Weißensee Folge 1 - Stichwort:Drehbuch
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Weißensee Folge 1 - Stichwort:Drehbuch
„Weißensee“ Die Serie Folge 1 „Operation Juninacht“ Drehbuch von Annette Hess (Fassung 27.06.2009) Sender: Redaktion: MDR Jana Brandt Wolfgang Voigt Produktion: Ziegler Film Produzentin: Regina Ziegler Producer: Marc Müller-Kaldenberg HAUPTFIGUREN Martin Kupfer, 33, Volkspolizist, Obermeister VP Hans Kupfer, 61, Martins Vater, Oberst MfS, stellvertretender Leiter der Hauptabteilung XX, zuständig für die Überwachung von Staatsapparat, Kultur, Kirche, Untergrund Marlene Kupfer, 58, Martins Mutter, Altenpflegerin Falk Kupfer, 38, Martins Bruder, Major MfS in der HA XX Vera Kupfer, 36, Falks Ehefrau, Lehrerin Roman Kupfer, 13, deren einziges Kind Dunja Hausmann, 56, Liedermacherin Julia Hausmann, 24, Dunjas Tochter, Kosmetikerin NEBENFIGUREN Uwe Geifel, 50, Leutnant MfS der HA XX Günther Gaucke, 72, General MfS, Leiter der HA XX, Chef von Hans und Falk Peter Görlitz, 42, Volkspolizist, Obermeister VP, Kollege von Martin Lisa Grambow, 6, Martins Tochter Marion Grambow, 32, Martins Ex-Frau Armin Priess, 32, Dunjas Pianist Moni Schrader, 36, geschieden, zwei Kinder, Julias Chefin im Kosmetikgeschäft Christine Jeroch, 54, Schriftstellerin Kleinkunstbühne, Dunjas Freundin und Betreiberin eines Lokals mit Roland Einrauch, 44, Dramatiker, Dunjas Freund Uwe Krömer, 52, Musiker, Dunjas Freund Wolf Zander, 65, Theaterregisseur, Dunjas Freund EPISODENFIGUREN Robert Schnyder, 34, Ingenieur, Amerikaner mit deutscher Herkunft, Julias Liebhaber „Weißensee - Operation Juninacht“ 1 01. BILD / OST-BERLIN / WEIßENSEE A/T Ostberlin, Juli 1980. Der Weißensee im Bezirk Pankow. Es ist ein schöner Sommertag. Familien sind unterwegs, viele Kinder, dazwischen gemächlich schlendernd ältere Spaziergänger. Ein harmonisches Bild. Auf einem Spielplatz am Ufer schaukelt ein 6jähriges Mädchen. Ein sympathisch aussehender Mann gibt ihr Anschwung. Es ist Martin Kupfer mit seiner Tochter Lisa. Lisa schreit vor Vergnügen. LISA Noch höher! Höher!!! Zwei attraktive Frauen gehen an Martin vorbei und sehen ihn neugierig an, eine lächelt. Doch Martin bemerkt es nicht, er geht ganz in dem Spiel mit seiner Tochter auf. LISA Jetzt springe ich ab! MARTIN (erschrocken) Nein, Lisa! Das ist zu hoch... LISA Ich kann das! MARTIN Lisa! Aber Lisa hört nicht und macht einen großen Sprung, sie landet auf den Füßen, dreht sich um und strahlt ihren Vater an, der heranläuft und sie besorgt untersucht. MARTIN Hast du dir wehgetan? LISA Habe ich doch gesagt, ich kann das! Da nimmt Martin Lisa plötzlich wie einen Sack über die Schulter und läuft mit ihr los. MARTIN Zur Strafe kommst du jetzt in den See für ungezogene Kinder! LISA (lacht) Nein!!! MARTIN Doch!!! „Weißensee - Operation Juninacht“ 2 Martin läuft auf das Ufer zu und tut so, als wolle er Lisa in den See hineinwerfen. Sie amüsiert sich sehr... dann stellt Martin Lisa ab. MARTIN Ich will mal Gnade vor Recht ergehen lassen. Zeitsprung: Lisa und Martin sitzen im Gras und schlecken jeder ein Eis. LISA Wie viele Banditen hast du letzte Woche gefangen? MARTIN Mindestens hundert. Etwas entfernt tritt eine gutaussehende, ziemlich zurechtgemachte Frau Mitte 30 hinter einem Baum hervor und beobachtet die beiden, scheinbar unbeteiligt. Es ist Marion Grambow. LISA Waren die gefährlich? Martins Blick fällt auf die Frau, die ihn und Lisa ausdruckslos ansieht. Martin wirft einen Blick auf die Uhr. MARTIN (abgelenkt) Banditen. Nein, das waren nur nette LISA Das gibt’s doch gar nicht, Papa: nette Banditen. Martin steht auf. MARTIN (weiter) Komm. Es wird Zeit. Martin hält Lisa die Hand hin, sie erhebt sich widerwillig. Martin geht Marion mit Lisa an der Hand entgegen. Die beiden Erwachsenen nicken sich förmlich zu. LISA Kann ich nicht noch hier bleiben? MARION Sag Tschüß für heute, Lisa. „Weißensee - Operation Juninacht“ 3 MARTIN Ich muss jetzt auch zum Dienst, Lisa. Lisa umarmt ihren Vater stürmisch. LISA Bis übernächsten Mittwoch. MARTIN Pass auf dich auf, Lisa... Marion nimmt Lisas Hand. MARION Tschüß, Martin. MARTIN Tschüß. Die beiden gehen. Martin sieht seiner Tochter nach, sie dreht sich noch einmal um und winkt. Martin winkt lachend zurück... LISA (zu Marion) Papa hat immer noch keine neue Frau. MARION Woher weißt du das? LISA Ich habe ihn gefragt. Und dann hat er noch gesagt, er ist fertig mit den Damen.’ (nach einer Pause) Mama, was sind eigentlich Damen? 02. BILD / OST - BERLIN / KOSMETIKGESCHÄFT I/T Zur gleichen Zeit. In einem Kosmetikgeschäft berät Julia Hausmann, schön anzusehen in ihrem weißen Kittel, eine Kundin. Sie öffnet eine Parfümflasche. JULIA ... ‚Passion de lagune’. Ganz neu. Das ist heute morgen erst reingekommen. Julia besprüht das Handgelenk der Kundin, die schnuppert vorsichtig. JULIA Duftet nach Orchideen, Sonne und Meer... laut Hersteller. „Weißensee - Operation Juninacht“ 4 KUNDIN (skeptisch) Naja. Julia sprüht sich ebenfalls auf das Handgelenk und schnuppert. JULIA Oder doch eher wie umgekippter Obstsalat. Julia lacht, die irritierte Kundin lacht schließlich mit... Julias Chefin, Moni Schrader, die am Tresen Eintragungen in ein Buch macht, sieht herüber. 03. BILD / OST - BERLIN / VOR KOSMETIKGESCHÄFT A/T Draußen vor dem Kosmetikgeschäft hält in diesem Moment ein Sportwagen mit Westberliner Kennzeichen. Hinter dem Steuer sitzt Robert Schnyder, 34, ein Deutsch-Amerikaner, gutaussehend, modisch gekleidet, etwas glatt. Er drückt auf die Hupe. 04. BILD / OST - BERLIN / KOSMETIKGESCHÄFT I/T Julia und Moni Schrader sehen durch das Fenster. Draußen winkt Robert. Julia wirft einen Blick auf die Uhr. Moni kommt heran, sie nimmt Julia das Parfum ab. MONI SCHRADER Na, geh schon. Bevor der hier die ganze Straße zusammenhupt. JULIA Danke, Moni. Julia streift eilig im Gehen ihren Kittel ab, verschwindet dabei im Hinterzimmer, aus dem sie ebenso schnell wieder auftaucht. Sie trägt eine Umhängetasche. Inzwischen: MONI SCHRADER (zur Kundin) ‘Passion de lagune’ ist etwas ganz Exquisites. Das kriegen sie nicht immer. KUNDIN Kann ich drei Flaschen haben, bitte... „Weißensee - Operation Juninacht“ 5 05. BILD / OST - BERLIN / VOR KOSMETIKGESCHÄFT A/T Julia kommt aus dem Geschäft. Sie steigt zu Robert ins Auto, die beiden geben sich einen Kuss. Julia dreht das Autoradio auf. Rockmusik ist zu hören. Julia dreht laut auf, Robert fährt ab... 06. BILD / OST - BERLIN / POLIZEIWACHE - UMKLEIDERAUM I/T Im Umkleideraum der Polizeiwache. Martin steht vor einem Spind und sieht in einen kleinen Spiegel, er knöpft seine Uniformjacke zu. Ein Kollege in Uniform kommt herein, Peter Görlitz, 42. GÖRLITZ Mensch, da biste ja endlich. Wir müssen seit 15 Minuten auf Streife sein! Martin schließt den Spind ab. MARTIN Ich war am See. Mit Lisa. GÖRLITZ Verstehe: Privates geht vor Katastrophe. Inzwischen holt Görlitz etwas aus seinem Spind. Eine Papiertüte, die er Martin hinhält. GÖRLITZ Hier. Probier mal. Martin greift in die Tüte und holt eine blass aussehende Tomate heraus. GÖRLITZ Eigene Ernte, aus unserm Gärtchen. Gitta sagt, was Besseres kriegste nicht mal im Delikat. Martin beißt hinein. GÖRLITZ Na, sag mal: ist die nicht zuckersüß? Martin verzieht das Gesicht: na ja. 07. BILD / OST - BERLIN / PARKPLATZ „Weißensee - Operation Juninacht“ I/A/ABEND 6 Zur gleichen Zeit. Robert hat seinen Sportwagen gerade auf einem menschenleeren Parkplatz geparkt. Julia verzieht das Gesicht. JULIA Ich mag keinen Sex im Auto, das weißt du doch. ROBERT Du denkst auch immer nur an das eine. Schnitt auf: Robert öffnet den Kofferraum, Julia steht daneben. ROBERT Fällt dir was auf? Im Kofferraum ist außer zwei leeren Bierkästen nichts. JULIA Du säufst heimlich. Da dreht Robert zwei Schrauben an der Rückwand des Kofferraumes heraus, die Wand klappt nach vorne. Dahinter wird ein kleiner Hohlraum sichtbar. ROBERT Ich habe die Rückwand vorversetzt. JULIA (kapiert, witzelt trotzdem) Damit du deine Pullen besser verstecken kannst. Robert sieht sich um, niemand ist zu sehen. ROBERT Probier’s mal aus. Julia sieht Robert an, zögert einen Moment lang... ROBERT Ganz unverbindlich. JULIA Sprach der Wolf. Aber Julia steigt dann doch schnell in den Kofferraum. Sie zwängt sich in den Hohlraum. JULIA Drei Wochen lang abends nur noch Salat, dann ist es hier bestimmt supergemütlich. Robert verschließt die Klappe. „Weißensee - Operation Juninacht“ 7 ROBERT So, und jetzt mach ich nicht mehr auf, bis wir drüben sind... Es ist nicht ganz klar, ob es sich hierbei um einen Witz handelt... Julia klopft von innen gegen die Rückwand. JULIA (dumpf) Mach auf! Robert! Komm, lass mich wieder raus...! Doch Robert lächelt nur... 08. BILD / OSTBERLIN / STRAßE / POLIZEIWAGEN I/A/N Später. Es ist dunkel. Ein Einsatzwagen der Schutzpolizei, ein Lada, fährt eine wenig befahrene Straße in Weißensee entlang. Martin, in Vopo-Uniform, steuert den Wagen. Görlitz sitzt auf dem Beifahrersitz, seine Tomaten kauend, und hält Martin seinen üblichen Vortrag. GÖRLITZ („offiziell“) Weißt du, Martin, was mir an dir nicht gefällt? Deine Haltung zu Fragen des Fortschritts. – Wieso fährst du seit Jahren Streife? Wenn ich deinen Stammbaum hätte, ich wäre längst Hauptmann, würde auf dem Stuhl vom Chef sitzen und... MARTIN (setzt fort) …über ganz Lichtenberg regieren, ich weiß. Martin hält an einer roten Ampel. Görlitz hält ihm die Tüte hin. Martin schüttelt dankend den Kopf. GÖRLITZ Ist doch paradox: mich lassen sie nicht hochkommen, weil Gitta eine Cousine in Hamburg hat. Und du willst nicht, weil du lieber Betrunkene von der Straße aufsammelst, als im Warmen zu sitzen und Befehle zu geben... also, wenn dein Alter mein Alter wäre... Da kreuzt mit ziemlicher Geschwindigkeit ein Sportwagen: Roberts Sportwagen. MARTIN „Weißensee - Operation Juninacht“ 8 (re: Sportwagen) Hast du den gesehen? Der hat doch mindestens 70 drauf. GÖRLITZ Einer aus’ m Westen. Komm, den holen wir uns! Die Ampel wird grün. Martin biegt ab und gibt Gas. MARTIN (ironisch) Wir versuchen. können es jedenfalls mal Martin schaltet das Martinshorn ein... er tritt auf das Gaspedal, der Lada gibt, was er kann... 09. BILD / OSTBERLIN / ROBERTS SPORTWAGEN / STRAßE I/A/N In Roberts Sportwagen. Julia sitzt am Steuer und genießt das schnelle Fahren. Robert hält sich etwas ängstlich am Haltegriff fest. ROBERT Fahr nicht so schnell! JULIA (ignoriert das) Robert, das funktioniert nicht, ich kriege da drin keine Luft. ROBERT (weiter, Geschwindigkeit) Würdest du bitte vom Gas gehen. JULIA (weiter) Da kannst du mich drüben als Leiche wieder auspacken. Vergiss es. Da wird das Martinshorn hörbar. ROBERT Ja, genau das meinte ich! Julia sieht in den Rückspiegel und erkennt den Polizeiwagen. JULIA Die kriegen uns nicht. ROBERT (ermahnend) Julia…! Doch Julia biegt in eine dunkle Straße ein. „Weißensee - Operation Juninacht“ 9 ROBERT Das ist eine Einbahnstraße! JULIA (lächelt) Grade nicht. Julia fährt die Straße entlang… Schnitt: Martin bremst an der Einmündung der Einbahn-Straße ab und wendet. MARTIN Wenn du glaubst du bist schlau: ich bin schlauer! Schnitt auf: Julia kommt an das Ende der Einbahnstraße. Sie biegt ab, da ertönt das Martinshorn direkt hinter ihr. Julia sieht in den Rückspiegel. Der Polizeiwagen hängt fast an ihrer Stoßstange. JULIA Mist! Julia wird langsamer, der Lada überholt und Görlitz schwenkt die Kelle: rechts ran! Schnitt auf: Julia parkt den Sportwagen hinter dem Lada. Sie beobachtet, wie Martin und Görlitz aussteigen und herankommen. ROBERT Wenn die jetzt den Wagen filzen… JULIA Die wollen nur Devisen. Martin leuchtet Julia mit einer Taschenlampe ins Gesicht, während Görlitz prüfend um das Auto herumgeht. Martin gibt Julia ein Zeichen, dass sie die Scheibe herunterkurbeln soll, was sie auch tut. Die beiden sehen sich an... MARTIN Sie waren deutlich zu schnell. JULIA (lächelt entwaffnend) Der Wagen hier hat mich einfach provoziert, Herr Wachtmeister. Martin unterdrückt ein Lächeln: gute Ausrede. „Weißensee - Operation Juninacht“ 10 MARTIN Außerdem sind Sie in der falschen Richtung in eine Einbahnstraße gefahren. JULIA Ich glaube, ich war abgelenkt. Von Ihrem Martinshorn. Julia grinst. Martin atmet kurz hörbar ein. MARTIN Steigen Sie mal bitte aus. Sie beide. Robert und Julia steigen aus dem Wagen. Görlitz legt eine Hand an seine Waffe – man kann ja nie wissen... MARTIN Ihre Ausweise. Robert reicht Martin seine Papiere, die er durchblättert. Julia kramt in ihrer Umhängetasche. Dabei fällt die Tasche herunter... ein Walkman rutscht heraus, eins der ersten, kastigen Modelle, auf den ersten Blick als Westprodukt erkennbar. GÖRLITZ Was ist das? ROBERT Ein Walkman. Görlitz hebt den Walkman hoch und versucht ihn zu öffnen… Julia reicht Martin inzwischen ihren Ausweis. JULIA Das Ding macht nur Musik. Görlitz hat den Walkman endlich geöffnet und nimmt die Kassette heraus. Es ist die nicht beschriftete Aufnahmekassette, eine Westmarke. GÖRLITZ (zu Robert) Sie haben einen eingeführt. Das ist verboten. Tonträger Julia seufzt, wirft Robert einen Blick zu und nickt leicht. Robert fasst nach seinem Portemonnaie. ROBERT Vielleicht könnten wir unkompliziert regeln? „Weißensee - Operation Juninacht“ das hier ganz 11 Martin sieht von Julias Ausweis auf. Robert öffnet sein Portemonnaie und zeigt ein paar Dollarscheine. MARTIN Wir nehmen nur Forumschecks. Kleiner Scherz. – Ich muss Sie auffordern, uns zur Feststellung und Überprüfung Ihrer Personalien auf die Wache zu begleiten. JULIA Aber nur, wenn Sie nett bitte sagen. Martin und Julia sehen sich an... DUNJA HAUSMANN (singt, off) …In dem Café ‚Hoch-über-der Stadt’, nahe dem Turm, mit dem goldenen Zifferblatt, saß ein Liebespaar, Hand in Hand... 10. BILD / OST-BERLIN / LOKAL PRENZLAUER BERG I/N Eine schlichte Bühne in einem verrauchten Lokal. Eine Frau Anfang Fünfzig in einem langen, hellen Kleid singt, begleitet von einem deutlich jüngeren attraktiven Pianisten. Es ist Dunja Hausmann, vital, selbstbewusst und erotisch wirkend. Das Publikum, an einzelnen Tischen sitzend, hört zu, aufmerksam und wohlwollend. Auf einem Plakat ist ein Foto von Dunja zu sehen, darunter steht: Dunja Hausmann – ein ‚Volksliederabend’. An einem der Tische sitzt ein Mann in einer hellen Lederjacke, Leutnant Geifel. Er wirkt wie ein Fremdkörper, da er in keiner Weise mitgeht sondern nur beobachtet. DUNJA HAUSMANN (singt) Und er schwieg und er sah, und sie sah und verstand. In dem Café, hoch über der Stadt, wo es Wolken und Sonne hat, ziehen die Wege fort über Land, Pappeln stehn am Wegesrand... Während Dunja singt betritt ein gut gekleideter, attraktiver Mann Ende 50 den Klub. Er hat eisgraue, kurzgeschnittene Haare, wirkt aber jugendlich. Es ist Hans Kupfer. Hans tritt an den Tresen, ohne Dunja eines Blickes zu würdigen. Die Tresenkraft, eine ältere, gebildet wirkende Frau, Christine Jeroch, sieht ihn fragend und lächelnd an: Bitte? HANS KUPFER Einen Duvallier, bitte. Christine schüttelt bedauernd den Kopf. Hans schiebt einen 20 Ostmark-Schein über den Tresen. Christine nimmt nach kurzem Zögern den Schein vom Tresen und taucht dann unter dem Tresen ab. Sie kommt mit der gewünschten Flasche wieder zum Vorschein. „Weißensee - Operation Juninacht“ 12 CHRISTINE (flüstert) Seh’n Sie mal, was ich gefunden habe! Sie schenkt Hans ein. Er nimmt das Glas, dreht sich dann zur Bühne um und sieht Dunja an. DUNJA HAUSMANN (singt weiter) Und die Welt ist wehend und weit! Nahe dem Turm mit der goldenen Zeit... Hans trinkt, er lässt Dunja dabei nicht aus den Augen... Christine registriert das interessiert. DUNJA HAUSMANN (weiter) .... saß ein Liebespaar, Hand in Hand, und sie sah und sie schwieg – und er schwieg und verstand... Dunja Hausmann beendet das Lied. Sie bekommt viel Applaus und verbeugt sich. DUNJA HAUSMANN Danke. - Das nächste Lied liegt mir besonders am Herzen. Daher hoffe ich, es wird Ihnen gefallen. Aber das kann man ja ‚mit Sicherheit’ nie sagen... Sie sieht in eine bestimmte Richtung und verbeugt sich. Dort sitzt Leutnant Geifel. Im Publikum gibt es vereinzelt verhaltenes Gelächter über die Anspielung auf die Staatssicherheit. Hans registriert alles unbemerkt... Dunja beginnt ihr neues Lied. DUNJA HAUSMANN Meine ‚Ansprache an Funktionäre’. (singt) Warum wollt ihr so lange warten, bis sie euren geschminkten Frauen und euch und den Marmorpuppen im Garten eins über den Schädel geben? - Warum wollt ihr euch denn nicht bessern? Bald werden sie über die Freitreppen drängen und euch erstechen mit Küchenmessern und an die Fenster hängen. Sinnlos werden dann Schrei und Gebet sein. Dann wird es zu spät sein... Geifel lauscht und versucht, sich alles zu merken. Hans beobachtet Dunja. 11. BILD / WEIßENSEE / POLIZEIWACHE / FLUR I/N Auf der Polizeiwache. „Weißensee - Operation Juninacht“ 13 Es ist wenig los in dieser Nacht. Zwei Polizisten stützen einen sturzbetrunkenen Mann. In einem Büro redet eine ältere, aufgelöst wirkende Dame auf einen jungen Polizisten ein. Sie zeigt ihm wiederholt eine Hundeleine... offensichtlich ist ihr Hund abhanden gekommen... In einem Büro sitzt Görlitz mit Robert. 12. BILD / WEIßENSEE / POLIZEIWACHE / BÜRO I/N Im Nachbarzimmer. Martin sitzt hinter der Schreibmaschine und nimmt Julias Personalien auf. Julia lässt Martin nicht aus den Augen, was ihn leicht nervös macht. MARTIN Name? JULIA Das wissen Sie doch schon. Martin tippt: Julia Hausmann. MARTIN Geboren? JULIA Steht alles da im Ausweis... Martin hört auf zu tippen und sieht Julia an. MARTIN Fräulein Hausmann, Sie saßen am Steuer eines Wagens, der zu schnell fuhr. Außerdem sind Sie in der falschen Richtung in eine Einbahnstraße gefahren. Deshalb sind Sie hier. Also kommen Sie mal wieder runter von Ihrem hohen Ross. Das nervt nämlich. Und wenn Sie mich nerven, dann kann ich Sie auch nerven. JULIA Wollen Sie mir Angst machen? MARTIN Ich will wissen, wann und wo Sie geboren sind. Martin sieht Julia an, Julia sieht Martin an. Abwartend, neugierig, fasziniert... JULIA Sind Sie gerne Polizist? MARTIN „Weißensee - Operation Juninacht“ 14 Ja. JULIA Warum? MARTIN Weil ich mich für Menschen interessiere. JULIA (plötzlich schnell) Ich bin am 18. August 1956 in Leipzig geboren. Meinen Papa kenne ich nicht, meine Mutter singt den lieben langen Tag schmutzige Lieder. Ich arbeite im Kosmetikgeschäft in der Frankfurter-Allee 44. Zu mehr hat es nicht gereicht. Ich bin eine Enttäuschung. Ich mag Pflaumenkuchen mit Schlagsahne für mein Leben gern. Martin hat die ganze Zeit mitgetippt, dann: MARTIN (tippt, ironisch) P-f-l-a-u-m-e-n-k-uc-h-e-n. Da sieht Görlitz herein. GÖRLITZ Martin, kommst du mal eben... 13. BILD / WEIßENSEE / POLIZEIWACHE / BÜRO I/N Görlitz und Martin treten auf den Flur. Görlitz zeigt Martin Roberts Ausweis. GÖRLITZ Robert Schnyder Staatsbürger. ist amerikanischer MARTIN Ist mir nicht entgangen. GÖRLITZ Seine Mutter ist allerdings Deutsche... (re: Einträge) Hier, in den letzten drei Monaten hat er 19 Mal unsere Grenze passiert. – Ich muss eine Meldung beim Chef machen. Martin nickt etwas verhalten. GÖRLITZ Auch über deine Dame da. „Weißensee - Operation Juninacht“ 15 MARTIN Was soll das denn heißen: meine Dame? Görlitz verzieht keine Miene – er ist nicht blöd... dann gibt er Martin den Walkman. 14. BILD / WEIßENSEE / POLIZEIWACHE I/N Martin kommt zurück zu Julia ins Büro. Julia schiebt ihm das unterschriebene Protokoll hin. JULIA Rechtschreibung eins, Ausdruck vier minus: ‚die verkehrstechnisch auffälligen Personen fielen in der Badschenystraße durch Geschwindigkeit auf...’ MARTIN Sie können jetzt gehen. Die Ordnungswidrigkeit kostet Sie 25 Mark. Außerdem... JULIA Außerdem was? MARTIN Rechnen Sie Befragungen. eventuell mit weiteren JULIA (frech) Sie wissen doch schon alles von mir. MARTIN (weiter, ernst) Nicht durch mich. Die beiden sehen sich an – eine eindeutige Warnung. Julia nimmt ihre Tasche, sie steht auf. JULIA Schon verstanden. - Was ist mit meiner Kassette? Martin schüttelt bedauernd den Kopf. MARTIN Die ist beschlagnahmt. JULIA Können Sie da gar nichts machen? Ich brauche die Kassette dringend. Julia steht Martin direkt gegenüber, sie benutzt ihren betörendsten Blick. Dennoch: „Weißensee - Operation Juninacht“ 16 MARTIN Tut mir leid. JULIA (enttäuscht) Na, dann gute Nacht, Sie... Sie großer Polizist, Sie! Julia geht hinaus, auf dem Flur trifft sie auf Robert. Die beiden gehen zusammen zum Ausgang. Martin sieht ihnen nach, er atmet tief durch: er hat sich soeben verliebt... 15. BILD / WOHNUNG HAUSMANN / DUNJAS BOUDOIR I/N In Dunjas Musikzimmer – ihrem ‚Boudoir’, wie sie es nennt, mit großem Sofa, kleinem Flügel, vielen Kissen - sitzen die versprengten Reste einer kleinen Feier... der Pianist Armin Priess improvisiert leise am Klavier... Dunjas engste Künstlerfreunde sind ebenfalls anwesend: Christine Jeroch, Roland Einrauch, Dramatiker, Uwe Krömer, Musiker und Wolf Zander, Theaterregisseur. Die Männer sprechen über die Volksbühne, die anstehende Uraufführung von Heiner Müllers ‚Bau’. WOLF ZANDER … jetzt haben sie doch die Besetzung ausgetauscht. Sie versuchen es mit Gwisdeck und Alex… ROLAND EINRAUCH Ob die das Stück retten können? Ich finde, es ist das Schwächste, das ich von Heiner kenne… Christine sitzt neben Dunja. Gleichzeitig: CHRISTINE Dein Verehrer Duvallier. war wieder da. Monsieur DUNJA (tut uninteressiert) Achja. Aber sie weiß genau, wer der Mann gewesen ist. CHRISTINE Der ist wirklich sexy… er hat schöne Hände. DUNJA (lügt) Der Mann interessiert mich nicht. „Weißensee - Operation Juninacht“ 17 Da entdeckt Dunja plötzlich jemanden in der Tür. DUNJA Na, mein Schäfchen! Setz dich zu uns... Dort steht Julia. JULIA (in die Runde) N’abend. - Hast du es gesungen? DUNJA Na klar. ARMIN PRIESS Obwohl einer von Horch und Guck da war. JULIA Ich verstehe dich nicht. So lassen die dich nie auf die Tournee... Armin Priess spielt einen lauten Akkord. ARMIN PRIESS Habe ich ihr auch gesagt. DUNJA (ausweichend) Wie war dein Abend? JULIA Wir sind rumgefahren. DUNJA (verächtlich) Mit dem schicken Mr. Robert im noch schickeren Sportwagen. JULIA (getroffen) Ich geh schlafen. In zwei Stunden muss ich raus. Julia geht hinaus, Dunja sieht ihr nach. DUNJA Mein schwarzes Schäfchen... Manchmal denke ich, sie ist gar nicht meine Tochter. Sie ist so leicht verführbar... CHRISTINE Unterschätzt du sie nicht vielleicht? 16. BILD / PRENZLAUER BERG / WOHNUNG HAUSMANN - FLUR „Weißensee - Operation Juninacht“ I/N 18 Im Flur, der mit windschiefen Bücherregalen, skurrilen Fundstücken und unterschiedlichsten Bildern überladen ist, lehnt Julia an der Wand – sie hört, was ihre Mutter sagt... DUNJA (weiter, off) Sie lässt sich vom Glitzer locken wie ’ne Elster. Weil sie nicht weiß, was sie will – und das mit fast dreißig! Julia schluckt, das tut weh... 17. BILD / WEIßENSEE A/MORGEN Über dem Stadtteil Berlin-Weißensee geht die Sonne auf. Es wird ein neuer strahlender Sommertag. 18. BILD / WEIßENSEE / HAUS KUPFER A/MORGEN Das Haus der Familie Kupfer in Weißensee. Es ist eine schlichte, aber repräsentative Villa im Bauhausstil. Die Doppelgarage weist zudem auf Wohlstand hin, auch der Garten ist auffallend gepflegt. Martin, noch immer in seiner Uniform, kommt auf seinem Fahrrad angefahren. Er steigt ab und fährt durch das Tor in den Vorgarten. Er stellt das Rad ab, nimmt eine Tasche vom Gepäckträger und geht auf das Haus zu. Dabei sucht er nach seinem Schlüssel... Da entdeckt er eine Gestalt, die bewegungslos im Garten auf einer Bank sitzt. Martin stutzt, dann geht er zur Bank und setzt sich neben die Frau. Es ist Marlene Kupfer, Mitte 50, mütterlich und streng zugleich wirkend. MARTIN Mama... MARLENE Ach, Martin... guten Morgen. Es ist so ein schöner Morgen. Ich wollte noch nicht ins Bett gehen. Im Heim… (sie bricht ab) MARTIN (weiß Bescheid) Es ist jemand gestorben. Marlene nickt. MARLENE Die alte Frau Heiderich. „Weißensee - Operation Juninacht“ 19 MARTIN Du mochtest sie, oder. MARLENE Sie hatte ein trauriges Leben… ihr Mann hat sich kurz vor Kriegsende erschossen, aber sie, sie hat 35 Jahre lang bereut. Für das, was er getan hat… Da kommt ein Mann Ende 30, verschwitzt, im Trainingsanzug, über den Gartenzaun gesprungen. Es ist Falk Kupfer. Er sieht auf die Uhr. FALK (atemlos, verärgert) 23 Minuten. Verdammt, seit Tagen hänge ich 4 Minuten unter meiner Bestzeit! Martin steht auf. MARTIN Du wirst eben auch älter. Falk drückt Martin spielerisch die Faust unter das Kinn. FALK (scherzhaft) allemal... Aber dich schlage ich noch Martin packt Falk beim Handgelenk und drückt dessen Hand weg. MARTIN Wenn es dich glücklich macht, Falk, lasse ich dich gern gewinnen. Beide lächeln, aber die Spannung zwischen den Brüdern ist spürbar… Marlene steht auf. MARLENE In zehn Minuten gib es Frühstück. 19. BILD / WEIßENSEE / HAUS KUPFER / ZIMMER ROMAN I/T Ein Jugendzimmer, mit vielen Sportfotos und Wimpeln geschmückt. Hier wohnt ein sportbegeistertes Kind. Auf einem Regal stehen auch schon ein paar Pokale. Im Bett schläft Roman, 13, rührend, ein eher weicher Junge, mit verwuschelten Haaren. Falk, noch immer im Trainingsanzug, sieht kurz herein. FALK Roman, steh auf! „Weißensee - Operation Juninacht“ 20 Roman richtet sich verschlafen auf. ROMAN Papa...? Falk sieht noch einmal herein. FALK Ja? ROMAN Wann kommt Mama wieder? Falk kommt ganz herein und setzt sich an Romans Bett. FALK Ganz bald. - Mir fehlt sie auch. Falk steht auf und geht hinaus, Roman sieht betrübt vor sich hin... dann schwingt er sich aus dem Bett... 20. BILD / WEIßENSEE / HAUS KUPFER / ESSZIMMER I/T Das großzügige, freundlich eingerichtete Esszimmer der Familie Kupfer. An den Wänden hängen geschmackvolle Bilder, die Möbel sind teilweise antik, aber nicht protzig. Die großen Fenster gehen auf den schönen Garten hinaus. Alles hier strahlt solide Gediegenheit aus. Die Familie Kupfer frühstückt zusammen, das tägliche, wichtige Ritual – auch wenn Marlene und Martin von der Nachtschicht kommen. Marlene schenkt Kaffee ein. Roman nagt leicht unglücklich an einem Brötchen. Falk fixiert seinen gähnenden Bruder Martin... der Platz am Kopfende des Tisches ist noch leer. Marlene schenkt aber schon Kaffee in die Tasse. FALK (zu Martin) Und? War was los bei euch heute Nacht? In diesem Moment erscheint Hans im Esszimmer. MARTIN Rein gar nichts. Hans fährt Martin im Vorbeigehen kurz über den Kopf: eine Mischung aus Schlagen und Streicheln. HANS Du lügst ja. MARTIN (ertappt) Wieso sollte ich? „Weißensee - Operation Juninacht“ 21 Hans ignoriert die Frage, er setzt er sich und beginnt zu frühstücken. Dabei: HANS (zu Marlene) Wieso bist du heute morgen erst nachhause gekommen? Du hattest doch keinen Nachtdienst. MARLENE Frau Heidrich ist gestorben. Ich bin bis zum Ende bei ihr geblieben... Hans nickt leicht missbilligend: verstehe. FALK (kalt) Die alte Naziwitwe war längst überfällig. MARLENE Falk, hast du überhaupt kein Herz? Martin steht auf. MARTIN Da wo andere ein Herz haben, hat er eine geballte Faust. Martin macht den kommunistischen Gruß. FALK Das nehme ich als Kompliment. MARTIN (im Hinausgehen) Gute Nacht, ich leg mich ab. FALK Roman, du musst Schultasche! auch los. Hol deine Roman kippt seinen Kakao herunter und verlässt das Zimmer. HANS (zu Marlene) Es tut mir leid, das mit Frau Heiderich... MARLENE Ja, sie war… HANS (unterbricht, betont) Nur deinetwegen, Marlene. „Weißensee - Operation Juninacht“ 22 Hans nimmt sich eine Zeitung und sieht dabei zum ersten Mal Falk an. HANS Nimmst du mich heute mit ins Büro? Der Wolga streikt. Hans schlägt die Zeitung auf. FALK Kein Problem, Vater. 21. BILD / WEIßENSEE / HAUS KUPFER / ZIMMER MARTIN I/MORGEN Martin betritt seine Einliegerwohnung im Kellergeschoss. Er hat hier ein eigenes Bad, eine kleine Küche. Es stehen noch ein paar Umzugskisten herum. Der Raum ist noch nicht richtig eingerichtet. Augenscheinlich ist Martin vor kurzem erst eingezogen. Martin stellt seine Tasche ab, öffnet sie und nimmt etwas heraus: es ist Julias Kassette. Er betrachtet die Kassette: die Aufkleber sind abgelöst. Martin legt die Kassette in ein Abspielgerät ein. Er legt sich angezogen auf sein Bett und hört interessiert zu: MÄNNLICHE STIMME …My name ist Peter. My name is Peter. I am from Munich… I am from Munich… Offensichtlich handelt es sich bei der Kassette um einen Englischsprachkurs für Anfänger. Martin schließt die Augen und lässt sich von der monotonen Stimme in den Schlaf säuseln... 22. BILD / MINISTERIUM FÜR STAATSSICHERHEIT A/T Später am Morgen. Das Ministerium für Staatssicherheit in der Normannenstraße. 23. BILD / MFS / BÜRO KUPFER I/T In Hans Kupfers Büro – einem großen, holzvertäfelten Raum – findet an einem runden Tisch die morgendliche Zusammenkunft der Führungsoffiziere der verschiedenen Diensteinheiten der Hauptabteilung XX statt. Sieben Offiziere sind anwesend, in zivil, darunter auch Falk. Hans Kupfers Sekretärin schreibt das Protokoll. Einer der Offiziere ist der Spitzel aus dem Café Nord, Leutnant Uwe Geifel. Während dieser vorträgt, legt er die entsprechenden Unterlagen auf den Tisch. LEUTNANT GEIFEL (erste Akte und zwei Tonbandkassetten) Die Umweltgruppe um Monika Happel, die hat sich gestern Nachmittag wieder in der Stockholmer „Weißensee - Operation Juninacht“ 23 Straße getroffen. Wir haben einen 5-StundenMitschnitt. (zweite, hellblaue Akte) Von der Polizeiwache Weißensee haben wir eine Meldung wegen einem Verkehrsdelikt… FALK (scherzt) Kommen die Trottel nicht mal damit mehr alleine klar? Ein paar grinsen. LEUTNANT GEIFEL (humorlos) Der Wagen gehört einem Amerikaner, Robert Schnyder. Er ist mit einer unserer Bürgerinnen herumkutschiert. Verdacht auf negativ-feindliche Aktivität... (nächste Akte) Und IM Karbisch bittet darum, aus seiner Pflicht entlassen zu werden. Seine Frau ist angeblich krank, er muss sich kümmern... Alle sehen Hans erwartungsvoll an. HANS Das mit Karbisch geht in Ordnung, das ist ein braver Mann. – (er wendet sich an einen der Offiziere) Der Mitschnitt wird von Ihrer Einheit ausgewertet, Schwedt, und das geht dann direkt weiter an den Genossen Minister. - Den Amerikaner mit seinem Liebchen machst du, Falk. Sonst noch was? LEUTNANT GEIFEL Der Hausmann-Liederabend, gestern im Café Nord. Hans lässt sich nichts anmerken, sondern spielt mit seinem Kugelschreiber. HANS Bitte. Leutnant Geifel blickt auf seine umfangreichen Aufzeichnungen. LEUTNANT GEIFEL Also, bis zur Hälfte lief alles nach Programm. Drei Brechtlieder und vier eigene Kompositionen, Liebeslieder, nicht zu beanstanden. Aber dann... Moment, ich habe es aus dem Gedächtnis notiert, könnte also im Wortlaut nicht ganz korrekt sein... aber inhaltlich ganz eindeutig... (liest ab) ‚Wollt ihr „Weißensee - Operation Juninacht“ 24 warten, bis sie euren schicken Frauen und euch eins über den Schädel hauen? Und auch den Marmorfiguren im Garten. Allgemeines Kopfschütteln und Grinsen: Geifel trägt das Ganze theatralisch wie ein Gedicht vor, was etwas lächerlich wirkt. LEUTNANT GEIFEL (unbeirrt) Warum wollt ihr euch nicht bessern? Bald werden sie über die...nein...über eure großen Treppen hochkommen und euch abstechen und auf-...hängen... und zwar ... Moment... am Fenster. Alle müssen lachen über die unfreiwillige Komik. HANS Mann, Geifel, gut, dass Sie keine Lieder schreiben. LEUTNANT GEIFEL ‚Bald wird es zu spät sein...’ - Das ist… das ist… Die Offiziere sind sich nicht ganz schlüssig, sehen sich fragend an. HANS Kästner. LEUTNANT GEIFEL Bitte? HANS Erich Kästner. Und der ist untadelig. Das Gedicht heißt: Ansprache an Millionäre. Kästner übt darin Kritik am Kapitalismus. LEUTNANT GEIFEL Ja, aber die Hausmann hat es ‚Ansprache an Funktionäre’ genannt. FALK Das ist ein feiner aber entscheidender Unterschied. Damit steht die Drohung außer Frage... LEUTNANT GEIFEL Und das Publikum hat es kapiert! Der Applaus war hier dreimal so stark wie bei den anderen „Weißensee - Operation Juninacht“ 25 Liedern. Die Hausmann will damit im August auf Tournee gehen. FALK Das können wir nicht zulassen. LEUTNANT GEIFEL Wir werden sie zu einem Gespräch einladen. HANS Sie machen gar nichts, Geifel. Dunja Hausmann ist eine ausgezeichnete Künstlerin... LEUNTANT GEIFEL Sie ist ein schädliches Element... Hans steht auf. HANS (weiter) Eine Künstlerin, die sensibel zu behandeln ist. (zu einem der Offiziere) Das übernehmen Sie, Graf. - Und Sie, Geifel: Sie werden in Zukunft keine Konzerte mehr besuchen.. LEUTNANT GEIFEL Warum... HANS Ein Blinder hätte Sie als einen von uns erkannt. Als ob Sie das zum ersten Mal machen. Dann wendet sich Hans an einen weiteren Offizier. HANS Ich höre den Bericht der Diensteinheit 9. Der Offizier nimmt seine Unterlagen hervor... 24. BILD / BERLIN / VOR KOSMETIKGESCHÄFT / STRAßE I/A/T Martin – in zivil – steht auf der gegenüberliegenden Seite des Kosmetikgeschäfts und beobachtet Julia, die im Schaufenster eine Dekoration aufbaut. Martin versucht, sich dabei unauffällig zu geben, was ihm nicht sonderlich gut gelingt. Julia hat ihn daher längst entdeckt – was sie dagegen gut verbergen kann... „Weißensee - Operation Juninacht“ 26 Julia verschwindet schließlich aus dem Schaufenster. Martin kann sich nicht entschließen, das Geschäft zu betreten. Er geht weiter und biegt in eine Straße neben dem Geschäft ein. Plötzlich steht Julia vor ihm – sie ist Kosmetikgeschäfts in die Nebenstraße gelangt. durch den Hinterausgang des JULIA Sie sind eine echte Niete. MARTIN (frech) Sie kennen mich doch noch gar nicht richtig. JULIA Im Beschatten, meine ich. Martin lächelt, etwas aus dem Konzept gebracht. MARTIN Achso...ja, aber ich, ich beschatte Sie eigentlich gar nicht, ich... JULIA Sie sehen jedenfalls ohne Uniform besser aus. Martin kramt in seiner Tasche. MARTIN (weiter) Ich wollte Ihnen etwas bringen. Martin holt die Kassette hervor und hält sie Julia hin. JULIA Verstoßen Sie Vorschriften? jetzt grade gegen Ihre MARTIN (ausweichend) Die wollten Sie doch gern wiederhaben. JULIA Danke. Julia will die Kassette nehmen, Martin hält sie fest. MARTIN Wozu lernen Sie Englisch? JULIA In der Schule hatte ich nur Russisch. „Weißensee - Operation Juninacht“ 27 MARTIN Und Sie denken, man weiß nie genug? JULIA (lächelt) Genau. Julia mustert Martin von oben bis unten, er gefällt ihr, eine gute Mischung aus ernsthaft und verspielt, selbstbewusst und zweifelnd. Martin nimmt seinen Mut zusammen: MARTIN Ich würde gerne mal mit Ihnen ausgehen? JULIA Ich glaube, das hat keinen Sinn. MARTIN Das ist doch eine ziemlich gute Vorraussetzung für einen netten Abend. Julia lächelt ein wenig, dreht sich um und geht langsam wieder in Richtung Geschäft. Martin sieht ihr nach, dann... MARTIN My name is Martin. Julia dreht sich noch einmal um... JULIA (lächelt) Ich überleg’s mir. Julia verschwindet im Laden. Martin sieht ihr noch einen Moment lang hinterher: er weiß nicht wirklich, woran er mit Julia ist. Aber er lächelt schließlich: ganz schlecht ist es auch nicht gelaufen... 25. BILD / HAUS KUPFER / ARBEITSZIMMER I/T Am Abend. Falk ist bei seinem Vater im Arbeitszimmer. Durch eine offene Flügeltür sieht man im Hintergrund Marlene den Tisch decken. Hans gießt sich und Falk ein Bier ein. Dann schließt er die Flügeltür. Dabei: HANS ... Geifel hat sich selbst disqualifiziert. FALK Er ist nicht intelligent genug, um die Gruppe zu führen. „Weißensee - Operation Juninacht“ 28 HANS Nachdem Hauptmann Brecht zur Spionageabwehr gegangen ist, da dachte ich, Geifel ist am längsten dabei, bei allen beliebt... – Kommt nur noch Graf in Frage. FALK (fasst sich ein Herz) Was ist mit mir? Hans sieht Falk an, als sehe er ihn zum ersten Mal. Sein Gesichtsausdruck verrät nichts. HANS Ich soll dich bei Gaucke vorschlagen? FALK Warum nicht. HANS Was würde dich denn für den Abteilungsleiter qualifizieren? FALK Heißes Herz, kalte Vernunft - und eine saubere Hand... MARLENE (ruft von nebenan) Kommt Essen! HANS Gut, ich denke drüber nach... Falk nimmt einen Schluck Bier, er lässt sich seine Freude nicht anmerken. Hans geht hinüber ins Esszimmer, Falk folgt ihm... HANS Ach, Falk... FALK Ja? HANS Vergiss nicht, dir vor dem Essen die Hände zu waschen. Falk bleibt stehen: das saß! „Weißensee - Operation Juninacht“ 29 26. BILD / WEIßENSEE / HAUS KUPFER / ESSZIMMER I/T Die Familie Kupfer isst zu Abend, nur Martin fehlt – und Vera. FALK (zu Marlene) Vera kommt nach Hause. Roman sieht seinen Vater erschrocken und freudig zugleich an. ROMAN Wann denn ?! FALK Ich habe vorhin mit Professor Rühmann telefoniert. Das ist der Oberarzt in Rosenbrunn. Er hat grünes Licht gegeben. Am 13. können wir sie abholen. MARLENE Wie schön. Sie lächelt Roman an. MARLENE Deine Mutter wird staunen, wie du schon wieder gewachsen bist. Da erscheint Martin. MARTIN Entschuldigt. Martin setzt sich an den Tisch. Marlene tut ihm Essen auf. Martin beginnt, sein Essen zu salzen und vergisst aufzuhören. Inzwischen: MARLENE (zu Falk) Das wurde jetzt aber auch Zeit. (zu Martin) Vera wird entlassen. FALK Dann kriege ich sozusagen eine neue Frau. ROMAN Wieso ‚neu’? FALK Ich meine gesund, mein Sohn. Wieder ganz gesund. „Weißensee - Operation Juninacht“ 30 Hans beobachtet inzwischen, wie Martin sein versalzenes Essen isst, ohne eine Miene zu verziehen. HANS Wo warst du? Martin weiß sofort, dass sein Vater ihn meint und sieht auf. MARTIN Das ist meine Privatsache. HANS (freundlich) Sind wir hier denn nicht privat, mein Sohn? Martin und Hans sehen sich provozierend an. Es ist offensichtlich, dass die beiden hier einen kleinen Machtkampf führen. Alle andern essen weiter, aber angespannt... MARTIN Setz doch jemanden auf mich an, wenn du so neugierig bist. MARLENE Du wirst unverschämt, Martin. MARTIN Du hast recht, Mama. (zu Hans) Entschuldige. Hans isst weiter, plötzlich wieder ganz entspannt. HANS (ebenso) Ich muss mich entschuldigen. Aber du weißt ja, wie neugierig ich bin. Schlimme Angewohnheit, was? 27. BILD / WEIßENSEE / HAUS KUPFER / WOHNUNG MARTIN I/T Später am Abend.. Martin liegt in seiner Wohnung auf dem Bett und liest in einem Märchenbuch. MARTIN ... und als sie Ruß und Asche aus ihrem Gesicht gewischt hatte, da war sie schöner als man noch niemand auf Erden gesehen hat. Der Prinz aber sprach: Du bist meine liebe Braut und wir scheiden nimmermehr voneinander. Erst jetzt sieht man, dass Martin telefoniert. MARTIN „Weißensee - Operation Juninacht“ 31 (weiter) Darauf ward die Hochzeit gefeiert und sie lebten vergnügt bis an ihren Tod. - Lisa? Martin lauscht in den Hörer, dann: MARTIN Marion... schläft sie? – (sauer) Was ist daran blöd. Lisa mag es und ich auch. – Ja, können wir gerne machen, wir können solange reden wie du willst. Aber du kannst mir das hier nicht verbieten. Gute Nacht! Martin legt ärgerlich den Hörer auf, dann blättert er das Märchenbuch auf die nächste Seite und legt ein Lesezeichen hinein... 28. BILD / WEIßENSEE / HAUS KUPFER / SCHLAFZIMMER I/N In Hans’ und Marlenes Schlafzimmer. Auf Marlenes Nachttisch stehen viele Familienfotos, ein großes von Lisa. Hans und Marlene machen sich zum Schlafen fertig. Dabei: HANS Martin hat sich verliebt. MARLENE Wie kommst du denn darauf? HANS Endlich ist er über Marion weg. Hoffentlich hat er diesmal mehr Glück. MARLENE Du warst am Anfang begeistert von Marion. (zitiert Hans) Die Nichte von Stoph, stell dir mal vor! Dann mischen wir auch im Politbüro richtig mit. HANS Ich darf mich ja auch mal in einem Menschen täuschen, oder nicht. Hans öffnet den Schrank und hängt sein Jackett hinein. Da fällt sein Blick auf ein großes Paket mit Marlenes Namen darauf. HANS Was ist das? Marlene nimmt das Paket heraus und schlägt das Papier auseinander. Darin liegt eine Nerzstola. „Weißensee - Operation Juninacht“ 32 MARLENE Die Stola hat mir Frau Heiderich vermacht. HANS Das darfst du gar nicht annehmen. Als Heimleiterin kommst du doch sofort in Verruf! MARLENE (ignoriert das) Dabei trage ich so was gar nicht... Marlene streicht angetan über den Pelz. HANS Gib es der Volkssolidarität. (fast angewidert) Ich will das Ding nicht im Haus haben! Marlene packt den Nerz zögernd weg. MARLENE Warum kannst du nicht verzeihen, Hans? HANS (scharf) Deine Familie haben sie nicht umgebracht. Da kannst du edel daherreden. MARLENE Ja, du hast recht. Aber wir sollten es doch besser machen. Auf Rache kann man nicht bauen … Hans geht ins Bett und schaltet das Licht aus. HANS Ich will mich heute nicht streiten. Gute Nacht, Marlene. MARLENE Gute Nacht. Marlene legt sich dazu. Hans schließt die Augen... 29. BILD / WOHNUNG HAUSMANN / MUSIKZIMMER I/N Dunja sitzt mitten in ihrem Musikzimmer kerzengrade auf einem Stuhl und hört mit geschlossenen Augen ein französisches Chanson. Sie ist ganz versunken in die Töne und die Stimme. Es klopft. Julia kommt herein, sie wirkt ratlos... JULIA „Weißensee - Operation Juninacht“ 33 Mama? Ich würde gern mal mit dir reden... Dunja bemerkt sie. DUNJA Später, Julekind. – Kannst du glauben, dass ein Mensch so singen kann? Eigentlich dürfte ich nie wieder den Mund aufmachen... Julia lächelt über die Leidenschaft ihrer Mutter, auch etwas traurig: wie oft musste sie deswegen warten. Julia geht wieder hinaus... 30. BILD / MINISTERIUM FÜR STAATSSICHERHEIT A/T Der nächste Tag. Das Ministerium für Staatssicherheit in der Normannenstraße. 31. BILD / MFS / BÜRO HANS I/T Falk wird von Hans’ Sekretärin hereingeführt. Hans sitzt am Tisch über Unterlagen, er sieht auf. HANS Worum geht es? Falk legt Hans die hellblaue Akte auf den Tisch. FALK Um diesen Ami und seine Freundin. Robert Schnyder kommt seit drei Monaten regelmäßig rüber. Ich fürchte, das ist echte Liebe... HANS Gibt es einen Anfangsverdacht? Geplante Republikflucht? FALK Vielleicht. HANS (ungeduldig) Haben wir einen Vorgang in der Sache laufen? Operativen FALK Nein. HANS Ja, dann. Worauf wartest du? Hans sieht Falk an, der zögert, „Weißensee - Operation Juninacht“ 34 FALK Roberts hübsche Hausmann. Freundin heißt Julia Hans verzieht keine Miene – was auffällig ist. FALK Sie ist die Tochter von Dunja Hausmann. HANS Weiter. FALK Du hast dich ja in der Vergangenheit immer gegen eine Komplexerfassung von der Hausmann ausgesprochen. Die würde jetzt natürlich zwangsläufig passieren... Hans steht auf, geht ans Fenster...schweigt. Falk beobachtet ihn... es scheint so, als habe er einen bestimmten Verdacht... HANS (schließlich) Geht auf diesen Schnyder. Und die Hausmann nur beobachten. Vorerst. Falk deutet einen militärischen Gruß an. FALK Jawohl, Genosse Kupfer! 32. BILD / WOHNUNG HAUSMANN / BADEZIMMER I/T Julia steht im Badezimmer im Bademantel vor dem Spiegel und fönt sich die Haare. Die Tür zum Flur steht offen. Dunja sieht herein. DUNJA Ich bin eingeladen! Dunja zeigt einen Brief hoch. Sie setzt sich auf einen Hocker. DUNJA Zu einem gemütlichen Beisammensein im Kulturministerium beim Stellvertretenden. Meine Tournee im August betreffend: ‚das Programm müsste neu geplant und überprüft werden. JULIA „Weißensee - Operation Juninacht“ 35 (ironisch) Das ist ja jetzt die ganz große Überraschung. DUNJA (weiter) ‚Das an ein Gedicht Erich Kästners angelehnte Lied kann nicht zum Vortrag gebracht werden.’ Komisch, oder. JULIA Was wundert dich daran? DUNJA Dass die gemerkt haben, dass es von Kästner ist. JULIA Vielleicht gibt’s bei der Stasi auch ein paar gebildete Leute. DUNJA (nachdenklich) Vielleicht... Da klingelt es an der Tür. Julia sieht leicht panisch auf die Uhr. JULIA Er kommt zu früh! DUNJA (im Hinausgehen) Männerproblem. Das ist ein typisches 33. BILD / WOHNUNG HAUSMANN / FLUR I/T Dunja öffnet die Wohnungstür. Davor steht Robert. DUNJA (betont amerikanisch) Hello, Mr. Schnyder. How do you do? ROBERT How do you do. Julia kommt überrascht heran. JULIA Robert...? ROBERT Fahren wir ein bisschen spazieren? „Weißensee - Operation Juninacht“ 36 JULIA (leicht verlegen) Das passt jetzt nicht... Dunja zieht sich diskret zurück. Robert ist brüskiert, er sieht Julia prüfend an... JULIA Tut mir leid... ROBERT Was hast du denn vor?! JULIA Ich bin mit Moni verabredet. Kino und so. Julia gibt Robert einen etwas gespielten Kuss... 34. BILD / VOR WOHNUNG HAUSMANN A/T Vor dem Haus steht ein Lada. Darin sitzen Falk und ein Mitarbeiter. Sie beobachten das Haus. FALK Jetzt kommt er wieder raus... alleine... Tatsächlich kommt Robert aus dem Hauseingang. Robert schließt seinen Sportwagen auf und setzt sich hinter das Steuer. MITARBEITER Folgen? FALK Ja... Der Mitarbeiter schaltet den Motor ein. Doch da entdeckt Falk eine Person, die auf einem Fahrrad angefahren kommt. FALK Motor aus! Der Mitarbeiter wundert sich, macht aber den Motor wieder aus. Falk starrt die Person an, die jetzt vor Julias Haus ihr Fahrrad abstellt: es ist sein Bruder Martin, der einen Blumenstrauß vom Gepäckträger nimmt... FALK Machen Sie ein Foto, Mensch! „Weißensee - Operation Juninacht“ 37 Der Mitarbeiter fotografiert, wie Martin suchend auf die Klingelschilder sieht und schließlich das Haus betritt. Inzwischen fährt Robert mit seinem Sportwagen ab. MITARBEITER Der ist jetzt weg... Falk antwortet nicht sondern fixiert die Haustür... 35. BILD / WOHNUNG HAUSMANN / FLUR I/T Dunja sucht in ihrem Bücherregal nach einem bestimmten Buch. Schließlich findet sie es: ein abgegriffener Band Kästner-Gedichte. Dunja schlägt die erste Seite auf, ein Name ist eingetragen: Hans Kupfer... Dunja blättert weiter auf das Gedicht: Ansprache an Millionäre... Da klingelt es an der Tür... JULIA (off) Mach mal auf... Dunja wird aus ihrer Erinnerung gerissen, stellt das Buch ins Regal, fängt sich und öffnet die Wohnungstür. Dann sieht sie sich Martin gegenüber. MARTIN Guten Abend, ich wollte zu Julia... wir sind verabredet... DUNJA Ist ja wieder wie im Täuberichschlag heute. Julchen! Hier ist noch ein männlicher Mensch! – Kommen Sie rein. Martin tritt herein, er sieht Dunja an... MARTIN Ich kenne Sie? – Sie sind Dunja Hausmann! Sie sind Julias Mutter? DUNJA Ist das für Sie ein Problem? Martin ist tatsächlich etwas schockiert. Dann fängt er sich. MARTIN Für mich nicht. Da erscheint Julia, sie hat sich noch einmal umgezogen, lächelt... „Weißensee - Operation Juninacht“ 38 JULIA Pünktlich. MARTIN Ich bin Polizist. JULIA Schöne Blumen. Martin will sie Julia geben, reicht sie dann aber Dunja. DUNJA Ich bin hingerissen. Junger Mann, ich dachte, solche Exemplare wie Sie sind längst ausgestorben... Den musst du festhalten, Julie! Der reißt dir die Autotür auf, trägt dich über Pfützen und leiht dir seine Jacke, wenn du frierst... JULIA Mama... ich bin jetzt weg. Warte nicht auf mich... DUNJA Habe ich doch noch nie gemacht... Julia und Martin verlassen die Wohnung. Dunja schnuppert an den Blumen, geht dann in ihr Musikzimmer. Dabei: DUNJA Armer Mr. Schnyder. 36. BILD / VOR WOHNUNG HAUSMANN / LADA I/A/T Falk und sein Mitarbeiter beobachten weiterhin den Hauseingang. Jetzt kommen Julia und Martin aus dem Haus. Sie bleiben bei Martins Fahrrad stehen und beratschlagen offensichtlich darüber, ob sie damit fahren sollen. Schließlich nimmt Martin Julia auf die Stange, sie fahren unter Schwierigkeiten aber lachend ab. Falk kann es kaum glauben, was er sieht. Sein Mitarbeiter macht Fotos. FALK Folgen! Der Mitarbeiter startet den Wagen... 37. BILD / AM WEIßENSEE A/T Martin und Julia gehen am Weißensee zusammen spazieren. Dabei: „Weißensee - Operation Juninacht“ 39 JULIA ...er ist Bauingenieur und hat in Westberlin irgendsoein Hotel mitgebaut. Er hat mich in der Disko am Alex angesprochen. Robert ist lieb... er kann in Florida in ein Planungsbüro mit einsteigen...– Und Sie? Warum haben Sie sich scheiden lassen? MARTIN Meine Exfrau wollte, dass Volkspolizei ‚Karriere’ mache. ich bei der JULIA Warum haben Sie nicht? MARTIN Weil das mit Bedingungen verbunden ist. Und die gefallen mir nicht... JULIA Dafür haben Sie Ihre Ehe riskiert? MARTIN Meine Frau war jedenfalls sehr enttäuscht von mir. JULIA Meine Mutter ist auch von mir enttäuscht. Sie wollte immer, dass ich was Künstlerisches mache. Aber ich bin keine Künstlerin. MARTIN Was sind Sie denn? Julia bleibt stehen und sieht Martin an. JULIA Ich bin ganz normal. Nichts besonderes. MARTIN Sie sind was Besonderes. JULIA Warum? Martin sieht Julia an, ihm fehlen die Worte... JULIA Haben Sie ein Foto da? Von ihrer Tochter? „Weißensee - Operation Juninacht“ 40 Martin kramt eine Foto heraus und hält es Julia hin. Sie nimmt es in die Hand, aber Martin lässt es nicht los. Die beiden stehen sehr nah zusammen und sehen auf das Bild... JULIA Was für ein freches Mädchen! MARTIN Sie hat mich völlig in der Hand. 38. BILD / MFS / BÜRO HANS KUPFER I/T Der nächste Tag. In Hans’ Büro. Falk legt Hans eine Reihe von Schwarz-Weiß-Fotos auf den Schreibtisch: - Martin und Julia stehen zusammen und sehen Lisas Bild an, Martin und Julia essen Eis in einer Eisdiele, Martin und Julia sitzen am Ufer des Weißensees, Martin und Julia sitzen auch im Dunklen noch am Ufer. Julia hat jetzt Martins Jacke um die Schultern gehängt. Martin und Julia kommen nachts vor Julias Wohnung an. FALK Da standen sie dann noch zwei Stunden vor dem Haus... Auf dem letzten Bild küssen sich Martin und Julia leicht auf die Wangen... Hans ist schockiert. FALK Ich dachte, ich präsentiere diese Ergebnisse nicht gleich in der großen Runde. – (ehrlich ratlos) Was sollen wir jetzt machen, Vater? Hans sieht Falk nicht an. HANS Lass mir die Bilder hier. Danke. Falk geht hinaus. Hans’ sitzt an seinem Schreibtisch, sein Blick fällt auf einen Spruch an der Wand, ein Zitat des russischen Tschekisten Dzierzynski: Sieht man Kinder, so denkt man unwillkürlich: Alles für sie. Ihnen gebühren die Früchte der Revolution, nicht uns. Hans nimmt wieder die Bilder vor... blättert sie kopfschüttelnd durch... dann spricht er in seine Gegensprechanlage. HANS „Weißensee - Operation Juninacht“ 41 Frau Neuß, ich brauche einen Termin bei General Gaucke... 39. BILD / WEIßENSEE / HAUS KUPFER - SCHLAFZIMMER I/T Im Schlafzimmer der Kupfers. Marlene holt die eingepackte Nerzstola aus dem Schrank. Sie will sie in eine große Tüte schieben... doch dann zögert sie. Sie macht das Papier auf und streicht über das weiche Fell... Dann öffnet sie kurzentschlossen einen weiteren Schrank. Dort räumt sie ein paar Decken aus. Sie schiebt die Stola hinein und packt die Decken davor. Sie schließt die Schranktür... 40. BILD / MFS / BÜRO STELLVERTRETER MIELKE I/T Hans sitzt im Büro seines Chefs, General Günther Gaucke, Gaucke ist dicklich, humorlos und mindestens 70. Eine Sekretärin schenkt Kaffee ein und zieht sich dann zurück... GAUCKE Na, Hans, wie geht’s der Frau, der Familie? Alles im roten Bereich? Gaucke lacht über seinen Witz. GAUCKE Du musst nur aufpassen, dass dein Sohn Falk dich nicht links überholt... das ist ja ein scharfer Hund, was man so hört... HANS Es geht um meinen zweiten Sohn, Martin. GAUCKE Hat er endlich Vernunft angenommen? Wenn der nicht so gefühlig wäre, das hat er von dir, er könnte heute schon die ganze VP Lichtenberg leiten... aber der ist ja nicht mal in der Partei! HANS Er hat sich in die Tochter von Dunja Hausmann verliebt. GAUCKE Na, sauber! Hans reicht Gaucke die Fotos, die der zügig durchblättert. Danei: GAUCKE „Weißensee - Operation Juninacht“ 42 Die Hausmann, die ist ganz faul. Der hätte ich ja schon vor Jahren dauerhaft die Spielerlaubnis entzogen. Wenn du dich erinnerst. Hans schweigt zustimmend. GAUCKE Aber du warst dagegen. HANS Julia Hausmann hat außerdem aktiven Westkontakt. Es besteht der Verdacht eines unerlaubten Grenzübertritts. Gaucke sieht auf. GAUCKE Dein Sohn turtelt Republikflüchtling!? mit einem potentiellen HANS Ich werde die Sache unbürokratisch und zügig auf der privaten Ebene regeln. Gaucke legt die Fotos auf den Tisch, steht auf, er tritt ans Fenster, sieht hinaus. GAUCKE (ernst) Hans, wenn du das nicht in den Griff kriegst: du kennst die Konsequenzen. Du und deine Söhne, ihr wärt nicht mehr tragbar. Hans steht auf, er nimmt die Fotos an sich. HANS Das ist mir bewusst. Gaucke dreht sich zu Hans um. GAUCKE (weiter) Ihr könnt für den Rest eures Lebens Kohlen schippen gehen. HANS Du kannst mir vertrauen. Gaucke sieht Hans plötzlich misstrauisch an. GAUCKE „Weißensee - Operation Juninacht“ 43 Da ist doch noch was? HANS Nein... Gaucke tritt an Hans heran und sieht ihm ins Gesicht. GAUCKE Was verheimlichst du mir? HANS (lügt) Ich habe alles gesagt. Hans geht hinaus. Gaucke sieht ihm nach: er glaubt ihm nicht... 41. BILD / VOR KOSMETIKGESCHÄFT - STREIFENWAGEN A/T Martin, am Steuer, und Görlitz fahren Streife. Sie kommen am Kosmetikgeschäft vorbei... Martin parkt. GÖRLITZ … Gitta sagt, wir sollen Zuchini anbauen, ich sage: und wo willste das Saatgut herkriegen. Gitta sagt... (unterbricht sich) - Was is? MARTIN Bin gleich wieder da... Görlitz erkennt Julia durch die Scheibe. GÖRLITZ Ist das nicht diese Ami-Braut? Du, mach keinen Fehler! Martin steigt aus dem Wagen, ohne zu antworten. Görlitz sieht ihm skeptisch nach… 42. BILD / KOSMETIKGESCHÄFT I/T Julia steht auf einer kleinen Trittleiter und räumt Schachteln in ein Regal. Martin tritt von hinten an sie heran. MARTIN Fräulein Hausmann, folgen Sie mir bitte zur Klärung eines Sachverhalts. Julia schreckt herum. JULIA „Weißensee - Operation Juninacht“ 44 (dann erleichtert) Martin... sehr witzig... MARTIN Gehst du heute abend mit mir aus? JULIA Nein...nein, Martin. Ich kann nicht. Es war ein netter Abend. – Aber ich habe einen Freund, Martin! MARTIN Ja, stimmt. Nur du liebst ihn nicht. Julia sieht Martin empört an. Sie ist sprachlos. Da dreht er sich um und geht hinaus. Julia packt weiter wütend die Päckchen in den Schrank: was für eine Unverschämtheit! 43. BILD / WOHNUNG HAUSMANN / DUNJAS BOUDOIR I/T Später am Abend. Dunja sitzt am Flügel und arbeitet an einem Lied... DUNJA (singt leise) Lange noch... bis der Morgen graut... und wir glauben schon jetzt nicht mehr... schon im Dunkel nicht mehr... wie wird es erst im Licht sein... Dunja feilt an den Harmonien, probiert aus... Julia steht in der Tür und hört zu. Da: JULIA Warum gehst du eigentlich nicht nach drüben? Julia kommt ins Zimmer. JULIA (weiter) Ich meine, sie würden dich ja nicht dran hindern. Im Gegenteil… Dunja spielt weiter. Dabei: DUNJA Ich will nirgendwo anders leben. Wo kann es lebendiger sein? Ich mag das ehrliche Licht, die Leute, selbstbewusst und so weich zugleich, diese raue und liebe Stadt... JULIA „Weißensee - Operation Juninacht“ 45 Hast du nicht auch manchmal das Gefühl, als ob du erstickst. DUNJA Nein, vorher fange ich an zu singen. JULIA Ich kann nicht singen. Dunja dreht sich auf ihrem Klavierhocker zu Julia. Da kniet sich Julia plötzlich vor Dunja auf den Boden und umarmt sie wie ein Kind. Dunja streicht ihr, leicht überfordert von Julias Heftigkeit, über den Kopf. DUNJA Ist es wegen deiner beiden Männer. JULIA Was würdest du machen, wenn... DUNJA Wenn was? JULIA Nichts. Dann macht Julia sich wieder los. JULIA Ich muss los. DUNJA Sofortkuss! Julia küsst ihre Mutter auf den Mund. Dunja hält sie fest. DUNJA Sag mir, was du hast! Aber Julia schüttelt den Kopf. Sie muss schlucken, ist kurz vor dem Weinen... JULIA Ich gehe mit Robert tanzen. Dunja sieht sie irritiert an, dann geht Julia hinaus... 44. BILD / VOR WOHNUNG HAUSMANN A/T Julia verlässt das Haus. Auf der gegenüberliegenden Seite steht ein Trabbi. Darin sitzt Hans Kupfer und beobachtet das Haus... „Weißensee - Operation Juninacht“ 46 Er sieht Julia lange nach... dann geht er auf den Hauseingang zu… 45. BILD / WOHNUNG HAUSMANN / DUNJAS BOUDOIR I/T Dunja sitzt am Flügel und arbeitet weiter an dem Lied... DUNJA (singt leise) Lange noch... bis der Morgen graut... Doch dann bricht sie ab und sieht gedankenverloren vor sich hin… ... da klingelt es: einmal kurz, zweimal lang.... Dunja erstarrt... wartet ab. Es klingelt noch mal auf dieselbe Weise. Dunja steht auf: verblüfft und erregt. Offensichtlich ist das Klingeln ein verabredetes Zeichen... 46. BILD / WOHNUNG HAUSMANN / FLUR I/T Dunja geht langsam zur Tür, zögernd... sie weiß, wer davor steht... Sie legt die Hand auf die Klinke... weiß nicht, was sie tun soll. HANS (off) Dunja? Da öffnet Dunja mit Schwung die Tür. Hans steht davor, sehr ernst und blass. DUNJA Ich habe unser Zeichen auch nicht vergessen. Beide sind befangen... HANS Ich muss mit dir sprechen. DUNJA Das ist ja wohl frech: fast 30 Jahre zu spät, mein Lieber. - Na, gut, komm rein. Hans betritt langsam den Flur, er sieht sich um... HANS Hier hat sich nicht viel verändert. DUNJA Du schon, du bist alt und grau geworden. Aber du kleidest dich besser. - Du kennst ja den Weg... „Weißensee - Operation Juninacht“ 47 47. BILD / WOHNUNG HAUSMANN / DUNJAS BOUDOIR I/T Die beiden treten in Dunjas Zimmer. DUNJA Bitte, setz dich, aber nicht auf meine Noten. Tee? Duvallier habe ich leider nicht im Haus. HANS Gerne Tee Dunja schenkt Hans eine Tasse ein. Hans bleibt stehen, sieht sich um, er muss erst mal durchatmen. Sein Blick fällt auf das große Sofa... DUNJA Du marschierst inzwischen ganz oben mit, stimmt’s. Ich sehe es dir an. Du siehst aus wie ein unsichtbarer Mensch. - Hast du deine Entscheidung für die Firma je bereut? HANS Oft. Hans setzt sich auf das Sofa. Dunja ebenfalls in einen Sessel gegenüber. Dunjas Herz schlägt schneller, sie versucht, es sich nicht anmerken zu lassen. DUNJA (forsch) Was bist du jetzt? Schon Major? Vom kleinen Volkspolizisten bis zum Stasimajor, du musst einige Leichen auf deinem Weg gelassen haben... HANS Keine Toten, aber viele Verletzte. DUNJA Wenigstens bist du ehrlich. HANS Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht zweifle. DUNJA Damit hältst du dein Gewissen in Schach. Kommst du wegen der Tournee? Dass ihr euch schon wegen so einem Liedchen in die Hosen macht, das ist entlarvend... HANS „Weißensee - Operation Juninacht“ 48 Du musst zugeben, dass nicht alle deine Texte unserer Idee vom Sozialismus entsprechen. Du singst nicht für uns sondern gegen uns. DUNJA Du siehst aber schon, was in diesem Land nicht läuft, oder? HANS Ich bin nicht hier, um das mit dir zu besprechen. DUNJA Schade, ich hätte dir einiges zu erzählen. HANS Ist Julia meine Tochter? Dunja steht auf und geht auf und ab. Aufgebracht und zunehmend wütend... 48. BILD / OST-BERLIN / PARKPLATZ A/T Zur gleichen Zeit auf einem menschenleeren Parkplatz am Stadtrand. Robert öffnet den Kofferraum des Sportwagens. Julia sieht ihm dabei zu. Er zeigt ihr den Hohlraum, der jetzt etwas tiefer ist. ROBERT Du hast jetzt 10 Zentimeter mehr Platz. Außerdem habe ich eine Öffnung gemacht. Der Sauerstoff dürfte also auch kein Problem mehr sein. Julia dreht sich um und sieht über die Stadt... ROBERT Hast du mit deiner Mutter gesprochen? JULIA Sie würde mich sowieso nicht verstehen. Sie liebt ihre komische Heimat hier über alles. Außerdem würde sie denken, ich gehe nur wegen der Geschäfte, weil drüben alles golden ist. (macht ihre Mutter nach) „Sie lässt sich vom Glitzer locken wie ’ne Elster...“ ROBERT (grinst) Da hat sie ja auch recht. „Weißensee - Operation Juninacht“ 49 Julia sieht Robert wütend an. JULIA (leidenschaftlich) Ich gehe, weil sie mich nicht atmen lässt. Neben ihr kann ich nichts wollen und nichts werden, weil sie alles besser weiß, alles besser kann...alles... hier bleibe ich immer klein. Ein Mädchen... die Tochter von... Julia beginnt zu weinen. Robert zieht Julia an sich... Oben an einer Böschung hält ein Auto. Darin sitzt Falk mit seinem Mitarbeiter. Sie beobachten Julia und Robert... 49. BILD / PRENZLAUER BERG / WOHNUNG HAUSMANN I/T Inzwischen in Dunjas Wohnung. Dunja geht noch immer auf und ab. DUNJA Weißt du, Hans, die Frage kommt ein paar Jahre zu spät. Du hast dich damals nicht mehr gemeldet, von einem Tag auf den anderen... HANS Ich habe mich für meine Familie entschieden. DUNJA Für deine Karriere, du Lügner. Mit mir an deiner Seite wäre die gelaufen gewesen. HANS Ich frage noch einmal. Ist Julia meine Tochter? Dunja setzt sich wieder zu Hans. DUNJA Ich bin dir keine Antwort schuldig. Die beiden sehen sich an, Hans versucht in Dunjas Gesicht zu lesen: vergeblich. HANS Es ist etwas passiert. Mein Sohn hat sich in deine Tochter verliebt. DUNJA (erschrocken) Martin? Das ist dein Sohn?! Hans nickt. „Weißensee - Operation Juninacht“ 50 HANS Mein schwarzes Schaf. Dunja bleibt äußerlich gelassen. DUNJA Gut. Ich werde mich darum kümmern. HANS Du solltest ohnehin besser auf deine Tochter aufpassen. DUNJA Was willst du damit sagen? Du hast ja deinen Sohn offensichtlich auch nicht im Griff... HANS Kann ich mich auf dich verlassen? DUNJA Hab ich dich schon mal enttäuscht; Kupferrot? Die beiden stehen sich nah gegenüber. HANS Duschka... Der alte Kosename. Jetzt bekommt Dunja zu ihrem Ärger doch Tränen in die Augen. DUNJA Ich bringe dich raus. Zeitsprung: Dunja schließt die Tür hinter Hans, dann bleibt sie stehen... aufgewühlt... Sie tritt ans Fenster und sieht Hans unten, wie er die Straße überquert. Er bleibt an seinem Wagen stehen und sieht noch einmal hoch... 50. BILD / PRENZLAUER BERG / WOHNUNG HAUSMANN - KÜCHE I/T Der nächste Morgen. Julia, fertig angezogen, und Dunja, im Morgenmantel, frühstücken. Julia blättert in einer Zeitung, ist aber mit ihren Gedanken ganz woanders. Dunja schenkt Julia Kaffee ein, dabei wie beiläufig. DUNJA Julia. Julia sieht erschrocken auf: ihre Mutter nennt sie fast nie Julia. Dunja setzt sich. DUNJA „Weißensee - Operation Juninacht“ 51 Ich habe dir doch nie irgendwelche Vorschriften gemacht, ich habe mich niemals in dein Leben eingemischt... JULIA (bedeutungsvoll) Nein. DUNJA Jetzt muss ich: lass die Finger von Martin Kupfer. JULIA Wieso jetzt plötzlich? Der hat dir doch gefallen. DUNJA Die Familie Kupfer, die beziehen ihr Gehalt alle von der Stasi. Julia sieht Dunja erschrocken an. JULIA Woher weißt du das? DUNJA Du darfst ihn nicht wiedersehen. JULIA Das glaube ich nicht! DUNJA (weiter) Diese Familie wird dich unglücklich machen... Julia steht auf, fängt sich, dann: JULIA Keine Angst, Mama, der Typ interessiert mich sowieso nicht. Ich werde ihn nicht wiedersehen. Dunja hält Julia fest. DUNJA Julinka... JULIA Ich muss los, wir haben heute Inventur... Julia geht hinaus. Dunja bleibt irritiert zurück… 51. BILD / MFS / KONFERENZRAUM „Weißensee - Operation Juninacht“ I/T 52 Im MfS. Falk bespricht mit den vier Offizieren seiner Einheit, darunter Leutnant Geifel, das weitere Vorgehen im Fall Schnyder und Hausmann. FALK ... unser Agent in Westberlin hat in Schnyders Apartment zwei Flugtickets nach Miami gefunden, eins ausgestellt auf den Namen Julia Hausmann. Der Flugtermin ist Donnerstag. Wir können also davon ausgehen, dass Schnyder in den nächsten 24 Stunden sein Flittchen über die Grenze schmuggeln wird. LEUNANT GEIFEL Das reicht doch für eine Zuführung. Und für eine Verurteilung. FALK Nein, das ist nicht genug. LEUTNANT GEIFEL Wir verhängen ein Einreiseverbot für Schnyder. FALK Und dann haben wir gar nichts? Nein. Wir müssen sie inflagranti erwischen. 52. BILD / OST-BERLIN / WEIßENSEE A/T Der Park am Weißensee. Es ist Mittwoch. Martin spielt mit seiner Tochter Lisa. Sie schaukeln um die Wette. Da entdeckt Martin Julia, die herankommt und zaghaft die Hand hebt: JULIA Guten Tag. Tag, Lisa. LISA Guten Tag. MARTIN Lisa, ich komm gleich wieder... Martin springt von der Schaukel ab und geht auf Julia zu. Er lächelt erfreut, aber Julia bleibt ernst. Lisa beobachtet die beiden misstrauisch, klettert dann auf ein Klettergerüst, lässt sie aber immer noch nicht aus den Augen. MARTIN „Weißensee - Operation Juninacht“ 53 Wie hast du mich denn hier gefunden? JULIA Dein Kollege wusste Bescheid. - Ich wollte dir sagen... ich will dich nicht mehr wiedersehen. Ich mag dich, aber mehr nicht... Martin sieht Julia an. Er sieht in ihren Augen, dass sie lügt... MARTIN Dafür bist du extra hergekommen? JULIA Trotzdem, schön, dass wir uns kennengelernt haben... alles Gute für dich. Julia reicht Martin die Hand, sie schütteln sie, hören auf zu schütteln, beide lassen sich nicht mehr los... Lisa sitzt auf einem Gerüst und sieht zu... sie lächelt. MARTIN Du hast mich gefragt, warum du was besonderes bist. Ich weiß es jetzt. Du bist... JULIA (unterbricht) Nicht sagen... bitte. Martin schweigt, aber sein Blick sagt viel: ich habe mich verliebt... JULIA (ernst, bestimmt und traurig) Jetzt muss ich gehen. Martin hat eine plötzliche Ahnung. MARTIN Willst du rüber? JULIA Tschüß... Martin. Julia hat Tränen in den Augen...sie will sich von Martin losmachen...aber er hält sie zart fest. MARTIN Bleib hier. Doch Julia macht sich los... und läuft davon. Martin ruft ihr nach. „Weißensee - Operation Juninacht“ 54 MARTIN Julia! Da kommt Lisa heran. LISA (inbrünstig) Papa, ich finde diese Dame richtig doof… Papa! Aber Martin antwortet nicht... 53. BILD / GRENZÜBERGANG I/A/T Am Grenzübergang. Ein Lada fährt vor und parkt. Leutnant Geifel und ein weiterer Mitarbeiter steigen aus. Sie betreten die Baracke und begrüßen dort den Grenzbeamten militärisch. 54. BILD / HAUS KUPFER / ARBEITSZIMMER I/T Zur gleichen Zeit. Hans sitzt an seinem Schreibtisch und hat ein paar alte Fotos hervorgekramt: ein junges Paar vor einem Kiefernwald - Hans und Dunja, verliebt... dann nimmt er einen Schein hervor: den Geburtsschein von Julia Hausmann. Unter Vater steht: unbekannt. Da kommt Falk herein. Hans dreht schnell die Fotos und den Geburtsschein um... FALK Das Problem Julia Hausmann ist gelöst. HANS Ist das jetzt eine ordentliche Meldung? FALK Ja. Julia Hausmann wird beim verbotenen Grenzübertritt festgenommen werden. Das heißt, Haft und gegebenenfalls später Freikauf in die BRD. Die Frau sind wir los. HANS Sprich Klartext! FALK Die beiden gehen gerade in die Falle... wir haben alle Eckdaten konspirativ ermittelt... wir werden sie eindeutig überführen können... Hans sieht Falk an... es herrscht einen Moment lang Schweigen... dann haut Hans mit einem Riesenknall die Faust auf den Tisch. „Weißensee - Operation Juninacht“ 55 HANS Wieso wurde ich davon nicht informiert?! FALK Aber ich... HANS (weiter) Hast du völlig den Verstand verloren?! FALK Wir hätten nicht genug gegen die junge Hausmann in der Hand gehabt... HANS Was, wenn sie sich an der Grenze widersetzen?! Wenn Schnyder Gas gibt?! FALK (weiter) Das wird nicht passieren, wir... Hans steht auf. HANS (weiter) Dann muss geschossen werden! Damit riskierst du zwei Menschenleben! Verhindern von Verbrechen! Prävention von Republikflucht! Sagt dir das was? Wir sind hier doch nicht im Wilden Westen! Mann, Mann, Falk, den Abteilungsleiter kannst du vergessen! Falk beißt die Zähne zusammen, vor Enttäuschung und Wut über den missglückten Versuch, seinen Vater zu beeindrucken... Hans rauscht aus dem Zimmer... Falk tritt ans Fenster. Er beobachtet Hans, der vor dem Haus ins Auto steigt und abfährt... 55. BILD / WOHNUNG HAUSMANN / ZIMMER JULIA I/T In Julias Zimmer. Julia packt leise und schnell ein paar Sachen in eine kleine Tasche: Ausweis, Schmuck, Walkman, ein paar Fotos von ihrer Mutter und sich... Nebenan hört ihre Mutter Musik... ein französisches Chanson... 56. BILD / WOHNUNG HAUSMANN / FLUR I/T Julia geht durch den Flur und wirft einen letzten Blick in das Musikzimmer, wo ihre Mutter sitzt, sich Notizen zu der gehörten Musik macht... mitsingt... „Weißensee - Operation Juninacht“ 56 JULIA (tonlos) Auf Wiedersehen, Mama. 57. BILD / VOR WOHNUNG HAUSMANN A/T Vor dem Haus sitzt Robert im Sportwagen und wartet... er klopft nervös mit den Fingern auf das Lenkrad. Julia kommt aus dem Haus und steigt ein. ROBERT Alles klar? JULIA Ja. Beide sind hoch angespannt... Robert fährt los... 58. BILD / PARKPLATZ / SPORTWAGEN A/I/ABEND Robert fährt den Sportwagen auf den dunklen Parkplatz. Julia und er steigen aus. Robert öffnet den Kofferraum, die Klappe in der Rückwand. ROBERT Es wird alles gut gehen. Julia starrt vor sich hin, sie denkt an Martin... Dann klettert sie in den Kofferraum. Robert schließt die Klappe, er dreht die Schrauben zu. Dann schiebt er zwei Getränkekisten vor die Klappe. ROBERT Alles in Ordnung. Kriegst du Luft? JULIA (dumpf) Alles o.k. Robert schließt den Kofferraum. Julia ist in dem kleinen Hohlraum eingeschlossen... sie fasst an ihren Hals... etwas Licht fällt aus dem Fahrerraum herein... sie atmet schnell... Robert steigt in den Sportwagen ein und fährt ab, Richtung Grenzübergang Checkpoint Charlie. Es wird langsam dunkel... 59. BILD / WOHNUNG HAUSMANN / FLUR „Weißensee - Operation Juninacht“ I/ABEND 57 Dunja öffnet die Wohnungstür. Hans steht davor, leicht atemlos. HANS Wo ist Julia? DUNJA Jedenfalls nicht mit deinem Martin zusammen... HANS (eindringlich) Wo ist sie?! DUNJA In ihrem Zimmer...sie hat sich schon hingelegt...sie hat gesagt, sie kriegt eine Erkältung... was ist denn los? Hans reißt die Tür auf, doch das Zimmer ist leer. DUNJA Was soll das!? HANS Julia ist dabei, illegal die Republik zu verlassen. DUNJA Was!? HANS Sie haut ab! nach drüben, mit diesem Robert! Dunja starrt Hans an. DUNJA Woher weißt du das?! Hans schweigt beredt: woher wohl... DUNJA (atmet durch) Du musst was machen, Hans! HANS Ich kann nichts mehr tun. Da geht Dunja auf Hans los, sie ist außer sich... DUNJA Du musst! Du musst!!! HANS „Weißensee - Operation Juninacht“ 58 Ruhig, Dunja... bitte... beruhig dich doch... Duschka... Er hält ihre Hände fest, zieht sie beruhigend an sich... im Hintergrund läuft noch immer das französische Chanson... DUNJA (berechnend) Julia ist deine Tochter! Hans lässt Dunja los, er tritt ein paar Schritte zurück und sieht Dunja prüfend an. Dunja greift das Telefon von der Kommode und hält es Hans hin. DUNJA Pfeif deine Leute zurück! Aber Hans sieht Dunja zögernd an, er weiß nicht, was er tun soll... HANS Sagst du die Wahrheit? Da platzt Dunja vor Wut und Enttäuschung... DUNJA Und wenn du es nicht glaubst, eins weißt du doch: sie ist meine Tochter! Mein Kind!! Tu es für mich!!! Hans nimmt das Telefon immer noch nicht. DUNJA (verzweifelt) Hau ab! Hau ab, verdammt noch mal!!! Ich will dich nie wiedersehen! 60. BILD / HAUS KUPFER / ESSZIMMER I/ABEND Marlene, Falk, Roman und Martin sitzen beim Abendessen. Martin ist ganz in Gedanken versunken. MARLENE Wo bleibt Hans? Ist er noch mal ins Büro gefahren? Aber niemand antwortet. Da sieht Falk plötzlich Martin voller Hass an. FALK (ruhig) Ein feines Liebchen hast du dir da angelacht. „Weißensee - Operation Juninacht“ 59 MARTIN Was soll das heißen? Auch Marlene und Roman sehen Falk fragend an. Aber der steht auf und geht hinaus... Martin springt auf, folgt seinem Bruder und erwischt ihn auf dem Flur... Er hält Falk fest und packt ihn am Kragen. Er drückt ihn gegen die Wand. MARTIN Was meinst du damit?! Falk lächelt. FALK Aber wie gewonnen so zerronnen... MARTIN Was habt ihr vor!? Im Esszimmer sieht Roman Marlene erschrocken an. MARLENE (zu Roman) Iss weiter, ja. Dann steht sie auf und kommt in den Flur. MARLENE Martin?! Bist du verrückt geworden! Lass deinen Bruder los! Doch da stößt Falk Martin zurück. Martin fällt auf den Boden. Falk lächelt. FALK Reg dich nicht auf, Mutter. Das ist manchmal so unter Brüdern. Martin rappelt sich hoch und will aus dem Haus. MARLENE Wo willst du hin? FALK (weiter) Martin kommt schon Vernunft. - Oder, Martin?! wieder zur Doch Martin verlässt das Haus, ohne zu antworten. „Weißensee - Operation Juninacht“ 60 61. BILD / GRENZÜBERGANG A/N Roberts Sportwagen fährt an den Grenzübergang heran. Drei Grenzer stehen an der Schranke. Sie geben ihm ein Zeichen, langsamer zu fahren und zu halten. Einer der Grenzer, Leutnant Bösner, nickt Leutnant Geifel zu, der in der Baracke steht. Der nickt zurück. Robert bemerkt es nicht. Er kurbelt seine Scheibe herunter... ROBERT Guten Abend. LEUTNANT BÖSNER (unbeeindruckt) Ihren Ausweis! Robert reicht seinen Ausweis aus dem Fenster, Bösner wirft einen Blick darauf. LEUTNANT BÖSNER Herr Robert Schnyder? - Steigen Sie bitte aus. Robert verlässt den Wagen. Zwei Grenzbeamte untersuchen den Boden des Wagens mit Spiegeln. GRENZBEAMTER Ist sauber. LEUTNANT BÖSNER Öffnen Sie den Kofferraum. ROBERT Denken Sie, ich habe jemanden da drin? LEUTNANT BÖSNER Machen Sie schon. Robert geht langsam an den Kofferraum, sehr langsam, und öffnet ihn. LEUTNANT BÖSNER Na los, aufmachen! Robert klappt den Kofferraum auf. ROBERT Bitte... Im Kofferraum bietet sich das gewohnte Bild der beiden leeren Getränkekisten. „Weißensee - Operation Juninacht“ 61 ROBERT Ich weiß, die hätte ich schon längst mal wegbringen müssen... Da beginnt Bösner, die Seitenwände abzuklopfen... die Rückwand... er sieht seinen Kollegen an. LEUTNANT BÖSNER Klingt hohl, findest du nicht? ROBERT (betont lässig) Tja, unsere Autos sind eben auch nicht so toll wie sie aussehen... Da hat Bösner die Schrauben entdeckt. Er nickt seinem Kollegen zu und dreht sie langsam auf... Leutnant Geifel und sein Mitarbeiter beobachten alles von der Baracke aus. Inzwischen sind unbemerkt zwei weitere Grenzer herangekommen. Sie nehmen ihre Waffen in Habachtstellung... Robert bemerkt es... ROBERT Ich glaube, ich muss Ihnen was sagen... Jetzt sind die Schrauben gelöst. Die Klappe fällt nach vorn... ...der Hohlraum ist leer... ROBERT Ich habe weder ein Warndreieck noch einen Verbandskasten. Die Grenzbeamten wechseln einen irritierten Blick. Bösner sieht Geifel hinter der Scheibe an, schüttelt leicht den Kopf. Geifel kommt ungläubig aus der Baracke. Bösner tritt ihm entgegen. LEUTNANT BÖSNER Melde: keine zweite Person im Wagen... LEUTNANT GEIFEL Was soll das heißen? Wo ist Julia Hausmann? Alle sehen sich irritiert an, und Robert lächelt. Aber es ist ein trauriges Lächeln... Ende Folge 1 „Weißensee - Operation Juninacht“ 62