Singapur
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Singapur
„Do you have a Facebook-Account“? Wer dieser Frage während seines Aufenthaltes in Singapur nicht über den Weg läuft, der hat die Millionenmetropole und dessen Bürger nicht hautnah erlebt. Mark Zuckerberg, der Begründer des global erfolgreichen Kommunikationsnetzwerkes Facebook, hat mit seiner Plattform in Singapur ein neues Bewusstsein über Freundschaften, deren Vernetzung und Kommunikation hervorgebracht. Während man in Europa noch ohne Facebook am öffentlichen Leben teilnehmen kann und sich altertümlich mit Name, Alter und Herkunft vorstellt, gelten am südlichen Zipfel der malaiischen Halbinsel andere Umgangsformen. Wer im 21.Jahrhundert mit der hochtechnologischen Welt mithalten will, der braucht ein Profil bei Facebook, ein cleveres, modernes Smartphone und einen leistungsfähigen iPod. Bei meiner Ankunft in Singapur, hatte ich nichts dergleichen… Singapur symbolisiert als kleinster Staat Südostasiens einen wahren Schmelztiegel der Kulturen und verbindet in seiner Identität, seinen Sprachen, Religionen und der kulinarischen Vielfalt Chinesen, Malaien, Inder und zu einem geringen Prozentsatz andere Nationalitäten. Im Rahmen des internationalen Austauschprogramms (SEP) der International Pharmaceutical Students´s Federation (IPSF) bekam ich im Sommer 2010 die Möglichkeit für 5 Wochen die farbenfrohe und pulsierende Gesellschaft Singapurs in vielen Bereichen kennen zu lernen. Dabei war ich jedoch nicht allein, sondern konnte alle Erlebnisse mit Stella-Saphira Ehrenberger von der Universität Freiburg teilen. Stella und Ich hatten leider vorher nicht die Gelegenheit uns kennen zu lernen, sodass wir die gemeinsamen Wochen in Singapur nutzen konnten, um uns über viele Dinge auszutauschen. Auch wenn es ein kleines Risiko war, für 5 Wochen vom Schlafzimmer bis zur Arbeit alles zu teilen, so muss ich gestehen, dass ich meine „Auslands-Schwester“ sehr in mein Herz geschlossen habe. Die gemeinsamen Erinnerungen werden uns für lange erhalten bleiben und uns hoffentlich dauerhaft verbinden. Zusammen waren wir bei einer chinesisch-malaiischen Gastfamilie im Nordosten des Stadtstaates unter gebracht. Der enge Kontakt zu dieser Familie, sowie das Engagement des SEOs und seiner Kommilitonen von der National University of Singapore (NUS) gaben uns die Möglichkeit intensiv und aktiv am Leben der Singapurer Teil zu nehmen. Durch die Unterbringung bei Familie LEE konnten wir nicht nur zusätzlich einen tieferen Einblick in den dortigen Alltag bekommen, sondern auch erheblich an Geld einsparen. Die Familie verlangte kein Geld für unseren Aufenthalt. Lediglich für unsere eigenen Lebensmittel mussten wir selbst aufkommen. Da wir den kompletten Trip nach Fernost auf unsere eigenen Kosten tragen mussten, bot sich somit eine erhebliche finanzielle Erleichterung und die Möglichkeit dieses Geld anderweitig auszugeben. Unser Praktikum absolvierten wir im Khoo Teck Puat Hospital, welches seit dem März 2010 seine Türen für Patienten geöffnet hat. Das neu erbaute Krankenhaus, dessen Baukosten sich auf SG$900 Millionen belaufen, deckt mit seinem Einzugsgebiet den gesamten Nordosten Singapurs ab und soll dort in Kooperation mit Polikliniken und GP´s (Allgemeinmediziner) die immer älter werdende Bevölkerung medizinisch versorgen. Das KTPH gehört zu einem der öffentlichen Krankenhäuser und wurde aus dem ehemaligen Team des Alexandra Hospitals, einem der ältesten Krankenhäuser in Singapur, von Grund auf neu erbaut. Die Architektur des Gebäudes, die zahlreichen Grünanlagen und die„SkyGardens“, das neue Umweltbewusstsein, das höfliche Auftreten des gesamten Personals , ein großzügiger Einfahrtsbereich, ein kostenloser Shuttle-Service zur nahe gelegenen Metrostation, das gesunde und ausgewogene Essen in der Cafeteria und die Professionalität und der vornehme Dresscode der Ärzte, Krankenschwestern und weiterer Fachkräfte sollen der Genesung des Patient und der Zufriedenheit seiner Angehörigen dienen. Wie umfangreich dieses in Singapur erstmalig verfolgte Konzept ist, wurde uns an 2 Tagen im Rahmen eines Orientierungs-Seminars für neue Mitarbeiter näher erklärt. Das ambitionierte Ziel der Geschäftsleitung besteht darin das Krankenhaus unter dem Namen „KTPH-Alexandra Health“ als Marke ebenso stark im Tigerstaat Singapur zu etablieren, wie Apple, Toyota oder Sony dies in ihren Marktbereichen erfolgreich vorgeführt haben. Während unseres Praktikums haben wir verschiedene Abteilungen der Krankenhausapotheke durchlaufen und diverse Bereiche der Aufgaben des Apothekers vor Ort kennen gelernt. In der ersten Woche ging es für uns in den stationären Bereich. Im sogenannten „Inpatient Department“ wird die Medikamentenversorgung der Stationen abgedeckt, Ärzte werden bei der Visite hinsichtlich der Medikation beraten und Patienten vor ihrer Entlassung mit den entsprechenden Arzneimitteln für die Zeit nach dem Krankenhausaufenthalt versorgt sowie über die Wirkungen, Nebenwirkungen und die Einnahme der Arzneimittel informiert. Neben der Arbeit im Hintergrund durften wir die Apotheker auch auf die Stationen begleiten und uns dort dezent als Zuhörer bei der Entlassung dazugesellen. Jedoch brachte dies auch die ein oder andere sprachliche Hürde mit sich. Da Singapur eine solch multikulturelle-Gesellschaft repräsentiert, wird man überall mit fremden Wort-Klängen konfrontiert. Wo Vielsprachigkeit quasi mit der Muttermilch aufgesogen wird, ist es kein Wunder, dass es insgesamt 4 Amtssprachen (Englisch, Malaiisch, Hochchinesisch und Tamil) und im Inoffiziellen noch unzählige weitere Sprachen und Dialekte gibt. Es kamen viele Situationen auf, in denen wir wegen Unverständnis nur lächelnd am Bett des Patienten stehen und uns über den harten Klang der Laute unsere Gedanken machen konnten. Doch was passiert, wenn selbst dem jungen Pharmazeuten im praktischen Jahr das chinesische Zeichen für eine orangefarbene Tablette nicht mehr einfällt? Er malt eine detailgetreue Orange auf das Etikett der verpackten Blisterpackung. Improvisation ist eben doch alles! Nach dem stationären kamen wir in den ambulanten Apothekenbetrieb. Dieser ist mit der so genannten „Retail Pharmacy“ verbunden, welche am ehesten unserer öffentlichen Apotheke in Deutschland ähnelt. Die Aufgabe der „Outpatient Pharmacy“ besteht primär in der Versorgung der ambulanten Patienten, die die Fachärzte in den eingegliederten Kliniken des KTPH konsultieren. Zu dieser Versorgung gehört, dass die Patienten ihre Medikamente direkt in der ebenerdig gelegenen Apotheke abholen können. Die Verschreibungen kommen entweder als elektronische Datei direkt aus den Arztpraxen an oder der Patient kommt mit einem schriftlichen Rezept in die Apotheke. Wenn der Patient sein Rezept abgegeben hat, ist Geduld gefragt. Für die Bevölkerung des schnelllebigen und hektischen Singapurs kann das zu einer echten Bewährungsprobe werden. Während der durchschnittlichen Wartezeit von 30 Minuten wird die Verschreibung nach Plausibilität kontrolliert, die Medikamente in Ziplock-Tüten eingepackt, auf Vollständigkeit überprüft und schließlich an einem der Schalter durch Apotheker oder pharmazeutisch technische Assistenten abgegeben. So umfangreich der Arbeitsablauf ist, so hoch sind der Laufaufwand im Hintergrund und der Stress, der zu den Hauptzeiten vor-und nachmittags aufkocht. Das Team war dankbar, dass wir ihnen unterstützend zur Seite gestellt wurden und während der ruhigen Zeiten ergaben sich auch die ein oder anderen interessanten Gespräche zwischen den Regalzeilen. Dennoch wurden wir nicht nur als „Packer“ gebraucht (und missbraucht;) ), sondern konnten uns auch hinter die PTA oder den Apotheker bei der Ausgabe der Medikamente stellen und uns seine Beratung und sein Informationsgespräch mit dem Patienten anhören. Eine weitere Erfahrung war der Besuch zwei der integrierten Kliniken im KTPH: der Klinik für Kardiovaskuläre Störungen und der Antikoagulations-Klinik. In wöchentlichen bis monatlichen Abstand konsultieren die Patienten nicht den Arzt, sondern den Apotheker. Dieser kann anhand der Vitalzeichen und des Blutbildes die Dosierungen anpassen und in Absprachen mit dem Arzt die Medikation verändern. Diese Kooperation zwischen Arzt und Apotheker erleichtert den Arzt im Patientenaufkommen und stärkt die Autorität sowie die Beziehung des Apothekers zu den Patienten in einer sehr vertrauten und persönlichen Weise. Nachdem die zwei großen Blöcke ambulanter und stationärer Bereich beendet waren, stand ein Tag im neu eröffneten Rehabilitations- und Orthopädie-Haus an. Wir lernten den richtigen Umgang mit Krücken und Gehhilfen, die vielfältigen Modelle an Rollstühlen, ihre Vor- und Nachteile bis hin zu altersgerechten Haushaltsutensilien besser kennen. An den verbleibenden Tagen besuchten wir ein Altenheim, wurden mit der elektronischen Ausstattung im Krankenhaus vertraut gemacht, konnten uns mit der Krankenhausphilosophie und dem nationalen Gesundheitssystem vertraut machen , halfen im Warenlager der Apotheke aus und assistierten bei der telefonischen Beratung und Klärung pharmazeutischer Fragestellungen von Ärzten, Fachpersonal und Patienten. In jedem einzelnen Department der Krankenhausapotheke spürte man deutlich, wie sehr der Patient und das Image des neuen Krankenhauses im Vordergrund stand. Zugegeben, als Europäer ist man in Singapur abseits der typischen Touristenanziehungspunkte eher eine Rarität als ein vertrauter Mitbürger. Wir durften uns des Öfteren als beliebtes Fotoobjekt innerhalb und außerhalb des Krankenhauses ablichten und mit starren Blicken in Bus und MRT (Metro) mustern lassen. Auch wenn viele Einheimische uns gegenüber ein anfänglich zurückhaltendes, verschlossenes, gar schüchternes Verhalten zeigten, so wurde es umso herzlicher und inniger wenn man ihr Gemüt erobert und die kulturellen Barrieren zerschlagen hatte. Mit der Sonne im Herzen, dem Willen zur Offenheit, der Neugier nach unbekannten Speisen und Getränken, einem Lächeln im Gesicht und den tropischen Temperaturen war es ein leichtes einen (schweißtreibenden) Schritt auf Land & Leute zu zugehen um danach mit zwei großen Schritten der Singapurer belohnt zu werden. Viele Freundschaften sind in diesen intensiven 5 Wochen entstanden. Unsere liebenswerte Gastfamilie und die Pharmazie-Studenten der NUS haben uns tatkräftig bei unseren Unternehmungen unterstützt und wir, als Gäste, haben sie zu Orten gebracht, die sie selbst im eigenen Heimatland neben all der Konsum- und Reizüberflutung vergessen oder noch nie gesehen hatten. Es verging kaum ein Tag, an dem wir nicht unsere Freizeit für ein wenig Sightseeing ausgenutzt oder die Zeit mit unseren neu gewonnen Freunden verbracht haben. Sie haben uns ermöglicht, etwas genauer in die Kultur des großen Puzzles Singapurs vorzudringen und selbst ein Einzelteil des großen Ganzen zu werden. Sicherlich können viele Besucher Singapurs von sich behaupten eine Bootsfahrt auf dem Singapore River absolviert, einen Abend am berühmten Clark Quay verbracht , sich Fahrt mit dem wohl größten Riesenrad der Welt, dem Singapore Flyer, geleistet und einen Spaziergang entlang der Marina Bay gemacht zu haben. Auch wir haben all dies auf unserer nicht enden wollenden „To-Do-Liste“ abgearbeitet, doch sind für mich die individuellen Erlebnisse die wertvollsten und nachhaltigsten: An einem Samstag-Vormittag zog es uns auf eine der über 50 kleineren Inseln, die zu Singapur gehören. Pulau Ubin, die Insel des Granits, eroberte unser Herz im Sturm. Mit sportlichem Ehrgeiz, einer guten Kondition, mäßig befahrbaren Wegen und Malaysia in Sichtweite bot die kleine Insel einen Eindruck davon, wie sich Singapur vor 40 Jahren präsentiert haben muss und in welchen Verhältnissen die Bevölkerung gelebt hat. Dieses ursprüngliche Ambiente, der naturbelassene Regenwald und die dortige Ruhe sucht man auf der Hauptinsel Singapurs vergebens. Während die Singapurer ein Leben in atemberaubendem Tempo mit klarem Blick nach vorn und dem iPhone am Ohr leben, sind die ca.200 Bewohner Pulau Ubins nur am Absatz ihrer frischen Meeresfrüchte und dem Verleih von mehr oder weniger verkehrstüchtigen Fahrrädern an Besucher der Insel interessiert. Ebenso stand ein Besuch beim eher unbeliebten Nachbarn Malaysia das ein oder andere Mal auf unserem Programm. Wir gingen fleißig auf Stempeljagd in unseren Reisepässen und konnten in Malaysia nicht nur das sehr bekömmliche und günstige Essen genießen, sondern auch die geschichtlich-kulturelle Entwicklung des Landes und den europäischen Einfluss vergangener Tage näher kennen lernen. So weitläufig, unberührt und verwildert Malaysia ist, so eng, künstlich und streng geordnet kann einem Singapur erscheinen. Obwohl sich die beiden Staaten nur durch die 1km breite Straße von Johor voneinander trennen, sind es doch Welten, die sich zwischen der Republik Singapur und der parlamentarischen Monarchie Malaysia aufspannen. Wer seinen Fuß aus Malaysia kommend auf das Hoheitsgebiet Singapur setzt, der kommt aus einem Land mit großem Reichtum an Rohstoffen und Bodenschätzen auf eine 710km² (zum Vergleich die Freie und Hansestadt Hamburg hat eine Größe von 750km²) große Insel, die eine der bedeutsamsten Umschlagplätze für Waren und Finanzen im asiatischen Raum darstellt. Doch war es für uns jedes Mal ein vertrautes, heimisches und wohliges Gefühl, wieder „nach Hause“ in die Stadt des Löwen zu kommen. Nach den 5 Wochen in dem Tigerstaat Südostasiens schlug auch unser Puls etwas schneller, die Busund MRT-Fahrpläne waren in Fleisch und Blut übergegangen, unsere Selbstständigkeit wuchs kontinuierlich und unsere Neugier nach neuen Orten und unbekannten Speisen nahm kein Ende. Zahlreiche Aktivitäten hätten wir noch auf unseren Plan schreiben können; so viel gab es noch zu erledigen, zu entdecken und zu genießen. Doch steht am Ende einer jeden Reise auch die bittere Realität, dass man sich von all dem, was einem lieb und kostbar geworden ist, wieder verabschieden muss. Ein letztes Mal schlafen, ein letztes Mal Metro fahren, ein letzter Blick auf die atemberaubende Skyline, ein letztes vertrautes Gespräch mit den neu gewonnenen Freunden, eine letzte eiskalte Dusche in den Tropen, ein letztes Essen vor dem langen Rückflug, ein letztes Abschiedsbild am Flughafen… Mit einem finalen Blick auf die hell erleuchtete Stadt hebt mein Flugzeug vom Changi International Airport nachts um 2:30 ab. Wie anmutig und still die Stadt des Löwen unter mir liegt! Langsam verstehe ich, warum diese Metropole, warum die Singapurer sich so sehr mit Facebook identifizieren: es ist ein Forum für Menschen, deren Heimat zu klein ist, um sich individuell, kreativ zu verwirklichen und um sich Freiräume zu schaffen. Doch auf der anderen Seite ist die Singapur zu groß, zu impulsiv und fordernd um einen Moment Inne zu halten und mit den Mitmenschen Freude und Leid, Eindrücke und Fotos, Neuigkeiten und all die anderen Dinge, die unser Leben lebenswert und erinnerungsreich gestalten , teilen zu können. Ein Sprichwort sagt: „Nur wer den Mut und die Stärke hat sich zu trennen, dem sei die Freude im Herzen und all das Glück beim nächsten Wiedersehen gegönnt.“ Vielleicht lege ich mir doch am Ende ein Profil bei Facebook zu… Denn ein Puzzleteil von Singapur steckt jetzt auch in mir!