Morning has broken« – vom Kirchenlied zum Popsong
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Morning has broken« – vom Kirchenlied zum Popsong
»Morning has broken« – vom Kirchenlied zum Popsong oder: Vom Hin und Her der Lieder Von: Klaus Guhl, erschienen im Deutschen Pfarrerblatt, Ausgabe: 6 / 2013 Wie passt das zusammen, kirchliche und weltliche Musik? Sind das zwei getrennte Welten? Hier die Kirche mit ihren Gottesdiensten, den Chören und geistlichen Konzerten. Dort die Charts mit Gebrauchsmusik, Mega-Events und Festivals oder Kleinkunst in Clubs. Spiegelt sich in der Musik eine Art johanneischer Antagonismus von Kirche hier und Welt dort? Oder können Lieder eine Brücke zwischen den Welten sein und verbinden, was zusammengehört? Es kann schon mal vorkommen, dass wir einen Popsong in der Kirche hören, z.B. Eric Claptons "Tears in Heaven" bei einer Beerdigung. Seltener hören wir ein Kirchenlied im Alltag. Wer pfeift schon bei der Arbeit "Ein feste Burg" vor sich hin. Irgendwie kurios wird es, wenn die Gregorians einen Popsong verkirchlichen. Musikalische Crossover-Versuche Musikalische Crossover-Versuche wirken oft verkrampft. Ein verjazzter Paul Gerhard? Wer soll das hören? Paul Gerhard-Liebhaber bevorzugen die Orgelwerke und die Jazz-Fans können wenig mit den Neueinspielungen anfangen. Oder ist das alles nur eine typisch deutsche Fragestellung? Sind da andere Länder einfach unbefangener? Man denke nur an "Amazing Grace", dieser christlichen Hymne, die auf mancher Pop-CD zu finden ist. Wie wohl unsere alten Kirchenlieder klängen, würde man sie - statt auf der Orgel - mit anderen Instrumenten einspielen? Könnte man sie so entstauben, wiederbeleben, reanimieren und auf diese Weise vor dem Vergessen retten? Wenigstens: sie nicht in der Nische sonntäglicher Gottesdienste vertrocknen lassen. Einige unser Kirchenlieder wären es doch wert, häufiger gesungen zu werden. Nicht allein "Geh aus, mein Herz". Musiker sprechen von Parodie oder Kontrafaktur, wenn musikalische Stücke für andere Zwecke umgearbeitet werden. Im Barock und der Klassik war dies beliebt. Man hatte anscheinend keine Probleme am Sonntag andächtig nach einer Melodie zu singen, nach der man am Vorabend lebhaft getanzt hatte. Wer Ohren hat, hört bei "In dir ist Freude" eine Tanzmelodie. Schon Luther textete auf Gassenhauer protestantische Texte, und das analphabetische Volk begriff beim Singen, worum es der Reformation ging. Wie bedeutend die Erfindung des Buchdrucks für den Erfolg der Reformation gewesen ist, liegt auf der Hand. Ohne diesen technischen Fortschritt wäre Luther nur ein weiterer Ketzer auf einem Scheiterhaufen der Inquisition geworden. Die enorme Bedeutung der Musik für die Durchsetzung der Reformation wird leicht übersehen. Luthers Nachfolger übernahmen dieses Verfahren. Wer weiß heute noch, dass das Kirchenlied "Jesu, meine Freude" ursprünglich einer unbekannten Flora gewidmet war, die zum Herzensleide eines unglücklich verliebten Dichters wurde? Oder, dass man nach der Melodie des Kirchenliedes "Kommt her zu mir, spricht Gottes Sohn" recht zünftig die Ballade eines Räuberhauptmannes, dem Lindenwirt, singen konnte? Unser Osterlied "Korn, das in die Erde" geht auf das aus dem 15. Jh. stammende französische Weihnachtslied (!) "Noel nouvelet" zurück. Die kanadische Folksängerin Loreena McKennitt spielte es 2008 auf ihrer CD "A Midwinter Night’s Dream". Erinnerungen an erste Liebe und Engtanzfeten Alle Rechte vorbehalten, Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Deutschen Pfarrerblatts. Seite 1/2 Mittlerweile wirken selbst die Produkte kirchentagsbewegter Popularmusik angestaubt und in die Jahre gekommen. Wer mag es denn wirklich noch hören, das Lied vom lieben Gott und dem Gras und den Ufern? Schade wäre es um die Kirchenlieder. Wo sonst wird so schön gesungen vom Tod, vom Leben, von der Freude, der Hoffnung, der Liebe? Wo sonst hat in unserer Wegwerf-Kultur etwas solange Bestand? Kontrafaktur ist vielleicht doch kein abgetakeltes kirchenmusikalisches Fossil. "Morning has broken" hat einen langen Wanderweg hinter sich. Nicht, wie man meinen sollte, vom Popsong zum Kirchenlied, sondern umgekehrt: vom Kirchenlied zum Popsong. So war es: Es war einmal vor langer Zeit eine kleine Melodie. Man spielte sie auf der Isle of Mull, einer Insel der Inneren Hebriden, an der Nordwestküste Schottland. Die Melodie hieß Bunessan, nach einem kleinen Dorf auf dieser Insel. Ungefähr in der Mitte des 19. Jh. wurde sie mit einem gälischen Text als Weihnachtslied gesungen. Als "Child in a Manger" wurde es dann zu einem Weihnachtslied ins Englische übertragen. 1931 schrieb die britische Kinderbuchautorin Eleanor Farjeon als Auftragsarbeit ihres Verlegers den uns bekannten Text: "Morning has broken". Vielleicht sang seine schwedische Mutter dem kleinen Steven Demetre Georgiou, der sich später Cat Stevens und noch später Yusuf Islam nennen wird, dieses Lied zum Einschlafen vor. Wie auch immer... Irgendwann im Jahre 1971 saß Cat Stevens mit dem Keyborder Rick Wakeman im Studio. Drei der ursprünglich vier Strophen des Liedes hatte Stevens übernommen. Es fehlte ihm noch ein gutes Riff für den Anfang. Wakeman, der gerade an einer Komposition über die Frauen von Heinrich, dem Achten nachdachte, stellte einen Auszug seiner Arbeit über Catherine Howard zur Verfügung. Tantiemen hat er dafür nie bekommen. Sogar das Studiohonorar von 9 Pfund und 10 Schilling ging auf dem Postweg verloren, amüsierte sich Wakeman später in einem Interview. Herausgekommen ist ein Welthit. Vielfach gecovert von internationalen Stars wie Art Garfunkel, Nana Mouskouri, Esther Ofarim, Neil Diamond. Auf Deutsch gesungen als "Schön ist der Morgen" von Daliah Lavi. Unlösbar verknüpft bei manch einem mit Erinnerungen an erste Liebe und Engtanzfeten. Irgendwann muss dieses Lied dem Pastor, Theologen und Ost-Berliner Dozenten Jürgen Henkys zu Ohren gekommen sein. Auf ihn geht der Text "Morgenlicht leuchtet" zurück, das sich unter der Nummer 455 im Evangelischen Gesangbuch findet und in den Gemeinden gern gesungen wird. Für einen Augenblick verbinden sich dann in einem Gottesdienst am Sonntagmorgen in einer Melodie zwei Welten. Es kommt zusammen, was zusammengehört. Die Freude an der Schöpfung, der Dank für das Leben. Die schlichte Schönheit einer Melodie besingt das Unaussprechliche von Gottes Wirken. Ein Stück Popmusik wird dem Verschleiß entzogen. Ein Kirchenlied ist - jenseits aller Peinlichkeit - frisch und staubfrei. Ach, gäbe es mehr doch mehr davon. ▸ Klaus Guhl Deutsches Pfarrerblatt, ISSN 0939 - 9771 Herausgeber: Geschäftsstelle des Verbandes der ev. Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland e.V Langgasse 54 67105 Schifferstadt Alle Rechte vorbehalten, Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Deutschen Pfarrerblatts. Seite 2/2