PDF-Dokument - Verband Evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in

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Bunte Bildsprache des Heiligen
Religion und Comics
Von: Hans Jürgen Luibl, erschienen im Deutschen Pfarrerblatt, Ausgabe: 12 / 2010
Comics und Religion - auf den ersten Blick eine etwas skurrile Kombination. Massenunterhaltung auf seichtem Niveau
einerseits, die dem Sinn und Ernst des Lebens verpflichtete Religion andererseits. Wo hier bunte Bildsprache sich findet, ist
dort, gerade im Protestantismus, das bloße Wort, das in die Verantwortung ruft. Wo hier Zerstreuung im Irdischen angeboten
wird, geht es dort um Konzentration auf das Ewige. Hans Jürgen Luibl revidiert diese Einschätzung.
Comics und Religion - ein Gegensatz? Vielleicht fällt die übliche Gegenüberstellung nur deshalb so hart aus, weil ein
kulturbürgerliches Christentum auf ein Phänomen trifft, das gerade nicht zur gehobenen Kultur und zur Kunst zu gehören
scheint, sondern dem Kommerz, Konsum und Massenvergnügen dient - eine Unterschichtenkultur, mit der gerade der
gebildete Protestantismus schon immer seine Schwierigkeiten hatte. Doch werden Comics dabei gedeutet, wie sie im
Mainstream der bürgerlichen Kunst-Deutungen schon immer wahrgenommen wurden, nämlich als Ausschussware der Kultur.
Aber gerade mit diesen Vorverurteilungen der gebildeten Meinungsmacher dürfte ein kritischer Protestantismus sich so
schnell nicht zufrieden geben. Zumindest wäre zu fragen, was es denn mit dem Phänomen Comic auf sich hat. Dazu ein
kleiner geschichtlicher Rückblick.
Comic-Geschichte(1)
Manche sehen in den Felsenmalereien von Lascaux einen Ursprung der Comics, sind dort doch kleine bunte
Bildergeschichten zu sehen, vermutlich sogar mit religiösem Hintergrund. Andere erkennen in den Katakombenmalereien des
frühen Christentums oder in den spätantiken Mosaiken erste Spuren, denn hier sind kleine, bunte Szenen zu finden, die sich
zu Geschichten zusammenfügen - etwa die Szenen aus dem Leben Jesu oder zu seinem Leidensweg. Man kann auch auf
die Bilder-Drucke in der Reformationszeit verweisen, religiöse Karikaturen im Kampf um die Meinungshoheit in der
Umbruchphase der Kirche. All dies kann man anführen - und geht doch am Wesen der Comics vorbei: denn diese gehören
als Wort-Bild-Geschichten in die Zeit der Industrialisierung auch der Kunst, sie gehören ins Zeitalter der Massenproduktion: in
Massen und für die Massen produziert, als Kurz-Geschichte in Wort-Bild-Kombination einfach und schnell zu rezipieren.
Die Ursprünge dieser Comics liegen in Deutschland. Zu ihren Ahnvätern gehören der Frankfurter Psychiater Heinrich
Hoffmann mit seinem Struwwelpeter und der Zeichendichter Wilhelm Busch mit seinen bösen Buben Max und Moritz. Wo bei
Hoffmann die "schwarze" Pädagogik ins Wort-Bild gesetzt wird und Kinder aus erzieherischen Gründen verhungern,
verbrennen oder fast ertrinken, ist bei Busch versteckte Kritik an der scheinheiligen Gesellschaft federführend. Doch ob
Moralität oder Pädagogik die Botschaft der Wort-Bild-Geschichten sind, gewirkt haben sie, weil sie Abgründiges bunt in Szene
setzen und die Lesenden sich daran erfreuen oder freudig erschauern können. Es ist diese Bildsprache, die weiter wirkt. Nicht
zufällig ist es denn auch die Geschichte von Max und Moritz, die zum Vorbild für einen Comic-Strip in New York wurde: War
"Max und Moritz" eine abgeschlossene Bildergeschichten in einzelnen Szenen, so wurden daraus in New York 1897 die
"Katzenjammer-Kids" Hans und Fritz - und diese spielten böse Streiche, in Kurzgeschichten mit wenigen Bilder. Von da an
war der Zeitungsstrip die eigentliche Heimat der Comics. Solche Bildergeschichten waren für eine Zeit wichtig, in der New
York eine Stadt der vielen Sprachen und Kulturen war. Gerade Bildergeschichten eröffnen durch ihre Bildsprache über die
Sprachgrenzen hinweg neue Kommunikation. So finden sich z.B. heute in einem Berliner Wohnhaus, das von Menschen aus
vielen Kulturen bewohnt wird, die Brandschutzregelungen für den Ernstfall in Comic-Sprache.
In Zeitungen und Zeitschriften haben die Comics sich weiterentwickelt und immer neue Themen und Figuren sind entstanden.
1928 wurde Micky Mouse von Walt Disney geschaffen; in den 30er Jahren entstand Superman, ins Leben gerufen von Jerry
Siegel und Joe Shuster; 1947 erblickten die Peanuts von Charles M. Schulz das Licht der Öffentlichkeit. Und vor 20 Jahren
starteten die Simpsons ihre Erfolgsgeschichte. Im franco-belgischen Bereich, der wichtigsten und produktivsten Comic-Region
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Europas, sind Figuren wie Tim und Struppi. Lucky Luke, Asterix zu Helden der Comic-Welt geworden. Mit Superman kam
zudem eine Veränderung im Printbereich: zu den Zeitungsstrips mit wenigen kleinen Szenen wurden nun Comic-Hefte, dann
ganze Alben produziert. Außerdem ließen sich Comics nicht in den Printmedien halten: sie wurden animiert, lebten und leben
in Hörfunk, Fernsehen und Film. Und sie behaupten sich als Merchandising-Produkte in allen möglichen Variationen.
Mit dem Schaffen des Amerikaners Will Eisner bekamen Comics dann noch eine andere Darstellungsform und einen neuen
Anspruch. 1976 erschien "Ein Vertrag mit Gott" - es sind Bildergeschichten aus einem Mietshaus und Eisner nannte diese
Form "graphic novel", also graphische Literatur. Damit ist ein neuer Kunstanspruch erhoben: Literatur und Graphik bilden
zusammen eine neue Kunstform - man spricht deswegen auch von Comics als der "Neunten Kunst". Daher ist auch nicht
verwunderlich, dass Künstler wie Lyonel Feininiger auch Comic-Zeichner waren. Und folgerichtig ist erhielt der Amerikaner Art
Spiegelman für sein Werk "Maus", in der er in Comic-Form die Geschichte seines Vaters, einem Holocaustüberlebenden
darstellt, 1992 den Pulitzer-Preis.
Comics - das zeigt dieser kleine Rückblick - sind in den gut 100 Jahren vom Ende des 19. bis zum Anfang des 21. Jh. vom
Ramschprodukt der Massenunterhaltung zum eigenständigen Element der Kunst- und Literaturszene geworden - dies trotz
vieler Kritik und manchen Zensur-Attacken, etwa in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts. Und ihr Potential ist noch nicht
ausgeschöpft. Nimmt man zu den amerikanischen und europäischen Comics die japanischen Mangas hinzu, dann ist mit den
Bildergeschichten eine globale Bildsprache entwickelt worden, die über die Grenzen der Sprachen und Kulturen verständlich
ist. Während Mangas in Japan immer schon ein Stück Lebenshilfe sind, kommt dies in Europa oder Amerika erst langsam ins
Bewusstsein. Gerade in der Medizin, der Patientenaufklärung wie der Ausbildung der Ärzte, und auch in der Darstellung von
komplexen wissenschaftlichen Sachverhalten sind Comics eine Kommunikationsmöglichkeit: Sie können über Bilder nicht nur
Informationen, sondern auch Emotionen vermitteln - für Arzt und Patient eine wichtige Dimension in der Kommunikation und
damit auch der Therapie.
In diesem Zusammenhang bleibt noch auf ein offenes Forschungsfeld zu verweisen, den Zusammenhang von Comics und
Psychoanalyse. 1905 begann die Comic-Serie "Little Nemo in Slumberland", kurze Bildergeschichten, die mit dem Einschlafen
von Little Nemo eröffnen und mit seinem Aufwachen enden, Traumbilder also (die unter anderem auch Lyonel Feininger in
Szene setzte). Zur selben Zeit versuchte der Arzt Sigmund Freud, das menschliche Unterbewusste über den Königsweg zum
Unterbewussten, den Traum und die Traumbilder, zu erschließen. Sind Comics eine Sammlung von Traum- oder
Albtraumbildern des kollektiven Unterbewussten der Gesellschaft?
Comics zur graphic novel gewandelt bieten zudem immer mehr Werke zur Literatur in graphischer Form, etwa zu Marcel
Prousts Roman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" und zu Franz Kafkas Erzählung "Die Verwandlung". Comics, so
scheint es, passen zum nachneuzeitlichen Wahrnehmungsmuster: es gibt keine großen Erzählungen mit klaren Botschaften
mehr, sondern die Welt ist gebrochen in viele kleine Bildergeschichten - sie zu lesen, leitet an, die Welt neu zu lesen.
In dieser noch nicht abgeschlossenen Erfolgsgeschichte der Comics ist Raum für vieles - doch wohl kaum für Religion.
Jedenfalls ist bisher von Religion in Comics nicht die Rede gewesen. Kommt Religion darin überhaupt vor? Im Folgenden soll
zunächst das große Feld der Comics betreten und dort nach Figuren der Religion gesucht werden.
Comische Religions-Figuren
Beginnen wir den Rundgang im franco-belgischen Feld, vor über 80 Jahren, bei Tim, dem Reporter, und Struppi, seinem
Hund. Von Religion ist dabei wenig zu sehen, obwohl die ersten Abenteuer in der Jugendbeilage Le Petit Vingtième
der katholischen Tageszeitung XXième Siècle, erschienen. Im zweiten Band fahren Tim und Struppi in den
Kongo und treffen Missionare - und mit ihnen die ganze koloniale Vergangenheit Belgiens samt ihrem kirchlichen Apparat.
Der Missionar ist ein guter Missionar, der den armen Negerkindern das Rechnen beibringt. Es gibt aber auch einen Bösewicht,
der in Missionarskleider schlüpft. Das ist natürlich nur ein kriminalistischer Gag, aber andererseits: so etwas gibt es, böse
Menschen in Mönchskutten. Das sagt jedenfalls Hergé, besser, er sagt es nicht, er malt es. Immer wieder verboten
wurde dieses Heft nicht wegen der Missionare, sondern wegen der rassistischen Tendenzen.
Ein Schwenk in die Gegenwart: Lucky Luke trifft im Jahr 2000 einen Propheten - einen geschwätzigen, dummdreisten
Fanatiker, der nicht einmal so richtig böse ist, weil er keine Wertmaßstäbe hat, weil er außerhalb davon in seiner
religiös-apokalyptischen Welt lebt. Aber das bietet den Daltons Angriffsfläche genug: mit fanatisierter Religion kann man selbst
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eine in sich gefestigte Glaubensgemeinde wie die der Mormomen, die allesamt ein wenig weltfremd sind, aufsprengen.
Übrigens: der Doppelgänger zum Propheten bei Lucky Luke ist bei Asterix und Obelix der Seher. Auch der schafft es, vereint
mit den Römern, fast, aber eben nur fast, die Dorfgemeinschaft zu sprengen. Religion ist fantastisch-fanatisch - so die
Botschaft der Comics.
Und in amerikanischen Comics? Bei Micky Mouse und Donald Duck, den Figuren der alten Zeit, findet man keine Hinweise
auf Religion, Kirche und Glaube. Oder doch nicht ganz. In dem Heft "Trick or Treat" aus dem Jahr 1952 findet sich ein
Friedhofskreuz. In der deutschen Ausgabe gibt es sogar ein Kreuz auf dem Kirchturm, in der amerikanischen - so weit zu
erkennen - nicht. Das ist Amerika. Comics sind auch religiös korrekt: Religion erfährt - außer in geschichtlicher
Retrospektive - keine öffentliche Darstellung. Und dies in einer Welt, die voller Religion ist. Jedenfalls waren das die alten
Zeiten.
Die Simpsons dagegen, erst gut 20 Jahre jung, sind religionsgefüllt. Kirche und Sekten, Glaube und theologische Fragen sind
bei den Gelbgesichtern fast allgegenwärtig. So fragt Bart, ob Jesus sich einen Burrito machen könnte, der so heiß ist, dass er
ihn selber nicht mehr essen kann. Und Theologen fühlen sich an die alte Frage aus dem Mittelalter erinnert, ob Gott einen
Stein machen könne, der so schwer ist, dass er ihn nicht tragen kann. Allmachtsbegrenzungen damals in gelehrten Diskursen
und heute in Comicform.
Was offenbaren diese Zufallsbekanntschaften? Zunächst einmal bringen sie eine vorläufige Erkenntnis samt Hypothese mit
sich, dass es offensichtlich einen Wandel gegeben hat, in Amerika so gut wie bei den franco-belgischen Comics: Kam Religion
als Thema nicht vor - im francobelgischen Bereich in der Tradition der Laicité, im amerikanischen Bereich in der
strikten Trennung der Sphären von Politik und Religion, Staat und Kirche, Zivilgesellschaft und Glaubensgesellschaft, und in
beiden zusammen, weil sie für einen weltweiten Markt konzipiert sind, der die Grenzen der Religionen überschreitet - so ist
Religion zum comischen Thema geworden. Das passt zur religionsgeschichtlichen Erkenntnis, dass Religion in den letzten 20
Jahren ein öffentliches Coming Out hatte. Ein Mehr an öffentlicher Religion bedeutet aber auch ein Mehr an öffentlicher
Religionskritik, auch durch Comics. Ein klassisches Beispiel dafür sind die Mohammed-Karikaturen: in dem Maße, wie der
Islam öffentlich wird und auch kollektive Religionsrechte einfordert, wird er als öffentliches Thema auch kritisierbar. Comics
und Religion sind also in geschichtlicher Perspektive eng miteinander verknüpft. Aber gibt es darüber hinaus noch inhaltliche
Berührungspunkte? Dies soll am Beispiel der Superman-Figur skizziert werden.
Superman - Religion in der ­Postmoderne
1938 erblickte Superman das Licht der Öffentlichkeit durch seine beiden Erfinder Jerry Siegel und Joe Shuster. Religion, das
ist die erste Beobachtung, kommt bei Superman nicht vor: Er geht nicht in eine Kirche, er betet oder fastet nicht, er ist kein
religiöser Mensch. Doch zur ersten Beobachtung muss eine zweite kommen: So wenig Superman ein religiöser Mensch im
klassischen Sinn ist, so sehr ist der doch im tieferen Sinn eine Religionsfigur. Und dies hat zunächst mit seinen beiden
Erfindern zu tun. Sie stammten aus jüdischen Familien, die aus Europa emigriert waren, und brachten vieles mit: die Lust am
Zeichnen und typisch jüdische Erfahrungen des europäischen Judentums. Dazu gehörte etwa die Vorsicht, dass man seine
Identität, die jüdische, am besten nicht so offen zeigt. Besser ist es, Normalbürger zu sein und Jude eher im Verborgenen. Im
Verborgenen wartet auch Rettung, wenn die Juden wieder einmal zu stark verfolgt werden. Eine dieser mythischen
Retterfiguren ist der Golem, der, wenn die Not im Ghetto groß ist, heimlich kommt und hilft - ein Himmelsgeschenk. Vieles
davon findet sich in der Superman-Figur wieder.
Im realen Leben ist Superman Clark Kent, ein etwas ungeschickter Reporter, der seinen Job macht. In Wahrheit ist er aber ein
Retter, der von einem fremden Himmelsstern kommt, um die Stadt Metropolis und die ganze Welt zu retten, wenn die Not am
Größten ist. Aber auch noch andere Religions-Geschichten konnten hier einfließen: etwa die Geschichte von Mose, der
eigentlich Königssohn ist, bei israelitischen Adoptiveltern in der ägyptischen Gefangenschaft groß wird und das Volk Israel ins
gelobte Land führt. Auch die Geschichte des Gottessohnes Christus, der auf die Erde kommt, bei Maria und Josef groß wird
und das Himmelreich auf Erden aufblitzen lässt, geht mit ein.
Die Wurzeln Supermans sind religiös, doch bleibt Religion in den Supermangeschichten ausgeblendet. Sie muss sogar
ausgeblendet werden, damit Superman Erfolg hat. Denn Superman steht nicht für eine Religion, sondern für eine Nation.
Amerika in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts ist eine Nation im Werden - nach außen und innen. Es droht Krieg. Der
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deutsche, europäische und japanische Faschismus wird als Gefahr immer drängender. Um nach außen stark zu sein, braucht
es eine innere Stärke: Amerika muss auch im Inneren zusammenwachsen. Das ist ein Problem, denn Amerika besteht aus
vielen kleinen ethnischen und religiösen Gruppen. Und Amerika hat keine lange Nationalgeschichte mit historischen
Symbolfiguren. Diese Funktion übernimmt Superman: Jeder mit seinen Fähigkeiten und egal welcher Gruppe angehörig, ein
amerikanischer Normalbürger - in Wahrheit ergeben sie zusammen Superman. So entwickelt Amerika seine Kräfte,
Superman wird in kurzer Zeit seines Mediendaseins immer stärker, fliegt um Europa, schnappt sich Hitler, bringt ihn nicht um,
sondern stellt ihn vor den Völkerbund. Superman kämpft für "Wahrheit, Gerechtigkeit und the american way of life" - eine
Formulierung, die in den Superman-Comcis ihren Ursprung hat.
Das ist die religiöse Dynamik der amerikanischen Gesellschaft. Und diese wirkt weit über Amerika hinaus, sie globalisiert sich.
Über 11.000 Handy-User im Alter von 17-25 Jahren wurden 2008 nach ihren Vorbildern gefragt: egal ob Amerika, Deutschland
oder England, immer ist Superman oder ein anderer Superheld dabei - neben und manchmal sogar vor Gott und Jesus, Brad
Pitt und Martin Luther King. Superman ist von einer kleinen Comic-Figur zur Ikone einer weltweiten, die Gesellschaft
verbindenden Zivilreligion mutiert. Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Barack Obama, wird als Superman
dargestellt. Und selbst der religionskritische Homer aus der Comic-Serie der Simpson betet: "I’m normally not a praying
man, but if you’re up there, please save me, Superman." Es scheint sich zu bewahrheiten, was Bryan Singer, der
Regisseur des Films "Die Rückkehr Supermans", sagte: "Der Comic "Superman" hat ja nie seinen Ursprung im Mosesmythos
verleugnet, und es geht auch stark um Selbstaufopferung und Erlösung. ... (Es) ist der Glaube an das Gute. Wir zelebrieren
gewissermaßen das Beste, was die christliche und jüdische Religion anzubieten haben." Superman - das Beste was die
jüdisch-christliche Religion zu bieten hat.
Jedenfalls hat der Superman-Mythos weltweit an Glanz, besser noch an Integrationskraft verloren. 9/11 - der Tag, an dem
Flugzeuge die Twin-Towers und damit das amerikanische Selbstbewusstsein erschütterten, kommt bei Superman nicht vor.
Auf einem Bild sieht man ihn, wie er mit einer zerschlissenen amerikanischen Flagge vor den stürzenden Türmen sagt: "Wenn
ich hier gewesen wäre, wäre das nicht passiert." Aber es gehört zu einem Superhelden, dass er am Ort der Not ist. Auch den
Irakkrieg kann er nicht aufhalten. Statt die Männer an der "Achse des Bösen" vor den internationalen Gerichtshof zu bringen,
wird Superman selber Opfer: auf einem Bild, das mit "Iraq" überschrieben ist, sieht man vor einer Moschee mit Halbmond
einen vermummten Freiheitskämpfer und einen bereits verwesten Superman am Boden. Es sieht so aus, als wäre die Not der
Welt zu groß, das Leiden zu schwer, als dass ein Superman es noch aushalten könnte. Der Stählerne, wie er genannt wird, ist
zu rostigem Altmetall geworden. Und er wird beerbt. Im islamischen Bereich gibt es die Comic-Serie "Die 99". 99 Namen und
Eigenschaften hat Allah, 99 Helden mit diesen Eigenschaften gibt es, die in einer Comic-Serie nach Gerechtigkeit suchen das Beste, was der Koran zu bieten hat, könnte man in Anlehnung an Singer formulieren. Doch auch im eigenen Land gibt es
neue Superhelden: In New York, so die Geschichte, gibt es einen Helden, der als Superman mit Maschinen reden kann und
im wirklichen Leben Bürgermeister ist. "Ex machina" heißt die Geschichte und verweist auf das alte Wort des Deus ex
machina, auf den Gott, die Rettung aus der Maschine. Auch andere Super-Helden scheinen in der Beliebtheit Superman zu
überholen: Batman und vor allem Spiderman - vielleicht weil sie widersprüchlicher, leidensfähiger, abgründiger sind? Ob das
genügt, um die gefährdete Welt, die in sich instabil gewordene Weltgesellschaft zu retten?
Fasst man zusammen, so ist die Comic-Figur Superman an sich a-religiös, aber selber eine zivilreligiöse Figur im Dschungel
postmoderner Frömmigkeit. Und zugleich erschließt sich durch ihn eine Dimension von Religion, in der auch andere
Superhelden sich wiederfinden. Ob Superman oder Tarzan, Falk oder Batman - für sie gilt, was Demosthenes Savramis
formulierte: Diese Comic-Figuren lösen den letzten Rest von religiöser Utopie in einer ansonsten religions- und sinnentleerten
Welt ein. Und sie können dies tun, weil diese spezielle Form von Wort-Bild-Geschichten, die in der Geschichte und zugleich
jenseits von ihr spielen, utopischen Charakter haben, weil sie Utopien nicht nur beschreiben, sondern sichtbar visualisieren,
als ein bunter Licht-Blick in dieser Wirklichkeit und durch diese hindurch - und dies massenmedial und offen für möglichst
viele Leser, manchmal auch Leserinnen. Damit aber sind wir bereits einen Schritt weiter gegangen und zu einer Vermutung
gekommen: Superhelden sind nicht nur quasi-religiöse Comic-Figuren, sondern Comics selber haben eine religiöse
Dimension. Dem ist nun nachzudenken - zunächst anhand eines Blicks auf die "jüdische Farbe des Comics".
"Die jüdische Farbe der Comics"
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"Die jüdische Farbe des Comics" lautet der Titel einer Ausstellung im Jüdischen Museum in Berlin im Jahr 2010. Hier findet
sich Comic-Geschichte dargestellt: von den ersten amerikanischen Comic-Strips über die Superhelden, die Zeitschrift "MAD"
bis zu Art Spiegelmans "Maus". Überall finden sich jüdische Zeichner und Szenaristen und sie haben Comics geschaffen und
das Genre geprägt. Warum das so ist, beschreibt Paul Buhl: "Der Künstler populären Genres mit sozialem Gewissen und
einem hartnäckigen Sinn für Humor ist häufig jüdisch, am sichtbarsten im Film, doch häufig auch in der Comic-Kunst. Der
melancholische, doch engagierte "meshugene filosof" symbolisiert unsere Künstler am besten, und das beständige
Halbaußenseitertum der Juden selbst im wohlhabenden Amerika bietet einen Standpunkt, von dem aus sich die Welt der
Kriege, kollektive selbstzerstörerische Impulse und die individuelle Einsamkeit betrachten lassen. Der jüdische Comic hatte die
Kraft, wenn nicht gar das bewusste Ziel, das fabulierte Happy End in der materiell reichen, doch selbstzerstörerischen
modernen Gesellschaft anzukratzen. Die meisten Zuwanderer waren lediglich darum bemüht, ein Auskommen (und wenn
möglich Ruhm) zu erwirtschaften. Doch indem sie tief in die Volksseele blickten und weit nach dem anonymen Leser spähten,
"lasen" sie Enttäuschung und Hunger nach etwas Besserem."(2) Oder mit Walter Benjamin: Natürlich hat das Kunstwerk im
Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit seine Aura verloren, aber in der massenweisen Wiederholung bekommt auch
das technisch reproduzierte Kunstwerk seine besondere Bedeutung: es ist die unendliche Wiederholung der Aura des
Religiösen in der Form der unerfüllten Utopie(3).
Was Benjamin aus jüdischem Blick fürs Menschliche im Umbruch der Zeiten für den Film formulierte, gilt in gleichem Maße
oder vielleicht noch etwas intensiver für die Comics: die unendliche Wiederholung der Wirklichkeit durch technische
Reproduktion, als Massenmedium, löst Religion nicht auf, sondern macht sie zur Utopie, zur unendlichen Sehnsucht, die ihre
Bildersprache sucht, ohne darin aufzugehen. Comics, ob Superhelden oder Calvin und Hobbes, sie üben mit jedem Strip
einen "schrägen Blick" auf die Wirklichkeit ein, sie lassen die Welt immer ein bisschen anders sehen, weil sie auch etwas ganz
Anderes im Blick haben, das es so eben nicht mehr gibt. Comics wären also die religiöse Bildersprache nach dem Tode
Gottes, gemacht für ein "Life after the death of God".
Die Suche nach Gott - Comische Inszenierungen von Religion
Comics sind kein eigenständiges Genre oder in sich geschlossenes Medium. Vielmehr sind Comics eine bestimmte Art des
Umgangs mit Wirklichkeit. Sie wiederholen Wirklichkeit, holen Wirklichkeit und setzen sie in einen neuen Rahmen, semiotisch
ausgedrückt: sie sind kein eigenes Zeichensystem, sondern setzen vorgegebene Zeichen in einem neuen Sinn-System
zusammen. Religion wird dabei zum Zitat und verliert Verbindlichkeit, d.h. ihr Deutemonopol ihrer Bilder, Autorschaft und
Authentizität. Die Bilder und die aus ihnen entwickelten kollektiven Bildergeschichten und Geschichtsbilder werden
entkontextualisiert und rekontextualisiert, jedoch ohne neuen Deutemonopolismus und ohne die damit verbundene ethische
Verbindlichkeit.
Umberto Eco(4) beschreibt diesen Vorgang so: Mythen haben ihre Sakralität verloren. "Die festen Verbindlichkeiten
erlöschen." Doch das ist nicht das Ende der Mythisierungen. "In der Produktion der Massenmedien und insbesondere in der
Industrie der Comic strips haben wir ein offenkundiges Beispiel von "Mythisierung" vor uns." Und dies kulminiert im "Mythos
vom Superman", der zu einer Massen-Gesellschaft passt, in der der Normalbürger nach seinem Platz und seinem Wert fragt und dies jenseits der Religion und ihrem Anspruch auf Verbindlichkeit, aber nicht ohne den Bilderschatz, den sie hütet. Die
Comics leben vom frei gewordenen Bilderschatz und reinszenieren ihn neu nach den gesellschaftlichen Herausforderungen
und individuellen Bedürfnissen. Es entwickelt sich eine neue, nachneuzeitliche Form von Religion. Religion im Format der
Unterhaltung, der distanzierten Wahrnehmung des Verbindlichen, der indirekten, gebrochenen Gottesbegegnung. "Wir
wissen, dass all dies nicht wahr ist, und dennoch tun wir so, als ob wir daran glaubten", so Umberto Eco in seinem Essay "Die
Welt von Charly Brown"(5).
Wo Religion in Comics einwandert, verliert sie, so die These, ihre eigene religiöse Kraft und Bedeutung, wird Teil der
Unterhaltungswelt. So hat auch Superman, der alle Kämpfe gegen die Bösen der Welt aufgenommen hat, gerade nicht den
Kampf gegen den Islam aufgenommen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass Superman auf einem jüdisch-christlichen
Dispositiv entwickelt wurde, trägt er die Wahrheitsansprüche der Religion gerade nicht weiter. Dasselbe gilt umgekehrt für den
muslimischen Superman Jabar, den Mächtigen. Auf dem Feld der Comics werden Wahrheitsansprüche relativiert, kritisiert oder selber zur Komik. Der letzte Kampf, wer denn nun der Star am Himmel der Comic-Super-Helden ist, wird selber zur
comischen Geschichte. Im Asterix-Band 33 "Gallien in Gefahr" versammelt Uderzo die Comictraditionen und lässt sie
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gegeneinander antreten: Die Superman-Legion, die Roboter und die klassisch europäischen Helden Asterix und Obelix. Der
Kampf der Kulturen wird zur unterhaltsamen Geschichte, der Konflikt löst sich in Lachen auf.
Umgekehrt aber könnte gerade die Virtualität von Religion, die über die Grenzen des Realen hinaus Wirklichkeit erschließt,
ihre bildgebende Kraft, eine Kraft auch der Comics werden. Als ein Beispiel dafür sei Robert Crumbs "Genesis" erwähnt. Hier
wird nicht nur biblische Geschichte in Bildern nacherzählt, sondern die Geschichte mit ihrer eigenen Dynamik und Logik über
die Worte hinaus in Bildern inszeniert. Dabei scheut Crumb nicht davor zurück, Gott selber in Szene zu setzen: Gott als alter
Mann mit langem Bart - theologisch und pädagogisch längst überholt - kommt hier wieder, als kraftvolles Bild, das Gott
gerade nicht abbildet und ins Bild bannt, sondern das durch das Bild auf etwas verweist, was hinter dem Bild liegt.
Hier findet postmoderne Religiosität ihre eigene Bildsprache - in den Comics. Ähnliches gilt für "Persepolis" von Marjane
Satrapi. Auch hier taucht Gott im Gespräch mit dem kleinen Mädchen auf, geht ein in die Bildergeschichte. Er sieht - obwohl
er auf ­Allah verweist - aus wie Marx oder der jüdisch-christliche Gott von Crumb. Auch hier ist das realistische
Gottesbild nicht eine illegitime Photographie Gottes (das wäre modernes oder vormodernes Bildverständnis), sondern das Bild
als Möglichkeit, auf die Realität Gottes zu verweisen, in comischer Distanzierung und Brechung. Gott als fiktive Realität - das
allerdings war er schon immer.
In dieser Offenheit gelingen dann auch neue Zugänge zur Religion, auch zur eigenen, zur gelebten Religion. Für diesen
Zugang gibt es eine Fülle guter Beispiele: die Simpsons wurden schon erwähnt, hingewiesen sei noch auf eine Comic-Welt
ganz besonderer Art, auf Joan Sfars "Die Katze des Rabbiners". Die Katze lebt in Algerien, bei einem Rabbiner, also in einer
jüdischen Welt. Sie kann beobachten, kommentieren und sogar sprechen. Sprechend hinterfragt sie Jüdisches, nicht altklug
pädagogisierend, sondern an den eigenen Bedürfnissen orientiert und immer in einer liebevollen ironischen Brechung. So
möchte sie unbedingt zur Bar-Mizwa zugelassen werden und fängt ein Streitgespräch mit ihrem Rabbi an - allein das schon
hohe theologische Kunst, bei der man vieles über das Judentum erfährt und über das Miteinander der Religionen. Der Rabbi
sucht in seiner Not, da es ihm amtlich verboten ist, Rabbiner zu sein, weil er die Französisch-Prüfung vermutlich nicht
bestanden hat, das Grab von Messud Sfar auf. Auf dem Weg trifft er seinen Bekannten, einen arabischen Muslim. Während
Katze und Esel streiten, welcher Religion das Grab und damit die Tradition gehört, fangen Rabbi und Scheich an zu reden, zu
beten - der eine Richtung Jerusalem, der andere Richtung Mekka - und kehren zurück, jeder für sich. Das Grab haben sie
nicht gefunden. Eine comische Geschichte.
Anmerkungen:
1
Vgl. dazu etwa: Asterix & Co. - oder: Die Helden der Postmoderne sind comisch. Ausstellungsbroschüre. Erlangen
2010. Diese Ausstellung wurde von Studierenden der Christlichen Publizistik an der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg im Anschluss an ein Seminar zum Thema Comics erstellt. Zu bestellen bei "bildung evangelisch
Erlangen".
2
Paul Buhle, Juden und Comics, in: Margret Kampmeyer-Kädig, Cilly Kugelmann (Herausgeberinnen im Auftrag des
Jüdischen Museums Berlin), Helden, Freaks und Superrabbis, Ausstellungskatalog, 8-23, hier 22.
3
Walter Benjamin, Das Kunstwerk in Zeiten seiner technischen Reproduzierbarkeit.
4
Umberto Eco, Der Mythos von Superman, in: ders.: Apokalyptiker und Integrierte. Zur kritischen Kritik der Massenkultur,
Frankfurt/M. 1984, 187-222.
5
Umberto Eco, Die Welt von Charly Brown, in: Apokalyptiker und Integrierte, 223-231, hier 231.
Deutsches Pfarrerblatt, ISSN 0939 - 9771
Herausgeber:
Geschäftsstelle des Verbandes der ev. Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland e.V
Langgasse 54
67105 Schifferstadt
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