DE_ArgentinaJavier Grossutti
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DE_ArgentinaJavier Grossutti
DIE EMIGRATION AUS FRIAUL JULISCH-VENETIEN NACH ARGENTINIEN UND URUGUAY Javier Grossutti, Universität Triest 1877 – Die landwirtschaftlich geprägte Emigration: friaulische Siedler auf argentinischem Boden Die erste landwirtschaftliche Siedlung, der von einer relativ großen Gruppe von Friaulern bevölkert war, entstand nicht weit von Reconquista im Norden der Provinz Santa Fe. Die ersten zehn friaulischen Famlien kamen am 6. November 1877 in “Estrella de Italia” (“Stern Italiens”) an. Sie waren von dem italienischen Unternehmer Vincenzo Gaetani angeworben worden, der eine Kalifabrik gründete, die erste dieser Art in Argentinien (noch heute ist das Gebiet unter dem Namen “La Potasa” bekannt, von Potasio=Kali). Gaetani hatte sich verpflichtet, etwa fünfzig Familien nach Argentinien zu holen, ihnen ein Stück Land kostenlos zur Verfügung zu stellen und einen Arbeitsplatz in der Kalifabrik zu garantieren. Dafür hatte er Subventionen von den nationalen Behörden erhalten, die daran interessiert waren, die Gegend zu bevölkern. Kurz darauf kamen weitere zehn Familien in „Estrella d’Italia“ an: Die Gruppe bestand aus insgesamt 85 Personen (50 Männer und 35 Frauen). Dieser Kern hatte sich an der so genannten Nordgrenze niedergelassen, fast auf der Festungslinie, den militärischen Vorposten gegen die Angriffe der Eingeborenen. Das Unternehmen war jedoch nicht von Erfolg gekrönt und in den ersten Monaten des Jahres 1879 baten die friaulischen Siedler den Oberst Manuel Obligado, Kommandant an der Nordgrenze von Santa Fe, Cordoba und Santiago del Estero, in die kurz zuvor gegründete Kolonie „Presidente Avellaneda“ umziehen zu können.1. 1 Zu der Siedlung “Estrella de Italia” cfr. Colonia Estrella de Italia, in Memoria de Inmigración, Buenos Aires, Ministerio de Agricoltura, 1878, S. 24; Manuel H. Roselli, La Estrella de Italia, Reconquista, 1978; Manuel I. Cracogna, La Colonia Nacional Presidente Avellaneda y su tiempo. Historia de la colonia, con sus antecedentes, Die Erfahrungen in “Estrella de Italia” und in der Kolonie “Tres de Febrero” oder “Brugo” (heute San Benito) in der Provinz Entre Ríos, unterscheiden sich von den übrigen größeren friaulischen Landsiedlungen, weil es sich um einen Siedlungsversuch auf Privatinitiative handelt. Die vielen Gruppen von „italienischen“ und „österreichischen“ Friaulern, die ab 1877 bis in die frühen achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts in Argentinien eintrafen, waren eigentlich aufgebrochen, weil das Gesetz Nr. 817 über Einwanderung und Besiedlung, das so genannte Avellaneda-Gesetz aus dem Jahr 1876, ihnen eine Reihe von Vorteilen in Aussicht stellte.2 Dazu gehörte u. a. die in Art. 85 vorgesehene Möglichkeit für die ersten hundert Familienoberhäupter jeder Sektion, in die die zu besiedelnden Gebiete aufgeteilt waren, kostenlos Land zur Verfügung gestellt zu bekommen oder es zumindest preiswert erwerben zu können (Art.86). Diese Klausel fand bei den friaulischen und italienischen Bauern großen Anklang. In Wirklichkeit waren die Zuteilung von Land aus Staatsbesitz und die Übernahme - sozusagen als Vorschuss - der Kosten für Reise, Wohnung, Lebensmittel, Arbeits- und Zuchtvieh, Saatgut und Geräte für mindestens ein Jahr (Art. 88) schon in einigen anderen argentinischen Provinzen (vor allem in Santa Fe) ausprobiert worden waren, um den Zustrom von europäischen Siedlern zu fördern3. Im Fall des Gesetzes Nr. 817 verhinderten die geringen verfügbaren Gelder und ein Geflecht von entgegen gesetzten Interessen (besonders was die Landverteilung anging) häufig die Umsetzung der darin vorgesehenen Maßnahmen4. Die ersten Gruppen von „italienischen“ und „österreichischen“ Friaulern waren, wie auch die folgenden, von den argentinischen Behörden angeworben worden, um die Gebiete im Inneren des Landes zu besiedeln. Mit der Besiedlung der unbewohnten Gebiete fundación y evolución política y socio económica, primera parte, Avellaneda, Municipalidad de Avellaneda, 1988, S. 82 und 120; Víctor J. Braidot, Avellaneda en el tiempo, Avellaneda, Municipalidad de Avellaneda, 1995, S. 4247; Eno Mattiussi, Los friulanos, Buenos Aires, Asociación Dante Alighieri, 1997, S. 93. 2 Cfr. Graciela M. De Marco – Raúl C. Rey Balmaceda – Susana M. Sassone, Extranjeros en la Argentina. Pasado, presente y futuro, in “Geodemos”, 2 (1994), S. 399-413. 3 Cfr. Informe de la Comisión de Córdoba correspondiente al año 1876, in Memoria de Inmigración, Buenos Aires, Ministerio de Agricoltura, 1876, S. 76-77. 4 Cfr. Fernando J. Devoto, Políticas migratorias argentinas y flujo de población europea (1876-1925), in Id., Movimientos migratorios : historiografía y problemas, Buenos Aires, Centro Editor de América Latina, 1992, S. 7172. an der Wende vom 19. zum 20. Jh. konnte einerseits die Grenze der Pampas geöffnet werden, und andererseits die argentinische Exportwirtschaft, die auf landwirtschaftlichen Produkten basierte (Weizen, Mais, Leinen, Roggen, Gerste)5, in Gang gebracht werden. Die Propaganda seitens der Konsuln und Spezialagenten, die in Europa im Auftrag der argentinischen Regierung Siedler anwarben, hatte schon 1876 begonnen und war auch im Gesetz Nr. 817 (Art. 4 und 5) vorgesehen. Diese Kampagne trug Früchte. Die erste Siedlung, die von der argentinischen Regierung auf der Basis des Avellaneda-Gesetzes gegründet wurde, war Libertad (heute Chajari) im Nordosten der Provinz Entre Rios. Im Dezember 1875 beauftragte die Regierung in Buenos Aires den Einwanderungskommissär Pablo Stampa “para traer 50 familias lombardas y tirolesas, y en Abril de 1876 estaba aquí con la mitad de las familias, viniendo las demas poco después”6. Die friaulischen Siedler kamen zwischen 1877 und 18787 in Libertad an. Domenico Ellero zum Beispiel schreibt am 27. Juni 1878 aus Villa Libertad an einen Landsmann in Artegna: Der Boden ist hier fruchtbarer als bei Euch, die Siedler, die schon hier sind, pflügen einfach nur den Boden und dann säen sie Weizen, und bis zur Ernte tun sie nichts weiter - denkt mal nach, ob er besser ist als bei Euch oder nicht. Hier findet man auf dem ganzen Siedlungsgebiet nicht einen Holzscheit, der dem Pflug den Weg versperrt und mit einem Paar Ochsen pflügt man bequem. Wenn Ihr daran denkt herzukommen, würdet ihr zufrieden sein und wenigstens die letzten Jahre Eures Lebens, ohne viel zu arbeiten Eure Zeit verbringen8. Aber die Naturkatastrophen scheinen Ellero zu widersprechen, denn am 29. September 1878 zerstört ein Schwarm von Heuschrecken fast die ganze Ernte: “los colonos han trabajado sin cesar, plantando el maiz y papas, hasta tres veces, y gracias a estos esfuerzos podrán mantenerse, pero dificulto que puedan pagar la 5 Cfr. Ezequiel Gallo, Frontiera, stato e immigrati in Argentina 1855-1910, in “Altreitalie”, 6 (1991), S. 13-23. Cfr. Libertad, in Memoria de… op. cit., S. 14. 7 Cfr. César M. Donadio Varini, La colonia oficial italiana más antigua del país: Villa Libertad, in Francesco Citarella, Emigrazione e presenza italiana in Argentina, Atti del Congresso Internazionale di Buenos Aires 2-6 novembre 1989, Roma, Consiglio Nazionale delle Ricerche, 1992, S. 266. 8 Cfr. Gabriele L. Pecile, Cronaca dell’emigrazione, in “Bullettino della Associazione Agraria Friulana”, v. I (1878), S. 170-171. 6 primera cuota que les correspondía por los adelantos recibidos”9. 1879 lebten in der Siedlung Libertad 197 Familien (davon zirka 178 aus dem Ausland, zum größten Teil aus Italien) mit insgesamt 982 Personen. Zwischen 1877 und 1878 kommen weitere Gruppen von friaulischen Landwirten in Buenos Aires an. Am Mittwoch, den 27. Dezember 1877 berichtet die Zeitung “La Prensa” in Buenos Aires von der Ankunft von 700 Einwanderern an Bord des Dampfschiffes “Sud America” aus Genua im Hafen der Stadt. Darunter waren viele Friauler, die wenige Wochen später, am 17. Januar 1878 in die Ortschaft Resistencia in der Provinz Chaco gebracht werden10. Am 26. (oder 27.) Januar treffen etwa 250 Friauler im Hafen von San Fernando in der Provinz Chaco ein, 44 von ihnen stammen aus Fagagna11. In der Chronik der Emigration, die 1878 in einer Veröffentlichung des friaulischen Landwirtschaftsvereins erscheint, schreibt Gabriele Luigi Pecile: Die massenhafte Aufzucht von Rindern und Schweinen, das weiträumige Weideland, der intensive Anbau von Luzerne und Klee hatten die Landwirtschaft in Fagagna auf einen lobenswerten Stand gebracht. Nicht ein Meter Land war unverpachtet, jedes kleine Feld, und war es auch noch so steinig, war gefragt. Wirklich Arme gab es nur wenige, und auch ihnen wurde geholfen. Eine beachtliche Zahl an Familien wanderte daher nicht wegen der Armut nach Argentinien aus, sondern aus Angst vor der Armut. Die Emigration nach Deutschland war nicht mehr von Vorteil. Seit zwei Jahren war die Ernte dürftig; die Steuerlast machte sich bemerkbar, die Mühlsteuer war sogar unerträglich; statt am Jahresende noch ein wenig übrig zu haben, sahen sie ihre Ersparnisse der vergangenen Jahre dahinschwinden […] Unter solchen Umständen fanden die Werber für die Emigration im letzten Herbst leicht Gehör mit ihren Anzeigen und ihren Erzählungen. Es wurden 33 Pässe für 93 Personen jeden Alters 9 Cfr. Libertad, in Memoria de… op. cit. S. 15. Cfr. Seferino A. Geraldi, Los que poblaron la Sección Resistencia, Resistencia, Banco del Chaco, 1979, S. 20. 11 Zu den nach Resistencia gekommenen Friaulern cfr. Gino und Alberto di Caporiacco, 1877-1880 Coloni friulani in Argentina, in Brasile, Venezuela, Stati Uniti, Reana del Rojale, Chiandetti Editore, 1978, S. 96-106. 10 beantragt und genehmigt. 63 davon reisten ab, da die übrigen dreißig aus Mangel an Geldmitteln zurückblieben, d.h. sie hatten nicht das nötige Geld für die Überfahrt zusammenbekommen. […] Der größte Teil der Auswanderer aus Fagagna befindet sich am Rio Negro, im Chaco, in der Siedlung Resistencia, in der zirka 600 Personen unterschiedlicher Nationalität leben12. Die ersten Auswanderungen nach Übersee, sowohl nach Argentinien als auch nach Brasilien, betreffen nur Kleinbauern mit Landbesitz, d.h. Personen, die in der Lage waren, das nötige Geld für die Überfahrt aufzutreiben, z.B. indem sie ihr Land verkauften oder, wenn sie Pächter oder Siedler waren, ihren Haushalt, ihre Geräte und Tiere zu Geld machten13. Die Arbeiter und Tagelöhner konnten - abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen - nicht emigrieren. „Die Lebensbedingungen wurden schließlich sowohl für viele Landarbeiter als auch für viele Bauern unerträglich, aber nur letztere hatten vorerst eine konkrete Möglichkeit, wegzugehen: Die meisten Fortgänge vollzogen sich in den Voralpen, in den Gebieten am Fuße der Berge und im Hügelland, weil dort der Kleinbesitz vorherrschend war. […] Es handelte sich um Gebiete, in denen schon eine zeitlich begrenzte Emigration von bemerkenswertem Ausmaß stattfand.“ In den siebziger Jahren des 19. Jh.’s erwies sich jedoch „die auf eine Saison begrenzte Auswanderung als nicht mehr genug: Die Aufnahmefähigkeit von Arbeitskräften seitens der Länder Mitteleuropas reichte nicht mehr aus, um dem steigenden Angebot gerecht zu werden, zumal in den Jahren 1874-1876 die Nachfrage nach Arbeitskraft in diesen Ländern bemerkenswert sank“14. Die durchaus nicht verzweifelte Situation dieser ersten Emigrantengruppen wird auch auf der anderen Seite des Ozeans von Juan Dillon, dem Generalkommissar für Einwanderung der argentinischen Regierung bestätigt: 12 Cfr. G. L. Pecile, Cronaca dell’emigrazione, in “Bullettino della Associazione Agraria… op. cit., S. 92-93. In dem Bezirk Sacile z.B. wandern die ersten Einwohner im Juli 1877 aus den Gemeinden nach Brasilien aus, in denen der Anteil der Landbesitzer höher ist; cfr. Javier Grossutti, Da Vallegher oltreoceano. Emigranti canevesi in Brasile fine Ottocento, in Gian Paolo Gri (Hrsg.), Caneva, Udine, Società Filologica Friulana, 1997, S. 367-384. 14 Cfr. Antonio Lazzarini, Campagne venete ed emigrazione di massa (1866-1900), Vicenza, Istituto per le ricerche di storia sociale e di storia religiosa, 1981, S. 182-185. 13 En los primeros meses de 1878, comenzaron a venir muchas familias agricultoras, que habían pagado su pasaje, y traían algunos útiles de agricultura, y mucho equipaje lo que denotaban pertenecer a una clase medianamente acomodada, es decir, que no eran de los que en su país se consideran destituídos de recursos. Pero no tenían los suficientes para establecerse por su cuenta y creían poder contar con los adelantos que haría el Gobierno, al ménos, así lo habían entendido, leyendo el art. 88 de la ley [Avellaneda]. Pasado el tiempo de la cosecha, no es fácil encontrar colocación a familias con mucha prole, y sobre todo, cuando vienen en número considerable [se] ordenó que se diera cumplimiento a la ley del Honorable Congreso, poblando los terrenos de Caroya, en la Provincia de Córdoba y la Colonia Resistencia que se había trazado en el Chaco frente a Corrientes, la Colonia Sampacho en la Provincia de Córdoba y que se mandasen más familias a la de Villa Libertad en la Provincia de Entre Ríos15. Zweifellos bezieht sich der Kommissar Dillon auf die friaulischen Siedler, die in den Jahren 1877 und 1878 angekommen waren. Die Situation, die die Siedler in der Kolonie Resistencia erwartete, war jedoch nicht ohne Probleme: Esta Colonia establecida en el Chaco, en el lugar denominado San Fernando, a principio de 1878, ha sido muy contrariada; primero por las lluvias torrenciales que sobrevinieron cuando aun los colonos no estaban bien alojados, siendo tan contínuas que no se podía contar con dos días buenos. Al mismo tempo tuvo lugar una inundación como no se había visto desde el siglo pasado. Estos colonos estaban costantemente con los piés y ropas mojadas de cuyas resultas la mayor parte fueron postrados por el chucho, interrumpiéndose la censura. Apenas pasaron estos inconvenientes, los colonos se dedicaron al trabajo, pero después vino la langosta y una especie de gusano que destruyó los sembrados, particularmente a los maizales que fueron sembrados hasta tres veces. A pesar de estos inconvenientes la Colonia por su situación, clima, fertilidad de la tierra y riqueza de sus producciones, será en breve una de las más prosperas16. 15 Cfr. Juan Dillon, Familias agricultoras de Italia y del Tirol austríaco, in Memoria de… op. cit., S. 11. Cfr.Colonia Resistencia, in Memoria de… op. cit., S. 17 und S. LXIV-LXXX; zur Geschichte der Colonie siehe auch Ottorino Burelli – Sergio Gervasutti, Friuli nella Pampa, Udine, Ente Friuli nel Mondo, 1978, S. 112-118. 16 Ein zweites Kontingent friaulischer Familien trifft am 14. Januar 1878 in Buenos Aires ein : Sie wurde in zwei Gruppen geteilt, deren größere von 458 Friaulern in die kurz davor gegründete Siedlung “Presidente Avellaneda” im Norden der Provinz Santa Fe geschickt. Die übrigen Familien wurden im Hotel de Inmigrantes in Buenos Aires untergebracht, wo sie bis zum 12. März blieben, als sie schließlich in die Colonia Caroya in der Provinz Cordoba gebracht wurden17. Es ist daher wahrscheinlich, dass die erste Gruppe mit Zielort Avellaneda in denselben Tagen aufgebrochen ist wie die Familien, die schon zwei Wochen vorher in Buenos Aires eingetroffen waren und nach Resistencia sollten. Die ersten Monate nach der Ankunft in Avellaneda waren für die Siedler von ungünstigen klimatischen Bedingungen gezeichnet, vor allem von starken Regenfällen, die die Flüsse über die Ufer treten ließen und die Verbreitung der Malaria begünstigten. Nach nur wenigen Monaten, in den ersten Junitagen, baten einige Familien in Avellaneda darum, in die Colonia Caroya umgesiedelt zu werden, in der sie dann Ende Juli eintrafen. Die Situation der Siedler, die sich in Avellaneda niedergelassen hatten, scheint nicht besser gewesen zu sein als die der Siedler in Resistencia. Man könnte daher vermuten, dass – wie in der Memoria de Inmigración von 1878 – der Wunsch einiger Friauler von Avellaneda nach Caroya zu übersiedeln, damit begründet ist, dass “están lejos de los parientes que les pueden atender y que han venido con ellos, y no se integran al resto de los colonos”. Offensichtlich waren bei der Einteilung in Gruppen Familien auseinander gerissen worden. Zu den ersten 60 Familien aus dem Friaul (zirka 300 Personen), die am 15. März 1878 in Colonia Caroya eintrafen, kamen am 7. April weitere 7 hinzu sowie Ende Juli die Gruppe aus Avellaneda, im September und Dezember weitere Siedler und im Februar 1879 noch eine Gruppe von 40 Familien. Ein großer Teil der Familien, 17 Cfr. Marta Nuñez, Colonia Caroya cien años de historia, Córdoba, Editorial TA.P.AS., 1978, S. 101. die Caroya gründeten, kamen aus der Ebene um Gemona, aus Campolessi, Taboga und Campagnola18, während nur wenige aus dem österreichischen Friaul und dem italienischen Tirol (Trentino) stammten19. No fue un clima acogedor el que encontraron los colonos que llegaron a Caroya. El año anterior, había sido realmente agobiante por la sequía, que se prolongó durante 245 días. En aquel año de 1878, la última lluvia se produco el 8 de abril y a partir de entonces, comenzó a hacerse sentir la sequía, durante 183 días y recién el 8 de octubre llovió poco más de treinta milímetros […] en 1879 la seca volvió a hacerse presente durante 195 días, habiendo caído la última lluvia de aquel otoño el 16 de abril. Tendrían los habitantes de Colonia Caroya cierto aliciente en 1880, para volver a padecer en 1881 el mismo fenómeno, a partir del 27 de abril, durante 166 días. También la sequía se hizo presente en 1882, 1884, 1887, 1888 y años siguientes, y una de las oportunidades en que más se mostró implacable fue en 191620. Tatsächlich war die Wasserknappheit das größte Problem, das sich den friaulischen Siedlern in Colonia Caroya stellte. Der Bau des Kanals Nr. 1 “Huergo”, der 1930 fertig gestellt wurde, ist der erste entschlossene Eingriff, um diese Schwierigkeit zu beseitigen. Er wurde ausschließlich von den Siedlern geplant und gebaut, führt durch zirka einen Meter breite, zwei Meter hohe und insgesamt 700 Meter lange unterirdische Tunnel und sammelt Grundwasser. Die Realisierung dieses Projekts war für die Siedler mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden: “Cada metro lineal de canal representaba más de cien metros cúbicos de tierra que los colonos debieron mover una, dos, tres, cuatro y en algunos casos hasta cinco veces para 18 Cfr. Luigi Ridolfi, I friulani nell’Argentina, Udine, Arti Grafiche Friulane, 1949, S. 19; Matteo Ermacora, Coloni e pionieri gemonesi nelle Americhe. Note sulle partenze nei primi anni della “grande emigrazione” (1877-1888), in Enos Costantini (Hrsg.), Glemone, Udine, Società Filologica Friulana, 2001, S. 191-206. Zur geschichtlichen Entwicklung der Siedlung und der Erhaltung von Spuren der Herkunftskultur siehe auch Nora L. Prevedello, Identidad étnica de la comunidad caroyense de origen friulano, in Trinidad Blanco de García (Hrsg.), Presencia e identidad de los italianos en Córdoba, Córdoba, Centro de Italianística-Universidad Nacional de Córdoba, 1999, S. 101-122; Silvia Gerosa – Silvia Cattoni, El immaginario colectivo en un grupo de inmigrantes del noroeste cordobés: Colonia Caroya, in T. Blanco de García (a cura di), Presencia e identidad… op. cit., S. 123-141. 19 Cfr. Colonia Caroya, in Memoria de… op. cit., S. XLV. 20 Cfr. Efraín U. Bischoff, … Y ellos forjaron un pueblo. Historia de Colonia Caroya, Córdoba, Talleres Gráficos “La Docta”, 1968, S. 67. dejarla definitivamente en su nuevo lugar”21. Die Verbesserung der Lebensbedingungen der Siedler hing zum großen Teil vom Weinbau ab. “Die Bedeutung dieser Kolonie liegt in dem Anbau von Weinstöcken. Er besteht aus 1140 000 Pflanzen, aus denen 1894 7200 Fässer mit jeweils 200 Liter Wein produziert werden”, stellt der Inspektor der Nationalen Ländereien und Siedlungen, Augusto Margueirat fest22. Der Weinbau, der Weizen- und Maisanbau, die Produktion von Äpfeln, Pfirsichen, Birnen, Kirschen und vielen Gemüsesorten (die in Jesus Maria und in einigen Provinzen im Norden des Landes verkauft wurden) sowie die Viehzucht und die Ziegelproduktion (1887 gab es in der Siedlung 12 Ziegelöfen) waren die wichtigsten Wirtschaftszweige von Caroya. Ein paar Jahrzehnte später machte u. a. auch der Einsatz neuer technischer Geräte die Fortschritte der Siedlung deutlich. 1908 berichtet der italienische Konsul in Cordoba, Giosue Notari, während einer Reise in die Provinz Tucuman: Kaum hat man die Stadt Cordoba und die durch die Bewässerung aus dem Becken von San Rocco grün bewachsene Landschaft hinter sich gelassen, sieht man nur noch staubiges Land mit kümmerlicher Vegetation, wo nur selten kleine Herden weiden und einige ranchos (Lehmhütten mit einem Strohdach, das paja genannt wird) menschliche Präsenz verraten. Nach etwa fünfzig Kilometern wird die flache und monotone Hochebene von einigen Hügeln unterbrochen, und sofort erkennt man - wie eine Oase in der Wüste - die Siedlung Caroya, wo 4000 Italiener, gegen die Wasserknappheit kämpfend, mit Erfolg Wein und Gemüse anbauen23. 21 Cfr. Santiago C. Rizzi, Nuestra Colonia Caroya de ayer, in “El Cooperativista”, 27 giugno 1959, S. 6. Cfr. Emilio Zuccarini, Il Lavoro degli Italiani nella Repubblica Argentina dal 1516 al 1910, Buenos Aires, La Patria degli Italiani, 1910, S. 273. 23 Cfr. Giosué Notari, Le provincie argentine di Tucumán, Salta e Jujuy in relazione all’immigrazione italiana, in Ministero degli Affari Esteri - Commissariato dell’Emigrazione, Emigrazione e Colonie. Raccolta di rapporti dei rr. Agenti diplomatici e consolari, v. III, America, S. II, Argentina, Rom, Cooperativa Tipografica Manuzio, 1908, S. 137. 22 Für Emilio Zuccarini war Caroya, “das als die wichtigste Siedlung der Republik angesehen wird”, der einzige Ort in Argentinien, an dem Siedler intensive Landwirtschaft betrieben”24. Die 21 Familien, die am 10. Novembre in Genua abgereist und am 28. Dezember 1878 im Hafen von Buenos Aires eingetroffen waren, sollten die Siedlung “Presidente Avellaneda” wieder auffüllen. Am 19. Januar 1879 kamen sie dort an. Sie stammten aus dem österreichischen Friaul und gehörten zu einer Gruppe, die in Italien von dem argentinischen Konsul in Genua, Eduardo Calvari, angeworben worden waren. Über mehrere Jahren hatte Calvari mit der nationalen argentinischen Regierung verhandelt, um 2000 Bauernfamilien nach Argentinien zu bringen25. Viele Friauler hatten sich zur Auswanderung entschlossen noch bevor das Abkommen zwischen Calvari und der argentinischen Regierung offiziell unterzeichnet war. Das geschah dann schließlich am 27. März 1878. In Art. 1 dieses von Juan Dillon und Eduardo Calvari unterzeichneten Abkommens wird der Konsul in Genua bevollmächtigt, “in Italien, der Schweiz, in Savoyen und im österreichischen Tirol dreihundert Landwirte mit Familie für die Landkolonien der Republik” anzuwerben. In der Memoria de Inmigración von 1878 heißt es denn auch, dass a las familias se les ha dado colocación segun las órdenes de V. E.; estableciéndose una nueva colonia en el territorio nacional del Chaco, en la márgen izquierda del Arroyo del Rey [Avellaneda], robusteciéndose la colonia Resistencia también en el Chaco, y las de Sampacho y Caroya, teniendo en vista el fomento de los ferrocarriles nacionales, y por fin el último grupo se remitirá a Formosa, sitio designado por V. E. para la nueva capital del Chaco, 24 Cfr. E. Zuccarini, Il Lavoro degli Italiani…op. cit., S. 273. Zur Emigration aus dem österreichischen Friaul siehe Francesco Micelli, L’emigrazione dal Friuli orientale, in Furio Bianco – Maria Masau Dan (Hrsg.), Economia e società nel Goriziano tra ‘800 e ‘900. Il ruolo della Camera di Commercio (1850-1915), Mariano del Friuli, C.C.I.A.A.-Edizioni della Laguna, 1991, S. 173-190. 25 o bien al territorio de Misiones, segun lo disponga V. E. cuando sea llegado el caso26. Die Siedler wurden auf ihrer Überfahrt von Emidio Zuccheri di Cormons begleitet, der, wie sie in Genua vor ihrer Abreise schriftlich erklären, “auf dem Dampfer Pampa bis nach Buenos Aires (Südamerika) mit uns kommt, um sich über die Umsetzung der Gesetze und die Besiedlung zu informieren und zu forschen, ob die Böden so fruchtbar sind, wie man bei uns sagt”. In derselben Erklärung, die von dem Emigrationsbeauftragten Giacomo Modesti weitergeleitet und im “Giornale di Udine” vom 18. April 1879 veröffentlicht wird, bestätigen die 21 in Avellaneda eingetroffenen Familienoberhäupter, “einen schönen Ort mit allen notwendigen Voraussetzungen für eine Ansiedlung” gefunden zu haben, “d.h. ganz in der Nähe haben wir einen herrlichen und befahrbaren Fluss, den Rio Arrojo del Rey, wie auch herrliche Wälder und ausreichend Holz für die Familien, außerdem sind wir etwa eine halbe Stunde von dem Ort Reconquista entfernt, in dem es einen Arzt, Medikamente und alles andere nötige gibt, der Boden ist sehr fruchtbar”27. Diese Erklärung, in der die Charakteristiken der Kolonie in höchsten Tönen gelobt werden, ist kein Zufall und muss im Rahmen einer lebhaften Polemik verstanden werden zwischen den Befürwortern der Ausreisen nach Übersee (in diesem Falle in Auswanderungsbeauftragte) und ihren Gegnern, wie der Vertreter des Komitees des friaulischen Landwirtschaftsvereins für den Schutz der friaulischen Landwirte in Südamerika, Gabriele Luigi Pecile. Er ist der Meinung, dass „derjenige, der das eigene Land verlässt, wenigstens wissen sollte, welches Schicksal ihn erwartet, und sich, soweit es möglich ist, vor seiner Abreise über die Bedingungen, die ihm geboten werden, vergewissern sollte”28. Die Debatte wird von der Veröffentlichung einer Reihe von Briefen enttäuschter Auswanderer angeheizt. Daraufhin werden auf gekauften Seiten im “Giornale di Udine” einige wenige 26 Cfr. Familias agricultoras de Italia y del Tirol austríaco, in Memoria de… op. cit., S. 13. Cfr. Comunicato, in “Giornale di Udine”, 18 aprile 1879. 28 Cfr. G. L. Pecile, Cronaca dell’Emigrazione, in “Bullettino della Associazione Agraria Friulana”, v. I (1878), S. 8. Für eine eingehende Analyse der politischen Debatte über die Emigration nach Übersee um die Jahrhundertwende siehe F. Micelli, Emigrazione friulana (1815-1915). Liberali e geografi, socialisti e cattolici a confronto, in “Qualestoria”, 3 (1982), n. s., S. 5-38. 27 gegenteilige Aussagen abgedruckt29. Die Erklärung der Gruppe aus Avellaneda scheint in der Tat nicht ganz der Wahrheit zu entsprechen. Die Memoria de Inmigración von 1878 stellt fest, dass La falta de comunicación directa con los centros populares, será un motivo de retraso para esta y otras colonias que se funden en el Chaco. Para remediarlo en lo posible se hace indispensable la limpieza del arroyo del Rey, y el que la Colonia sea dotada de un vaporcito para el remolque, de 25 a 30 toneladas de carga y dos pequeñas embarcaciones de poco calado, para el transporte de pasageros y equipajes desde la boca del arroyo hasta el puerto de la Colonia30. Trotz der Anfangsschwierigkeiten der ersten Jahre entwickelte sich die Siedlung relativ schnell. „1910”, schreibt Don Luigi Ridolfi, “gab es über 3000 Einwohner. Zu der Zeit wurden auch neue Siedlungen gegründet, wie Villa Ocampo und Malabrigo ”, die auch im Departement von General Obligado lagen31. Während ein Teil der 300 vom argentinischen Konsul in Genua und 1879 in Übersee angekommenen Familien (zirka 130) in die Siedlung Avellaneda geschickt wurde, kamen die übrigen nach Resistencia, Caroya und Sampacho. Die letzte Gruppe wurde schließlich nach Formosa gebracht. Die Entwicklung der Colonia Gobernador Rodríguez (Sampacho) im Departement Rio Cuarto (Provinz Córdoba) war sehr mühselig. Die ersten hundert italienischen Familien, die aus dem Süden kommen, erreichen das Gebiet am 5. Mai 1875. Eine Heuschreckenplage, die vor allem Getreide- und Bohnenfelder vernichtet hatte, Wasserknappheit und harte klimatische Bedingungen führten dazu, dass etwa 29 Siehe hierzu z.B. Emilio Franzina, Merica! Merica! Emigrazione e colonizzazione nelle lettere dei contadini veneti in America Latina 1876-1902, Milano, Feltrinelli Economica, 1979; G. e A. di Caporiacco, 1877-1880 Coloni friulani in… op. cit., S. 107-175. 30 Cfr. Colonia Presidente Avellaneda, in Memoria de… op. cit., S. 18. 31 Cfr. L. Ridolfi, I friulani… op. cit., S. 24. dreißig Familien die Siedlung verließen. Um sie zu ersetzen und die Siedlung zu verstärken, beschloss die argentinische Regierung, fünfzig Familien aus der Provinz Trient zu holen, die am 19. November 1878 in Sampacho ankamen. Zu dieser Gruppe gehörten Antonio Donda und GioBatta und Francesco Bressan, die wahrscheinlich aus dem österreichischen Friaul stammten. Die erste bedeutende friaulische Gruppe (zirka 35 Familien) erreicht die Siedlung am 18. März 1879. Gegen Ende desselben Jahres beträgt die Bevölkerung von Sampacho 814 Personen, davon 159 Argentinier, 13 Franzosen, 5 Engländer, 6 Chilenen und 621 Italiener und Tiroler (Trientiner)32. 1905 liefert der Konsul Notari jedoch eine unterschiedliche Version über die Gründung und Zusammensetzung von Sampacho und erwähnt auch Friauler unter den Gründern der Siedlung. Die Siedlung Sampacho – bemerkt er – wurde von der Provinzregierung gegründet und ihre ersten Einwohner waren 130 Familien aus Süditalien und dem Friaul. In den ersten zehn Jahren musste diese Siedlung viele traurige Ereignisse überstehen: Die Überfälle der Indios hielten die Siedler in ständiger Alarmbereitschaft; die lang anhaltenden Dürreperioden; oder sturzbachartige Regenfälle, die die Ernte vernichteten; Heuschrecken und andere Übel, die die Bedingungen sehr mühselig machten. Es hagelte so häufig, dass die Versicherungen keine Prämien mehr stellten. […] Ich wollte mit einem der älteren Siedler sprechen, dessen Wagen aus Weidengeflecht – eine Erinnerung an das heimatliche Friaul – vor der Tür wartete, um ihn zur Messe zu fahren. Der alte Siedler war 68 Jahre alt und war 35 Jahre zuvor nach America gekommen. Dennoch verstand er ziemlich gut Italienisch und sprach es auch, wenn er auch lieber den heimatlichen Dialekt sprach. Als er 1875 in Sampacho angekommen war, fuhr der Andenzug einmal in der Woche33. Nach diesen Angaben des Notari wäre Sampacho der erste von Friaulern bevölkerte Ort in Argentinien. 32 Cfr., Album de recuerdos en el centenario de Sampacho 1875 – 5 de mayo – 1975, Sampacho, Municipalidad de Sampacho, 1975, S. 15-17. 33 Cfr. G. Notari, La provincia di Córdoba (Repubblica Argentina) e alcune delle sue colonie agricole, in “Bollettino dell’Emigrazione”, 22 (1905), S. 1810-1812 (teilweise verändert, der Bericht des Konsuls cav. G. Notari, später veröffentlicht in Ministero degli Affari Esteri – Commissariato dell’Emigrazione, Emigrazione e Colonie. Raccolta di rapporti dei rr. Agenti diplomatici e consolari, v. III, America, S. II, Argentina, op. cit., S. 19-135). Nach der Ankunft neuer Gruppen von friaulischen und trientiner Bauern Ende 1878 und Anfang 1879 scheint sich die Situation in der Siedlung erheblich verbessert zu haben: La mejor animación reina entre los pobladores, que hasta el presente arreglan sus diferencias pacíficamente, sin intervención de mas autoridad que la del comisario. A ello contribuye mucho la presencia de un sacerdote que los acompaña desde la fundación de la colonia y para el cual he de pedir a V. E. una subvención mensual por un tiempo determinado. La plantación de una escuela místa es reclamada con mucha urgencia. El terreno es fertilísimo34. Die Bitte um einen Schulmeister und vor allem einen Priester und daher auch um eine Schule und eine Kirche, wiederholen sich in allen Siedlungen. “La iglesia y la escuela son elementos indispensables para el progreso y desarrollo de una colonia, y su falta es causa de nostalgia en los colonos, lo que les impide trabajar y radicarse con entusiasmo estando siempre dispuestos a mudarse a otra parte”35. Die Gründung der Siedlung Formosa im so genannten mittleren Chaco erfolgt nach dem Urteil des Präsidenten der Vereinigten Staaten Rutherford B. Hayes, welcher 1878 den Territorialstreit zwischen Argentinien und Paraguay in der Folge des Kriegs zwischen beiden Ländern (1865-1870) beendet. Um die Besiedlung von Formosa voranzutreiben, überführt die argentinische Regierung zwischen April und Juli 1879 drei Gruppen aus Italien und dem Friaul dorthin. Hayes’ Urteil, das am 12 November 1878 unterzeichnet wird, teilt den umstrittenen nördlichen Teil des Chaco Paraguay zu, und die argentinischen Behörden müssen daher das Gebiet um Villa Occidental, wo sich damals die Territorialregierung des Chaco befand, verlassen. Die Wahl für den Standort einer neuen Provinzhauptstadt fällt auf Formosa, das am 8. April 1879 offiziell besetzt wird. In den folgenden 34 35 Cfr. Colonia Sampacho, in Memoria de… op. cit., S. 19 und S. LVIII-LXIII. Cfr. Colonia Resistencia, in Memoria de… op. cit., S. 17. Wochen waren die örtlichen Behörden mit der Aussiedlung der Einwohner von Villa Occidental beschäftigt, das am 14. Mai 1879 Paraguay übergeben wurde. Um die Besiedlung von Formosa, das damals unter dem Namen Vuelta Hermosa bekannt war, weiter auszubauen, beschloss die argentinische Regierung, eine Landkolonie zu gründen (die zunächst den Namen Monteagudo trug), und zwischen April und Juni desselben Jahres (am 1. April, 30. Mai und 9. Juli) brachte sie drei Kontingente von friaulischen und italienischen Bauern (zirka 160 Personen) dorthin. Darüber steht in der Memoria de Inmigración : Habiendo V. E. dispuesto que la capital del Chaco se traslade a este punto [Vuelta Hermosa], acordé también que se trace una Colonia y que se envien familias de las que el Gobierno está obligado a prestar asistencia, y en cumplimiento de lo dispuesto, he enviado recientemente trece familias con un personal de 74 individuos. Según todos los informes, Vuelta Hermosa es uno de los mejores puntos para colonizar. El terreno cultivable arranca de la misma arranca, a la que pueden atracar los vapores de mayor porte que surcan el río Paraguay, siendo el sitio de arribo forzoso para los buques de vela, e indispensable para los vapores: de manera que la colonia estará en comunicación directa y continua con la Capital, y los colonos tendrán oportunidad de entretener un pequeño commercio con sus productos de corral, huerta y lechería, lo cual entra por mucho en la prosperidad de una colonia36. Die Schwierigkeiten bei der Nutzbarmachung eines fast jungfräulichen Landes und die Trockenheit, die die Region in der ersten Zeit heimsuchte, führten dazu, dass einige Bauern die Colonia verließen und in andere Gebiete Argentiniens zogen. Der größte Teil jedoch blieb in Formosa37. Das Ehepaar Ursula Pernochi und Giuseppe Vicentini (ursprünglich Visintin) zum Beispiel waren am 11. April 1879 aus dem österreichischen Friaul nach Formosa gekommen und verließen die Kolonie 1883. Am 18. September 1887 nämlich unterschreibt Visintin, der 1853 in Gorizia geboren wurde, gemeinsam mit anderen Einwohnern der Estación Espinillos in der Provinz Córdoba eine Petition an den regierenden Minister der 36 37 Cfr. Nueva Colonia en Vuelta Hermosa, in Memoria de…op. cit., S. 18 Cfr. Alejandro Cecotto, Historia de Formosa y episodios atinentes, Formosa, Tip. J. M. Cecotto, 1957, S. 17-23. Provinz, José del Viso, in der die Siedler darum bitten, dass der Ort zur “Villa y con el nombre de Marcos Juárez”, erklärt wird “[…] en vista del progreso de esta localidad que apenas cuenta dos años de existencia y tiene ya ochenta y seis casa, todas de material cocido y formas de azotea; un molino en construcción que molerá doscientas fanegas de trigo diarias, cuyos edificios ocuparán un millón y doscientos mil ladrillos; doce casas de negocio, algunos de bastante importancia y 25 á 30 casas á construirse tan pronto que se tenga material”38. Giuseppe Visintin (der in der Petition Cosé Vicentino genannt wird), erwiese sich somit als Gründungsmitglied zweier Orte: Formosa (1879) und Marcos Juarez (1887)39. Zu den von Provinzregierungen gegründeten Landkolonien, die auch von Friaulern besiedelt worden sind, gehört außerdem Reconquista ( in der Provinz Santa Fe) am rechten Ufer des Arroyo del Rey, gegenüber von Avellaneda. Die ersten Einwohner dieser Siedlung waren elf Familien aus Wales, drei aus Frankreich und eine aus der Schweiz, die 1875 dort eingetroffen waren. Vier Jahre später, am 21. Februar 1879 siedelte die argentinische Regierung dort weitere 49 Familien an (ungefähr 300 Personen), von denen 36 aus dem Friaul kamen: die Bevölkerung von Riconquista wuchs damit auf 1900 Einwohner an40. Die Siedlung “Tres de Febrero” oder “Brugo” (heute San Benito), zirka 9 km von der Stadt Paraná entfernt, ist dagegen ein auf Privatinitiative gegründeter und von Friaulern bevölkerter Ort41. Die ersten acht Familien, die größtenteils aus dem österreichischen Friaul kamen, erreichten Paraná zwischen dem 1. und dem 13. April 1879, aber wahrscheinlich gelang es ihnen erst im Juli, das ihnen zugeteilte Land in der Siedlung in Besitz zu nehmen. 38 Cfr. Villa Marcos Juárez, in “El Interior”, 20. Oktober 1887. Cfr. Marcelo Vicentini, Historia de la Familia Vicentin. De Gorizia a Formosa y Marcos Juárez, in http://sunwc.cepade.es/~vicentin/ 40 Cfr. Colonia Reconquista, in Memoria de… op. cit., S. 21; E. Mattiussi, Los friulanos, op. cit., S. 68. 41 Zur Kolonie “Tres de Febrero” (ab 1887 Kirchengemeinde unter dem Namen San Benito) cfr. Aníbal J. González, Semblanzas de San Benito. Colonización friulana, v. I, Nogoyá, Ediciones del Clé, 2000, S. 57-82. 39 Alejo Peyret, ein französischer Reisender, der im März 1888 die Provinz Entre Rios besuchte, beschreibt die Ankunft der Friauler in “Tres de Febrero”: La base de esta colonia fueron ocho familias austríacas o furlanas, que los empresarios [Brugo] tomaron del Hotel de Inmigrantes [di Buenos Aires]. Todas estas ocho familias fueron perfectamente instaladas en la colonia, proporcionándoseles casa donde vivir, arados de primera clase, bueyes, caballos, lecheras, manutención por un año. Un avez instaladas dichas familias, estas comunicaron a Europa, por intermedio de la empresa, su arribo al país, el buen trato que han recibido e instalación completa para emprender los trabajos de las tierras; esto aparte de otros detalles que se omiten y que produjeron muy buen efecto entre las familias que deseaban emigrar a este país. El resultado de estas comunicaciones fue inmediato, puesto que a los pocos meses la empresa fue invadida por cuarenta y cinco familias, sin previo aviso, todas ellas emparentadas y amigas de las primeras familias fundadoras ; y así sucesivamente fueron llegando familias hasta que la empresa tuvo que decir : basta42. In der Tat kommen im Dezember 1879 etwa hundert vornehmlich friaulische Siedler in Paraná an. Viele von ihnen waren Angehörige oder Freunde derer, die im April gekommen waren43. Sie wurden in der kurz zuvor gegründete Colonia Municipal am Rande der Stadt untergebracht, nicht weit von dem Ort “Tres de Febrero”: “Estas dos colonias –bemerkt Alejo Peyret 1888- en realidad son una sola”. Weitere Landkolonien, die von Privaten gegründet und besiedelt wurden, und an denen auch Friauler beteiligt waren, sind z.B. die Colonia Ortiz (1885 gegründet, zirka 20 km nördlich der Stadt Rosario), Colonia Ricardone (1890 gegründet, 25 km von San Lorenzo) und Colonia Jesus Maria (nicht weit von Rosario, wo sich 1878 fünf Familien aus Martignacco niederließen) in der Provinz Santa Fe44. In den letzten Jahren der Siebziger und den ersten der Achtziger des 19. Jh.’s findet 42 Cfr. Alejo Peyret, Una visita a las colonias de la República Argentina, v. I, Buenos Aires, 1889, S. 177. Zu den im November angekommenen Siedlern gehören auch einige slowenische Familien aus dem Gebiet um Grorizia, cfr. Carlos C. Bizai, Crónica de una familia eslovena en Entre Ríos (157 años de historia, 122 años en la Argentina), Buenos Aires, 44 Cfr. E. Mattiussi, Los friulanos, op. cit., S 92-93. 43 man überall in Argentinien verstreut Siedler aus dem Friaul - Einzelne, Familien und Gruppen – vor allem in den Gebieten um Santa Fe, Cordoba, Entre Rios, Chaco und Buenos Aires. “Caroya, Resistencia mit ihren Ablegern im Chaco, Avellaneda mit Ocampo, Malabrigo und Reconquista sowie San Benito sind die klassischen Siedlungen der Friauler. In ihnen haben sie sich den Ruf hervorragender Siedler von unangefochtener moralischer Größe erworben, denen unser kleines Vaterland ewig dankbar sein sollte und die es wie heldenhafte Pioniere verehren sollte. Aber wir dürfen auch nicht die kleineren Ansiedlungen friaulischer Bauernfamilien jüngeren Datums in den Provinzen und Gebieten der Republik Argentinien vergessen“, bemerkt Don Luigi Ridolfi 1949. Dieser friaulische Schiffskaplan, der unter den von Friaulern bewohnten Siedlungen jedoch Sampacho und Formosa vergißt, zählt dagegen Ceres, Armstrong, Rafaela, Elortondo und Las Rosas (in der Provinz Santa Fe) dazu sowie Santo Tomé (in der Provinz Corrientes)45. Die Berichte und die Briefe der friaulischen Bauern aus Argentinien, die das “Bullettino della Associazione Agraria Friulana” 1878 veröffentlichte, sind ein nützliches Instrument, um weitere Siedlungsgebiete zu idenitfizieren: aus Rosario di Santa Fe zum Beispiel schreiben Luigi Basso aus Arzene und Nani Partenio aus Pozzo di San Giorgio della Richinvelda; aus Gualeguaychú (Entre Ríos) ein Panizzut aus Budoja; aus San Lorenzo (Santa Fe) Giuseppe Coletti aus Fagagna; aus Candelaria (Privatkolonie in der Provinz Salta) Giovanni Stremiz aus Faedis. Tabelle 1 – Abgewanderte aus der Provinz Udine nach Jahr und Bestimmungsort im Ausland (1876-1914) und Heimkehrer aus Argentinien in der Provinz Udine (1905-1914) Gesamt Europa 1876 1877 1878 45 17.561 17.169 18.036 17.561 16.769 15.395 Argentinien 400 2641 Cfr. L. Ridolfi, I friulani…op. cit., S. 26. Heimkehrer aus Argentinien 1879 1880 1881 1882 1883 1884 1885 1886 1887 1888 1889 1890 1891 1892 1893 1894 1895 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914 16.740 17.507 19.776 20.816 27.839 28.491 25.711 27.042 32.774 35.917 38.148 39.134 36.961 39.785 43.008 48.323 43.729 42.122 45.563 51.036 55.898 43.428 50.082 45.631 49.761 24.370 36.155 32.958 32.816 30.815 28.598 32.138 34.183 36.331 37.179 42.462 15.194 16.538 19.439 20.292 25.987 25.387 23.699 25.744 29.292 31.422 34.186 38.001 36.480 38.754 42.121 47.550 42.866 41.398 44.706 50.571 55.485 43.256 49.448 45.069 49.251 23.660 35.567 30.943 31.531 30.247 26.911 30.751 33.270 35.763 33.473 42.208 1546 969 337 513 1.820 3.104 2.012 1.298 3.482 4.495 3.962 1.133 481 1.031 887 773 863 724 857 465 413 172 634 562 510 710 588 2.015 1.285 568 1.687 1.387 913 568 3.706 254 304 455 599 624 656 623 847 867 1.097 945 Quelle: Ministerium für Landwirtschaft, Industrie und Handel, Statistica dell’Emigrazione Italiana, anni 1876-1914; Commissariato Generale dell’Emigrazione, Annuario statistico dell’emigrazione italiana dal 1876 al 1925, Rom, 1926, S. 831-867. N. B. Die Daten über die Heimkehrer werden erst ab 1905 berechnet. Die Auswanderung um die Jahrhundertwende: Die Ankunft in der Stadt Nach den achtziger Jahren des 19. Jh.’s werden die Auswanderungen langsam immer weniger und um die Jahrhundertwende erhält das Phänomen ein neues Gesicht. Von nun an bevorzugen die Friauler die Hauptstadt Buenos Aires oder zumindest die Provinzhauptstädte wie Cordoba oder das in starkem Aufschwung begriffene Rosario in der Provinz Santa Fe. Das ergibt sich u. a. aus den Antworten der Bürgermeister der damaligen Provinz Udine auf die Fragen “Zu den Gründen und Merkmalen der Emigration im eigentlichen Sinne des Wortes“, d. h. die endgültige Auswanderung. Diese Studie wurde 1884 und 1888 von dem Ministerium für Landwirtschaft, Industrie und Handel eingeleitet und untersucht die Zahl der Friauler, die in jenem Zeitraum endgültig das Land verlassen haben, und schenkt den Motiven, die zur Emigration führten, sowie der wirtschaftlichen Situation der Emigranten im Heimatland und im Ausland besondere Aufmerksamkeit. Das Land, welches am häufigsten genannt wird als das Land, „in dem die Emigranten sich im allgemeinen zu ihrem Vorteil haben einrichten können”, ist Argentinien. Die am häufigsten angeführten Zielorte der Emigranten sind, wie gesagt, Buenos Aires, Rosario, Cordoba und Santa Fe. Nur eine kleine Anzahl von Friaulern dagegen geht nach Uruguay. 1885 zum Beispiel sind die Mitglieder der Krankenkasse, die aus Venetien, Tirol oder dem Friaul stammen, in der Hauptstadt Montevideo nur 4% der Gesamtzahl46. In der Studie über das Jahr 1888 liefern die friaulischen Bürgermeister auch Hinweise zu den Berufen, die die Emigranten in Übersee ausführen. Neben den Bauern gibt es nun auch Maurer, Ziegelbrenner, Steinmetze, Schmiede und Hufschmiede sowie Schneider: das deutet darauf hin, dass die Städte nunmehr das 46 Cfr. Giosuè E. Bordoni, Montevideo e la Repubblica dell’Uruguay. Descrizione e statistica, Milano, Fratelli Dumolard, 1885, S. 95; Silvia Rodríguez Villamil – Graciela Sapriza, La inmigración europea en el Uruguay. Los italianos, Montevideo, Ediciones de la Banda Oriental, 1983, S. 101-102. Zu den Merkmalen der italienischen Emigration nach Uruguay in der Zeit vor der Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre siehe Maria Magdalena Camou – Adela Pellegrino, Dimensioni e caratteri demografici dell’immigrazione italiana in Uruguay, 1860-1920, in Aa.Vv., L’emigrazione italiana e la formazione dell’Uruguay moderno, Torino, Edizioni della Fondazioni Giovanni Agnelli, 1993, S. 37-75; Juan Antonio Oddone, La politica e le immagini dell’immigrazione italiana in Uruguay, 1830-1930, in Aa.Vv., L’emigrazione italiana e la formazione… cit., S. 77-119. Land als Emigrationsziel ersetzt haben. Im Bezirk Codroipo zum Beispiel gibt der Bürgermeister des Ortes Rivolto an, dass sich 18 Emigranten aus seiner Gemeinde in Buenos Aires befinden, „als Träger in den Holzlagern, und die Arbeitsvermittlung hat leicht gute Stellen für Maurer, Schmiede und Ziegelbrenner“ gefunden; die Tischler aus Bertiolo dagegen „fanden leicht gut bezahlte Arbeit“ in Rosario di Santa Fe47. Die Friauler scheinen demnach nicht ihre Landsleute aufzusuchen, die ein Jahrzehnt früher in die Landkolonien ausgewandert waren, sondern finden Beschäftigung in den im Wachstum begriffenen Städten. Um die Jahrhundertwende ist es daher offensichtlich, dass immer mehr Personen in städtische Ansiedlungen auswandern und im Baugewerbe arbeiten. Die Ausschiffungslisten im Hafen von Buenos Aires (Lista de inmigrantes: entrada de ultramar) liefern nützliche Informationen über die wichtigsten Merkmale der friaulischen Gruppe. Diese Listen werden von der Schifffahrtsgesellschaft ausgefüllt, vom Kapitän unterschrieben und von der Einwanderungsbehörde abgestempelt. Sie sind chronologisch angelegt in Bezug auf das Ankunftsdatum des Schiffes im Hafen von Buenos Aires. Die Reisenden sind nach der Reiseklasse und Familiengruppe eingetragen; die Spalte “Bemerkungen“ gibt Auskunft, ob der Passagier Einwanderer ist oder nicht, ob er eine im voraus bezahlte Fahrkarte hat und ob er in anderen Häfen als Buenos Aires an Land geht. Die Formulare enthalten auch die vollständigen Daten des Schiffes: Name, Flagge, Matrikel, Registertonnen, Name des Kapitäns und des Schiffsarztes, Mannschaft. Bis zum Jahr 1914 erfolgte das Ausfüllen der Formulare handschriftlich und unterschiedslos in spanischer, italienischer, französischer, englischer oder deutscher Sprache, manchmal wurden mehrere Sprachen vermischt (besonders was die Schreibweise der Eigennamen betrifft). Daher ergeben sich häufig Schwierigkeiten bei der Interpretation von Vor- und 47 Cfr. Ministero di Agricoltura Industria e Commercio, “Statistica dell’emigrazione italiana all’estero”, in Bianca M. Pagani, L’emigrazione friulana dalla metà del secolo XIX al 1940, Udine, Arti Grafiche Friulane, 1968, S. 134153. Nachnamen und auch bei der Berufsbezeichnung48. Dennoch handelt es sich um eine sehr ausführliche Dokumentation, die auf italienischer Seite mit den Einwohnerlisten der friaulischen Meldeämter verglichen werden könnte, wodurch man Abfahrtsorte, Dauer der Überfahrt und die Existenz von besonderen Migrationsketten oder –netzen herausfinden könnte. Denn erst ab 1923 geben die argentinischen Behörden systematisch den Geburtsort der Einwanderer an. Allerdings ist das Centro de Estudios Migratorios Latinoamericanos (CEMLA) in Buenos Aires (das ein Inventar und eine Klassifizierung der Dokumente erstellt und sie in den Computer gespeist hat) in der Lage, für das Jahr 1910 auch den Geburtsort der von Bord Gegangenen anzugeben. Von jedem Passagier werden Vor- und Nachname, Verwandtschaftsgrad, Alter, Geschlecht, Familienstand, Beruf, Religion, Bildungsgrad, Reiseklasse an Bord, Erkennungsnummer des Schiffes und Ankunftsdatum notiert. Nach der Datenauswertung des CEMLA sind 1910 im Hafen von Buenos Aires 270 Friauler von Bord gegangen, davon 171 aus Orten der heutigen der Provinz Udine und 99 aus der Provinz Pordenone. In beiden Fällen sind es mehr Männer (210) als Frauen (60). Von 185 Personen ist der Beruf bekannt, darunter sind die Maurer (55) die Mehrheit, gefolgt von Landarbeitern (39), Bauern (24), Arbeitern (18), Tagelöhnern (6) und Steinmetzen (5). Demnach überwiegen Berufe aus dem Baugewerbe. Unter den Personen, von denen der Geburtsort bekannt ist, kommen die meisten aus Artegna und Montenars (in den julischen Voralpen) und aus Cordenons (in der Ebene von Pordenone), nämlich jeweils 21, 17 und 18 Personen. 48 Cfr. Luigi Favero, Le liste di sbarco degli immigrati in Argentina, in “Altreitalie”, 7 (1992), S. 134-135. Tabelle 2 – Nach Argentinien und Uruguay ausgewanderte Italiener nach geographischer Herkunft (1882-1901) 1882 – 1886 Region Arg. 1887 – 1891 % Urug. % Arg. % Urug. 1892 - 1896 % Arg. 1897 - 1901 % Urug. % Arg. 1882 - 1901 % Urug. % Arg. % Urug. % Nordwestitalien 87.414 57% 2.313 42% 101.035 41% 4.627 45% 77.100 41% 2.413 45% 61.118 28% 865 17% 326.667 41% 10.218 39% Ost- und Mittelitalien 27.120 18% 276 5% 65.456 27% 1.595 16% 41.260 22% 311 6% 42.252 20% 376 7% 176.088 22% 2.556 16% Süditalien und 38.761 25% 2.884 53% 79.943 32% 4.038 39% 69.124 37% 2.614 49% 111.702 52% 3.960 76% 299.530 37% 13.496 51% Inseln Gesamt 153.295 100% 5.473 100% 246.434 100% 10.260 100% 187.484 100% 5.335 100% 215.072 100% 5.201 100% 802.285 100% 26.272 100% Quelle: Direzione di Statistica – Statistica dell’emigrazione, Rom, 1883-1902. Nordwestitalien: Piemont, Lombardei, Ligurien Ost- und Mittelitalien: Venetien, Emilia Romagna, Marken, Latium, Umbrien, Toskana, Molise, Kampanien Süditalien und Inseln: Basilicata, Kalabrien, Sardinien, Apulien, Abruzzen Aus: Fernando Devoto, La emigración italiana a Argentina y Uruguay en el siglo XIX. Un enfoque comparado, in Id., Estudios sobre la emigración italiana a la Argentina en la segunda mitad del siglo XIX, Neapel, Edizioni Scientifiche Italiane, 1991, S. 37. In allen drei Fällen überwiegen eindeutig die Maurer: in Artegna (7) und Cordenons (6) haben genau ein Drittel der Auswanderer diesen Beruf, in Montenars zwei Drittel (13). Ein großer Teil der Maurer aus den Voralpengemeinden (27 Personen) geht gemeinsam in Genua an Bord und erreicht Buenos Aires am 22. April 1910 an Bord der „Principessa Mafalda“49. Wahrscheinlich haben die Maurer aus Artegna und Montenars beschlossen, nach Argentinien zu gehen, weil gerade in den drei Jahren von 1909-1911 in den Ländern Mitteleuropas die Arbeit knapp war. Diese Annahme wird z.B. auch durch den hohen männlichen Anteil unter den Ankömmlingen bestätigt. In beiden Dörfern ist zudem die Saisonarbeit (der Männer) im deutschsprachigen Raum schon seit den achtziger Jahren des 19.Jh.’s eine Gewohnheit. Der Entschluss, nach Argentinien auszuwandern, könnte eine Alternative gewesen sein angesichts der besonderen Wirtschaftskonjunktur. Das wäre auch die Erklärung dafür, weshalb wir am Anfang des 20. Jh.’ s zwei Arten der Emigration vorfinden: eine in nahe und bekanntere Länder (nach Deutschland und Österreich-Ungarn) und eine zweite in ferne und wirtschaftlich günstigere Gebiete (Vereinigte Staaten, Kanada und auch Argentinien)50. Diese Emigration nach Argentinien wird, auch wenn anders geplant, oft endgültig. Eine ähnliche These könnte man für Clauzetto und Vito d’Asio (in den karnischen Voralpen) aufstellen: 1910 fahren jeweils 10 ( darunter 8 Maurer und 1 Arbeiter) und 8 (4 Maurer und 4 Steinmetze) Personen aus, alle an Bord der 49 “Principessa Mafalda”51. Der Fall Cordenons dagegen verdient Die “Principessa Mafalda” wurde 1909 in Italien gebaut. Sie war ein Luxusdampfer, wie die anderen Schiffe des italienischen LLoyd, auf dem die Emigranten in der dritten Klasse reisten. Am 25. Oktober 1927 brach auf der “Principessa Mafalda” ein Feuer aus und sie sank vor der brasilianischen Küste: 314 Personen ertranken, darunter viele italienische Emigranten. 50 Cfr. F. Micelli, Stagioni, luoghi e parole: le lettere di un emigrante temporaneo (1905-1915), in Adriano D’Agostin – Javier Grossutti, Ti ho spedito Lire cento. Le stagioni di Luigi Piccoli, emigrante friulano. Lettere famigliari (1905-1915), Pordenone, Edizioni Biblioteca dell’Immagine, 1997, S. 26-27. 51 An der Wende vom 19. zum 20. Jh. richtet sich die Emigration aus den karnischen Voralpen im Western des Friaul vornehmlich in die Länder Mitteleuropas. 1909 bemerkt daher Picotti: “Im weiteren Bezirk von Pordeneone haben nur die Gemeinden Meduno, Tramonti di Sotto, Polcenigo und Barcis eine bemerkenswerte Abwanderung nach Amerika aufzuweisen. Und auch aus diesen Gemeinden gehen nur Emigranten aus bestimmten Ortsteilen nach Übersee. In den übrigen Gemeinden sind nur Ausnahmen zu verzeichnen gegenüber der Masse der Emigranten in europäische Länder, Ausnahmen, die sich in die Neue Welt begeben, weil sie von Briefen voller Hoffnung von Bekannten, die in America ihr Glück gefunden haben, angelockt werden. Bevorzugt werden jedoch Regionen gewählt, die weit von den Vereinigten Staaten entfernt sind ”, cfr. Guido Picotti, Le caratteristiche dell’emigrazione d’oltre il Tagliamento, in “La Patria del Friuli”, 10. September 1909. Zum Emigrationsverhalten in den Tälern Val d’Arzino und Val Colvera in den karnischen Voralpen cfr. jeweils J. Grossutti, L’emigrazione dal comune di Vito besondere Aufmerksamkeit, weil dieser Ort in den zwanziger und dreißiger Jahren die mit Abstand höchste Zahl an Auswanderern aus dem Friaul nach Argentinien stellt. Die Emigranten am Anfang des Jahrhunderts scheinen also den Weg für die spätere Auswanderung in das lateinamerikanische Land unmittelbar nach dem Kriege frei zu machen. In diesem Sinn scheint der Weltkonflikt keinen Bruch darzustellen, auch wenn der Migrationsfluss nach Argentinien nun von Emigranten mit neuen Berufen getragen wird52. Im Gegensatz dazu ändern sich die Ziele der Auswanderung in europäische Länder vollkommen; aber es bleibt noch lange eine Auswanderung „auf Zeit“53. In Cordenons setzt sich Argentinien als bevorzugtes Auswanderland erst in den ersten Jahren des 20.Jh.’s durch. Guido Picotti, Inspektor des Arbeitsamtes der Provinz Udine, der in den Jahren 1909 und 1910 eine Reihe von Untersuchungen über die Merkmale und Probleme der friaulischen Emigration durchführt, rechnet Cordenons zu den Gemeinden der Ebene jenseits des Flusses Tagliamento: “sie bilden ein mehr oder weniger starkes Kontingent von Auswanderern nach Nord- und Südamerika, je nach Beruf”54. Für Picotti war der vorherrschende Beruf der Emigranten aus Cordenons der des Maurers55. Der Cordenonese Luigi Bidinost z.B., der in der Emigration Bauunternehmer wird, kommt 1911 in Buenos Aires an. Er führt zunächst mit der Firma „Gebrüder Bidinost“ und in den vierziger Jahren allein zahlreiche Arbeiten für die Kühlschrank-, Textil- und Parfümerie- und Papierindustrie aus, baut Brücken und Straßen in dem Ort Chacabuco in der Provinz Buenos Aires. Was aber Luigi Bidinost besonders auszeichnete, war die Tatsache, dass seine Firma in den frühen zwanziger Jahren zahlreiche in Argentinien eingetroffene Auswanderer aus Cordenons einstellte. d’Asio nel secondo dopoguerra, in Manlio Michelutti (a cura di), As. Int e Cjere, Udine, Società Filologica Friulana, 1994, S. 247-258; J. Grossutti, Le comunità di Frisanco all’estero. Traccia per un’anagrafe, in Novella Cantarutti (Hrsg.), “Commun di Frisanco”. Frisanco – Poffabro – Casasola, Maniago, Comune di Frisanco, 1995, S. 277-294. 52 Cfr. F. Devoto, Italiani in Argentina: ieri e oggi, in “Altreitalie”, 27 (2003), S. 4-17. 53 Cfr. J. Grossutti, Le scelte migratorie a Tavagnacco, Feletto Umberto e Pagnacco: tra Francia e Argentina (1919-1939), in J. Grossutti – F. Micelli (Hrsg.), L’altra Tavagnacco. L’emigrazione friulana tra le due guerre, Atti della giornata di studio Feletto Umberto 24 marzo 2000, Udine, Comune di Tavagnacco, 2003, S. 99-161. 54 Die Artikel von Guido Üicotti über die Probleme der friaulischen Emigration erschienen in der Tageszeitung “La Patria del Friuli” zwischen Juli 1909 und März 1910; cfr. J. Grossutti, L’emigrazione dal Friuli. Saggio bibliografico, in Adriano D’Agostin – Javier Grossutti, Ti ho spedito Lire cento… cit., S. 294-296. 55 Cfr. G. Picotti, Le caratteristiche dell’emigrazione d’oltre… op. cit. 1910 – Eine Fotographie der Gemeinschaft aus Julisch Venetien In der schon zitierten Untersuchung des Centro de Estudios Migratorios Latinoamericanos (CEMLA) über die Ankömmlinge im Hafen von Buenos Aires 1910 taucht eine äußerst kleine Gruppe von Emigranten aus JulischVenetien auf: es handelt sich danach um zirka 12 Personen aus Gradisca d’Isonzo, Trieste und Gorizia56. Diese Untersuchung des CEMLA, wie auch die Ergebnisse einiger jüngerer Studien über die Merkmale der Migrationen aus Julisch-Venetien in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, bestätigen die geringe Bedeutung der julischen Migrationsflüsse in Überseeländer im allgemeinen und nach Argentinien im besonderen. Julisch-Venetien erlebte während des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs eine Zeit des Aufschwungs und war Einwanderungsgebiet auch für Friauler (das betrifft besonders Triest und später, in geringerem Maße, auch die Industriegebiete von Gorizia und Monfalcone sowie den Hafen von Fiume). Erst nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg wird es auch Auswanderungsgebiet: In beiden Fällen war der Hauptgrund für die Auswanderung politischer Natur.. Die Emigration in den Jahren 1920-1930 Das Ende des Ersten Weltkriegs stellt die Friauler erneut vor die Entscheidung, in der Emigration ihr Glück zu suchen. Unter den Überseeländern nimmt Argentinien und in Europa Frankreich nach 1919 die größte Zahl an Friaulern auf. Einige Orte, wie Pantianicco und Cordenons schicken einen wesentlichen Anteil ihrer Bevölkerung in das südamerikanische Land, wo die Emigranten große und charakteristische 56 Cfr. Alicia Bernasconi, Los giuliani en la Argentina: una inmigración singular, relazione al convegno di studio Storia e caratteristiche dell’emigrazione giuliana nel mondo, Trieste 23-24 gennaio 1996, S. 9 (unveröffentlicht). Gemeinschaften bilden, die ein Bezugspunkt für viele Emigranten werden, die nach dem Zweiten Weltkrieg über den Atlantik kommen57. In den zwanziger und dreißiger Jahren nimmt der Migrationsfluss bemerkenswerte Dimensionen an: “Kaum waren die Kommunikationswege über den Ozean wieder frei, da kam schon aus Südamerika die Nachfrage nach Arbeitskraft; so gingen viele Menschen aus dem mittleren und unteren Friaul, besonders rechts des Taglaimento, nach Argentinien. Den ersten Platz bei diesem Exodus nimmt sicher Cordenons ein, aus dem 1919 und 1920 mehr als tausend Personen fort gingen”, schreiben Onorato Lorenzon und Piero Mattioni58. Ein sehr hohe Zahl, wenn man bedenkt, dass die Volkszählung von 1921 die gemeldeten Einwohner in der Gemeinde mit 9336 angibt (wovon 8337 tatsächlich dort wohnen). Alte und neue Emigranten lassen sich in dem Viertel Avellaneda, an der südlichen Peripherie von Buenos Aires nieder, wo sie eine auffallend große Bevölkerungsgruppe darstellen. „Wenn Sie den Riachuelo überqueren und die große Avenida Mitre (eine Hauptstraße von Avellaneda) entlang gehen, lesen Sie „Firma Bidinost“, „Firma Scian“, „Firma Gardonio“ usw. usw.”, berichtet Don Luigi Ridolfi 1949: es handelt sich um typische Nachnamen aus Cordenons59. “Nach Cordenons hat kein anderer Ort aus dem Friaul so viele Emigranten in Argentinien wie Pantianicco und Bertiolo. Bertiolo hat zirka eintausend, und der älteste Emigrant in der Geschichte unserer Emigration nach Argentinien ist wahrscheinlich Malisan Alessandro aus Bertiolo, der 1865 auswanderte und eine Pension in der Boca besaß. Pantianicco hat zwischen 800 und 900“, fügt Don Luigi Ridolfi hinzu60. Der Fall Pantianicco und seine Migrationen nach Argentinien bietet reichlich Stoff zum Nachdenken. Zum einen ermöglicht er, die strukturellen Bedingungen und die quantitativen Faktoren der Emigration zu untersuchen und 57 Cfr. J. Grossutti, L’altra Cordenons. Folpi ad Avellaneda – La otra Cordenons. Folpi en Avellaneda, in I. Zannier (a cura di), Cordenons Avellaneda. Caratteri e fotografie di un’emigrazione, Pordenone, E.F.A.S.C.E. – C.R.A.F., 1998, S. 7-11 58 Cfr. Onorato Lorenzon - Piero Mattioni, L’emigrazione in Friuli, Udine, Amministrazione Provinciale di Udine, 1962, S. 54 59 Cfr. L. Ridolfi, I friulani…op. cit., S. 29. 60 Cfr. L. Ridolfi, I friulani… op. cit., S. 44. damit die Perspektive von dem friaulischen Pantianicco zum argentinischen Pantanicchio zu verschieben. Zum anderen verlaufen nur selten Migrationen in so gut gezeichneten und beispielhaften Formen. Die Besonderheit der Auswanderer Pantianiccos, die über Jahre hinweg die Krankenhäuser von Buenos Aires zu dem Ziel ihrer Migration wählen, tritt aus den Erzählungen der Nachkommen ihrer Hauptdarsteller hervor. Luigi Della Picca, 1850 in Pantianicco geboren, kommt im Alter von 28 Jahren das erste Mal nach Buenos Aires. Ein Jahr später kehrt er in den Heimatort zurück und 1887 geht aus dem Melderegister von Mereto di Tomba hervor, dass er wieder nach Argentinien gegangen ist. Um 1890 tritt er eine Stelle im italienischen Krankenhaus von Buenos Aires an, wo er Erster Krankenhelfer im Operationssaal wird. Häufige Rückkehr in die Heimat und erneute Reisen nach Übersee zeichnen die Migration von Luigi Della Picca aus. Er wird ein Bezugspunkt und Beispiel für die vielen Landsleute, die in den ersten Jahren des 20. Jh. ‘s und in den zwanziger und dreißiger Jahren nach Buenos Aires kommen: Die meisten finden im italienischen Krankenhaus Arbeit, alle zunächst als Hilfskräfte, viele später als qualifizierte Krankenhelfer. Tabelle 3 – Abmeldungen aus der Provinz Udine nach Jahr und Ziel im Ausland (1919-1938) Gesamt 1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 1928 1929 1930 1931 1932 1933 1934 4.531 26.587 15.649 32.268 35.867 36.811 27.356 22.317 16.890 13.654 15.273 28.902 13.422 5.465 4.862 4.004 Europa und Mittelmeerraum 3.052 20.986 11.293 28.751 28.212 31.156 23.373 16.779 9.149 10.706 13.029 25.852 11.686 4.715 4.195 3.017 Amerika Argentinien 1.470 5.583 4.317 3.485 7.623 5.447 3.597 5.251 7.292 2.783 2.125 2.892 1.679 689 562 744 354 860 1.661 2.256 4.844 3.911 2.445 3.671 5.004 1.598 1.196 2.042 1.125 426 322 445 Rückkehrer aus Argentinien 1935 1936 1937 1938 5.517 3.512 5.339 4.300 3.687 2.165 3.396 3.323 (Übersee) 1.830 1.347 1.943 977 Quelle: 1919-1920: Ministero per il lavoro e la previdenza sociale (Statistica dell’Emigrazione Italiana per l’Estero); 1921-1925: Commissariato Generale dell’Emigrazione (Annuario statistico dell’emigrazione italiana dal 1876 al 1925, Rom, 1926, S. 1404 und ff.); 1926-1938: Istituto Centrale di Statistica (Statistica delle migrazioni da e per l’estero). Bis zum Ersten Weltkrieg zeichnet die berufliche Spezialisierung die Emigration nach Argentinien aus, und in den zwanziger und dreißiger Jahren trifft das noch verstärkt zu. In der ersten Nachkriegszeit holen die Männer ihre Familien nach: auch die Frauen finden Arbeit in den argentinischen Krankenhäusern und die Auswanderung wird damit endgültig. Im Vergleich zu der Zeit vor dem Krieg steigt der Migrationsfluss erheblich. Von 1919 bis 1932 ziehen laut Einwohnermeldelisten der Kommunen 285 Personen aus Pantianicco nach Argentinien fort. Zwischen 1921 und 1931 nimmt folglich die Einwohnerzahl um 27,7% ab, genauer gesagt, sie sinkt von 1222 auf 883 ( - 339). Die Arbeit in der Ferne ermöglicht recht, manchmal sehr gute Lebensbedingungen, in jedem Fall bessere als das Heimatland bieten kann. Die Emigration „auf Zeit” und “mit Ziel”, die für die Zeit vor dem Weltkrieg kennzeichnend zu sein scheint, und die nach der Phase der Arbeit in den argentinischen Krankenhäusern die Rückkehr zur Arbeit auf dem heimischen Ackerland beinhalten würde, ist nicht mehr tragbar. Der Gegensatz von diesen beiden Modellen, das Stadtleben einerseits und das Leben auf dem Lande andererseits, hält viele Auswanderer der zwanziger und dreißiger Jahre in Argentinien zurück. Im übrigen rät die Konsolidierung des Faschismus von einer Rückkehr in die Heimat ab. Zwischen den Kriegen arbeiten immer mehr Auswanderer aus Pantianicco in den Krankenhäusern von Buenos Aires, und zwar nicht nur in der Stadt selbst, sondern auch im Inneren der Provinz. In der Hauptstadt arbeiten sie als Krankenhelfer und vor allem Krankenschwestern, Arbeiter in der technischen Wartung, Pflegehelfer, Pförtner und Fahrer im Italienischen Krankenhaus, im Krankenhaus “Bernardino Rivadavia”, im Institut für Geisteskrankheit, im Kinderkrankenhaus “Ricardo Gutierrez”, im Krankenhaus “Parmenio Pinero”, im Sanatorium Tornu und im Sanatorium “Ottamendi Mirali”. Abele Mattiussi (1993: 41) betont, dass in den zwanziger Jahren 154 von 291 Friaulern, die im italienischen Krankenhaus in Buenos Aires arbeiten, aus Pantianicco sind. Die anderen kommen zum größten Teil aus Bertiolo und Beano, zwei Ort in der Nähe von Pantianicco. Dieses lateinamerikanische Land übt seinen Reiz nicht nur auf die Einwohner von Cordenons und Pantianicco aus, sondern auch auf viele andere Friauler. Es handelt sich jedoch um Auswanderungen, die nicht aus rein ökonomischen Gründen stattfinden. Die meisten Friauler, die zwischen den Kriegen auswandern, gehen nach Frankreich; die Vereinigten Staaten und Kanada bieten in dieser Zeit die besseren Einkommen; aber Argentinien ist das einzige Land, in dem es möglich ist, seine Identität zu bewahren. In Buenos Aires trifft man in den zwanziger und dreißiger Jahren auf das andere Friaul, dort kann man ein Netz von Angehörigen und Bekannten weben und sich beschützt fühlen. Das gibt es in den anderen Ländern nicht. 1924 – Entstehung der Kolonie Regina In den zwanziger Jahren werden außerdem einige Landbesiedlungen durchgeführt. 1924 wirbt die italo-argentinische Kolonialisierungsgesellschaft, die in der Provinz Rio Negro in Patagonien 6000 Hektar Land besitzt, 426 Bauernfamilien an: zu 90% Italiener, darunter ein hoher Anteil aus dem Friaul. Die Siedlung wurde Colonia Regina genannt (heute Villa Regina) zu Ehren der Italienerin Regina Pacini, der Frau des damaligen argentinischen Präsidenten Marcelo Torcuato de Alvear, und die Siedler sollten eine Obstplantage anbauen61. 61 Cfr. Ottorino Burelli – Sergio Gervasutti, op. cit., S. 126-138. Von 1920 bis 1930 überqueren die Friauler nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen den Ozean. Nicht wenige kommen nach Argentinien, um nicht mehr unter einem faschistischen Regime zu leben. Der Geomorphologe Egidio Feruglio und der Musiker Rodolfo Kubik, die Gewerkschaftsführer Giuseppe Tuntar und Luigi Tonet sind Beispiele politischer Emigration aus offener Opposition zum Regime62. Giovanni Minut, 1895 in Visco geboren und ehemaliger Provinzsekretär der Landarbeitergewerkschaft erreicht nach kurzem Aufenthalt in Argentinien Uruguay: In den dreißiger Jahren wird er technischer Leiter des Milch- und Käsewerks “Conaprole” in Montevideo, der größte private Industriebetrieb in diesem Land63. Diese politische Emigration betrifft auch viele, die vorher in mitteleuropäischen Ländern gearbeitet hatten und dort Formen sozialer und politischer Emanzipation kennen gelernt hatten, die der Faschismus systematisch zu beseitigen versuchte. Der latente und der militante Antifaschismus finden Lebensraum außerhalb Italiens, in einem Land, das damals ein “Vaterland der Freiheit” darstellte. 1929 zum Beispiel gründet der Kommunist Giovanni Topazzini gemeinsam mit einigen antifaschistischen Emigranten, die der Gesellschaft “Famiglia Friulana” in Buenos Aires angehören (im Novembre 1927 gegründet) die “Lega Proletaria Friulana”, die sich Anfang der dreißiger Jahre auf Grund der repressiven Maßnahmen der Militärregierungen unter José Felix Uriburu und Augustin Pedro Justo auflöst. Am 4. August 1932 gründen vierzig friaulische Emigranten die „Unione Operaia Friulana“, die laut Artikel 4 ihres Statuts „keiner politischen Partei oder religiösen Organisation angehört, sondern eine reine Arbeiterorganisation ist und daher den proletarischen Antifaschismus der italienischen Emigration unterstützt64. Die Unione Operaia Friulana ist eine der aktivsten regionalen Vereine in der antifaschistischen Propaganda. 1935 62 Cfr. Vittorio Balanza, Rodolfo Kubik. Compositor y músico, Buenos Aires, Asociación Dante Alighieri, 1993; J. Grossutti, Una scelta difficile. Egidio Feruglio in Argentina, in Id. (Hrsg.), Egidio Feruglio. L’attività scientifica e gli altri doveri verso la Patria (1897-1954). Atti della Giornata di studio nel centenario della nascita, Udine, Comune di Tavagnacco, 1997, S. 85-115 63 Cfr. Federico Snaidero, Giovanni Minut (1895-1967). L’esperienza politica e di lavoro nell’emigrazione, in F. Cecotti – D. Mattiussi (Hrsg.), op. cit., S. 129-137. 64 Cfr. Marco Puppini, Appartenenza regionale e convinzioni antifasciste nell’emigrazione in Argentina: alcuni documenti sui casi friulano e giuliano, in F. Cecotti – D. Mattiussi (Hrsg.), op. cit., S. 109-116. beteiligt sie sich aktiv an der Organisierung des “Kongresses der Italiener im Ausland gegen den Krieg in Abessinien”. Zwischen den beiden Kriegen bilden die Angehörigen der slowenischen und kroatischen Minderheit in Julisch-Venetien einen beachtlichen Teil der Migrationsbewegung in die Überseeländer, wie die Vereinigten Staaten und vor allem Argentinien. Die Gründe für die Emigration dieser Gruppen sind sowohl wirtschaftlicher als auch politischer Natur, wobei letztere oft überwiegen65. Etwa Mitte der zwanziger Jahre nämlich werden die faschistischen Entnationalisierungsmaßnahmen gegen die Minderheiten durchgesetzt, wodurch viele slowenische und kroatische Aktivisten Verfolgungen ausgesetzt und gezwungen sind, Julisch-Venetien zu verlassen. Schätzungen zufolge liegt die Zahl der slowenischen und kroatischen Emigranten aus Julisch-Venetien in den zwanziger und dreißiger Jahren zwischen 100 000 und 150 000 Personen: 23 000 sind zwischen 1923 und 1937 nach Argentinien ausgewandert. Piero Purini bemerkt, dass der Grund, weshalb Argentinien (an erster Stelle unter den Zielen der Auswanderer aus Julisch-Venetien) Tabelle 4 –Abmeldungen aus Julisch-Venetien wegen Emigration nach Argentinien pro Jahr (1921-1937) 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 1928 1929 1930 1931 1932 1933 65 Fiume Gorizia Pola Triest Zara 34 146 346 326 159 30 24 9 - 689 642 1.918 1.478 998 280 99 63 219 483 1.079 1.070 596 249 86 48 3 19 11 19 16 8 0 0 959 2.427 1.239 822 266 89 88 Gesamt Julisch - Venetien 183 244 3.001 1.224 945 2.249 5.781 4.132 2.591 833 298 208 Cfr. Aleksey Kalc, L’emigrazione slovena e croata dalla Venezia Giulia tra le due guerre ed il suo ruolo politico, in “Annales. Annali di Studi istriani e mediterranei”, VI (1996), Nr. 8, S. 23-60. 1934 1935 1936 1937 Gesamt 21 105 56 69 1 1.095 5.995 6.223 3.899 77 252 312 222 460 22.935 Quelle: P. Purini, L’emigrazione non italiana dalla Venezia Giulia tra le due guerre, in F. Cecotti – D. Mattiussi (Hrsg.), op. cit. S. 101. “im Migrationsverhalten der Nicht-Italiener bevorzugtes Ziel ist, in dem Umstand zu suchen ist, dass sich erstens schon vor dem Weltkrieg in Argentinien slowenische Gemeinden gebildet hatten und zweitens, dass es ein Abkommen zwischen der italienischen und der argentinischen Regierung gab, die die Emigration, und zwar besonders die anderssprachige, in dieses Land lenkten. Die Werbekampagne, die die Slowenen aus dem Karst zur Emigration aufriefen, war wie ein Trommelfeuer und die Reedereien Cosulich und Lloyd Triestino boten den Reisewilligen starken Preisnachlass für die Überfahrten”66. Für die Friauler fließt der Strom Richtung Argentinien in den dreißiger Jahren also nicht immer gleichmäßig, aber die Tendenz ist ab 1931 eher abnehmend. Für Julisch-Venetien dagegen und besonders für die Personen slawischer Herkunft steigen die Abwanderungen in den Jahren 1920 bis 1930: 1928 z.B. reisen etwa 5800 Personen nach Argentinien ab, das ist ein Viertel aller nach Argentinien reisenden Emigranten zwischen 1921 und 1937. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Emigration, die der Faschismus vor allem nach 1927 ergriffen hat, sind in erster Linie eine Anpassung an die in den Aufnahmeländern schon errichteten Hindernisse und weniger eine strengere Kontrolle bei der Ausreise. In JulischVenetien dagegen wurde die Auswanderung der Nicht-Italiener von der faschistischen Regierung nicht nur nicht behindert, sondern mit allen Mitteln gefördert und erleichtert. 66 Cfr. Piero Purini, L’emigrazione non italiana dalla Venezia Giulia tra le due guerre, in F. Cecotti – D. Mattiussi (Hrsg.), op. cit, S. 87-107; von demselben Autor siehe auch, L’emigrazione non italiana dalla Venezia Giulia dopo la prima guerra mondiale, in “Qualestoria”, 2000, Nr. 1, S. 33-53 e Analisi dei dati statistici ufficiali italiani riguardanti l’emigrazione dalla Venezia Giulia nel periodo 1921-1938, in “Annales. Annali di Studi istriani e mediterranei”, X (2000), Nr. 20, S. 171-190. 1945 – Die Emigration nach dem Zweiten Weltkrieg Das Ende des Zweiten Weltkriegs stellt sich den Friaulern ähnlich dar wie die Situation im November 1918. Der Strom in die alten Auswanderungsländer Frankreich, Belgien, Argentinien und die Vereinigten Staaten beginnt erneut zu fließen und erweitert sich auf Länder, die, wie Kanada und in geringerem Maße die Schweiz, schon in den letzten Jahren des 19. Jh.’ s eine beachtliche Zahl von Friaulern aufgenommen hatten, um schließlich auch neue Ziele zu erreichen wie Venezuela, Australien und Südafrika. Nur wenige Friauler dagegen gehen nach Uruguay: Sie kommen z. B. aus Travesio, Cordenons, Chiusaforte, Morsano al Tagliamento, Gemona, Talmassons und Lestizza. 1951 kommt Guido Zannier aus Udine nach Montevideo, wo er später Dozent an der dortigen Universität und einer der wichtigsten Italianisten Lateinamerikas wird67. Bei den Emigranten aus JulischVenetien scheint Uruguay ein besseres Ansehen zu genießen: augenblicklich kommen die größten Gruppen aus Triest, Muggia und Foggia Redipuglia. 1945-1948 – Der argentinische Wirtschaftsboom fördert die Auswanderung In Argentinien findet in der Zeit von 1945 bis 1948 ein starkes Wirtschaftswachstum statt mit Bruttoinlandprodukts von 6,4%. einem jährlichen Anstieg des Diese günstige Wirtschaftskonjunktur nahm schnell die vor Ort zur Verfügung stehende Arbeitskraft auf und bot deshalb Raum für die Einwanderung aus dem Ausland. Das damalige industrielle Wachstum wurde von politischen Maßnahmen unterstützt, um den Handel und die produktiven Leistungskapazitäten zu 67 Cfr. Luce Fabbri de Cressatti, Guido Zannier, in Graciela Barrios – Alcides Beretta Curi – Mario Dotta, Estudios humanísticos en memoria al dr. Guido Zannier, Montevideo, Facultad de Humanidades y Ciencias de la EducaciónUniversidad de la República, 1998, S. 11-13. verbessern mit Hilfe von öffentlichen und privaten Investitionen im Manufaktursektor. Die günstige Wirtschaftskonjunktur, die die Arbeitskraft vor Ort schnell aufnahm, ließ schließlich freien Raum für die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte. Der Boom unmittelbar nach dem Krieg machte Argentinien zum Wunschziel einer großen Anzahl Europäer, die ihr eigenes Land verlassen wollten auf Grund der Wirtschaftskrise und politischen Unruhen, die das Kriegsende mit sich brachte - bemerken María Inés Barbero und María Cristina Cacopardo –. Diese Anziehungskraft war das Ergebnis mehrerer Faktoren, und in gewissem Maße gehören dazu auch die Hindernisse, die in anderen Ländern, besonders in den USA, gegen die Einwanderung aufgestellt worden waren. Ab 1946 verfolgte die argentinische Regierung eine Politik der Förderung der Einwanderung, die, auch wenn sie von selektiven Kriterien begleitet war, doch in krassem Gegensatz zur Politik der dreißiger Jahre und der Kriegszeit stand, als die Einreise von Ausländern so weit wie möglich eingeschränkt worden war68. Das erste Abkommen zwischen Italien und Argentinien zur Förderung der Einwanderung wurde am 21. Februar 1947 aufgesetzt: Es sah die Anwerbung von Einwanderern auf der Grundlage der der von der argentinischen Regierung angegebenen Bedürfnisse vor, die sich in Listen niederschlugen, welche von den italienischen Behörden ausgefüllt wurden. Das von der italienischen und argentinischen Regierung unterzeichnete Auswanderungsabkommen vom Januar 1948 setzt dann die in dem Abkommen vom Februar des vorangegangenen Jahres (das noch nicht ratifiziert war) vorgesehenen Klauseln um und fügt einige Aspekte des Convenio Comercial y Financiero hinzu, den beide Länder im Oktober 1947 unterschrieben hatten. Anfang der fünfziger Jahre tritt Argentinien zudem dem „Intergovernmental Committee for European Migration“ (IMEC) bei, dessen 68 Cfr. María Inés Barbero – María Cristina Cacopardo, L’immigrazione europea in Argentina nel secondo dopoguerra: vecchi miti e nuove realtà, in Gianfausto Rosoli (Hrsg.), Identità degli italiani in Argentina. Reti sociali. Famiglia. Lavoro, Rom, Centro Studi Emigrazione-Edizioni Studium, 1993, S. 289. Zur Ausrichtung und Wesen der italienischen Auswanderungspolitik nach dem Krieg siehe G. Rosoli, La politica migratoria italo argentina nell’immediato dopoguerra (1946-1949), in Id. (a cura di), Identità degli italiani…op. cit., S. 341-390. Aufgabe es ist, die Schirmherrschaft für den Transport bedürftiger Emigranten zu übernehmen und die europäische Emigration zu fördern. Die unterschiedlichen Anwerbungsmethoden und die Unterstützung der argentinischen und auch der italienischen Regierung scheinen aber dennoch nicht die vorgegebenen Ziele erreicht zu haben: Während des Wirtschaftsbooms kam der größte Teil der Einwanderer über andere Kanäle ins Land. Die Existenz zahlreicher Gemeinschaften europäischer Herkunft, die sich während der Zeit der Masseneinwanderung im Land niedergelassen hatten, hatte zur Folge, dass für viele der Weg über familiäre Beziehungen schneller und unbürokratischer war als die assistierte Einwanderung. Diese privaten Netze boten die Möglichkeit, während des Eingewöhnungsprozesses in der neuen Gesellschaft auf Hilfe von Freunden und Verwandten zählen zu können69. 1946 – 1952: Die Emigration der Flüchtlinge aus Istrien und Dalmatien nach Argentinien Das Ende des Krieges und das Zurücksetzen der politischen Grenzen von Julisch-Venetien setzten erneut Migrationflüsse in Bewegung. In dem Zeitraum von 1946 bis 1952 betraf das Phänomen zirka 300 000 Flüchtlinge aus Istrien und Dalmatien. „Die Vereinigten Staaten, Kanada Australien und Argentinien waren die am häufigsten gewählten ausländischen Ziele der Flüchtlinge, wohl eher wegen der von internationalen Organisationen (Catholic Relief Service, IRO, IMEC) bereit gestellten Kanäle und weniger auf Grund einer freien Entscheidung der Flüchtlinge für diese Länder.“ In der Tat: Die Migrationsbewegung der Friauler, die nach dem Krieg Argentinien erreichten, verlief bis auf wenige Ausnahmen innerhalb der sozialen Netze, die von Verwandten und Landsleuten geflochten wurden, die sich schon nach dem ersten Weltkrieg in dem Land niedergelassen hatten (z.B. durch einen sog. „Ruf“). 69 Cfr. M. I. Barbero – M. C. Cacopardo, op. cit., S. 293. Dagegen waren die Anwerbungsmechanismen, das Migrationsverhalten und die Eingliederung in die neue Wirklichkeit im Fall der Flüchtlinge aus JulischVenetien anders. Das Kriegsende und die Zurücksetzung der politischen Grenzen in Julisch-Venetien setzten erneut Migrationsflüsse in Bewegung, die in dem Zeitraum von 1946 bis 1952 zirka 300 000 Flüchtlinge aus Istrien und Dalmatien betrafen. „Die Vereinigten Staaten, Kanada, Australien und Argentinien waren die am häufigsten gewählten ausländischen Ziele der Flüchtlinge, wohl eher wegen der von internationalen Organisationen (Catholic Relief Service, IRO, IMEC) bereit gestellten Kanäle und weniger auf Grund einer freien Entscheidung der Flüchtlinge für diese Länder”70. Dagegen sind die Auswanderungsströme, die sich 1955 nach der Auflösung der alliierten Militärregierung von Triest in Bewegung setzen, das Ergebnis der schwierigen wirtschaftliche Situation, und in vielen Fällen folgen sie schon vorher eingeleiteten Wegen. 1948 – Friauler in Feuerland Der einzige Versuch assistierter Auswanderung, an dem Friauler in erheblicher Weise beteiligt sind, wurde 1948 von dem Unternehmer Carlo Corsari aus Bologna unternommen. Das Projekt, an dem 614 Personen aus allen Regionen Norditaliens teilnehmen, hat das Ziel, die Stadt Ushuaia in Feuerland auf- und auszubauen71: La empresa Borsari se especializaba en el rubro construcción de líneas ferroviarias, obras edilicias y viales, caminos, obras hidráulicas, puentes, hormigón armado y túneles. En 1948 la empresa firmó un contrato de trabajo con el Estado argentino. Refrendaron en corformidad el contrato el contralmirante Mario E. Sánchez Negrete como Director General de Construcciones Terrestres del Ministerio de Marina – Gobernador de Tierra del 70 Cfr. Giorgio Valussi, La comunità giuliana in Argentina. Analisi dei processi di mobilità geografica e sociale, in Francesco Citarella, op. cit., S. 378. Zu den Slowenen, die zwischen 1947 und 1950 nach Argentinien gehen, siehe Joseph Velikonja, Las comunidades eslovenas en el Gran Buenos Aires, in “Estudios migratorios latinoamericanos”, I (1985), Nr. 1, S. 48-61. 71 Cfr. Charles B. Hitchcock, Empresa Borsari. Italian Settlement in Tierra del Fuego, in “The Geographical Review”, 1949, Oktober, S. 640-648. Fuego y Carlo Borsari empresario italiano. Después de la firma del contrato, el empresario, a través de sus funcionarios, organizó diferentes canales de información formales e informales en la zona norte de la península italiana que operaban para el reclutamiento de la mano de obra para trabajar por cuatro años, es decir durante el período 1948 – 1952. Se seleccionaron ingenieros, técnicos y obreros de la construcción. Los mismos fueron calificados en función de criterios de buena salud, capacidades y habilidades. La propuesta migratoria para Ushuaia se articuló en una multiplicidad de aspectos tales como construir una infraestructura para un futuro desarrollo industrial de la region, controlar los recursos primarios, defender la soberanía nacional y poblar a partir de la selección de los inmigrantes72. Die Friauler (laut einigen Autoren dreihundert73), die durch das Unternehmen von Carlo Borsari Patagonien erreichen, kommen aus Povoletto, Faedis, Nimis, Martignacco: es handelt sich in den meisten Fällen um Maurer und Zimmermänner. Nach dem Zweiten Weltkrieg spielten die Migrationskanäle für die Organisierung der Ströme und die Reduzierung der persönlichen und sozialen Kosten bei den ersten Schritten in der neuen Wirklichkeit eine entscheidende Rolle: Die Herkunftsgebiete haben daher dasselbe Muster wie die der zwanziger und dreißiger Jahre: Cordenons, Pantianicco, Bertiolo, Carpeneto, Pozzuolo del Friuli, Jalmicco, Plaino, Ampezzo74. Bis Anfang der fünfziger Jahre zeigte die politische und wirtschaftliche Situation in Argentinien noch keine Zeichen von Unwohlsein. Aber nach 1953 zeigt sich unter dem peronistischen Regime die Schwäche einer Wirtschaftspolitik, die, wie Halperin Donghi schreibt, “nur in Perioden des Aufschwungs funktionieren konnte”75. Und die Friauler zogen trotz eines breiten konsolidierten Netzes von 72 Cfr. Juana Alejandra Coiçaud, La migración ‘individual y colectiva’ de los friulanos en Patagonia. Estudio de dos casos: Comodoro Rivadavia y Ushuaia 1948-1970 (unveröffentlicht). 73 Cfr. E. Mattiussi, Los friulanos, op. cit., S. 103. 74 Zur Erfahrung der Emigranten aus Pozzuolo del Friuli und Carpeneto nach Argentinien cfr. L’emigrazione nel territorio comunale di Pozzuolo del Friuli, in J. Grossutti (Hrsg.), Chei di Puçùi pal mont. I pozzuolesi nel mondo, Udine, Comune di Pozzuolo del Friuli, 2004, S. 7-27; für das Beispiel von Plaino cfr. Id., Le scelte migratorie a Tavagnacco, Feletto Umberto e Pagnacco: tra Francia e Argentina (1919-1939), in J. GROSSUTTI – F. MICELLI (Hrsg.), L’altra Tavagnacco… op. cit., S. 99-161. 75 Cfr. Tulio Halperin Donghi, História contemporánea de América Latina, Madrid - Buenos Aires, Alianza Editorial, 1987, S. 355 Angehörigen und Landsleuten in dem südamerikanischen Land andere Auswanderungsländer vor. 1955 gibt das Statistische Amt ISTAT zum ersten Mal die Umsiedlungen der Bevölkerung nach Gemeinden an: “Der neu hinzugefügte Teil”, heißt es in dem Vorwort zum Jahresbericht der Bevölkerungsstatistik, “besteht aus den Ergebnissen einer interessanten Erhebung über die Wohnsitzwechsel auf nationalem Territorium und ins und aus dem Ausland auf der Grundlage der Eintragungen und Streichungen aus den Einwohnermelderegistern. Diese Erhebung liefert nützliche Elemente für das Untersuchen wirtschaftlicher und sozialer Probleme im Zusammenhang mit der Mobilität der Bevölkerung und bietet erstrangiges Material für weitere interessante Erhebungen in den nächsten Jahren”. In den nach Provinzen geordneten Tabellen wird die Zahl der Gemeldeten eingetragen sowie derjenigen, die ins Ausland gegangen oder aus dem Ausland zugezogen sind, und zwar je nach Land: Frankreich, Belgien, Bundesrepublik Deutschland und England, was Europa betrifft, und Kanada, USA, Argentinien, Brasilien, Venezuela und Australien was die Überseeländer angeht. Für den Mittelmeerraum werden dagegen keine Daten angegeben. 1967/68 – Die Rückkehrer (aus Europa) sind mehr als die Auswanderer Die “natürliche” Rückkehr aus Deutschland und der Schweiz, Hauptziele der Emigration “auf Zeit” übertrifft die Auswanderung. Der langsame Aufbau eines regionalen Arbeitsmarktes und die erfolgreiche Industrialisierung auf breiter Ebene haben schließlich dem Migrationszyklus ein Ende gesetzt, der Mitte des 19. Jh.’ s begonnen hatte. Zwischen 1955 und 1967 – das Jahr, in dem zum ersten Mal im Friaul JulischVenetien die Bilanz von Auswanderern und Rückkehrern positiv ist -, beträgt die Zahl der Zugewanderten und Ausgereisten nach und aus Argentinien (in den Provinzen Udine und Gorizia) jeweils 2293 und 2049 Personen. Diese positive Bilanz ist eine weitere Bestätigung für einen geringer werdenden Migrationsfluss nach Argentinien, der schon vor der Erhebung des Statistischen Amtes über die Aus- und Einreisen begonnen hatte. Die aus dem südamerikanischen Land gemeldeten Zuwanderungen zeigen im wesentlichen, dass es sich um Rückkehrer handelt, die in der zweiten Hälfte der vierziger und dem Anfang der Fünfziger Jahre ausgewandert waren, in einem Zeitraum also, als andere Ziele (in und außerhalb Europas) Argentinien vorgezogen wurden. Es handelt sich in allen Fällen um „natürliche“ Rückkehrer, das heißt um Emigranten, die aus wirtschaftlichen (schlechte Eingliederung in den Arbeitsmarkt, Verlust des Arbeitsplatzes, Wirtschaftskrise im Auswanderland usw.), psychologischen (Eingewöhnungsprobleme, Heimweh, „Sich fremd fühlen“ usw.) oder soziokulturellen Gründen (Unmöglichkeit einer endgültigen Integration usw.) beschließen, in ihr Geburtsland zurückzukehren. In den siebziger Jahren ist der Prozentsatz der friaulischen Heimkehrer aus Argentinien äußerst niedrig (1,8%): von den zirka 50 000 Heimkehrern in den Jahren 1970 bis 1979 kommen nur 935 Personen aus Argentinien in den Friaul76. Tabelle 5 – Anmeldungen und Abmeldungen aus und nach Argentinien in den Provinzen Udine und Gorizia (1955-1967) 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 76 AnmelAbmeldung-en dungen 203 213 152 201 148 461 147 91 125 110 206 153 168 56 212 457 261 32 257 31 149 35 88 75 Bilanz -10 -49 -313 56 15 53 112 -245 229 226 114 13 Cfr. Elena Saraceno, L’emigrazione fallita: rientri e carriere professionali dei friulani in Argentina, in F. Devoto – G. Rosoli (Hrsg.), L’Italia nella società argentina. Contributi sull’emigrazione italiana in Argentina, Rom, Centro Studi Emigrazione, 1988, S. 125. 1967 81 50 31 Quelle: Istat, Movimento migratorio della popolazione residente. Iscrizioni e cancellazioni anagrafiche, Rom, Istituto Nazionale di Statistica, 1955-1967. 1976: Ein schwieriges Jahr 1976 war ein Jahr der Wende: In Argentinien begann mit dem Militärputsch die düsterste Zeit in der Geschichte dieser Nation; im Friaul löste das Erdbeben einen nie da gewesenen Prozess der gesellschaftlichen Veränderung und des Wohlstands aus. Emigranten und vor allem ihre Nachkommen, Söhne und Enkel, die in Argentinien geboren waren, bezahlten mit ihrem Leben eine Zeit des politischen Terrors. Zwischen 1960 und 1970 verschlechterte sich die Lage in Argentinien zusehends, während auch im Friaul der ökonomische Wandel mit einer gewissen Geschwindigkeit voranging. 1976 war das Jahr der Wende: In Argentinien begann mit dem Militärputsch die düsterste Zeit in der Geschichte dieser Nation; im Friaul löste das Erdbeben einen nie da gewesenen Prozess der gesellschaftlichen Veränderung und des Wohlstands aus. Emigranten und vor allem ihre Nachkommen, Söhne und Enkel, die in Argentinien geboren waren, bezahlten mit ihrem Leben eine Zeit des politischen Terrors: Sie gehören zu den zirka dreißigtausend “desaparecidos”, die das mörderische Militärregime von damals auf dem Gewissen hat77. 1989-1991: Die ersten “anomalen” Rückkehrer aus Argentinien Die Heimkehrer und Einwanderer in den Jahren 1989-1991 sind in erster Linie Söhne, Enkel und Urenkel von Italienern, die in der Zeit nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg ausgewandert waren. Die Ankunft im Friaul der Nachkommen der Emigranten, die während des Faschismus, 77 Cfr. F. D. M., La libertà? un miraggio, in “La Vita Cattolica”, 22 April 1978; M. M. Comici, La vite dai furlans, in “La Vita Cattolica”, 22 April 1978; Flavio Vidoni, I friulani d’Argentina abili o fortunati? Desaparecidos ma non troppo, in “Primipiani Friuli Venezia Giulia”, I (1982), Nr. 6, S. 11-12; Dodici friulani tra i desaparecidos, in “Il Gazzettino”, 24 Februar 1990. und vor allem derer, die nach dem Zweiten Weltkrieg ausgewandert waren, ließ die Distanz, die zwischen beiden Gruppen klaffte, deutlich werden und war von gegenseitigen Vorurteilen gekennzeichnet. Den Argentiniern italienischer und friaulischer Herkunft stellen sich die Dörfer und Städte ihrer Eltern und Großeltern anders dar, als man es ihnen erzählt hatte. Diese Heimkehrer sind „anomal“ im Vergleich zu den vorherigen Rückkehrbewegungen aus Argentinien in den Friaul. 1989-1991 sind die Rückkehrer und Einwanderer in erster Linie Söhne, Enkel und Urenkel von Italienern, die in der Zeit nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg ausgewandert sind78. Mehr als hundert Jahre Emigration nach Argentinien rückt den Friaul so nahe an dieses Land, wie es sonst nur von Frankreich gesagt werden kann: eine Annäherung von Auswanderungsregion und Einwanderungsgebiet, wie es sie auch zwischen Venetien und Brasilien gibt. Von allen Emigranten aus dem Friaul, die zwischen 1876 und 1965 nach Übersee, in die Vereinigten Staaten, Brasilien und Argentinien auswandern, bevorzugen fast 68% Argentinien79. 78 Cfr. J. Grossutti, I “rientri” in Friuli da Argentina, Brasile, Uruguay e Venezuela (1989-1994), Udine, Ente Regionale per i Problemi dei Migranti – Regione Autonoma Friuli Venezia Giulia, 1997; Id., L’immigrazione argentina nella provincia di Udine, Udine, Provincia di Udine – Assessorato alle Solidarietà Sociali, 1998. 79 Cfr. Mario C. Nascimbene, Italianos hacia América (1876-1978), Buenos Aires, Museo Roca – Centro de Estudios sobre Inmigración, 1994, S. 20-22.