Weißensee Folge 1 - Stichwort:Drehbuch

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Weißensee Folge 1 - Stichwort:Drehbuch
„Weißensee“
Die Serie
Folge 1
„Operation Juninacht“
Drehbuch
von Annette Hess
(Fassung 27.06.2009)
Sender:
Redaktion:
MDR
Jana Brandt
Wolfgang Voigt
Produktion: Ziegler Film
Produzentin: Regina Ziegler
Producer:
Marc Müller-Kaldenberg
HAUPTFIGUREN
Martin Kupfer, 33, Volkspolizist, Obermeister VP
Hans Kupfer, 61, Martins Vater, Oberst MfS, stellvertretender Leiter der
Hauptabteilung XX, zuständig für die Überwachung von Staatsapparat, Kultur,
Kirche, Untergrund
Marlene Kupfer, 58, Martins Mutter, Altenpflegerin
Falk Kupfer, 38, Martins Bruder, Major MfS in der HA XX
Vera Kupfer, 36, Falks Ehefrau, Lehrerin
Roman Kupfer, 13, deren einziges Kind
Dunja Hausmann, 56, Liedermacherin
Julia Hausmann, 24, Dunjas Tochter, Kosmetikerin
NEBENFIGUREN
Uwe Geifel, 50, Leutnant MfS der HA XX
Günther Gaucke, 72, General MfS, Leiter der HA XX, Chef von Hans und Falk
Peter Görlitz, 42, Volkspolizist, Obermeister VP, Kollege von Martin
Lisa Grambow, 6, Martins Tochter
Marion Grambow, 32, Martins Ex-Frau
Armin Priess, 32, Dunjas Pianist
Moni Schrader, 36, geschieden, zwei Kinder, Julias Chefin im Kosmetikgeschäft
Christine Jeroch, 54, Schriftstellerin
Kleinkunstbühne, Dunjas Freundin
und
Betreiberin
eines
Lokals
mit
Roland Einrauch, 44, Dramatiker, Dunjas Freund
Uwe Krömer, 52, Musiker, Dunjas Freund
Wolf Zander, 65, Theaterregisseur, Dunjas Freund
EPISODENFIGUREN
Robert Schnyder, 34, Ingenieur, Amerikaner mit deutscher Herkunft, Julias Liebhaber
„Weißensee - Operation Juninacht“
1
01. BILD / OST-BERLIN / WEIßENSEE
A/T
Ostberlin, Juli 1980. Der Weißensee im Bezirk Pankow. Es ist ein schöner
Sommertag. Familien sind unterwegs, viele Kinder, dazwischen gemächlich
schlendernd ältere Spaziergänger. Ein harmonisches Bild.
Auf einem Spielplatz am Ufer schaukelt ein 6jähriges Mädchen. Ein sympathisch
aussehender Mann gibt ihr Anschwung. Es ist Martin Kupfer mit seiner Tochter
Lisa. Lisa schreit vor Vergnügen.
LISA
Noch höher! Höher!!!
Zwei attraktive Frauen gehen an Martin vorbei und sehen ihn neugierig an, eine
lächelt. Doch Martin bemerkt es nicht, er geht ganz in dem Spiel mit seiner Tochter
auf.
LISA
Jetzt springe ich ab!
MARTIN
(erschrocken) Nein, Lisa! Das ist zu hoch...
LISA
Ich kann das!
MARTIN
Lisa!
Aber Lisa hört nicht und macht einen großen Sprung, sie landet auf den Füßen, dreht
sich um und strahlt ihren Vater an, der heranläuft und sie besorgt untersucht.
MARTIN
Hast du dir wehgetan?
LISA
Habe ich doch gesagt, ich kann das!
Da nimmt Martin Lisa plötzlich wie einen Sack über die Schulter und läuft mit ihr los.
MARTIN
Zur Strafe kommst du jetzt in den See für
ungezogene Kinder!
LISA
(lacht) Nein!!!
MARTIN
Doch!!!
„Weißensee - Operation Juninacht“
2
Martin läuft auf das Ufer zu und tut so, als wolle er Lisa in den See hineinwerfen. Sie
amüsiert sich sehr... dann stellt Martin Lisa ab.
MARTIN
Ich will mal Gnade vor Recht ergehen lassen.
Zeitsprung:
Lisa und Martin sitzen im Gras und schlecken jeder ein Eis.
LISA
Wie viele Banditen hast du letzte Woche
gefangen?
MARTIN
Mindestens hundert.
Etwas entfernt tritt eine gutaussehende, ziemlich zurechtgemachte Frau Mitte 30
hinter einem Baum hervor und beobachtet die beiden, scheinbar unbeteiligt. Es ist
Marion Grambow.
LISA
Waren die gefährlich?
Martins Blick fällt auf die Frau, die ihn und Lisa ausdruckslos ansieht. Martin wirft
einen Blick auf die Uhr.
MARTIN
(abgelenkt)
Banditen.
Nein,
das
waren
nur
nette
LISA
Das gibt’s doch gar nicht, Papa: nette Banditen.
Martin steht auf.
MARTIN
(weiter) Komm. Es wird Zeit.
Martin hält Lisa die Hand hin, sie erhebt sich widerwillig.
Martin geht Marion mit Lisa an der Hand entgegen. Die beiden Erwachsenen nicken
sich förmlich zu.
LISA
Kann ich nicht noch hier bleiben?
MARION
Sag Tschüß für heute, Lisa.
„Weißensee - Operation Juninacht“
3
MARTIN
Ich muss jetzt auch zum Dienst, Lisa.
Lisa umarmt ihren Vater stürmisch.
LISA
Bis übernächsten Mittwoch.
MARTIN
Pass auf dich auf, Lisa...
Marion nimmt Lisas Hand.
MARION
Tschüß, Martin.
MARTIN
Tschüß.
Die beiden gehen. Martin sieht seiner Tochter nach, sie dreht sich noch einmal um
und winkt. Martin winkt lachend zurück...
LISA
(zu Marion) Papa hat immer noch keine neue
Frau.
MARION
Woher weißt du das?
LISA
Ich habe ihn gefragt. Und dann hat er noch
gesagt, er ist fertig mit den Damen.’ (nach einer
Pause) Mama, was sind eigentlich Damen?
02. BILD / OST - BERLIN / KOSMETIKGESCHÄFT
I/T
Zur gleichen Zeit. In einem Kosmetikgeschäft berät Julia Hausmann, schön
anzusehen in ihrem weißen Kittel, eine Kundin. Sie öffnet eine Parfümflasche.
JULIA
... ‚Passion de lagune’. Ganz neu. Das ist heute
morgen erst reingekommen.
Julia besprüht das Handgelenk der Kundin, die schnuppert vorsichtig.
JULIA
Duftet nach Orchideen, Sonne und Meer... laut
Hersteller.
„Weißensee - Operation Juninacht“
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KUNDIN
(skeptisch) Naja.
Julia sprüht sich ebenfalls auf das Handgelenk und schnuppert.
JULIA
Oder doch eher wie umgekippter Obstsalat.
Julia lacht, die irritierte Kundin lacht schließlich mit...
Julias Chefin, Moni Schrader, die am Tresen Eintragungen in ein Buch macht, sieht
herüber.
03. BILD / OST - BERLIN / VOR KOSMETIKGESCHÄFT
A/T
Draußen vor dem Kosmetikgeschäft hält in diesem Moment ein Sportwagen mit
Westberliner Kennzeichen. Hinter dem Steuer sitzt Robert Schnyder, 34, ein
Deutsch-Amerikaner, gutaussehend, modisch gekleidet, etwas glatt. Er drückt auf die
Hupe.
04. BILD / OST - BERLIN / KOSMETIKGESCHÄFT
I/T
Julia und Moni Schrader sehen durch das Fenster. Draußen winkt Robert. Julia wirft
einen Blick auf die Uhr.
Moni kommt heran, sie nimmt Julia das Parfum ab.
MONI SCHRADER
Na, geh schon. Bevor der hier die ganze Straße
zusammenhupt.
JULIA
Danke, Moni.
Julia streift eilig im Gehen ihren Kittel ab, verschwindet dabei im Hinterzimmer, aus
dem sie ebenso schnell wieder auftaucht. Sie trägt eine Umhängetasche.
Inzwischen:
MONI SCHRADER
(zur Kundin) ‘Passion de lagune’ ist etwas ganz
Exquisites. Das kriegen sie nicht immer.
KUNDIN
Kann ich drei Flaschen haben, bitte...
„Weißensee - Operation Juninacht“
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05. BILD / OST - BERLIN / VOR KOSMETIKGESCHÄFT
A/T
Julia kommt aus dem Geschäft. Sie steigt zu Robert ins Auto, die beiden geben sich
einen Kuss.
Julia dreht das Autoradio auf. Rockmusik ist zu hören. Julia dreht laut auf, Robert
fährt ab...
06. BILD / OST - BERLIN / POLIZEIWACHE - UMKLEIDERAUM
I/T
Im Umkleideraum der Polizeiwache. Martin steht vor einem Spind und sieht in einen
kleinen Spiegel, er knöpft seine Uniformjacke zu.
Ein Kollege in Uniform kommt herein, Peter Görlitz, 42.
GÖRLITZ
Mensch, da biste ja endlich. Wir müssen seit 15
Minuten auf Streife sein!
Martin schließt den Spind ab.
MARTIN
Ich war am See. Mit Lisa.
GÖRLITZ
Verstehe: Privates geht vor Katastrophe.
Inzwischen holt Görlitz etwas aus seinem Spind. Eine Papiertüte, die er Martin
hinhält.
GÖRLITZ
Hier. Probier mal.
Martin greift in die Tüte und holt eine blass aussehende Tomate heraus.
GÖRLITZ
Eigene Ernte, aus unserm Gärtchen. Gitta sagt,
was Besseres kriegste nicht mal im Delikat.
Martin beißt hinein.
GÖRLITZ
Na, sag mal: ist die nicht zuckersüß?
Martin verzieht das Gesicht: na ja.
07. BILD / OST - BERLIN / PARKPLATZ
„Weißensee - Operation Juninacht“
I/A/ABEND
6
Zur gleichen Zeit. Robert hat seinen Sportwagen gerade auf einem menschenleeren
Parkplatz geparkt. Julia verzieht das Gesicht.
JULIA
Ich mag keinen Sex im Auto, das weißt du
doch.
ROBERT
Du denkst auch immer nur an das eine.
Schnitt auf: Robert öffnet den Kofferraum, Julia steht daneben.
ROBERT
Fällt dir was auf?
Im Kofferraum ist außer zwei leeren Bierkästen nichts.
JULIA
Du säufst heimlich.
Da dreht Robert zwei Schrauben an der Rückwand des Kofferraumes heraus, die
Wand klappt nach vorne. Dahinter wird ein kleiner Hohlraum sichtbar.
ROBERT
Ich habe die Rückwand vorversetzt.
JULIA
(kapiert, witzelt trotzdem) Damit du deine
Pullen besser verstecken kannst.
Robert sieht sich um, niemand ist zu sehen.
ROBERT
Probier’s mal aus.
Julia sieht Robert an, zögert einen Moment lang...
ROBERT
Ganz unverbindlich.
JULIA
Sprach der Wolf.
Aber Julia steigt dann doch schnell in den Kofferraum. Sie zwängt sich in den
Hohlraum.
JULIA
Drei Wochen lang abends nur noch Salat, dann
ist es hier bestimmt supergemütlich.
Robert verschließt die Klappe.
„Weißensee - Operation Juninacht“
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ROBERT
So, und jetzt mach ich nicht mehr auf, bis wir
drüben sind...
Es ist nicht ganz klar, ob es sich hierbei um einen Witz handelt... Julia klopft von
innen gegen die Rückwand.
JULIA
(dumpf) Mach auf! Robert! Komm, lass mich
wieder raus...!
Doch Robert lächelt nur...
08. BILD / OSTBERLIN / STRAßE / POLIZEIWAGEN
I/A/N
Später. Es ist dunkel.
Ein Einsatzwagen der Schutzpolizei, ein Lada, fährt eine wenig befahrene Straße in
Weißensee entlang.
Martin, in Vopo-Uniform, steuert den Wagen. Görlitz sitzt auf dem Beifahrersitz, seine
Tomaten kauend, und hält Martin seinen üblichen Vortrag.
GÖRLITZ
(„offiziell“) Weißt du, Martin, was mir an dir nicht
gefällt? Deine Haltung zu Fragen des
Fortschritts. – Wieso fährst du seit Jahren
Streife? Wenn ich deinen Stammbaum hätte,
ich wäre längst Hauptmann, würde auf dem
Stuhl vom Chef sitzen und...
MARTIN
(setzt fort) …über ganz Lichtenberg regieren,
ich weiß.
Martin hält an einer roten Ampel. Görlitz hält ihm die Tüte hin. Martin schüttelt
dankend den Kopf.
GÖRLITZ
Ist doch paradox: mich lassen sie nicht
hochkommen, weil Gitta eine Cousine in
Hamburg hat. Und du willst nicht, weil du lieber
Betrunkene von der Straße aufsammelst, als im
Warmen zu sitzen und Befehle zu geben...
also, wenn dein Alter mein Alter wäre...
Da kreuzt mit ziemlicher Geschwindigkeit ein Sportwagen: Roberts Sportwagen.
MARTIN
„Weißensee - Operation Juninacht“
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(re: Sportwagen) Hast du den gesehen? Der
hat doch mindestens 70 drauf.
GÖRLITZ
Einer aus’ m Westen. Komm, den holen wir
uns!
Die Ampel wird grün. Martin biegt ab und gibt Gas.
MARTIN
(ironisch) Wir
versuchen.
können
es
jedenfalls
mal
Martin schaltet das Martinshorn ein... er tritt auf das Gaspedal, der Lada gibt, was er
kann...
09. BILD / OSTBERLIN / ROBERTS SPORTWAGEN / STRAßE
I/A/N
In Roberts Sportwagen. Julia sitzt am Steuer und genießt das schnelle Fahren.
Robert hält sich etwas ängstlich am Haltegriff fest.
ROBERT
Fahr nicht so schnell!
JULIA
(ignoriert das) Robert, das funktioniert nicht, ich
kriege da drin keine Luft.
ROBERT
(weiter, Geschwindigkeit) Würdest du bitte vom
Gas gehen.
JULIA
(weiter) Da kannst du mich drüben als Leiche
wieder auspacken. Vergiss es.
Da wird das Martinshorn hörbar.
ROBERT
Ja, genau das meinte ich!
Julia sieht in den Rückspiegel und erkennt den Polizeiwagen.
JULIA
Die kriegen uns nicht.
ROBERT
(ermahnend) Julia…!
Doch Julia biegt in eine dunkle Straße ein.
„Weißensee - Operation Juninacht“
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ROBERT
Das ist eine Einbahnstraße!
JULIA
(lächelt) Grade nicht.
Julia fährt die Straße entlang…
Schnitt: Martin bremst an der Einmündung der Einbahn-Straße ab und wendet.
MARTIN
Wenn du glaubst du bist schlau: ich bin
schlauer!
Schnitt auf: Julia kommt an das Ende der Einbahnstraße. Sie biegt ab, da ertönt das
Martinshorn direkt hinter ihr. Julia sieht in den Rückspiegel. Der Polizeiwagen hängt
fast an ihrer Stoßstange.
JULIA
Mist!
Julia wird langsamer, der Lada überholt und Görlitz schwenkt die Kelle: rechts ran!
Schnitt auf:
Julia parkt den Sportwagen hinter dem Lada. Sie beobachtet, wie Martin und Görlitz
aussteigen und herankommen.
ROBERT
Wenn die jetzt den Wagen filzen…
JULIA
Die wollen nur Devisen.
Martin leuchtet Julia mit einer Taschenlampe ins Gesicht, während Görlitz prüfend
um das Auto herumgeht.
Martin gibt Julia ein Zeichen, dass sie die Scheibe herunterkurbeln soll, was sie auch
tut.
Die beiden sehen sich an...
MARTIN
Sie waren deutlich zu schnell.
JULIA
(lächelt entwaffnend) Der Wagen hier hat mich
einfach provoziert, Herr Wachtmeister.
Martin unterdrückt ein Lächeln: gute Ausrede.
„Weißensee - Operation Juninacht“
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MARTIN
Außerdem sind Sie in der falschen Richtung in
eine Einbahnstraße gefahren.
JULIA
Ich glaube, ich war abgelenkt. Von Ihrem
Martinshorn.
Julia grinst. Martin atmet kurz hörbar ein.
MARTIN
Steigen Sie mal bitte aus. Sie beide.
Robert und Julia steigen aus dem Wagen. Görlitz legt eine Hand an seine Waffe –
man kann ja nie wissen...
MARTIN
Ihre Ausweise.
Robert reicht Martin seine Papiere, die er durchblättert.
Julia kramt in ihrer Umhängetasche. Dabei fällt die Tasche herunter... ein Walkman
rutscht heraus, eins der ersten, kastigen Modelle, auf den ersten Blick als
Westprodukt erkennbar.
GÖRLITZ
Was ist das?
ROBERT
Ein Walkman.
Görlitz hebt den Walkman hoch und versucht ihn zu öffnen… Julia reicht Martin
inzwischen ihren Ausweis.
JULIA
Das Ding macht nur Musik.
Görlitz hat den Walkman endlich geöffnet und nimmt die Kassette heraus. Es ist die
nicht beschriftete Aufnahmekassette, eine Westmarke.
GÖRLITZ
(zu Robert) Sie haben einen
eingeführt. Das ist verboten.
Tonträger
Julia seufzt, wirft Robert einen Blick zu und nickt leicht. Robert fasst nach seinem
Portemonnaie.
ROBERT
Vielleicht könnten wir
unkompliziert regeln?
„Weißensee - Operation Juninacht“
das
hier
ganz
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Martin sieht von Julias Ausweis auf. Robert öffnet sein Portemonnaie und zeigt ein
paar Dollarscheine.
MARTIN
Wir nehmen nur Forumschecks. Kleiner
Scherz. – Ich muss Sie auffordern, uns zur
Feststellung und Überprüfung Ihrer Personalien
auf die Wache zu begleiten.
JULIA
Aber nur, wenn Sie nett bitte sagen.
Martin und Julia sehen sich an...
DUNJA HAUSMANN
(singt, off) …In dem Café ‚Hoch-über-der
Stadt’, nahe dem Turm, mit dem goldenen
Zifferblatt, saß ein Liebespaar, Hand in Hand...
10. BILD / OST-BERLIN / LOKAL PRENZLAUER BERG
I/N
Eine schlichte Bühne in einem verrauchten Lokal. Eine Frau Anfang Fünfzig in einem
langen, hellen Kleid singt, begleitet von einem deutlich jüngeren attraktiven
Pianisten. Es ist Dunja Hausmann, vital, selbstbewusst und erotisch wirkend. Das
Publikum, an einzelnen Tischen sitzend, hört zu, aufmerksam und wohlwollend.
Auf einem Plakat ist ein Foto von Dunja zu sehen, darunter steht: Dunja Hausmann –
ein ‚Volksliederabend’.
An einem der Tische sitzt ein Mann in einer hellen Lederjacke, Leutnant Geifel. Er
wirkt wie ein Fremdkörper, da er in keiner Weise mitgeht sondern nur beobachtet.
DUNJA HAUSMANN
(singt) Und er schwieg und er sah, und sie sah
und verstand. In dem Café, hoch über der
Stadt, wo es Wolken und Sonne hat, ziehen die
Wege fort über Land, Pappeln stehn am
Wegesrand...
Während Dunja singt betritt ein gut gekleideter, attraktiver Mann Ende 50 den Klub.
Er hat eisgraue, kurzgeschnittene Haare, wirkt aber jugendlich. Es ist Hans Kupfer.
Hans tritt an den Tresen, ohne Dunja eines Blickes zu würdigen. Die Tresenkraft,
eine ältere, gebildet wirkende Frau, Christine Jeroch, sieht ihn fragend und lächelnd
an: Bitte?
HANS KUPFER
Einen Duvallier, bitte.
Christine schüttelt bedauernd den Kopf. Hans schiebt einen 20 Ostmark-Schein über
den Tresen. Christine nimmt nach kurzem Zögern den Schein vom Tresen und
taucht dann unter dem Tresen ab. Sie kommt mit der gewünschten Flasche wieder
zum Vorschein.
„Weißensee - Operation Juninacht“
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CHRISTINE
(flüstert) Seh’n Sie mal, was ich gefunden habe!
Sie schenkt Hans ein. Er nimmt das Glas, dreht sich dann zur Bühne um und sieht
Dunja an.
DUNJA HAUSMANN
(singt weiter) Und die Welt ist wehend und weit!
Nahe dem Turm mit der goldenen Zeit...
Hans trinkt, er lässt Dunja dabei nicht aus den Augen... Christine registriert das
interessiert.
DUNJA HAUSMANN
(weiter) .... saß ein Liebespaar, Hand in Hand,
und sie sah und sie schwieg – und er schwieg
und verstand...
Dunja Hausmann beendet das Lied. Sie bekommt viel Applaus und verbeugt sich.
DUNJA HAUSMANN
Danke. - Das nächste Lied liegt mir besonders
am Herzen. Daher hoffe ich, es wird Ihnen
gefallen. Aber das kann man ja ‚mit Sicherheit’
nie sagen...
Sie sieht in eine bestimmte Richtung und verbeugt sich. Dort sitzt Leutnant Geifel.
Im Publikum gibt es vereinzelt verhaltenes Gelächter über die Anspielung auf die
Staatssicherheit.
Hans registriert alles unbemerkt... Dunja beginnt ihr neues Lied.
DUNJA HAUSMANN
Meine ‚Ansprache an Funktionäre’. (singt)
Warum wollt ihr so lange warten, bis sie euren
geschminkten Frauen und euch und den
Marmorpuppen im Garten eins über den
Schädel geben? - Warum wollt ihr euch denn
nicht bessern? Bald werden sie über die
Freitreppen drängen und euch erstechen mit
Küchenmessern und an die Fenster hängen.
Sinnlos werden dann Schrei und Gebet sein.
Dann wird es zu spät sein...
Geifel lauscht und versucht, sich alles zu merken. Hans beobachtet Dunja.
11. BILD / WEIßENSEE
/ POLIZEIWACHE / FLUR
I/N
Auf der Polizeiwache.
„Weißensee - Operation Juninacht“
13
Es ist wenig los in dieser Nacht. Zwei Polizisten stützen einen sturzbetrunkenen
Mann. In einem Büro redet eine ältere, aufgelöst wirkende Dame auf einen jungen
Polizisten ein. Sie zeigt ihm wiederholt eine Hundeleine... offensichtlich ist ihr Hund
abhanden gekommen...
In einem Büro sitzt Görlitz mit Robert.
12. BILD / WEIßENSEE
/ POLIZEIWACHE / BÜRO
I/N
Im Nachbarzimmer. Martin sitzt hinter der Schreibmaschine und nimmt Julias
Personalien auf. Julia lässt Martin nicht aus den Augen, was ihn leicht nervös macht.
MARTIN
Name?
JULIA
Das wissen Sie doch schon.
Martin tippt: Julia Hausmann.
MARTIN
Geboren?
JULIA
Steht alles da im Ausweis...
Martin hört auf zu tippen und sieht Julia an.
MARTIN
Fräulein Hausmann, Sie saßen am Steuer
eines Wagens, der zu schnell fuhr. Außerdem
sind Sie in der falschen Richtung in eine
Einbahnstraße gefahren. Deshalb sind Sie hier.
Also kommen Sie mal wieder runter von Ihrem
hohen Ross. Das nervt nämlich. Und wenn Sie
mich nerven, dann kann ich Sie auch nerven.
JULIA
Wollen Sie mir Angst machen?
MARTIN
Ich will wissen, wann und wo Sie geboren sind.
Martin sieht Julia an, Julia sieht Martin an. Abwartend, neugierig, fasziniert...
JULIA
Sind Sie gerne Polizist?
MARTIN
„Weißensee - Operation Juninacht“
14
Ja.
JULIA
Warum?
MARTIN
Weil ich mich für Menschen interessiere.
JULIA
(plötzlich schnell) Ich bin am 18. August 1956 in
Leipzig geboren. Meinen Papa kenne ich nicht,
meine Mutter singt den lieben langen Tag
schmutzige
Lieder.
Ich
arbeite
im
Kosmetikgeschäft in der Frankfurter-Allee 44.
Zu mehr hat es nicht gereicht. Ich bin eine
Enttäuschung. Ich mag Pflaumenkuchen mit
Schlagsahne für mein Leben gern.
Martin hat die ganze Zeit mitgetippt, dann:
MARTIN
(tippt, ironisch) P-f-l-a-u-m-e-n-k-uc-h-e-n.
Da sieht Görlitz herein.
GÖRLITZ
Martin, kommst du mal eben...
13. BILD / WEIßENSEE
/ POLIZEIWACHE / BÜRO
I/N
Görlitz und Martin treten auf den Flur. Görlitz zeigt Martin Roberts Ausweis.
GÖRLITZ
Robert
Schnyder
Staatsbürger.
ist
amerikanischer
MARTIN
Ist mir nicht entgangen.
GÖRLITZ
Seine Mutter ist allerdings Deutsche... (re:
Einträge) Hier, in den letzten drei Monaten hat
er 19 Mal unsere Grenze passiert. – Ich muss
eine Meldung beim Chef machen.
Martin nickt etwas verhalten.
GÖRLITZ
Auch über deine Dame da.
„Weißensee - Operation Juninacht“
15
MARTIN
Was soll das denn heißen: meine Dame?
Görlitz verzieht keine Miene – er ist nicht blöd... dann gibt er Martin den Walkman.
14. BILD / WEIßENSEE
/ POLIZEIWACHE
I/N
Martin kommt zurück zu Julia ins Büro.
Julia schiebt ihm das unterschriebene Protokoll hin.
JULIA
Rechtschreibung eins, Ausdruck vier minus:
‚die verkehrstechnisch auffälligen Personen
fielen
in
der
Badschenystraße
durch
Geschwindigkeit auf...’
MARTIN
Sie können jetzt gehen. Die Ordnungswidrigkeit
kostet Sie 25 Mark. Außerdem...
JULIA
Außerdem was?
MARTIN
Rechnen
Sie
Befragungen.
eventuell
mit
weiteren
JULIA
(frech) Sie wissen doch schon alles von mir.
MARTIN
(weiter, ernst) Nicht durch mich.
Die beiden sehen sich an – eine eindeutige Warnung. Julia nimmt ihre Tasche, sie
steht auf.
JULIA
Schon verstanden. - Was ist mit meiner
Kassette?
Martin schüttelt bedauernd den Kopf.
MARTIN
Die ist beschlagnahmt.
JULIA
Können Sie da gar nichts machen? Ich brauche
die Kassette dringend.
Julia steht Martin direkt gegenüber, sie benutzt ihren betörendsten Blick. Dennoch:
„Weißensee - Operation Juninacht“
16
MARTIN
Tut mir leid.
JULIA
(enttäuscht) Na, dann gute Nacht, Sie... Sie
großer Polizist, Sie!
Julia geht hinaus, auf dem Flur trifft sie auf Robert. Die beiden gehen zusammen
zum Ausgang.
Martin sieht ihnen nach, er atmet tief durch: er hat sich soeben verliebt...
15. BILD / WOHNUNG HAUSMANN / DUNJAS BOUDOIR
I/N
In Dunjas Musikzimmer – ihrem ‚Boudoir’, wie sie es nennt, mit großem Sofa,
kleinem Flügel, vielen Kissen - sitzen die versprengten Reste einer kleinen Feier...
der Pianist Armin Priess improvisiert leise am Klavier...
Dunjas engste Künstlerfreunde sind ebenfalls anwesend: Christine Jeroch, Roland
Einrauch, Dramatiker, Uwe Krömer, Musiker und Wolf Zander, Theaterregisseur.
Die Männer sprechen über die Volksbühne, die anstehende Uraufführung von Heiner
Müllers ‚Bau’.
WOLF ZANDER
… jetzt haben sie doch die Besetzung
ausgetauscht. Sie versuchen es mit Gwisdeck
und Alex…
ROLAND EINRAUCH
Ob die das Stück retten können? Ich finde, es
ist das Schwächste, das ich von Heiner
kenne…
Christine sitzt neben Dunja. Gleichzeitig:
CHRISTINE
Dein Verehrer
Duvallier.
war
wieder
da.
Monsieur
DUNJA
(tut uninteressiert) Achja.
Aber sie weiß genau, wer der Mann gewesen ist.
CHRISTINE
Der ist wirklich sexy… er hat schöne Hände.
DUNJA
(lügt) Der Mann interessiert mich nicht.
„Weißensee - Operation Juninacht“
17
Da entdeckt Dunja plötzlich jemanden in der Tür.
DUNJA
Na, mein Schäfchen! Setz dich zu uns...
Dort steht Julia.
JULIA
(in die Runde) N’abend. - Hast du es
gesungen?
DUNJA
Na klar.
ARMIN PRIESS
Obwohl einer von Horch und Guck da war.
JULIA
Ich verstehe dich nicht. So lassen die dich nie
auf die Tournee...
Armin Priess spielt einen lauten Akkord.
ARMIN PRIESS
Habe ich ihr auch gesagt.
DUNJA
(ausweichend) Wie war dein Abend?
JULIA
Wir sind rumgefahren.
DUNJA
(verächtlich) Mit dem schicken Mr. Robert im
noch schickeren Sportwagen.
JULIA
(getroffen) Ich geh schlafen. In zwei Stunden
muss ich raus.
Julia geht hinaus, Dunja sieht ihr nach.
DUNJA
Mein schwarzes Schäfchen... Manchmal denke
ich, sie ist gar nicht meine Tochter. Sie ist so
leicht verführbar...
CHRISTINE
Unterschätzt du sie nicht vielleicht?
16. BILD / PRENZLAUER BERG / WOHNUNG HAUSMANN - FLUR
„Weißensee - Operation Juninacht“
I/N
18
Im Flur, der mit windschiefen Bücherregalen, skurrilen Fundstücken und
unterschiedlichsten Bildern überladen ist, lehnt Julia an der Wand – sie hört, was ihre
Mutter sagt...
DUNJA
(weiter, off) Sie lässt sich vom Glitzer locken
wie ’ne Elster. Weil sie nicht weiß, was sie will –
und das mit fast dreißig!
Julia schluckt, das tut weh...
17. BILD / WEIßENSEE
A/MORGEN
Über dem Stadtteil Berlin-Weißensee geht die Sonne auf. Es wird ein neuer
strahlender Sommertag.
18. BILD / WEIßENSEE
/ HAUS KUPFER
A/MORGEN
Das Haus der Familie Kupfer in Weißensee. Es ist eine schlichte, aber repräsentative
Villa im Bauhausstil. Die Doppelgarage weist zudem auf Wohlstand hin, auch der
Garten ist auffallend gepflegt.
Martin, noch immer in seiner Uniform, kommt auf seinem Fahrrad angefahren. Er
steigt ab und fährt durch das Tor in den Vorgarten. Er stellt das Rad ab, nimmt eine
Tasche vom Gepäckträger und geht auf das Haus zu. Dabei sucht er nach seinem
Schlüssel...
Da entdeckt er eine Gestalt, die bewegungslos im Garten auf einer Bank sitzt.
Martin stutzt, dann geht er zur Bank und setzt sich neben die Frau. Es ist Marlene
Kupfer, Mitte 50, mütterlich und streng zugleich wirkend.
MARTIN
Mama...
MARLENE
Ach, Martin... guten Morgen. Es ist so ein
schöner Morgen. Ich wollte noch nicht ins Bett
gehen. Im Heim… (sie bricht ab)
MARTIN
(weiß Bescheid) Es ist jemand gestorben.
Marlene nickt.
MARLENE
Die alte Frau Heiderich.
„Weißensee - Operation Juninacht“
19
MARTIN
Du mochtest sie, oder.
MARLENE
Sie hatte ein trauriges Leben… ihr Mann hat
sich kurz vor Kriegsende erschossen, aber sie,
sie hat 35 Jahre lang bereut. Für das, was er
getan hat…
Da kommt ein Mann Ende 30, verschwitzt, im Trainingsanzug, über den Gartenzaun
gesprungen. Es ist Falk Kupfer. Er sieht auf die Uhr.
FALK
(atemlos, verärgert) 23 Minuten. Verdammt,
seit Tagen hänge ich 4 Minuten unter meiner
Bestzeit!
Martin steht auf.
MARTIN
Du wirst eben auch älter.
Falk drückt Martin spielerisch die Faust unter das Kinn.
FALK
(scherzhaft)
allemal...
Aber
dich
schlage
ich
noch
Martin packt Falk beim Handgelenk und drückt dessen Hand weg.
MARTIN
Wenn es dich glücklich macht, Falk, lasse ich
dich gern gewinnen.
Beide lächeln, aber die Spannung zwischen den Brüdern ist spürbar… Marlene steht
auf.
MARLENE
In zehn Minuten gib es Frühstück.
19. BILD / WEIßENSEE / HAUS KUPFER / ZIMMER ROMAN
I/T
Ein Jugendzimmer, mit vielen Sportfotos und Wimpeln geschmückt. Hier wohnt ein
sportbegeistertes Kind. Auf einem Regal stehen auch schon ein paar Pokale. Im Bett
schläft Roman, 13, rührend, ein eher weicher Junge, mit verwuschelten Haaren.
Falk, noch immer im Trainingsanzug, sieht kurz herein.
FALK
Roman, steh auf!
„Weißensee - Operation Juninacht“
20
Roman richtet sich verschlafen auf.
ROMAN
Papa...?
Falk sieht noch einmal herein.
FALK
Ja?
ROMAN
Wann kommt Mama wieder?
Falk kommt ganz herein und setzt sich an Romans Bett.
FALK
Ganz bald. - Mir fehlt sie auch.
Falk steht auf und geht hinaus, Roman sieht betrübt vor sich hin... dann schwingt er
sich aus dem Bett...
20. BILD / WEIßENSEE / HAUS KUPFER / ESSZIMMER
I/T
Das großzügige, freundlich eingerichtete Esszimmer der Familie Kupfer. An den
Wänden hängen geschmackvolle Bilder, die Möbel sind teilweise antik, aber nicht
protzig. Die großen Fenster gehen auf den schönen Garten hinaus. Alles hier strahlt
solide Gediegenheit aus.
Die Familie Kupfer frühstückt zusammen, das tägliche, wichtige Ritual – auch wenn
Marlene und Martin von der Nachtschicht kommen. Marlene schenkt Kaffee ein.
Roman nagt leicht unglücklich an einem Brötchen. Falk fixiert seinen gähnenden
Bruder Martin... der Platz am Kopfende des Tisches ist noch leer. Marlene schenkt
aber schon Kaffee in die Tasse.
FALK
(zu Martin) Und? War was los bei euch heute
Nacht?
In diesem Moment erscheint Hans im Esszimmer.
MARTIN
Rein gar nichts.
Hans fährt Martin im Vorbeigehen kurz über den Kopf: eine Mischung aus Schlagen
und Streicheln.
HANS
Du lügst ja.
MARTIN
(ertappt) Wieso sollte ich?
„Weißensee - Operation Juninacht“
21
Hans ignoriert die Frage, er setzt er sich und beginnt zu frühstücken. Dabei:
HANS
(zu Marlene) Wieso bist du heute morgen erst
nachhause gekommen? Du hattest doch keinen
Nachtdienst.
MARLENE
Frau Heidrich ist gestorben. Ich bin bis zum
Ende bei ihr geblieben...
Hans nickt leicht missbilligend: verstehe.
FALK
(kalt) Die alte Naziwitwe war längst überfällig.
MARLENE
Falk, hast du überhaupt kein Herz?
Martin steht auf.
MARTIN
Da wo andere ein Herz haben, hat er eine
geballte Faust.
Martin macht den kommunistischen Gruß.
FALK
Das nehme ich als Kompliment.
MARTIN
(im Hinausgehen) Gute Nacht, ich leg mich ab.
FALK
Roman, du musst
Schultasche!
auch
los.
Hol
deine
Roman kippt seinen Kakao herunter und verlässt das Zimmer.
HANS
(zu Marlene) Es tut mir leid, das mit Frau
Heiderich...
MARLENE
Ja, sie war…
HANS
(unterbricht, betont) Nur deinetwegen, Marlene.
„Weißensee - Operation Juninacht“
22
Hans nimmt sich eine Zeitung und sieht dabei zum ersten Mal Falk an.
HANS
Nimmst du mich heute mit ins Büro? Der Wolga
streikt.
Hans schlägt die Zeitung auf.
FALK
Kein Problem, Vater.
21. BILD / WEIßENSEE
/ HAUS KUPFER / ZIMMER MARTIN
I/MORGEN
Martin betritt seine Einliegerwohnung im Kellergeschoss. Er hat hier ein eigenes Bad,
eine kleine Küche. Es stehen noch ein paar Umzugskisten herum. Der Raum ist noch
nicht richtig eingerichtet. Augenscheinlich ist Martin vor kurzem erst eingezogen.
Martin stellt seine Tasche ab, öffnet sie und nimmt etwas heraus: es ist Julias
Kassette. Er betrachtet die Kassette: die Aufkleber sind abgelöst.
Martin legt die Kassette in ein Abspielgerät ein. Er legt sich angezogen auf sein Bett
und hört interessiert zu:
MÄNNLICHE STIMME
…My name ist Peter. My name is Peter. I am
from Munich… I am from Munich…
Offensichtlich handelt es sich bei der Kassette um einen Englischsprachkurs für
Anfänger. Martin schließt die Augen und lässt sich von der monotonen Stimme in
den Schlaf säuseln...
22. BILD / MINISTERIUM FÜR STAATSSICHERHEIT
A/T
Später am Morgen. Das Ministerium für Staatssicherheit in der Normannenstraße.
23. BILD / MFS / BÜRO KUPFER
I/T
In Hans Kupfers Büro – einem großen, holzvertäfelten Raum – findet an einem
runden Tisch die morgendliche Zusammenkunft der Führungsoffiziere der
verschiedenen Diensteinheiten der Hauptabteilung XX statt. Sieben Offiziere sind
anwesend, in zivil, darunter auch Falk. Hans Kupfers Sekretärin schreibt das
Protokoll.
Einer der Offiziere ist der Spitzel aus dem Café Nord, Leutnant Uwe Geifel.
Während dieser vorträgt, legt er die entsprechenden Unterlagen auf den Tisch.
LEUTNANT GEIFEL
(erste Akte und zwei Tonbandkassetten) Die
Umweltgruppe um Monika Happel, die hat sich
gestern Nachmittag wieder in der Stockholmer
„Weißensee - Operation Juninacht“
23
Straße getroffen. Wir haben einen 5-StundenMitschnitt. (zweite, hellblaue Akte) Von der
Polizeiwache Weißensee haben wir eine
Meldung wegen einem Verkehrsdelikt…
FALK
(scherzt) Kommen die Trottel nicht mal damit
mehr alleine klar?
Ein paar grinsen.
LEUTNANT GEIFEL
(humorlos)
Der
Wagen
gehört
einem
Amerikaner, Robert Schnyder. Er ist mit einer
unserer Bürgerinnen herumkutschiert. Verdacht
auf negativ-feindliche Aktivität... (nächste Akte)
Und IM Karbisch bittet darum, aus seiner Pflicht
entlassen zu werden. Seine Frau ist angeblich
krank, er muss sich kümmern...
Alle sehen Hans erwartungsvoll an.
HANS
Das mit Karbisch geht in Ordnung, das ist ein
braver Mann. – (er wendet sich an einen der
Offiziere) Der Mitschnitt wird von Ihrer Einheit
ausgewertet, Schwedt, und das geht dann
direkt weiter an den Genossen Minister. - Den
Amerikaner mit seinem Liebchen machst du,
Falk. Sonst noch was?
LEUTNANT GEIFEL
Der Hausmann-Liederabend, gestern im Café
Nord.
Hans lässt sich nichts anmerken, sondern spielt mit seinem Kugelschreiber.
HANS
Bitte.
Leutnant Geifel blickt auf seine umfangreichen Aufzeichnungen.
LEUTNANT GEIFEL
Also, bis zur Hälfte lief alles nach Programm.
Drei
Brechtlieder
und
vier
eigene
Kompositionen,
Liebeslieder,
nicht
zu
beanstanden. Aber dann... Moment, ich habe
es aus dem Gedächtnis notiert, könnte also im
Wortlaut nicht ganz korrekt sein... aber
inhaltlich ganz eindeutig... (liest ab) ‚Wollt ihr
„Weißensee - Operation Juninacht“
24
warten, bis sie euren schicken Frauen und
euch eins über den Schädel hauen? Und auch
den Marmorfiguren im Garten.
Allgemeines Kopfschütteln und Grinsen: Geifel trägt das Ganze theatralisch wie ein
Gedicht vor, was etwas lächerlich wirkt.
LEUTNANT GEIFEL
(unbeirrt) Warum wollt ihr euch nicht bessern?
Bald werden sie über die...nein...über eure
großen Treppen hochkommen und euch
abstechen und auf-...hängen... und zwar ...
Moment... am Fenster.
Alle müssen lachen über die unfreiwillige Komik.
HANS
Mann, Geifel, gut, dass Sie keine Lieder
schreiben.
LEUTNANT GEIFEL
‚Bald wird es zu spät sein...’ - Das ist… das
ist…
Die Offiziere sind sich nicht ganz schlüssig, sehen sich fragend an.
HANS
Kästner.
LEUTNANT GEIFEL
Bitte?
HANS
Erich Kästner. Und der ist untadelig. Das
Gedicht heißt: Ansprache an Millionäre.
Kästner übt darin Kritik am Kapitalismus.
LEUTNANT GEIFEL
Ja, aber die Hausmann hat es ‚Ansprache an
Funktionäre’ genannt.
FALK
Das ist ein feiner aber entscheidender
Unterschied. Damit steht die Drohung außer
Frage...
LEUTNANT GEIFEL
Und das Publikum hat es kapiert! Der Applaus
war hier dreimal so stark wie bei den anderen
„Weißensee - Operation Juninacht“
25
Liedern. Die Hausmann will damit im August
auf Tournee gehen.
FALK
Das können wir nicht zulassen.
LEUTNANT GEIFEL
Wir werden sie zu einem Gespräch einladen.
HANS
Sie machen gar nichts, Geifel. Dunja
Hausmann ist eine ausgezeichnete Künstlerin...
LEUNTANT GEIFEL
Sie ist ein schädliches Element...
Hans steht auf.
HANS
(weiter) Eine Künstlerin, die sensibel zu
behandeln ist. (zu einem der Offiziere) Das
übernehmen Sie, Graf. - Und Sie, Geifel: Sie
werden in Zukunft keine Konzerte mehr
besuchen..
LEUTNANT GEIFEL
Warum...
HANS
Ein Blinder hätte Sie als einen von uns erkannt.
Als ob Sie das zum ersten Mal machen.
Dann wendet sich Hans an einen weiteren Offizier.
HANS
Ich höre den Bericht der Diensteinheit 9.
Der Offizier nimmt seine Unterlagen hervor...
24. BILD / BERLIN / VOR KOSMETIKGESCHÄFT / STRAßE
I/A/T
Martin – in zivil – steht auf der gegenüberliegenden Seite des Kosmetikgeschäfts und
beobachtet Julia, die im Schaufenster eine Dekoration aufbaut.
Martin versucht, sich dabei unauffällig zu geben, was ihm nicht sonderlich gut gelingt.
Julia hat ihn daher längst entdeckt – was sie dagegen gut verbergen kann...
„Weißensee - Operation Juninacht“
26
Julia verschwindet schließlich aus dem Schaufenster. Martin kann sich nicht
entschließen, das Geschäft zu betreten. Er geht weiter und biegt in eine Straße
neben dem Geschäft ein.
Plötzlich steht Julia vor ihm – sie ist
Kosmetikgeschäfts in die Nebenstraße gelangt.
durch
den
Hinterausgang
des
JULIA
Sie sind eine echte Niete.
MARTIN
(frech) Sie kennen mich doch noch gar nicht
richtig.
JULIA
Im Beschatten, meine ich.
Martin lächelt, etwas aus dem Konzept gebracht.
MARTIN
Achso...ja, aber ich, ich beschatte Sie eigentlich
gar nicht, ich...
JULIA
Sie sehen jedenfalls ohne Uniform besser aus.
Martin kramt in seiner Tasche.
MARTIN
(weiter) Ich wollte Ihnen etwas bringen.
Martin holt die Kassette hervor und hält sie Julia hin.
JULIA
Verstoßen Sie
Vorschriften?
jetzt
grade
gegen
Ihre
MARTIN
(ausweichend) Die wollten Sie doch gern
wiederhaben.
JULIA
Danke.
Julia will die Kassette nehmen, Martin hält sie fest.
MARTIN
Wozu lernen Sie Englisch?
JULIA
In der Schule hatte ich nur Russisch.
„Weißensee - Operation Juninacht“
27
MARTIN
Und Sie denken, man weiß nie genug?
JULIA
(lächelt) Genau.
Julia mustert Martin von oben bis unten, er gefällt ihr, eine gute Mischung aus
ernsthaft und verspielt, selbstbewusst und zweifelnd. Martin nimmt seinen Mut
zusammen:
MARTIN
Ich würde gerne mal mit Ihnen ausgehen?
JULIA
Ich glaube, das hat keinen Sinn.
MARTIN
Das ist doch eine ziemlich gute Vorraussetzung
für einen netten Abend.
Julia lächelt ein wenig, dreht sich um und geht langsam wieder in Richtung Geschäft.
Martin sieht ihr nach, dann...
MARTIN
My name is Martin.
Julia dreht sich noch einmal um...
JULIA
(lächelt) Ich überleg’s mir.
Julia verschwindet im Laden. Martin sieht ihr noch einen Moment lang hinterher: er
weiß nicht wirklich, woran er mit Julia ist.
Aber er lächelt schließlich: ganz schlecht ist es auch nicht gelaufen...
25. BILD / HAUS KUPFER / ARBEITSZIMMER
I/T
Am Abend. Falk ist bei seinem Vater im Arbeitszimmer.
Durch eine offene Flügeltür sieht man im Hintergrund Marlene den Tisch decken.
Hans gießt sich und Falk ein Bier ein. Dann schließt er die Flügeltür. Dabei:
HANS
... Geifel hat sich selbst disqualifiziert.
FALK
Er ist nicht intelligent genug, um die Gruppe zu
führen.
„Weißensee - Operation Juninacht“
28
HANS
Nachdem
Hauptmann
Brecht
zur
Spionageabwehr gegangen ist, da dachte ich,
Geifel ist am längsten dabei, bei allen beliebt...
– Kommt nur noch Graf in Frage.
FALK
(fasst sich ein Herz) Was ist mit mir?
Hans sieht Falk an, als sehe er ihn zum ersten Mal. Sein Gesichtsausdruck verrät
nichts.
HANS
Ich soll dich bei Gaucke vorschlagen?
FALK
Warum nicht.
HANS
Was würde dich denn für den Abteilungsleiter
qualifizieren?
FALK
Heißes Herz, kalte Vernunft - und eine saubere
Hand...
MARLENE
(ruft von nebenan) Kommt Essen!
HANS
Gut, ich denke drüber nach...
Falk nimmt einen Schluck Bier, er lässt sich seine Freude nicht anmerken.
Hans geht hinüber ins Esszimmer, Falk folgt ihm...
HANS
Ach, Falk...
FALK
Ja?
HANS
Vergiss nicht, dir vor dem Essen die Hände zu
waschen.
Falk bleibt stehen: das saß!
„Weißensee - Operation Juninacht“
29
26. BILD / WEIßENSEE / HAUS KUPFER / ESSZIMMER
I/T
Die Familie Kupfer isst zu Abend, nur Martin fehlt – und Vera.
FALK
(zu Marlene) Vera kommt nach Hause.
Roman sieht seinen Vater erschrocken und freudig zugleich an.
ROMAN
Wann denn ?!
FALK
Ich habe vorhin mit Professor Rühmann
telefoniert. Das ist der Oberarzt in Rosenbrunn.
Er hat grünes Licht gegeben. Am 13. können
wir sie abholen.
MARLENE
Wie schön.
Sie lächelt Roman an.
MARLENE
Deine Mutter wird staunen, wie du schon
wieder gewachsen bist.
Da erscheint Martin.
MARTIN
Entschuldigt.
Martin setzt sich an den Tisch. Marlene tut ihm Essen auf. Martin beginnt, sein Essen
zu salzen und vergisst aufzuhören. Inzwischen:
MARLENE
(zu Falk) Das wurde jetzt aber auch Zeit. (zu
Martin) Vera wird entlassen.
FALK
Dann kriege ich sozusagen eine neue Frau.
ROMAN
Wieso ‚neu’?
FALK
Ich meine gesund, mein Sohn. Wieder ganz
gesund.
„Weißensee - Operation Juninacht“
30
Hans beobachtet inzwischen, wie Martin sein versalzenes Essen isst, ohne eine
Miene zu verziehen.
HANS
Wo warst du?
Martin weiß sofort, dass sein Vater ihn meint und sieht auf.
MARTIN
Das ist meine Privatsache.
HANS
(freundlich) Sind wir hier denn nicht privat, mein
Sohn?
Martin und Hans sehen sich provozierend an. Es ist offensichtlich, dass die beiden
hier einen kleinen Machtkampf führen. Alle andern essen weiter, aber angespannt...
MARTIN
Setz doch jemanden auf mich an, wenn du so
neugierig bist.
MARLENE
Du wirst unverschämt, Martin.
MARTIN
Du hast recht, Mama. (zu Hans) Entschuldige.
Hans isst weiter, plötzlich wieder ganz entspannt.
HANS
(ebenso) Ich muss mich entschuldigen. Aber du
weißt ja, wie neugierig ich bin. Schlimme
Angewohnheit, was?
27. BILD / WEIßENSEE / HAUS KUPFER / WOHNUNG MARTIN
I/T
Später am Abend.. Martin liegt in seiner Wohnung auf dem Bett und liest in einem
Märchenbuch.
MARTIN
... und als sie Ruß und Asche aus ihrem
Gesicht gewischt hatte, da war sie schöner als
man noch niemand auf Erden gesehen hat. Der
Prinz aber sprach: Du bist meine liebe Braut
und wir scheiden nimmermehr voneinander.
Erst jetzt sieht man, dass Martin telefoniert.
MARTIN
„Weißensee - Operation Juninacht“
31
(weiter) Darauf ward die Hochzeit gefeiert und
sie lebten vergnügt bis an ihren Tod. - Lisa?
Martin lauscht in den Hörer, dann:
MARTIN
Marion... schläft sie? – (sauer) Was ist daran
blöd. Lisa mag es und ich auch. – Ja, können
wir gerne machen, wir können solange reden
wie du willst. Aber du kannst mir das hier nicht
verbieten. Gute Nacht!
Martin legt ärgerlich den Hörer auf, dann blättert er das Märchenbuch auf die nächste
Seite und legt ein Lesezeichen hinein...
28. BILD / WEIßENSEE / HAUS KUPFER / SCHLAFZIMMER
I/N
In Hans’ und Marlenes Schlafzimmer. Auf Marlenes Nachttisch stehen viele
Familienfotos, ein großes von Lisa. Hans und Marlene machen sich zum Schlafen
fertig. Dabei:
HANS
Martin hat sich verliebt.
MARLENE
Wie kommst du denn darauf?
HANS
Endlich ist er über Marion weg. Hoffentlich hat
er diesmal mehr Glück.
MARLENE
Du warst am Anfang begeistert von Marion.
(zitiert Hans) Die Nichte von Stoph, stell dir mal
vor! Dann mischen wir auch im Politbüro richtig
mit.
HANS
Ich darf mich ja auch mal in einem Menschen
täuschen, oder nicht.
Hans öffnet den Schrank und hängt sein Jackett hinein. Da fällt sein Blick auf ein
großes Paket mit Marlenes Namen darauf.
HANS
Was ist das?
Marlene nimmt das Paket heraus und schlägt das Papier auseinander. Darin liegt
eine Nerzstola.
„Weißensee - Operation Juninacht“
32
MARLENE
Die Stola hat mir Frau Heiderich vermacht.
HANS
Das darfst du gar nicht annehmen. Als
Heimleiterin kommst du doch sofort in Verruf!
MARLENE
(ignoriert das) Dabei trage ich so was gar
nicht...
Marlene streicht angetan über den Pelz.
HANS
Gib es der Volkssolidarität. (fast angewidert)
Ich will das Ding nicht im Haus haben!
Marlene packt den Nerz zögernd weg.
MARLENE
Warum kannst du nicht verzeihen, Hans?
HANS
(scharf) Deine Familie haben sie nicht
umgebracht. Da kannst du edel daherreden.
MARLENE
Ja, du hast recht. Aber wir sollten es doch
besser machen. Auf Rache kann man nicht
bauen …
Hans geht ins Bett und schaltet das Licht aus.
HANS
Ich will mich heute nicht streiten. Gute Nacht,
Marlene.
MARLENE
Gute Nacht.
Marlene legt sich dazu.
Hans schließt die Augen...
29. BILD / WOHNUNG HAUSMANN / MUSIKZIMMER
I/N
Dunja sitzt mitten in ihrem Musikzimmer kerzengrade auf einem Stuhl und hört mit
geschlossenen Augen ein französisches Chanson. Sie ist ganz versunken in die
Töne und die Stimme. Es klopft. Julia kommt herein, sie wirkt ratlos...
JULIA
„Weißensee - Operation Juninacht“
33
Mama? Ich würde gern mal mit dir reden...
Dunja bemerkt sie.
DUNJA
Später, Julekind. – Kannst du glauben, dass ein
Mensch so singen kann? Eigentlich dürfte ich
nie wieder den Mund aufmachen...
Julia lächelt über die Leidenschaft ihrer Mutter, auch etwas traurig: wie oft musste sie
deswegen warten. Julia geht wieder hinaus...
30. BILD / MINISTERIUM FÜR STAATSSICHERHEIT
A/T
Der nächste Tag. Das Ministerium für Staatssicherheit in der Normannenstraße.
31. BILD / MFS / BÜRO HANS
I/T
Falk wird von Hans’ Sekretärin hereingeführt. Hans sitzt am Tisch über Unterlagen,
er sieht auf.
HANS
Worum geht es?
Falk legt Hans die hellblaue Akte auf den Tisch.
FALK
Um diesen Ami und seine Freundin. Robert
Schnyder kommt seit drei Monaten regelmäßig
rüber. Ich fürchte, das ist echte Liebe...
HANS
Gibt es einen Anfangsverdacht? Geplante
Republikflucht?
FALK
Vielleicht.
HANS
(ungeduldig) Haben wir einen
Vorgang in der Sache laufen?
Operativen
FALK
Nein.
HANS
Ja, dann. Worauf wartest du?
Hans sieht Falk an, der zögert,
„Weißensee - Operation Juninacht“
34
FALK
Roberts hübsche
Hausmann.
Freundin
heißt
Julia
Hans verzieht keine Miene – was auffällig ist.
FALK
Sie ist die Tochter von Dunja Hausmann.
HANS
Weiter.
FALK
Du hast dich ja in der Vergangenheit immer
gegen eine Komplexerfassung von der
Hausmann ausgesprochen. Die würde jetzt
natürlich zwangsläufig passieren...
Hans steht auf, geht ans Fenster...schweigt. Falk beobachtet ihn... es scheint so, als
habe er einen bestimmten Verdacht...
HANS
(schließlich) Geht auf diesen Schnyder. Und die
Hausmann nur beobachten. Vorerst.
Falk deutet einen militärischen Gruß an.
FALK
Jawohl, Genosse Kupfer!
32. BILD / WOHNUNG HAUSMANN / BADEZIMMER
I/T
Julia steht im Badezimmer im Bademantel vor dem Spiegel und fönt sich die Haare.
Die Tür zum Flur steht offen. Dunja sieht herein.
DUNJA
Ich bin eingeladen!
Dunja zeigt einen Brief hoch. Sie setzt sich auf einen Hocker.
DUNJA
Zu einem gemütlichen Beisammensein im
Kulturministerium
beim
Stellvertretenden.
Meine Tournee im August betreffend: ‚das
Programm müsste neu geplant und überprüft
werden.
JULIA
„Weißensee - Operation Juninacht“
35
(ironisch) Das ist ja jetzt die ganz große
Überraschung.
DUNJA
(weiter) ‚Das an ein Gedicht Erich Kästners
angelehnte Lied kann nicht zum Vortrag
gebracht werden.’ Komisch, oder.
JULIA
Was wundert dich daran?
DUNJA
Dass die gemerkt haben, dass es von Kästner
ist.
JULIA
Vielleicht gibt’s bei der Stasi auch ein paar
gebildete Leute.
DUNJA
(nachdenklich) Vielleicht...
Da klingelt es an der Tür. Julia sieht leicht panisch auf die Uhr.
JULIA
Er kommt zu früh!
DUNJA
(im Hinausgehen)
Männerproblem.
Das
ist
ein
typisches
33. BILD / WOHNUNG HAUSMANN / FLUR
I/T
Dunja öffnet die Wohnungstür. Davor steht Robert.
DUNJA
(betont amerikanisch) Hello, Mr. Schnyder.
How do you do?
ROBERT
How do you do.
Julia kommt überrascht heran.
JULIA
Robert...?
ROBERT
Fahren wir ein bisschen spazieren?
„Weißensee - Operation Juninacht“
36
JULIA
(leicht verlegen) Das passt jetzt nicht...
Dunja zieht sich diskret zurück. Robert ist brüskiert, er sieht Julia prüfend an...
JULIA
Tut mir leid...
ROBERT
Was hast du denn vor?!
JULIA
Ich bin mit Moni verabredet. Kino und so.
Julia gibt Robert einen etwas gespielten Kuss...
34. BILD / VOR WOHNUNG HAUSMANN
A/T
Vor dem Haus steht ein Lada. Darin sitzen Falk und ein Mitarbeiter. Sie beobachten
das Haus.
FALK
Jetzt kommt er wieder raus... alleine...
Tatsächlich kommt Robert aus dem Hauseingang.
Robert schließt seinen Sportwagen auf und setzt sich hinter das Steuer.
MITARBEITER
Folgen?
FALK
Ja...
Der Mitarbeiter schaltet den Motor ein. Doch da entdeckt Falk eine Person, die auf
einem Fahrrad angefahren kommt.
FALK
Motor aus!
Der Mitarbeiter wundert sich, macht aber den Motor wieder aus.
Falk starrt die Person an, die jetzt vor Julias Haus ihr Fahrrad abstellt: es ist sein
Bruder Martin, der einen Blumenstrauß vom Gepäckträger nimmt...
FALK
Machen Sie ein Foto, Mensch!
„Weißensee - Operation Juninacht“
37
Der Mitarbeiter fotografiert, wie Martin suchend auf die Klingelschilder sieht und
schließlich das Haus betritt.
Inzwischen fährt Robert mit seinem Sportwagen ab.
MITARBEITER
Der ist jetzt weg...
Falk antwortet nicht sondern fixiert die Haustür...
35. BILD / WOHNUNG HAUSMANN / FLUR
I/T
Dunja sucht in ihrem Bücherregal nach einem bestimmten Buch. Schließlich findet
sie es: ein abgegriffener Band Kästner-Gedichte. Dunja schlägt die erste Seite auf,
ein Name ist eingetragen: Hans Kupfer... Dunja blättert weiter auf das Gedicht:
Ansprache an Millionäre...
Da klingelt es an der Tür...
JULIA
(off) Mach mal auf...
Dunja wird aus ihrer Erinnerung gerissen, stellt das Buch ins Regal, fängt sich und
öffnet die Wohnungstür. Dann sieht sie sich Martin gegenüber.
MARTIN
Guten Abend, ich wollte zu Julia... wir sind
verabredet...
DUNJA
Ist ja wieder wie im Täuberichschlag heute. Julchen! Hier ist noch ein männlicher Mensch!
– Kommen Sie rein.
Martin tritt herein, er sieht Dunja an...
MARTIN
Ich kenne Sie? – Sie sind Dunja Hausmann!
Sie sind Julias Mutter?
DUNJA
Ist das für Sie ein Problem?
Martin ist tatsächlich etwas schockiert. Dann fängt er sich.
MARTIN
Für mich nicht.
Da erscheint Julia, sie hat sich noch einmal umgezogen, lächelt...
„Weißensee - Operation Juninacht“
38
JULIA
Pünktlich.
MARTIN
Ich bin Polizist.
JULIA
Schöne Blumen.
Martin will sie Julia geben, reicht sie dann aber Dunja.
DUNJA
Ich bin hingerissen. Junger Mann, ich dachte,
solche Exemplare wie Sie sind längst
ausgestorben... Den musst du festhalten, Julie!
Der reißt dir die Autotür auf, trägt dich über
Pfützen und leiht dir seine Jacke, wenn du
frierst...
JULIA
Mama... ich bin jetzt weg. Warte nicht auf
mich...
DUNJA
Habe ich doch noch nie gemacht...
Julia und Martin verlassen die Wohnung. Dunja schnuppert an den Blumen, geht
dann in ihr Musikzimmer. Dabei:
DUNJA
Armer Mr. Schnyder.
36. BILD / VOR WOHNUNG HAUSMANN / LADA
I/A/T
Falk und sein Mitarbeiter beobachten weiterhin den Hauseingang.
Jetzt kommen Julia und Martin aus dem Haus. Sie bleiben bei Martins Fahrrad
stehen und beratschlagen offensichtlich darüber, ob sie damit fahren sollen.
Schließlich nimmt Martin Julia auf die Stange, sie fahren unter Schwierigkeiten aber
lachend ab.
Falk kann es kaum glauben, was er sieht. Sein Mitarbeiter macht Fotos.
FALK
Folgen!
Der Mitarbeiter startet den Wagen...
37. BILD / AM WEIßENSEE
A/T
Martin und Julia gehen am Weißensee zusammen spazieren. Dabei:
„Weißensee - Operation Juninacht“
39
JULIA
...er ist Bauingenieur und hat in Westberlin
irgendsoein Hotel mitgebaut. Er hat mich in der
Disko am Alex angesprochen. Robert ist lieb...
er kann in Florida in ein Planungsbüro mit
einsteigen...– Und Sie? Warum haben Sie sich
scheiden lassen?
MARTIN
Meine Exfrau wollte, dass
Volkspolizei ‚Karriere’ mache.
ich
bei
der
JULIA
Warum haben Sie nicht?
MARTIN
Weil das mit Bedingungen verbunden ist. Und
die gefallen mir nicht...
JULIA
Dafür haben Sie Ihre Ehe riskiert?
MARTIN
Meine Frau war jedenfalls sehr enttäuscht von
mir.
JULIA
Meine Mutter ist auch von mir enttäuscht. Sie
wollte immer, dass ich was Künstlerisches
mache. Aber ich bin keine Künstlerin.
MARTIN
Was sind Sie denn?
Julia bleibt stehen und sieht Martin an.
JULIA
Ich bin ganz normal. Nichts besonderes.
MARTIN
Sie sind was Besonderes.
JULIA
Warum?
Martin sieht Julia an, ihm fehlen die Worte...
JULIA
Haben Sie ein Foto da? Von ihrer Tochter?
„Weißensee - Operation Juninacht“
40
Martin kramt eine Foto heraus und hält es Julia hin. Sie nimmt es in die Hand, aber
Martin lässt es nicht los. Die beiden stehen sehr nah zusammen und sehen auf das
Bild...
JULIA
Was für ein freches Mädchen!
MARTIN
Sie hat mich völlig in der Hand.
38. BILD / MFS / BÜRO HANS KUPFER
I/T
Der nächste Tag.
In Hans’ Büro. Falk legt Hans eine Reihe von Schwarz-Weiß-Fotos auf den
Schreibtisch:
- Martin und Julia stehen zusammen und sehen Lisas Bild an, Martin und Julia essen
Eis in einer Eisdiele, Martin und Julia sitzen am Ufer des Weißensees, Martin und
Julia sitzen auch im Dunklen noch am Ufer. Julia hat jetzt Martins Jacke um die
Schultern gehängt. Martin und Julia kommen nachts vor Julias Wohnung an.
FALK
Da standen sie dann noch zwei Stunden vor
dem Haus...
Auf dem letzten Bild küssen sich Martin und Julia leicht auf die Wangen...
Hans ist schockiert.
FALK
Ich dachte, ich präsentiere diese Ergebnisse
nicht gleich in der großen Runde. – (ehrlich
ratlos) Was sollen wir jetzt machen, Vater?
Hans sieht Falk nicht an.
HANS
Lass mir die Bilder hier. Danke.
Falk geht hinaus.
Hans’ sitzt an seinem Schreibtisch, sein Blick fällt auf einen Spruch an der Wand, ein
Zitat des russischen Tschekisten Dzierzynski:
Sieht man Kinder, so denkt man unwillkürlich: Alles für sie. Ihnen gebühren die
Früchte der Revolution, nicht uns.
Hans nimmt wieder die Bilder vor... blättert sie kopfschüttelnd durch... dann spricht er
in seine Gegensprechanlage.
HANS
„Weißensee - Operation Juninacht“
41
Frau Neuß, ich brauche einen Termin bei
General Gaucke...
39. BILD / WEIßENSEE / HAUS KUPFER - SCHLAFZIMMER
I/T
Im Schlafzimmer der Kupfers. Marlene holt die eingepackte Nerzstola aus dem
Schrank. Sie will sie in eine große Tüte schieben... doch dann zögert sie. Sie macht
das Papier auf und streicht über das weiche Fell...
Dann öffnet sie kurzentschlossen einen weiteren Schrank. Dort räumt sie ein paar
Decken aus. Sie schiebt die Stola hinein und packt die Decken davor. Sie schließt
die Schranktür...
40. BILD / MFS / BÜRO STELLVERTRETER MIELKE
I/T
Hans sitzt im Büro seines Chefs, General Günther Gaucke, Gaucke ist dicklich,
humorlos und mindestens 70. Eine Sekretärin schenkt Kaffee ein und zieht sich dann
zurück...
GAUCKE
Na, Hans, wie geht’s der Frau, der Familie?
Alles im roten Bereich?
Gaucke lacht über seinen Witz.
GAUCKE
Du musst nur aufpassen, dass dein Sohn Falk
dich nicht links überholt... das ist ja ein scharfer
Hund, was man so hört...
HANS
Es geht um meinen zweiten Sohn, Martin.
GAUCKE
Hat er endlich Vernunft angenommen? Wenn
der nicht so gefühlig wäre, das hat er von dir, er
könnte heute schon die ganze VP Lichtenberg
leiten... aber der ist ja nicht mal in der Partei!
HANS
Er hat sich in die Tochter von Dunja Hausmann
verliebt.
GAUCKE
Na, sauber!
Hans reicht Gaucke die Fotos, die der zügig durchblättert. Danei:
GAUCKE
„Weißensee - Operation Juninacht“
42
Die Hausmann, die ist ganz faul. Der hätte ich
ja
schon
vor
Jahren
dauerhaft
die
Spielerlaubnis entzogen. Wenn du dich
erinnerst.
Hans schweigt zustimmend.
GAUCKE
Aber du warst dagegen.
HANS
Julia Hausmann hat außerdem aktiven
Westkontakt. Es besteht der Verdacht eines
unerlaubten Grenzübertritts.
Gaucke sieht auf.
GAUCKE
Dein Sohn turtelt
Republikflüchtling!?
mit
einem
potentiellen
HANS
Ich werde die Sache unbürokratisch und zügig
auf der privaten Ebene regeln.
Gaucke legt die Fotos auf den Tisch, steht auf, er tritt ans Fenster, sieht hinaus.
GAUCKE
(ernst) Hans, wenn du das nicht in den Griff
kriegst: du kennst die Konsequenzen. Du und
deine Söhne, ihr wärt nicht mehr tragbar.
Hans steht auf, er nimmt die Fotos an sich.
HANS
Das ist mir bewusst.
Gaucke dreht sich zu Hans um.
GAUCKE
(weiter) Ihr könnt für den Rest eures Lebens
Kohlen schippen gehen.
HANS
Du kannst mir vertrauen.
Gaucke sieht Hans plötzlich misstrauisch an.
GAUCKE
„Weißensee - Operation Juninacht“
43
Da ist doch noch was?
HANS
Nein...
Gaucke tritt an Hans heran und sieht ihm ins Gesicht.
GAUCKE
Was verheimlichst du mir?
HANS
(lügt) Ich habe alles gesagt.
Hans geht hinaus. Gaucke sieht ihm nach: er glaubt ihm nicht...
41. BILD / VOR KOSMETIKGESCHÄFT - STREIFENWAGEN
A/T
Martin, am Steuer, und Görlitz fahren Streife. Sie kommen am Kosmetikgeschäft
vorbei... Martin parkt.
GÖRLITZ
… Gitta sagt, wir sollen Zuchini anbauen, ich
sage: und wo willste das Saatgut herkriegen.
Gitta sagt... (unterbricht sich) - Was is?
MARTIN
Bin gleich wieder da...
Görlitz erkennt Julia durch die Scheibe.
GÖRLITZ
Ist das nicht diese Ami-Braut? Du, mach keinen
Fehler!
Martin steigt aus dem Wagen, ohne zu antworten. Görlitz sieht ihm skeptisch nach…
42. BILD / KOSMETIKGESCHÄFT
I/T
Julia steht auf einer kleinen Trittleiter und räumt Schachteln in ein Regal. Martin tritt
von hinten an sie heran.
MARTIN
Fräulein Hausmann, folgen Sie mir bitte zur
Klärung eines Sachverhalts.
Julia schreckt herum.
JULIA
„Weißensee - Operation Juninacht“
44
(dann erleichtert) Martin... sehr witzig...
MARTIN
Gehst du heute abend mit mir aus?
JULIA
Nein...nein, Martin. Ich kann nicht. Es war ein
netter Abend. – Aber ich habe einen Freund,
Martin!
MARTIN
Ja, stimmt. Nur du liebst ihn nicht.
Julia sieht Martin empört an. Sie ist sprachlos.
Da dreht er sich um und geht hinaus.
Julia packt weiter wütend die Päckchen in den Schrank: was für eine
Unverschämtheit!
43. BILD / WOHNUNG HAUSMANN / DUNJAS BOUDOIR
I/T
Später am Abend. Dunja sitzt am Flügel und arbeitet an einem Lied...
DUNJA
(singt leise) Lange noch... bis der Morgen
graut... und wir glauben schon jetzt nicht
mehr... schon im Dunkel nicht mehr... wie wird
es erst im Licht sein...
Dunja feilt an den Harmonien, probiert aus... Julia steht in der Tür und hört zu. Da:
JULIA
Warum gehst du eigentlich nicht nach drüben?
Julia kommt ins Zimmer.
JULIA
(weiter) Ich meine, sie würden dich ja nicht dran
hindern. Im Gegenteil…
Dunja spielt weiter. Dabei:
DUNJA
Ich will nirgendwo anders leben. Wo kann es
lebendiger sein? Ich mag das ehrliche Licht, die
Leute, selbstbewusst und so weich zugleich,
diese raue und liebe Stadt...
JULIA
„Weißensee - Operation Juninacht“
45
Hast du nicht auch manchmal das Gefühl, als
ob du erstickst.
DUNJA
Nein, vorher fange ich an zu singen.
JULIA
Ich kann nicht singen.
Dunja dreht sich auf ihrem Klavierhocker zu Julia. Da kniet sich Julia plötzlich vor
Dunja auf den Boden und umarmt sie wie ein Kind. Dunja streicht ihr, leicht
überfordert von Julias Heftigkeit, über den Kopf.
DUNJA
Ist es wegen deiner beiden Männer.
JULIA
Was würdest du machen, wenn...
DUNJA
Wenn was?
JULIA
Nichts.
Dann macht Julia sich wieder los.
JULIA
Ich muss los.
DUNJA
Sofortkuss!
Julia küsst ihre Mutter auf den Mund. Dunja hält sie fest.
DUNJA
Sag mir, was du hast!
Aber Julia schüttelt den Kopf. Sie muss schlucken, ist kurz vor dem Weinen...
JULIA
Ich gehe mit Robert tanzen.
Dunja sieht sie irritiert an, dann geht Julia hinaus...
44. BILD / VOR WOHNUNG HAUSMANN
A/T
Julia verlässt das Haus. Auf der gegenüberliegenden Seite steht ein Trabbi. Darin
sitzt Hans Kupfer und beobachtet das Haus...
„Weißensee - Operation Juninacht“
46
Er sieht Julia lange nach... dann geht er auf den Hauseingang zu…
45. BILD / WOHNUNG HAUSMANN / DUNJAS BOUDOIR
I/T
Dunja sitzt am Flügel und arbeitet weiter an dem Lied...
DUNJA
(singt leise) Lange noch... bis der Morgen
graut...
Doch dann bricht sie ab und sieht gedankenverloren vor sich hin…
... da klingelt es: einmal kurz, zweimal lang.... Dunja erstarrt... wartet ab. Es klingelt
noch mal auf dieselbe Weise. Dunja steht auf: verblüfft und erregt. Offensichtlich ist
das Klingeln ein verabredetes Zeichen...
46. BILD / WOHNUNG HAUSMANN / FLUR
I/T
Dunja geht langsam zur Tür, zögernd... sie weiß, wer davor steht... Sie legt die Hand
auf die Klinke... weiß nicht, was sie tun soll.
HANS
(off) Dunja?
Da öffnet Dunja mit Schwung die Tür. Hans steht davor, sehr ernst und blass.
DUNJA
Ich habe unser Zeichen auch nicht vergessen.
Beide sind befangen...
HANS
Ich muss mit dir sprechen.
DUNJA
Das ist ja wohl frech: fast 30 Jahre zu spät,
mein Lieber. - Na, gut, komm rein.
Hans betritt langsam den Flur, er sieht sich um...
HANS
Hier hat sich nicht viel verändert.
DUNJA
Du schon, du bist alt und grau geworden. Aber
du kleidest dich besser. - Du kennst ja den
Weg...
„Weißensee - Operation Juninacht“
47
47. BILD / WOHNUNG HAUSMANN / DUNJAS BOUDOIR
I/T
Die beiden treten in Dunjas Zimmer.
DUNJA
Bitte, setz dich, aber nicht auf meine Noten. Tee? Duvallier habe ich leider nicht im Haus.
HANS
Gerne Tee
Dunja schenkt Hans eine Tasse ein.
Hans bleibt stehen, sieht sich um, er muss erst mal durchatmen. Sein Blick fällt auf
das große Sofa...
DUNJA
Du marschierst inzwischen ganz oben mit,
stimmt’s. Ich sehe es dir an. Du siehst aus wie
ein unsichtbarer Mensch. - Hast du deine
Entscheidung für die Firma je bereut?
HANS
Oft.
Hans setzt sich auf das Sofa. Dunja ebenfalls in einen Sessel gegenüber. Dunjas
Herz schlägt schneller, sie versucht, es sich nicht anmerken zu lassen.
DUNJA
(forsch) Was bist du jetzt? Schon Major? Vom
kleinen Volkspolizisten bis zum Stasimajor, du
musst einige Leichen auf deinem Weg
gelassen haben...
HANS
Keine Toten, aber viele Verletzte.
DUNJA
Wenigstens bist du ehrlich.
HANS
Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht zweifle.
DUNJA
Damit hältst du dein Gewissen in Schach. Kommst du wegen der Tournee? Dass ihr euch
schon wegen so einem Liedchen in die Hosen
macht, das ist entlarvend...
HANS
„Weißensee - Operation Juninacht“
48
Du musst zugeben, dass nicht alle deine Texte
unserer Idee vom Sozialismus entsprechen. Du
singst nicht für uns sondern gegen uns.
DUNJA
Du siehst aber schon, was in diesem Land nicht
läuft, oder?
HANS
Ich bin nicht hier, um das mit dir zu
besprechen.
DUNJA
Schade, ich hätte dir einiges zu erzählen.
HANS
Ist Julia meine Tochter?
Dunja steht auf und geht auf und ab. Aufgebracht und zunehmend wütend...
48. BILD / OST-BERLIN / PARKPLATZ
A/T
Zur gleichen Zeit auf einem menschenleeren Parkplatz am Stadtrand. Robert öffnet
den Kofferraum des Sportwagens. Julia sieht ihm dabei zu. Er zeigt ihr den
Hohlraum, der jetzt etwas tiefer ist.
ROBERT
Du hast jetzt 10 Zentimeter mehr Platz.
Außerdem habe ich eine Öffnung gemacht. Der
Sauerstoff dürfte also auch kein Problem mehr
sein.
Julia dreht sich um und sieht über die Stadt...
ROBERT
Hast du mit deiner Mutter gesprochen?
JULIA
Sie würde mich sowieso nicht verstehen. Sie
liebt ihre komische Heimat hier über alles.
Außerdem würde sie denken, ich gehe nur
wegen der Geschäfte, weil drüben alles golden
ist. (macht ihre Mutter nach) „Sie lässt sich vom
Glitzer locken wie ’ne Elster...“
ROBERT
(grinst) Da hat sie ja auch recht.
„Weißensee - Operation Juninacht“
49
Julia sieht Robert wütend an.
JULIA
(leidenschaftlich) Ich gehe, weil sie mich nicht
atmen lässt. Neben ihr kann ich nichts wollen
und nichts werden, weil sie alles besser weiß,
alles besser kann...alles... hier bleibe ich immer
klein. Ein Mädchen... die Tochter von...
Julia beginnt zu weinen. Robert zieht Julia an sich...
Oben an einer Böschung hält ein Auto. Darin sitzt Falk mit seinem Mitarbeiter. Sie
beobachten Julia und Robert...
49. BILD / PRENZLAUER BERG / WOHNUNG HAUSMANN
I/T
Inzwischen in Dunjas Wohnung. Dunja geht noch immer auf und ab.
DUNJA
Weißt du, Hans, die Frage kommt ein paar
Jahre zu spät. Du hast dich damals nicht mehr
gemeldet, von einem Tag auf den anderen...
HANS
Ich habe mich für meine Familie entschieden.
DUNJA
Für deine Karriere, du Lügner. Mit mir an deiner
Seite wäre die gelaufen gewesen.
HANS
Ich frage noch einmal. Ist Julia meine Tochter?
Dunja setzt sich wieder zu Hans.
DUNJA
Ich bin dir keine Antwort schuldig.
Die beiden sehen sich an, Hans versucht in Dunjas Gesicht zu lesen: vergeblich.
HANS
Es ist etwas passiert. Mein Sohn hat sich in
deine Tochter verliebt.
DUNJA
(erschrocken) Martin? Das ist dein Sohn?!
Hans nickt.
„Weißensee - Operation Juninacht“
50
HANS
Mein schwarzes Schaf.
Dunja bleibt äußerlich gelassen.
DUNJA
Gut. Ich werde mich darum kümmern.
HANS
Du solltest ohnehin besser auf deine Tochter
aufpassen.
DUNJA
Was willst du damit sagen? Du hast ja deinen
Sohn offensichtlich auch nicht im Griff...
HANS
Kann ich mich auf dich verlassen?
DUNJA
Hab ich dich schon mal enttäuscht; Kupferrot?
Die beiden stehen sich nah gegenüber.
HANS
Duschka...
Der alte Kosename. Jetzt bekommt Dunja zu ihrem Ärger doch Tränen in die Augen.
DUNJA
Ich bringe dich raus.
Zeitsprung: Dunja schließt die Tür hinter Hans, dann bleibt sie stehen... aufgewühlt...
Sie tritt ans Fenster und sieht Hans unten, wie er die Straße überquert. Er bleibt an
seinem Wagen stehen und sieht noch einmal hoch...
50. BILD / PRENZLAUER BERG / WOHNUNG HAUSMANN - KÜCHE
I/T
Der nächste Morgen. Julia, fertig angezogen, und Dunja, im Morgenmantel,
frühstücken. Julia blättert in einer Zeitung, ist aber mit ihren Gedanken ganz
woanders. Dunja schenkt Julia Kaffee ein, dabei wie beiläufig.
DUNJA
Julia.
Julia sieht erschrocken auf: ihre Mutter nennt sie fast nie Julia. Dunja setzt sich.
DUNJA
„Weißensee - Operation Juninacht“
51
Ich habe dir doch nie irgendwelche Vorschriften
gemacht, ich habe mich niemals in dein Leben
eingemischt...
JULIA
(bedeutungsvoll) Nein.
DUNJA
Jetzt muss ich: lass die Finger von Martin
Kupfer.
JULIA
Wieso jetzt plötzlich? Der hat dir doch gefallen.
DUNJA
Die Familie Kupfer, die beziehen ihr Gehalt alle
von der Stasi.
Julia sieht Dunja erschrocken an.
JULIA
Woher weißt du das?
DUNJA
Du darfst ihn nicht wiedersehen.
JULIA
Das glaube ich nicht!
DUNJA
(weiter) Diese Familie wird dich unglücklich
machen...
Julia steht auf, fängt sich, dann:
JULIA
Keine Angst, Mama, der Typ interessiert mich
sowieso nicht. Ich werde ihn nicht wiedersehen.
Dunja hält Julia fest.
DUNJA
Julinka...
JULIA
Ich muss los, wir haben heute Inventur...
Julia geht hinaus. Dunja bleibt irritiert zurück…
51. BILD / MFS / KONFERENZRAUM
„Weißensee - Operation Juninacht“
I/T
52
Im MfS. Falk bespricht mit den vier Offizieren seiner Einheit, darunter Leutnant
Geifel, das weitere Vorgehen im Fall Schnyder und Hausmann.
FALK
... unser Agent in Westberlin hat in Schnyders
Apartment zwei Flugtickets nach Miami
gefunden, eins ausgestellt auf den Namen Julia
Hausmann. Der Flugtermin ist Donnerstag. Wir
können also davon ausgehen, dass Schnyder
in den nächsten 24 Stunden sein Flittchen über
die Grenze schmuggeln wird.
LEUNANT GEIFEL
Das reicht doch für eine Zuführung. Und für
eine Verurteilung.
FALK
Nein, das ist nicht genug.
LEUTNANT GEIFEL
Wir verhängen ein Einreiseverbot für Schnyder.
FALK
Und dann haben wir gar nichts? Nein. Wir
müssen sie inflagranti erwischen.
52. BILD / OST-BERLIN / WEIßENSEE
A/T
Der Park am Weißensee. Es ist Mittwoch. Martin spielt mit seiner Tochter Lisa. Sie
schaukeln um die Wette.
Da entdeckt Martin Julia, die herankommt und zaghaft die Hand hebt:
JULIA
Guten Tag. Tag, Lisa.
LISA
Guten Tag.
MARTIN
Lisa, ich komm gleich wieder...
Martin springt von der Schaukel ab und geht auf Julia zu. Er lächelt erfreut, aber Julia
bleibt ernst.
Lisa beobachtet die beiden misstrauisch, klettert dann auf ein Klettergerüst, lässt sie
aber immer noch nicht aus den Augen.
MARTIN
„Weißensee - Operation Juninacht“
53
Wie hast du mich denn hier gefunden?
JULIA
Dein Kollege wusste Bescheid. - Ich wollte dir
sagen... ich will dich nicht mehr wiedersehen.
Ich mag dich, aber mehr nicht...
Martin sieht Julia an. Er sieht in ihren Augen, dass sie lügt...
MARTIN
Dafür bist du extra hergekommen?
JULIA
Trotzdem, schön, dass wir uns kennengelernt
haben... alles Gute für dich.
Julia reicht Martin die Hand, sie schütteln sie, hören auf zu schütteln, beide lassen
sich nicht mehr los...
Lisa sitzt auf einem Gerüst und sieht zu... sie lächelt.
MARTIN
Du hast mich gefragt, warum du was
besonderes bist. Ich weiß es jetzt. Du bist...
JULIA
(unterbricht) Nicht sagen... bitte.
Martin schweigt, aber sein Blick sagt viel: ich habe mich verliebt...
JULIA
(ernst, bestimmt und traurig) Jetzt muss ich
gehen.
Martin hat eine plötzliche Ahnung.
MARTIN
Willst du rüber?
JULIA
Tschüß... Martin.
Julia hat Tränen in den Augen...sie will sich von Martin losmachen...aber er hält sie
zart fest.
MARTIN
Bleib hier.
Doch Julia macht sich los... und läuft davon. Martin ruft ihr nach.
„Weißensee - Operation Juninacht“
54
MARTIN
Julia!
Da kommt Lisa heran.
LISA
(inbrünstig) Papa, ich finde diese Dame richtig
doof… Papa!
Aber Martin antwortet nicht...
53. BILD / GRENZÜBERGANG
I/A/T
Am Grenzübergang. Ein Lada fährt vor und parkt. Leutnant Geifel und ein weiterer
Mitarbeiter steigen aus. Sie betreten die Baracke und begrüßen dort den
Grenzbeamten militärisch.
54. BILD / HAUS KUPFER / ARBEITSZIMMER
I/T
Zur gleichen Zeit. Hans sitzt an seinem Schreibtisch und hat ein paar alte Fotos
hervorgekramt: ein junges Paar vor einem Kiefernwald - Hans und Dunja, verliebt...
dann nimmt er einen Schein hervor: den Geburtsschein von Julia Hausmann. Unter
Vater steht: unbekannt.
Da kommt Falk herein. Hans dreht schnell die Fotos und den Geburtsschein um...
FALK
Das Problem Julia Hausmann ist gelöst.
HANS
Ist das jetzt eine ordentliche Meldung?
FALK
Ja. Julia Hausmann wird beim verbotenen
Grenzübertritt festgenommen werden. Das
heißt, Haft und gegebenenfalls später Freikauf
in die BRD. Die Frau sind wir los.
HANS
Sprich Klartext!
FALK
Die beiden gehen gerade in die Falle... wir
haben alle Eckdaten konspirativ ermittelt... wir
werden sie eindeutig überführen können...
Hans sieht Falk an... es herrscht einen Moment lang Schweigen... dann haut Hans
mit einem Riesenknall die Faust auf den Tisch.
„Weißensee - Operation Juninacht“
55
HANS
Wieso wurde ich davon nicht informiert?!
FALK
Aber ich...
HANS
(weiter) Hast du völlig den Verstand verloren?!
FALK
Wir hätten nicht genug gegen die junge
Hausmann in der Hand gehabt...
HANS
Was, wenn sie sich an der Grenze
widersetzen?! Wenn Schnyder Gas gibt?!
FALK
(weiter) Das wird nicht passieren, wir...
Hans steht auf.
HANS
(weiter)
Dann muss geschossen werden!
Damit riskierst du zwei Menschenleben!
Verhindern von Verbrechen! Prävention von
Republikflucht! Sagt dir das was? Wir sind hier
doch nicht im Wilden Westen! Mann, Mann,
Falk, den Abteilungsleiter kannst du vergessen!
Falk beißt die Zähne zusammen, vor Enttäuschung und Wut über den missglückten
Versuch, seinen Vater zu beeindrucken...
Hans rauscht aus dem Zimmer...
Falk tritt ans Fenster. Er beobachtet Hans, der vor dem Haus ins Auto steigt und
abfährt...
55. BILD / WOHNUNG HAUSMANN / ZIMMER JULIA
I/T
In Julias Zimmer. Julia packt leise und schnell ein paar Sachen in eine kleine
Tasche: Ausweis, Schmuck, Walkman, ein paar Fotos von ihrer Mutter und sich...
Nebenan hört ihre Mutter Musik... ein französisches Chanson...
56. BILD / WOHNUNG HAUSMANN / FLUR
I/T
Julia geht durch den Flur und wirft einen letzten Blick in das Musikzimmer, wo ihre
Mutter sitzt, sich Notizen zu der gehörten Musik macht... mitsingt...
„Weißensee - Operation Juninacht“
56
JULIA
(tonlos) Auf Wiedersehen, Mama.
57. BILD / VOR WOHNUNG HAUSMANN
A/T
Vor dem Haus sitzt Robert im Sportwagen und wartet... er klopft nervös mit den
Fingern auf das Lenkrad.
Julia kommt aus dem Haus und steigt ein.
ROBERT
Alles klar?
JULIA
Ja.
Beide sind hoch angespannt...
Robert fährt los...
58. BILD / PARKPLATZ / SPORTWAGEN
A/I/ABEND
Robert fährt den Sportwagen auf den dunklen Parkplatz. Julia und er steigen aus.
Robert öffnet den Kofferraum, die Klappe in der Rückwand.
ROBERT
Es wird alles gut gehen.
Julia starrt vor sich hin, sie denkt an Martin...
Dann klettert sie in den Kofferraum. Robert schließt die Klappe, er dreht die
Schrauben zu. Dann schiebt er zwei Getränkekisten vor die Klappe.
ROBERT
Alles in Ordnung. Kriegst du Luft?
JULIA
(dumpf) Alles o.k.
Robert schließt den Kofferraum.
Julia ist in dem kleinen Hohlraum eingeschlossen... sie fasst an ihren Hals... etwas
Licht fällt aus dem Fahrerraum herein... sie atmet schnell...
Robert steigt in den Sportwagen ein und fährt ab, Richtung Grenzübergang
Checkpoint Charlie.
Es wird langsam dunkel...
59. BILD / WOHNUNG HAUSMANN / FLUR
„Weißensee - Operation Juninacht“
I/ABEND
57
Dunja öffnet die Wohnungstür. Hans steht davor, leicht atemlos.
HANS
Wo ist Julia?
DUNJA
Jedenfalls nicht mit deinem Martin zusammen...
HANS
(eindringlich) Wo ist sie?!
DUNJA
In ihrem Zimmer...sie hat sich schon
hingelegt...sie hat gesagt, sie kriegt eine
Erkältung... was ist denn los?
Hans reißt die Tür auf, doch das Zimmer ist leer.
DUNJA
Was soll das!?
HANS
Julia ist dabei, illegal die Republik zu verlassen.
DUNJA
Was!?
HANS
Sie haut ab! nach drüben, mit diesem Robert!
Dunja starrt Hans an.
DUNJA
Woher weißt du das?!
Hans schweigt beredt: woher wohl...
DUNJA
(atmet durch) Du musst was machen, Hans!
HANS
Ich kann nichts mehr tun.
Da geht Dunja auf Hans los, sie ist außer sich...
DUNJA
Du musst! Du musst!!!
HANS
„Weißensee - Operation Juninacht“
58
Ruhig, Dunja... bitte... beruhig dich doch...
Duschka...
Er hält ihre Hände fest, zieht sie beruhigend an sich... im Hintergrund läuft noch
immer das französische Chanson...
DUNJA
(berechnend) Julia ist deine Tochter!
Hans lässt Dunja los, er tritt ein paar Schritte zurück und sieht Dunja prüfend an.
Dunja greift das Telefon von der Kommode und hält es Hans hin.
DUNJA
Pfeif deine Leute zurück!
Aber Hans sieht Dunja zögernd an, er weiß nicht, was er tun soll...
HANS
Sagst du die Wahrheit?
Da platzt Dunja vor Wut und Enttäuschung...
DUNJA
Und wenn du es nicht glaubst, eins weißt du
doch: sie ist meine Tochter! Mein Kind!! Tu es
für mich!!!
Hans nimmt das Telefon immer noch nicht.
DUNJA
(verzweifelt) Hau ab! Hau ab, verdammt noch
mal!!! Ich will dich nie wiedersehen!
60. BILD / HAUS KUPFER / ESSZIMMER
I/ABEND
Marlene, Falk, Roman und Martin sitzen beim Abendessen. Martin ist ganz in
Gedanken versunken.
MARLENE
Wo bleibt Hans? Ist er noch mal ins Büro
gefahren?
Aber niemand antwortet. Da sieht Falk plötzlich Martin voller Hass an.
FALK
(ruhig) Ein feines Liebchen hast du dir da
angelacht.
„Weißensee - Operation Juninacht“
59
MARTIN
Was soll das heißen?
Auch Marlene und Roman sehen Falk fragend an. Aber der steht auf und geht
hinaus...
Martin springt auf, folgt seinem Bruder und erwischt ihn auf dem Flur...
Er hält Falk fest und packt ihn am Kragen. Er drückt ihn gegen die Wand.
MARTIN
Was meinst du damit?!
Falk lächelt.
FALK
Aber wie gewonnen so zerronnen...
MARTIN
Was habt ihr vor!?
Im Esszimmer sieht Roman Marlene erschrocken an.
MARLENE
(zu Roman) Iss weiter, ja.
Dann steht sie auf und kommt in den Flur.
MARLENE
Martin?! Bist du verrückt geworden! Lass
deinen Bruder los!
Doch da stößt Falk Martin zurück. Martin fällt auf den Boden. Falk lächelt.
FALK
Reg dich nicht auf, Mutter. Das ist manchmal
so unter Brüdern.
Martin rappelt sich hoch und will aus dem Haus.
MARLENE
Wo willst du hin?
FALK
(weiter) Martin kommt schon
Vernunft. - Oder, Martin?!
wieder
zur
Doch Martin verlässt das Haus, ohne zu antworten.
„Weißensee - Operation Juninacht“
60
61. BILD / GRENZÜBERGANG
A/N
Roberts Sportwagen fährt an den Grenzübergang heran.
Drei Grenzer stehen an der Schranke. Sie geben ihm ein Zeichen, langsamer zu
fahren und zu halten.
Einer der Grenzer, Leutnant Bösner, nickt Leutnant Geifel zu, der in der Baracke
steht. Der nickt zurück.
Robert bemerkt es nicht. Er kurbelt seine Scheibe herunter...
ROBERT
Guten Abend.
LEUTNANT BÖSNER
(unbeeindruckt) Ihren Ausweis!
Robert reicht seinen Ausweis aus dem Fenster, Bösner wirft einen Blick darauf.
LEUTNANT BÖSNER
Herr Robert Schnyder? - Steigen Sie bitte aus.
Robert verlässt den Wagen. Zwei Grenzbeamte untersuchen den Boden des
Wagens mit Spiegeln.
GRENZBEAMTER
Ist sauber.
LEUTNANT BÖSNER
Öffnen Sie den Kofferraum.
ROBERT
Denken Sie, ich habe jemanden da drin?
LEUTNANT BÖSNER
Machen Sie schon.
Robert geht langsam an den Kofferraum, sehr langsam, und öffnet ihn.
LEUTNANT BÖSNER
Na los, aufmachen!
Robert klappt den Kofferraum auf.
ROBERT
Bitte...
Im Kofferraum bietet sich das gewohnte Bild der beiden leeren Getränkekisten.
„Weißensee - Operation Juninacht“
61
ROBERT
Ich weiß, die hätte ich schon längst mal
wegbringen müssen...
Da beginnt Bösner, die Seitenwände abzuklopfen... die Rückwand... er sieht seinen
Kollegen an.
LEUTNANT BÖSNER
Klingt hohl, findest du nicht?
ROBERT
(betont lässig) Tja, unsere Autos sind eben
auch nicht so toll wie sie aussehen...
Da hat Bösner die Schrauben entdeckt. Er nickt seinem Kollegen zu und dreht sie
langsam auf...
Leutnant Geifel und sein Mitarbeiter beobachten alles von der Baracke aus.
Inzwischen sind unbemerkt zwei weitere Grenzer herangekommen. Sie nehmen ihre
Waffen in Habachtstellung... Robert bemerkt es...
ROBERT
Ich glaube, ich muss Ihnen was sagen...
Jetzt sind die Schrauben gelöst. Die Klappe fällt nach vorn...
...der Hohlraum ist leer...
ROBERT
Ich habe weder ein Warndreieck noch einen
Verbandskasten.
Die Grenzbeamten wechseln einen irritierten Blick. Bösner sieht Geifel hinter der
Scheibe an, schüttelt leicht den Kopf.
Geifel kommt ungläubig aus der Baracke. Bösner tritt ihm entgegen.
LEUTNANT BÖSNER
Melde: keine zweite Person im Wagen...
LEUTNANT GEIFEL
Was soll das heißen? Wo ist Julia Hausmann?
Alle sehen sich irritiert an, und Robert lächelt. Aber es ist ein trauriges Lächeln...
Ende Folge 1
„Weißensee - Operation Juninacht“
62