DON QUIJOTE
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DON QUIJOTE
Bericht | Text: Arno Hirsch | Fotos: aktion-mensch.de Rote Zelte an der Seine Die Kinder von Don Quijote Durch hundert deutsche Städte tourt das von der Aktion Mensch initiierte Filmfestival „ueber Mut“ von November 2010 bis November 2011. Die zehn Beiträge des Festival stellen immer Menschen in den Mittelpunkt, die sich mit großen Engagement für ihren Traum von Veränderung einsetzen. Ein Dokumentarfilm aus Frankreich widmet sich dem Thema Wohnungslosigkeit. Arno Hirsch macht sich über „Die Kinder von Don Quijote“ Gedanken. Im Rahmen des Filmfestivals „ueber Mut“ brachte die Aktion Mensch den Film „Les Enfants de Don Quichotte“ in die deutschen Kinos. Das Werk ist die Dokumentation einer Protestaktion in Paris, die auf die elenden Zustände von Obdachlosen aufmerksam machen wollte. Die Brüder Legrand, Pascal Oumakhlouf und Ronan Dénécé haben im Winter 2006 diese Aktion gestartet, am Ufer des Kanals Saint-Martin in Paris errichteten sie ein Zeltlager für Obdachlose und Sympathisanten. Beidseitig der Seine waren über 100 Zelte aufgestellt, deren Bilder um die Welt gingen. Normalerweise sind diese Ufer der Seine ein Anziehungspunkt für Touristen, die dort auf der Suche nach der verlorenen Romantik dem Bild der Stadt der Liebe nachspüren. Unvorbereitete DIE KINDER VON DON QUIJOTE Ein Dokumentarfilm von RONAN DÉNÉCÉ, AUGUSTIN LEGRAND und JEAN-BAPTISTE LEGRAND REGIE AUGUSTIN LEGRAND RONAN DÉNÉCÉ JEAN-BAPTISTE LEGRAND SCHNITT ANITA ROTH TONGESTALTUNG MATTHIEU DENIAU TONMISCHUNG PHILIPPE GRIVEL PRODUZENTEN JEAN-BAPTISTE LEGRAND OLIVIER BOISCHOT NARIMANE MARI PRODUKTION CENTRALE ÉLECTRIQUE KOPRODUZENTEN BENOIT JAUBERT MATHIEU KASSOVITZ AGNÈS B. CHARLES-MARIE ANTHONIOZ & FRANÇOIS-XAVIER FRANTZ KOPRODUKTION MNP ENTREPRISE LOVE STREAMS AGNÉS B. PRODUCTION © 2008 CENTRALE ÉLECTRIQUE / MNP ENTREPRISE / LOVE STREAMS AGNÈS B. PRODUCTIONS PRÄSENTIERT VON Der Zeitpunkt der Aktion war gut gewählt, denn in Frankreich war gerade Wahlkampf, und eine solche Aufmerksamkeit hat die Themen entscheidend beeinflusst. Man fühlte sich gestört, darum hat man der Organisation vorgeworfen, sie würden die Obdachlosen für ihr politisches Engagement instrumentalisieren. Den Machern der Aktion war klar, dass sie nur dann etwas erreichen, wenn es ihnen gelingt, die Aufmerksamkeit der Massen nachhaltig zu gewinnen, denn unsere Zeit braucht dieses Spektakel, es rührt unser statistisches Gewissen, das Gefühl an etwas Bedeutendem teilzuhaben. Lange schon genügt es nicht mehr durch eine Demonstration Aufmerksamkeit zu erregen, das Weltgeschehen an dem wir, auch dank der Medien teilhaben, bringt so viele Höhepunkte zu Tage, dass es unsere Anteilnahme schon vielfach aufbraucht, und eine Gruppe Spaziergänger mit Transparenten erntet oft genug nur ein Achselzucken. Die Geschehnisse trafen die Öffentlichkeit unvorbereitet. Da die Aktion an Sympathie gewann, war es nicht mehr möglich das Vorhaben mit der Ordnungsmacht zu untersagen, wie das bei der ersten Aktion am Place de la Concorde geschehen war. Dort, am ursprünglich geplanten Ort des Zeltlagers, waren die Einsatztruppen der Polizei zur Stelle, noch ehe die Zelte aufgestellt waren, und drängten die Protestierenden kurzerhand weg. Am Kanal Saint-Martin war die Presse den Ordnungshütern zuvorgekommen und die Öffentlichkeit war informiert, den politischen Würdenträgern blieb nichts mehr anderes übrig als die Wohnproblematik der Obdachlosen im Wahlkampf zu thematisieren, da sie sonst von der aufmerksam gewordenen Bevölkerung WWW.UEBERMUT.DE 12 WORLD SALES: Spaziergänger und Flaneure werden nicht übel gestaunt haben, wenn sie statt der erhofften Romantik jene roten Zelte mit lagernden Obdachlosen vorgefunden haben. Straßenzeitungen weltweit: eine starke Stimme gegen Armut und soziale Ausgrenzung! Not sehen und Handeln hätten abgestraft werden können. So kam es zu immer eindeutigeren Zusagen seitens der Politiker. In der Neujahrsansprache des damaligen Präsidenten Jacques Chirac wurde eine Lösung zugesichert. Und im Februar ein einklagbares Recht auf Wohnraum verabschiedet. Das Zeltlager wurde aber nicht aufgehoben, da sich die Macher hintergangen fühlten, denn Anordnungen und Versprechen wurden nur zögerlich umgesetzt. Diese Aktion hat Schule gemacht, in vielen Städten Frankreichs wurden ähnliche Aktionen vorbereitet und durchgeführt. Es wurde ein Dialog in Gang gesetzt und wir dürfen gespannt sein, was sich daraus noch entwickeln wird. Längst hat sich die Organisation „Les Enfants de Don Quichotte“ als Bestandteil der Problematik etabliert, man stützt sich nicht einfach auf die Studien von Soziologen und überlässt die Angelegenheit irgendeiner staatlichen Stelle, man lässt stattdessen Betroffene selbst zu Wort kommen. Der Kampf für menschlichere Lebensbedingungen ist noch lange nicht zu Ende, auch die Kinder des Don sind noch immer aktiv. Die letzten Worte des Filmes sind Programm „Fortsetzung folgt“. Nicht jeder teilt das Argument, auch unter den Betroffenen nicht. Ein Obdachloser schrie im Film sehr aufgebracht „Keiner wird eine Wohnung bekommen, keiner!“. Auch wenn es mir nicht gefällt, ich kann das sehr gut mitempfinden, denn ein Aufbegehren dagegen auf der Straße leben zu müssen, ist ein Kampf gegen Windmühlen. Ich nehme das ernst, denn es ist mehr Wirklichkeit als der Glaube, es könnte besser werden. Aufbegehren ist wie ein Sumpf, sobald die Kraft nachlässt, ist man verloren. Die Adressaten der Aktionen spielen allzu gerne auf Zeit. Wir sind oft bereit unsere Sympathie zu bekunden, und freilich ist nicht viel dabei, „man sagt, seien Sie meiner Sympathie versichert, während man bei sich denkt, gehen wir jetzt zur Tagesordnung über“ (Albert Camus, Der Fall). Wenn darum Obdachlose ihrer Verzweiflung erliegen und in Drogen oder Alkohol flüchten, sollte man das nicht mit dem Empfinden von Verachtung abtun. Denn die Verzweiflung ist ein Schlachtfeld, auf dem jeder Keim der Hoffnung niedergebrannt ist, und wer ist lange dazu fähig solches zu ertragen? „Der Mensch ist für ein solches Leben nicht geschaffen“, sagte der Schauspieler Jean Rochefort in die offene Kamera am Kanal Saint-Martin an jenem Winterabend. Der Mensch ist nicht dazu geschaffen, besser kann man es nicht ausdrücken. Es ist schon ein wenig Ironie des Zufalls, dass ausgerechnet der Darsteller des Don Quijote an diesem Abend entlang der Seine spazierte. Auch wenn wir wie Don Quijote gegen Windmühlen kämpfen müssen, so lohnt sich dieses Aufbegehren, denn außerdem bleibt nur, dass man sich in ein Schicksal fügt, einem Leben, wozu kein Mensch geschaffen ist. Darum bewundere ich jene, die immer weiter dagegen ihr Wort und ihre Tat erheben wie die Kinder des Don. Sie begnügen sich auch nicht damit, einfach nur ernst genommen zu werden, sie wollen auch die Situation verändern. Obdachlosigkeit ist in unserer Gesellschaft die unterste Stufe der Existenz und mir soll keiner vom Traum der Freiheit, den solch ein Leben bietet, erzählen, es ist nicht romantisch, es zerstört. Ich hoffe, wir fürchten uns nicht ein solches Elend zu beseitigen, denn ich frage mich manchmal, wie das wäre, wenn es keine Obdachlosigkeit gäbe, dann würden wir vielleicht erkennen, das unser scheinbarer Wohlstand nur eine Illusion ist, wenn uns die Möglichkeit uns nach unten zu vergleichen genommen wäre. # MS_Anz_draußen_42,7x126_sw_RZ.pdPage 1 Anzeige C M Y CM MY CY CMY K 13