia ausgeht.
Und wenn du irgendwann mal nicht mehr aktiv
fahren willst oder kannst, möchtest du in der
Snowboard-Branche bleiben?
Nein, bestimmt nicht. Ich möchte so etwas wie
Jura oder Wirtschaft mit Sprachen studieren.
Die Snowboard-Branche ist mir zu unzuverlässig und unseriös, es wird viel geredet und wenig
eingehalten. Ich hatte einmal bei einem meiner
ehemaligen Sponsoren innerhalb kürzester Zeit
sechs oder sieben verschiedene Teammanager,
die allesamt keine Infos weitergegeben haben
und uns Teamfahrer in der Luft hängen haben
lassen. In dieser Firma ging’s drunter und drüber, und das ist kein Einzelfall. So möchte ich
nicht arbeiten.
Wie kamst du dann überhaupt zum Boarden und
zum Profisport?
Ich fahr’ seit 1994/95 Snowboard und hab’ angefangen wie jeder andere auch. Ich bin halt jeden
Tag mit dem Bus auf meinen Hausberg am Spitzing und einfach Snowboard gefahren. Einige
Jahre bin ich sogar abwechselnd Alpin und Freestyle gefahren und war immer mit zwei Paar
Boots und zwei Boards auf dem Berg.
Wirklich? Erwischt man dich heute noch ab und
zu auf dem Race-Board?
Nein, gar nicht mehr. Aber alpin zu fahren kann
riesig Spaß machen, ich kritisiere das nicht.
Wie ging’s weiter?
Wir hatten wir einen Sportlehrer – word up an
Herrn Schaller – der hat uns in seinem Unterricht auf den Berg geschleppt und aufs Snowboard gestellt. Dank ihm konnte ich auch unter
der Woche sehr viel fahren, bekam schon mit
zwölf Jahren meinen ersten Sponsor Duotone
und fuhr auf Junior-Cups. Von da an ging’s immer weiter nach oben.
Gab es für dich den klassischen Spagat zwischen
Profi-Snowboarden und Schule?
Mein Direktor war ziemlich nett und hat mir
viele (80!) Fehltage durchgehen und viele (die
Hälfte aller) Klausuren nachschreiben lassen.
Aber ich war ohnehin nie schlecht in der Schule
und hatte auch weiterhin gute Noten. Ich war
wohl so motiviert und ausgeglichen, weil ich
Snowboarden gehen konnte, dass mir das Lernen auch leichter fiel. Vor drei Jahren habe ich
Abi gemacht und in dieser Zeit das Boarden
auch etwas zurückgestellt.
2004 bist du richtig durchgestartet, warst in Japan und USA. Welche Eindrücke sind dir von diesen Reisen im Gedächtnis geblieben?
In Japan gehen die Leute völlig crazy ab,
Snowboarder werden wie Rockstars verehrt. Vor
allem bei den Contests, die in der Stadt abgehalten werden, tobt und bebt die Masse. Das pusht
unglaublich. Man kann richtig nachfühlen, wie
sich echte Stars fühlen, Musiker oder Schauspieler, die nirgends hingehen können, ohne nach
einem Autogramm gefragt zu werden. Das ist
ziemlich lustig, aber immer muss ich das nicht
haben. Die ganze Mentalität ist einfach so
fremd. Und in den USA sind die Voraussetzungen für Snowboarder einfach genial. Dort gibt’s
die meisten, besten und größten Parks und
Pipes. Die werden sogar gesalzen, damit sie halten. Und bei Foto-Shoots oder beim Filmen
springt man auf den Ski-Doo und kommt überall schnell und umkompliziert hin. Deshalb ist
fast die ganze Snowboard-Video-Szene auch
drüben beheimatet. Die Amis sind da lockerer,
der Sprit und die Arbeitskraft günstiger. Das
Ganze geht aber natürlich auf Kosten der Umwelt.
SNOW 71
»Rails machen
Spaß, werden
aber zur Zeit
vollkommen
überbewertet.
Das bringt
den Sport
falsch rüber.«
Christophe Schmidt
übers Boarden in Parks
Um in die Pipes von Japan oder der USA zu kommen, muss man irgendwie anfangen. Hast du ein
paar Tipps für die ersten Freestyle-Tricks auf Lager?
Viel beobachten. Man sieht einen bestimmten
Trick und versucht, sich die Bewegungsabläufe
im Kopf vorzustellen. Man muss visualisieren
können, wie der Trick funktionieren könnte.
Aber man muss klein anfangen, schrittweise
und mit Köpfchen, damit man sich nicht verletzt. Bei klassischen Drehungen steigert man
sich langsam, erst 180, dann 360 Grad. Um
schwierige Tricks und Spins zu lernen, muss das
ganze Können schon auf einem bestimmten Level sein, so dass man sich zutraut, den gesamten
Trick auf einmal durchzuspringen. Das geht
dann einfach nicht mehr schrittweise. Ich empfehle, im Powder zu üben. Wenn man fällt, fällt
man wenigstens weich.
Du selbst fährst ja schon auf sehr hohen Level.
Gibt’s trotzdem No-Goes?
Es gibt sicher bestimmte Tricks, die mir schwer
fallen und bei denen ich mich überwinden
müsste. Wenn meine Angst zu sehr überwiegt
oder ich mir nicht sicher bin, dass das funktioniert, springe ich einfach nicht. Es gibt andere,
die machen es trotzdem und werden vielleicht
schneller besser, aber sie verletzen sich auch
leichter. Jeder muss da seinen Weg finden, mein
Weg geht in Richtung Sicherheit. Oft diskutiere
ich auch mit meinen Kumpels, wie ein Trick
funktionieren könnte, und wir probieren ihn zusammen aus. Daran wird lange gefeilt.
Beschreib deinen Style. Was ist dir besonders
wichtig?
Ich lege Wert auf lange Grabs und saubere Landungen, nicht unbedingt endlos viele Drehungen. Ich mache lieber eine Drehung weniger, dafür sieht mein Trick und die Landung sauber,
präzise und kontrolliert aus. Meine Tricks sollen
technisch perfekt ausgeführt sein.
Hast du eine bestimmte Choreographie im Kopf,
die du dann bei einem Run in der Halfpipe abspulst?
Auf jeden Fall, das muss ich auch. Wenn ich mich
nach jedem Trick in der Pipe erst entscheiden
muss, was ich als nächstes mache, wird das
nichts. Die Zeit ist einfach zu kurz. Normalerweise passen in eine Standard-Pipe fünf, sechs,
manchmal sieben Sprünge, die man sich vorher
überlegt und dann fährt.
Erst die schweren Tricks, dann die leichten – oder
umgekehrt?
Es gibt verschiedene Überlegungen. Einerseits
gibt es mehr Punkte, wenn man die schweren
Tricks am Anfang macht, weil man mehr Risiko
eingeht zu stürzen und null Punkte zu bekommen. Das Level ist von Anfang an höher. Andererseits sitzen die Judges immer unten an der
Pipe und sehen die schweren Tricks am oberen
Ende vielleicht nicht so gut. Und wenn der Run
gut war und du zum Schluss noch einen Hammer-Trick ablieferst, bleibt das jedem im Gedächtnis, auch den Judges.
Slopestyle ist ja eine relativ junge Disziplin.
Fühlst du dich wohl im Park und auf Rails?
Slopestyle ist cool, weil vier, fünf Kicker in einer
Line stehen und man als Fahrer die Möglichkeit
hat, sein gesamtes Repertoire zu zeigen. Du
musst deine Tricks können und sie nacheinander schaffen. Das ist anspruchsvoller als beim
Big Air, wo jeder hau-ruck auf volles Risiko fährt,
einen Trick springt, aber eigentlich kein kompletter, konstanter Fahrer sein muss. Rails machen Spaß, werden aber zur Zeit vollkommen
überbewertet. In amerikanischen Video-Produktionen sieht man teilweise 70 Prozent Rail-Fahren und 30 Prozent normales Boarden. Ich finde,
das bringt den Sport an sich falsch rüber. Rails
gehören zwar dazu, aber sie sind ganz und gar
nicht alles.
Wenn du dir deinen Traum-Snowboard-Tag zusammenbasteln dürftest, wie sähe der aus?
An einem normalen Werktag, wenn alle anderen arbeiten müssen, früh aufstehen, aus dem
Fenster schauen und super Wetter haben. Rauf
auf den Berg und den ganzen Vormittag
powdern gehen, bis alles zerfahren ist. Am
Nachmittag dann Park-Session bis zum Abwinken.
Und wo trifft man dich im Sommer?
Auf dem Golfplatz in Gmund, da bin ich im Club.
Golf ist ein genialer Ausgleich zum Snowboarden und macht unheimlich Spaß. Golf ist wahnsinnig schwer. Man verbringt oft vier Stunden
auf dem Platz und muss sich extrem konzentrieren, weil jeder Schlag zählt. Das macht einen
mental stärker. Und mir fällt es dann auch auf
dem Berg und dem Board leichter, mein Ziel zu
fokussieren und mich über längere Zeit hinweg
voll zu konzentrieren. Wenn ich nicht Golf spiele, bin ich beim Skaten oder Surfen – oder eben
wieder auf dem Gletscher auf Sommercamps.
Und wenn die Lifte zu machen – wilde Party oder
gutes Buch?
Ich würde auf die Party gehen, am besten mit
70er oder 80er Musik, und gehörig abfeiern. Gute Partys gibt es aber leider wenige. Am meisten
Spaß macht’s natürlich, wenn man unterwegs
ist und einen Sieg bei einem Contest eingefahren hat. Dann geht’s richtig ab. Speziell wenn
der Xaver dabei ist, dann bleibt kein Auge und
keine Kehle trocken.
Was sind die großen Momente in einer Karriere
als Freestyler?
Einer der tollsten Momente war bestimmt der,
als ich Junioren-Weltmeister geworden bin. Ich
war nach dem ersten Lauf ganz an der Spitze,
wurde aber dann noch überholt. Ich bin dann
als Letzter gestartet, hab’ aber gesehen, dass
der vor mir noch mehr Punkte bekommen hat.
Ich hatte also in diesem letzten Lauf die Chance,
Punkte aufzuholen, den anderen zu überholen.
Als ich den letzen Trick gestanden hatte, war mir
klar, dass es ziemlich gut gelaufen ist. Der geilste Moment war und ist der, in dem die Judges
die Punktzahl bekannt geben – ein unglaubliches Feeling!