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Land & Leute leben mit tieren
Ein Kinderspielhaus
aus dem Baumarkt
wurde kurzerhand
zum Hühnerstall umfunktioniert und
himmelblau gestrichen. Rechts: der
vierjährige Jelle mit
Henne Ruth, die er
nach seiner Erzieherin
im Kindergarten
benannt hat.
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Henne im Korb
Das eigene Frühstücksei von glücklichen Hühnern: Vor
allem Familien mit Kindern wie die Elsässers aus dem
Schwarzwald entdecken die Hühnerhaltung für sich.
Text sigrid krügel Fotos Andreas Fessler
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Bereich THEMA
Henne Lisa (links
oben) mit vier ZwergCochin-Küken, die
Elsässers als Bruteier
gekauft haben, um
sie von den eigenen
Hennen ausbrüten
zu lassen.
Rechts oben: Familie
Elsässer mit ihrer
Hühnerschar.
Finn schaut nach den
frischen Eiern von
glücklichen Hühnern.
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lvis kräht. Auch wenn
der perlgraue Zwergseidenhahn gerade mal ein
Pfund auf die Waage
bringt – seine Rufe sind
ebenso laut und besitzergreifend wie die der schwergewichtigen
Verwandtschaft. Drüben am Zaun hört
Ruth, seine Lieblingshenne, nicht auf zu
gackern. Mit schnellen Trippelschritten
läuft Elvis zu ihr – nachschauen, ob alles
in Ordnung ist. „Elvis passt auf seine Mädchen auf“, sagt Inge Elsässer und lacht. Vier „Mädchen“ gehören zu seinem Harem: Agathe,
Lisa, Mia und Ruth, die sich inzwischen beruhigt hat. Elvis kann sich
wieder den schönen Dingen des
Lebens zuwenden, Fressen zum
Beispiel oder Sandbaden.
Seit Februar 2012 ist die Familie Elsässer aus dem Schwarzwalddorf Erdmannsweiler stolze Besitzerin eines ZwergseidenhuhnStammes, wie Hahn und Harem in
der Hühnerzüchter-Fachsprache
genannt werden. Vor allem Familien mit Kindern haben die Hühnerhaltung für sich entdeckt. Glück­
liche Hühner statt Massentierhaltung, gesundes Futter statt Antibiotika – so heißt die Devise der
neuen Selbstversorger in Sachen
Frühstücksei. Eine Lebenshaltung,
die auch vor Städtern nicht haltmacht, denn je nach Hühnerrasse
und Hühnerzahl reichen schon 50
Quadratmeter Auslauf.
ell“, sagt die 35-jährige Mutter von vier gehören außerdem Freddy und Berta II,
Kindern. Wegen ihres fellartigen Gefie- zwei Zwerg-Cochins, zur Hühnerfamilie.
Ihre Kinder sollen mit Tieren aufders wurden sie früher auf den Jahrmärkten als Fabel­wesen vorgeführt, als Kreu- wachsen, darüber waren sich Inge und
zung zwischen Huhn und Kaninchen. Maik Elsässer, ein Diplom-Informatiker,
Was ihr besonders wichtig war: „Sie sind einig. Zu Elsässers Tierleben gehören
ruhig und kinderlieb.“ Lassen sich auf den deshalb noch vier Ponys, zwei Hunde, drei
Arm nehmen und streicheln, Ruth und Katzen, drei Laufenten, zwei Zwerg­
Hahn Elvis fressen sogar aus der Hand. kaninchen, drei Schildkröten und König
Zwergseidenhühner sind außerdem win- Ludwig, das Chamäleon. Es wohnt auf
terhart. „Sie vertragen Kälte.“ Selbst in dem Ficus benjamini neben dem Bett des
zehnjährigen Finn, der mal Botaniker werden will. Er und seine Geschwister Fee, Femi und Jelle sollen von klein auf lernen, „dass man
mit Tieren gerecht und respektvoll
umgehen muss“, sagt Inge Elsässer.
Vor acht Jahren haben Maik
und Inge Elsässer ein 1400 Quadratmeter großes Grundstück mit
Pferdekoppel und einem alten
Stall in Erdmannsweiler gekauft
und „Schwedenhof“ getauft. Der
könnte auch in Bullerbü stehen:
Aus dem Stall wurde ein lichtdurchflutetes, rot gestrichenes
Holzhaus mit weißen Fensterrahmen und einer großen Veranda,
auf der die Crocs in allen Größen
und Farben landen, wenn Finn
und Fee, Femi und Jelle aus dem
Garten hereinstürmen, wo sie mit
den Hunden Trudi und Wilma herumtoben, die Hühner besuchen
oder die Pferde füttern.
Elvis und sein Harem haben ihr
eigenes Schwedenhaus: ein himmelblau gestrichenes KinderspielInge Elsässer mit Ruth, einer Henne mit „Mama-Qualitähaus, das Elsässers als Fertigbauten“. Jedes Zwerghuhn hat einen eigenen Charakter.
satz im Baumarkt erstanden haWinterharte Hühner
ben. Eine Hühnerklappe, die
Bevor Familie Elsässer sich für
abends
geschlossen werden kann,
eine bestimmte Rasse entschied,
wurden Geflügelzuchtschauen und di- den manchmal eisigen Wintern des hat Maik Elsässer eingebaut. Auf dem Boverse Internetforen besucht und die Schwarzwalds halten sie es im Freien aus. den stehen Apfelkisten, die die Hühner
Der Name „Elvis“ war Inge Elsässers zum Schlafen oder zum Eierlegen nutzen.
Fachliteratur ausgiebig studiert. „Ich
habe mich eingelesen, verschiedene Idee, die vier Hennen durften die Kinder „Zwergseidenhühner brauchen keine SitzMeinungen eingeholt“, erzählt Inge El- benennen. Ihre sechsjährige Tochter Fe- stangen“, erklärt Inge Elsässer. Die possässer. Huhn ist nicht gleich Huhn: 142 mi entschied sich für „Berta“. Nach ein sierlichen Federtiere können nicht flieHühner- und 92 Zwerghuhnrassen listet paar Wochen begann Berta allerdings zu gen. Als Streu dienen Holzspäne oder Säder Bund Deutscher Rassegeflügelzüch- krähen – aus der Henne war ein Hahn ge- gemehl. „Das ist hygienischer als Stroh.“
ter auf. Familie Elsässer entschied sich worden. Das sei bei jungen Tieren gar Tagesüber dürfen die Hühner den Garten
für Zwergseidenhühner, die einst Marco nicht so leicht zu unterscheiden, sagt In- unsicher machen. Wenn Gäste einen
Polo über die Seidenstraße aus China mit ge Elsässer. Berta lebt als Bert inzwischen Hund mitbringen, werden sie auch schon
nach Europa gebracht hat. Inge Elsässer bei einer anderen Familie – und das mal in ihr Gehege gescheucht.
Hahn und Hennen hat Inge Elsässer
hat sich sofort in die Kuschelhühner ver- schwarze Zwergseidenhuhn Mia wurde
liebt. „Ihr Aussehen ist schon sehr spezi- die Vierte im Bunde. Seit dem Sommer im Internet aufgestöbert – „bei ei1/2013 Country
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Neuester Zugang: Freddy, der
Zwerg-Cochin-Hahn, der als Brutei
gekauft wurde. Unten: Tochter Femi
mit Henne Mia.
Abenteuer Huhn
Wer sich mit dem Gedanken trägt, Hühnerhalter zu werden, sollte sich zuvor
gut informieren. Ein paar nützliche Tipps für Anfänger.
Elvis ist morgens der Erste
„Unsere
kleine
Hühnerschar ist
ruhig und
kinderlieb.“
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Elvis und sein Harem haben die Reise gut
überstanden. Lebhaft waren sie und haben sich sofort im Garten umgeschaut.
Zwei Tage später lag das erste Ei im Nest,
von der gesamten Familie bestaunt, bevor
es zum Frühstück gekocht und in sechs
gleich große Stücke geteilt wurde. Wie es
geschmeckt hat? „Wunderbar!“, sagt Inge
Elsässer. Das liege bestimmt am guten
Futter. Die Tiere bekommen Getreide aus
der nahen Mühle, Gemüse- und Salatreste und Eierschalen. Schnecken und Würmer suchen sie sich im Garten.
Rund 120 Eier legt ein Zwergseidenhuhn pro Jahr. Sie sind nicht viel kleiner
als die von normalen Hühnern. Je nach
Rasse können Zwerghühner auf bis zu 180
Eier kommen. Nicht genug für die Lebensmittelindustrie, die statt Rassetieren
lieber sogenannte Hybridhühner einsetzt.
Die legen 300 bis 330 Eier pro Jahr und
landen nach zwölf Monaten im Tierfutter
oder werden als Fleischabfall entsorgt,
weil die ausgezehrten Hennen noch nicht
mal zum Suppenhuhn taugen. Rund 75
Millionen von ihnen sterben auf diese
Weise jedes Jahr in Deutschland.
Bei Elsässers kommen keine Lebensmittel aus Massentierhaltung auf den
Tisch. „Wir essen auch Fleisch, aber wir
schauen, wo es herkommt.“ Elvis und seine Hennen müssen sowieso nicht um ihr
Leben bangen – wenn sie mal keine Eier
mehr legen, bekommen sie auf dem
„Schwedenhof“ ihr Gnadenbrot. „Sie sind
keine Nutztiere für uns, wir könnten sie
nie schlachten“, sagt Inge Elsässer.
Jedes Huhn hat seinen eigenen Charakter. Alle gehören zur Familie. Die anhängliche Mia läuft ihrem Frauchen hinterher wie ein kleiner Hund. „Elvis würde
sich eher selber opfern, als eine seiner
Hennen von einem Fuchs oder Greifvogel
holen zu lassen.“ Und Ruth „hat echte
Mama-Qualitäten“. Wenn sie im Garten
nach Würmern scharrt, um sie ihren und
Agathes Küken ins Schnäbelchen zu
schieben („Agathe frisst die Würmer lieber selbst“), könnte Inge Elsässer stundenlang am Fenster sitzen und zuschauen. Oder wenn sich Elvis von seinen Damen verabschiedet: „Jeden Abend das
gleiche Schauspiel.“ Sobald es dämmert,
marschiert Elvis von Henne zu Henne
und geht schließlich alleine ins Bett, weil
die Mädels noch weiter nach Würmern
suchen. „Dafür ist er morgens der Erste.“
Früh um sieben, wenn Inge Elsässer vom
Spaziergang mit den Hunden kommt, öffnet sie die Klappe. Da hat Elvis meistens
schon das erste Mal gekräht.
„Hühner machen Arbeit“ – keine Frage.
Täglich mit dem Rechen den Hühnerstall
säubern (der Mist landet als Dünger im
Rosenbeet), einmal in der Woche neu einstreuen. Aber es sind faszinierende Tiere,
sagt Inge Elsässer. „Hühner haben ein
tolles Sozialverhalten.“ Mindestens eines
möchte Inge Elsässer noch haben. Ein
gelbes Zwergseidenhuhn vielleicht. Sie
hat sich schon auf die Suche nach einem
Züchter gemacht, von dem sie ein passendes Ei zum Ausbrüten bekommen könnte.
Dank Henne Ruth, der Überglucke, wird
der Rest sicher ein Kinderspiel.
Der Stall
Als anfängertauglich gelten die Rassen
Ein Quadratmeter Grundfläche
Stall reicht für fünf bis sechs
Hühner. Wer nicht selber zimmern möchte: Aus robustem
Fichten- und Eichenholz ist das
Modell von Manufactum (Foto).
Vom Innenraum gelangen die
Hühner über eine Leiter in
den umzäunten Unterbau –
falls die Tiere kurzfristig keinen anderen Auslauf haben. Der Stall kann versetzt werden, was den Rasen schont.
1295 Euro, www.manufactum.de
Mobile Hühnerhäuser mit vielen Extras
(zum Beispiel automatischem Türöffner,
Kamera im Innenraum) hat der Agraringenieur und frühere Biobauer Ralf Müller
entwickelt. Sein Modell „Schwedenhaus“
kostet 1980 Euro und ist in drei verschiedenen Farben erhältlich. Die futuristische
Variante mit Tonnendach kommt auf
3500 Euro. www.huehnerhaus-mobil.de
Sussex- und Rheinland-Huhn, Breda-,
Marans- und Seidenhuhn. Auf der Beliebt-
heitsskala ganz oben stehen inzwischen
aber die Miniaturausgaben der alten
Rassen wie die Zwerg-Wyandotten, da
sie weniger Platz brauchen, seltener die
Blumenrabatten zerstören und trotzdem
ordentlich Eier legen.
Überlegen Sie sich, welche Rasse zu
Ihnen passt. Zwergseidenhühner und
Zwerg-Cochins können zum Beispiel
nicht oder kaum fliegen, was manchen
Haltern wichtig ist. Zwergseidenhühner
haben außerdem keinen Kamm, der im
Winter erfrieren könnte. Sie sind deshalb
äußerst robust und für draußen geeignet
– im Gegensatz zum Beispiel zu ZwergItalienern. Die erste Adresse für den
Hühnerkauf sind natürlich Züchter. Es
empfiehlt sich daher, Kontakt zum heimischen Hühnerzuchtverein aufzunehmen.
Auch der Besuch einer Geflügelschau
bietet sich an, wo die Züchter ausstellen.
Eine Liste der Vereine nach Postleitzahl
sowie die Adressen der Sondervereine
gibt es im Internet auf der Seite „HühnerInfo“ unter www.huehner-info.de/forum/
forumdisplay.php/84-Vereinsfinder
Der Auslauf
Hühner brauchen zum Glücklichsein
nicht nur einen Stall fürs Eierlegen und
zum Schlafen. Sie brauchen auch Platz
zum Scharren, eine Ecke mit Sand zum
Sandbaden, einen Rasen oder eine Wiese, wo sie Würmer finden, sowie Bäume
und Sträucher, die Schatten spenden und
Sussex
Fotos: Andia.FR (1), dpa Picture Alliance (1), Imago (1)
ner netten Züchterin aus der Nähe von
Gera“, sagt sie. „Sympathie ist wichtig
beim Tierkauf. Man muss dem Anbieter
vertrauen.“ Ein halbes Jahr waren Elvis
und seine Damen alt, als sie im Februar
die Reise nach Erdmannsweiler antraten.
Glücklich, wer die Tiere direkt beim
Züchter abholen kann. Doch Seidenhuhnzüchter sind rar, und Thüringen war
zu weit weg, um sie selbst abzuholen. Ein
Tierspediteur hat sie gebracht. Sie wurden
morgens bei der Züchterin geholt, und
nachmittags waren sie da, mussten also
nicht unterwegs übernachten. 25 Euro
kostete eine Henne, zehn Euro der Hahn.
Hühnerstall
Die Rassen
Seidenhuhn
Mehr Informationen ab Seite 136 Schutz vor Greifund Rabenvögeln
bieten. Als Faustformel gilt: 10 m2 Auslauf pro Huhn. Hennen legen auch ohne
Hahn Eier. Trotzdem
ist ein Hahn wichtig
für das Sozialleben der
Tiere. Ein Hahn sorgt für
Frieden unter den Hennen und beschützt sie. Optimale Herdengröße: ein
Hahn und vier Hennen. Wer Küken möchte, braucht ebenfalls ein männliches Tier.
Das Futter
Hühner sind Allesfresser. Trotzdem sollte
man sie nicht mit Essensresten füttern.
Sie brauchen Getreide als Grundfutter.
Geeignete Mischungen gibt es zum Beispiel im Raiffeisenmarkt oder in Mühlen,
aber auch im Zoofachhandel. Je größer
der Auslauf, desto weniger muss zugefüttert werden, denn sie fressen mit Vorliebe
Gras und suchen den ganzen Tag Schnecken, Würmer und Insekten. Ganz wichtig: Hühner brauchen ständig frisches
Wasser. Im Hochsommer also mehrmals
täglich erneuern und die Tränke nicht in
die Sonne stellen.
Zu guter Letzt
Für Hühner besteht eine Anzeigepflicht.
Sie müssen jährlich bei der zuständigen
Tierseuchenkasse der Bundesländer gemeldet werden. Eine Adressübersicht gibt
es im Internet unter www.tierseuchenkasse.de. Hühner müssen außerdem viermal
im Jahr gegen die Newcastle-Krankheit
geimpft werden. Dies kann jeder Halter
selbst über das Trinkwasser der Tiere.
Manch ein Hahn wurde schon vom Gericht verboten, weil er den Nachbarn zu
laut krähte. Klären Sie vorher, ob die Hühnerschar in Ihrem Garten willkommen ist.
Rheinland-Huhn
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