Georges Hausemer Con Dao

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Georges Hausemer Con Dao
Samstag. Schlimme Nacht. Donner, Blitz, Sintflutregen, orkanartiger
Sturm. Totaler Stromausfall, mehrere Stunden. Das Meer tobte,
fauchte wie ein verwundetes Tier.
Zündete eine der Kerzen an, die in einem Schuhkarton unter dem
Nachttisch liegen. Setzte sie auf den Wannenrand, ließ Wasser einlaufen. Stellte mir vor, in dieser Nacht zu sterben, nie gefunden zu
werden.
Georges Hausemer kennt den Gegenstand seiner 19 Erzählungen, die in Asien und Afrika,
Südamerika und der Karibik, auf verstreuten
Eilanden und manchmal auch in entlegenen
Winkeln Europas angesiedelt sind.
Seit vielen Jahren reist der Schriftsteller und
Journalist um die Welt, von Land zu Land, von
Erzählungen
Georges Hausemer wurde am 1. Februar 1957
in Differdingen geboren. Er lebt als Schriftsteller, Übersetzer und Zeichner in Esch/Alzette.
Seine Reisereportagen erscheinen unter anderem in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Zeitung,
der Neuen Zürcher Zeitung und im Berliner
Tagesspiegel.
Am Morgen lag das Gerippe eines Fischerbootes im Sand, zerschellt
an den mächtigen Betonklötzen, die den Ort und seine Bewohner
vor dem Meer schützen sollten.
Georges Hausemers Geschichten spielen in entlegenen Weltgegenden,
auf vergessenen Inseln, an verlorenen Flecken im Nirgendwo entfernter
Länder und Kontinente. Mit stoischem Gleichmut versuchen die
aus der Zivilisation gefallenen Helden der Erzählungen, sich in einer
unbegreifbaren Fremde zu behaupten, und scheitern doch meist mit
tragischer Größe.
www.georgeshausemer.com
http://hausemer.blogspot.com
ISBN 978-2-87954-242-3
EDI_LIVRE_Erzaehlungen_jaquette_Definitiv_neu.indd 1
Georges Hausemer
Con Dao
1988 nahm er am International Writing Program in Iowa City (USA) teil.
Neben Romanen, Erzählungen und Gedichten
hat Georges Hausemer zahlreiche Reisebücher
sowie das Nachschlagewerk „Luxemburger
Lexikon. Das Großherzogtum von A-Z“ (2006)
veröffentlicht. Zuletzt erschienen „Die heiligen Ratten von Deshnok. Eine indische Reise“
(2008), „Die kochenden Kerle von der Muschelbucht. Lesereise Baskenland“ (2010) sowie der
Roman „80 D“ (2010).
Georges Hausemer
Con Dao
Erzählungen
Kontinent zu Kontinent, stets auf der Suche
nach der Realität jenseits der Fotomotive gefällig inszenierter Touristenziele. Dass sich hinter
den Fassaden nicht immer die hineinphantasierten Paradiese verbergen, dass die Begegnung mit dem Exotischen selten dem imaginierten Ideal entspricht – das sind Erfahrungen,
die das Personal in Hausemers Erzählungen auf
schmerzliche Weise machen muss. Es sind in
der Fremde Gestrandete, die ihren Platz an den
sich oft als feindselig entpuppenden Sehnsuchtsorten zu erkämpfen versuchen – und dafür teuer bezahlen. Die Verlorenheit dieser tragischen
Helden, ihre Einsamkeit in einer bedrohlichen
Umgebung und die Vergeblichkeit des Versuchs,
sich dennoch zu behaupten, schildern die dichten Erzählungen von Georges Hausemer mit
beinahe körperlich spürbarer Intensität.
4/19/11 4:02 PM
Unter Palmen
Ich bewohnte eine Hütte am Strand. Sie lag unter Kokospalmen
und bunten Fetzen von Plastiktüten, die sich in den Wedeln verfangen hatten. Eine Landschaft aus Trümmern: Steine, rostige
Stäbe von Eisenzäunen, dicke Brocken aus Beton. Der Boden war
mit braun und grau gewordenem Blattwerk bedeckt. Aus Erdlöchern stieg Rauch auf. Bestialischer Gestank zog über das bucklige
Gelände, als wären Exkremente vom Himmel gefallen. Kinder
staksten herum, gebückt wie Schimpansen, die im Abfall nach
Nahrung suchten oder sich gegenseitig am Hintern rochen.
Auf der Insel gab es tatsächlich einen Zoo.
Einmal in der Woche kam die Pendelfrau. Ich hatte das nicht
gewollt; es hatte sich so ergeben. Wortlos trat sie ein, schob mich
zur Seite, wenn ich im Weg stand, und begann ihre Arbeit. Anfangs hatte ich ihr interessiert dabei zugeschaut, wenn sie mit
dem Pendel zwischen den Fingern am Ende ihres ausgestreckten
rechten Arms umherging, ab und zu die Stirn runzelte, gelegentlich einen mürrischen Seufzer ausstieß, plötzlich innehielt und
sich auf etwas zu konzentrieren schien.
Sie nannte sich Cindy. Und sie schwitzte. Schon bei ihrem ersten Besuch war mir aufgefallen, dass sie sich die Haare unter den
Armen nicht rasierte. Ihr Geruch war sehr streng. Wenn sie mir
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zu nahe kam, verschlug es mir den Atem. Daher beschloss ich, in
der Zeit, in der Cindy in meiner Hütte beschäftigt war, kurze
Spaziergänge ans Meer zu unternehmen.
Es dauerte nie lange. Wenn die Pendelfrau ihre Tätigkeit beendet hatte, trat sie vor die Hütte, legte Daumen und Zeigefinger
der linken Hand an die Lippen und pfiff. Meist trug sie Schuhe,
die für das Klima viel zu dick, zu hoch und obendrein mit Pelz
gefüttert waren. Ich wartete, bis Cindy sich unter den Palmen
entfernt hatte, bevor ich wieder hineinging. Nicht das Geringste
schien sich verändert zu haben. Kein Gegenstand hatte den Platz
gewechselt. Nichts als ein letzter Hauch von Cindys Geruch erinnerte an ihre vorübergehende Anwesenheit.
Seit drei Tagen ging ich nun schon nicht mehr zur Arbeit. Seit
drei Tagen blieb ich bei gerade noch erträglicher Hitze im Bett
und schlief so lange, bis ich von allein wach wurde. In der übrigen Zeit hockte ich vor der Hütte, lauschte dem Gezischel und
Geknatter der bunten Kunststofffetzen in den Palmen über mir
und rauchte. Vom Strand waren gelegentlich Stimmen zu hören,
manchmal ein Schrei oder Gebrüll, ein aufheulender Motor, das
Mahlen einer Schiffsschraube, die sich nach und nach im nassen
Sand festfraß.
Den Zoo hatte ich lediglich einmal besucht, kurz nach meiner
Ankunft. Das nur notdürftig umzäunte Gehege nahm fast ein
Drittel der gesamten Insel ein. Bei unserer ersten Begegnung
hatte O’Neill behauptet, nachts dürften die Tiere sich frei auf der
Insel bewegen.
Kurze Zeit später ertappte ich ein Wasserschwein, das in dem
Tümpel hinter meiner Hütte genüsslich ein Bad nahm. Als es
mich sah, hob es arrogant die Nase und tauchte dann eilig unter,
als suchte es in dem brackigen Loch nach irgendeinem Schatz.
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O’Neill gab eine Zeitung heraus, die Latest Island News. Ein fotokopiertes Blatt, das unregelmäßig erschien, ungefähr einmal
die Woche, meistens samstags, oft erst montags. O’Neills kritische Artikel über den Inselzoo wurden angeblich viel gelesen
und waren durchaus amüsant geschrieben. Doch sie hatten, wie
er mir einmal in BJ’s Backyard erzählte, in all den Jahren nichts
bewirkt. Sie hatten weder bei den Zoobetreibern noch bei den
korrupten Lokalpolitikern zum Umdenken geführt. Nichts hatte
sich geändert. Nach wie vor bekamen die Tiere aus dem Wildgehege nachts Auslauf, suchten die Nähe der Inselbewohner und
machten deren Schlaf, deren ganzes Leben unsicher.
Als wir uns zum ersten Mal begegneten, hatte O’Neill sein
Hemd bis zur Brust hochgerollt, um die schwüle Hitze in BJs
Kneipe besser zu ertragen. Er kaute Kaugummi. Die wenigen
langen Haare, die ihm geblieben waren, hatte er im Nacken zusammengebunden.
Ich hasste es nicht nur, mich während Cindys Anwesenheit in
meiner Hütte aufzuhalten. Genauso unangenehm war es mir,
wenn sie nach getaner Arbeit in die Tür trat und so laut nach mir
pfiff, dass es in einem Umkreis von einem halben Kilometer jeder hören konnte. In diesen Momenten hätte ich mich am liebsten auf den Boden geworfen, mich in den Sand gegraben und so
tief wie möglich in der Erde Wurzeln geschlagen. Mit hellen,
dünnen Trieben, die mir aus den Fingern und Zehen sprossen,
die sich in die Eingeweide der Insel bohrten, tief hinein, in Gegenden, die zuvor nie jemand ausgekundschaftet hatte.
BJ’s Backyard war unsere Stammkneipe. Ein enger, düsterer
Raum, der aussah wie das noch immer nicht entrümpelte Wohnzimmer eines längst verstorbenen Sozialhilfeempfängers. Doch
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hier gab es immer eisgekühltes Bier und was zum Rauchen.
O’Neill ließ die Finger von den Tütchen, die einem die Lungen
mit Licht füllten und im Kopf leicht und übermütig machten.
Gelegentlich hatte er eine kalte Zigarre zwischen den Zähnen
und verzog den Mund zu einem gequälten Grinsen. Was O’Neill
dann sagte, war kaum zu verstehen.
Auf dem Weg zum Klo saß BJs Papagei, den sie Green Dog
nannte und der sich für einen Hund hielt. Green Dog war vor
langer Zeit zwischen Welpen geboren worden und aufgewachsen. Die Hunde waren längst tot, BJ hatte ein paar Zähne und
beinahe sämtliche Haare verloren. Green Dog aber bellte immer
noch. Er hockte auf einer aus der Wand ragenden Eisenstange,
an der er mit einem Bein festgekettet war. Manchmal brach
Green Dog ohne erkennbaren Grund in Gelächter aus. Einmal
wurde ich Zeuge, wie O’Neill ihn mit einem alten Hühnerknochen ärgerte und der Vogel um ein Haar daran erstickt wäre.
Als gewissenhafter Journalist versäumte O’Neill es nicht, in
seinen Latest Island News regelmäßig über das seltsame Federvieh zu berichten. Mit der Zeit war Green Dog zu einer Art
Wappentier des Blattes geworden. Fehlte nur noch, dass sein
Abbild neben der Titelzeile prangte.
Als ich am Morgen des vierten Tages aufwachte, wimmelte es
über mir von kleinen, fetten Schmetterlingen mit fransigen Flügeln, aus denen beständig graubrauner Staub rieselte. Hastig
schlug ich das Leintuch zurück, sprang aus dem Bett, riss die Tür
meiner Hütte auf und rannte über den Strand, bis ich bis zu den
Knien im Meer stand. Es fühlte sich an wie abgestandenes Badewasser. Die Sonne schien so grell, dass der Glanz der Meeresoberfläche in meinen Augen schmerzte. Als ich mich umdrehte
und zu meiner Hütte zurückschaute, glitzerten und funkelten
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die Plastikreste in den Palmen wie billiger Schmuck an krankhaft in die Höhe geschossenen Christbäumen.
Etwa fünfzig Meter von der Hütte entfernt betrieb Kiran ihre
Imbissbude. Sie war schlecht zu Fuß und verabscheute das Meer.
Seit jenem katastrophalen Weihnachtsfest vor ein paar Jahren
eiterte an ihrer linken Ferse eine Wunde, die einfach nicht mehr
heilen wollte. Meist winkten Kiran und ich uns nur von weitem
zu. Miteinander gesprochen hatten wir nicht mehr, seit Dalap,
ihre Tochter, mich nicht mehr besuchte.
Mir gefiel Kirans Art zu kochen nicht. Ich mochte weder Kokosmilch noch Zitronengras. Die faserigen Nüsse fielen meiner
Nachbarin förmlich in den Topf, nachdem sie krachend das
Blechdach ihres Strandrestaurants durchschlagen hatten.
O’Neill jedoch ließ sich gelegentlich von Kiran bedienen.
BJ konnte überhaupt nicht kochen. Sie ernährte sich hauptsächlich von Limonade, in die sie kräftige Portionen Gin schüttete. Green Dog gefiel es, auf BJs Schulter zu sitzen und an ihrem
Glas zu nippen. Vor lauter Freude kläffte er durch das Lokal seiner Herrin, bevor er sich noch einen Schluck von deren Getränk
genehmigte.
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