Sternekoch bis unter die Haut
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Sternekoch bis unter die Haut
31 Tages-Anzeiger – Samstag, 15. Februar 2014 Kultur & Gesellschaft Sternekoch bis unter die Haut In kurzer Zeit ist Nenad Mlinarevic zu einem der erfolgreichsten Küchenchefs der Schweiz aufgestiegen. In Vitznau am Vierwaldstättersee sucht er mit kleinem Team nach dem harmonischen Geschmack. Von Daniel Böniger Ist das einer der talentiertesten Küchenchefs der Schweiz? In Röhrlijeans, Turnschuhen und T-Shirt steht er da, mit Dreitagebart und gezupften Augenbrauen. Dass man Nenad Mlinarevic in der Eingangshalle des prunkvollen Parkhotels Vitznau trifft, mit Marmorboden und Aussicht auf Garten und Vierwaldstättersee, macht den Auftritt noch irritierender. Erst als er die Ärmel hochschiebt und die Tätowierung am rechten Unterarm entblösst, ist man sicher, den Richtigen vor sich zu haben: Da sind eine Kochhaube und die Umrisse von drei Sternen. «Die habe ich mir vor etwa zehn Jahren machen lassen», sagt er. Zwei «Guide Michelin»-Sterne hat sich der 32-Jährige in seiner ersten Anstellung als Küchenchef schon erkocht. In Rekordzeit: Erst im letzten März wurde das Parkhotel Vitznau nach einem Umbau neu eröffnet; im November kam die Nachricht, dass der Gastroführer den jungen Koch und sein vierköpfiges Team auszeichne. In der Schweiz führen nur 19 Adressen zwei Sterne: Kam die Auszeichnung überraschend? «Ich hätte an mir gezweifelt, wenn ich den ersten Stern nicht bekommen hätte – dafür sind wir doch zu sehr auf Gourmetküche fokussiert.» Die Teller werden mit spitzen Pinzetten angerichtet – noch das Kräuterblättchen hat seinen Platz. Was er damit meint: Das rund 30-plätzige Restaurant Focus, für das er verantwortlich ist, hat nur abends geöffnet. Es gibt nur ein einziges 9-Gang-Menü und wenige A-la-carte-Gerichte, und das Hotel führt den wahrscheinlich teuersten Weinkeller der Schweiz. «Als wir erfuhren, dass es gleich für zwei Sterne gereicht hat, gingen die Emotionen hoch», sagt Nenad Mlinarevic. «Denn eine solche Auszeichnung braucht Konstanz und ist entsprechend schwieriger zu bekommen.» Sechsmal seien die anonymen Tester da gewesen. Die Tätowierung verrät es: Ein solcher Einstand kommt nicht zufällig. Mlinarevics Laufbahn begann mit einer Schnupperlehre im Waldhaus Dolder. Sein Vater hatte sie ihm organisiert, ein VBZ-Angestellter mit serbischen Wurzeln und langen Jahren am Steuer des Dolderbäändli. Unter Küchenchef Thierry Kern, sagt Mlinarevic, sei jeder Fond von Grund auf zubereitet und jedes Reh am Stück angeliefert und erst vor Ort zerteilt worden. Sogar die Forellen seien in der Küche in einem Becken geschwommen, bis sie bestellt wurden: «Mir gefiel diese Welt, und ich hängte noch eine zweite Woche an.» Ab sofort wollte er alles übers Kochen wissen. Zwei Köche hätten ihn geprägt, erzählt Mlinarevic: Peter Hussong von der Wirtschaft zum Wiesengrund in Uetikon am See, der ihm eine erste Stelle auf Punkteniveau anbot: «Er gab mir meine Chance, forderte aber auch. Seit damals war ich sicher, dass ich auf hohem Niveau kochen will.» Mit Andreas Caminada stand er dann zwei Jahre in der Küche: «Ich war dabei, als er sich von 16 auf 18 «Gault Millau»-Punkte steigern konnte. Wir waren in der Küche damals bloss zu viert – und hatten viel Spass.» Ein Lebensstil, nicht nur ein Job Nun sitzt Nenad Mlinarevic am Chef ’s Table in der grosszügigen und modernen Küche des Focus. Hinter ihm ein Gestell voller Kochbücher mit Werken wie «Modernist Cuisine», aber auch das altehrwürdige Rezeptbuch «Pauli». Daneben eine Pinnwand und daran der Spruch: «It’s not a job – it’s a life style.» Es ist kurz nach 18 Uhr. Der Küchenchef verschwindet schnell, um sich umzuziehen, und gesellt sich dann zu seinem Team, das er selbst zusammengestellt hat. Für Mlinarevic ein Muss: «Man arbeitet täglich mehrere Stunden eng zusammen – das funktioniert nicht, wenn die Chemie nicht stimmt.» Noch herrscht Ruhe. Auf einer Kochplatte schmurgelt ein Fond, neben dem Herd steht ein grosser Topf Butter. Einer Weintipp Der Ursprung des Schaumweins Die hiesige Sinneswahrnehmung kennt zwei Crémants: die schwarzbraune Schokolade von Cailler, eine Tafel mit abgerundeten Riemchen statt der üblichen Rechtecke, und den Schaumwein aus dem Elsass, den Crémant d’Alsace. Beide Produkte haben schon bessere Zeiten gesehen. Die Zartbitterschokolade, Grundzutat des Schoggikuchens, den Grand-Maman buk, wurde von Grand Cru aus Maracaibo, Granada, Rio Huimbi und sogar einer Cru Sauvage aus dem bolivianischen Dschungel überholt; der Crémant d’Alsace von Cava und vor allem vom Prosecco. Als «Crémant» bezeichnet man französische Schaumweine, die nicht in der Champagne gekeltert werden, aber nach derselben Methode inklusive zweiter Gärung, Rütteln und Degorgieren. Die Definition wurde Ende der 80er-Jahre festgelegt, nachdem die EU die Bezeichnung «méthode champenoise» für Schaumweine verboten hatte, die ausserhalb der Champagne produziert werden. Früher nannte man einen Schaumwein mit wenig Kohlesäuredruck und feinerer Perlage einen Crémant, denn mit zarteren Bläschen schmeckt der Wein weicher, eben cremiger; heute ist das Spektrum weiter gefasst. Im Elsass wird Schaumwein nach Champagnerverfahren seit dem Ende des 19. Jahrhunderts hergestellt. Verwendet werden unverschnitten oder in unterschiedlicher Zusammensetzung die Rebsorten Pinot noir, Pinot gris, P inot blanc, Riesling, Chardonnay und Auxerrois – aber nicht Gewürztraminer und Chasselas. Paul Imhof Er schreibt im Wechsel mit Philipp Schwander über Wein und Winzer und stellt edle Tropfen vor. Röhrlijeans, gezupfte Brauen, Tattoo: Nenad Mlinarevic entspricht nicht dem Klischee des Kochs. Foto: Herbert Zimmermann (13 Photo) der Köche fackelt mit dem Bunsenbrenner kleine eingelegte Zwiebeln ab, bis sie schwarz sind. Ein anderer probiert eine Hollandaise mit Raucharoma. Wenig später trifft die erste Bestellung ein, die Mlinarevic in höllischem Tempo runterliest: «Zweimal Saibling, zweimal Jakobsmuscheln, zweimal Ente.» Ohne ein Wort zu sprechen, machen sich die Köche an die Arbeit. Die Teller, die raus gehen, richten sie mit chirurgisch spitzen Pinzetten an – noch das kleinste Kräuterblättchen hat seinen Platz. Wenn dann doch mal geredet wird, zeigt sich, dass hier Französisch nicht mehr die Hauptsprache ist, wie in den Küchen der alten Schule. Beim Diskutieren fallen Begriffe wie «crispy», «spicy», «straight». Von André Jaeger sagt man, dass er seinen Gerichten oft eine asiatische Note verleiht; Tanja Grandits ist bekannt für ihre sogenannte Aromen küche – wie würde Mlinarevic seine Handschrift beschreiben? «Vom Ausdruck Autorenküche halte ich nicht viel, mir geht es bei meinen Gerichten in ers- ter Linie um Harmonie», sagt er. «Und natürlich spielt die Optik eine Rolle. Aber ich mache nichts, was andere nicht auch könnten.» Die Angebote kommen Wer Teile des aktuellen Menüs vor sich hat, versteht, was dieser Koch mit Harmonie meint: In einer Schale liegt ein leicht gedämpftes Stück Seidentofu; es ist belegt mit Sojasprossen, verschiedenen Pilzen und fermentiertem schwarzem Knoblauch. Umgeben ist das kleine Kunstwerk von einer Essenz, die aus Champignons, Wasser und einem Schuss Sojasauce zubereitet wurde. «Sonst nichts», grinst der Chef. Um dem Ganzen Frische zu verleihen, kommt noch ein Spritzer Koriandersauce dazu. Bemerkenswert ist nicht nur der Kontrast zwischen weichem Tofu und den knackigen Sojasprossen – wer seinen Löffel mit den Köstlichkeiten füllt, erlebt «Umami», sprich Wohlgeschmack. Das aktuelle Menü kostet 225 Franken. Wenn es sein muss, kann es das Team schnell servieren: «Vor kurzem war Daniel Bumann bei uns», erzählt Mlinarevic. Der 18-Punkt-Küchenchef ist bekannt dafür, keine langen Pausen zwischen den Gängen zu mögen: «Wir haben ihm unser Menü in einer guten Stunde an den Tisch geschickt.» Ein bisschen mehr Zeit sollte sich der Gast aber schon lassen: etwa für die Jakobs muscheln, die mit Apfel- und Selleriekomponenten kombiniert werden. Sellerie in der Spitzenküche? «Ja, ich muss ja schliesslich auf die Warenkosten schauen», sagt Mlinarevic. Offensichtlich ist es Nenad Mlinarevic wohl in Vitznau. Er hat das Team, das er möchte, und eine Infrastruktur, die andere Küchenchefs sich wünschen. Könnte man ihn hier denn weglocken? Er antwortet: «Ich bekomme immer wieder lukrative Angebote, aber die Anstellung hier ist wie ein Sechser im Lotto.» Das Restaurant Focus hat Betriebsferien bis 24. Februar, www.phv.ch Rezept Brownie mit Milchglace und Kondensmilch für 4 Personen 250 g Rohrzucker 3 Eier 15 g Vanillezucker 2,5 g Salz 125 g dunkle Schokolade (Couverture) 225 g Kochbutter 25 g Pinienkerne 25 g Pistazien 25 g Haselnüsse 25 g Walnüsse 80 g Rosinen 2 g Zimtpulver 1 Tube Kondensmilch 5 dl Vollmilch 4 Eigelb 50 g Milchpulver 125 g Kristallzucker Rohrzucker, Vanillezucker, Salz und Eier gut verrühren. Die Kochbutter und die Schokolade über einem Wasserbad in einer Metallschüssel schmelzen. Flüssige Butter-Schokolade-Mischung zur Eimasse geben und gut verrühren. Nüsse, Rosinen, Zimtpulver beifügen und alles gut verrühren. Mit Heissluft bei 170 Grad während 15 Minuten backen, sodass die Brownies im Innern noch schön feucht sind. Kondensmilch in einem Steamer bei 100 Grad während 2 Stunden garen. Danach in Eiswasser abkühlen und im Kühlschrank aufbewahren. Vollmilch und Milchpulver kurz aufkochen. Eigelb und Zucker gut verrühren, die heisse Milch dazugeben und über einem Wasserbad vorsichtig unter ständigem Rühren auf 80 Grad erhitzen, bis eine schöne Creme entsteht. Masse im Tiefkühler fest werden lassen, evtl. mehrmals durchrühren. Beim Anrichten darauf achten, dass die Kondensmilch unter die Glace kommt. Als Garnitur geben Gänseblümchenblüten einen schönen Farbakzent. Die Crémants aus dem Elsass sind die bekanntesten. Weiter gibt es Crémant de Bourgogne (Pinot noir, Chardonnay, Aligoté), Crémant de Loire (Chardonnay, Chenin blanc, aber nicht Sauvignon blanc), Crémant du Jura (Chardonnay), Crémant de Bordeaux (Sémillon) und Crémant de Limoux. Dort, in der kleinen Appellation im nördlichen Languedoc, soll das Prinzip des Schaumweins entdeckt worden sein. Nicht in der Champagne? «Das behaupten d i e dort», erklärte mir einmal ein Winzer in Limoux. Für ihn war klar, dass der erste Schaumwein im Jahr 1531 von Mönchen der Benediktinerabtei Saint-Hilaire bei Limoux gekeltert worden war. In diesem Kloster habe Dom Péri gnon, geboren im 17. Jahrhundert, während eines Etappenhalts auf dem Jakobsweg die Methode kennen gelernt und in der Champagne nach seiner Heimkehr von der Pilgerreise nach Santiago de Compostela ausprobiert. Mit überragendem Erfolg. Den wahren Erfindern bleibt bloss der Trotz: «Limoux ist der Ursprung des ersten Schaumweins der Welt», hält ein lokaler Reiseprospekt fest. Heute produziert man dort drei Typen: Crémant und Blanquette werden nach der «méthode traditionelle», also wie Champagner mit Rütteln und Degorgieren erzeugt. Im Crémant spielt die traditionelle heimische Sorte Mauzac neben Chardonnay, Chenin und Pinot noir eine marginale Rolle; Blanquette dagegen besteht aus 90 Prozent Mauzac und höchstens 10 Prozent Chardonnay oder Chenin. Für Blanquette méthode ancestrale, den dritten Typ, verwendet man nur Mauzac-Trauben. Dieser Wein ist das wichtigste Indiz, das für Limoux als Wiege des Schaumweins spricht – weil die Methode rustikal, einfach und deswegen wohl die ursprünglichste ist. Man füllt den jungen Wein in Flaschen ab, bevor der Restzucker zu Alkohol vergoren ist. Die Fermentation setzt sich in der Flasche fort, dabei bildet sich Kohlensäure. Der Schaumwein «méthode ancestrale» wird weder gerüttelt noch mit einer Dosage aufgemöbelt, er bleibt am Ende der gleiche wie eh und je: mild, ziemlich süss und mit sieben Volumenprozent alkoholarm. Crémants aus diversen Appellationen findet man bei zahlreichen Weinhändlern, sicher bei Mövenpick und Coop. Die Preise sind im Vergleich zu Champagner moderat; ab ca. 15 Fr. darf man eine gute Qualität erwarten.