Juli-August 2015 - AStA der Universität Kassel

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Juli-August 2015 - AStA der Universität Kassel
Editorial
Mal was neues Versuchen...
...bleibt auch diesmal unser Motto. Layout und Design machen zurzeit
spannende Metamorphosen durch. Von experimentell bis klassisch
ist auch die Vielfalt unserer Themen für diese Sommerausgabe. Werdet mit uns noch einmal in Kassel willkommen geheißen oder versetzt
euch durch eine wahre Geschichte in die Lage derjenigen, für die auf
ihrem Weg hohe Hindernisse errichtet und am Ende Mahnmale aufgestellt werden. Erfahrt, welche anderen Welten sich im Kulturbereich
Kassels auftun und werdet weiterhin durch unsere „was ist los..“- Rubriken über Neues und Lebendiges auf dem Campus und in der Umgebung informiert. Aber an mancher Stelle finden sich auch Grüße an die
Vergangenheit.
Viel Spaß beim Lesen wünscht euch
die Redaktion
Wollt ihr selber auch mal einen Artikel für die medium schreiben? Dann
kommt zu unseren regelmäßigen Redaktionstreffen (immer am 1. Montag
im Monat um 18 Uhr in der AStA-Küche!), oder meldet euch unter [email protected]. Wir freuen uns auf euch!
Inhalt
3
Abschiedsbrief an den Präsidenten
4
Was war los in der Uni?
5
Was ist los in der Uni?
6
Fachschaft 10
7
Roses are red...
8
Rundgang der Kunstuni
10
Die Lehre mit zwei „e“
...oder weil wir alle ein bisschen Buddha sind
15
Wohnen für Hilfe
16
„Penthesilea“ am Staatstheater
18
Gespräch mit den Haupt-
darsteller*innen von „Penthesilea“
21
Kaffeelöcher: Kollektivcafé Kurbad
22Kurzgeschichte:
Schwimmen hatte er nie gelernt
23
Fair-Teiler im AStA
24
HCC: Die Uni hat gebaut
26Plattenrezension:
PANDEMICA von The Vile
28
Wird der Süden zum neuen Westen?
32
Rückseite: Satire Bundeswehr
Impressum
medium, Zeitschrift der Studierendenschaft der Universität Kassel
Nora-Platiel-Straße 2
34127 Kassel
Kontakt: [email protected]
Redaktion: Tanja Lau (Redaktionsleitung), Alexander Strunz, Eike Ortlepp, Tina Jung, Michael Schulze von
Glaßer, Simon Kiebel, Filip Heinlein,
Robert Wöhler, Tanja Lau, Raphaela
Becker, Milena Maren Röthig, Felix
Krätschmer
Layout: Robert Wöhler
Auflage: 2.000
2
Druck: Thiele&Schwarz, Kassel. Gedruckt auf 100% Recyclingpapier mit
ökologischen Farben.
Bildnachweise (so nicht unter dem
jeweiligen Foto): Titelbild: Rebecca
Schild; Fotos S. 4: Raphaela Becker (3
Stück), Simon Kiebel (Straßenfest);
Foto S.5: CC-BY-SA Bundesarchiv;
Bilder Seite 6: openclipart.org; Foto
S.7: Henry Lyonga N.; Fotos S. 8-9:
Erika Lehn; Fotos S. 10-14 Tanja Lau;
Logo S. 15 AStA Kassel; Fotos S. 1620: (c) Staatstheater Kassel; Fotos S.
21: Milena Maren Röthig und Felix
Krätschmer; Fotos S.24-25: Felix Gonzo K.; Fotos S.26: (c) The Vile; Fotos
S. 28-31: Milena Maren Röthig; Fotos
S.32: Simon Kiebel
Verantwortlich sind im Grund genommen alle, doch im Sinn des Presserechts ist dies: Allgemeiner Studierdendenausschuss der Universität
Kassel - Organ der verfassten Studierendenschaft der Universität Kassel,
als Körperschaft des öffentlichen
Rechts.
Abschiedsbrief an den Präsidenten
Am 03. Juli wurde der bisherige Präsident der Universität Kassel, Prof. Dr. Rolf-Dieter Postlep, offiziell verabschiedet. Er
war 15 Jahre im Amt, in denen die Uni von ca. 17.000 auf fast 24.000 Studierende gewachsen ist. Seine Nachfolge wird ab
Oktober der Forstwissenschaftler Reiner Finkeldey antreten, welcher bisher Vizepräsident an der Uni Göttingen war. Die
Vorsitzende des AStA, Natalia Franz, hat einen Abschiedsbrief an Herrn Postlep verfasst, welcher folgend zu lesen ist.
Sehr geehrter Herr Postlep,
es ist Zeit sich zu verabschieden und damit auch Zeit zurückzublicken. 15 Jahre
waren Sie Präsident der Universität Kassel, in dieser Zeit ist viel passiert.
Die Fußstapfen die Sie hinterlassen sind sicherlich sehr groß, denn Sie haben die
Hochschule internationalisiert und professionalisiert. Ihre Vernetzung innerhalb der Hochschule, der Kommunal- und Landespolitik war für die Mitglieder
der Universität Kassel immer ein großer Vorteil. Auf Landesebene haben Sie
sich verstärkt für die Interessen unserer Hochschule eingesetzt und uns gegenüber der Landesregierung stark vertreten.
Auch wenn wir oft unterschiedlicher Meinung waren haben Sie uns und die
Interessen der Studierendenschaft immer ernst genommen. Sie hatten stets ein
offenes Ohr für unsere Anliegen und konnten für uns einen gemeinsamen Weg
finden.
Sie haben uns und andere Studierende immer motiviert für unsere Interessen zu
kämpfen und uns stetig in der Entwicklung der Hochschule mit einzubringen.
Die Universität Kassel ist für uns nicht nur Lern- sondern auch Lebensraum.
Sie haben daran mitgewirkt, dass wir uns frei und selbstbestimmt entwickeln
können. Dafür bin ich Ihnen persönlich sehr dankbar.
Ich hoffe, dass Sie der Universität und ihren Mitgliedern noch auf dem einen
oder anderem Wege erhalten bleiben.
Ich würde mich sehr freuen, wenn wir Sie als Gast bei Vorträgen oder Podiumsdiskussionen begrüßen dürfen und Sie mit uns gemeinsam zu verschiedenen
Themenbereichen diskutieren und Ihre Erfahrung als langjähriger Präsident
einbringen.
Lieber Herr Postlep, es ist Zeit Danke zu sagen. Vielen Dank für Ihre Unterstützung, ihre konstruktive Kritik und Ihren Einsatz. Sie haben die Universität
Kassel maßgeblich geprägt, wir werden Sie nicht vergessen.
Ihre Studierendenvertretung der Universität Kassel
3
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Grabstein für die
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AStA am 25.06.
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◄ Süß: Waschbär-Babys zu Besu
ch im AStA. Ein Mitarbeiter hatte
sie
im Bergpark gefunden. Nach ihrem
Kurzbesuch wird sich nun gut um
sie
gekümmert.
Was ist los
in der Uni?
Währenddessen am Hauptbahnhof:
K19 - Termine
Ausstellung Die Horrorshow im Interim am 14. Juli
14.07. Kneipe19
Man kann Horror überall begegnen; bei ganz persönlichen Erfahrungen, etwa,
wenn beim Duschen Würmer aus dem Abfluss kriechen, entfernt, bei Berichten
von Kriegsschauplätzen, aber auch lustvoll durchlebend beim Stream der Wahl
auf der eigenen Couch. Ob und wie Erzählungen von Horror uns diesen erfahren lassen können, versuchten in diesem Sommersemester Kunstwissenschaft,
VisKom und Bildende Kunst Studierende zusammen mit Doreet LeVitte Harten
zu klären. Besonders bei der Auseinandersetzung mit der Thematisierung von
Genoziden, wie etwa der Shoah, in der Kunst, entstanden starke Zweifel. Die
Horrorshow im Interim am Hauptbahnhof, soll sich mit diesen Zweifeln weiter
beschäftigen und wenn möglich, die ganze Bandbreite des Horrors erfahrbar
machen. Hört ihr es rascheln? Ja stimmt schon, ist nur die Zeitung, aber das
Böse erwartet euch am 14. Juli, ab 14 Uhr.
Die letzte Kneipe19 vor der Sommerpause!
Ab 18 Uhr - Eintritt frei!
22.07. IRGENDWAS ist back
Ab 22 Uhr - Eintritt frei!
Lange, lange wusste niemand was
man mittwochs bei Durst und Spiellust tun soll. Jetzt ist die Lösung
wieder da:
Quassel-Tanz-Trinkspiel-Freudenfest „IRGENDWAS“ ist aus der
Semesterpause zurück und hat
neue witzige Trinkspielideen und
Specials im Gepäck.
24.07. Burn After reading
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gut!
Beginn bei Sonnenuntergang, Eintritt frei!
Unnütze Reader? Verflossene Liebesbrief? Hässliche Pappmodelle?
Ein Justin Bieber Poster?
Jetzt ist es Zeit sich um all die
Machtwerke der Papierverschwendung zu kümmern, die die Augen
beleidigen und den Geist beschweren. Übergebt alles dem Lagerfeuer,
grillt Marshmellows und tanzt zu
schöner Musik euch eure Ex-Sorgen
von der Seele.
29.07. IRGENDWAS
Ab 22 Uhr - Eintritt frei!
05.08. IRGENDWAS
Ab 22 Uhr - Eintritt frei!
12.08. IRGENDWAS
Ab 22 Uhr - Eintritt frei!
Weitere Termine und Infos
gibt es bei Facebook:
facebook.com/KulturzentrumK19
sowie auf
asta-kassel.de
5
Fachschaft 10 - Mathematik und Naturwissenschaften
Der Fachbereich 10 ist ein relativ junger Fachbereich, der
aus der Zusammenlegung der beiden Fachbereiche Mathematik und Naturwissenschaften entstanden ist.
Wir im Fachschaftsrat vertreten alle Student*innen, die
hauptsächlich am
AVZ in der HeinrichPlett Straße studieren. Bei uns treffen zwölf gewählte
Mitglieder*innen
und einige aktive
Helfer*innen zusammen und tun ihr Bestes, die diversen Interessen von ca. 2000
Student*innen der
Mathematik, Physik,
Biologie, Nanostrukturwissenschaften
und der dazugehörigen Lehramtsfächer (auch Chemie,
Nanostrukturen sind etwas zu speziell für den Schulalltag)
zu vertreten. Vor allem die Mathematik sorgt gerne mal für
Gesprächsstoff. Jeder Naturwissenschaftler muss die mathematischen Grundlagen seines Faches beherrschen und
Spezialvorlesungen für Alles und Jeden kann man nicht
anbieten. So gibt es für die Professor*innen immer viel zu
organisieren und wir helfen den verwirrten Student*innen,
sich im Chaos von gefühlt hunderten Prüfungsordnungen
zurechtzufinden oder unterstützen sie, wenn von fünf verschiedenen Studiengängen einer einfach nicht mit den Inhalten der Vorlesung harmonieren will.
Das, was unseren Fachbereich wohl am meisten auszeichnet, ist die Möglichkeit, einen Abschluss in Nanostrukturwissenschaften zu machen. Unsere Universität ist die Einzige, die diesen Studiengang in dieser Form anbietet. Das
CINSaT (Center for interdisciplinary Nanostructure Science
and Technology) liefert die Plattform für den Austausch
und die Zusammenarbeit der Wissenschaftler*innen, deren Erkenntnisse dann in die Köpfe der „Nanos“ weitergeleitet werden - und die Nanos sind überall. Chemie, Physik,
Biologie, einfach alle Dinge, die die Natur den menschlichen Sinnen vorenthalten hat, soll diesen vielseitig interessierten Student*innen zur Verfügung stehen. In manchen
Physikvorlesungen sitzen mehr Nanos als Physiker*innen.
Sie sitzen in allen Grundlagenvorlesungen, der Zellbiologie, der Biochemie und der Physikalischen Chemie. So
ziemlich jeder Praktikumsversuch, wird auch für Nanos
angeboten und man munkelt, einige Wahnsinnige hätten
sich sogar in die verwinkelten Tiefen der theoretischen
6
Physik gewagt.
Unsere größte Sorge gilt aber, bei aller Bürokratie, der
Förderung des studentischen Miteinanders. Die Organisation der einzelnen Institute wird meistens in eigenen Gremien geregelt, in die wir natürlich auch Vertreter*innen
entsenden. Aber das Soziale ist Aufgabe
des Fachschaftsrats. Nach der Zusammenlegung der Fachbereiche und dem daraus
resultierenden Organisationschaos, hat-
ten gerade die Erstsemester*innen ihre liebe Not, sich
zurechtzufinden. Wir brauchten neue Ideen für die
Erstsemester*inneneinführungen und sind mit Feuereifer
dabei, den Einstieg in unsere bunte Gemeinschaft so angenehm und einfach wie möglich zu gestalten. Außerdem
muss auch mal Zeit zum Feiern sein. Im Winter muss das
Weihnachtsfest geplant werden, im Sommer das Sommerfest. Abläufe planen, Gelder beschaffen, Räumlichkeiten
anmieten, Sicherheitsvorschriften beachten - auch Spaß
haben kann viel Arbeit machen.
Es ist manchmal etwas einsam am AVZ. In der Gesellschaft von Naturwissenschaftlern ist wenig Platz für philosophische Debatten oder politische Wortgefechte. Es
geht um Fakten und Zahlen, den Versuch, die Welt zu vermessen, bis auch die seltsamsten Naturphänomene völlig
logisch aus einer Handvoll von Sätzen erklärt werden können. Will man dem entfliehen und auf den verschlungenen
Pfaden der Geisteswissenschaftler*innen wandeln, stehen
einem 30 Minuten Bahnfahrt zum HoPla bevor. Vor fünf
Jahren versprach man uns, dass wir in fünf Jahren auch im
Zentrum Kassels studieren können. Es sind fünf Jahre geblieben, aber wir geben die Hoffnung nicht auf.
Roses, Red ... Violets, Blue ...
Roses are red, Violets are blue, you may not know this, but
being a student is though.
If you are one of those people, who thinks being a student
is as easy as taking a walk down the Spanish and French
beaches, well ... welcome to reality because it is not.
The shared notion that students live vibrant care-free
lives, which only consists of partying and extracurricular
activities with the intent of getting dunked and laid is a
bogus inaccurate claim. Truth is, it is much more than it
seems.
In Kassel, I quickly realized that I wasn‘t going to live the
life of a New Yorker student who spends the better part of
his student life partying and jumping from one bed to the
next, if I really wanted to succeed in my studies. Because
as we all know, university is no joke. Thus, one must be
ready to invest time, resources etc.
Like many students who move to Kassel for the very first
time, I too thought Kassel was a hopeless place to be in
for a myriad of reasons. Some of which I shall mention in
this piece and others I shall conceal simply because, now
I know the truth.
Sometime around September of 2012, I moved from
Darmstadt to Kassel, after I decided studying informatics
at Darmstadt‘s Hochschule wasn‘t taking me anywhere.
On arriving at my then Wolfhager apartment on that faithful evening, I couldn‘t believe my eyes. First, I was greeted
by a dull moody-rainy cold weather, which quite frankly
saddened me for I was inclined to think that Kassel was a
breath of fresh-air. Soon after, it became clear to me that
Kassel was quiet a minute compact city when compared to
other cities like Frankfurt or Essen. But Kassel is compact
for a good reason. And that reason is, students are known
to get easily dissuaded by everything by big and flashy
cities to the point that their focus shifts from studies to
solely having pleasure. Kassel on the other hand being as
compact as it is, offers stability and focus to the life of a
student because there is not too much here that can distract any respective student.
Now mind you, Kassel is an amazing place. It is known
for being an extremely progressive artsy place, where artist from all over the world come together to display their
art and creative pieces at the very renowned „Documenta”.
However, when art is not being displayed on the streets
of Kassel with a multitude of people rallying together for
art‘s sake, the only source of illumination in Kassel is its
great university.
The University of Kassel which is home to approximately nineteen thousand students, is literally and figuratively the reason why thousands of vibrant, young, fresh
intelligent youths inhabit the city. In their numbers, they
▼ Henry Lyonga N.
come from all over the world to share in the universities
grass-root nature and its multiculturalist setting. Each
semester, it welcomes and cultivates intercultural and
trans-national relationships while teaching its students to
learning to appreciate the value of cultural diversity in the
context of education. As it strives to promote excellence,
intelligence and intercultural diversity in education. It
does an indelible work in building relationships with foreign universities across continents from which it welcomes and sends students on Erasmus exchange programs.
The University of Kassel, is indeed a place to study at for
it is known to have a strong support system with an amazingly organized study body to cater to the needs of its students.
It is thus truly to me arguably the most prominent establishment Kassel has to offer.
By Henry Lyonga N.
Henry works for the ISV - the international student representation of the University of Kassel. If you have any questions
regarding your studies or financial support, feel free to write
him or his colleague at [email protected]
7
Kunst, Poetry und Wrestling an der KHK?
Die Vorbereitungen für den Rundgang gehen in die heiße Phase
8
Wer sich schon immer einmal gefragt
hat, was eigentlich in anderen Studiengängen passiert, der kann sich
Mitte Juli zumindest über die künstlerischen Fächer einen Überblick verschaffen. Oder überwerfen. Vom 15.
bis 19. Juli wird an der Kunsthochschule Kassel der jährlich stattfindende Rundgang ausgetragen. Dabei
stellen alle Klassen Projekte des vergangenen Jahres aus und laden ganz
Kassel dazu ein, miteinander in den
Dialog zu treten.
Der Rundgang hat Tradition an der
Kunsthochschule. Auch mal als Spaziergang durch Kassel angelegt, versammelt er seit ca. 20 Jahren die
Arbeiten der Studierenden in den
Gebäuden der KHK. Dieser Außencampus der Universität liegt direkt an
der Aue und gibt den Fächern Bildende Kunst, Kunstpädagogik und -wissenschaft, Visuelle Kommunikation,
Produktdesign und den Filmklassen
Raum. Ausgestellt wird in fast allen
Räumen, sodass sich die Kunsthochschule als Ganzes für Kassel öffnet,
Führungen zu festen Terminen laden
zur strukturellen Begehung des Campus ein.
Dieses Jahr gibt es einige Neuerungen. Haben sonst die Professoren die
Abwicklung übernommen, stellen
dieses Jahr die Studierenden allein in
Selbstorganisation das Ereignis auf
die Beine. Nachdem die Fachschaft
20 den Impuls gab, planen seit dem
ersten Treffen im November 2014 ca.
40 Studierende mit Unterstützung des
Rektorats die diesjährige Ausstellung.
Höhepunkte sind zehn studentische
Projekte, darunter eine Kochshow,
ein Fußballturnier und Poetry Slams
über Kunst, es wird aber auch eine Radiostimme vom Rundgang online gesendet. Die Eröffnungsfeier findet am
15.07. im Hörsaal statt. Um den Besucherstrom nicht nur auf die Haupteingänge Menzelstraße zu verdichten,
wird der Zugang aus der Aue zur KHK
beleuchtet und gestaltet. Das soll vor
allem in den Abendstunden die Anwohner entlasten. Aus einer ähnlichen Überlegung heraus findet die
legendäre Abschlussparty nicht wie
sonst auf dem Campus, sondern am
18.07. im ARM statt. Betrieb jeglicher
Art auf dem Campus bis Punkt 22 Uhr
bitte, auf ausdrücklichen Wunsch der
KHK-Studierenden, danke. Wie auch
sonst üblich kann auf der Mensawiese
geschmaust werden, dazu gibt es einige Bars. Während der Vormittag vor
allem den Arbeiten vorbehalten ist,
wird am Nachmittag bis abends um 22
Uhr die Bühne mit Live-Konzerten von
Studierenden und Kasseler Künstlern
bespielt.
Man darf als Besucher auch selbst
mitwirken. Für den Rundgangskatalog
hatten alle Beteiligten an der KHK die
Möglichkeit, eine DIN A6 Postkarte zu
gestalten und damit die Frage „Wovon
lässt du deine Arbeit als Künstler*in,
Designer*in, Theoretiker*in beeinflussen?“ für sich zu beantworten.
Darauf haben 274 Studierende, Mitarbeitende und Lehrende reagiert. Im
Säulengang zwischen dem Südbau
und dem Atrium wird die riesige Postkartenkollektion ausgelegt. Die Besucher können sich ihre Lieblingsstücke
mitnehmen und gestalten somit die
Installation aktiv mit. Diese sehr intimen Einblicke in die Menschen an der
KHK ergeben gleichzeitig ein Porträt
von der Kunsthochschule insgesamt
und schließen irgendwo auch den
Kreis des Rundgangs.
Erika Lehn
studiert Germanistik und wird sich den
diesjährigen Rundgang nicht entgehen
lassen
„Man sollte zum Rundgang kommen, um sich inspirieren zu lassen, sich im Austausch mit gesellschaftskritischen und -formenden Themen auseinander zu setzen und das Ambiente der
KHK zu genießen.“
Beat Sandkühler, Student Produktdesign
9
Die Lehre mit zwei „e“
...oder weil wir alle ein bisschen Buddha sind
Im Hochschulsport wird das gemeinsame Sitzen angeboten. Und
doch findet Bewegung statt, vielleicht sogar mehr als erwartet.
10
▲ ZaZen-Leiterin Inga Kappeller
Fragen an eine ZaZen-Leiterin
Das warme Nachmittagslicht und die
ersten Teilnehmer der heutigen Meditationsrunde finden ihren Weg in den
dritten Stock der Sickingenstraße 10.
Wir befinden uns im Dojo derAikidos
-einer japanischen Kampfkunst- im
Haus Chassalla. Hier trifft sich auch
der Zen Kreis Kassel. Die Fenster sind
geöffnet und der Wind bringt ein Gemisch von Glockengeläut, Baustellenlärm, Vogelzwitschern und türkischer
Musik mit herein. Ich sitze im Fersensitz auf einem bequemen runden
Dinkel-Kissen am kleinen runden
Tisch für die spätere Tee-Runde einer
Frau mit einem freundlichen Gesicht
und einem schwarzen Gewand gegenüber. Inga Kappeller hat etwa acht bis
10 Matten vorbereitet, die sich im Meditationsraum, der Zendo, gegenüber
liegen. Darunter verbergen sich Rezitationshefte und auch Klangschalen
und Hölzer (für die Gehmeditation)
liegen schon bereit. Später wird sich
der Duft von Räucherstäbchen über all
das legen. In diesem Raum läuft alles
rechtwinklig ab. Der Buddha auf dem
kleinen Tisch und kleine Wecker stehen sich zu beiden Seiten gegenüber.
Ansonsten befindet sich Nichts in diesem Raum. Dahinter die Umkleide.
Bequeme Klamotten ausdrücklich
empfohlen.
„Warum Buddhist oder Buddhistin sein, wenn man Buddha sein
kann?“
medium: Ganz platt: Bist du Buddhistin?
Inga Kappeller: Eine schwierige Frage.
Mir gefällt die Antwort von lang Praktizierenden am besten, die sagen, warum Buddhist oder Buddhistin sein,
wenn man Buddha sein kann? Wenn
ich sage, ich bin Buddhistin, würde ich
mich gegen etwas anderes abgrenzen
und damit eine Trennung schaffen,
die im Widerspruch mit dem steht,
was ich beim Zazen übe. Zen schließt
alles ein, ohne alles gleich zu machen.
medium: Darum ist dies der beste/
wahre/ stimmigste Weg für Dich?
Inga Kappeller: Ja.
medium: Was ist Zen?
Inga Kappeller: Da gibt es ganze Reihen an Büchern, die sich darüber auslassen. Spontan fällt mir das Gedicht
von Dogen ein:
„Den Buddhaweg gehen bedeutet,
sich selbst erfahren;
sich selbst erfahren heißt, sich selbst
vergessen.
Sich selbst vergessen ist, sich selbst
wahrnehmen - in allen Dingen,
von allen Dingen erleuchtet werden.“
(Eihei Dogen, 13. Jahrhundert)
medium: Auf der Homepage des ZenKreises ist die Rede von der Dynamik
des Lebens...?
Inga Kappeller: Zen ist Leben und Leben ist Zen. Das ist wirklich so. Wenn
ich in der Achtsamkeit bin - und dabei
hilft mir die Übung hier, die des Sit11
zens, des ZaZen-Übens - bin ich immer häufiger im Laufe des Tages im
Hier und Jetzt. Die Achtsamkeit hilft
mir, im Jetzt zu sein und im Jetzt zu
sein, hilft mir freie Entscheidungen zu
treffen oder eben das, was jetzt gerade
anliegt mit Achtsamkeit und Konzentration zu tun.
„Die esoterische Ecke“
medium: Apropos „was du gerade
tust“. Neben deinen anderen Tätigkeiten: Zen als Alltag, als Berufsalltag...?
Inga Kappeller: Nein, Zenanleiterin,
Zenlehrerin, Zenmeister ist kein Beruf. Auch das wäre ein Widerspruch.
Ich sitze hier mit euch. Ich bin dankbar, dass ich das anleiten darf. Denn
wie immer, wenn man eine solche
Aufgabe anvertraut bekommt, lernt
man noch einmal ganz andere Dinge
dazu. Das ist immer ein wunderbares
Geschenk.
medium: Wie reagieren die Leute beim
Kennenlernenauf das, was du tust?
Gab es Kommentare, die hängen geblieben sind?
Inga Kappeller: Wenn mich jemand
fragt, was ich tue, zähle ich einige meiner verschiedenen Tätigkeiten auf,
eben auch die Praxis der Zen-Meditation und die Arbeit in 2 Zen-Vereinen.
Entweder die Menschen werden neugierig und fragen nach, dann erzähle
ich mehr, oder manche wenden sich
bald ab, vermutlich weil sie das Gehörte in irgendeine Schublade stecken
oder sich nicht damit auseinandersetzen wollen. Ist ja auch völlig ok, denn
schon gar nicht möchte ich irgendjemanden missionieren - und rechtfertigen brauch ich mich natürlich erst
recht nicht.Wenn jemand skeptisch
ist, mich zum Beispiel in so eine esoterische Ecke schiebt, wird das in der
Regel nicht laut geäußert, sondern
sich einfach bald woanders hingewandt, so erlebe ich es.
„Als wäre ich auf einem anderen
Planeten gelandet“
medium: Welche Gedanken sind Dir
bei Deiner allerersten Session durch
den Kopf gegangen?
Inga Kappeller: Beim Sesshin? Zu meinem ersten Zen-Sesshin habe ich mich
wirklich ohne jede Vorerfahrung, also
nicht mal ins Sitzen, also, wie sitze ich
am besten auf einem Meditationskissen ..., angemeldet. Ich hatte keine
Ahnung, was da auf mich zukommt.
Und es waren vier Tage, die von morgens 4:30 Uhr bis abends 10:30 Uhr
durchgetaktet waren und das in einer
Form, die mir sehr fremd war. Das war
schon ein Gefühl, als wäre ich auf einem anderen Planeten gelandet. Es
war heftig. Auch körperlich hatte ich
das Gefühl noch nie im Leben etwas
so Anstrengendes gemacht zu haben.
Und am Anfang war ich auch gar nicht
sicher, ob ich das weiter mache. Aber
es war vor allem auch interessant zu
erfahren, wie viel man zusammen
auch erreichen kann. Das hat mich
dann sehr neugierig gemacht....
chenzentrums der Uni Kassel, etablierte 1994 das Angebot „Zen-Meditation“ innerhalb des allgemeinen
Hochschulsports. Also eine Übung,
nicht nur für den Körper, sondern
eine für den Geist. Seitdem wird es
durchgehend im Unisport angeboten.
Ich habe es vor vier oder fünf Jahren
übernommen.
medium: Braucht das eine ganz andere
Handhabung?
medium: Wie kam es zu dem Angebot
für Studierende?
Inga Kappeller: Rolf hat immer von seiner ersten ZaZen-Erfahrung erzählt.
Damals in Göttingen hatte man ihm
einfach gesagt: „Setz dich dazu und
mach mit.“ Und das hat er im Prinzip
auch so an die Studenten weitergegeben. Ich mache es jedes Semester ein
bisschen anders, diesmal sogar sehr
anders, habe verstärkt einführende
Übungen, wie das „Körperscanning“
gemacht, das ja einige auch aus dem
autogenen Training kennen, und später angefangen, zu rezitieren und das
hat in dieser Gruppe zumindest ganz
gut geklappt. Die Studenten zusammen mit den Teilnehmern, die schon
jahrelang dabei sind, in einer Gruppe
zu haben, ist sowohl eine Herausforderung als auch eine Bereicherung.
Inga Kappeller: Dr. Rolf Henze, damals
Abteilungsleiter des Hochschulre-
„Der Zen-Meister Shunryu Suzuki hat
ein Buch geschrieben mit dem Titel:
▲ Tee-Zeremonie
12
Japanisches Schriftzeichen für Frieden ▼
um Fülle, um Größe, um Liebe - die
große - um Freiheit... Und gerade,
wenn von der Leere mit zwei „e“ die
Rede ist, geht es um die Essenz dessen, was wirklich lebendig ist. Unsere
gedanklichen Konzepte machen die
Menschen, Lebewesen, die Dinge, die
Erfahrungen..., oft so klein und verfälschen sie durch diesen trennenden
Umgang. Letztlich geht es darum, diese „Getrenntheit“ immer wieder aufzugeben. Aber, wie gesagt: ohne alles
gleich zu machen.
medium: Aber es geht schon darum,
all das ernst zu nehmen - und nicht
gleichzeitig nicht - oder?
‚Zen-Geist - Anfängergeist‘ und meint,
dass der Zen-Geist dieser Anfänger-Geist
ist und dass wir wieder lernen müssen
unser Expertenwissen auch mal aufzugeben, zugunsten des Nicht-Wissens, der
Neugier, der Bereitschaft Neues zu erfahren, genau hinzuhören, .....; und das
schließt dann später auch all das ein,
was man meint, über Zen zu wissen.“
„Wenn der Schüler den Schlag
spürt, ist er sofort nur noch im
Hier und Jetzt“
medium: Was sind das für Geschichten, die häufig in der Lehre erzählt
werden, und warum enden so viele damit, dass auf irgendetwas geschlagen
wird?
Inga Kappeller: Man spricht hier besser von der Zen-Literatur. Das liegt
wohl einerseits an der damaligen Kul-
tur der chinesischen und japanischen
Lehrweise im Zen und andererseits
kann ich auch gar nicht ein gedankliches Verstrickt-Sein mit neuen gedanklichen Konstrukten auflösen. Da
bedarf es manchmal eher einer anderen sinnlichen Erfahrung und sei
es die eines Schmerzes. Häufig findet
man eine gewisse Rohheit vom Lehrer zum Schüler. Aber das ist als Hilfe
gemeint. Es hat den Zweck, ihn aus
seinem einengenden Denken herauszuholen, als Hilfe, wieder ins Hier und
Jetzt zu kommen. Ein Weckruf.
medium: Wie passen der theoretische
Nihilismus und die praktische Form
(strenge Rituale) zusammen?
Inga Kappeller: Erscheint dir ein Widerspruch? Man könnte es so hören.
Aber Zen ist das glatte Gegenteil vom
Nihilismus. Im Zen geht es immer
Inga Kappeller: (lacht) Wenn du sagst,
ernst nehmen, hieße das ja wieder,
dass es das Gegenteil gibt, also nicht
ernst nehmen. Das gibt es und das
gibt es auf anderer Ebene auch nicht.
Es ist auch eine absolut ernste Sache,
und mir fällt wieder eine Geschichte
ein:
„Der Legende nach befragte Hakurakuten den Meister Dorin, der die Angewohnheit hatte in einer Astgabel zu
meditieren, bei ihrer ersten Begegnung,
ob die Position, die er da oben in seiner
Astgabel hätte, nicht ziemlich gefährlich sei. „Nicht so gefährlich, wie deine
Position!”, meinte daraufhin Meister
Dorin zu dem Distrikt-Gouverneur.
Später, er war wohl schon längere Zeit
Laienschüler, stellte Hakurakuten
dann die berühmte Frage: „Was ist das
Wesen - oder die „Große Absicht“ - des
Buddhadharma?“Meister Dorin sagte
darauf: „Meide das Unheilsame und tue
Heilsames.“ Hakurakuten war offenbar
überrascht von dieser Antwort, denn er
sagte: „Ist das die Große Absicht? Das
weiß ja jedes Kind!“
Und Meister Dorin antwortete: „Auch
wenn jedes Kind das weiß, so muss doch
selbst ein alter Mann von achtzig Jahren
andauernde Anstrengungen unternehmen, um das zu praktizieren!““
13
„Erleuchtet ist das Wort, das so
viele Missverständnisse mit sich
bringt.“
medium: Darf jeder auf Erleuchtung
hoffen?
Inga Kappeller: Tja, was soll ich dazu
sagen? Auf jeden Fall. Jeder Mensch
hat, wie der historische Siddhartha
Gautama (Buddha), der vor zweieinhalb tausend Jahren in Nordindien
gelebt hat, die Fähigkeit zu erwachen..
Also, erwacht heißt ja auch erleuchtet
sein und Erleuchtung ist das Wort, das
so viele Missverständnisse mit sich
bringt. Erleuchtung heißt, im Hier
und Jetzt zu sein, ohne jegliches Konzept. Das Wort Nirwana meint ebenfalls das Hier und Jetzt ohne Konzept;
nicht mal das von Geburt und Tod.
Diese Fähigkeit zu erwachen haben
wir alle, einfach weil wir Menschen
sind. Es liegt an uns, inwieweit wir das
üben und leben.
medium: Zen als Lebenshilfe / als Therapie?
Inga Kappeller: Zen ist keine Therapie.
Zen kann auf jeden Fall in psychisch
schwierigen Situationen helfen, das
habe ich auch selbst erlebt, aber es ist
kein Ersatz für jemanden, der Bedarf
an einer psychologischen Unterstützung und Klärung hat.
„Eine gute Sache“
medium: Wie würdest Du dem Vorwurf
begegnen, dass westlicher Buddhismus etwas Unorganisches, Künstliches ist?
Inga Kappeller: Etwas Unorganisches
kann es gar nicht sein, einfach weil
es von Menschen praktiziert wird. Es
hat sich aber auch viel getan. Der ZenBuddhismus ist eigentlich schon Anfang des letzten Jahrhunderts in den
Westen gekommen. Und ich glaube,
die ersten Zen-Meister waren Anfang
14
▲ Dekoration im Übungsraum
der vierziger Jahre in Deutschland. Anfangs waren es sehr Wenige, aber gerade in der letzten Zeit ist der Buddhismus etwas, das auch im Westen sehr
stark wächst. Man denke an die vielen
Bereiche, wo Meditation angeboten
wird. Gleichzeitig gibt es seit ca. 20
Jahren so viele wissenschaftliche
Untersuchungen von Neurowissenschaftlern darüber, wie sich Meditation auf Gehirn und Mensch auswirkt.
An solchen Beispielen zeigt sich, wie
etwas in eine Kultur hineinwachsen
kann. Und nicht zuletzt daran, dass
Zen-Meditation im Hochschulsport
angeboten und auch angenommen
wird. Dabei spielt es keine Rolle, wie
viele länger mit dabei bleiben, oder
wie viele es gleich wieder verwerfen.
Allein die Tatsache, dass es existiert,
finde ich schon eine gute Sache.
medium: Vielen Dank für das Gespräch! (Gassho Teto: Hände aneinander legen und Verbeugen)
Die Zeiten für ZaZen sind Dienstag
15:45, Mittwoch 16:45 und Sonntag 18:15. Weitere Informationen
gibt es auch auf der Homepage des
Zen Kreis Kassel e.V.
Tanja Lau
studiert im Master Germanistik und
sucht sich eine kleine Auszeit davon
„Wohnen für Hilfe“ in Kassel und Witzenhausen
Das Problem
Mit Beginn des Wintersemesters im
Oktober beginnt auch wieder der
Sturm auf den Wohnungsmarkt in
den Universitätsstädten. Da ist Kassel
keine Ausnahme. Der ein oder andere
Studierende wird den Kampf um den
heiß begehrten WG-Platz sicherlich
schon am eigenen Leib erfahren haben. Wohnraum ist rar und teilweise
auch sehr teuer. Günstige Studierendenwohnheime und WGs sind schnell
vergriffen und Auswahl hat man bei
dem knappen
Wohnraumangebot meist sowieso nicht.
tretungen und Wohlfahrtsverbände.
Die Zahl der Vermittlungen pro Jahr
ist noch ganz unterschiedlich. Einige
Städte vermittelten ca. 70 Wohnpartnerschaften (Freiburg), andere Städte
liegen bei erst drei Vermittlungen.
Zur Koordination gibt es regelmäßige Treffen der an der Initiative beteiligten Gruppen. Das letzte Bundestreffen „Wohnen für Hilfe“ fand vom
11.05.2015 bis 12.05.2015 in Bamberg
statt.
Das Konzept
Eine Alternative zum konventionellen Wohnen bietet das
Projekt „Wohnen für Hilfe“.
Das Konzept
ist genau so
einfach wie genial: Menschen bieten
Wohnraum für Studierende und Auszubildende an. Als Gegenleistung erhalten sie dafür (abgesehen von den
Nebenkosten) kein Geld sondern Unterstützung im Alltag.
In Darmstadt, München und Frankfurt gibt es das Projekt bereits seit
vielen Jahren. 2009 initiierte Köln das
Projekt in Kooperation mit dem Amt
für Wohnungs-wesen der Stadt, der
Universität und der Seniorenvertretung. Im Internet wurde von den Initiatoren der Stadt Köln die Seite www.
wohnenfuerhilfe.info für Deutschland aufgebaut.
Mittlerweile gibt es das Projekt in
etwa 60 bundesdeutschen Städten.
Träger von WfH sind häufig Studentenwerke in Kooperation mit Wohnberatungsstellen der Städte, Seniorenver-
Ziel dieses Bundestreffens war u.a.
die Gründung einer Bundesarbeitsgemeinschaft. In Arbeitsgruppen sollen einheitliche Standards entwickelt
und rechtliche Fragen zum Thema Arbeitsrecht (Mindestlohn), Steuerrecht
(geldwerter Vorteil) und Haftung, sowie Unfallschutz geklärt werden.
Derzeit gibt es noch keine bundesweit
einheitlich rechtliche Regelung. Die
Gruppen vor Ort sehen sich als Vermittler für Wohnpartnerschaften und
weisen in den Gesprächen auf die genannten Aspekte hin. Die Mietverträge werden ausschließlich von den Beteiligten - also Wohnraumgeber und
Wohnraumnehmer - selbst verfasst
und unterschrieben.
Die Umsetzung
Ab kommendem Wintersemester
wird es dieses Projekt nun auch in
Kassel und Witzenhausen geben. In
Witzenhausen fanden bereits die ersten Vernetzungstreffen statt, in Kassel
wurden bereits Einladungen versendet und man arbeitet auf Hochtouren
an einer schnellen Umsetzung.
Das Projekt wird dabei im Gegenseitigen Austausch von Diakonie, Seniorenrat, Stadt und dem Allgemeinen
Studierendenausschuss bzw.
den
Fachschaften
der
Universität organisiert und
getragen.
Zur
Organisation
sucht
der Allgemeine Studierendenausschuss
der Uni Kassel
derzeit
auch
verstärkt
ehrenamtliche
Mitarbeiter*innen für die Organisation des Projekts in Kassel. Die ehrenamtlichen Studierenden soll die
Student*innen und Vermieter*innen
dabei mit einer persönlichen Beratung bei der Auswahl und Vermittlung
unterstützen.
Fazit
Das Projekt „Wohnen für Hilfe“ stellt
eine große Bereicherung für die Stadt
Kassel und Witzenhausen auf verschiedenen Ebenen dar. Wir sind gespannt wie sich das Projekt hier vor
Ort entwickeln wird.
Weitere Informationen gibt es auf der Internetseite wfh-kassel.de und auf Nachfrage per Email unter [email protected] .
Chris Bauer, AStA-Sozialreferent
15
Die Unmöglichkeit Kränze zu lösen:
Penthesilea
am Staatstheater Kassel
16
▲ Eva Maria Sommersberg als Penthesilea und Artur Spannagel als Achill
„Das Glück, gesteh‘ ich, wär mir lieb gewesen; doch fällt
es mir aus Wolken nicht herab.“, spricht Penthesilea in
Kleists gleichnamigen (Liebes-)Drama. Achill, ein Held
des griechischen Heeres und Penthesilea, die Königin der
Amazonen, treffen im Schlachtfeld aufeinander, kämpfen
und verfallen in eine unbändige, unrealisierbare Liebe zueinander. Penthesilea wird daraufhin unrechtmäßig glaubend gemacht, sie sei es gewesen, die gegen Achill gesiegt
habe. Sie will ihn nach Themyskira bringen um dort das
Rosenfest mit ihm zu begehen; ein Amazonenfest, bei dem
sich die mit Rosenkränzen geschmückten Kriegerinnen
ihren Besiegten hingeben. Penthesilea ist untröstlich und
rasend zugleich, als sie die Wahrheit erfährt und verweigert sich Achill, der sie in sein Gebiet wegführen möchte.
In der Inszenierung von Sebastian Schug werden die zwei
Hauptcharaktere als Graph und Asymptote gezeichnet, die
sich bis ins Unendliche annähern, aber nie überschneiden.
„Daß ich den ganzen Kranz der Welten so, wie dies Geflecht
der Blumen, lösen könnte!“, wünscht Penthesilea. Sie kann
es nicht. Die Welten der beiden Liebenden stehen gegeneinander: Pethesilea, Königin eines halb autonomen Frauenstaates, der den Männern den Kampf angesagt hat und
Achill, der Held des feindlichen Volkes. So sehr sie darum
kämpfen- sie können sich nicht auf einer Ebene begegnen.
Um sich ihr zu ergeben und mit ihr zusammen zu sein, ruft
Achill die Geliebte erneut ins Feld. Er nähert sich, ungeschützt, und trifft auf Penthesilea, die ihn, wie im Wahn, gefolgt von einer Herde Hunde, zu Boden stürzt und wie wild
tötet. „Penthesilea! meine Braut!(...) Ist dies das Rosenfest,
das du versprachst?“, sind Achills letzte Worte. Als Penthesilea realisiert, was sie getan hat, beschließt sie: „Ich sage
vom Gesetz der Fraun mich los“ und folgt ihrem Geliebten
in den Tod. In Kassel sehen wir eine modern inszenierte
Penthesilea-Erzählung, die mal von E-Gitarren-Sounds
und Songs, mal von Fecht-Choeographien unterbrochen
und angereichert wird, die gleichzeitig aber überraschend
gut mit den ursprünglichen Texten von Kleist funktioniert.
Eva Maria Sommersberg spielt eine leidenschaftliche,
selbstbewusste, aber auch zerrissene Penthesilea, die sich
zum ersten mal im echten Kampf und zum ersten mal in
der wahren Liebe findet; Artur Spannagel einen Achill, der
auf naive Art optimistischer als Penthesilea zu sein scheint
und mehr Liebhaber als Kriegsheld ist. Die Inszenierung
schafft es, die Kluft zwischen Gesellschaftsgesetzen und
Liebe, zwischen Leidenschaft und Brutalität so auszupflastern, dass die Charaktere nahbar bleiben, das Stück einen
ergriffen von der Tragik und nicht verschreckt von der Gewalt zurücklässt.
Übrigens: Stücke des Staatstheaters (außer Gastspiele) könnt ihr mit eurem Kulturticket kostenlos anschauen!
Milena Maren Röthig
Auf den nächsten Seiten gibt es noch ein Interview
mit den Hauptdarstellern von Penthesilea! ►
17
Ein Gespräch mit Eva Maria Sommersberg und Artur Spannagel
zu Penthesilea
Geführt von Felix Krätschmer und Milena Maren Röthig
Mit neuen Leuten zu arbeiten.
Eva: Für mich war es bereits die vierte Arbeit mit Sebastian Schug, dem
Regisseuren. Das heißt ich weiß ungefähr, was er von mir will, wenn ich
auf die Bühne gehe, was er erzählen
will. Für dich war das neu. Du musstest das erstmal alles verstehen, was
wir da machen, was wir da rausfinden
wollen.
Gibt es auch irgendwas an dem Prozess, was ihr nicht mögt? Textlernen
zum Beispiel?
▲ Eva Maria Sommersberg
Eva, du warst nach deiner abgeschlossenen Theaterausbildung nochmal an
der Filmhochschule in Ludwigsburg.
Was hat dich dann doch zum Theater
gezogen?
Eva: Ich hatte die Möglichkeit einen
Workshop in Ludwigsburg zu machen. Mich hat das interessiert, denn
unsere Ausbildung in Wien war keine
Filmausbildung. In Ludwigsburg trafen wir dann viele Carster und Regisseure, die uns gesagt haben, was wir
alles tun müssten, um im Film groß
rauszukommen - wahnsinnig viel Akquirierung, Bewerbung, man muss
sich überall blicken lassen, man muss
viele Leute kennen. Die Arbeit beim
Film ist Vorbereitung, Vorbereitung,
Vorbereitung und dann kommt es auf
18
den Moment an, in dem du brillant
sein musst. Am Theater interessiert
mich der Prozess, sich 8 Wochen in
etwas reinknien um dann bei den Vorstellungen, zusammen mit dem Publikum, im Moment zu sein. Das alles
hat man im Film nicht.
Worin liegt für dich der Reiz am Theater, Artur?
Artur: Ich stimme Eva in dem Punkt
zu: Wenn du einen produktiven, coolen Prozess hattest, ist das schon sehr
spannend. Und dann ist es natürlich
noch so: Eva ist schon länge hier am
Haus, aber ich bin erst seit dieser
Spielzeit hier und ich kenne die Leute
noch nicht so gut.
Das ist auch immer sehr spannend:
Eva: Auch die Arbeit mit dem Text
macht Spaß, da kommt die Streberin
in mir raus (lacht). Ich finde es lustig,
dass man sich 2 Monate damit beschäftigt, mit der Rolle als Penthesilea. Dass man sich denkt: „Penthesilea
ist eine Königin, Kriegerin, die müsste
doch so und so sein.“ Man stellt sie
dann auf die Bühne und dann kommt
erstmal der Regisseur und sagt: „Was
machst du da?“ Man probiert vieles
aus, am Anfang war Penthesilea zum
Beispiel sehr kriegerisch, zwischendurch richtig notgeil. Man geht viele
Umwege, um die Figur anzureichern.
Das ist das Spannende, dass man
sich komplett verspielt, um dann zwischendurch von der Bühne zu gehen
und zu sagen: „Ich verstehe es nicht.
Ich verstehe Kleist nicht!“ Man denkt,
man kommt nicht weiter und dann
gibt es wieder irgendwoher Input,
oder Kollegen bringen etwas Neues
rein. Es ist auch jede Aufführung ein
bisschen anders: Andere Haltungen,
andere Vorgänge.
Also ist immer so ein bisschen Improvisation mit dabei?
Artur: Ja schon - man weiß in etwa auf
was es hinauslaufen sollte, aber wie
wir das genau im Detail verhandeln,
ist uns überlassen. Das erfordert eine
hohe Eigenverantwortung des Spielers. Aber das ist wirklich gut, es ist
dann fast immer neu. Mal klappts besser und mal klappts schlechter natürlich.
Das Stück spiegelt brutale gesellschaftliche Verhältnisse wider und
auch Penthesilea handelt am Ende
sehr brutal. Trotzdem war es für uns
als Zuschauer so, dass wir Penthesilea
als nahbaren Charakter erlebt haben.
Gibt es für dich Identifikationspunkte
mit Penthesilea, die den Charakter verständlicher machen?
Eva: Ich glaube das sind zwei
wichtige Sachen: Die erste ist
Liebe. Und es ist eine überdimensional, außerirdisch, unsterblich große Liebe, die diese
Figur für Achill empfindet. Ich
glaube das kennt jeder, hoffe
ich, wünsche ich jedem. Das
ist der große Part, der mich
mit dieser Figur verbindet. Das
ist das, was wir auch erzählen
wollten: Dass es so was gibt.
Der zweite Aspekt, der für mich
schwieriger zu greifen war, ist, dass sie
eine Kriegerin ist. Das ist schwierig,
das spürbar rüberbringen zu können.
Wir waren mit dem ganzen Ensemble
Paintball spielen, das war eine total
krasse Erfahrung. Der Moment, in
dem man zum ersten mal aufs Spielfeld geht, alle sich positionieren und
dann rückwärts gezählt wird - man
hockt dann irgendwo, hört seinen
eigenen Herzschlag; und man weiß,
man muss jetzt Leute abknallen, oder
wird selbst abgeknallt. Das ist so eine
Erfahrung, die mir geholfen hat - auch
dieses wahnsinnige Adrenalin. Man
spürt ein bisschen das, worüber im
Stück geredet wird. Irgendwann hab
ich so eine Lust am Krieg bekommen.
Und das ist das Krasse, dass für Penthesilea immer, selbst in einer Liebesszene, die Lust mitschwingt, dem Gegenüber eine runterzuhauen.
Ein Drama, ein bisschen so wie Romeo und Julia.
Eva: Ja ja, genau.
Artur: Im Prinzip ist das ja so: Man entscheidet sich für den Anderen. Und es
ist natürlich dann die Tragik, dass diese Entscheidung der Tod sein kann.
Aber man kann sich immerhin entscheiden. Es ist schließlich ein Theaterstück, wenn es nicht dramatisch
wäre, dann wäre es kein Theater, dann
würden wir Soap spielen und das will
ja keiner.
▲ Artur Spannagel
Nachdem Achill Penthesilea ein zweites mal zum Duell fordert, hatten wir
den Eindruck, dass das Verhältnis
zwischen den Beiden brüchig wird; sie
sich voneinander entfernen.
Artur: Liebe und Hass liegen sehr nahe
beieinander. Natürlich ist Penthesilea
irgendwie gepisst, weil es so gelaufen
ist. Aber ich glaube nicht, dass sie sich
entfernt. Man kann ja nur so hassen,
wenn man auch dementsprechend
liebt.
Eva: Supprimierte Sexualität! Also,
klar entsteht durch die erneute Forderung zum Duell eine Verletzung bei
Penthesilea. Aber die entsteht nur,
weil sie ihn liebt, sonst würde sie einfach sagen: „Fick dich, ich gehe nicht.“
Aber sie geht trotzdem, weil sie ihn
liebt; weil sie ihn haben will. Die Frau
funktioniert ja einzig und alleine über
den Gedanken, dass sie jemanden besitzen oder lieben kann, wenn sie ihn
erlegt hat. Das ist total bescheuert.
Da musste ich auch erstmal dahinter
kommen. Anders kann sie gar nicht
lieben. Sie muss ihn erlegen. Dann hat
sie ihn.
Es scheint auch Rache an der Gesellschaft zu sein, weil sie die anderen bezichtigt. Es ist plausibel, dass sie ihre
Tat im Rausch vergisst aber ebenso
plausibel wäre, dass sie damit einen
unbewussten Vorwurf ausspricht. Mir
scheint das Stück tendenziell eine
philanthropische
Grundhaltung zu haben, die Ideale wie
die romantische Liebe bejaht,
und im Kontrast zum militanten Mumuland tatsächlich ein
bisschen queer wirkt. Geht das
am Stück vorbei?
Eva: (lacht) Nee. Wir stellen keine Haltung hin. Die Mumulanderfindung ist ein Spiel, auch
mit Ängsten. Und eigentlich
spielen wir ja Achills Traum,
seine Vorstellung von Frauen.
Sie tanzen sexy rum, sind aber
irgendwie auch bedrohlich und
töten Jungen.
Ich fand es auch sehr humorvoll gemacht, aber es gab auch Leute, die bei
der Szene mit dem Baby „schrecklich“
gerufen haben. Es scheint sie schon
sehr anzugreifen.
Artur: Ja ist auch in Ordnung. Es ist in
dem Sinn ja auch eine schreckliche
Geste.
Was damit symbolisiert wird schon.
Eva: Ich finde es nicht verwunderlich,
dass ein so aufgebauter Frauenstaat
irgendwann zu Grunde geht. Sie besorgen sich Männer, ohne ein Wahl
19
zu haben. Man muss den Erstbesten,
der einem auf dem Schlachtfeld vor
der Nase rumtanzt nehmen und überwältigen. Die Frauen in unserer Version kriegen auch nicht mit was Sex ist.
Sie werden für den Akt unter Drogen
gesetzt, um dann geschwängert aufzuwachen. Also das finde ich total absurd und weltfremd.
Ja das ist auch ein wenig phobisch vor
der Sexualität.
Eva: Ja, und was könnte passieren
wenn man sich verliebt, das genießt?
Das erzeugt eine andere Bindung, die
in diesem Staat eben nicht...
Artur: … sein darf. Die wäre letztendlich nicht gewollt und Penthesilea
bricht das am Ende ja auf.
Lustigerweise bricht sie den guten Geschmack des Staats mit übersteigerter
Brutalität in einem Staat der ja eigentlich BRUTALITÄT groß schreibt und
wirft sie diesem vor. Auch der Moment
in dem die Priesterin und ihre Freundin sie kritisieren: Was hast du getan?
Eva: Ja aber genauso merkt die Oberpriesterin auch was sie selbst getan
hat, mitverantwortet, durch ihre Vorschriften. Und am Ende merkt sie,
dass das eigentlich totaler Wahnsinn
ist.
Das dann aber doch wieder von sich
weisen möchte.
Eva: Ja theoretisch. Aber sie wissen,
dass das das Ende wäre - der Story und
der Amazonen.
gen ist nicht das Problem. In der Ausbildung haben wir stundenlang gestanden. Es ist die Entscheidung und
der Akt, ich ziehe mich aus, gebe mich
ganz hin. Früher hätte ich nicht so
mit Nacktheit umgehen können. Aber
jetzt bin ich mit mir soweit im Reinen,
und jetzt geht es halt nackt. Aber ich
bin davon überzeugt, wie es in die Inszenierung eingebunden ist. Es gab da
eine Kontroverse, ich glaube die Hna
fand das aufgesetzt. Ich finde das gut,
das ist schlüssig im Stück, logischerweise ziehe ich mich dann auch aus.
Ich fand die Szene krass, aber nicht
dass er ausgezogen war. Das hat extrem gut gepasst. Deswegen auch
die Frage, weil im Theater Nacktheit
inzwischen schon häufig verwendet
wird und manchmal einfach nur so,
damit die Leute nackt sind, ohne dass
es passt. Ja, ich finde es nervig wenn es
nur leere Provokation ist. Es war krass,
aber emotional krass.
Artur: Ich finde es auch komisch, dass
sich Leute von Nacktheit provozieren
lassen
.Eva: Nicht alle gehen einmal die Woche in die Therme.(Lachen)
Artur: Ja das stimmt , aber wir leben
auch in einer stark sexualisierten Gesellschaft. Und unser Umgang mit
Nacktheit ist jetzt auch nicht so, dass
wir uns da sexy räkeln.
Eva: Nicht in dem Stück.(Lachen)
Artur: Die fühlen sich ja auch nicht
von einer Werbung für Frauenshampoo provoziert.
Eva: Aber im Theater ist das immer
noch live, das sind echte Menschen,
direkt vor dir.
Artur: Ja, das im Fernsehen das sind ja
alles keine Menschen. (Lachen)
(an Artur) Du spielst auch nackt und
musst lange rumliegen. Ist das anstrengend?
Welche Frage sollte man euch in einem Interview mal stellen?
Artur: Manchmal liege ich scheiße und
ein Arm schläft ein, aber im Prinzip...
Eva: Ja und dann legt sich die dicke
Sommersberg auch noch auf dich
drauf. (Lachen)
Artur: Wenn die erste Frage wäre: „
Möchtest du Kaffee haben“, das wäre
super! Andersrum. Die Frage, die dauernd kommt und die ich etwas nervig
finde: „
Artur: Ach man. Aber 10 Minuten lie-
„Wie könnt ihr euch so viel merken?“
20
Die habt ihr nicht gestellt. (Lachen)
Wir arbeiten damit 2 Monate, da
merkt man sich so was. Das ist nicht
die Kunst, auch wenn es textintensive
Stücke gibt.
Ja. Und manchmal springt auch die
Souffleuse ein. Bei „Floh im Ohr“ wurde das Einflüstern dann wieder eingebunden und nachgefragt, ob man es
jetzt richtig gesagt hätte.
Eva: Das war improvisiert. Aber manchmal werden auch die Souffleusen eingebunden. Bei Penthesilea hat der
Text auch lustige Szenen geschaffen.
Kleists Stil ist alt und schwierig, darum machen wir am Anfang dreifaches
Slow-mo-Theater, damit der Zuschauer überhaupt die Chance hat rein zu
kommen. Wirklich so WOOAAAHHH
LAAASSS MMMIIICCH. Man muss da
die Balance finden: Für den Zuschauer
künstlich verlangsamen und trotzdem
einen Spielfluss behalten.
Ich fand das interessant, weil die Inszenierung an sich ja schon sehr modern war und es trotzdem gut zusammengepasst hat. Dadurch wurden die
Texte noch mal interessanter.
Eva: Ja, das sind auch super Texte.
Kleist ist super lustig, was man gar
nicht denkt.
Artur: Manche im Publikum lassen
sich auf den Humor ein, andere denken „Oh, nee, man darf nicht lachen,
das ist Penthesilea. Das ist krass.
Krieg, alle bringen sich um.“ Aber da
gibt’s auch durchaus humorvolle Szenen und einfach lustige Wörter.
Eva: Ja zum Beispiel steht im Text
„Komm jetzt, du Süßer“. Okay, why
not? Süßer!
Das Gespräch führten: Felix Krätschmer
und Milena Maren Röthig
Kaffeelöcher: Kollektivcafé Kurbad
In dieser Serie stellen wir in jeder Ausgabe ein Café oder eine Bar in Kassel vor, die uns
besonders gut gefällt. Von Milena Maren Röthig und Felix Krätschmer
Nahe am Eingang gibt es auf einer kleinen Anhöhe zwei
Sitzgruppen direkt an den Fenstern, die zur Fulda hin ausgerichtet sind. Die Caféeinrichtung besteht aus Einzelstücken, erzählt uns die Frau hinter dem Tresen, zusammengesammelt auf dem Sperrmüll oder übers Internet. Wir
erfahren, dass es das Café erst seit Anfang Mai gibt und
hier vieles selbst gemacht wurde. Gegründet haben sie es
als Kollektivcafé, was soviel heißt, wie, dass die Finanzen,
die Verantwortung und die Organisation unter einer kleinen Gruppe geteilt wird. Natürlich auch die Schulden, falls
mal welche anfallen würden. Gerade kaum vorstellbar,
die Terrasse ist voll. Ihre Idee, ein etwas anderes Café aus
dem Bad zu heben, scheint auf Gegenliebe zu stoßen. Direkt neben der Drahtbrücke am Fuldaufer liegt es nun, das
Kurbadcafé. An Sonn- und Feiertagen, wenn die Schlange
durchaus verstörende Ausmaße annehmen kann, erblickt
man dann auch mal die hinten versteckten Zeitschriften.
Nachdem man das Angebot bei dem viele queere oder feministische Magazine, aber auch einfach die taz und die
sz dabei sind, wundert man sich, wie man das je übersehen konnte und kann sich im nächsten Moment freuen,
dass derweil die Schlange verschwunden ist. An der Theke
angekommen stößt man dann auf eine Vielzahl selbstgemen, oder kleine Tische besetzen, direkt
an der Kaimauer mit Blick auf Fluss und
Hafenszenerie samt kleiner Boote. Wir
nehmen ein dunkelgrünes Sofa am Eingang und überblicken die Terrasse. Die
Leute sind bunt gemischt, die Stimmung
gut und die Preise moderat. Wer wirklich
blank ist, wird aus dem Soliglas versorgt.
Wir bleiben noch eine Weile, quatschen,
sehen Anderen beim Quatschen zu, gehen
dann irgendwann und sind uns sicher,
dass wir wiederkommen.
machter Kuchen und ein kleines aber feines Getränkeangebot: Diverse Kaffeearten (sogar Getreidekaffee), Limos
(Karamalz yeah!) und eine mit einem Hinweis überklebte
Listung von Alkoholika. Die Behörden haben leider immer
noch keine Schanklizenz erteilt. Macht erstmal nichts.
Drinnen würde man auch gerne bleiben, aber bei schönem
Wetter ist die Anziehungskraft der ebenso in bestechender Gelassenheit eingerichteten Terrasse groß. Draußen
also. Die Möbel sind gemischt, man kann auf einer tribünenartigen Palettenbank mit bunten Sitzkissen Platz neh-
Kollektivcafé Kurbad
Sternstraße 20
kollektivcafe-kurbad.org
Kaffee / 1,50
Kultur / regelmäßig
Kost / Kuchen, Brotzeit
W-Lan / bald
Wow! / Uferflair
Wann/ Mi-Sa 15-20, So 14-18
Wo / drinnen und draußen
21
Kurzgeschichte: Schwimmen hatte er nie gelernt
A
kberet lebte in einem kleinen Dorf, in ländlicher Gegend, doch nicht so weit von der nächsten Stadt entfernt, als dass man nicht für einen
Notfall schnell dorthin käme. Aber er war bis
jetzt noch nicht oft in der Stadt gewesen. Meistens, wenn
er einmal krank geworden war oder wenn er so wenig Geld
oder Lebensmittel zur Verfügung hatte, dass er etwas aus
seinem Besitz verkaufen musste, was allerdings noch nicht
oft vorgekommen war. Nicht etwa, weil die Lebensmittel nicht knapp wurden, oh nein, das gab es oft, sondern
eher aus dem Grund, dass er kaum etwas besaß, was sich
in solch einem Fall verkaufen lassen würde. Oder besser
gesagt, er besaß es nicht mehr. Alles, was er einst an wertvollen Gegenständen besessen hatte, war entweder in Geld
umgetauscht oder gestohlen worden. Er war erleichtert,
wenn er daran dachte, dass sein Dorf wenigstens einen
Brunnen hat. Das Wasser war zwar nicht wirklich sauber,
aber durch ein paar Tücher gefiltert und abgekocht wurde
man wenigstens nicht krank davon. Er hatte noch einen
kleinen Bruder, zusammen mit ihm lebte er auf einem
kleinen Bauernhof. Hier versuchten sie alles anzubauen,
was man zum Leben braucht. Es gab ein winziges Maisfeld
und ein paar Felder, auf denen sie versuchten, Süßkartoffeln anzubauen. Sie hatten einmal zwei Hühner, aber beide
waren ihnen gestorben. Viel hatten sie nicht von ihren mageren Körpern herunter essen können. In ihrer Gegend war
es meistens sehr trocken und es gab nur selten Regen, weshalb ihre spärlichen Felder auch nicht sehr gut gediehen.
Doch sie kamen meistens einigermaßen um die Runden,
wenigstens mussten sie nicht verdursten.
Akberet und sein Bruder lebten allein. Ihre Eltern gab es
nicht mehr. Ihre Mutter und ihre Schwestern hatten „Sie“
mitgenommen. Sie, die Männer mit den Gewehren. Sie, die
ihnen bei jedem Mal alles nahmen, seien es Lebensmittel
oder Hab und Gut. Sie, die die Frauen schändeten und sie
dann verschleppten. Sie, die die Männer töteten, wenn sie
sich ihnen nicht anschlossen. So wie sie es mit ihrem Vater
getan hatten. Er hatte sein Dorf nicht verteidigt, wie auch,
man hatte hier keine Waffen und keiner war so dumm sich
dem heiß geschossenen Lauf eines Gewehres in den Weg
zu stellen. Doch er hatte sich ihnen auch nicht angeschlossen. Er war lieber gestorben.
Von da an musste der Junge sich um seinen Bruder kümmern. Doch sie bekamen so viel Hilfe aus dem Dorf wie
die anderen Bewohner entbehren konnten. Jede Familie,
denen dieses Leid widerfahren war, konnte sich der Hilfe
sicher sein. Die Banden überfielen ihr Dorf schon seit Jahren. Anfangs hatten sie nur Lebensmittel mitgenommen,
aber inzwischen übten sie auch immer mehr Gewalt an den
Dorfbewohnern aus.
22
Es war eines Nachts gewesen, als sie wiederkamen. Man
hörte sie schon von Weitem, sie waren laut und schossen
in die Luft. Dieses Mal war alles schlimmer als zuvor. Sie
brachen in Häuser ein und töteten jeden, den sie fanden.
Sie verwüsteten das Dorf und schütteten den Brunnen mit
Sand und Steinen zu. Akberet konnte ihnen entkommen,
sein Bruder nicht. Er wurde getötet.
Die Zeit nach dem Angriff hat er nur noch verschwommen
in Erinnerung. Er floh in Richtung Stadt. Er hatte kein Wasser und nichts zu essen, doch irgendwie schaffte er es bis in
den vermeintlichen Schutz der Häuser und Straßen. Doch
auch hier war es nicht besser. Anfangs bettelte er, doch
schon bald vertrieb man ihn von den Straßen, Bettler waren nicht erwünscht. Die Gerüchte, die sich vor allem unter
den Bettlern und Armen breit machten, kamen schließlich
auch bei ihm an. Männer mit Pickups, die einen mitnahmen und halfen, eines der Boote zu bekommen. Eines der
Boote, die nach Europa hinüberfuhren, wo alles besser sein
sollte als hier. Doch diese Männer wollten bezahlt werden.
Also stahl Akberet, auch wenn es ihm zuwider war, und verkaufte das Diebesgut. Er wollte nichts anderes als fort von
hier und leben. Er sparte sich das Geld sogar vom Mund ab.
Bis er es endlich zusammen hatte. Für ihn eine große Summe, für die Männer mit den Pickups war es gerade genug,
dass sie ihn mitnahmen. Sie garantierten für nichts, sagten
sie, vor allem wenn er nur so wenig bezahlen kann. Die Reise auf dem Pickup war lange und anstrengend für Akberet.
Essen gaben sie ihm nicht, etwas zu trinken bekam er von
ihnen. Er zählte die Tage nicht, die sie unterwegs waren,
denn das hätte seinen Hunger noch vergrößert.
Endlich waren sie am Ziel angekommen. Sie sollten runter von den Autos. Man drückte ihm einen Zettel in die
Hand, er solle ihn bei den Booten abgeben, so würde er
einen Platz bekommen. Zwei weitere Monate musste er in
dieser Stadt verbringen, die Boote waren voll und sein Ticket war nicht gut genug, um bald einen Platz zu kriegen.
Er musste warten. Wieder bettelte er, wieder stahl er um
über die Runden zu kommen, bis der Tag endlich da war,
auf den er so lange gewartet hatte.
Er stand am Hafen, mit nichts, außer den Kleidern, die
er trug, und sollte auf eines dieser, so klein wirkenden,
Boote hinaufgehen. Viele andere strömten an ihm vorbei
und drängten sich auf den Kahn. Ein wenig Angst hatte er
schon. Es war das erste Mal dass er so viel Wasser sah und
schwimmen, schwimmen hatte er nie gelernt.
Maximilian Preuss
Studis retten Lebensmittel:
Neuer Fair-Teiler im AStA-Büro
Die Foodsharing-Gruppe Kassel hofft, dass möglichst viele Studierende den öffentlichen Kühlschrank nutzen, um
dort überschüssige Lebensmittel zu fairteilen - also kostenlos abgeben und mitnehmen.
werden“, erklärt Berit Ostrander die Idee. Sie ist eine der
Gründer*innen die Kasseler Foodsharing-Gruppe. „Wer zu
viel eingekauft hat, in Urlaub fährt oder ein Produkt nicht
mag, kann es einfach in den Kühlschrank legen - und jemand anderes freut sich dann darüber.“
Die verantwortlichen Foodsaver kontrollieren den FairLebensmittel sollten nicht im Müll landen, wenn sie noch
genießbar sind - das würden wohl auch die meisten Stu- teiler regelmäßig und sortieren die Lebensmittel aus, die
dierenden so unterschreiben. Trotzdem verschwenden wir nicht mehr genießbar sind. „Um die Reinigung kümmern
wir uns natürlich
jedes Jahr mehauch“,
ergänzt
rere
Millionen
Berit. Sie hofft,
Tonnen Nahrung,
dass möglichst
indem wir sie
viele Studierende
wegwerfen. „Das
und Beschäftigkann so nicht
te der Uni Kassel
weitergehen“,
das Angebot nutdachten sich die
zen - umso mehr
Initiatoren von
Müll könne verFoodsharing. Sie
mieden werden.
riefen 2012 eine
Die
Foodshabundesweite
ring-Gruppe in
Online-Plattform
Kassel zählt im
ins Leben, um
Moment rund 40
gemeinsam Leaktive Mitglieder
bensmittel
zu
und freut sich
retten, anstatt sie
über weitere Mitder Mülltonne zu
streiter. Wer nicht
überlassen. Innur den Fairteizwischen nutzen
ler nutzen, sonüber 60.000 Men▲ Der Fair-Teiler hat mehrere Fächer und steht im Eingangsbereich des AStA
dern sich auch in
schen das Portal
und in zahlreichen Städten haben sich lokale Initiativen die Gruppe einbringen möchte, ist herzlich eingeladen,
zu einem der nächsten Treffen zu kommen. Diese finden
gegründet.
Auch in Kassel ist seit Ende 2014 eine Gruppe aktiv. Als immer am ersten Montag des Monats um 20 Uhr im FBI,
so genannte „Foodsaver“ sammeln sie bei verschiedenen Frankfurter Straße 60, statt. „Es wäre natürlich toll, wenn
Betrieben regelmäßig Produkte ein, die zwar noch konsu- noch mehr Leute dazukommen“, sagt Berit. „Dann könnmiert werden könnten, aus unterschiedlichen Gründen ten wir vielleicht noch weitere Betriebe ansprechen und
aber nicht mehr verkauft werden. Backwaren, Tiefkühl- öfter Lebensmittel abholen.“ Auch die Verteilung könnte
kost, Tofu und Gemüse landen dank der Abholung nicht dann noch besser und nachhaltiger organisiert werden.
Wer sofort loslegen möchte, kann sich einfach unter www.
im Müll, sondern werden kostenlos verteilt. Dafür gibt es
verschiedene Treffpunkte, wie zum Beispiel das Fachbe- foodsharing.de anmelden und zum Beispiel einen virtuelschäft für Interaktion (FBI) in der Südstadt. Während der len Essenskorb mit überschüssigen Lebensmittel anlegen.
Öffnungszeiten kann jede*r dort vorbeikommen und mit- Bei Interesse melden sich andere Foodsharer, die den Esnehmen, was er oder sie möchte - in der Regel mittwochs senskorb dann an einem vereinbarten Treffpunkt abholen.
Bei Fragen oder Interesse ist die Foodsharing-Gruppe in
ab 18.30 Uhr und freitags ab 15 Uhr.
Seit kurzem gibt es nun auch eine Verteilerstation auf Kassel auch per Mail unter [email protected] erdem Campus. In den Räumen des AStA steht ein frei zu- reichbar.
gänglicher Kühlschrank, an dem sich jede*r nach Belieben
Text: Regine Beyß
bedienen kann. „Natürlich können dort auch überschüsFotos: Berit Ostrander
sige Lebensmittel aus dem eigenen Haushalt abgegeben
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Bezaubernd schön von innen ( ▲) wie von außen ( ►): das neue HCC.
Übrigens: Wer eine Innenansicht vom HCC möchte sollte diese Abbildung ausschneiden. Eigene Aufnahmen des vom, HEUREKA!, der Finanzkrise sei Dank,
durch den Staat finanzierten Hörsaalcenters sind nämlich nicht gestattet(sic!).
Vielleicht sollte man es in Lehman Brothers Center umbenennen.
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Grau in Grau:
Die Uni hat gebaut
Das neue Hörsaal und Campus Center also. Dieses Semester wurde es Stück für Stück in Betrieb genommen. Die
fortbass persistenten Bauzäune haben mich für eine Weile
abgehalten, ehrlich gesagt dachte ich deretwegen bis vor
kurzem es wäre noch nicht geöffnet, aber letzlich war es
dann mal an der Zeit das graue Ding mit den grünen und
orangenen Vorhängen zu beäugen.
Drinnen stehend, scheinen einem die kolportierten 35 Millionen Baukosten auch nicht mehr abwegig. Es gibt Platz,
viel Platz. Die Dame, die wir antreffen, versinkt hinter ihrem
an größere Bankgebäude erinnernden Empfang. Vor lauter
Betonhohlraum glaubt man kaum, dass hier noch 6 Hörsäle, (bald) Studieneinrichtungen wie das Studentenwerk,
und einige Seminarräume zu finden sind. Das zentrale Atrium des zentralen Campus Centers Nord begrüßt jeden,
mit Herzlich Willkommen via zweier Bildschirme, schwarz
auf weiß. Verstreute, sich augenscheinlich beliebig weitende oder verjüngende Treppen laden ein und mehrere Aufzüge ebnen den Aufstieg im Gebäude. Am Ende, unterm
Dach, wandert man durch noch verwaist wirkende Flure,
mit diversem ungenutzten Mobiliar. Unterwegs dahin hat
man zuvor den Eindruck gewonnen, dass in Plasma gehaltene Botschaften sich schnell verflüchtigen. Beton, Stahlgitter, Stille, Leere und Schuhladengeruch tun ihr Übriges.
Irgendwo in den Beton hat man sicherlich auch „Du sollst
dich hier nicht aufhalten“ gemeißelt. Also besser weiter.
Es ist ein wenig tragisch, dass die Notausgänge und Seitentreppen groteskerweise tatsächlich zu den anziehendsten Bereichen zählen und so landen wir über Letztere auf
einem Balkon. Die Bodenplatten sind wackelig, aber die
Aussicht wunderbar und wir wagen uns an die Glasbrüstung. Lassen die Blicke eine Weile über andere Baustellen
schweifen, dann irgendwann in Antizipation des Aufbruchs
einen zurück zur Tür. Keine Klinke. WTF. Durch die glücklicherweise schon angeschlossene Sprechanlage erreichen
wir (vermutlich) die Versunkene. Aber ohne Namen von
uns sehe diese sich unglücklicherweise außer Standes die
Tür zu öffnen. Wir verweilen weiter, diesmal unfreiwillig
und kontaktieren in unserer aussichtsreichen Lage Andere, diesmal per Handy und ernten Erstaunen. In was wir da
wohl hineingeraten sein mögen. Andeuten kann das, der
sich wenige Minuten später, ohne je herbeigerufen worden
zu sein, als im Stande Gefangene zu befreien, beweisende
Hausmeister. Frei sollen wir sein und scheinen wohl auch
sichtlich gelöst. Er jedoch wirkt zunächst angespannt, will
Namen, aber nach meiner schier unvermeidlichen Selbstdenunzierung, „Gestatten, Koppler“, gibt er freundlich
Auskunft über die Falle. Wenn es brennt werden dort Rollstuhlfahrer abgestellt. Merkwürdig, mitunter weil man das
nirgends erkennen kann. Ein verlockender Balkon, den
man vor Missbrauch durch Raucher zu schützen sucht, indem man die äußere Türklinke weglässt. Nicht nur, dass
man dem Ein oder Anderen damit ein tyrioneskes Erlebnis
beschert. Auch den gesetzlosen Rauchern wird es einiges
an Kopfzerbrechen bereiten zu überlegen, wie man die Tür
am besten offen hält. Stein, Papier, Holzstück oder Smartphone? Und auch sonst kann man gespannt sein wie es
gelingt den noch etwas dystopisch wirkenden Rohbau mit
Leben zu füllen.
Felix Gonzo K.
25
Step by Step in the middle of nowhere
Plattenrezension: PANDEMICA von „The Vile“
Rockmusik aus Kassel und Region? Sicher... da war doch
mal irgendwann was. Ende der 80er Jahre die Psychedelic-Punker „Haunted Henschel“ zum Beispiel. Ganze drei
Studioalben haben die rausgebracht und hatten sogar
Auslandsauftritte. Nach deren Auflösung bemühen sich
bis heute zahlreiche weitere lokale Bands, Kassel ein kleines bisschen Rock-Geschichte einzuimpfen. Einfach ist
das nicht. Auf Auftritte muss man als Konzertgänger lange warten und die Bands fast schon detektivisch suchen:
Gammelfleisch, Tonfront, Interstellar Pirates, The Wizarding Society, Timmy
the
Compressor,
Holz – das sind
wahrscheinlich nur
einige von vielen interessanten Kasseler
Bands, von denen
leider manche nicht
mehr aktiv sind. Im
September 2014 ereignet sich dann,
unbeachtet von der
Lokalzeitung, eine
kleine
Sensation:
Die 2011 gegründete Band „The Vile“,
veröffentlicht
ihr
erstes Album „Pandemica“, das schnell
überzeugt.
„Pandemica“
beginnt recht freundlich
mit
einer
Handvoll
leichter
Gitarrenklänge. Dazu wirbelndes Schlagzeug und treibender Bass. Zusammen mit dem eigenwilligen Gesang und
den eingängigen Riffs fühlt man sich fast ein bisschen auf
die Tanzmatten der 80er Jahre zurückversetzt. Doch schon
das zweite Stück sprengt mit „White Horses“ die DiskoTüren auf und lässt einen Schwall kalter Nachtluft gepaart
mit düster-verzerrten Gitarren-Tönen über die Tanzfläche
schwappen. Damit sind The Vile bei der Grundstimmung
ihres Albums angekommen. Die ist nämlich, obwohl die
Mukke meist tanzbar bleibt, eher düster. Dazu würde passen, dass die Band ihr Debüt „Pandemica“, also Pandemie
(umsichgreifende Infektionskrankheit) getauft und auch
einen der neun Songs so benannt hat. Es birgt ja immer ein
gewisses Risiko, einer Platte einen Titel-Track zu spendie26
ren, der den gleichen Namen wie das Album trägt. Einfach
weil dann die Erwartung da ist, das Stück müsse auch ein
besonderer Kracher sein und stellvertretend für das ganze
Album stehen. „The Vile“ bestehen die Probe aber souverän. Nach „The Crypt“ ist „Pandemica“ das stärkste Lied
des Albums geworden. „When I came back from the storm
I will have known, the strongest in my heart is love and is
home“ singt Sascha Wiegand triumphierend, während Gitarre und Schlagzeug groß aufspielen. Darunter gräbt und
wühlt wild der Bass. Wer das Album auf mp3 durchhört,
wird sich vielleicht
wundern,
warum
genau in der Mitte
mit „Solater“ ein
deutlicher Stilbruch
vollzogen wird. Die
Band schaltet tempomäßig einen Gang
zurück und wirkt
plötzlich so heiter
und
versöhnlich,
wie hervorblinzelnde Sonne nach einer
Woche schwerer Regenfälle. Auf Langspielplatte angehört
macht das durchaus
Sinn, denn da wird
„Solater“ zum schönen Ausklang der ASeite [(Danach erstmal Platte wenden,
Tonarm wieder rüberschwenken und
Nadel aufsetzen)].
Anscheinend hat man sich bei der Anordnung der Titel
oder sogar schon beim Songwriting ein paar Gedanken
dazu gemacht, welche Besonderheiten es erfordert, ein Album als LP zu veröffentlichen. Damit unterscheiden sich
„The Vile“ von Bands, die ihr fertig gemischtes Album umstandslos auf Vinyl klatschen, weil‘s halt inzwischen wieder chic geworden ist, analoge Tonträger am Merch-Stand
feilzubieten. Dementsprechend wird „Mistery of the cross“
als erstes Stück der B-Seite, zu einem zweiten Opener. Ähnlich episch auch das balladenhafte „Tortura“, das noch einmal fett aufträgt, bevor mit „Black Rabbit“ der solide, aber
wenig spektakuläre Abspann des Albums runterläuft. Textlich bewegen sich „The Vile“ gefühlt immer im irgendwie
Dunklen und Nebulösen. So unscharf wie die Fotografie
auf dem Cover-Artwork, so verschwommen bleiben
auch die englischen Lyrics. „I will follow you into
the dark. Step by Step in the middle of nowhere.“
Solche einprägsamen Zeilen sind die Ausnahme.
Stattdessen fächern die neun Songs eine Art Bildergalerie auf, in der einem bestimmte Elemente
immer wieder begegnen: angeknackste Herzen,
im freien Fall, in den Himmel, durch irgendwelche
(Sehnsuchts-) Stürme und Tränen, in der kalten
Nacht. Darin flackern hie und da goldene Funken
auf. Da sollen weniger Botschaften transportiert,
sondern in erster Linie Räume für Assoziationen
geöffnet werden. Instrumental geschieht das durch
den richtigen Einsatz von Hall- und Echoeffekten.
Das Ergebnis ist ein Sound, der aufregend alt klingt.
So ähnlich hat man in den 80er Jahren auf der Insel
Musik gemacht. In Deutschland in den letzten Jahren (abgesehen von dem einen oder anderen „The
Cure“ Revival) selten und in Kassel sowieso noch
nie. Die Band selber ordnet sich dem Post-Punk
und New-Wave zu. Vergleiche mit New Order, den
frühen „The Cure“ oder ‚‘Echo & the Bunnymen‘‘
können angestellt werden. Man muss diese Bands
aber nicht kennen, um die Musik von ‚‘The Vile‘‘ gut
zu finden. Und Lust auf mehr zu bekommen. Auf
der Facebookseite der Band hieß es Anfang 2015 ‚‘...
start working again...‘‘. Der Hinweis auf neues Songmaterial? Ein zweites Album sollte bei dieser Band
voll guter Ideen auf jeden Fall drin sein. Kassels Musiklandschaft braucht mehr solcher mutigen Experimente.
Simon Kiebel
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Wird der Süden zum neuen Westen?
zum Verschenken
ten mit Sachen
anzutreffen: Kis
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ch in der Sü
▲ Mittlerweile au
28
erg
“ am Weinb
s Cafe „Neu
▲ Blick in da
A
us Berlin, Hamburg oder anderen Großstädten
kennt man dieses Phänomen bereits: Stadtteile
werden trendy, kulturbesiedelter, teurer. Kassel
ist nicht Berlin, nicht Hamburg. Aber auch wenn
Kassel kleiner ist und weitaus weniger dynamisch - gibt es
die Gentrifizierung auch hier, im Kleinen? Kassels Trendviertel war immer der Vordere Westen (zumindest dann,
wenn man von einem Trendviertel sprechen kann, denn
schließlich ist der Vordere Westen kein Kreuzberg oder
Neukölln, das man über die Stadtgrenze hinweg beim Namen kennen würde). Im Westen wollte man wohnen, Kaffee trinken, sein. Läuft man durch die Straßen, die um den
Bebelplatz gelegen sind, stellt man fest, dass hier viele junge, eher alternative Familien leben. Leute sitzen auf Fensterbänken, hier und da dringt Musik vom Wohnungsinneren nach außen, an den Scheiben hängen bunte Bildchen,
auf den Balkonen und hinter geöffneten Fenstern sieht
man Kinder herumspringen. Richtet man den Blick auf den
Boden, entdeckt man, gefühlt alle paar Meter, einen Pappkarton, der mit „zu verschenken“ gekennzeichnet ist. Auch
wenn das Wohnen hier für Kassler Verhältnisse nicht unbedingt günstig ist, ist das Viertel auch unter Studierenden
sehr beliebt. Eine Einzimmerwohnung können sich hier
wohl die wenigsten leisten, aber es mangelt auch nicht an
WGs. Einkaufen kann man hier, neben Supermarktketten
auch im Denns oder einem der anderen kleineren Bioläden
in der Nähe. An Nachmittagen schlendert man durch die
Friedrich-Ebert-Straße an individuellen Geschäften vorbei
und zum Kaffeetrinken geht’s beispielsweise ins Café Rokkeberg, das neben Kaffee, selbstgemachter Bio-Mandarinen-Gurken-Limo und gesundem bio-regionalem Essensangebot auch Klamotten verkauft. Kassels Süden hingegen
hatte mit Galerien, Kunsthochschule, dem Weinbergkrug
und der Aue durchaus Potential, so richtig genutzt wurde
das aber lange Zeit nicht. Das Viertel war bis vor ein paar
Semestern noch ein beliebtes Wohnviertel, aber kein lebhaftes Viertel. Für Kaffee, kulturelle Angebote und Abendprogramm war hier nicht so recht gesorgt. Dass sich daran
gerade etwas ändert, bemerkt man als Südstadtbewohner
daran, dass man an Abenden oder Nachmittagen seltener
mit Tram oder Fahrrad über den Weinberg hinweg oder
Richtung Wilhelmshöhe-Allee in andere Stadtteile fährt
und dafür öfter zu Fuß zur Kaffee-Verabredung oder zum
Konzert unterwegs ist.
er Grund dafür, dass sich hier über die letzten
Jahre langsam und leise etwas getan hat, ist die
Neunutzung von Flächen und Räumen. 2012
zog das Künstlerkollektiv TOKONOMA in ein
früheres Kosmetikstudio in der Frankfurter Straße. Laut
einem Artikel in der HNA, der einige Tage nach der Eröffnung erschien, sollte dort eine „Plattform für junge Kunst
und Clubkultur“ geschaffen werden. Diese Plattform wird
mittlerweile viel bespielt, beispielsweise mit regelmäßigen
Künstlergesprächen an Dienstagen. Dazwischen werden
D
29
“
▲ Im Cafe „Neu
die Räume für Ausstellungen oder auch Performances genutzt. Neben dem TOKONOMA befindet sich der kleine Schreibwaren-Laden
Wikullil. Dort gibt es neben Papieren, Modellbaumaterialien und der Möglichkeit 3D zu drucken auch Postkarten
oder Notizbücher, die von lokal ansässigen Künstlern und
Designern kreiert sind. Nebenan im Cafe Neu gibt es für
den, dem das noch nicht genug ist, auch selbstgestrickte
Babykleidung oder Siebdruckposter zu erwerben. Das Angebot ändert sich häufig und auch hier haben die Produkte
einen lokalen Bezug. Der Raum, direkt an der Ecke Frankfurter Straße und Tischbeinstraße, wurde dieses Jahr als
Café eröffnet. Nach und nach kamen mehr Einrichtungsgegenstände hinzu. Das Café wurde bunter und das Angebot
vielfältiger. Wer auf starken Kaffee steht, ist hier sowieso
richtig. Es gibt aber auch eine Auswahl an Tees und Limonaden. Das Essensangebot ist tagesabhängig, mal Quiche,
mal Suppe. Seit kurzem gibt es samstags und sonntags
auch Frühstück. Nachmittags kann man hier bei einem
Stück Kuchen (wahlweise auch vegan) und einem heißen
Getränk auf einer der Bänke im Fenster sitzen und die vorbeifahrenden Autos beobachten oder zu einem Plausch
an einer aus antiken Möbelstücken zusammengewürfelten Sitzgruppe Platz nehmen. Abends findet hier mal ein
Konzert, mal eine Lesung statt. Falls mal nichts los ist, geht
es eine Tür weiter zum Weinbergkrug. An der Frankfurter
Straße ließen sich noch ein paar Orte mehr nennen, die
einen Besuch wert wären. Beispielsweise der kleine BioMarkt „Butterblume“, in dem man immer auf nettes und
fröhliches Personal trifft und sich auch mal einen Bio-Kaffee-to-go und dazu einen veganen Brownie holen kann, um
sich damit dann einen ruhigen Platz in der Aue zu suchen.
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Die Aue ist überhaupt wohl auch ein großer Pluspunkt der
Südstadt. Joggen, Slacklinen oder Picknicken geht dort alles. Seit 2013 kann man auch im an der Fulda gelegenen
Auebad schwimmen gehen. Eineinhalb Stunden kosten für
Studenten 3 Euro. Fährt man im Sommer mit dem Fahrrad
auf einer der Brücken über den Fluss, gelangt man in das
Naturschutzgebiet mit den Bugaseen. Dort geht das mit
dem Schwimmen auch kostenlos (und sogar mit kleinen
Sandstränden). Direkt
neben
der
Aue liegt die
Kunsthochschule.
In
der Mensa in
der Menzelstraße gibt
es zwar deutlich weniger
Auswahl als
in der Zentralmensa am
HoPla, aber
dafür kann
man
sein
Essen direkt
am Fenster
oder bei gutem Wetter
▲ Auslage im
auch draußen an Biertischgarnituren mit freiem Blick auf die Aue genießen. Ein
Besuch lohnt sich also auch für den Nicht-Kunststudenten.
▼ Im Sch
reibw
arengesc
Das gilt auch für die Bibliothek der Kunsthochschule. Zum
Arbeiten ist es hier viel ruhiger und meist leerer als in der
Campusbibliothek und man kann beim Nachdenken den
Blick auch mal ins Grüne schweifen lassen. Auch im Süden
gibt es also Vieles zu entdecken und es hat sich über die
letzten Semester hier einiges Neues getan.
aut dem Internetportal
Immowelt
beträgt der
durchschnittliche
Mietpreis in Kassel zur
Zeit 7,25 Euro pro m².
Nordholland liegt beispielsweise mit 6,54
Euro pro m² deutlich
darunter. In der Südstadt zu wohnen kostet
pro m² durchschnittlich 7,61 Euro, im Westen schon ganze 8,21
Euro. Im Süden zu
wohnen ist also immer
noch günstiger als im
Westen. Interessant zu
betrachten wäre dabei
noch, ob die Mietpreise innerhalb der Südstadt über die letzten
Schreibwarengeschäft „Wikullil“
Jahre
ungewöhnlich
stark angestiegen sind.
Vergleicht man etwa Durchschnittsquadratmeterpreise
einer im Süden gelegenen 100 m² Wohnung, die etwa ei-
L
häft „Wik
ullil“
ner 4er Wg entspricht, 2014 mit 2015, ist ein Anstieg von
59 Cent auszumachen. Diese 59 Cent lassen es zwar im
Süden noch nicht teurer werden als im Westen zu wohnen, im Verhältnis zur durchschnittlichen Mietpreisentwicklung in Kassel stellen sie jedoch einen außergewöhnlich großen Anstieg dar. Nicht nur die Wohnpreise lassen
vermuten, dass der Süden kein neuer Westen werden will.
Einen letzten Vergleichsgedanken kann man sich dann
aber doch nicht verkneifen: Auch die Pappkartons gibt es
mittlerweile im Süden, wenn auch nicht an jeder Ecke. Wer
sich einmal die Südstadtkartons anschauen will, wird auf
dem kleinen Platz, an dem sich Julienstraße und Johannesstraße kreuzen, auf der um den Baum herum angelegten Rundbank fündig, oder auch seltener an irgendeiner
anderen Straßenecke. Dass es die Kartons hier nicht alle
paar Meter gibt, heißt wohl, dass der Süden dem Westen in
Sachen Verschenkfreudigkeit immer noch nachsteht. Kaffee und das Leben genießen geht dahingegen aber mittlerweile auch hier. Ob die Entwicklung im Süden letztendlich
zu einer wirklichen Gentrifizierung mit allen ihren Folgen
führt, bleibt glücklicherweise noch abzuwarten.
Milena Maren Röthig
Ansch
auen
und H
ingehe
n:
www.s
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konom
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www.w www.wein
bergikullil.c
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31