Konstruktion von Identität SidobearbeitetFERTIG _2
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Konstruktion von Identität SidobearbeitetFERTIG _2
Universität Hamburg Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Fachbereich Sozialökonomie Große Hausarbeit im Rahmen des Empirischen Praktikums im WiSe 08/09 bei Dr. Carsten Heinze Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel sido Eingereicht von: Jana Marx Max-Brauer-Allee 120 22765 Hamburg Matr. Nr. 5764746 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung.............................................................................................3 2 Rap und seine geschichtliche Evolution ..............................................4 2.1 3 Theoretischer Hintergrund und die methodische Vorgehensweise......9 3.1 4 Entwicklung von HipHop und Rap in Deutschland......................................... 7 Stilistischer Korpus des Gangster-Rap ........................................................ 12 Videoanalyse und Interpretation........................................................15 4.1 Konstruktion einer Gangster-Identität im Musikvideo „Mein Block“ ............. 15 4.2 „Mein Block“.................................................................................................. 16 4.3 Analyse und verwendete Stilmittel ............................................................... 21 5 Zusammenfassung und Fazit ............................................................25 6 Quellenverzeichnis ............................................................................27 7 Anhang..............................................................................................30 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido 1 Einleitung In dieser großen, empirischen Hausarbeit werde ich mich mit dem Thema der Konstruktion einer Gangster-Identität am Beispiel des deutschen RapKünstlers Sido beschäftigen. Mein besonderes Interesse an diesem Thema wurde durch einen Artikel in der Zeitschrift Spiegel Spezial „Was Kinder klug & glücklich macht“ aus dem Jahr 2008 geweckt. In dem Artikel „Du, was ist eigentlich Gang Bang?“ wird über Kinder und Jugendliche berichtet, die immer früher mit Gewalt verherrlichenden und pornographischen Inhalten in Kontakt kommen. Durch das fast unkontrollierbare World Wide Web und die immer aggressivere Vermarktung von Produkten, gerade auch Musikerzeugnissen aus dem Rap-Genre, stehen Eltern dem häufig hilflos gegenüber. Mit einem Zitat aus dem Spiegel Spezial möchte ich mein Thema einleiten: „Wenn dann auch noch der aktuelle Lieblingssong des zehnjährigen Sohnemanns Sidos „Arschficksong“ ist, dann sind die meisten Eltern mit ihrem Aufklärungs-Latein am Ende. Der Berliner PornoRapper war mit aggressivem Texten wie ‚Katrin hat geschrien vor Schmerz. Mir hat`s gefallen… Ihr Arsch hat geblutet und ich bin gekommen’ monatelang die Nummer eins auf den Pausenhöfen der Republik“1. Den Schwerpunkt dieser Arbeit wird der Rap-Künstler Sido bilden. Dabei werde ich auf die Symbole, die Gestaltung von Musikvideos und auf die Songtexte des Interpreten eingehen. Das zentrale Moment in der Analyse wird die Konstruktion einer Gangster-Identität und den damit verbundenen Gewalt verherrlichenden Attitüden bilden. In der Öffentlichkeit wird das Thema Gewalt im Zusammenhang mit Rap schon seit einiger Zeit kontrovers diskutiert. Vor allem nachdem einige Künstler des deutschen Rap-Genres durch von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien zensierte und auf den Index gestellte Songs auffielen. Selbst politische Größen wie Michael Friedmann fühlen sich anscheinend berufen, die Beweggründe / Antriebe des Rappers Sido zu ergründen. Auch in zahlreichen Fernsehshows wie Popstars, TV Total und in 1 vgl. Spiegel Spezial, Was Kinder klug & glücklich macht, Nr.7/ 2008, Du, was ist eigentlich Gang Bang? S. 120 ff. Seite 3 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido einigen Viva-Produktionen ist der vermeintliche Rüpel der Nation anzutreffen. Im zweiten Punkt soll der Begriff Rap sowie dessen Entstehung und Etablierung in Deutschland kurz erläutert werden. Im weiteren Verlauf soll auf die Konstruktion der Gangster-Identität im Video „mein Block“ des RapKünstlers Sido eingegangen werden, wobei hier die benutzten Stilelemente näher betrachtet werden. Im weiteren Verlauf werde ich die methodische Vorgehensweise der Analyse erläutern und der einzelnen Stilmittel näher beleuchten. Abschleißend werde ich die Ergebnisse zusammenfassen und sie in einem Fazit bewerten. Im Rahmen der Arbeit, sollen folgende Fragen beantwortet werden: 1. Welchen historischen Ursprung hat HipHop und wie etablierte sich dieser in Deutschland? 2. Welche Symbole und Artefakte (Texte) werden zur Konstruktion einer Gangster-Identität bei Sido verwendet? 3. Wird auf der Grundlage bestimmter Symbole, Artefakte und Texte eine Gangster-Identität konstruiert? 2 Rap und seine geschichtliche Evolution HipHop ist keine ausschließlich musikalische Kultur, sie setzt sich aus verschiedenen wesentlichen Elementen zusammen. Laut Dufnese (1992) liegen die Wurzeln des Rap in den 50er Jahren im Dirty Dozens. Dabei handelt es sich um einen in schnellen Versen gereimten beleidigenden Sprechgesang, der Ausdruck von Provokation und Verweigerung war und aus den ersten amerikanischen Schwarzen-Ghettos stammt2. Die Entwicklung der ersten DJ`s (Erzähler) fand wohl auf Jameica statt. Eine aus dem Reggae stammende Form des rhythmischen Sprechgesangs, das Toasting, wurde aus den Erfahrungen der Straße und den Märkten der Insel entwickelt3. Fliegende Händler bedienten sich dieser Art des Sprechgesangs beim Reggae, um ihre Reggaeplatten zu verkaufen. Es entstand 2 vgl. Dufnese, David. Yo! Rap Revolution. S. 7. 3 vgl.ebd. S 7 f. Seite 4 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido eine Art Erzählkultur, in der die Händler ihre „Geschichten“ in eine immer bessere gereimte, rhythmische Form brachten4. Heute setzt sich HipHop hauptsächlich aus vier wesentlichen Elementen zusammen: dem DJing, welches das Platten auflegen und mischen bezeichnet, dem MCing oder Rappen, also dem Sprechgesang, dem Breakdancing, die ausdruckstarken Tanzbewegungen und dem Graffiti. Rap heißt im Wesentlichen Sprechgesang und ist Teil der HipHop-Kultur. Ins deutsche übersetzt bedeutet Rap auch plappern, pochen oder klopfen. Vor seiner Kommerzialisierung war HipHop eine reine Liveact-Straßenkultur. Sein Bedeutungsgehalt lag hauptsächlich im Wettbewerb, Respekt, Anerkennung und dem Bekanntheitsgrad innerhalb der Szene. „Die verschiedenen modernen musikalischen Praktiken im Rap gründeten sich während der Entstehungszeit von HipHop in den 1970er und 1980er Jahren auf den Alltagserfahrungen vor allem Afroamerikanischer und hispanischer Jugendlicher in den durch Deindustrialisierung, städtebaulichen Niedergang und sozialräumliche Segregation gekennzeichneten New Yorker Stadtteilen Harlem und Bronx“5. Damit hat gerade Rap-Musik ihren Ursprung im städtischen Milieu. In Clubs, Parks, Community-Centern, auf HighschoolPartys und auf der Straße wurde dumpfe Beat-Musik aus verschiedenen Teilen älterer Tonträger mittels zweier Plattenspieler und einem Audiomixer zusammengemischt. Begleitet wurde dieser Sound von rhythmischem Sprechgesang der MCs und dieswurde zu einem zentralem Ausdrucksmittel für politische und soziale Statements von marginalisierten Minderheiten in den USA6. In der Rap-Musik finden sich häufig weitere urbane Elemente wie z. B. Straßengespräche, Telefongespräche, Kindergeschrei, quietschenden Autoreifen, Sirenen oder zerbrechendem Glas, welche durch verschiedene Musiktechniken, wie Sampler, Sequenzer oder Drumcomputer gezielt eingebracht und musikalisch verarbeitet werden7. Der städtische Kontext wird 4 vgl. Dufnese, David. Yo! Rap Revolution, S. 7 ff. 5 vgl. Helms Dietrich, Sound and the City: Populäre Musik im urbanen Kontext, S. 45. 6 ebd. 7 Mager Christoph, Hoyler Michael: HipHop als Hausmusik: Globaler Sound und (sub)urbane Kontexte, S. 45. Seite 5 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido von vielen Rap-Künstlern als kreatives Schöpfungspotenzial genutzt8. „Die ausdrückliche Betonung eines räumlichen Bewusstseins und eines identitätsstiftenden Ortsbezugs wird dabei als eine der entscheidenden Eigenschaften des HipHop weltweit identifiziert.“9 Mittels Autoradios und tragbarer Kassettenspieler, den sogenannten Ghettoblastern, konnte sich HipHop schnell verbreiten und über Landesgrenzen hinaus transportiert werden. Die zerrütteten Verhältnisse in vielen Teilen der Vereinigten Staaten, vor allem in den New Yorker Stadtteilen Bronx und Harlem, sowie die Unterdrückung auf Jamaika und in Puerto Rico ließen viele schwarze und lateinamerikanische Familien in die Bronx emigrieren10. HipHop ist eine in der schwarzen Subkultur entstandene Jugenszene, die auch heute noch von ihrer sozialen Verankerung in der schwarzen Gesellschaft lebt. Aber HipHop ist weit mehr: viele verschiedene Elemente wohnen und wachsen in diesem Genre und sind übertragbar in andere kulturelle Umgebungen. „HipHop ist auch Popmusik, ist Clubkultur, ist Cut & Mix Technik, ist Collage, ist Dichtung. HipHop handelt AUCH von Emotionen, Erfahrungen und Bewertungen, die auch außerhalb der Ghettos gelten und etwas bedeuten: Glück, Einsamkeit, Liebe, Opportunismus, Aneignung fremder Arbeitskraft, Emanzipation, Widerstand“11. Baldauf (2008) weist auf einen weiteren interessanten Aspekt bei der Entwicklung und Verbreitung des HipHops hin. Zwischen 1978 und 1982 verschlechterte sich die Arbeitssituation der Afroamerikaner und dies ging mit steigenden Arbeitslosenzahlen einher. Eine „neue Freizeit“ entstand. So basiert der Erfolg von HipHop auf der Zurschaustellung der neuen Freizeit und ist nicht nur noch Ausdrucksmittel der Wut von marginalisierten Minderheiten sondern wird als Chance gesehen, mit Hilfe von HipHop den sozialen Aufstieg zu schaffen12. Die Musik- und Werbeindustrie schufen ein Paket mit Fragmenten von Gefahr, Krieg, Gewalt und Sex, mit dem sich 8 ebd. 9 ebd. S. 46. 10 vgl. Pavicic Christine, HipHop Dancing Bodies, S.65. 11 vgl. Dufresne, David. Yo Rap Revolution, S. 194 f. 12 vgl. Baldauf, Anette: Entertainment Cities, Unterhaltungskultur und Stadtentwicklung, S.89. Seite 6 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido vor allem in den Vorstädten lebenden weißen Jugendlichen auf eine imaginäre Reise dorthin machten13. Während die Verarbeitung des Ghettos mit seiner Gewalt, Drogen und Sex von den Musik- und Filmproduzenten als künstlerische Aufarbeitung gesehen wurde, wurden die Sprechakte der Rapper als authentischer und körperlicher Ausdruck des Ghettos verstanden, vermarktet und politisch stigmatisiert14. Dies führte zu einer Ausgrenzung des Raps aus der Massenkultur und rückte ihn in die Nische der Subkultur – weitgehend außerhalb des Rezeptionsbereichs des Großteils der Bevölkerung. 2.1 Entwicklung von HipHop und Rap in Deutschland Auch in Deutschland etablierten sich allmählich HipHop und Rap. Den entscheidenden Beitrag dazu leisteten vor allem die Massenmedien. 1983 produzierte Charlie Ahearns das Dokumentationsdrama „Wild Style“. Dieser Film gilt als die erste erfolgreiche Produktion aus der HipHopSzene. Er wurde mitte der 1980er Jahre auch in Deutschland ausgestrahlt. Unter anderem produzierte Fab 5 Freddy – einer der bekanntesten Grafitti Künstler aus der HipHop Szene der USA – den Film mit. Wild Style dokumentiert das gerade entstandene Interesse der HipHop Kultur, die sich innerhalb der lateinamerikanischen und afroamerikanischen Bevölkerung gebildet hatte15. Gleichzeitig wurden Anregungen transportiert, wie MCs und DJs sich kleideten, sich bewegten und sagen, wie Graffitis und HipHop Tanzschritte aussehen konnten. Der 1984 erschiene Film „Beat Street“, der das Leben einer jugendlichen Gang, bestehend aus Dj´s, Breakdancern und Sprayern, aus der Bronx zeigt, hat neben der bereits erwähnten Produktion „Wild Style“ wohl einen großen Beitrag zur Etablierung von HipHop in Deutschland beigetragen. „Beat Street“ vermittelt einen Einblick in die frühe HipHop-Szene und es sollen dem breiten Publikum die Musik, der Tanz und die speziellen Stile, die Attitüde und Lebenseinstellung der damaligen Szene verständlich gemacht werden16. „Insbe- 13 ebd. 14 ebd. S. 93. vgl. http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/450774. 15 16 vgl. Helms Dietrich, Sound and the City: Populäre Musik im urbanen Kontext, S. 47. Seite 7 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido sondere Wild Style gilt als das zentrale Artefakt, welches HipHop als eine Art ganzheitliche Kulturform aus musikalischen, bildenden und darstellenden Elementen nach Westdeutschland kommunizierte“17. Ende der 1980er Jahre differenzierte sich der amerikanische Rap weiter aus. Es fand eine stärkere Orientierung an Rock, Hardcore und Reality Rap18 an der Ostküste statt, während sich an der Westküste der Gangster Rap mit Funk Einflüssen entwickelte. Dies machte die Rap-Musik vor allem für Jugendliche mit Migrationshintergrund auch in Deutschland interessant. Jugendliche mit griechischem, jugoslawischem und türkischem Hintergrund zählten häufig in Deutschen Großstädten zu den frühen Breakdancern, die mit Plattenspielern, Mikrophonen und Samplern eigene Mischformen von Rap-Musik produzierten19. Die verschieden Stilrichtungen des Rap wurden an die lokale Kultur angepasst, so dass auch die „Message“ Teil des lokalen, sozialen Ausdrucksbedürfnisses wird. Auch von deutschstämmigen Künstlern wurde HipHop hierzulande rezipiert. Künstler wie Falco, Spliff und die Fantastischen Vier etablieren HipHop erstmals in den deutschen Charts. Vor allem letztere machten mit ihrem Song „die da“ den HipHop in Deutschland massenkompatibel. Allerdings findet Dufresne (1992) hierfür harte Worte. Seine Kritik bezieht sich auf die von ihm als „inhaltslose Groove Mentalität“ bezeichneten Rapstil der Fantastischen Vier. Jeder, der an Rap interessiert sei, sei auch an dem „Wort, der Message (Nachricht)“, die Rap transportiert interessiert und nicht nur an einem gut klingenden Sound. Deutlich macht Dufresne das im folgenden Zitat: „Wenn aber Deutsche, die nichts im Kopf haben, ‚Negermusik’ imitieren, und sei es noch so perfekt, dann verfallen sie gerne in Rosenmontagslaune, in den Stil von Frank Zander“20. Hier differiert wahrscheinlich für Dufresne der Stil der Fantastischen Vier zu sehr von der Herkunftskultur. Lüdke (2006) definiert die Entwicklung der Rap-Musik so: „Die 17 vgl. Mager Christoph, Hoyler Michael: HipHop als Hausmusik: Globaler Sound und (sub)urbane Kontexte, S. 47. 18 Reality Rap hatte ausdrücklich politische Inhalte. 19 Mager, Christoph / Hoyler, Michael: HipHop als Hausmusik: Globaler Sound und (sub-) urbane Kontexte, S. 48. 20 vgl. Dufresne, David. Yo! Rap Revolution, S. 195. Seite 8 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido Lokalisierung von Rapmusik im deutschen Kontext ist geladen mit Spannungen und Widersprüchen, die bei dem Versuch entstehen, musikalische und stilistische Authentizität mit Lokalität, Identität und Alltagsleben in Einklang zu bringen“21. Zeitgleich entwickelt sich in Deutschland neben der Hitparade eine Form des Untergrund-HipHop vor allem in Jugendzentren. Auffällig hierbei ist wiederum der große Anteil an Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die HipHop auch in Deutschland als Plattform nutzen, um ihre Situation zu thematisieren22. Dies beschreibt der in Deutschland geborene Rapper Torch der Gruppe Advanced Chemistry wie folgt „Es [HipHop] hat viel repräsentiert, was ich hätte runterschlucken müssen, was ich sonst niemandem hätte sagen können, was sonst gar nicht gefragt war, wie es bei den türkischen Kids auch war. Bei den türkischen Kids hat sich keiner für ihre Probleme oder für ihre Welt interessiert. Die waren hat da, aber waren nicht gefragt, Punkt“23. Es lässt sich hier also festhalten, dass es „den“ HipHop oder Rap-Gesang nicht gibt, sondern das Genre sich in verschiedene Subgenres unterteilt – jeweils mit eigenem Anliegen und verschiedenen Deutungsmustern. 3 Theoretischer Hintergrund und die methodische Vorgehensweise Meine Analyse des Videos „mein Block“ des Künstlers Sido aus dem Jahr 2004 beschäftigt sich mit der Konstruktion einer Gangster-Identität. Zu untersuchen ist, mit welchen Symbolen und Artefakten Sido eine GangsterIdentität konstruiert, wobei jedoch eine genaue Identitätszuordnung schwierig bleibt. Dies hat verschiedenste Gründe: zum einen lebt, neben vieler anderen Musik Genres, auch der kommerzialisierte HipHop beziehungsweise Rap vom schnellen Anpassen an den Markt und andererseits 21 vgl. Lüdke, Solveig: Globalisierung und Lokalisierung von Rapmusik am Beispiel amerikanischer und deutscher Raptexte, S. 19. 22 Schneiper, Petra: Textile Metamorphosen als Ausdruck für gesellschaftlichen Wandel, S. 161 f. 23 vgl. Menrath, Stefanie: represent what, Performativität von Identitäten im HipHop. S. 114. Seite 9 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido wechseln die Konstruktionen bestimmter Identitäten innerhalb der Szene schnell. In meiner Analyse möchte ich versuchen Strukturen und wiederkehrende Muster in seinem Musikvideo „mein Block“ aufzudecken, die auf eine Konstruktion einer Gangster-Identität des Künstlers Sido hinweisen. Dabei werde ich mich vor allem auf den Songtext, die Bildliche Gestaltung und die verwendeten Kleidungsstil Sidos beziehen und diese auf ideologische Inhalte hin untersuchen. Dabei soll im Wesentlichen herausgefunden werden, ob es sich im genannten Video um die Konstruktion einer Gangster-Identität handelt oder aber als inszeniertes Mittel zur Provokation und Verbesserung von Absatzchancen auf dem Markt benutzt wird. Was aber genau ist eine Identität, wie entwickelt sich diese und was macht eine Identität aus? Dies möchte ich vorab mit einer kurzen Darstellung von Identität und Identitätskonstruktion klären. Identität kann als Verhaltensdisposition verstanden werden, die Menschen im laufe ihres Lebens entwickeln. Gewisse Merkmale sowie die Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen werden von den Individuen selbst bestimmt, aber auch von anderen zugeschrieben. Soziale Typisierung findet auf Basis der Zuordnung bestimmter Merkmale statt, wie beispielsweise die als Frau oder Mann, Punkrocker oder HipHopper, aber auch in bestimmten Verhaltensstilen, Denkweisen, Gestiken, Mimiken und Sprache. Identität bestimmt sich vorwiegend in der Reflexion zwischen Fremd- und Selbstbild, wobei diese Reflexion ihren Bedeutungsgehalt in der Bestätigung, Absicherung oder Korrektur der eigenen Handlung findet. Es geht hierbei um die Beantwortung der permanenten Frage „Wer bin ich?“24. In traditionellen Gesellschaften waren Identitäten klar gesetzt und stabil. Das Verhalten und Denken war streng reglementiert und die sozialen Rollen waren von der Geburt an bis zum Ende des Lebens festgelegt. In modernen Gesellschaften unterliegt die Identität einem ständigen Wandel, Identitäten sind vielschichtiger, persönlicher und instabiler. Aber auch in der Moderne ist die Identität etwas soziales, ein Konstrukt, welches ein Gegenüber braucht und einen Bezug zum anderen besitzt. Auch heute er- 24 vgl. Liebsch, Katharina, Identität und Habitus in Korte, Hermann; Schäfers, Bernhard (Hrsg), Band I, Einführung in die Hauptbegriffe der Soziologie, S. 68 ff. Seite 10 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido geben sich Identitäten aus sozialen Rollen, die eigenständig eingenommen und zugeschrieben werden. Der Mensch ist auch heute noch Studentin, Frau, Mutter, Hetero- oder Homosexueller. Identitäten sind auch in der Moderne immer noch relativ fest und eindeutig zugeschrieben, jedoch sind die Möglichkeiten Identitäten zu verändern, auszuwählen und zu konstruieren offener und vielfältiger.25 Dennoch sind in der Moderne und ihren Identitätskonstruktionen mannigfaltige Probleme für die Individuen entstanden. Es ist möglich, die eigene Identität beliebig oft herzustellen und zu wechseln. Durch das Ich-Bewusstsein ist der Mensch in der Lage, bestehende soziale Rollen zu reflektieren und sich mit ihnen auseinander zu setzten. Die Abhängigkeit zu anderen Individuen ist in modernen Gesellschaften gestiegen, denn um Anerkennung und Bestätigung seiner jeweiligen Identität zu finden und diese zu festigen müssen andere diese Anerkennen und Bestätigen. Ebenso besteht ein Problem in der stetigen Unsicherheit darüber, die richtige Wahl getroffen zu haben, die unsichere Frage darüber wirklich seine „wahre“ Identität gefunden zu haben. Modernität bedeutet auch Wandel und Veränderung und die Auflösung bekannter Werte, Normen, Lebensweisen und Identitäten. Erworbene und angenommene Identitäten können überholt und überflüssig sein und über keinerlei soziale Anerkennung mehr verfügen, so dass das Individuum unter Umständen wie ein rastloser Wanderer ständig auf der Suche, Konstruktion, Abwandlung, und Bestätigung seiner Identität ist26. Musik nimmt gerade bei Jugendlichen eine wesentliche Rolle bei der Identitätskonstruktion ein, sowohl im Innenaspekt, wie der Konstruktion eines Selbstbildes, als auch im Außenaspekt, in der Konstruktion eines Fremdbildes. Beide Aspekte – Innen und Außen – stehen in einem engen Verhältnis zueinander, denn es finden Prozesse der Abgrenzung und der Zugehörigkeit mit Anderen statt. Musik beinhaltet auch texturale Elemente, mit denen Botschaften transportiert werden. Bestimmte Kleidungsstile, Ac- 25 vgl. Kellner, Douglas, Medienkultur: Zwischen Moderne und Postmoderne; Die Konstruktion postmoderner Identitäten am Beispiel von Miami Vice, S. 136 f. 26 ebd. S. 137 f. Seite 11 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido cessoires, Tänze und Frisuren bieten eine Möglichkeit, eine Art Selbstdarstellung zu konstruieren.27 Musik dient als Identität stiftendes Medium der Lokalisierung regionaler und nationaler Gemeinschaften, ethnischer Bevölkerungsteile und anderen Gruppierungen. Die Zunahme des Migrantenanteils in städtischen Lebensbereichen führt dazu, dass Musik zur Quelle von Selbstdefinition und für die Bestimmung des Verhältnisses zur neuen sozialen Umgebung wird28. Um einen eigenen kulturellen Platz in urbanen Milieus zu finden wird häufig auf Musik zurückgegriffen und dabei wird das Lokale auf vielfältige Weise artikuliert. Wenn nun von einer Gangster-Identität gesprochen wird meint dies eine zugeschrieben oder eingenommene soziale Rolle, die mit bestimmten Attitüden besetzt ist. Die Besetzung bestimmter Codes gibt einen Verweis, welche soziale Rolle sich zugeschrieben und welche Identität vom Künstler eingenommen wird. 3.1 Stilistischer Korpus des Gangster-Rap Ende der 1980er Jahre bildete sich als Subgenre des Rap der Gangster Rap heraus. Der Rapper inszenierte sich als eine Art Insider-Korrespondent, eine Art Reporter, der die sozialen Verhältnisse des Ghettos thematisiert und in der Lage ist, diese authentisch zu beschreiben. Das Ghetto wird sehr häufig in einem Zusammenhang von Gefangenschaft und sozialer Ausgrenzung diskutiert. Der Rap, aber vor allem der Gangster Rapm ist auch ein Ausdruck für die entstandene Postindustrialisierung. Der aufkommende Neoliberalismus zu dieser Zeit führte in amerikanischen Städten, vor allem in Los Angeles, zu erheblichen Budgetkürzungen und dem Verlust vieler sozialer Einrichtungen. Die Folgen waren die zunehmende Verarmung der Arbeiterviertel und steigenden Gewaltraten.29 27 vgl. Riggenbach, Paul: Funktionen von Musik in der modernen Industriegesellschaft, S. 46 ff. 28 vgl. Lüdke, Solveig: Globalisierung und Lokalisierung von Rapmusik am Beispiel amerikanischer und deutscher Raptexte, S. 18f. 29 vgl. Baldauf, Anette: Entertainment Cities, Unterhaltungskultur und Stadtentwicklung, S. 88. Seite 12 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido Die Genrezugehörigkeit bildet sich in einer speziellen sprachlichen und musikalischen Umsetzung und bedient sich ganz bestimmter Attitüden. Vor allem homophobe, frauenfeindliche, sexistische und Gewalt verherrlichende Inhalte und Metaphern wurden in diesem neuen, selbstbewussten Genre transportiert und erstmals so unverblümt musikalisch verarbeitet. Mit dem Habitus des Amerikanischen Gangsters wird der Rapper zum Kämpfer der Straße erhoben und der Knast, das Ghetto sowie die Straße werden zu mythischen Orten der Schlachten. Die Inszenierung als Gangster ist häufig mit anderen Genrerollen, wie zum Beispiel die des Pimp (Zuhälters) oder des Gigolos verknüpft. Eine schöne Zusammenfassung des dieser Rollenbilder bietet Lüdtke (2006): “Beim sogenannten Pimp- oder auch Mack-Rap handelt es sich um eine Kategorisierung, die weibliche Rapper zunächst ausschließt […]. Die Rolle der Selbstdarstellung bezieht sich auf die Inszenierung der sexuellen Potenz des Rappers, der Stilisierung als Sunnyboy oder als Zuhälter. Der propagierte Lebenssinn sexueller Befriedigung des Mannes verbindet sich mit materialistischen Wertvorstellungen; Prahlen mit Reichtum und Sexualität sowie minimales soziales Engagement gehören zur thematischen Ausstattung des Subgenres“30. HipHop hat wohl als erstes Genre die Sprache von Zuhältern und Gangstern in großem Maßstab in die Musik eingeführt. Häufig verwendete Worte sind in diesem Zusammenhang bitches, bunnys, Schlampen und Huren. Klassische Stilelemente des Gangster-Rap sind vor allem Drohgebärden, Gewaltverherrlichung sowie die zentrale Emphase auf die Zugehörigkeit zu einer Gang, Drogenhandel und -konsum sowie die Beschreibung einer harten und irrealen Umgebung, wobei sich hier die Rekonstruktion des Zusammenhanges von Ghetto und Gangster Rap vor allem auf die USamerikanischen Verhältnisse beziehen31. Auch hier möchte ich eine Zusammenfassung Lüdtkes (2006) heranziehen: „Gangster Rap verstärkt gesellschaftliche Stereotype des gewalttätigen, pathologischen oder ge- 30 vgl. Lüdke, Solveig: Globalisierung und Lokalisierung von Rapmusik am Beispiel amerikanischer und deutscher Raptexte, S. 81. 31 ebd. S. 215. Seite 13 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido fährlichen Schwarzen gleich ob in ironischer Verschärfung oder als Nachahmung von Herrschaftsstrukturen (Geld / Waffen = Macht). Während Frauen von Männern im Message Rap über ihre Rollen als Gefährtin oder Mutter definiert werden, werden sie im Gangsta Rap von Männern als unloyal, materialistisch und als Sexobjekte dargestellt. […] Die verwendete Sprache ist sexistisch, ordinär und gewaltdarstellend und auffällig in der Benutzung von Slang“32. Ebenso ist die Darstellung von Reichtum, Macht, gemeinsamer krimineller Aktionen, dem Gehorsam und Zusammenhalt der Gefolgsleute ein zentrales Stilmittel dieses Genretyps33. Die beschriebenen Stilelemente werden nicht selten glorifizierend beschrieben und dargestellt. Der Gangster wird häufig abgeklärt, abgebrüht, brutal und geübt im Umgang mit Waffen inszeniert. Auch bestimmte Bekleidungsstile geben einen Verweis auf dem mit dem Gangster in Verbindung stehenden kriminellen Hintergrund der vorwiegend in den Amerikanischen Städten zu finden ist. Nach Schneiper (2008) dienten Kapuzensweatshirts, die zum klassischen HipHop Stil gehören, Ursprünglich zur Vermummung nächtlicher illegaler Graffiti-Aktionen von Sprayern. Die vorn aufgesetzten Taschen boten genügend Stauraum für die Spraydosen. Turnschuhe waren ideales Schuhwerk um schnell flüchten zu können. Zum Ursprung der klassischen langen Baggy Pants34 gibt es verschiedene Theorien. Die eine begründet sich in den häufig gewaltvollen Auseinandersetzungen im Ghetto. Die überlangen Baggy Pants dienten demnach dazu, die großkalibrigen Waffen vor der Polizei zu verstecken. Die Waffen wurden dabei zwischen Gürtel und Körper versteckt und von weiten T-Shirts und Sweatern bedeckt. Die andere Theorie geht davon aus, dass die weiten Hosen ihren Ursprung in Gefängnisritualen hatten. Aus Sicherheitsgründen wurden den Insassen die Gürtel entfernt, so dass die Hosen bis zu den Hüften rutschten. Auch die im Gangster-Rap häufig zu findenden überdimensionalen Ketten, vor allem Kreutzketten, finden ihren Ursprung in den musikalischen Quellen des HipHop. Dies 32 ebd. S 82. 33 ebd. 34 Das englische Wort „baggy“ bedeutet sackartig, herunterhängend. Seite 14 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido greift auf den Gospelgesang aus den Kirchengemeinden zurück, der für die Identität der Afroamerikaner eine wichtige Stellung einnahm35. Beispiele für den klassischen HipHop-Kleidungsstil sind in Anhang B dieser Arbeit zu finden. 4 Videoanalyse und Interpretation 4.1 Konstruktion einer Gangster-Identität im Musikvideo „Mein Block“ Ich verstehe das Video als ein textuelles und visuelles Produkt, in dem Bilder und akustische Elemente als Zeichen einer narrativen Beziehung eingebunden sind. Einführend möchte ich kurz den Betriff der Inszenierung erläutern, da das Video als spezielle Präsentationsweise einer Geschichte oder eines bestimmten Geschehens verstanden werden kann. Die Inszenierung ist ein Strukturmoment, das dem Ungeformten eine Form gibt. Die Geschichte oder das Geschehen spricht demnach nicht „für sich“, sondern wurde in einer ganz speziellen Art und Weise für ein Publikum arrangiert. Etwas „In Szene setzten“ ist das spezielle Element der Inszenierung. Um über eine bestimmte Geschichte kommunizieren zu können, ist eine Inszenierung des Geschehens notwendig. Arrangement, Gliederung, Strukturierung und Formgebung sind demnach das, was die Inszenierung ausmacht36. Vor allem aber soll das im Text erhaltene sichtbar gemacht werden und als Wirkungsverstärker dienen. Auch Unausgesprochenes kann so sicht- und erlebbar gemacht werden37. Ich habe mich für eine Videoanalyse entschieden, da das Bild eine zentrales performatives Mittel bzw. Medium darstellt. Die besondere Kombination von sprachlich-performativen und ästhetisch-performativen Fragmenten stellt für mich eine größere analytische Fläche dar. Während beim sprachlich-performativen Fragment besonders das Bild als Metapher zu 35 vgl. Schneiper, Petra: Textile Metamorphosen als Ausdruck für gesellschaftlichen Wandel, S. 164. 36 vgl. Hickethier, Knut: Einführung in die Medienwissenschaft Medienkultur. Abschnitt 8.2 S. 2. 37 ebd. S. 3. Seite 15 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido betrachten ist, liegt die Bedeutung des ästhetisch-performativen im reinen Bild, das nicht in Sprache transformiert oder reduziert werden kann38. In der Analyse des Videos werde ich einzelne Szenen beschreiben und die Textsequenzen und die vorangegangen Bildbeschreibung herausarbeiten. Wichtig für mich ist die Trennung zwischen dem Bild- und sprachlichen Material. Dennoch stehen beide grundsätzlich in einer Wechselwirkung miteinander. Sprache ermöglicht es, Bilder differenzierter wahrzunehmen, denn erst mit der Sprache schaffen wir es eine Ordnung herzustellen in dem was wir sehen39. Ich werde in der Videoanalyse nicht alle Textpassagen behandeln und nur diese näher betrachten, denen ich einen für diese Arbeit wichtigen Bedeutungsgehalt zumesse. Ebenfalls werde ich nicht näher auf eine weitere musiktheoretische Analyse eingehen. 4.2 „Mein Block“ Das Musikvideo beginnt mit einem Bildausschnitt eines Parkplatzes mit einigen parkenden Autos. Die Farbgebung ist in einem diffusen grau gehalten und es werden vorwiegend sehr gedeckte Farben verwendet. Der Künstler Sido tritt mit einem anderen Mann fast vollständig vermummt in die Szenerie. Sido trägt Baggy Pants, Turnschuhe, einen Anorak mit der Kapuze auf dem Kopf und eine silbernen Maske. Beide machen sich an einem auf dem Parkplatz stehenden Wagen zu schaffen und stehlen diesen scheinbar. Dann steigen sie in den Wagen und der Künstler Sido beginnt zu singen. „Steig ein, ich will dir was zeigen, den Platz an dem sich meine Leute rumtreiben. Hohe Häuser, dicke Luft, ein paar Bäume, Menschen auf Drogen hier platzen Träume. Wir hier im Viertel kommen klar mit diesem Leben, ich hab alle meine Freunde aus dieser Gegend.“ Während dieser Textpassage wird der Wagen, in dem sich der Künstler Sido befindet, immer wieder mit schnell wechselnden Bildausschnitten von grauen Plattenbauten und scheinbar in dem Viertel lebenden Menschen 38 vgl. Wulf, Christoph, Zirfas, Jörg (Hrsg.) : Ikonologie des Performativen. S 35. 39 ebd. S. 5 Hickethier, Knut, Bild und Bildlichkeit in Einführung in die Medienwissenschaft Medienkultur, S. 5. Seite 16 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido eingeblendet. Die farbliche Gestaltung ist auch hier wiederum diffus grau und in gedeckten Farben gehalten, die die Szenerie trist und kalt wirken lassen. Während die Kamera einen Jugendlichen fokussiert, der drohend die Faust hebt und grimmig in die Kamera schaut, geht es im Text weiter: „Hab doch keine Angst vor dem Typen mit dem Schlagring, er ist zwar ein bisschen verrückt doch ich mag ihn. Ich kann verstehen, dass du dich hier nicht wohlfühlst, dass du viel lieber zu Hause im Kohl wühlst. Du sitzt lieber an gut gedeckten Tischen, dann merkst du schnell, Berlin ist nix für dich. Steig ein.“ Während dieser Textpassage sieht man den Künstler vor einen Wohnblock fahren und mit dem weiteren Mann aussteigen. Es wird in diesem Szeneabschnitt dunkel, so dass die Farbpalette weiterhin dunkel und gedeckt ist. Hier findet sich scheinbar in dem Textausschnitt „dann merkst du schnell, Berlin ist nix für dich“ die lokale Differenzierung und Abgrenzung des eigenen Lebensraumes wieder. Die Szenerie ist mittlerweile komplett dunkel. Zwei Männer treten in das Bild und stehlen aus dem vom Künstler stehengelassenen Wagen das Autoradio. Durch einen eingeblendeten Graffiti Schriftzug „Mein Block“ wechselt die Szenerie in einen neuen Tag. Die Farbgebung ist nun heller, weiterhin jedoch in diffusem Licht gehalten. Verschiedene Großwohnblöcke werden in schnellen Szenenschnitten eingeblendet. „Du in deinem Einfamilienhaus lachst mich aus, weil du denkst du hast alles was du brauchst. Doch im MV40 scheint die Sonne aus'm Arsch, im meinem Block weiß es jeder wir sind Stars. Hier krieg ich alles ich muss hier nicht mal weg, hier hab ich Drogen, Freunde und Sex.“ Untermauert werden diese Textpassagen mit klassischen Rapstilelementen. Deutlich zu erkennen sind die typischen HipHop Körperbewegungen des Künstlers vor allem die der Hände, die immer wieder auf die eigene Person deuten und die durch den Gesang vermittelte Botschaften Körper 40 Gemeint ist hier wahrscheinlich das „märkische Viertel“, ein sozialer Brennpunkt Berlins mit vielen Plattenbauten und einer hohen Kriminalitätsrate. Für Details siehe http://www.berlin.de/ba-reinickendorf/bezirk/wappen-chronik/maerkisches-viertel.html. Seite 17 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido sprachlich unterstreichen. „Die Bullen können kommen doch jeder weiß bescheid, aber keiner hat was gesehen, also könnt ihr wieder gehen.“ In die Szenerie treten nun Polizisten, die den gestohlenen Wagen gefunden haben und scheinbar nach Zeugen und Beweisen suchen. Eingeblendet werden nun verschiedene junge Erwachsenen die mit unbeteiligtem Blick die Szenerie verfolgen. Diese Szene hebt den Zusammenhalt und die loyale Verschwiegenheit der lokalen Gemeinschaft sowie die gemeinsamen kriminellen Aktivitäten, als eines der klassischen Stilmittel des Gangster-Rap hervor. „O.K. ich muss gestehen, hier ist es dreckig wie ne Nutte, doch ich weiß, dass wird schon wieder mit'n bisschen Spucke.“ Hier ist der kausale Bezug zwischen dreckig und „Nutte“ interessant, ebenso wie der Verweis auf die Spucke, wobei offen bleibt ob sich dies nun auf die „Nutte“ bezieht oder auf das „hier“ womit wohl der Wohnblock gemeint ist. Ob es sich dabei um einen Bedeutungsgehalt handelt oder nur auf das Reimen an sich bezogen ist bleibt unklar. Möglich jedoch wäre ein „in die Hände spucken“ im Sinne von Aufbruch und Veränderung. Oder aber der Verweis auf sie sozialen Verhältnisse im Block, dem ein spezielles Rotlichtmilieu zugeordnet wird. Die erste Strophe wird mit dem Refrain „Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block. Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt reicht vom 1. bis zum 16. Stock.“ beendet. Während des Refrains werden verschiedene urbane Symbole, beispielsweise Straßenschilder, verschiedene große Wohnblöcke, ein UBahneingang mit einem großen Berlinschild sowie verschiedene anscheinend zum Freundeskreis gehörende Personen in einem schnellen szenischen Wechsel eingeblendet. Sprachlich sind die starke Ich-Bezogenheit und die biographische Betonung auffällig. Im weiteren Verlauf werden detaillierte Beschreibungen der Hausbewohner geliefert: „Der Typ aus'm ersten war früher mal Rausschmeißer, seitdem er aus'm Seite 18 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido Knast ist, ist er unser Hausmeister. Er ist oft bei der Nutte aus'm zweiten, jetzt verkauft Sie Fotos von ihm, beim Arsch ausweiten. Der Fetischist aus dem fünften kauft sie gerne, er sagt Rosetten sehen aus wie kleine Sterne. Obwohl die von dem Schwulen aus dem elften immer aussieht, als wenn man den Schwulen gerade frisch rauszieht.“ Hier findet sich ein weiterer Bezug auf Kriminalität, Verbundenheit und Sexualität als klassische Gangsterrap-Stilelemente wieder. „Und davon sing ich dir ein Lied, du kannst es kaufen, wie die Sekte Fans aus'm neunten die immer drauf sind.“ Die Szenerie beginnt mit einem jungen Mann dessen Mundpartie mit einem Palästinensertuch verhüllt ist. In einem sehr schnellen Bildverlauf, werden weitere junge und tanzende Menschen vor einer Berlinfahne eingeblendet. die Farbgestaltung hier ist im Gegensatz zu weiten Teilen des Videos sehr hell und die dominierende Farbe ist rot. Die helle Beleuchtung dieser Szene könnte einen Verweis auf das hervorheben der Gemeinschaft stellen, die im Gegensatz des Ghettos nicht grau und trist ist. Auch die sehr schnellen Bildläufe, die das Gefühl von Energie vermitteln deuten darauf hin. „Genau wie der Junkie Aus'm vierten, der zum Frühstück erst mal 10 Bier trinkt. Dann geht er hoch in den siebten zum Ticker. Er bezahlt für 10 Teile doch statt Gras kriegt er nen Ficker.“ Diese Szene beginnt mit der Einblendung eines Mannes, der einen sehr verwahrlosten Eindruck macht. Die Haare scheinen ungekämmt, der Gang unsicher und er hält eine Bierdose in der Hand. Der Mann klopft an einer Tür, diese wird von einem großen, muskulösen Mann in Unterhemd geöffnet. Er trägt eine Sonnenbrille und hat eine harte, grimmige Mimik. Der „Junkie“ reicht ihm Geld, bekommt aber nur den Mittelfinger gezeigt und die Tür wird wieder vor ihm verschlossen. Der „Junkie“ klopft nun aggressiver an die Tür, diese wird geöffnet und der „Ticker“ schlägt den Kopf des „Junkies“ mehrmals hart an dessen Tür, wonach der Junkie zu Boden sinkt. „im zwölften bei Manne kriegst du Falschgeld, und'n Bootleck von Eißfeld. Ein stock hoher hat so'n Kerl sein Studio, er rappt und macht Tracks auf Seite 19 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido wie Coolio.“ „Manne“ wird vom Künstler per Handschlag begrüßt, dann scheint Sido eine Uhr zu verkaufen. Geldscheine werden durch die Luft geworfen. Hier kommt vermutlich das „Dissen“ (verbale Beleidigen) ins Spiel. Das „Dissen“ ist ein Bestandteil der HipHop Szene und erfüllt im wesentliche die Aufgabe verbale Konflikte innerhalb der Künstlerszene auszutragen, als eine Art Selbstverständigung dient und als Medium zum Aufbau von Identität41. Als einen Bootleg bezeichnet man eine illegale Tonaufzeichnung, sehr häufig Mitschnitte von Musikkonzerten. Es gibt aber mittlerweile eine Fülle von Internetseiten, wo man Bootlegs legal erwerben kann und sie scheinen einen gewissen Kultstatus erreicht zu haben. Bei dem Bezug auf Eißfeldt handelt es sich sehr wahrscheinlich um den Hamburger HipHopper Jan Delay der Gruppe „die Beginner“, wobei hier offen bleibt, ob es sich um „dissen“ oder gar eine Respektzuschreibung handelt. „Der Kerl mit dem Studio“ könnte eine Selbstbeschreibung Sidos sein. Der Bezug auf Coolio könnte darauf hinweisen. Coolio ist ein amerikanischer Rap-Künstler, der wohl seinen größten Erfolg mit der Filmmusik zu Dangerous Minds feierte. „Wenn ich ficken will fahr ich runter in den dritten, aber die Braut fick ich nur zwischen die Titten. Denn der Pornostock befindet sich im achten, hier könnt ich jeden Tag woanders übernachten.“ Die Kamera ist in diesem Szenenabschnitt vor allem auf leicht bekleidete Brüste, Hinterteile und Beine gerichtet. Die Frauen wirken sich anbiedernd und schauen mit schmachtendem Blick in die Kamera. Man sieht in verschiedenen Einstellungen Sido umringt von Frauen. Die Farb- und Lichtgestaltung ist in diesem Szenenabschnitt weicher gehalten. Das Licht wirkt immer noch diffus, jedoch dominieren hier die Farben braun und rot. Der Akzent dieser Szene scheint auf der Performanz der Männlichkeit von Sido zu liegen. In den weiteren Szenen, gibt es immer wieder bildliche Bezüge auf Freunde 41 vgl, Bock, Karin, Meier Stefan, Süss Gunter (Hrsg.): HipHop meets Academia, Globale Spuren eines lokalen Kulturphänomens. S. 231. Seite 20 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido verschiedener ethnischer Herkunft, leicht bekleidete Frauen, urbane Elemente, Autos, Graffiti, auch ein bellender Kampfhund ist Teil der Szenerie. Das Video endet mit einer Fragestellung, wobei offen bleibt, an wen diese gerichtet ist. Möglich ist, dass hier die „Zuschauer“ im Besonderen einbezogen werden. Die Herstellung einer Gemeinschaft (Wir) oder einer Differenzierung (Wir und Ihr) basierend auf einer Ko-Präsenz42. Direkt angesprochen werden Beathoavenz43 und das Berliner Label Aggro Berlin. „Yeah, jetzt könnt ich euch entscheiden. Wer hat den geilsten Block in Deutschland, ALTER? Yeah, Beathoavenz Remix. Sido. Aggro Berlin.“ 4.3 Analyse und verwendete Stilmittel Städtische Symbole im Rap werden häufig auch zur visuellen Inszenierung von Urbanität und ihren sozialen, ökonomischen und politischen Folgen verwendet. Großwohnsiedlungen, heruntergekommene Straßenzüge, mit Graffiti besprühte Wände sind gängige visuelle Markierungen, die einen Verweis auf die Ursprünge von Rap und eine lokale Authentifizierung der Musik, den Musikern und Hörern sicherstellt44. Diese Elemente bilden einen zentralen Bestandteil des Videos. Das Ghetto als ein Hauptmerkmal des Videos soll hier etwas näher beleuchtet werden. Es kann als ein Raum gesehen werden, in dem eine von der Gesellschaft stigmatisierte und abgelehnte Populationsgruppe ausbeziehungsweise eingegrenzt wird. Der französische Soziologe und Schüler Pierre Bourdieus Loic Wacquant bezeichnet das Ghetto als eine „kollektive Identitätsmaschiene“45. Das Ghetto übernimmt damit zwei wesentliche Funktionen. Nach außen macht es die soziokulturelle Kluft zwischen den von der Gesellschaft Ausgeschlossenen und Stigmatisierten deutlich und verfestigt sie zugleich, zum anderen – nach innen gesehen – schafft es kollektiven Schutz und bietet ein Schild nach Außen. Ein weiterer As- 42 vgl. Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen. S. 82. 43 Die Beathoavenz sind ein Musikproduzenten Duo aus Berlin. siehe http://www.myspace.com/beathoavenz. 44 vgl. Helms Dietrich, Sound and the City: Populäre Musik im urbanen Kontext, S. 46. 45 vgl. Baldauf, Anette: Entertainment Cities, Unterhaltungskultur und Stadtentwicklung, S.85. Seite 21 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido pekt kommt dem Ghetto im Rahmen der Jugendkultur zu, wie Baldauf (2008) beschreibt: „Angesichts der in Szene gesetzten Ghetto-Realness, d.h. des ostentativen Abfeierns von mythologisch verklärten GhettoMerkmalen, wird deutlich, dass das Ghetto nicht nur als Waffe und Schild eingesetzt wird – es stellt auch eine profitable Währung dar. Hyperbolisch inszenierte Geschichten über Gewalt, Machismo, Crack und hartes Überlebenstraining definieren den Unterhaltungswert jugendkultureller Produktionen, versprechen Einblick in einen radikal anderen Ort und ein radikal anderes Leben“46. Der Ursprung dieser Ghetto-Mythologie, den auch das Video zu nutzen scheint, findet sich in amerikanischen Wurzeln wieder. Die Gebiete, die vor allem von afroamerikanischen Menschen bewohnt wurden, wurden teilweise in vulgären, metapherreichen Geschichten als Orte der „tödlichen Gang-Räume“ stilisiert47. Jugendliche aus sozialen Minderheiten verwenden häufig zur Diskursanregung städtischer lokaler Identität Rap-Musik. Durch eine starke Hervorhebung von der Verbundenheit mit seinem Wohnblock und der darin lebenden Gemeinschaft verankert sich scheinbar der Künstler Sido in seiner unmittelbaren Umgebung und grenzt sich somit von anderen Umwelten und anderen Rappern, die ähnlich begrenzte Räume nutzen, ab (siehe Textpassage: „Yeah, jetzt könnt ich euch entscheiden. Wer hat den geilsten Block in Deutschland, ALTER?“). Eine breite Darstellung des eigenen Lebensraumes mit den darin lebenden Menschen bezeugt Respekt und mit fortsetzender Ehrenbezeugung Loyalität gegenüber den eigenen Wurzeln48. Eine weitere Funktion des Terminus Respekt ist der Verweis auf Dominanz und Autorität über ein bestimmtes Gebiet49. Damit wird scheinbar eine einseitige trostlose Darstellung von sozialen und ökonomischen Verhältnissen vermieden und die starke Bedeutung von bestimmten Orten, 46 ebd. S. 86. 47 ebd. 48 vgl. Lüdke, Solveig: Globalisierung und Lokalisierung von Rapmusik am Beispiel amerikani scher und deutscher Raptexte. S. 23. 49 ebd. Seite 22 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido Freunden und sozialen Netzwerken hervorgehoben50. „Realitätsnähe, Authentizität und reduzierte räumliche Skalierungen werden bei der Präsentation „authentischen“ Straßenlebens konzeptionell verbunden“51. Etwas näher möchte ich auf das Element der Gemeinschaft eingehen, da diesem im Video meines Erachtens eine starke Betonung und Bedeutung gegeben wurde. Die Auswahl eines real existierenden Lebensbereiches, die des Wohnblocks und die vielen scheinbar darin lebenden Mitakteure könnte einen Verweis darauf geben. Da die Gemeinschaft und der Zusammenhalt dieser ein Stilmittel des Gangsters Raps sind, erscheint dies nicht ungewöhnlich. Für mich jedoch schien es noch einen anderen Bedeutungsgehalt zu haben. Es stellt einen Zusammenhang zwischen Akteur und Zuschauer her. Nach Fischer-Lichte (2004) wird durch die Herstellung von Gemeinschaft aus Akteur und Rezipient die Beteiligung bislang verweigerter Lebenserfahrung ermöglicht52. Fischer-Lichte beschreibt dies wie folgt: „Die nach bestimmten ästhetischen Prinzipien hervorgebrachte Gemeinschaft von Akteuren und Zuschauern wird von ihren Mitgliedern stets auch als eine soziale Realität erfahren“53. Sido wählt für seine Inszenierung einen Ort, der von häufig in Musikvideos verwendeten Bühnen, wie zum Beispiel Studios, abweicht und inszeniert stattdessen in seinem Video „mein Block“ Orte, die nicht von der sozialen Wirklichkeit abgeschottet sind54. Damit wird ein Gemeinschaftsgefühl geschaffen und Authentizität hergestellt. Die im Video häufig verwendeten schnellen Szenen- und Bildwechsel, vermitteln ein Gefühl von Dynamik, Geschwindigkeit und Mobilität. Eine visuelle Einladung in den dargestellten Lebensraum. Schnell kann hier das Gefühl gewonnen werden, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse im Block, mit seiner im Video dargestellten Prostitution, Drogen und Gewalt, sozialromantisch und sozialutopisch verklärt wird. 50 Lüdke, Solveig: Globalisierung und Lokalisierung von Rapmusik am Beispiel amerikani scher und deutscher Raptexte, S. 24. 51 ebd. 52 Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen. S. 86. 53 ebd. S. 91. 54 ebd. Seite 23 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido Ebenfalls ist der „Habitus der Härte“55 als ein gängiges und immer wiederkehrendes Muster im Video zu verorten, sei es in Form des kühl blickenden Protagonisten Sido oder aber der Video mitwirkenden Nebenprotagonisten die eine kühl aufgesetzte Mimik offerieren oder aber in gesteigerter Form von offenen Drohgebärden oder kläffenden Hunden. Auch die stets im Video getragene silberne Maske, könnte auf ein Element schließen, das Vermummt und Härte suggerieren soll. Einzig die im Video mitwirkenden Frauen lächeln häufig und zeigen keine Form von klassischer Härte. Während Bourdieu den Habitus auf ein stabiles, biographisches Handlungswissen zurückführt, das dauerhaft erworben wird, spreche ich hier von einer habituellen Persönlichkeitseigenschaft, die im laufe des Lebens eines Individuums verändert werden kann. Individuelle und Gemeinschaftliche Erfahrungen einer Person finden sich im Habitus wieder und stellen ein innewohnendes routiniertes Handlungswissen bereit56. Die Quelle der Härte ist scheinbar der Akt der Verhüllung des Selbst, in dem das innere weiche der nach außen getragenen Härte weicht und das Individuum Härte als Attitüde oder Image nach außen präsentiert57. Dieser Habitus wird von den Protagonisten inkorporiert und zeigt sich besonders in ihrer Körperlichkeit, sei es in der Mimik oder in der Art zu gehen. Die Akteure im untersuchten Video inszenieren sich als unnahbar und unverletzlich und gewinnen scheinbar durch das vollziehen des Rituals der gemeinsam zur Schau gestellten Härte Kontrolle über ihren gemeinsamen sozialen Raum. Im gesamten Video gewinnt man das Gefühl einer biographischen Darstellung des Künstlers, wobei der eigene Wohnbezirk zum Schlüsselloch einer bestimmten sichtweise sozialer Beziehungen verwendet wird und ferner Identität konstruiert58. 55 Liell, Christoph: Jugend, Gewalt und Musik. Praktiken der Efferveszenz in der HipHopSzene in Ethnologie der Jugend, S.130. 56 ebd. S. 130 Fußnote 8. 57 ebd. S. 131. 58 vgl.Lüdke, Solveig: Globalisierung und Lokalisierung von Rapmusik am Beispiel amerikani scher und deutscher Raptexte, S. 24. Seite 24 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido 5 Zusammenfassung und Fazit In Kapitel 2 bin ich auf die geschichtliche Evolution des Rap bzw. HipHop eingegangen und habe hierbei besonders zur Spezifik des Genres in Deutschland Stellung genommen. Wie sich hier zeigte, ist der HipHop eine ursprünglich aus den USA stammende Musikrichtung, welche in den 1980er Jahren in Deutschland Fuß fasste und sich seitdem zu einer wichtigen Stilrichtung von Jugendkulturen entwickelt hat. Abschnitt 3 beschäftigte sich mit dem theoretischen Hintergrund und der methodischen Vorgehensweise der in Punkt 4 vorgenommenen Videoanalyse. Wie sich hier zeigte, versucht der Rapper Sido mittels seines Videos „Mein Block“ eine typische Gangster-Identität aufzubauen. Typische Stilmittel wie das Rekurrieren auf die eigene Wohnsituation, der starke Zusammenhalt der Clicke oder kriminelle Elemente weisen deutlich darauf hin. Auch das Abwerten anderer Bevölkerungsgruppen (Frauen, Homosexuelle, Reihenhausbesitzer etc.) deutet stark auf eine solche hin. Deutlich zu erkennen ist die im Video gesetzte Geschlechterdifferenzierung. Während der Mann mit Attitüden der Stärke und Unnahbarkeit besetzt wird, reduziert sich die Darstellung der Frau hauptsächlich auf „nett, unterwürfig und abhängig“. Dies wird für mich vor allem durch die starke Konnotation auf weibliche Körperteile wie die Brust, Bein und Po sichtbar. Bei der Konstruktion von Genderidentitäten als soziales Konstrukt in sozialen Interaktionen, wird vor allem auf bestimmte Aussageweisen wie „Aber die Braut fick ich nur zwischen die Titten“ oder „hier ist es dreckig wie ne Nutte“ zurückgegriffen59. Unterstrichen wird dies durch die unterschiedliche Farbgebung und Lichtgestaltung in der Darstellung beider Geschlechter. Während die im Video auftretenden Männer häufig in kühl wirkendem Licht dargestellt werden, ist die Farbsetzung der Frauen in rotem, weichem Licht sehr prägnant. 59 vgl. Lüdke, Solveig: Globalisierung und Lokalisierung von Rapmusik am Beispiel amerikani scher und deutscher Raptexte, S. 313. Seite 25 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido Aufgrund seiner starken lokalen Verankerung und gleichzeitiger globaler Vermarktung bietet Rap Musik ein Beispiel dafür, wie sich kulturelle Erfahrungen in lokales Alltagsleben durch die Papper integrieren kann und neu vermarkten lässt. Die Adaption amerikanischer Rapstilelemente war für mich sehr auffällig. Ich bin der Meinung, dass diese jedoch nicht nur als eine reine Imitation amerikanischer Verhältnisse zu sehen ist, sondern auch als Resultat eines Rekontextualisierungsprozesses, bei dem die wahrgenommenen Sichtweise den lokalen sozialen Verhältnissen zum Teil angepasst wurden. Wenn ich meine Beobachtung und die daraus entwickelte Analyse zusammenfasse, besteht mein Fazit in der Auffassung, dass Sido in seinem Video „mein Block“ durchaus eine Gangster-Identität konstruiert. Sido greift im Video in erheblichem Maß auf zentrale Stilelemente des Gangsters und des Gangster-Rap zurück. Ginge es ihm nur um den Diskurs der Darstellung bestimmter sozialer Verhältnisse, hätte er auf andere Genres des Rap zurückgreifen können. Nach Lüdke (2007) verlagert sich der Legitimations- und Authentizitätsanspruch gerade Deutscher Rapper auf das Lebensgefühl HipHop und der verbalen Performanz, die eigenen Lebensverhältnisse in genretypiische Narrative zu transformieren60. Lüdke fasst dies sehr treffend zusammen: „Die Zeichenwelten des Ghettos und der Straße werden zum ‚Lifestyle-Element’ […] transformiert. Erzählungen sozialer Marginalisierungserfahrungen rücken an die Stelle ethnischer Randständigkeitserfahrungen. Selbst- und Fremdthematisierung kreisen um soziale Marginalisierung, politisches Potenzial und authentischen Gehalt“61. 60 vgl. Lüdke, Solveig: Globalisierung und Lokalisierung von Rapmusik am Beispiel amerikani scher und deutscher Raptexte, S.29. 61 ebd. Seite 26 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido 6 Quellenverzeichnis Literatur • Baldauf, Anette: Entertainment Cities. Unterhaltungskultur und Stadtentwicklung. Springer Vienna Verlag, Wien 2008. • Bock, Karin, Meier, Stefan, Süß, Gunter: HipHop meets Academia: Globale Spuren eines lokalen Kulturphänomens, transkript Verlag, Bielefeld, 2007 • Dufresne, David: Yo! Rap Revolution, Buchverlag Michael Schwinn, Neustadt 1992 • Fischer, Jonathan: Der Film, der alles erzählt – "Wild Style" ist die Basis des HipHop. 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Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2006. • Riggenbach, Paul: Funktionen von Musik in der modernen Industriegesellschaft. Eine Untersuchung zwischen Empirie und Theorie. Techum Verlag 2000. • Scheiper, Petra: Textile Metamorphosen als Ausdruck gesellschaftlichen Wandels: Das Bekleidungsverhalten junger Männer und Frauen als Phänomen der Grenzverschiebung von Sex- und Gender-identitäten, VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden, 2008 • Wulf, Christoph, Zirfas, Jörg (Hrsg.) : Ikonologie des Performativen. Fink Verlag, München 2005. Seite 28 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido Internetquellen • Beathoavenz Producerteam: Vorstellung. In: http://www.myspace.com/beathoavenz. Letzter Zugriff: 11.05.2009, 13:00 Uhr. • Bezirksamt Reinickendorf von Berlin: Der Ortsteil Märkisches Viertel. In: http://www.berlin.de/ba-reinickendorf/bezirk/wappenchronik/maerkisches-viertel.html. Letzter Zugriff: 11.05.2009, 13:00 Uhr. • Fischer, Jonathan: Der Film, der alles erzählt - "Wild Style" ist die Basis des HipHop. In: http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/450774. Letzter Zugriff: 11.05.2009, 13:00 Uhr. • N24: Ungleiche Begegnung. Friedman trifft Rapper Sido. In: http://www.n24.de/news/newsitem_2780597.html. Letzter Zugriff: 20.02.2009, 13:14 Uhr. • Sido: Mein Block (Musikvideo). In: http://www.youtube.com/watch?v=ZyYVIlmk4wM. Letzter Zugriff: 10.05.2009, 22:30 Uhr. • Sido: Mein Block (Songtext). In: http://www.allthelyrics.com/song/288703/. Letzter Zugriff: 09.05.2009, 15:00 Uhr. Seite 29 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido 7 Anhang Anhang A: Text zum Muskvideo „Mein Block“ von Sido62 Steig ein, ich will dir was zeigen, den Platz an dem sich meine Leute rumtreiben. Hohe Häuser, dicke Luft, ein paar Bäume, Menschen auf Drogen hier platzen Träume. Wir hier im Viertel kommen klar mit diesem Leben, ich hab alle meine Freunde aus dieser Gegend. Hab doch keine Angst vor dem Typen mit dem Schlagring, er ist zwar ein bisschen verrückt doch ich mag ihn. Ich kann verstehen, dass du dich hier nicht wohlfühlst, dass du viel lieber zu Hause im Kohl wühlst. Du sitzt lieber an gut gedeckten Tischen, dann merkst du schnell, Berlin ist nix für dich. Steig ein. Du in deinem Einfamilienhaus lachst mich aus, weil du denkst du hast alles was du brauchst. Doch im MV scheint die Sonne aus'm Arsch, im meinem Block weiß es jeder wir sind Stars. Hier krieg ich alles ich muss hier nicht mal weg, hier hab ich Drogen, Freunde und Sex. Die Bullen können kommen doch jeder weiß bescheid, aber keiner hat was gesehen, also könnt ihr wieder gehen. O.K. ich muss gestehen, hier ist es dreckig wie ne Nutte, doch ich weiß, dass wird schon wieder mit'n bisschen Spucke. Mein schöner weißer Plattenbau wird langsam grau, drauf geschissen, ich wird auch alt und grau im MV. Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block. Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt reicht vom 1. bis zum 16. Stock. Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block. Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt reicht vom 1. bis zum 16. Stock. Der Typ aus'm ersten war früher mal Rausschmeißer, seitdem er aus'm Knast ist, ist er unser Hausmeister. Er ist oft bei der Nutte aus'm zweiten, jetzt verkauft Sie Fotos von ihm, beim Arsch ausweiten. Der Fetischist aus dem fünften kauft sie gerne, er sagt Rosetten sehen aus wie kleine Sterne. Obwohl die von dem Schwulen aus dem elften immer aussieht, als wenn man den Schwulen gerade frisch rauszieht. Und davon sing ich dir ein Lied, du kannst es kaufen, wie die Sekte Fans aus'm neunten die immer drauf sind. Genau wie der Junkie Aus'm vierten, der zum Frühstück erst mal 10 Bier trinkt. Dann geht er hoch in den siebten zum Ticker, er bezahlt für 10 Teile doch statt Gras kriegt er nen Ficker. Damals wer der Drogenstock noch der zehnte, der aus'm siebten ist der, der überlebte. 62 Quelle: http://www.allthelyrics.com/song/288703/ Seite 30 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block. Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt reicht vom 1. bis zum 16. Stock. Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block. Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt reicht vom 1. bis zum 16. Stock. Auch wenn ich jetzt das Land rock, bin ich immer noch Sido aus'n Block. Ich fühl mich wohl zwischen Dreck und Gesocks, denn egal wohin du gehst, es kommt drauf an wo du herkommst. Hier kriegst du alles, im zwölften bei Manne kriegst du Falschgeld, und'n Bootleck von Eißfeld. Ein stock hoher hat so'n Kerl sein Studio, er rappt und macht Tracks auf wie Coolio. Ganz zur Freude der Hausfrau darüber, die sagt. Männer ficken auch nicht mehr wie früher. Deshalb trifft man sie oft im fünfzehnten Stock, bei der Hardcorelesbe mit dem Kopf unter ihrem Rock. Wenn ich ficken will fahr ich runter in den dritten, aber die Braut fick ich nur zwischen die Titten. Denn der Pornostock befindet sich im achten, hier könnt ich jeden Tag woanders übernachten. Im sechzehnten Stock riecht der Flur voll streng, aus der Wohnung wo so'n Kerl schon seit 3 Wochen hängt. Ich häng im sechsten rum, in meinem Stock, mit meinen übergeilen Nachbarn, in mein Block. Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block. Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt reicht vom 1. bis zum 16. Stock. Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block. Meine Gedanken, mein Herz, mein Leben, meine Welt reicht vom 1. bis zum 16. Stock. Yeah, jetzt könnt ich euch entscheiden. Wer hat den geilsten Block in Deutschland, ALTER ? Yeah, Beathoavenz Remix. Sido. Aggro Berlin. Seite 31 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido Anhang B: Der typische HipHop-Kleidungsstil Abbildung 1 Klassische HipHop Kleidung mit tief sitzenden Hosen Abbildung 2 Sehr weite Shirts und tief sitzende Hosen 63 64 63 Quelle: http://fudder.de/fileadmin/media/user/bianca/galerien/ StilfrageLucas/ 51-21774896Stilfrage.jpg 64 Quelle: http://www.spiegel.de/kultur/musik/0,1518,grossbild-413187-330581,00.html Seite 32 von 33 Genrespezifische Identitätskonstruktion von HipHop-Musikern am Beispiel Sido 65 Abbildung 3 Die klassischen Baggy Pants Abbildung 4 Typische Körperhaltung und harte Mimik 66 65 Quelle: http://i2.photobucket.com/albums/y23/nikeairmax/ ap_sagging_pants_071015_ms.jpg 66 Quelle: http://2.bp.blogspot.com/_otDSxvn-vVY/RlaYqSVkkpI/AAAAAAAAAF4/ 1- 8nu27vcH0/s320/HipHopCrew.jpeg Seite 33 von 33