Einführung in die Gesundheitswissenschaften

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Einführung in die Gesundheitswissenschaften
W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Duale Hochschule VS-­‐Schwenningen – Fakultät Sozialwesen 2. Semester Modul 8 – Sommersemester Gesundheitswissenschaften für die Soziale Arbeit I Vorlesung: „Einführung in die Gesundheitswissenschaften“ Dozent: Dr. Wolfgang Ruf-­‐Ballauf Stand: April 2016 Inhalt 1. Gesundheitswissenschaften / Public Health 3 3 4 4 6 8 10 11 13 14 16 16 18 20 22 24 27 29 31 a. Definition und Entwicklung des Fachgebietes b. Grundlagen der Gesundheitswissenschaften I. Medizin II. Sozialwissenschaften III. Verhaltenswissenschaft IV. Epidemiologie V. Gesundheitsökonomie VI. Ethik VII. Gesundheitspolitik 2. Die großen Körpersysteme a.
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Stütz-­‐ und Bewegungsapparat Herz-­‐Kreislaufsystem und Lunge Verdauungssystem und Stoffwechsel Urogenital-­‐und Reproduktionssystem Blut-­‐ und Immunsystem Hormone Sinnesorgane und Haut Nervensystem und Psyche 3. Gesundheitsstörungen und sozialmedizinisch wichtige Krankheitsbilder a.
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Modelle von Gesundheit und Krankheit Das Krankheitsfolgemodell der WHO : Die ICF Sozialmedizin – Fachgebiet und Begrifflichkeit Die großen Volkskrankheiten Krankheit und sozialer Status . 4. Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention a.
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Salutogenese-­‐Konzept Vorsorgeprogramme Prävention Betriebliches Gesundheitsmanagement 33 36 39 43 46 50 51 52 53 55 1 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften e.
Soziale Arbeit und Gesundheitsförderung 5. Das öffentliche Gesundheitswesen a.
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57 58 58 60 62 65 Das gegliederte System der sozialen Sicherung Krankenversicherung und Pflegeversicherung Öffentliche Gesundheitsdienste und ihre Aufgaben Soziale Arbeit und öffentliches Gesundheitswesen Literaturliste 66 Weitere Literatur 67 Anhänge: I Gesund oder krank? Zwei Beispiele 68 II Anwendungsbeispiel zur ICF – Quantifizierung gestörter mentaler 69 Funktionen bei ALZHEIMER-­‐Demenz III Leistungen der Pflegeversicherung 73 IV Fragebogen zur Lebensorientierung (SOC – Antonovsky) 75 Hinweise: Das Skript zur Vorlesung stellt die Wissensbasis dar und sollte vollständig gelesen werden. In der Vorlesung wird das Skript nicht systematisch durchgesprochen, vielmehr wird der Stoff durch Folien und Diskussion vertieft. Die Kenntnis des Skripts ist daher Voraussetzung, um optimal profitieren zu können. Internet-­‐Links wurden überprüft und aktualisiert. Die Quellenangabe von Internetadressen (URL) ohne Linkfunktion betrifft möglicherweise nicht mehr aktive Internetseiten. Zahlenangaben ohne Quellenhinweis beziehen sich auf Angaben des/der Statistischen Bundesamtes (http://www.destatis.de), Robert-­‐Koch-­‐Instituts (RKI) (http://www.rki.de) oder Gesundheitsberichtserstattung des Bundes (http://www.gbe-­‐bund.de). Das Skript ist Vorlesungsmaterial und nicht zum öffentlichen Gebrauch bestimmt. Autor: Dr. med. Wolfgang Ruf-­‐Ballauf Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Facharzt für Innere Medizin – Gastroenterologie -­‐ Zusatzqualifikationen: Sozialmedizin, Psychotherapie, Rehabilitationswesen http://www.ruf-­‐ballauf.de Tutorium zur Vorlesung: Zwei inhaltlich identische Termine werden angeboten. Es wird empfohlen, an einem der beiden Termine teilzunehmen, die Termine sind offen für beide Kurse Termine: 2. und 3. Mai 2016, jeweils um 13:30 Uhr. Raum wird kurzfristig bekannt gegeben
2 1. Gesundheitswissenschaften / Public Health a. Definition und Entwicklung des Fachgebietes Public Health ist erstmals in den 20-­‐iger Jahren des letzten Jahrhunderts so definiert worden (Winslow 1920): „Public health is the science and the art of preventing disease, prolonging life, and promoting phys-­‐
ical health and efficiency through organized Community efforts for the sanitation of the environ-­‐
ment, the control of Community infections, the education of the individual in principles of personal hygiene, the organization of medical and nursing Services for the early diagnosis and preventive treatment for disease, and the development of the social machinery which will ensure to every in-­‐
dividual in the Community a Standard of living adequate for the maintenance of health." Zusammengefasst geht es um die Verbesserung der gesundheitlichen Lage der Bevölkerung und – zumindest damals – um die Steigerung der Lebenserwartung durch gesellschaftliche organisierte Maßnahmen. In einer neueren Definition wird die gesellschaftliche Dimension unterstrichen (Oxford Textbook of Public Health 1991): „Public health is the process of mobilizing local, state, national and international resources to solve the major health problems affecting communities." Heute ist nicht mehr die Lebensverlängerung („add years to life“) das primäre Ziel, sonder die Steigerung der Lebensqualität („add life to years“ – WHO). Die Strategien von Winslow wurden weitgehend beibehalten: •
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Verbesserung der (Umwelt-­‐)Hygiene Eindämmung der Infektionskrankheiten durch präventive Maßnahmen Gesundheitserziehung präventive und frühdiagnostische Ausrichtung des medizinischen Systems Einbindung nicht-­‐medizinischer Berufsgruppen (z.B. Sozialarbeiterinnen) in das Versorgungs-­‐
system Abbau gesundheitlicher und sozialer Ungleichheit Die Gewichtungen haben sich allerdings verschoben. Infektionskrankheiten begrenzen in den entwickelten Ländern nicht mehr die Lebenserwartung. Die Hygiene hat sich in den in-­‐
dustrialisierten Ländern erheblich verbessert, wobei Umweltfaktoren (wieder) zunehmend eine Rolle spielen. Schwerpunkte sind heute die medizinischen und psychosozialen Versor-­‐
gungssysteme. Der Begriff „Public Health“ findet im Deutschen keine treffende Übersetzung. Inzwischen wird „Public Health“ und Gesundheitswissenschaften in Deutschland weitgehend synonym gebraucht. Drei Prinzipien kennzeichnen die Gesundheitswissenschaften: Prinzip der Multidisziplinarität Es gibt einen Richtungsstreit darüber, ob die Gesundheitswissenschaften eine Unterdis-­‐
ziplin der Medizin darstellen oder ob die Medizin gleichberechtigt neben anderen Diszip-­‐
linen ihren Beitrag zur Analyse und Lösung gesellschaftsbezogener Gesundheitsproble-­‐
me leistet. Die Voraussetzungen für „Public Health“-­‐Studiengänge sind regional durch-­‐
aus unterschiedlich; an einigen Hochschulen werden nur Mediziner zugelassen, die Mehrheit der Universitäten verfolgt eher das Prinzip der Multidisziplinarität (s. unten). Bevölkerungs-­‐ und Systembezug Public Health befasst sich mit Bevölkerungsgruppen und dem Gesundheitssystem und nicht mit dem einzelnen Individuum. Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik sind deshalb wichtig, genauso wie die Epidemiologie, die sich mit der Verteilung von Ge-­‐
sundheitszuständen, Risiken und Ressourcen in der Bevölkerung befasst und das Ge-­‐
wicht der unterschiedlichen Einflussfaktoren analysiert. 3 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Anwendungsorientierung In den Gesundheitswissenschaften geht es nicht in erster Linie um Grundlagenfor-­‐
schung, sondern um einen konkreten Beitrag zur Lösung gesundheitlicher Probleme in der Bevölkerung. Public Health liefert Analysen zu zentralen Gesundheitsproblemen, benennt Ansatzpunkte für ihre Lösung und entwickelt Strategien und Lösungsansätze. Beispiele: -­‐
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Wissen und Einstellungen zur Zahngesundheit im Kleinkindalter wurden erhoben und Bera-­‐
tungsprogramme für Eltern entwickelt. Ein Programm zur Verhinderung berufsbedingter Allergien im Handwerk wurde in Zusam-­‐
menarbeit mit einer Krankenkasse entwickelt und evaluiert. b. Grundlagen der Gesundheitswissenschaften Public Health ist eher eine „Multidisziplin“, deren Grundlagen in natur-­‐, geistes-­‐ und gesell-­‐
schaftwissenschaftlichen Fächern zu finden sind. Im Folgenden werden die spezifischen Bei-­‐
träge der einzelnen Fächer zu Public Health skizziert. I. Medizin Ärzte sind häufig der Ansicht, dass die Medizin („ärztliche Heilkunst“) den entscheiden-­‐
den Beitrag zur Verwirklichung der Ziele von Public Health liefert. Dies ist nur insoweit richtig, als die Wiederherstellung oder Verbesserung der Gesundheit des Individuums als Ziel ärztlicher Bemühungen auch der Verbesserung des Gesundheitszustandes der Be-­‐
völkerung dient. Es besteht eine Wechselwirkung zwischen der Gesundheit des Individu-­‐
ums und der Gesellschaft. Jede Verbesserung des Gesundheitszustandes des Einzelnen wird sich in einer besseren Volksgesundheit und umgekehrt zeigen. Hierbei bleibt der Focus ärztlichen Handelns jedoch auf das Individuum beschränkt. Die Steigerung der Lebenserwartung im 20. Jahrhundert (s. Grafik) war ein Ergebnis me-­‐
dizinischen Fortschritts. ABER: Der Sachverständigenrat für die konzentrierte Aktion im Gesundheitswesen schätzt nach Auswertung nationaler und internationaler Studien im Jahr 2001 den Beitrag des Gesundheitswesens im engeren Sinne auf 10 bis 40% bezogen auf die Veränderung der Lebenserwartung und Sterberaten (Mortalität). Dies bedeutet, dass andere Faktoren an diesen Veränderungen (deutlich) mehr Gewicht haben als die Medizin. 4 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Als Beispiel für den historischen Fortschritt der Medizin ist die Behandlung von Infekti-­‐
onskrankheiten, insbesondere der Tuberkulose, zu nennen. So ließ die Pasteurisierung der Milch nach 1900 die Lebenserwartung sprunghaft ansteigen. Die Entwicklung der BCG-­‐Impfung und die Entdeckung von Tuberkulostatika (Antibiotika gegen Tuberkulose) eliminierten die Tuberkulose in Deutschland fast vollständig. Heute ist medizinisches Grundwissen die Voraussetzung dafür, dass Maßnahmen der Public Health wie Gesundheitsförderung und Prävention überhaupt erfolgreich ange-­‐
wandt werden können. Beispielhaft seien genannt: Die Infektiologie hat grundlegende Erkenntnisse zum Verständnis von Infektionskrankheiten, deren Prophylaxe und Therapie erarbeitet. Die von der Risikofaktorenmedizin identifizierten Protektiv-­‐ und Risikofaktoren geben den da-­‐
rauf bezogenen Maßnahmen der Verhaltens-­‐und Verhältnisprävention die Legitimation und Ausrichtung. Arbeitsmedizinische Erkenntnisse lieferten die Grundlagen zur Prophylaxe von Berufskrankhei-­‐
ten, zum Arbeitsschutz und anderen Präventions-­‐maßnahmen in Betrieben. Ernährungsphysiologische Erkenntnisse bilden die Grundlage für Ernährungsempfehlungen und Diätprogramme. Sportmedizinische Erkenntnisse wurden nicht nur zur Entwicklung des Leistungssportes, son-­‐
dern auch zur Förderung des Breitensportes genutzt. Erkenntnisse der Gerontologie und Geriatrie bilden die Basis für Präventionsmaßnahmen in höheren Altersgruppen. Erkenntnisse der Pränatalmedizin bilden die Grundlage zur Reduktion der frühkindlichen Sterblichkeit. Erkenntnisse der Psychoanalyse haben zum Verständnis und zur Beeinflussbarkeit intrapsy-­‐
chischer Konflikte beigetragen. Erkenntnisse der Medizinischen Soziologie und Sozialmedizin über die Effektivität und Effizienz von Systemen der Gesundheitsversorgung können für gesundheitspolitische Entscheidungen genutzt werden. (zitiert aus: Kolip, „Gesundheitswissenschaften – eine Einführung“, s. Literaturempfehlungen) Die Medizin fördert auch mit direkten Versorgungsleistungen die Ziele von Public Health. Folgende Leistungen werden genannt: Regelmäßige Schwangerschaftsuntersuchungen und darauf bezogene ärztliche Behandlungen tragen zur Senkung der pränatalen Sterblichkeit ebenso wie die Entwicklung der Geburtshilfe zur Senkung der Müttersterblichkeit bei. Früherkennungsuntersuchungen für Kinderkrankheiten. Impfung von Kleinkindern mit Senkung der Morbiditäts-­‐ und Mortalitätsraten bei Infektions-­‐
krankheiten sowie die Impfung von Erwachsenen bei besonderen Gefährdungen Chirurgische Notfallversorgung bei Unfallopfern. Linderung von Beschwerden und Befindlichkeitsstörungen bei „banalen" Krankheiten (wie Er-­‐
kältungskrankheiten, Wetterfühligkeit, Überforderungssyndromen etc.) mit ihren Auswirkun-­‐
gen auf die Arbeits-­‐ und Leistungsfähigkeit sowie das subjektive Wohlbefinden. Frühdiagnose und Therapie von Herz-­‐Kreislauf-­‐Erkrankungen mit ihren Auswirkungen auf die Verhinderung von Schlaganfällen und Herzinfarkten sowie die Verlängerung der Lebenser-­‐
wartung. Frühdiagnose und Therapie von Krebserkrankungen mit ihren Auswirkungen auf die Er-­‐
höhung der Lebenserwartung und die Reduzierung des Leidens der Betroffenen. Frühdiagnose und Therapie von Stoffwechselerkrankungen (z.B. Diabetes, rheumatische Er-­‐
krankungen) mit ihren Auswirkungen auf die Lebensdauer und Lebensqualität der Betroffe-­‐
nen. Lebensverlängernde Maßnahmen bei Behinderungen und altersspezifischen Beschwerden. (zitiert aus: Kolip, „Gesundheitswissenschaften – eine Einführung“, s. Literaturempfehlungen) 5 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Als weitere Grundlage sind die Statistiken zur medizinischen Versorgung und zum sub-­‐
jektiven Krankheits-­‐/Gesundheitsstatus zu nennen. Die Impfprophylaxe ist Beispiel für einen überwiegend medizinisch begründeten Beitrag zu Public Health. Auf gesetzlicher Grundlage (Injektionsschutzgesetz 2001) wird die Um-­‐
setzung und Aktualisierung der Impfprophylaxe durch eine Kommission (STIKO – ständig Impfkommission am Robert-­‐Koch-­‐Institut ) überwacht. Die Immunität wichtiger Infekti-­‐
onskrankheiten hat einen hohen Stand erreicht, z.B. Diphtherie 80 %, Masern 92 %, Mumps 90%, Pocken 100% (Pocken als Krankheit ist in Europa eliminiert). Als weiteren Beitrag zu Public Health sind die Präventionsmaßnahmen gegen Herz-­‐
Kreislauf-­‐Erkrankungen (Todesursache Nr. 1!) zu nennen. Dies wird unten (4. Gesund-­‐
heitsförderung und Krankheitsprävention) weiter ausgeführt. II. Sozialwissenschaften Der Focus der Sozialwissenschaften liegt auf -­‐ der Untersuchung der sozialen Ungleichverteilung von Gesundheit und Krankheit, -­‐ sozialen Faktoren bei Ausbruch und Verlauf von Krankheiten, -­‐ der Verbindung von sozialer Unterstützung und Krankheit, -­‐ der Untersuchung struktureller und individueller Determinanten des Gesundheits-­‐ und Krankheitsverhaltens. Soziale Ungleichverteilung von Gesundheit und Krankheit. Entsprechend der Zugehörig-­‐
keit zur sozialen Schicht (soziologisches Schichtenmodell: Zugehörigkeit definiert durch Einkommen, Qualifikation und berufliche Stellung) ist das Erkrankungsrisiko (Morbidität) in den unteren sozialen Schichten deutlich erhöht, bei Männern mehr als bei Frauen. Gleichwohl weisen Krankheitshäufigkeiten deutliche Geschlechterunterschiede auf (z.B. mehr Herzinfarkte bei Männern, mehr Depressionen bei Frauen), jedoch bleibt der Schichtengradient bezogen auf eine Krankheit stets beobachtbar. Dieser Zusammenhang gilt für alle Länder und fast alle Krankheiten. Diese Ungleichheit beginnt bereits im Kin-­‐
desalter und erreicht ein Maximum um das 50. Lebensjahr. Erst in höherem Lebensalter nivellieren sich die Unterschiede. Die Faktoren, die die Schichtzugehörigkeit bestimmen, werden auch für die Morbiditätsunterschiede verantwortlich gemacht. Der entschei-­‐
dende Faktor ist wohl die materielle Lage, die sich auf Wohnqualität, Hygienestandards, Ernährungsgewohnheiten, Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (Kino, Theater, Konzer-­‐
te …) und Informationsmöglichkeiten (über Gesundheitsgefährdungen) auswirkt. Quali-­‐
fikation bzw. Bildung wirkt sich einerseits auf Wissen über Gesundheit und Präventi-­‐
onsmöglichkeiten aus, andererseits bestimmt sie auch die Stellung im Beruf. Hiermit verbunden sind bestimmte, berufs-­‐ bzw. tätigkeitsspezifische Belastungsprofile (z.B. hö-­‐
here Lärm-­‐ und Emissionsbelastungen bei einfachen bzw. weniger qualifizierten Tätig-­‐
keiten). Ferner werden Präventionsmöglichkeiten in unteren sozialen Schichten weniger angenommen (z.B. Sport, Vorsorgeuntersuchungen u.a.). Der Zusammenhang wird wei-­‐
ter unten ausführlicher dargestellt (3.e Krankheit und sozialer Status). Der Beitrag der Sozialwissenschaften an dieser Stelle ist auch, eine (politische) Diskussi-­‐
on darüber anzustoßen, wie weit ein Land seinen Bürgern gleiche Lebenschancen er-­‐
möglicht und wie entsprechend der Prioritäten (knappe) Ressourcen verteilt werden sol-­‐
len. Soziale Determinanten von Gesundheit und Krankheit. Zu berücksichtigen sind die Aus-­‐
wirkungen akuter und chronischer Belastungen, Vulnerabilitätsfaktoren und Lebenswei-­‐
se bzw. Lebensstile. Akute Belastungen sind meist Lebensereignisse („life event“), die eine erhebliche Anpassungsleistung erfordern. Einerseits besteht in den unteren sozia-­‐
6 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften len Schichten eine höhere Wahrscheinlichkeit eines „life event“, andererseits sind die Bewältigungsmöglichkeiten („coping“) geringer, z.B. durch mangelnde soziale Unterstüt-­‐
zung (s.u.). Chronische Belastungen sind über einen längeren Zeitraum wirksam und führen nach ei-­‐
ner sog. Latenzphase zur erhöhten Krankheitsanfälligkeit. Solche Belastungen sind nicht nur die Arbeitsbedingungen, sondern insbesondere auch psychosoziale Faktoren wie hohes Engagement bei geringer Anerkennung, Konkurrenz-­‐ und Konfliktsituationen, Ar-­‐
beitsplatzsicherheit usw. Da nicht alle Menschen, die einer bestimmten Belastung ausgesetzt sind, erkranken, muss es weitere, individuelle Faktoren (Vulnerabilitätsfaktoren) geben, die das Krank-­‐
heitsrisiko modifizieren. Solche Vulnerabilitätsfaktoren sind entweder genetisch bedingt oder in der (frühen) Kindheit erworben infolge biographischer Defizite und Belastungen. Über die psychosozialen Risikofaktoren aus der Kindheit und die Auswirkungen auf Ge-­‐
sundheit/Krankheit wird ausführlich in der Vorlesung „Psychosomatik“ im kommenden Semester eingegangen. Gesundheitsbezogenen Lebensstilen wird ebenfalls Bedeutung beigemessen. Unter Le-­‐
bensstil versteht man „regelmäßig gemeinsam auftretende Verhaltensweisen, Interakti-­‐
onsmuster, Wissensbestände, Einstellungen und Meinungen“ (Hradil, 1999). Lebensstile werden weitgehend durch das Elternhaus u.a. durch dessen materielle Möglichkeiten geprägt. Damit sind sie schichtspezifisch und werden kaum verändert, oft über Genera-­‐
tionen tradiert. Soziale Unterstützung / soziale Netzwerke. Man unterscheidet soziale Unterstützung von nahestehenden Vertrauenspersonen („starke Bindungen“) und Personen, die innerhalb einer Institution hilfreich sein können (ArbeitskollegInnen, Mitarbeiter von Integrations-­‐
diensten, Rehabilitationseinrichtungen, Krankenkasse, Arbeitsamt, Nachbarschaftshilfe, Selbsthilfegruppen usw.) („schwache Bindungen“). Starke Bindungen sind in erster Linie bei der Abfederung akuter Belastungssituationen wichtig. Der psychologische Effekt liegt in einer Selbstwertsteigerung sowie der Redukti-­‐
on von Angst und Depression. Nach einer großen amerikanischen Gemeindeuntersu-­‐
chung (Alameda County Study) ergibt sich nach ca. 10 Jahren ein ca. 3-­‐fach höheres Sterblichkeitsrisiko bei Personen mit geringer sozialer Unterstützung. Das Ausmaß der Unterstützung variiert mit dem Alter, ist zwischen 25 und 45 Jahren am größten. Frauen erhalten mehr Unterstützung als Männer, Verheiratete mehr als Unverheiratete. Der Grad der Unterstützung steigt auch mit dem sozioökonomischen Status. Dieser Bereich der Sozialwissenschaften bezieht sich also nicht auf Risiken, die Erkran-­‐
kungen bewirken können, sondern auf Ressourcen, die Erkrankungen verhindern helfen. Salutogenese. Ein spezieller Bereich der Ressourcenseite ist das Konzept der Salutogene-­‐
se. Ausgehend von der Beobachtung, dass nicht alle Menschen, die Belastungen ausge-­‐
setzt sind, auch erkranken, werden die gesund erhaltenden Faktoren (Resilienzfaktoren) und Einflüsse untersucht (und gestärkt). Hierbei hat sich das Konzept von Antonovsky (1987) durchgesetzt, welches den sog. Kohärenzsinn („sense of coherence“) als Kern be-­‐
inhaltet. Weiter unten (4.a) wird dies ausgeführt. Strukturelle und individuelle Determinanten des Gesundheits-­‐ und Krankheitsverhaltens. Unter strukturellen Determinanten werden die Rahmenbedingungen der jeweiligen Ge-­‐
sundheitssysteme verstanden. Das Spektrum reicht von steuerfinanzierten staatlichen Systemen (England), Mischformen („wohlfahrtstaatliche Versorgung“) wie in Deutsch-­‐
land, bis hin zu privatwirtschaftlich organisierten Systemen (USA). In den USA existieren neben der privaten, risikoabhängigen Krankenversicherung Versicherungen für Erwerbs-­‐
7 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften tätige, für Arme (Medicaid), für Alte (Medicare), u.a. Entsprechend heterogen ist das Leistungsangebot und damit die Gesundheitsversorgung. Viele Menschen haben trotz der Reformen der Obama-­‐Regierung keinerlei Krankenversicherung. Auch wenn keine strukturellen Barrieren im Versorgungsangebot bestehen, zeigt sich, dass das Inanspruchnahmeverhalten sehr unterschiedlich ist. Niedriger Bildungsgrad ist mit einem verspäteten Aufsuchen medizinischer Hilfe und geringer Nutzung präventiver Angebote assoziiert. Armut korreliert mit einer niedrigeren Frequenz von Arztbesuchen, selbst wenn diese kostenfrei angeboten werden. Die Inanspruchnahme ist auch von der Diagnose abhängig. Eine psychiatrische oder psy-­‐
chosomatische Diagnose gilt als Stigmatisierung und wird gerne vermieden. Dieses Phä-­‐
nomen ist schichtabhängig und unterliegt kulturellen Einflüssen. III. Verhaltenswissenschaft Der Beitrag der Psychologie setzt sich aus verschiedenen Bereichen zusammen, die als Übersicht wiedergegeben werden: -­‐ Kognitionspsychologie: Konstruktion von Modellen zu Gesundheit und Krankheit, Prozesse der Information und gesundheitsrelevanter Entscheidungen. -­‐ Psychologie der Emotion und Motivation: das Erleben von Krankheit ist stets von (starken) Emotionen begleitet, die innerer Antrieb für gesundheitsrelevantes Verhal-­‐
ten sind. -­‐ Psychophysiologie: Aufklärung der Verknüpfung psychologischer und körperlicher Vorgänge. -­‐ Sozialpsychologie: gesellschaftlich relevante Erklärungsmodelle des Verhaltens wie z.B. die Attributionstheorie, also die (laienhafte) Zuordnung kausaler Verknüpfungen in der Krankheitsentstehung als Basis für Bewältigungsprozesse. -­‐ Entwicklungspsychologie: biographisch begründete Entstehung von Einstellungen und Verhaltensweisen, die gesundheitsrelevant sind (z.B. das Inanspruchnahmever-­‐
halten von Gesundheitsdiensten). -­‐ Klinische Psychologie: Entstehung und Behandlung psychischer Störungen -­‐ Gesundheitspsychologie: s.u. Insbesondere die Gesundheitspsychologie liefert einen wichtigen Beitrag zu Public Health. Gesundheitspsychologie integriert die für Gesundheit/Krankheit relevanten Er-­‐
kenntnisse der oben dargestellten Grundlagendisziplinen der Psychologie zu einer an-­‐
gewandten Disziplin. Nach einer Definition der American Psychological Association ist Gesundheitspsychologie „die Gesamtheit aller erzieherischen, wissenschaftlichen und professionellen Beiträge der Dis-­‐
ziplin Psychologie zur Förderung und Erhaltung von Gesundheit, zur Prävention und Behand-­‐
lung von Erkrankungen, zur Identifikation ätiologischer und diagnostischer Korrelate von Ge-­‐
sundheit, Krankheit und damit verbundener Fehlfunktionen sowie zur Analyse und Verbesse-­‐
rung der gesundheitlichen Versorgungssysteme und gesundheitspolitischer Entscheidungsfin-­‐
dung.“ (Anmerkung: Ätiologie = Ursachen der Krankheitsentstehung) Dieser umfassenden und anspruchsvollen Definition steht die (Forschungs-­‐)Praxis der Gesundheitspsychologie entgegen, die sich überwiegend am Individuum bzw. an Grup-­‐
pen orientiert und die gesellschaftlichen Bezüge weniger berücksichtigt. Die gesundheitspsychologischen Interventionsstrategien zielen ebenfalls auf individuelle Verhaltensänderungen ab. Hier handelt es sich um teilweise sehr elaborierte Konzepte, z.B. zur Gewichtsreduktion oder Raucherentwöhnung, die mit psychologischen Metho-­‐
den die Verhaltensänderung des Einzelnen im Focus haben. Teilweise handelt es sich 8 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften auch um psychagogische Ansätze, d.h. um den Grenzbereich zwischen Psychologie und Pädagogik. Unter diesem Aspekt tragen die Verhaltenswissenschaften auch zur Ausbildung im Be-­‐
reich Public Health bei. An der Entwicklung entsprechender Studiengänge sind die Ver-­‐
haltenswissenschaften („behavioural sciences“) stark beteiligt, d.h. diese Studiengänge enthalten entsprechende fachliche Bausteine. Kernbereiche sind die Ebenen der Ätiolo-­‐
gie1, Prävention, Intervention und Rehabilitation. Die ätiologische Ebene beschäftigt sich mit der Rolle der psychologischen Faktoren in folgenden Teilbereichen: -­‐ Konzepte für Gesundheit und Krankheit z.B. die Frage, warum ein medizinisches Kausalmodell wie das Risikofaktorenmodell des Herzinfarkts (Risikofaktoren: Rauchen, hoher Blutdruck, Übergewicht, hohe Blutfettwer-­‐
te, Diabetes, DIstress und erbliche Belastung) nicht ausreicht, um Verhaltensänderungen zu bewirken; Grund könnte das Vorhandensein subjektiver Krankheitskonzepte sein, die emotional stark besetzt sind. -­‐
gesundheitsrelevante Verhaltensweisen Verhalten ist – auch im Bereich Gesundheit / Krankheit – mit verschiedenen Überzeu-­‐
gungen verknüpft wie Kontrollüberzeugungen, Selbstwirksamkeits-­‐ und Ergebniserwar-­‐
tungen („ich habe alles unter Kontrolle und so wie ich es mache, wird es schon klap-­‐
pen“). Im Health Belief-­‐Modell kommt dies beispielsweise zum Ausdruck („ich weiß am besten, was gut für mich ist“) und bedingt damit gesundheitsrelevantes Verhalten. -­‐
Gesundheit und Krankheit selbst z.B. die Vorstellung, Krankheit entstehe infolge nicht gelungener Bewältigung von Belas-­‐
tungen (Stress-­‐Vulnerabilitätskonzept – Lazarus und Folkman 1987). Es geht einerseits also um Vulnerabilitätsfaktoren, die die Krankheitsanfälligkeit erhöhen, andererseits auch um Ressourcen-­‐bzw. Resilienzfaktoren, die bewältigungsfördernd sind (s.u. Kon-­‐
zept der Salutogenese). -­‐
Krankheitsbewältigung Das Stress-­‐Vulnerabilitätskonzept spielt nicht nur für die Entstehung, sondern insbeson-­‐
dere auch für die Bewältigung von Krankheiten eine wichtige Rolle. Die situative Bewer-­‐
tung einer Krankheitssituation und Ressourceneinschätzung entscheidet über die Bewäl-­‐
tigungsstrategie („Coping“), die z.B. aufmerksamkeitsfokussierend oder vermeidend sein kann. -­‐
Nutzungsverhalten (von Angeboten des Gesundheitssystems) Bestimmte Angebote der gesundheitlichen Versorgung werden kaum genutzt, andere hingegen sehr. Hier geht es um die Faktoren, die den Nutzungsgrad bestimmen. Ein Fak-­‐
tor wäre z.B. die Arzt-­‐Patient-­‐Interaktion, also die Kommunikation zwischen dem Ge-­‐
sundheitsexperten und dem Betroffenen. Dieser entscheidet auch über die Compliance, d.h. den Grad zu dem PatientInnen die Experten-­‐Vorgaben befolgen (Therapietreue, Be-­‐
folgen der Ratschläge usw.). In der Prävention liegt der Schwerpunkt in der Gesundheitskommunikation z.B. durch die Vermittlung von Informationen über Risikoverhalten oder Therapiekonzepte. Die interventionelle Ebene umfasst Konzepte für psychologische (Verhaltens-­‐) Trainings z.B. zum Stressmanagement, Problemlösetraining, Wahrnehmungstraining usw. Psychotherapeutische Interventionen prägen die Ebene der Rehabilitation. Auch die Ge-­‐
staltung struktureller und inhaltlicher Rahmenbedingungen ist Bestandteil dieser Ebene. 1
Faktoren der kausalen Entstehung von Phänomenen, Anteil eines Faktors am Phänomen, Zusammenhang zwischen den Faktoren, z.B. ist Rauchen eine wesentliche Ursache von Bronchialkrebs, aber nicht alle Raucher bekommen Bronchialkrebs, das Verhältnis Raucher : Nichtraucher beträgt jedoch 10 : 1 9 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften IV.
Epidemiologie Definition des Fachgebietes: Epidemiologie ist die Untersuchung der Verteilung und der Determinanten von Krankheitshäufigkeiten in umschriebenen Bevölkerungsgruppen als Grundlage für die Planung von medizinischen Leistungen und zur Lösung von Gesund-­‐
heitsproblemen. Wörtlich übersetzt bedeutet dieser griechische Ausdruck „Studium über das Volk“, aus der medizinischen Perspektive könnte man Epidemiologie auch als Bevölkerungsmedizin charakterisieren. Epidemiologische Methoden sind Handwerkszeug, mit dem notwendige Informationen in den Gesundheitswissenschaften erhalten werden können. Hierbei geht es nicht nur um Basisinformationen wie z.B. die Identifikation von Risikogruppen, sondern auch um die Wirksamkeit interventioneller Strategien. Objekt epidemiologischer Studien sind stets Gruppen oder Teilgruppen der Gesellschaft, nicht das Individuum. Entsprechend sind die Ergebnisse zu werten. Wenn eine Studie ergibt, dass Raucher ein zehnfach erhöhtes Risiko im Vergleich zu Nichtrauchern haben, an Bronchialkrebs zu erkranken, dann kann daraus nicht vorhergesagt werden, ob und wann ein einzelner Raucher erkrankt. Aus einer solchen Studie kann jedoch auch be-­‐
gründet werden, dass die Entwicklung von Anti-­‐Raucher Kampagnen sinnvoll ist. Die Wirksamkeit solcher Kampagnen kann wiederrum mit epidemiologischen Methoden evaluiert werden. Die epidemiologische Begrifflichkeit hat Eingang in weite Bereiche der Gesundheitswis-­‐
senschaften gefunden. Epidemiologische Basisbegriffe: Prävalenz: Maß für den Bestand an Kranken zu einem definierten Zeitpunkt (Punktprävalenz) oder Zeitraum (Periodenprävalenz), Inzidenz: Maß für die Anzahl der Neuerkrankungen in einem definierten Zeitraum, ggf. inner-­‐
halb einer definierten Population, Region usw. Mortalität: Zahl der Todesfälle in einem Zeitraum, ggf. innerhalb einer definierten Population, Region usw. Letalität: Zahl der Todesfälle bezogen auf die Zahl der Neuerkrankungen, ein Maß für die "Tödlichkeit" einer Krankheit. Als Rate (Prävalen-­‐, Inzidenz -­‐ usw.) wird die Anzahl pro 100.000 der Bevölkerung oder Bevölkerungs-­‐
gruppen (meist pro Jahr) bezeichnet. Altersstandardisierte Raten: Die Altersstandardisierung erlaubt, Raten in Populationen mit unterschiedlicher Altersstruktur zu ver-­‐
gleichen. Sie gibt die Häufigkeit einer Erkrankung oder Todesursache unter insgesamt 100.000 Personen einer festgelegten, in der Regel fiktiven, Altersstruktur an. Hier wird der sog. Europastandard verwen-­‐
det. Die Basisfragen epidemiologischen Arbeitens können so formuliert werden: Was (welches Gesundheitsproblem) liegt vor? Warum tritt dieses Problem auf? Wann (In welchem Zeitraum) und zu welchem Zeitpunkt tritt das Problem auf? Wie entwickelt sich das Problem? Wo tritt das Problem auf? Wer ist betroffen? Epidemiologische Basismethoden sind je nach Fragestellung die verschiedenen Studien-­‐
typen: Querschnittstudien: Momentaufnahme des Ist-­‐Zustandes, Längsschnittstudien: periodisch wiederholte Querschnittstudien, Kohortenstudien: Längsschnittuntersuchungen definierter Gruppen z.B. solcher mit und ohne Risikoexposition, 10 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Fall-­‐Kontroll-­‐Studien: Längsschnittstudien definierter „Fälle“, bei denen jedoch die Exposition z.B. hinsichtlich eines Risikos, erst am Ende der Studien erfasst wird, Interventionsstudien: eine neue Gesundheitsmaßnahme (diagnostische oder therapeutische Methode z.B. neues Medikament) wird hinsichtlich ihrer Wirksamkeit untersucht. Meta-­‐Analysen: Zusammenfassung und Auswertung mehrerer/vieler Studien mit derselben Fragestellung (s.u.). In den Gesundheitswissenschaften ist es wichtig, Studien entsprechend definierter Gü-­‐
tekriterien beurteilen zu können. Das Vorgehen bei der Durchführung von Studien kann so skizziert werden: -­‐ Formulierung des Untersuchungsziels -­‐ Festlegung der Parameter (zu untersuchende Größen) -­‐ Wahl des Studiendesigns (Studientyp, s.o.) -­‐ Datenerhebung -­‐ Statistik und Berechnung der Zielgrößen -­‐ Bewertung der Ergebnisse Aus der Epidemiologie kommt auch das Konzept der Evidenz. Evidenz basierte Medizin (EBM) bedeutet eine Patientenversorgung, die sich auf den jeweils besten wissenschaft-­‐
lichen Nachweis stützt. Es wurde eine Hierarchie der Evidenz entwickelt, wonach die Evidenzgrade I bis VI definiert wurden. Der Evidenzgrad ergibt sich aus der Methode, mit der die Erkenntnisse gewonnen wurden. Die Methoden reichen von Metaanalysen2, be-­‐
stimmten Interventionsstudien (RCTs)3 und anderen Studientypen (z.B. Fallkontrollstu-­‐
dien, s.o.) bis hin zu Expertenmeinungen (letztere entsprächen Grad VI der Evidenz). Hinweis: Im letzten Teil des Skripts "Psychosomatik" (Wintersemester) finden sich weitere Informationen zum Fachgebiet Epidemiologie. V.
Gesundheitsökonomie In der Gesundheitsversorgung muss zwischen dem (medizinisch) Möglichen und dem (medizinisch) Notwendigen unterschieden werden. Angesichts begrenzter Ressourcen müssen die Systeme bzw. Versorgungsangebote zweckmäßig gestaltet werden. Gesundheitsökonomie ist also einerseits die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Knappheit der Ressourcen. Zum anderen wird versucht, wirtschaftswissenschaftliche Methoden auf das Gesundheitswesen zu übertragen. Dies ist nur begrenzt möglich, da der Gesundheitsbereich kein wirklich frei funktionierender Markt ist. So ist die Theorie von Angebot und Nachfrage nicht direkt übertragbar. Kosten-­‐Nutzen-­‐Analysen hingegen (oder: Kosten-­‐Wirksamkeits-­‐Analysen) sind mittlerweise gängige Methode in der Ge-­‐
sundheitsökonomie, mit der es gelingt, Aufwand und Ertrag in Beziehung zu setzen. Un-­‐
ter „Ertrag“ ist dabei die Gesundheitsmaximierung, vielfach auch Lebensqualität zu ver-­‐
stehen. Dabei wird man feststellen, dass die (ökonomisch) aufwändigste Medizin nicht immer die besten Erfolge erbringt. Wichtige Themenbereiche der Gesundheitsökonomie sollen kurz beschrieben werden: Nachfrage nach Gesundheitsleistungen. Die Mischfinanzierung von Sozialleistungen in Deutschland (Beiträge der Versicherten, Arbeitgeber und Steuergelder) hat zur Folge, dass kein wirklicher Wettbewerb unter den Leistungsträgern stattfindet. Dennoch kann die Nachfrage durch den Umfang des Angebots in begrenztem Umfang gesteuert wer-­‐
2
Eine Metaanalyse ist die zusammenfassende Auswertung möglichst vieler Primärstudien zur selben Fragestel-­‐
lung, sie stellt die „Analyse der Analysen“ dar. Durch die Betrachtung vieler Studienergebnisse mit einer insge-­‐
samt hohen Probandenzahl sind die Aussagemöglichkeiten größer bzw. die Irrtumswahrscheinlichkeit geringer 3
RCT = randomised conrolled trial; dies bedeutet, dass bei einer Interventionsstudie eine zufällige Zuordnung zum Interventionszweig und zum Kontrollzweig („Placebo“-­‐Behandlung) der Studie erfolgt. 11 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften den. Bei Vorhandensein eines Versicherungsschutzes werden Leistungen mehr nachge-­‐
fragt als ohne Versicherungsschutz. Bestimmte Angebote stimulieren ebenfalls die Nach-­‐
frage(„angebotsinduzierte Nachfrage“). Die Risikoeinschätzung ist ein wesentliches Prinzip der Versicherungsökonomie. Im Be-­‐
reich der gesetzlichen Krankenversicherung können hohe Risiken nicht ausgegliedert werden bzw. nicht mit höheren Beiträgen ausgeglichen werden. Private Krankenversi-­‐
cherungen können – ökonomisch gesehen – günstiger wirtschaften, weil sie in der Regel Tarife anbieten, die geringe Risiken mit hoher Selbstbeteiligung verbinden, was in diesen Fällen zu sehr geringen Ausgaben führt. Angebot von Gesundheitsleistungen. Das Angebot von Gesundheitsleistungen ist eine Dienstleistung, der Gesundheitssektor ist aus ökonomischer Sicht Dienstleistungsindust-­‐
rie. Direkt und indirekt Beschäftigte dieser Industrie werden auf ca. 3 Millionen ge-­‐
schätzt, stellen also einen erheblichen Wirtschaftsfaktor dar. Das Produkt der Gesund-­‐
heitsindustrie (Verbesserung und Erhalt der Gesundheit) unterliegt jedoch anderen Ge-­‐
setzmäßigkeiten als andere industrielle Produkte. Zum einen hat das Konsumverhalten (welche Gesundheitsleistungen werden bevorzugt in Anspruch genommen?) einen we-­‐
sentlichen Einfluss auf das Produkt selbst, zum anderen sind die Geldströme sehr ver-­‐
schieden. Besonders die Vergütungssysteme üben einen starken Anreiz auf das Ange-­‐
botsspektrum aus. Die europäischen Gesundheitssysteme kennen als Vergütungsformen das Gehalt, die Fallpauschalen, die Kopfpauschalen und die Einzelleistungsvergütung. Beispielsweise hat die Einführung der Einzelleistungsvergütung in Dänemark zu ver-­‐
mehrten Leistungen der Hausärzte und zu einem Rückgang der Facharztüberweisungen und Krankenhauseinweisungen geführt. Eine besondere Vergütungsform für Kranken-­‐
häuser sind komplexen Fallpauschalen (DRGs = diagnosis related groups), die seit 2003 in deutschen Akutkrankenhäusern eingeführt wurden. Für über 600 Fallgruppen wurden mittlere Kosten ermittelt („Kostengewichte“), die als Anreiz gedacht sind, Patienten nicht über Gebühr lange und teuer zu behandeln. Inwieweit dieses Ziel erreicht wird, ist unklar. Ökonomische Evaluation von Gesundheitsleistungen. Seit über 10 Jahren beseht in Deutschland die gesetzliche Pflicht, Gesundheitsleistungen auf ihre Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit zu überprüfen und sie ggf. aus dem Leistungskatalog auszuschließen. Dies obliegt dem Gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (GBA -­‐ www.g-­‐ba.de). Ökonomische Analysen sind im Gesundheitssektor problematisch. Am häufigsten wird dies versucht durch Krankheitskosten-­‐Analysen, Kosten-­‐Minimierungs-­‐
Analysen, Kosten-­‐Effektivitäts-­‐Studien, Kosten-­‐Nutzwert-­‐Analysen4 und Kosten-­‐Nutzen-­‐
Studien5. Gerade die aus der Industrie stammenden Kosten-­‐Nutzen-­‐Analysen sind je-­‐
doch auf Gesundheitsleistungen nicht direkt übertragbar. Management von Einrichtungen der Gesundheitsversorgung. Der Wettbewerb zwischen den Einrichtungen im Gesundheitssektor nimmt zu. Insoweit sind die einzelnen Träger bemüht, ihre Einrichtungen durch die Anwendung moderner Managementmethoden im Interesse der „Kunden“ und Beschäftigten zu optimieren. Management-­‐Aufgaben um-­‐
fassen: Externe Management-­‐Aufgaben -­‐
Vertretung/Repräsentation nach außen 4
Unter Nutzwert wird Lebensqualität und (Rest-­‐)Lebenszeit verstanden, häufig ausgedrückt in sog. QALYs (das sind „qualitätsbereinigte Lebensjahre“, d.h. Lebensjahre vergleichbar guter Qualität) 5
Gemeint ist die „Wirtschaftlichkeit“ einer Investition, berechenbar durch Einnahmeüberschussrechnung, Kapi-­‐
talfluss, Kapitalkosten, Zinsen, Rendite, Amortisationsdauer, Betriebskosten, Gesamtkosten u.a. 12 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften -­‐
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externe Kunden 1: Kostenträger (z.B. GKV, private KV, BGs, DRV usw.) externe Kunden 2: Zuweiser (z.B. Hausärzte), Vermittler (z.B. Sozialdienste) externe Kunden 3: Zielgruppen (mögliche Patienten) Öffentlichkeitsarbeit Interne Management-­‐Aufgaben -­‐
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Qualitätsmanagement, insbesondere die Sicherung der Struktur-­‐, Prozess-­‐ und Ergebnisqualität Einhaltung fachlicher Standards (Fachgesellschaften -­‐> Leitlinien) Patientenzufriedenheit Mitarbeiter-­‐Management Personalplanung und -­‐einsatz Personalführung (z.B. Beurteilungsrichtlinien) Personalentwicklung (Aus-­‐, Fort-­‐ und Weiterbildung) Mitarbeiterzufriedenheit Budgetverantwortung Konzeptentwicklung VI.
Ethik Ethik als „Theorie der Moral“ versucht, Regeln, Prinzipien und Ideale für unser Handeln zu benennen, damit dieses Handeln als moralisch gut bewertet wird. Besonders im Hinblick auf die Entwicklung neuer Techniken und Medikamente sind ethi-­‐
sche Fragen wichtig. Mit der Bioethik hat sich eine Disziplin entwickelt, die wesentlich dazu beiträgt, welche Forschungsansätze, diagnostische und therapeutische Verfahren angewandt werden dürfen (Beispiel: Stammzellforschung). Ethische Fragen spielen auch in der Palliativmedizin eine herausragende Rolle, wenn es darum geht, bei unheilbar Kranken die Lebensqualität zu verbessern bzw. unnötiges Leiden zu ersparen. In Form der Patientenverfügungen, Betreuungs-­‐ und Vorsorgevollmachten hat dies auf Patien-­‐
tenseite seinen Niederschlag gefunden. Da auf Grund des demographischen Wandels Gesundheitsleistungen zukünftig überwie-­‐
gend bei älteren Menschen erbracht werden, erhalten ethische Frage auch eine zuneh-­‐
mende Bedeutung. Die Grundprinzipien orientieren sich stark an Autonomie und Selbst-­‐
bestimmung, wie sie im Grundgesetz verankert sind. Die Bioethik hat sich aus der Medi-­‐
zinethik entwickelt, die im Wesentlichen auf Hippokrates, Kant u.a. zurückgeht. Inzwischen ist die Zuständigkeit für medizinethische Fragen in Deutschland klar geregelt. Im Bereich des Gesundheitswesens gibt es zahlreiche Kommissionen, die die Einhaltung der ethischen Grundsätze überwachen sollen. Eine übergeordnete Kommission ist seit 1995 bei der Bundesärztekammer (BÄK) angesiedelt. Sie hat zu folgenden Fragen Stel-­‐
lungnahmen herausgegeben: Forschung mit Minderjährigen, (Weiter-­‐) Verwendung von menschlichen Körpermaterialien, Stammzellforschung, Schutz nicht-­‐einwilligungsfähiger Personen, Schutz persönlicher Daten in der medizinischen Forschung u.a. Eine für die Palliativmedizin wichtige Stellungnahme betrifft: „Empfehlungen der Bundesärztekam-­‐
mer und der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung in der ärztlichen Praxis (2007)“. (Siehe: http://www.zentrale-­‐ethikkommission.de) Ferner hat jede Landesärztekammer (LÄK) ihre eigene Kommission, die in der Arbeits-­‐
gemeinschaft der Ethikkommissionen zusammen arbeiten. Auch an jeder Universität sind entsprechende Gremien eingerichtet, die hauptsächlich ethische Fragen im Rahmen von Forschungsprojekten behandeln und ebenfalls mit den o.a. Institutionen kooperieren. Auch pharmazeutische Firmen müssen anwendungsori-­‐
13 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften entierte Forschung (Einführung neuer Medikamente) durch Ethik-­‐Kommissionen ge-­‐
nehmigen lassen VII. Gesundheitspolitik Es gibt gute Gründe, warum Gesundheitspolitik Bestandteil von Public Health ist. Bei-­‐
spielhaft seien genannt: -­‐ Die grundgesetzliche Verpflichtung -­‐ Die soziale Ungleichheit von Krankheit und Lebenserwartung -­‐ Der Zusammenhang zwischen kollektiver und individueller Gesundheit -­‐ Einflussfaktoren mit Auswirkungen auf die Gesundheit wie Ernährung, Bildung, Wohnen, Verkehr u.a. -­‐ (weitere) Umweltbedingungen und Gesundheit -­‐ Arbeitsbedingungen und Gesundheit (Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten) -­‐ Bedrohung der Gesellschaft durch gesundheitliche Risiken (Seuchen, AIDS, usw.) -­‐ Wertvorstellungen einer sozial orientierten Gesellschaft -­‐ Strukturen des Gesundheitswesens -­‐ Reformen des Gesundheitswesens In einem sozial orientierten Gemeinwesen wird Gesundheit als öffentliches Gut aufge-­‐
fasst. Gesundheitspolitik kann beschrieben werden als „… soziales, d.h. auf Tun und Lassen Anderer bezogenes Handeln so zu gestalten, dass Herstellung und Verteilung von Gütern (wie z.B. der Gesundheit) verbindlich nach Nor-­‐
men wie Gerechtigkeit, Gleichheit oder Sicherheit geregelt sind.“ (aus: Kolip: Gesundheitswissenschaften. S. Literaturempfehlungen im Anhang) Im Konzept eines sozialen Rechtsstaates (abgeleitet aus Grundgesetz Artikel 28, Abs. 1) sind Orientierungsnormen wie Solidarität, Gerechtigkeit und Gleichheit gut begründbar. In der Betrachtung der Gesundheitspolitik geht es einmal um das Gesundheitssystem selbst, zum anderen um die Dimensionen der Politik im Hinblick auf die Inhalte, die Insti-­‐
tutionen und die Prozesse. Grobstruktur des Gesundheitswesens bezogen auf die gesetzliche Krankenversicherung Quelle: http://www.informierterpatient.de/media/pol_graf.gif Als Gesundheitssystem könnte man die Institutionen, Verhaltensregeln und Interaktio-­‐
nen zwischen den beteiligten Institutionen und Personen charakterisieren, deren Aufga-­‐
be es ist, Krankheit bzw. Gesundheitsrisiken zu identifizieren sowie Vermeidung und Bewältigung von Krankheit soweit möglich zu bewirken. 14 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Mit den Sozialgesetzbüchern ist in Deutschland ein sehr differenziertes und gegliedertes System der sozialen Sicherung entstanden, welches nicht nur das Gesundheitswesen im engeren Sinne, sondern alle für Gesundheit und Wohlbefinden wichtigen sozialen Berei-­‐
che regelt. Hier die Übersicht über die Sozialgesetzbücher: : s. http://www.sozialgesetzbuch-­‐sgb.de -­‐ SGB I -­‐ Allgemeiner Teil -­‐ SGB II -­‐ Grundsicherung für Arbeitsuchende -­‐ SGB III -­‐ Arbeitsförderung -­‐ SGB IV -­‐ Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung -­‐ SGB V -­‐ Gesetzliche Krankenversicherung -­‐ SGB VI -­‐ Gesetzliche Rentenversicherung -­‐ SGB VII -­‐ Gesetzliche Unfallversicherung -­‐ SGB VIII -­‐ Kinder-­‐ und Jugendhilfe -­‐ SGB IX -­‐ Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen -­‐ SGB X -­‐ Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz -­‐ SGB XI -­‐ Soziale Pflegeversicherung -­‐ SGB XII -­‐ Sozialhilfe (früher: BSHG) Eine detaillierte Darstellung unseres Gesundheitssystems ist an dieser Stelle nicht mög-­‐
lich. Institutionen der Gesundheitspolitik sind zum einen alle tatsächlichen Institutionen, Krankenkassen, Kassenärztlichen Vereinigungen, Pharmafirmen, Ausschüsse, Interes-­‐
sensverbände usw., zum anderen Rahmenbedingungen und Regulierungsmechanismen zwischen den Beteiligten. Gesundheitspolitik an dieser Stelle hat das Ziel, einen Interes-­‐
sens-­‐ und Machtausgleich zwischen den staatlichen Institutionen, den gesellschaftlichen Einrichtungen und den wirtschaftlichen Interessen (z.B. der Pharmaindustrie) zu be-­‐
werkstelligen. In Deutschland ist die Verflechtung zwischen den Institutionen extrem, teilweise un-­‐
übersichtlich und wenig flexibel, so dass verständlich wird, warum Reformansätze immer wieder an Partikularinteressen scheitern. Das Netzwerk der Institutionen ist zum geringen Teil hierarchisch durch den Saat (z.B. Risikostrukturausgleich oder Krankenhausplan), größtenteils jedoch durch Kooperation bestimmter Gruppen geregelt. Ein Beispiel ist das Zusammenwirken der Kassenärztli-­‐
chen Vereinigung (KV -­‐ ursprünglich: Interessenvertretung der VertragsärztInnen = „Kas-­‐
senärzte“) mit den Krankenkassen im GBA (gemeinsamer Bundesausschuss), wodurch das (Pflicht-­‐) Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung festgelegt wird. Zudem wird durch diese Kooperation z.B. die flächendeckende ambulante Versorgung garantiert. Gerade im letzten Punkt versagen aus Sicht des Dozenten die Regelmechanismen zunehmend. Die KV kann die Versorgung z.B. im ländlichen ostdeutschen Raum kaum sicherstellen; ferner sind die Honorarstrukturen extrem kompliziert und nicht mehr durchschaubar. Im Dienstleistungssek-­‐
tor ist es üblich, dass „Kunden“ eine Dienstleistung, die sie in Anspruch nehmen, direkt bezahlen. Bei Gesundheitsleistungen findet zwischen Leistungserbringer und Konsument kein Geldfluss statt, vielmehr handeln stellvertretend Krankenkassen und kassenärztliche Vereinigungen, was für beide Seiten (Patienten und Ärzte) bedeutet, dass der Wert der Leistung nicht transparent ist. Inhalte von Gesundheitspolitik. Die globalen Ziele sind im SGB V festgelegt: Versorgung der Versicherten, Wirtschaftlichkeit und angemessene Vergütung der Leistungserbrin-­‐
ger. Die Versorgung soll dem medizinischen Wissensstand entsprechen, ausreichend, zweckmäßig, wirksam und human sein. 15 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Neben den globalen Zielen wären konkrete inhaltliche Ziele (Beispiel: Verringerung der Zahl der Suizide, verbesserte Prävention, Stärkung der Palliativmedizin u.a.) zu nennen, die jedoch von der Politik kaum formuliert werden. Vielmehr findet die politische Dis-­‐
kussion fast ausschließlich unter Kostengesichtspunkten statt, bei denen Rationalisie-­‐
rung, Effizienzsteigerung, Prioritätensetzung usw. debatiert werden. Tatsächliche Inhalte treten in den Hintergrund. Im Vordergrund stehen Verteilungskämpfe und Machtfragen. Prozesse in der Gesundheitspolitik. Hier geht es um die Abläufe und Vorgehensweisen, mit denen die Beteiligten ihre Interessen durchsetzen. Viele Prozessabläufe sind gesetz-­‐
lich oder durch Verträge zwischen Verbänden und Institutionen geregelt. Es gibt jedoch auch diffuse Formen der Machtentwicklung z.B. über Medien und Lobbyarbeit. Gerade der Lobbyismus ist im Gesundheitswesen stark verbreitet und entscheidet oft darüber, wie gut sich eine neue Methode oder ein neues Medikament am Gesundheitsmarkt etabliert. Als Beispiel sei die Pharmaindustrie genannt: nach dem „Arzneiverordnungs-­‐
report 2000“ (Schwabe und Paffrath 2001) waren von ca. 45.000 Medikamenten nur 24.800 nach dem Arzneimittelgesetz von 1976 zugelassen. Der Rest behielt seine Zulas-­‐
sung auf Grund einer Übergangsregelung, die eigentlich 1990 auslaufen sollte. Zudem wurde geschätzt, dass etwa ein Vierteil aller Medikamentenverschreibungen auf Arz-­‐
neimittel entfallen, deren Wirksamkeit nicht erwiesen ist. Der Lobbyismus im Gesundheitswesen ist ein weiterer Grund für das Scheitern von Re-­‐
formansätzen. 2. Die großen Körpersysteme Im folgenden Abschnitt werden die Körpersysteme in folgender Systematik besprochen: • Welche (anatomischen) Strukturen gehören zum jeweiligen System? • Welche sind die Funktionen des Systems? • Beispielhafte Besprechung von (wenigen) Krankheitsbildern mit dem Schwerpunkt sozi-­‐
almedizinischer Relevanz a. Stütz-­‐ und Bewegungsapparat Strukturen: zum Stütz-­‐ und Bewegungsapparat zählt das Knochengerüst mit den zentral ge-­‐
legenen Wirbelsäule, Schulter-­‐ und Beckengürtel mit den Extremitäten sowie dem Schädel. Die Halswirbelsäule (HWS) umfasst 7 Wirbel, die Brustwirbelsäule (BWS) 12 Wirbel und die Lendenwirbelsäule (LWS) 5 Wirbel. Nach unten schließt sich das Kreuzbein (und Steißbein) an, welches die Körperlast über die Beckenknochen auf die Beine überträgt. Zwischen je-­‐
dem Wirbelkörper befinden sich Bandscheiben, die als Federelemente wie Gelkissen dämp-­‐
fen. In der Wirbelsäule läuft der Wirbelkanal, der das Rückenmark als Verbindungsstrang und Schaltstation zwischen Gehirn (Zentralnervensystem) und Peripherie (Muskel, Haut, in-­‐
nere Organe) enthält. Zum Bewegungsapparat gehören ferner sämtlichen Muskeln mit ihren Sehnen und Bändern. Die Beweglichkeit wird durch Gelenke garantiert, die durch den Überzug der Gelenkflächen mit Gelenkknorpel („geschmierte Gleitflächen“) reibungs-­‐minimiert werden. Funktionen: Die Namensgebung erklärt die Funktion. Der aufrechte Gang ist entwicklungs-­‐
geschichtlich ein „junges“ Produkt und eine Schwachstelle des „Bewegungstiers Mensch“. Daher ist dieses System anfällig. Für die Statik ist eine gute Muskulatur erforderlich, die es verhindert, dass die Wirbelsäule vorzeitig verschleißt. Die Muskulatur sorgt also nicht nur für Bewegungen, sondern stabilisiert auch die Wirbelsäule und schützt Gelenke, indem die Gelenkführung, die auch durch Bänder bewirkt wird, zusätzlich stabilisiert wird. 16 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Der Bandscheibenvorfall ist die die häufigste und akute Form eines Bandscheibenleidens. Hierbei reißt der äußere Bandscheibenring ein und das Gel der Bandscheibe tritt aus dem Innern aus und kann z.B. auf die Nervenwurzeln und das Rü-­‐
ckenmark drücken. Dies verursacht starke Schmerzen bis hin zu Gefühls-­‐
störungen und Muskellähmungen. Im letzteren Fall muss operiert wer-­‐
den (Absaugung des Gels). Chroni-­‐
sche Bandscheibenleiden sind meist die Folge mehrfach stattgefundener Bandscheibenvorfälle. Beispiel: Bandscheibenvorfall der HWS (zwischen Wirbel 2 und 3 –> Pfeil), dargestellt im Längsschnitt der oberen Wirbelsäule durch MRT (Magnetresonanztomographie) Quelle: http://www.radiologie-­‐am-­‐theater.de/praxis/sammlung/wirbelsaeule/bandscheibenvorfall-­‐hws/ Krankheitsbilder: Die Ursachen von Erkrankungen des Stütz-­‐ und Bewegungsapparates las-­‐
sen sich grob in drei Bereiche gliedern. -­‐ Degenerative (abnutzungsbedingte) Erkrankungen (siehe Beispiele unten) -­‐ Entzündliche Erkrankungen (z.B. Gelenkrheuma) -­‐ Verletzungsfolgen. Gerade die degenerativen Erkrankungen nehmen sozialmedizinisch einen breiten Raum ein und sind der zweithäufigste Frühberentungsgrund (21% der Frühberentungen bei Männern, 19 % bei Frauen – 2003, VDR-­‐Statistik). Diese vorzeitige Abnutzung entsteht durch Bewe-­‐
gungs-­‐ und Trainingsmangel, einseitige Belastungen und Fehlhaltungen sowie angeborenen Schwäche oder Fehlstellungen. Die häufigsten degenerativen Leiden sind: o Bandscheiben-­‐ und andere Rückenleiden Die Bandscheiben werden mit der Zeit flacher, die Dämpfungsfunktion lässt nach und die Gelenkflächen der Wirbelsäule verschleißen rascher. Dies führt zu chronischen Schmerzen vorwiegend im unteren Bereich der LWS. Solche Schmerzzustände können sich „verselbst-­‐
ständigen“ und Anlass für z.T. psychosomatisch verstärkte Schmerzkrankheiten werden. Rü-­‐
ckenleiden und –schmerzen (die natürlich noch andere Ursachen haben können) sind der häufigste Grund der Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (z.B. Umschu-­‐
lung) oder gar einer vorzeitigen Berentung. o Arthrose Arthrose ist der vorzeitige Verschleiß von Gelenken mit der Folge von Schmerzen und zu-­‐
nehmender Bewegungseinschränkung. Die Ursachen wurden oben genannt. Im Erwerbsle-­‐
ben sind Arthrosen oft Folgen einseitiger Arbeitsbelastungen bzw. ungünstiger Arbeitsbe-­‐
dingungen (Zwangshaltungen). Sie sind oft Anlass für berufsfördernde Leistungen (heute: Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben). 17 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Im Beispiel die Arthrose eines Knie-­‐
gelenks im Röntgenbild, die haupt-­‐
sächlich den innenseitigen Teil des Gelenks betrifft (im Bild rechts). Im Bild links (weißer Pfeil) ist der Ge-­‐
lenkspalt noch normal breit, rechts deutlich abgeflacht. Dies ist Folge des Abbaus von Gelenkknorpel, wodurch die Knochen direkt aufei-­‐
nander reiben und die Gelenkflä-­‐
chen sich verformen, die Beweglich-­‐
keit des Gelenks abnimmt und star-­‐
ke Schmerzen auftreten. Entnommen aus: http://www.aerztehaus-­‐
roden-­‐
stein.de/orthopaeden/arthrose.html b. Herz-­‐Kreislaufsystem und Lunge Strukturen: Hierzu gehören das Herz mit den 4 Herzkammern (rechte und linke Vorkammer, rechte und linke Herzkammer) und alle Blutgefäße. Durch die Herzklappen, das sind Rück-­‐
schlagventile zwischen den Vor-­‐ und Hauptkammern sowie zwischen Hauptkammern und den abgehenden großen Schlagadern, erfolgt ein zielgerichtetes und effektives Pumpen. Das Kreislaufsystem wird in den großen Kreislauf (alle von der linken Herzkammer ausgehende Blutversorgung er Peripherie), den kleinen Kreislauf (von der rechten Herzkammer ausge-­‐
hende Blutversorgung der Lunge) und die teilweise sehr spezialisierten Kreisläufe der ein-­‐
zelnen Organe unterteilt. Bei den Blutgefäßen unterscheidet man Arterien = Schlagadern, die das Blut vom Herzen in die Organe transportieren und Venen, die das Blut zum Herzen zurück transportieren. Die Schlagadern haben einen 3-­‐schichtigen Aufbau (s.u.): eine feine Innenhaut, eine muskuläre Mittelschicht und eine äußere Ernährungsschicht. Die Lunge, im Brustkorb mit rechtem und linkem Lungenflügel gelegen, wird über das Bron-­‐
chialsystem belüftet und enthält im Innern tausende von kleinen Lungenbläschen, der Flä-­‐
che zusammen genommen die Größe eines Fußballfelds erreicht. Funktionen: Die Blutversorgung und damit die Ernährung der Organe ist die entscheidende Funktion des Kreislaufs. Mit dem Blut wird nicht nur Sauerstoff und Nahrung transportiert, sondern andere wichtige Stoffe (Baustoffe, Hormone oder Abwehrkörper – s.u., Abschnitt „Blut und Immunsystem“). Das Herz als zentrale Pumpe bewirkt den Transport und hält den zum Transport notwendigen Druck (Blutdruck) aufrecht. Die Lunge dient dem Gasaustausch: Aufnahme von Sauerstoff für den Energiestoffwechsel und Abgabe von Kohlendioxid (CO2) als „Abfallprodukt“ der Verbrennung. Krankheitsbilder: Herzkreislauferkrankungen (HKE) sind die Volkskrankheit Nr. 1 und stellen mit Abstand die häufigste Todesursache dar (41,1 % HKE + 6,9 % Herzinfarkt in 2010). Zu Grunde liegt die Arteriosklerose, d.h. der vorzeitige Verschleiß der Schlagadern (Verhärtung, Einengung und Verschluss der Adern). Die Arteriosklerose ist in den industrialisierten Län-­‐
dern weit verbreitet und wird durch Risikofaktoren begünstigt: Rauchen, hoher Blutdruck, 18 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften erhöhte Blutfettwerte, erhebliches Übergewicht, Zuckerkrankheit, Bewegungsmangel, Dis-­‐
tress, psychosoziale Belastungen. Quelle: https://www.vitanet.de/herz-­‐kreislauf/khk-­‐angina-­‐pectoris/ursache/ Die Arterioskle-­‐
rose beginnt mit Einlagerungen unter die innere Gefäßhaut (En-­‐
dothel), was man Plaquebil-­‐
dung nennt. Bei Fortschreiten der Erkrankung „wächst“ der Plaque und engt die Schlagader ein. Im Endsta-­‐
dium kann es zum akuten Verschluss der Schlagader kommen. Die Folge der Arteriosklerose ist die Mangelversorgung der betroffenen Organe. Wenn es zu einem akuten Verschluss einer wichtigen Schlagader kommt, stirbt oft ein Teil des Organes ab, den diese Schlagader mit Blut versorgt hat. o Herzinfarkt Hier handelt es sich um den meist akuten Verschluss einer Herzkranzarterie. Diese Schlag-­‐
adern versorgen von außen den Herzmuskel mit Blut. Die Folge ist, dass ein mehr oder we-­‐
niger großer Teil des Herzmuskels (meist der linken Herzkammer) abstirbt. Die Gefahr ist, dass die restliche Pumpleistung des Herzens nicht mehr ausreicht und es zum Herzversagen kommt oder dass Herzrhythmusstörungen auftreten, die meist Ursache der plötzlichen To-­‐
desfälle bei Herzinfarkt darstellen. Vorbote des Herzinfarkts ist die meist belastungsabhän-­‐
gige, schmerzhafte Brustenge („Angina pectoris“) oft verbunden mit Luftnot. o Schlaganfall Die allermeisten Schlaganfälle sind durch arteriosklerotische Gefäßverschlüsse von Hirnarte-­‐
rien verursacht. Die Auswirkungen richten sich danach, wie groß die verschlossene Ader ist und welchen Hirnabschnitt sie mit Blut versorgt hat. Einige Schlaganfälle sind auch durch Blutgerinnsel verursacht, die sich oft an kranken Herzklappen bilden, sich ablösen, ins Ge-­‐
hirn (oder andere Organe) mit dem Blutstrom verfrachtet werden und dort eine Arterie ver-­‐
stopfen (sog. Embolie). Weniger oft entstehen Schlaganfälle durch Hirnblutungen infolge geplatzter Hirngefäße. Bei Verdacht auf Schlaganfall oder Herzinfarkt ist schnelles Handeln erforderlich, da die Be-­‐
handlungserfolge sehr davon abhängen, wie rasch die Behandlung begonnen wird. Obwohl die moderne Medizin zahlreiche Behandlungsoptionen bietet, wird es letztlich nur durch geeignete Präventionsmaßnahmen gelingen, diese Krankheiten einzudämmen (s.u.). o Chronisch obstruktive Lungenkrankheit Infolge einer chronischen Bronchitis kommt es zu vermehrter Schleimbildung und Einengung (Obstruktion) von Bronchien. Dies führt zu einem Luftstau in der Lunge, der die Lunge über-­‐
19 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften dehnt und letztlich zu einer Schädigung der Lungenbläschen führt (sog. Blählunge -­‐ Lungen-­‐
emphysem). Ursachen sind meist Umweltbelastungen bzw. Schadstoffe, die in der Luft ent-­‐
halten sind. Manchmal sind auch Allergien (allergisches Asthma) der Auslöser bzw. die Grundkrankheit. Die häufigste Schädigung kommt durch (inhalierendes) Zigarettenrauchen zustande, aber auch berufsbedingte Schädigungen sind hier zu nennen (Asbest, Bergbau, Holz-­‐ und Mehl-­‐
staub, Chemikalien, Dämpfe usw.). Krankheitsfolge ist eine stetige Abnahme der Lungen-­‐
funktion, im Endstadium kommt es zu heftigster Luftnot bei kleinsten Anstrengungen oder bereits in Ruhe. c. Verdauungssystem und Stoffwechsel Strukturen: Der Magen-­‐Darm-­‐Trakt beginnt im Mund, setzt sich mit Speisröhre und Magen fort, umfasst den Dünndarm (Zwölffingerdarm, Krummdarm und Leerdarm, insgesamt ca. 3-­‐
3,5 m lang), den Dickdarm (Blinddarm, Enddarm und Mastdarm, insgesamt ca. 1 bis 1,5 m lang) und die anhängenden Organe wie Leber / Galle und Bauchspeicheldrüse (Pankreas). Die Leber ist das wichtigste Organ des Stoffwechsels. Bild: Magen-­‐Darm-­‐Trakt als schematisches Modell Quelle: http://www.familienhilfe-­‐polyposis.de/assets/images/Magen-­‐Darm-­‐Trakt1.jpg Funktionen: Der Magen-­‐Darm-­‐Trakt dient dem Aufschluss der Nahrung und Aufnahme der verdaulichen Nahrungsbestandteile in den Körper. Zerkleinerung der Nahrung im Mund, Versetzung mit Säure und Fermenten im Magen als Zwischenspeicher, Hinzufügung weiterer Fermente durch Bauchspeicheldrüse und Lösungsvermittler (Galle), Zerlegung in kleine Bau-­‐
steine und Aufnahme dieser Bausteine im Dünndarm. Zu diesem Zweck weist der Dünndarm eine faltige Oberflächenstruktur („Zotten“) auf, wodurch eine Oberflächenvergrößerung auf 200 Quadratmeter erreicht wird. Im Dickdarm wird den unverdaulichen Bestandteilen Was-­‐
ser entzogen und der bis dahin flüssige Kot eingedickt. Die Bauchspeicheldrüse produziert außer Fermenten, die in den Zwölffingerdarm zusammen mit der Galle abgegeben werden, noch Insulin, welches an das Blut abgegeben wird, um den Zuckerstoffwechsel zu regulieren. 20 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Ferner hat der Magen-­‐Darm-­‐Trakt, den man sich auch als eine riesige Kontaktfläche zwi-­‐
schen Umwelt und Körper(innerem) vorstellen kann, eine wichtige Funktion in der Ausei-­‐
nandersetzung zwischen Mensch und Umwelt, damit bei der Allergieentstehung und für das Immunsystem. Die Leber ist die universelle „Stoffwechselfabrik“ des Körpers, die einerseits viele wichtige Körperbausteine produziert, andererseits für die Entgiftung zahlreicher Substanzen (Alkohol, Medikamente, Umweltgifte) sorgt. Krankheitsbilder: Häufige Krankheitsbilder neben den unten ausgewählten sind Magen-­‐ und Zwölffingerdarmgeschwüre, Gallensteinleiden, Lebercirrhose (Verhärtung und Schrumpfung der Leber am häufigsten durch Alkoholmissbrauch), Hepatitis (Leberentzündung), Diabetes (Zuckerkrankheit – s. Hormonsystem) und chronisch entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus CROHN oder Colitis ulcerosa. o Adipositas (starkes Übergewicht) Als Maß wird der sog. Body-­‐Mass-­‐Index (BMI) herangezogen: BMI = Körpergewicht (kg)/(Körpergröße(m))2 (Körpergewicht in Kilo dividiert durch: Körpergröße in Meter zum Quadrat) Der Normalbereich geht von 20 bis 25. Man spricht von (geringem) Übergewicht bei einem BMI bis zu 29,9, von Adipositas („Fettsucht“) Grad I bei einem BMI bis 34,9, Grad II bis 39,9 und Grad III bei einem BMI von 40 und mehr. Die Ursachen sind zum allergrößten Teil durch Fehlverhalten (Nahrung zu fett und zu viel), nur zu einem geringen Teil durch körperliche Krankheiten bedingt (z.B. Schilddrüsenunter-­‐
funktion). In manchen Kulturen gilt Adipositas auch als gesellschaftlich akzeptiert oder sogar erwünscht. Die Häufigkeit von Übergewicht in den industrialisierten Ländern ist groß. Jeder zweite Er-­‐
wachsene weist einen BMI von über 25 auf (60 % der Männer und 43 % der Frauen, nach: statist. Bundesamt 2009). Adipös im Sinne der obigen Definition (BMI über 30) sind 16 % der Männer und 14 % der Frauen. Bei Jugendlichen (13-­‐17 Jahre) beträgt die Prävalenz von Übergewicht in Deutschland bereits 17 %. Das ernährungsbezogene Fehlverhalten wird begünstigt durch sitzende Tätigkeiten, man-­‐
gelnde Bewegung, fettreiche Nahrung, Stress, psychische Probleme u.a. Adipositas stellt ein mehrfaches Risiko dar: Wirbelsäule und Gelenke (Arthrose) verschleißen schneller, die Häufigkeit von Herzkreislauferkrankungen (Herzinfarkt, Schlaganfall) nimmt zu, Diabetes mellitus Typ II (sog. Alterszucker, der bei adipösen Menschen aber schon mit 35 oder 40 Jahren auftreten kann) wird bei entsprechender Erbanlage ausgelöst – nur um die wichtigsten Gesundheitsfolgen zu nennen. Auch die seelischen Auswirkungen (Rückzug, De-­‐
pression, soziale Diskriminierung) sind bedeutsam. Ein besonderes Risiko für Herzinfarkt stellt der „androide Typ“ der Fettverteilung dar (Fett-­‐
ansammlung vorwiegend im Bauchraum, meist aber nicht nur bei Männern). Programme zur Gewichtsabnahme sind im Sinne der Prävention auch in der sozialen Arbeit wichtig. o Darmkrebs Unter Darmkrebs wird die von der innersten Schicht des Dickdarms (Epithelschicht) ausge-­‐
hende Krebsart (Karzinom) verstanden. Es ist bei Männern nach Prostatakrebs und bei Frau-­‐
en nach Brustkrebs die zweithäufigste Krebsart. Etwa 65.000 Menschen erkranken in Deutschland jährlich neu (Inzidenzrate Männer 63, Frauen 40 pro 100.000), 6 % er Bevölkerung erkranken im Lauf des Lebens (Lebenszeitprävalenz), die Mortalitätsrate (Sterblichkeit) beträgt etwa die Hälfte der Inzidenzrate. 21 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Der Darmkrebs kann zur Verengung des Darmes und Darmverschluss führen bzw. führt durch Absiedelungen (Metastasen) zum Befall weiterer Organe (Leber, Lunge u.a.). Da bei Diagnosestellung bereits 25 % der Patienten Metastasen aufweisen, kommt der Prävention und Früherkennung besondere Bedeutung zu. Vorstufen von Darmkrebs sind Polypenbil-­‐
dungen ( gutartige Schleimhautwucherungen, aus denen später Krebs entsteht). Ursachen von Darmkrebs: •
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genetischen Veranlagung zu Polypenbildungen falsche Ernährung (zu wenig pflanzliche Nahrung, zu wenig Ballaststoffe, zu viel Fett) Giftstoffe (z.B. Alkohol) Bewegungsmangel soll ebenfalls ein erhöhtes Risiko bewirken. Die Erfolgsaussichten (5-­‐Jahresüberlebensrate) der Behandlung hängen in erster Linie vom Krebsstadium bei Diagnosestellung ab, betragen im Frühstadium 85 – 100 %, im Spätstadi-­‐
um nur noch 30 %, insgesamt sind es 63 %. Empfehlungen zur Prävention umfassen: ausgewogene Ernährung mit einem hohen Anteil an pflanzlicher Nahrung und Ballaststoffen, Vermeidung von toxischen Nahrungsbestandteilen (z.B. größere Alkoholmengen) und viel Bewegung. Früherkennungsmaßnahmen umfassen regelmäßige Stuhluntersuchungen und Austastung des Mastdarms. Damit werden jedoch nur 60-­‐70 % der Krebserkrankungen erfasst. Die vollständige Darmspiegelung ist am effektivsten, sollte ab dem 50. Lebensjahr zweimal im Abstand von 10 Jahren erfolgen, bei genetischer Disposition zu Polypenbildungen früher und öfter. d. Urogenital-­‐und Reproduktionssystem Strukturen: Zum Harntrakt gehören die Nieren, die Harnleiter, die Harnblase und die Harn-­‐
röhre, zum Reproduktionssystem die inneren und äußeren Geschlechtsorgane und die Brustdrüsen. Funktionen: Die Nieren dienen der Regulation des Flüssigkeits-­‐ und Salzhaushaltes, der Ent-­‐
fernung von (wasserlöslichen) Stoffwechselendprodukten (z.B. Harnstoff) und von Giftstof-­‐
fen, wobei wichtige Stoffe (Eiweiß, Salze, Wasser, Hormone …) durch die Nieren zurückge-­‐
halten werden. Ferner spielen die Nieren eine wichtige Rolle bei der Blutdruckregulation (Produktion des Hormons Renin) und der Bildung von roten Blutkörperchen (Produktion des Hormons Erythropoetin – EPO). Die Geschlechtsorgane dienen der Reproduktion (Fortpflanzung) und sind ebenfalls an der Bildung zahlreicher Hormone (männliche bzw. weibliche Sexualhormone) beteiligt. Krankheitsbilder: Aus der Fülle von Krankheitsbildern können nur wenige herausgegriffen werden. o Brustkrebs Mit Abstand häufigste Krebsart der Frau, jährlich erkranken in Deutschland ca. 74.500 Frauen neu (2012). Ursachen von Brustkrebs: •
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Genetisches Risiko Rauchen Hormontherapien (Pille?) Alkoholkonsum Übergewicht fettreiche Ernährung geringe körperliche Aktivität (zitiert nach: http://www.krebsgesellschaft.de/onko-­‐internetportal/basis-­‐informationen-­‐
krebs/krebsarten/brustkrebs/ursachen-­‐und-­‐risikofaktoren.html) 22 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Neben Prävention spielt die Früherkennung eine wesentliche Rolle und sollte ab dem 30. Lebensjahr durch regelmäßige gynäkologische Vorsorge erfolgen. Die Röntgenuntersuchung (Mammographie) wird kontrovers diskutiert, ist in bestimmten Fällen unerlässlich und stellt ab dem 40. Lebensjahr kein zusätzliches (Strahlen-­‐)Risiko dar. Brustkrebs (Mammakarzinom) ist die häufigste Krebsart bei der Frau, kommt im übrigen auch bei Männern vor (ca. 1:100). In Deutschland beträgt die Inzidenzrate ca. 124/100.000, die Mortalitätsrate etwa 25/100.000. Die Letalität liegt um die 30%. In den Industrienationen ist Brustkrebs häufiger. Die Ursachen liegen in den o.a. Risikofaktoren. Niedrigeres Risiko haben Frauen, die früh Kin-­‐
der bekommen und lange stillen. Bild: Frühstadium eines Brustkrebses (Pfeil) im Röntgenbild (Mammographie) Quelle: http://members.aon.at/manfreda/mammo-­‐2.jpg Neben den bildgebenden Verfahren (Mammographie, Ultraschall und Magnetresonanzto-­‐
mographie, MRT) ist die Selbstuntersuchung der Brust die wichtigste Maßnahme: ca. 90 % der Brustkrebse wurden so entdeckt. Allerdings ist die Geschwulst dann oft bereits ziemlich groß, so dass die Selbstuntersuchung nicht die gynäkologische Vorsorge ersetzt. Behandlungsoptionen sind Operation, Bestrahlung, Chemotherapie und evtl. Hormonthera-­‐
pie. Die Aussichten hängen neben dem Krebsstadium davon ab, um welche feingewebliche Krebsart es sich handelt, ob ggf. beide Brüste betroffen sind und ob die Krebszellen sog. Hormonrezeptoren besitzen. Bei frühzeitiger Entdeckung und günstigen Faktoren ist Brust-­‐
krebs häufig heilbar (5-­‐Jahres Überlebensrate heute ca. 85%). o Prostatakrebs Der Krebs der Vorsteherdrüse (Prostata) ist vor dem Bronchialkrebs die häufigste Krebsart des Mannes. Inzidenzraten werden (altersstandardisiert) mit 111/100.000 und die Mortali-­‐
tätsrate mit 21/100.000 angegeben (2008). Daraus folgt, dass die Sterblichkeit (Letalität) nicht so hoch ist wie bei anderen Krebsarten, weil der Krebs langsam wächst. Viele ältere Männer haben Prostatakrebs, ohne es zu wissen und ohne daran zu sterben. Dennoch ist je-­‐
der dritte Todesfall durch Krebs bei Männern darauf zurückzuführen. Die Prävalenz (s. Bild) ist stark altersabhängig. Die Ursachen von Prostatakrebs sind weitgehend unklar. Sicher ist, dass es ein genetisches Risiko gibt. Ob sexuelle Aktivität oder gar bestimmte Sexualpraktiken das Risiko erhöhen, ist unklar. Belegt ist, dass das männliche Sexualhormon (Testosteron) einen stimulierenden Ein-­‐
fluss auf die Prostata und wahrscheinlich auch auf Krebszellen hat. Bei Testosteronmangel kommt es fast nie zum Prostatakrebs. Die bei älteren Männern fast immer vorhandene Ver-­‐
größerung der Prostata (sog. Prostatahyperplasie) stellt jedoch kein Risiko dar. Auch hier ist die regelmäßige Vorsorgeuntersuchung zur Früherkennung die wichtigste Maßnahme. Rektale Untersuchung (Abtasten der Prostata vom Mastdarm aus – mit etwas Übung auch selbst durchführbar) und Laborkontrollen sind effektiv. Neben der Urinuntersu-­‐
23 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften chung ist die PSA-­‐Bestimmung (PSA = prostata-­‐spezifische Antigen, ein spezieller Blutwert) regelmäßig anzuraten. Ultraschalluntersuchungen sind ebenfalls hilfreich. Altersabhängigkeit des Prostatkrebses, entnommen aus: http://www.euromed.de/medizin/behandlungsspektrum/krankheitsbild/prostata/Prostata_Abb_1_D
iagramm_Prostatakrebs_und_Alter.png Als Behandlungsverfahren kommen wie bei anderen Krebsarten Operation, Bestrahlung und Chemotherapie, evtl. auch Hormonblocker-­‐Therapie in Frage. Von radikalen Operationen kann heute vor allem bei älteren Männern abgesehen werden: hier genügt oft die lokale Ausschälung verbunden mit gezielter Nachbestrahlung. Die 5-­‐Jahresüberlebens-­‐rate beträgt ca. 92 %. o Chronische Nierenschädigung und Dialyse Eine chronische Schädigung der Nieren wird am häufigsten durch Diabetes mellitus (Zucker-­‐
krankheit) und Bluthochdruck bewirkt. Auch die übermäßige und langjährige Einnahme von Schmerzmitteln führt zum Nierenversagen („Analgetika-­‐Nephropathie“). Seltener kommt es auch durch Nierenentzündungen (nicht: Harnwegsinfekte!) zu Nierenschädigungen. Im End-­‐
stadium der Nierenschädigung muss die Behandlung durch Blutwäsche (künstliche Niere – Dialysebehandlung) oder durch Nierentransplantation erfolgen. In Deutschland gibt es etwa 57.000 DialysepatientInnen (Statistik 2012) und 24.000 Nierentransplantierte. Die Dialyse-­‐
behandlung kostet jährlich ca. 60.000 € pro Patient. e. Blut-­‐ und Immunsystem Strukturen: Blut enthält Flüssigkeit mit zahlreichen, darin gelösten Stoffen sowie zelluläre Bestandtteile. Die Blutzellen werden vom Knochenmark (rote und weiße Blutkörperchen und Blutplättchen), bestimmte weiße Blutkörperchen (s. Immunsystem) auch von Lymph-­‐
knoten und Milz produziert. Die gelösten Blutbestandteile werden von der Leber und ande-­‐
ren Organen (z.B. Hormondrüsen) gebildet und an das Blut abgegeben. Das Immunsystem besteht aus bestimmten Zellen (Lymphozyten und andere) und spezifi-­‐
schen Eiweißkörpern (Antikörper), die unterschiedlich Aufgaben haben. Die Zellen und Anti-­‐
körper des Immunsystems werden in Lymphknoten, Milz und Knochenmark gebildet, zu-­‐
mindest in den ersten Lebensjahren auch in der Thymusdrüse. 24 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Funktionen: Das Blut (Blutmenge ca. 4,5 Liter) ist das Haupttransportmittel des Körpers, wodurch Sauerstoff, Nährstoffe, Hormone, „Abfälle“ usw. im Körper verteilt werden bzw. an die richtige Stelle gelangen. Das Immunsystem reguliert die Auseinandersetzung des Körpers mit der Umwelt. Immunreaktionen spielen sich deshalb sehr häufig an den Kontaktflächen zwischen Körper und Umwelt ab. Die Kontaktflächen sind Haut, Schleimhäute, Atemwege (mit Bronchialsystem) und Magen-­‐Darm-­‐Trakt. Die Aufgabe ist, Fremdstoffe (Bakterien, Viren, Gifte usw.) unschädlich zu machen. Es spielt auch eine Rolle bei der Entstehung von Allergien (Überempfindlichkeitsreaktionen). Neben den lokalisierten Immunreaktionen (wie z.B. bei Kontaktallergien der Haut) sind auch Allgemeinreaktionen (sog. systemische Reaktionen wie beim allergischen Schock) möglich. Abwehrreaktionen umfassen drei Möglichkeiten: • unspezifische Abwehr durch weiße Blutkörperchen (Granulozyten, „Freßzellen“, „Killerzellen“) • spezifische Abwehr durch verschiedene Lymphozytenarten • spezifische Abwehr durch Antikörper (Antigen-­‐Antikörper-­‐Reaktionen) Das Immunsystem zeichnet eine wesentliche Eigenschaft aus: es vermag zwischen körpereigenen Stoffen und körperfremden Stoffen zu unterscheiden. Diese Unterscheidungsfähigkeit ist bei den sog. Autoimmunkrankheiten verloren gegangen (s.u.). Krankheitsbilder: die häufigste Blutkrankheit ist die Anämie (Blutarmut). Gerade bei Mädchen / Frauen mit starken Regelblutungen kommt es häufig zu Blutarmut. Zur Blutbildung sind Eisen und bestimmte Vitamine erforderlich. o Autoimmunkrankheiten Grundlage aller Autoimmunkrankheiten ist, dass körpereigene Stoffe oder körpereigenes Gewebe fälschlicherweise als „fremd“ erkannt werden und Abwehrvorgänge sich dagegen richten. Dies führt zu einer erheblichen Schädigung oder gar Zerstörung körpereigener Strukturen. Die Ursachen sind letztlich unklar, eine genetische Disposition und/oder Ähn-­‐
lichkeit von Fremdmaterial mit körpereigenen Substanzen spielen eine Rolle. Warum eine Autoimmunkrankheit jedoch zu einem bestimmten Zeitpunkt ausbricht, kann selten be-­‐
gründet werden. Man vermutet, dass hierbei Umweltbelastungen (Infektionen, Gifte bis hin zu Stress und psychischen Faktoren) eine Rolle spielen. Die wichtigsten Autoimmunkrankheiten sind: Autoimmunhepatitis, bestimmte Formen der chronischen Gastritis, Colitis ulcerosa, Dermatomyositis („Muskelrheuma“), Diabetes melli-­‐
tus Typ 1, Basedow’sche Erkrankung ( Schilddrüsenüberfunktion), Morbus Bechterew der Wirbelsäule, Morbus Crohn, Multiple Sklerose und Gelenkrheuma (Polyarthritis). Eine ursächliche Behandlung existiert nicht, durch bestimmte Medikamente, die allgemein Immunreaktionen unterdrücken (Immunsuppressiva – u.a. Cortison), lassen sich die Symp-­‐
tome reduzieren. o
HIV und AIDS HIV bedeutet Humanes Immundefizienz Virus. Viren sind infektiöse Partikel, bestehend aus Kapsel und genetischem Material (DNS oder RNS), die sich jedoch nur innerhalb einer Wirts-­‐
zelle vermehren können, da sie nicht über einen eigenen Stoffwechsel verfügen. Nach der Ansteckung kommt es zu einer akuten HIV-­‐Infektion, die mit grippeähnlichen Symptomen verläuft und daher meist nicht erkannt wird. Später lassen sich Antikörper ge-­‐
gen das HIV-­‐Virus nachweisen (ein negativer HIV-­‐Test unmittelbar nach fraglichem Kontakt sagt daher nichts, müsste nach einigen Wochen wiederholt werden). Erst nach Jahren kann sich das Krankheitsbild „AIDS“ entwickeln (AIDS = Aquired Immunodeficiency Syndrom – er-­‐
worbenes Immundefekt-­‐Syndrom). Dies entsteht durch langsame Zerstörung bestimmter 25 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Lymphozyten (die sog. CDT4 Helfer Zellen), die für die spezifische zelluläre Abwehr benötigt werden. Im Mittel nach 10 Jahren kommt es dadurch zu vermehrten, teils schweren und le-­‐
bensbedrohlichen Infektionen mit Keimen (Bakterien, Pilze, Parasiten), die bei intaktem Immunsystem sonst problemlos beseitigt werden. Das HIV-­‐Virus wird nur durch inten-­‐
siven Kontakt mit Körperflüssigkei-­‐
ten (Blut, Sperma, Vaginalsekret, Muttermilch) über Verletzungen oder Schleimhäute übertragen. Das Infektionsrisiko hängt von Art und Häufigkeit des Kontakts ab, von der Viruskonzentration der Körperflüs-­‐
sigkeit und von der sog. Viruslast des Blutes. Durch Gegenstände oder einfachen Kontakt (Händeschütteln, auch Küs-­‐
se ohne Verletzung der Mund-­‐
schleimhaut) oder Tröpfchen (Nies-­‐
sen, Husten) wird das Virus nicht übertragen. HIV-­‐Virus (schematische Abbildung, Größe des Virus etwa 0,1 µm (mikrometer, 1 µm = 1000 mm) Quelle: http://www.vircolab.com/content/backgrounders/www.vircolab.com/hiv_virus.gif In Deutschland gab es Ende 2014 etwa 83.400 HIV-­‐Infizierte, 82 % sind Männer (etwa jeder tausendste Mann). Als Infektionsweg wird vermutet: homosexueller Sex (65 %), heterosexu-­‐
eller Sex (22%), Drogenabhängigkeit (Spritzen) und Migration aus Ländern mit hoher HIV-­‐
Durchseuchung jeweils etwa 10 – 11 %. 3.200 Menschen erkrankten neu (84% Männer), 480 Personen verstarben an AIDS-­‐Folgen (Angaben des RKI 2015). Weltweit ist die Situation wesentlich dramatischer, wie die folgende Tabelle zeigt: Regionale Statistik 2010 (Quelle: UNAIDS 2011, Bild: stepmap.de)
Weltregionen
Menschen
Neuinfektionen
an Aids vermit HIV
2010
storben
Sub-Sahara Afrika
Süd- und SüdOst-Asien
Ost-Asien
Latein-Amerika
Nord-Amerika
West- und Zentral-Europa
Ost-Europa und
Zentral-Asien
Karibik
Mittlerer Osten
und Nord-Afrika
Ozeanien
Gesamt
HIV-Prävalenz Erwachsene (%)
22,9 Mio.
1,9 Mio.
1,2 Mio.
5,0 %
4,0 Mio.
270 Tsd.
250 Tsd.
0,3 %
790 Tsd.
1,5 Mio
1,3 Mio.
840 Tsd.
88 Tsd.
100 Tsd.
58 Tsd.
30 Tsd.
56 Tsd.
67 Tsd.
20 Tsd.
9,9 Tsd.
0,1 %
0,4%
0,6%
0,2
1,5 Mio.
160 Tsd.
90 Tsd.
0,9%
200 Tsd.
470 Tsd.
12 Tsd.
59 Tsd.
9 Tsd.
35 Tsd.
0,9%
0,2%
54 Tsd.
34 Mio.
3,3 Tsd.
2,7 Mio.
1,6 Tsd.
1,8 Mio.
0,3%
26 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften In 2013 wird von UNAIDS die Gesamtzahl der HIV-­‐Infizierten mit 35 Millionen Menschen an-­‐
gegeben, die Zahl der Neuinfektionen mit 2,1 Millionen, die Verstorbenen mit 1,5 Millionen. Im Vergleich zu 2010 sind Neuinfektionen und Todesfälle also rückläufig. Die Prävention von HIV-­‐Infektionen erfolgt durch Schutz vor Kontakt mit infizierten Körper-­‐
flüssigkeiten, in erster Linie durch geschützten Geschlechtsverkehr (Kondome). In diesem Zusammenhang ist die Kampagne „Gib AIDS keine Chance“ besonders zu erwähnen, die seit 25 Jahren von der BZgA geführt wird: https://www.gib-­‐aids-­‐keine-­‐chance.de/wissen/aids_hiv/massnahmen_gegen_hiv_und_aids.php Die Behandlungsmöglichkeiten sind heute wesentlich verbessert, eine differenzierte Darstel-­‐
lung der Medikamente (sog. antiretrovirale Medikamente) würde den Rahmen hier spren-­‐
gen. f. Hormone Strukturen und Funktionen: hierzu rechnen alle hormonproduzierenden Organe und Zellen, das sog. endokrine System. Zu den Endokrinen Drüsen gehören: Hypothalamus–Hypophysen-­‐System (Hypothalamus ist ein bestimmter Bereich des Zwi-­‐
schenhirns, Hypophyse die Hirnanhangsdrüse, unterteilt in Vorderlappen und Hinterlappen). Hypophysenvorderlappen(HVL) Zum einen werden hier die Steuerhormone gebildet, die wiederum die Hormonproduk-­‐
tion anderer Drüsen kontrollieren, z.B. das Steuerhormon der Schilddrüse (TSH), der Ne-­‐
benniere (ACTH) und der Keimdrüsen (FSH und LH). Weitere Hormone des HVL sind Prolactin (stimuliert die Milchproduktion des Brustdrüsen) Somatotropin (Wachstumshormon, regt die Entwicklung der Körpergewebe an, insbe-­‐
sondere der Knochensubstanz und der Muskeln und beeinflusst den Kohlenhydratstoff-­‐
wechsel) Melanozyten stimulierendes Hormon (MSH, regelt die Färbung der Pigmentzellen den Haut) Endorphine (auch „Glückshormone“ genannt; bewirken Wohlgefühl und vermindern die Schmerzempfindung) Hypophysenhinterlappen (HHL) Oxytocin (regt die Muskelkontraktion der Gebährmutter an und sorgt dafür, dass die Brustdrüsen nach der Geburt eines Kindes Milch produzieren; im Gehirn stimuliert es auf Reproduktion gerichtetes Verhalten und fördert Vertrauen) Vasopressin oder antidiuretisches Hormon (ADH, Regelung der Wasserausscheidung, Be-­‐
teiligung an der Blutdruckregulation) Zirbeldrüse (hinterer, kleiner Anhangsteil des Zwischenhirns) Bildung von Melatonin, welches den Schlaf-­‐Wach-­‐Rhythmus regelt und lichtgesteuert produziert wird. Schilddrüse Trijodthyronin (T3) und Thyroxin (T4) (bewirken in fast allen Körperzellen eine Steige-­‐
rung des Energiestoffwechsels) Calcitonin (reguliert zusammen mit Parathormon (s. unten) den Calcium-­‐ und Phosphat-­‐
stoffwechsel durch Hemmung von Knochenabbau) Nebenschilddrüse (die sog. Epithelkörperchen) Parathormon (PTH, erhöht den Calciumspiegel im Körper durch vermehrten Knochenab-­‐
bau) Nebenniere (oberhalb der Nieren gelegen, unterteilt in Nebennierenmark und –rinde) 27 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Nebennierenrinde (produziert die sog. Steroidhormone) Cortisol (stimuliert den Zucker-­‐, Fett-­‐ und Eiweißstoffwechsel, Stresshormon, unter-­‐
drückt die Immunabwehr) Aldosteron (reguliert den Salzhaushalt, hemmt in den Nieren die Natriumausscheidung) Sexualhormone (weibliche –Östrogene-­‐ und männliche –Androgene-­‐ Hormone in Ergän-­‐
zung der Produktion durch die Keimdrüsen) Nebennierenmark Adrenalin und Noradrenalin (das sind die sog. Katecholamine, die bei Stress ausgeschüt-­‐
tet werden und zahlreiche Körper-­‐ und Stoffwechselreaktionen auslösen, Beteiligung an der Blutdruckregulation) Langerhanssche Inseln der Bauchspeicheldrüse („Inselzellen“)) Insulin (Regulation des Zuckerstoffwechsels, Senkung des Blutzuckers –Glucose-­‐ durch Steigerung der Aufnahme von Glucose in die Körperzellen) Spezialisierte Zellen in den Keimdrüsen Hoden (produzieren das Testosteron, welchen die Bildung von Spermien stimuliert und männliche Merkmale fördert) Ovarien (Eierstöcke, produzieren das Gelbkörperhormon Progesteron, bereitet die Ge-­‐
bährmutterschleimhaut auf die mögliche Einnistung eines befruchteten Eis vor) Weitere spezialisierte Zellen in verschiedenen Organen (Herz, Magen-­‐Darm-­‐Trakt, Plazenta) -­‐ wird hier nicht ausgeführt. Krankheitsbilder o Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) Man unterscheidet zwei Arten der Zuckerkrankheit: Diabetes mellitus Typ I (sog. juveniler, also “jugendlicher”) Diabetes -­‐ ca. 5 -­‐ 10% der Diabe-­‐
teserkrankungen. Hierbei handelt es sich um eine Autoimmunkrankheit (s.o.), bei der Antikörper gegen die sog. Inselzellen der Bauchspeicheldrüse gebildet werden und diese Zellen letztlich zerstören. Folge ist ein Insulinmangel und dadurch Anstieg des Blutzuckers. Da ein Insulinmangel vor-­‐
liegt, muss Insulin gespritzt werden, um den Zuckerspiegel zu senken. Da Insulin ein Eiweiß-­‐
stoff ist, kann es nicht oral mit der Nahrung zugeführt werden, da es durch die Verdauungs-­‐
fermente sofort inaktiviert werden würde. Diabetes mellitus Typ II (sog. Alterszucker) -­‐ ca. 90 – 95 % der Diabeteserkrankungen. Bei den meist übergewichtigen Patienten fehlt es nicht an Insulin, sondern das Insulin kann seine Wirkung an den Körperzellen nicht entfalten (sog. Insulinresistenz). Zu Grunde liegt ei-­‐
ne erbliche Störung, die sich aber erst bei Fehlernährung und dadurch bedingtes Überge-­‐
wicht bemerkbar macht. Die Behandlung erfolgt durch Gewichtsabnahme und Medikamen-­‐
te, die die Insulinwirkung (des körpereigenen Insulins) verbessern sollen. In bestimmten Fäl-­‐
len muss zusätzlich Insulin gespritzt werden. Der Begriff „Alterszucker“ klingt verharmlo-­‐
send; die Spätschäden (s.u.) sind genauso gravierend wie beim Diabetes Typ I; zudem kann die Krankheit bei entsprechender Veranlagung und Fehlernährung bereits mit 35 bis 40 Jah-­‐
ren auftreten. Gefürchtet sind die Spätschäden der Zuckerkrankheit: Schädigung der Augen (Blindheit), der Nieren (Nierenversagen), der peripheren Nerven (Gefühlsstörungen) und des Gehirns (Schlaganfall). Diabetes gehört zu den großen Volkskrankheiten der Industrienationen. In Deutschland sind aktuell 9 % der Bevölkerung betroffen, d.h. über 7 Millionen Menschen, vor 10 Jahren waren es nur 6 %. In der Gruppe der über 60-­‐Jährigen ist die Prävalenz sogar 30 %. Etwa 5 – 10 % der Gesundheitskosten entfallen auf die Behandlung der Zuckerkrank-­‐
28 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften heit bzw. deren Spätschäden. Insgesamt „kostet“ die Zuckerkrankheit 32 Milliarden Euro pro Jahr. o Schilddrüsenüber-­‐ und -­‐unterfunktion Die Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) ist gekennzeichnet durch eine unzureichende Versorgung der Körperzellen mit Schilddrüsenhormonen. Die mangelhafte oder sogar feh-­‐
lende Produktion der Schilddrüsenhormone ist entweder angeboren oder -­‐ häufiger – er-­‐
worben z.B. durch Jodmangel, was auch zur Kropfbildung führt. Die häufigsten Beschwerden sind: leichte Ermüdbarkeit, allgemeine Schwäche, ständiges Frieren, Kälteintoleranz, Kon-­‐
zentrationsschwäche, Haarausfall, Depression (!). Die Symptome können durch Einnahme von Schilddrüsenhormon (Thyroxin) vollständig beseitigt werden. -­‐ Bei der Schilddrüsenüber-­‐
funktion (Hyperthyreose) werden mehr Schilddrüsenhormone produziert, als der Körper braucht. Die Folge ist ein gesteigerter Stoffwechsel des Organismus. Häufigste Ursache ist eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse z.B. Basedowsche Erkrankung oder gutartige Tumoren. Als Beschwerden kommen vor: allgemeine Unruhe, Nervosität, Herzjagen, Ge-­‐
wichtsabnahme trotz starken Appetits, Erhöhung der Körpertemperatur, starkes Schwitzen, häufiger Stuhlgang oft mit Durchfall verbunden u.a. Die Behandlung erfolgt medikamentös, durch Bestrahlung (Gabe von radioaktivem Jod) oder durch Operation. g. Sinnesorgane und Haut Strukturen: Die Haut ist eines der größten Organsysteme des Menschen, die Oberfläche be-­‐
trägt ca. 1,7 m2. Zum System Haut gehören auch die Hautanhangsgebilde wie Haare mit Haarbalgmuskel und Haarfollikel (Keimzentren der Haare), Nägel, Schweißdrüsen, Talkdrü-­‐
sen, Milchdrüsen. Auch spezielle Strukturen wie die Augenlider rechnen dazu. Die Haut hat einen 3-­‐schichtigen Aufbau (Oberhaut, Lederhaut und Unterhaut). In der Haut liegen spezia-­‐
lisierte Zellen wie Pigmentzellen oder Sinneszellen (Tast-­‐ und Schmerzsinn). Sinnesorgane sind ferner Augen, Ohren, Nase (Geruchssinn), Zunge (Geschmackssinn). Funktionen: Die Haut ist ein Grenzorgan zwischen Körper und Umwelt, daher hat sie eine Abwehrfunktion (Reaktionen des Immunsystems). Die Haut reguliert den Wärmehaushalt (z.B. durch Schwitzen). Durch die Pigmentzellen schützt die Haut vor schädlicher Strahlung (UV-­‐Strahlung). Sie ist auch Kontakt-­‐ und Sinnesorgan (Tastsinn, Temperatursinn, Schmerz-­‐
sinn). Ferner gilt die Haut auch als Stammzellreservoir (Stammzellen sind Körperzellen, die sich in verschiedene Zelltypen oder Gewebe differenzieren können. Je nach Art der Stamm-­‐
zelle und ihrer Beeinflussung haben sie das Potential, sich in jegliches Gewebe (sog. embry-­‐
onale Stammzellen) oder in bestimmte festgelegte Gewebetypen (sog. adulte Stammzellen) zu entwickeln. Krankheitsbilder o Schwerhörigkeit Die Einschränkung des Hörvermögens wird als Schwerhörigkeit, die weitgehende Aufhebung des Hörvermögens als Taubheit bezeichnet. Die Diagnose erfolgt mittels Audiogramm (Hör-­‐
schwellenkurve). Im Bild das normale Audiogramm (obere Kurve) und das Audiogramm bei Schwerhörigkeit (untere Kurve), die meist in bestimmten Frequenzbereichen in Erscheinung tritt. Die Ursache einer Schwerhörigkeit liegt entweder im Mittelohr (gestörte Schallleitung) oder im Innenohr (gestörte Schallempfindung). Nur bei der Schallleitungsschwerhörigkeit kom-­‐
men evtl. operative Maßnahmen oder Hörgeräte in Betracht zur Verbesserung der Schalllei-­‐
tung im Mittelohr. 29 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Quelle: www.bzga.de/bzga_stat/lug/kap33/images/a194.gif In Deutschland gibt es etwa 4 bis 6 Millionen Hörgeschädigte, überwiegend Menschen hö-­‐
heren Alters, von denen fast eine Million mit Hörgeräten versorgt sind. Bei Kindern wird ei-­‐
ne Schwerhörigkeit nicht immer frühzeitig entdeckt. Es entsteht manchmal der Eindruck ei-­‐
ner Minderbegabung, wenn ein Kind wegen Schwerhörigkeit z.B. dem Schulunterricht nicht folgen kann. Daher muss vom Kinderarzt bei den Vorsorgeuntersuchungen stets das Hör-­‐
vermögen geprüft werden. o Endogenes Ekzem bzw. Neurodermitis Der Begriff „endogen“ deutet auf innere Gründe bei der Entstehung. Bei einem endogenen Ekzem ist dies eine genetische Veranlagung – sie betrifft etwa zehn Prozent der Bevölke-­‐
rung. Das häufigste endogene Ekzem ist das so genannte atopische Ekzem – die Neuroder-­‐
mitis. Kinder erkranken in einer Häufigkeit von etwa 30 % an einer Neurodermitis, wenn bereits ein Eltern-­‐
teil unter dieser Hautkrankheit leidet. Ist bei bei-­‐
den Elternteilen ein endogenes Ekzem aufgetre-­‐
ten, so erkranken etwa 60 % der Kinder. Häufig leiden die Betroffenen auch unter Bronchialasth-­‐
ma, Heuschnupfen oder Nahrungsmittelallergien. Psychische Faktoren verursachen das Ekzem zwar nicht, können jedoch zu einer Verschlimmerung beitragen. Typisch ist die Lokalisation an den Streckseiten der Extremitäten (s. Foto). 30 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften h. Nervensystem und Psyche Quelle: www.uni-­‐potsdam.de/portal/mai04/bilder/gehirn.jpg Strukturen: Man unterscheidet peripheres und zentrales Nervensystem. Das periphere Ner-­‐
vensystem bildet die Brücke des Zentralnervensystems zu allen Körperteilen. Jeder einzelne dieser Nerven ist ein Bündel aus sensorischen (Sinneseindrücke zum Gehirn leitende) und motorischen (Muskelbewegungen auslösende) Nervenfasern. 43 Nervenpaare verlassen das Rückenmark zu den Organen. Zwölf von ihnen bilden die Hirnnerven, die den Schädel an der Schädelbasis verlassen. Die übrigen 31 Paare, die sog. Spinalnerven, treten zwischen den Wirbelkörpern aus dem Rückenmark Das Zentralnervensystem besteht aus dem Rückenmark und dem Gehirn. Das Rückenmark ist der gemeinsame Kabelkanal für Nervenfasern, die entweder absteigend (motorisch) oder aufsteigend (sensibel) sind. Das Gehirn besteht aus verlängertem Mark, Mittelhirn, Zwi-­‐
schenhirn, Kleinhirn und Großhirn. Funktionen: Das periphere Nervensystem stellt die Verbindung von den Sinnesorganen zum Gehirn her (sensorische Bahnen) und z.B. als motorischen Bahnen die Verbindung vom Ge-­‐
hirn zu den Organen. Daneben gibt es noch das autonome Nervensystem, welches sowohl aufsteigende wie absteigende Nervenbahnen enthält. Funktionell ist es gegliedert in Sympa-­‐
thikus („Stresssystem“) und Parasympathikus („Erholungssystem“). Es reguliert die Tätigkeit innerer Organe (Darm, Herzschlag, Atmung usw.). Die Teile des Gehirns haben sehr unterschiedliche Funktionen, deren Beschreibung den Rahmen sprengen würde (s.a. Hormonsystem). Was den Menschen auszeichnet, sind die Fähigkeiten der Großhirnrinde. Ausschließlich deren Aktivitäten kommen zum Bewusstsein. Im Großhirn steht eine Nervenzelle in Kontakt mit hunderten bis tausenden anderer Ner-­‐
venzellen über Kontaktstellen, die sog. Synapsen (neuronales Netzwerk, Neuron = Nerven-­‐
zelle). Dies ist die Basis für Assoziationen bzw. typische Reaktions-­‐ und Verhaltensmuster. 31 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Neuronale Netzwerke sind dynamisch, d.h. Anzahl und „Leichtgängigkeit“ der Synapsen sind veränderbar (auch im Alter). Durch Lernvorgänge erhöht sich z.B. die Synapsendichte. Quelle: www.jdw-­‐online.de/pages/de/image73584
Das Großhirn ist in sog. Areale unterteilt, denen spezielle Funktionen zugeordnet werden
können (z.B. das Broca- und Wernicke-Areal für Sprachmotorik und Sprachsensorik).
Quelle: http://arbeitsblaetter.stangl-­‐taller.at/GEHIRN/gehirn.gif Krankheitsbilder o Demenz Demenz ist der (vorzeitige) Abbau der geistigen und psychosozialen Fähigkeiten infolge ei-­‐
nes Absterbens von Nervenzellen im Großhirn. Es gibt verschiedene Formen bzw. Ursachen von Demenz. Die häufigste Form ist die Demenz vom ALZHEIMER-­‐Typ und betrifft 2/3 aller Fälle. Die zweithäufigste Form wird durch Arteriosklerose von kleinen Hirnarterien ausgelöst z.B. durch Bluthochdruck oder Diabetes. Insgesamt gibt es in Deutschland ca. 1,4 Millionen Demenzkranke (Prävalenz 2009). Auf Grund der demographischen Entwicklung ist in 2050 mit 3 Millionen Erkrankten zu rechnen. Pro Jahr kommen ca. 40.000 Fälle dazu (Inzidenz). Die Erkrankung ist stark altersabhängig, die Prävalenz steigt von 1,6 % (65-­‐Jährige) auf 26 % (85-­‐Jährige). Zur Epidemiologie siehe: https://www.deutsche-­‐
alzheimer.de/fileadmin/alz/pdf/factsheets/infoblatt1_haeufigkeit_demenzerkrankungen_dalzg.pdf 32 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften o Depression Eine Depression macht sich durch (anhaltende) Niedergeschlagenheit, Rückzug, Antriebsar-­‐
mut, Interessenverlust, starke Ermüdbarkeit, Konzentrations-­‐ und Gedächtnisprobleme, Schlafstörungen, Grübeleien, Schuldgefühle, innere Leere und häufig auch Suizidgedanken bemerkbar. Depressionen sind häufige Krankheitsbilder. Einige Zahlen zur Depression (2004): Lebenszeitprävalenz: 19 %, Einjahresprävalenz: 12 % (Erwachsene) 1-­‐Jahres Inzidenz: 2% (2 Neuerkrankungen auf 100 Personen). Frauen erkranken etwa doppelt so häufig wie Männer. Das Erstmanifestationsalter einer Depression liegt meist zwischen 30. und 40. Lebensjahr, ein zweiter Gipfel der Häufigkeit findet sich bei Personen über 60 Jahre. Kinder und Jugendliche erkranken seltener, jedoch wird die Punktprävalenz mit immerhin 3-­‐4 % angegeben. An sog. Altersdepression leiden über 65-­‐Jährige in 15 – 25 %, in Altenheimen schätzt man die Häufigkeit auf 30 – 40 %. Etwa 30% der Suizide entfallen auf über 65-­‐Jährige wegen De-­‐
pression. Das Krankheitsbild sowie die Behandlungsmöglichkeiten werden in anderen Lehr-­‐
veranstaltungen ausführlich besprochen. 3. Gesundheitsstörungen und sozialmedizinisch wichtige Krankheitsbilder a. Modelle von Gesundheit und Krankheit In der Medizin ist man gewohnt, über Krankheit und krankmachende Faktoren zu sprechen. In den Gesundheitswissenschaften geht es eher um Gesundheit und die Gesundheit erhal-­‐
tenden Faktoren. Gesundheit wird von der WHO definiert als Zustand völligen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebre-­‐
chen („Health is a state of complete physical, mental, and social well-­‐being and not merely the absence of desease or infinity“). In der Praxis ist die Trennung zwischen gesund und krank mitunter schwierig, objektive Kriterien fehlen oft. Krankheit wird in der Regel als Normabweichung (der Körper-­‐Struktur, der Funktion, des Verhaltens …) definiert, Was die „Norm“ ist, unterliegt nicht nur medizinischen Kriterien, auch kulturelle und gesellschaftliche Einflüsse spielen eine Rolle. Beispielsweise wurde Ho-­‐
mosexualität 1970 noch als „Krankheit“ in den Klassifikationssystemen (DSM III) geführt, während sie heute als Lebensform gesellschaftlich akzeptiert ist. So stellt auch Adipositas (Übergewicht) in manchen Kulturkreisen keine Normabweichung dar. Ferner besteht öfters eine Diskrepanzen zwischen Befund und Befinden: trotz objektiv bestehender Krankheitsbe-­‐
funde (z.B. hoher Blutdruck, pathologische Laborwerte …) fühle ich mich nicht krank. Durch die Klassifikation der Krankheiten (ICD = international classification of disease, Versi-­‐
on 10) hat die WHO international festgelegt, was als Krankheit wie definiert ist. Diese Fest-­‐
legung hat jedoch, wie oben dargestellt, ihre (kulturellen) Grenzen. Krankheiten können akut oder chronisch verlaufen. Akute Krankheiten enden entweder mit der völligen Wiederherstellung oder mit einer teilweisen Wiederherstellung der Gesundheit. Bei chronisch verlaufenden Erkrankungen ist eine vollständige Heilung selten möglich, allen-­‐
falls ist eine Linderung erreichbar. Die Mehrheit aller vorhandenen Erkrankungen (Prä-­‐
valenz) sind chronische Erkrankungen. Solche Erkrankungen können gleichbleibend (chro-­‐
nisch) verlaufen, oder wellenförmig „in Schüben“ auftreten. Diesen Verlaufstyp nennt man auch „chronisch rezidivierend“. Unser Gesundheitssystem ist überwiegend auf die Behand-­‐
33 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften lung akuter Erkrankungen ausgerichtet, in der Versorgung chronisch Kranker bestehen Defi-­‐
zite. Gesundheit ist „das höchste Gut“ in unserer Gesellschaft. Diese Einstellung haben vorwie-­‐
gend ältere Menschen, Junge nicht in dem Maße. Trotz des insgesamt hohen Stellenwertes von Gesundheit handeln viele Menschen wider besseres Wissen, indem sie sich „ungesund“ verhalten. Zur Befriedigung kurzfristiger Bedürfnisse werden Gesundheitsrisiken in Kauf ge-­‐
nommen. Gesundheit hat verschiedene Dimensionen: • Störungsfreiheit Gesundheit wird von vielen Menschen als Freisein von Krankheiten verstanden. Die-­‐
se traditionelle Sicht aus der Zeit der Aufklärung (um 1730) ist auch heute noch weit verbreitet. Es handelt sich um eine Negativdefinition, eben das Negativbild von Krankheit. Krankheitsdefinitionen sind überwiegend Expertensache. Gesundheits-­‐
empfinden jedoch hängt nicht von Expertenmeinungen über Krankheit ab, sondern ist individuell und unmittelbar erfahrbar . • Wohlbefinden Diese Dimension rückt das subjektive Empfinden in den Vordergrund: ich bin ge-­‐
sund, wenn ich mich gut fühle. Dem trägt die WHO-­‐Definition Rechnung. Wohlbe-­‐
finden als subjektive Gesundheitsdefinition ist daher weit verbreitet, meistens – aber nicht immer – zutreffend. Beispielsweise fühlt sich jemand, der raucht und trinkt, häufig wohl, ist jedoch nicht gesund. • Leistungsfähigkeit und Rollenerfüllung In einer ebenfalls traditionellen Sichtweise wird als gesund derjenige verstanden, der in der Lage ist, die ihm gestellten Aufgaben zu leisten und die Rollenerwartun-­‐
gen zu erfüllen. In dieser Dimension rückt sehr stark das gesellschaftliche Interesse in den Vordergrund. Diese Sichtweise hat ihren Niederschlag in der Sozialgesetzge-­‐
bung gefunden. Z.B. wird die Zuständigkeit für die soziale Absicherung zwischen Krankenkasse und Rentenversicherung ausschließlich über das Leistungsvermögen festgelegt. Die Diskussion dieser Sichtweise von Gesundheit ist historisch belastet: im Nationalsozialismus wurde Volksgesundheit auf dieser Schiene propagiert. • Gleichgewichtszustand (Homöostase) Diese wohl älteste Sichtweise von Gesundheit ist in fast allen Kulturen und bei uns bereits im antiken Griechenland (500 v. Chr.) zu finden. Wer in der Lage ist, die Ge-­‐
gensätzlichkeiten der Umwelt und des Individuums in eine Balance zu bringen, ist gesund. Der Einklang von Makro-­‐ und Mikrokosmos wurde z.B. von Hippokrates als Ideal von Gesundheit angesehen. Dies schließt die innere Harmonie ein, wie sie bei-­‐
spielsweise in asiatischen Kulturen im Yin und Yang System angestrebt wird. Auch in den antiken afrikanischen und südamerikanischen Kulturen finden sich ähnliche Gleichgewichtstheorien. • Gesundheit als Flexibilität (Heterostase) Die Erfahrung zeigt, dass das oben beschriebene Gleichgewicht, die Homöostase, häufig gestört wird z.B. durch Krankheit, durch Lebensereignisse usw. Gesundheit kann daher auch als Fähigkeit betrachtet werden, mit solchen Störungen zu recht zu kommen, sie zu überwinden. Diese Sichtweise ist auf Bewältigung (coping) gerich-­‐
tet: gesund ist, wer ein hohes Bewältigungspotenzial hat. Populär ist das Heterosta-­‐
se-­‐Modell von Antonovsky geworden (Salutogenese-­‐Modell s.u.). Grundannahme ist die Tatsache, dass der Idealzustand der Homöostase unrealistisch ist, dass Störun-­‐
gen des Gleichgewichts normalerweise auftreten und zum Leben gehören. 34 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Anpassungsfähigkeit Ähnlich wie im Heterostase-­‐Modell wird hier nicht von einem Gleichgewicht zwi-­‐
schen Individuum und Umwelt ausgegangen. Vielmehr stellen Entwicklungsanforde-­‐
rungen und –notwendigkeiten den Menschen immer wieder vor das Erfordernis der (körperlichen, seelischen, geistigen) Anpassung. Gesundheit kann daher auch als Anpassungsvermögen an die normalen Entwicklungsschritte des Lebens verstanden werden. Wie gesund wir sind, hängt von zahlreichen inneren und äußeren Faktoren ab. Zu den inne-­‐
ren Faktoren rechnen die genetische Veranlagung, die physische und psychische Grundkon-­‐
stitution, das Immunsystem, Hormonsystem usw. , als äußere Faktoren sind die sozioöko-­‐
nomische Lage, die hygienischen Verhältnisse, das Bildungsangebot, die Arbeitsbedingun-­‐
gen, die private Lebensform und die soziale Einbindung maßgebend. Subjektive Krankheitsmodelle. Die häufige Diskrepanz zwischen Befund und Befinden ist dadurch zu erklären, dass jeder Mensch eigene Vorstellungen über Gesundheit und Krank-­‐
heit hat, die sich nicht an medizinischen Tatsachen orientieren. Für (psychosomatisch orien-­‐
tierte) Ärzte wie für Sozialarbeiter ist es wichtig, die subjektive Theorie eines Patienten / Kli-­‐
enten zu kennen, um ihn „dort abzuholen, wo er steht“. Eine schon im Mittelalter verbreite-­‐
te subjektive Krankheitstheorie ist diejenige, die Krankheit als Strafe für schuldhaftes Fehl-­‐
verhalten ansieht. Diese „Theorie“ ist auch heute noch z.B. bei Depressionen anzutreffen (wohl deshalb, weil in der Depression häufig Schuldgefühl auftreten – als Folge, nicht als Ur-­‐
sache!). Befund und Befinden lassen sich in folgendem Schema betrachten: •
Befinden objektiver Befund und subjektives Befinden Befund ohne krank gut gesund scheingesund bzw. funktionell gesund schlecht scheinkrank oder psycho-­‐somatisch krank krank Finden Sie für jedes der grauen Quadrate ein Beispiel! Wissenschaftliche Krankheitsmodelle. Hier sind zu nennen: o Naturalistische Krankheitsmodelle Krankheit wird als Naturphänomen aufgefasst, welches sich mit den Methoden der modernen Naturwissenschaften aufklären und erforschen lässt. Im Zuge der reduk-­‐
tionistischen Betrachtungsweise ist dieses Modell derzeit am weitesten verbreitet. Eine besondere Form ist das Risikofaktorenmodell, bei dem angenommen wird, dass die Häufung krankheitsspezifischer Risikofaktoren die Erkrankungswahrscheinlich-­‐
keit (erheblich) erhöht. o Psychosomatische Krankheitsmodelle Die Entstehung vieler Krankheiten wird als Störung des Gleichgewicht leiblich-­‐
seelischer Vorgänge gesehen, wobei sowohl psycho-­‐somatische Wirkungen als auch 35 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften o
o
somato-­‐psychische Wirkungen stattfinden (Beispiel: Depressive Menschen bekom-­‐
men häufiger einen Herzinfarkt, Menschen nach Herzinfarkt entwickeln öfter eine Depression). Ausführlich werden diese Modelle in der Vorlesung „Psychosomatik“ im kommenden Semester besprochen. Vulnerabilitäts-­‐Stress-­‐Modell In diesem Modell geht es um subjektive Belastungsfaktoren, die die Bewältigungs-­‐
möglichkeiten des Individuums übersteigen. Vulnerabilität bedeutet individuelle Empfindlichkeit oder Verletzlichkeit bestimmten Belastungen gegenüber. Diese Vul-­‐
nerabilität ist Ergebnis der Grundkonstitution (Veranlagung) und der im Lauf des Le-­‐
bens erworbenen Bewältigungsressourcen. Beispielsweise ist bekannt, dass die Er-­‐
krankungshäufigkeit bei eineiigen Zwillingen, die getrennt aufgewachsen sind, auch bei überwiegend anlagebedingten Erkrankungen nicht 100 % beträgt. Eine einfache Darstellung des Modells findet man z.B. bei http://www.bwpat.de/ht2008/ft12/abb_Krug/Abb2.jpg Soziokulturelle Modelle Im Vordergrund stehen hier nicht individuelle Erklärungen sondern Krankheit wird als Phänomen der Gesellschaft aufgefasst bzw. untersucht, wie sich Krankheit auf die Gesellschaft auswirkt. Zu Grunde liegt die Beobachtung, dass Krankheit zunächst ein individuelles Phänomen ist, jedoch immer auch eine soziale Dimension hat. Krankheit kann daher auch als soziale Abweichung gesehen werden. Die Bewertung als Abweichung hängt wiederum sehr stark von den kulturellen Normen ab. b. Das Krankheitsfolgemodell der WHO : Die ICF ICF = International Classification of Functioning (im Deutschen als“ Internationale Klassifika-­‐
tion der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit“ bezeichnet). Ausgehend von der Erkenntnis, dass für Menschen, die von Krankheit betroffen sind, nicht die Diagnose nach ICD-­‐10, sondern die Auswirkungen einer Erkrankung maßgebend sind, wurde von der WHO ein Klassifikationssystem entwickelt, welches die Krankheitsfolgen in verschiedenen Ebenen darstellt. Als Folge krankheitsbedingter Funktionsstörungen einzel-­‐
ner Körpersysteme kommt es zu Behinderungen und damit zur Einschränkungen der Teil-­‐
habe am Leben in der Gesellschaft und/oder im Erwerbsleben. In den Klassifikationsebenen der ICF werden diese Einschränkungen sehr genau beschrieben und damit auch Ansätze zur Verbesserung der Teilhabe z.B. durch Rehabilitation gefunden. Die Bundesarbeitsgemein-­‐
schaft für Rehabilitation (BAR) hat einen sehr schönen, übersichtlichen Praxisleidfaden zur ICF entwickelt, download unter folgender Adresse: http://www.bar-­‐frankfurt.de/fileadmin/dateiliste/publikationen/icf-­‐praxisleitfaeden/downloads/ICF1.pdf Man unterscheidet die -­‐ Klassifikation der ersten Ebene -­‐ Klassifikation der zweiten Ebene -­‐ Detailklassifikation. Die Klassifikation der ersten Ebene umfasst die Klassifikation der Körperfunktionen Kapitel 1: Mentale Funktionen (-­‐> siehe 2. Ebene) Kapitel 2: Sinnesfunktionen und Schmerz Kapitel 3: Stimm-­‐ und Sprechfunktionen Kapitel 4: Funktionen des kardiovaskulären, hämatologischen, Immun-­‐ und Atmungssystems Kapitel 5: Funktionen des Verdauungs-­‐, des Stoffwechsel-­‐ und des 36 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften endokrinen Systems Kapitel 6: Funktionen des Urogenital-­‐ und reproduktiven Systems Kapitel 7: Neuromuskuloskeletale und bewegungsbezogene Funktionen Kapitel 8: Funktionen der Haut und der Hautanhangsgebilde Klassifikation der Körperstrukturen Kapitel 1: Strukturen des Nervensystems Kapitel 2: Das Auge, das Ohr und mit diesen in Zusammenhang stehende Strukturen Kapitel 3: Strukturen, die an der Stimme und dem Sprechen beteiligt sind Kapitel 4: Strukturen des kardiovaskulären, des Immun-­‐ und des Atmungssystems Kapitel 5: Mit dem Verdauungs-­‐, Stoffwechsel und endokrinen System in Zusammenhang stehende Strukturen Kapitel 6: Mit dem Urogenital-­‐ und dem Reproduktionssystem in Zusammenhang stehende Strukturen Kapitel 7: Mit der Bewegung in Zusammenhang stehende Strukturen Kapitel 8: Strukturen der Haut und Hautanhangsgebilde Klassifikation der Aktivitäten und Partizipation (Teilhabe) Kapitel 1: Lernen und Wissensanwendung Kapitel 2: Allgemeine Aufgaben und Anforderungen Kapitel 3: Kommunikation Kapitel 4: Mobilität Kapitel 5: Selbstversorgung Kapitel 6: Häusliches Leben Kapitel 7: Interpersonelle Interaktionen und Beziehungen Kapitel 8: Bedeutende Lebensbereiche Kapitel 9: Gemeinschafts-­‐, soziales und staatsbürgerliches Leben Klassifikation der Umweltfaktoren Kapitel 1: Produkte und Technologien Kapitel 2: Natürliche und vom Menschen veränderte Umwelt Kapitel 3: Unterstützung und Beziehungen Kapitel 4: Einstellungen Kapitel 5: Dienste, Systeme und Handlungsgrundsätze Die Klassifikation der zweiten Ebene wird beispielhaft am Kapitel 1 (Mentale Funktionen) der Klassifikation der Körperfunktionen dargestellt: Gobale mentale Funktionen (b110-­‐b139) b110 Funktionen des Bewusstseins (-­‐> siehe Detailklassifikation) b114 Funktionen der Orientierung b117 Funktionen der Intelligenz b122 Globale psychosoziale Funktionen b126 Funktionen von Temperament und Persönlichkeit b130 Funktionen der psychischen Energie und des Antriebs b134 Funktionen des Schlafes b139 Globale mentale Funktionen, anders oder nicht näher bezeichnet Spezifische mentale Funktionen (b140-­‐b189) b140 Funktionen der Aufmerksamkeit b144 Funktionen des Gedächtnisses b147 Psychomotorische Funktionen 37 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften b152 Emotionale Funktionen b156 Funktionen der Wahrnehmung b160 Funktionen des Denkens b164 Höhere kognitive Funktionen b167 Kognitiv-­‐sprachliche Funktionen b172 Das Rechnen betreffende Funktionen b176 Mentale Funktionen, die die Durchführung komplexer Bewegungshandlun-­‐
gen betreffen b180 Die Selbstwahrnehmung und die Zeitwahrnehmung betreffende Funktio-­‐
nen b189 Spezielle mentale Funktionen, anders oder nicht näher bezeichnet b198 Mentale Funktionen, anders bezeichnet b199 Mentale Funktionen, nicht näher bezeichnet Die Klassifikation in der zweiten Ebene ist in ähnlicher Weise für alle anderen Kapitel der ersten Ebene ausgeführt. In der Detailklassifikation wird das Ausmaß der Schädigung quantifiziert. Hierbei wird Schädigung als Beeinträchtigung einer Körperfunktion oder –struktur im Sinne einer wesent-­‐
lichen Abweichung oder eines Verlustes verstanden. Folgende Skala zur Quantifizierung wird angewendet: Code xxx.0 xxx.1 xxx.2 xxx.3 xxx.4 xxx.8 xxx.9 Ausmaß der Schädigung Schädigung nicht vorhanden Schädigung leicht ausgeprägt Schädigung mäßig ausgeprägt Schädigung erheblich ausgeprägt Schädigung voll ausgeprägt nicht spezifiziert nicht anwendbar Beeinträchtigung von Struktur/Funktion 0-­‐4% 5-­‐24% 25-­‐49% 50-­‐95% 96-­‐100% Beispielhaft wird die Detailklassifikation Körperfunktionen -­‐> Mentale Funktionen -­‐> globale Mentale Funktionen -­‐> Funktionen des Bewusstseins (b110) ausgeführt: b110 Funktionen des Bewusstseins Charakterisierung: Allgemeine mentale Funktionen, die die bewusste Wahrnehmung und Wachheit ein-­‐
schließlich Klarheit und Kontinuität des Wachheitszustandes betreffen einschließlich: Funktionen, die Zustand, Kontinuität und Qualität des Bewusstseins be-­‐
treffen; Bewusstseinsverlust, Koma, vegetativer Status (Apallisches Syndrom), Dämmer-­‐
zustand (Fugue), Trance, Besessenheit, drogeninduzierte Bewusstseinsveränderungen, Delir, Stupor ausschließlich: Funktionen der Orientierung (b114); Funktionen der psychischen Energie und des Antriebs (b130); Funktionen des Schlafes (b134) Differenzierung: b1100 Bewusstseinszustand Mentale Funktionen, die sich bei Veränderung als Zustände wie Bewusstseinstrübung, Stupor o-­‐
der Koma äußern (-­‐> siehe Beispiel unten) b1101 Kontinuität des Bewusstseins Mentale Funktionen, die sich in Erhalt der Wachheit, Aufmerksamkeit und bewusster Wahrneh-­‐
mung äußern und die bei einer Störung zu Dämmerzustand (Fugue), Trance oder ähnlichen Zu-­‐
ständen führen können b1102 Qualität des Bewusstseins 38 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Mentale Funktionen, die sich bei Veränderungen auf die Art des Empfindens von Wachheit, Auf-­‐
merksamkeit und bewusster Wahrnehmung auswirken, wie drogeninduzierte Bewusstseinsver-­‐
änderungen oder ein Delir b1108 Funktionen des Bewusstseins, anders bezeichnet b1109 Funktionen des Bewusstseins, nicht näher bezeichnet Entsprechend der Beeinträchtigung einer Teilfunktion wird zuletzt das Ausmaß der Schädi-­‐
gung angegeben, wie oben dargestellt. Beispiel: Ein Patient im Koma mit vollständigem Be-­‐
wusstseinsverlust würde mit b1100.4 codiert. Anwendungsbeispiel: Bei dem 68-­‐jährigen Diplomingenieur wurde vor 4 Jahren die Diagnose einer präsenilen Demenz (ALZHEIMER-­‐Erkrankung) gestellt. Der früher lebhafte und kontaktfreudige Mann hat sich sehr zu-­‐
rückgezogen. Neben erheblichen Störungen des Kurz-­‐ und Langzeitgedächtnisses ist er nicht in der Lage, die Zeitung länger als 15 Minuten zu lesen. Die Fähigkeit zu schreiben hat stark abgenom-­‐
men, nur seine Unterschrift ist noch gut leserlich, Rechnen ist kaum noch möglich. Der sprachliche Ausdruck scheint vorhanden, umfasst aber im Wesentlichen Floskeln ohne Differenzierung. Er ist noch in der Lage, sich selbstständig anzukleiden, an die Einhaltung der Körperhygiene muss er er-­‐
innert werden. Aktivitäten der Haushaltsführung sind stark eingeschränkt, größere Einkäufe müs-­‐
sen Andere erledigen. Spaziergänge im Viertel sind gut möglich, in der Stadt findet er sich auf ver-­‐
trauten Wegen zurecht, in neuer Umgebung jedoch nicht. Beeinträchtige Körperfunktionen: Mentale Funktionen Globale Funktionen Orientierung Intelligenz Globale psychosoziale Funktionen Psychische Energie und Antrieb b114.3 b117.3 b122.2 b130.2 Spezifische Funktionen – schätzen sie hier den Schweregrad x selbst ein! Aufmerksamkeit Gedächtnis Emotionale Funktionen Denken Höhere kognitive Funktionen Kognitiv-­‐sprachliche Funktionen Rechnen b140.x b144.x b152.x b160.x b164.x b167.x b172.x Stimm-­‐ und Sprechfunktionen Bitte selbst erarbeiten… Bewegungsbezogene Funktionen Bitte selbst erarbeiten… HINWEIS: Die ICF kann kostenfrei downgeloaded werden vom DIMDI (Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information): http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icf/index.htm c. Sozialmedizin – Fachgebiet und Begrifflichkeit Das Fachgebiet ist nicht einheitlich definiert. Sozialmedizin als Teildisziplin der Medizin ana-­‐
lysiert und beschreibt die Wechselwirkungen zwischen Krankheit, Gesundheit, Individuum und Gesellschaft sowie die Organisationsstrukturen des Gesundheitswesens und des medi-­‐
zinischen Versorgungssystems. Ferner werden Strategien zur Prävention und Bekämpfung von Krankheiten entwickelt. Im Unterschied zur Mehrzahl der klassischen, überwiegend ku-­‐
rativ ausgerichteten medizinischen Fächer verfolgt die Sozialmedizin einen über die Indivi-­‐
dualmedizin hinausgehenden bevölkerungsbezogenen Ansatz unter Verwendung epidemio-­‐
39 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften logischer, klinischer, sozial-­‐ u. verhaltenswissenschaftlicher, ökonomischer und ökologischer Methoden. Ziel der Sozialmedizin ist die effektive und effiziente Vermeidung oder Bewälti-­‐
gung gesundheitlicher Probleme und ihrer sozialen Folgen bei Einzelnen u. in der Bevölke-­‐
rung. Der gutachterliche Teil ärztlich-­‐sozialmedizinischer Tätigkeit besteht darin, Auswirkungen von Krankheiten (nach der ICF) im Hinblick auf die Einschränkung der Teilhabe am gesell-­‐
schaftlichen Leben zu beurteilen, z.B. die Frage, ob eine Schwerbehinderung vorliegt. Bei Menschen im erwerbsfähigen Alter stellt sich oft die Frage nach einer Einschränkung des Leistungsvermögens für den Arbeitsmarkt, also die Frage der Erwerbsminderung. Die sozi-­‐
almedizinische Leistungsbeurteilung ist meist Grundlage für die Gewährung oder Versagung von Leistungen der Sozialleistungsträger (Krankenkasse, Rentenversicherung, Versorgungs-­‐
ämter usw.). Auch in der Sozialgerichtsbarkeit wird auf diese Leistungsbeurteilungen zu-­‐
rückgegriffen bzw. entsprechende Gutachten angefordert. Die sozialmedizinische Begrifflichkeit ist im SGB definiert oder durch die Rechtsprechung entwickelt worden. Hier einige Beispiele häufig verwendeter Begriffe (alphabetisch): Auf nicht absehbare Zeit Eine Erwerbsminderung ist grundsätzlich erst dann rentenrechtlich relevant, wenn sie „auf nicht absehbare Zeit“ vorliegt (§ 43 SGB VI). Im Hinblick auf § 101 SGB VI ist hierunter ein Zeitraum von mindestens 6 Kalen-­‐
dermonaten zu verstehen (Rechtsprechung des Bundessozialgerichts), nach der genannten Vorschrift wird die Rente nicht vor Beginn des 7. Kalendermonats nach Eintritt der Erwerbsminderung geleistet. Bei einer Erwerbsminderung von weniger als 6 Monaten Dauer kommt es daher nicht zu einer Rentenleistung. Im Gegensatz zum Rentenrecht wird bei der Grundsicherung für Arbeitssuchende (§ 8 SGB II) der Ausdruck "auf absehbare Zeit außerstande" verwendet. Hier spielen nur die ab Zeitpunkt der Beurteilung -­‐ in der Zu-­‐
kunft liegenden -­‐ Monate eine Rolle; es ist zu prognostizieren, ob innerhalb der nächsten 6 Monate mit der Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit gerechnet werden kann. Arbeitsunfähigkeit Nach den Arbeitsunfähigkeits-­‐Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkas-­‐
sen heißt es u. a.: "Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn ein Versicherter aufgrund von Krankheit seine ausge-­‐
übte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann." Der häufig verwandte Begriff "Krankschreibung" führt in die Irre. Denn: nicht immer bedeutet Krankheit auch gleichzeitig Arbeitsunfähigkeit. Ob Krankheit die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt, hängt von vielen Fak-­‐
toren ab, z. B. von der Art und der Schwere der Krankheit, vom körperlichen und psychischen Gesamtzu-­‐
stand des kranken Menschen und insbesondere von der beruflichen Tätigkeit und den damit verbundenen Anforderungen. Obwohl die „Arbeitsunfähigkeit“ kein medizinischer Begriff ist, muss sie ärztlich festgestellt werden. Die ärztliche Verordnung (Bescheinigung) von Arbeitsruhe begründet eine Geldleistung (Lohnfortzahlung, Krankengeld), die vom Arbeitgeber oder dem zuständigen Leistungsträger gewährt wird. Erwerbsminderung In der gesetzlichen Rentenversicherung (SGB VI) ist Erwerbsminderung eine rentenrechtlich relevante Ein-­‐
schränkung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des ab 1.1.2001 geltenden § 43 SGB VI. Danach sind Versicherte teilweise erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht ab-­‐
sehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindes-­‐
tens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die in gleichem Sinne nicht mehr mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig sein können. Hiervon ist zu unterscheiden der Begriff der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nach dem SGB VII – Ge-­‐
setzliche Unfallversicherung –, dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), dem Beamtenversorgungsgesetz (Be-­‐
amtVG), bzw. der Grad der Behinderung (GdB), der gem. § 69 SGB IX von den für die Durchführung des Bun-­‐
desversorgungsgesetzes zuständigen Behörden festgestellt wird. Barrierefrei Die Nutzung von Gegenständen, Gebrauchsgütern und Objekten ist barrierefrei, wenn alle Menschen und somit auch alle Menschen mit Behinderungen sie uneingeschränkt nutzen können. Barrierefrei nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (§ 4 BGG) sind bauliche und sonstige Anlagen, Ver-­‐
kehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und vi-­‐
suelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind. 40 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Behinderung Der Begriff der Behinderung ist nicht einheitlich geregelt. Nach den Vorgaben des SGB IX ist ein Mensch als behindert anzusehen, wenn eine Beeinträchtigung der Teilhabe vorliegt. Der Behinderungsbegriff nach der ICF ist weiter gefasst und beinhaltet jede Beeinträchtigung der Körperfunktionen, Körperstrukturen, Aktivi-­‐
täten und Teilhabe. Im Sinne des SGB IX sind Menschen behindert (§ 2 SGB IX), wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähig-­‐
keit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensal-­‐
ter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist. In der ICF wird jede Beeinträchtigung der funktionalen Gesundheit Behinderung genannt. Eine Behinderung ist das Ergebnis der negativen Wechselwirkung zwischen einer Person mit einem Gesundheitsproblem (ICD) und den Kontextfaktoren auf die funktionale Gesundheit dieser Person, d. h. auf ihre Körperfunktionen, Körperstrukturen, Aktivitäten oder Teilhabe. Funktionale Gesundheit Eine Person gilt im Sinne der ICF als funktional gesund, wenn – vor ihrem gesamten Lebenshintergrund (Konzept der Kontextfaktoren: Umweltfaktoren und personenbezogene Faktoren) – 1.ihre körperlichen Funktionen (einschließlich des mentalen Bereiches) und Körperstrukturen all-­‐
gemein anerkannten (statistischen) Normen entsprechen (Konzepte der Körperfunktionen oder Körperstrukturen) 2.sie all das tun kann, was von einem Menschen ohne Gesundheitsproblem erwartet wird (Kon-­‐
zept der Aktivitäten) und 3.sie ihr Dasein in allen Lebensbereichen, die ihr wichtig sind, in der Weise und dem Umfang ent-­‐
falten kann, wie es von einem Menschen ohne Beeinträchtigung der Körperfunktionen oder Kör-­‐
perstrukturen oder der Aktivitäten erwartet wird (Konzept der Teilhabe an Lebensbereichen). Grad der Behinderung (GdB) Der Grad der Behinderung (GdB) im Sinne des Schwerbehindertenrechts (SGB IX, Teil 2: Besondere Regelun-­‐
gen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen, §§ 68 ff. SGB IX) kennzeichnet das Ausmaß einer bestehen-­‐
den Behinderung mit den daraus für den behinderten Menschen in sämtlichen Lebensbereichen resultie-­‐
renden Funktionsbeeinträchtigungen und deren Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesell-­‐
schaft. In diesem Zusammenhang ist von dem Behinderungsbegriff des SGB IX (§ 2) auszugehen. Der Begriff des GdB ist final (d. h. auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von ihrer Ursache) bezogen. Für die Ermittlung des GdB werden alle Auswirkungen einer länger als 6 Monate andauernden Funktionsbe-­‐
einträchtigung bemessen, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen, seelischen Zustand beruhen; regelwidrig ist ein Zustand dann, wenn er von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Physiologische (=normale) Veränderungen im Alter werden nicht berücksichtigt. Der Grad der Behinderung wird nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (ab GdB 20, dann 30, 40 usw. bis 100). Liegen mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, wird der Gesamt-­‐GdB unter Würdigung der Auswirkun-­‐
gen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit und unter Berücksichtigung ihrer gege-­‐
benenfalls wechselseitigen Beziehungen zueinander gebildet. Aus dem GdB ist nicht auf Leistungsvoraussetzungen anderer Rechtsgebiete, z. B. das Ausmaß einer Leis-­‐
tungsminderung im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung, zu schließen. Für Begutachtung und Bewertung des GdB werden die „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) mit den darin ent-­‐
haltenen Tabellen" in der jeweils geltenden Fassung zugrunde gelegt. Hilfsmittel Hilfsmittel (im Sinne von § 31 SGB IX) umfassen die Hilfen, die unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls erforderlich sind, um den Erfolg einer Rehabilitation zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit sie nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind. Zu Hilfsmitteln zählen z. B. Seh-­‐ und Hörhilfen, Körperersatzstücke sowie orthopädische Hilfsmittel. Kontextfaktoren Kontextfaktoren sind im Sinne der ICF alle Gegebenheiten des Lebenshintergrundes einer Person. Sie glie-­‐
dern sich in sogenannte personenbezogene Faktoren und in sogenannte Umweltfaktoren. Personenbezogene Faktoren sind die Faktoren, die sich auf die betrachtete Person selbst beziehen und den spezifischen Hintergrund des Lebens und der Lebenserfüllung eines Menschen ausmachen, z. B. Altern und Lebenserfahrung. Sie umfassen Gegebenheiten, die nicht Bestandteil des Gesundheitsproblems oder G e-­‐
sundheitszustandes sind. Die ICF sieht für diese Faktoren noch keine Klassifikation vor. 41 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Umweltfaktoren bilden die materielle, soziale und einstellungsbezogene Umwelt, in der Menschen leben und ihr Leben gestalten. Sie können positiv (Förderfaktoren) oder negativ (Barrieren) wirken. In der sozialmedizinischen Begutachtung ist zu prüfen, welche Kontextfaktoren einen Einfluss auf die Leis-­‐
tungsfähigkeit im Erwerbsleben haben. Orthesen (mechanische Gelenkstützen) können z. B. als Förderfakto-­‐
ren angesehen werden, die fehlende Automatikschaltung im Pkw als Barriere. Personenbezogene Faktoren können zusätzliche Informationen liefern. Prävention In der Medizin bedeutet Prävention, dem Auftreten von Krankheiten zuvorzukommen (Primärprävention), auftretende Krankheiten möglichst frühzeitig zu erkennen und ihr Fortschreiten zu verhindern (Sekun-­‐
därprävention), die Verschlimmerung bereits aufgetretener Krankheiten zu vermeiden und die Krankheits-­‐
folgen zu kompensieren (Tertiärprävention) sowie Pflegebedürftigkeit zu vermeiden. Primärprävention kann in unterschiedlichen Handlungs-­‐ und Themenfeldern erfolgen wie beispielsweise Be-­‐
kämpfung des Bewegungsmangels, Ernährungsschulung, Vermeiden gesundheitlich riskanter Verhaltenswei-­‐
sen, Drogenprävention, Arbeitsplatzhygiene und Impfungen. Wenn es bereits zu Erkrankungen gekommen ist, sind Sekundär-­‐ und Tertiärprävention erforderlich, z. B. im Rahmen der Rehabilitation Stress, arbeitsbedingter Arbeitsbedingter Stress ist eine emotionale, kognitive, verhaltensmäßige und physiologische Reaktion auf widrige und schädliche Aspekte des Arbeitsinhalts, der Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung (Eu-­‐
ropäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, 2002). Stress ist ein Zustand, der durch hohe Aktivierungs-­‐ und Belastungsniveaus gekennzeichnet ist und oft mit dem Gefühl verbunden ist, man könne die Situation nicht bewältigen. Umstellungs-­‐ und Anpassungsvermögen Umstellungs-­‐ und Anpassungsvermögen bezeichnet die Fähigkeit zum situationsgerechten Denken und Handeln bei unterschiedlichen körperlichen, psychischen und sozialen Anforderungen. Im Arbeitsprozess steigt der Grad der Anforderung an diese Fähigkeit mit wachsender Variabilität der zu erledigenden Arbeits-­‐
aufgaben. Im Rahmen der beruflichen Neuorientierung wird diese Fähigkeit bei der Einarbeitung in bisher unbekannte Tätigkeitsbereiche abverlangt Wunsch-­‐ und Wahlrecht Die Vorschrift des § 9 SGB IX soll für den Bereich der Teilhabe sicherstellen, dass berechtigten Wünschen behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen hinsichtlich der Auswahl sowie der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe entsprochen und dabei Rücksicht auf ihre persönliche Lebenssituation, geschlechts-­‐
spezifischen und religiösen Bedürfnisse genommen wird. Alle Begriffe können nachgeschlagen werden unter: http://www.deutsche-­‐
rentenversicherung.de/cae/servlet/contentblob/208364/publicationFile/59514/druckfassung_glossar_.pdf Sozialmedizin als Teildisziplin der Sozialwissenschaft befasst sich u.a. mit sozialen Faktoren von Krankheit und Behinderungen, z.B. Grundlagen der Epidemiologie (s.o.) Soziale Schicht und Krankheit (s.u.) Arbeitswelt und Krankheit Arbeitslosigkeit und Krankheit Migration und Krankheit Geschlechterrollen, Familienfaktoren und Krankheit Umwelt und Krankheit Systemanalyse des Gesundheitswesens z.B. Berufe im Gesundheitswesen Institutionen im Gesundheitswesen Patienten im Gesundheitswesen Sozialmedizinische Praxis (Gesundheitsförderung, Sozialtherapie, Rehabilitation, …) Die Übergänge zwischen medizinischer und sozialwissenschaftlich orientierter Sozialmedizin sind fließend. Insofern ist Sozialmedizin (wie die Gesundheitswissenschaften insgesamt) eine Multidisziplin. 42 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften d. Die großen Volkskrankheiten Ein grundsätzliches Problem epidemiologischer Forschung in Deutschland ist, dass keine all-­‐
gemeinen Krankheitsstatistiken existieren. Zwar können die Diagnosedaten der Krankenkas-­‐
sen und Krankenhäuser ausgewertet werden, was aber bei der Vielzahl der Kassen und un-­‐
terschiedlich zusammengesetzter Klientele keine allgemeingültigen Aussagen ermöglicht. Die Auswertung von Krankenhausdaten ist zudem Ländersache. Man kann hilfsweise die Statistik der Todesursachen heranziehen. Dabei werden jedoch Krankheiten, die nicht zum Tode führen, aber von erheblicher (volkswirtschaftlicher) Bedeutung sind, nicht berücksich-­‐
tigt (Beispiele dafür wären Rückenleiden, Depressionen und Diabetes mellitus). Es sind nur wenige Krankheiten, die unsere Lebenserwartung begrenzen. Ein Überblick (s.u.) zeigt, dass fast 40% der Todesursachen auf Herz-­‐Kreislauferkrankungen zurück zu führen sind, also Folgen von Arteriosklerose wie Herzinfarkt und Schlaganfall. Ein Viertel der Deutschen ver-­‐
stirbt an Krebs. Das restliche Viertel der Todesursachen teilt sich entsprechend der nachfol-­‐
genden Tabelle des statistischen Bundesamtes für 2014 auf, wobei auf eine Suizidrate von 1,5 % der Todesfälle (ca. 11.000 Menschen) hingewiesen werden soll (Suizide sind in der un-­‐
tenstehenden Tabelle unter „äußere Ursachen“ versteckt). 58 % Frauen 42% Männer Ursache Herz in 40,5 % Ursache Gehirn in 18,6 % 92 % über 65 Jahre Im Hinblick auf Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention sind im Wesentlichen vier Krankheitsgruppen zu betrachten: I. Herz-­‐Kreislauf-­‐Erkrankungen II. Rückenleiden III. Psychische/Psychosomatische Störungen insbesondere Depressionen IV. Ernährungs-­‐ und Stoffwechselkrankheiten insbesondere Diabetes mellitus 43 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften o
Herz-­‐Kreislauf-­‐Erkrankungen Die Entstehung von Arteriosklerose nach dem Risikofaktorenmodell wurde oben darge-­‐
stellt. Primäre Risikofaktoren sind: Rauchen, hoher Blutdruck, erhöhte Blutfettwerte, er-­‐
hebliches Übergewicht, Zuckerkrankheit, Bewegungsmangel, Distress („negativer“ Stress), Depression und genetisches Risiko. Weitere psychische und soziale Faktoren wirken sich über eine Häufung der primären Faktoren aus: Angehörige unterer sozialer Schichten ernähren sich schlechter (-­‐> erhöhte Blutfettwerte), rauchen mehr, haben mehr Übergewicht (-­‐> hoher Blutdruck, Diabetes). Die Arteriosklerose führt letztlich zur Verstopfung von Arterien (Schlagadern), wobei das Krankheitsbild davon abhängig ist, an welchem Organ eine Ader verstopft. Bei einer ver-­‐
schlossenen Herzkranzader entsteht der Herzinfarkt, bei einer Schlagader des Gehirns der Schlaganfall. Aber auch andere Organe können betroffen sein (Nieren, Beine, Netz-­‐
haut der Augen). Die Hauptschlagader im Bauchraum zeigt häufig das Gegenteil: sie er-­‐
weitert sich sackartig und kann platzen (sog. Aortenaneurysma). Wie erwähnt, stellen die Erkrankungen in der Folge von Arteriosklerose etwa 40% aller Todesursachen. Die Vermeidung von Arteriosklerose ist das Präventionsthema Nr. 1! Bis auf die genetische Disposition könnten alle oben erwähnten Risikofaktoren durch geeignete Präventionsmaßnahem eliminiert werden. Arteriosklerose ist vermeidbar! Die Frage ist, warum wir mehr Geld für die Behandlung der Arteriosklerose-­‐Folgen aus-­‐
geben, als für wirksame Präventionsprogramme. Es ist durch Studien erwiesen, dass In-­‐
vestitionen in Prävention effizienter sind, als die Steigerung der „Reparatur“-­‐
Aufwendungen. Die (Gesundheits-­‐)Politik ignoriert das offensichtlich: Im Jahre 2005 sollte nach dem Willen der rot-­‐grünen Bundesregierung das "Gesetz zur Stär-­‐
kung der gesundheitlichen Prävention" in Kraft treten. Damit sollte die Prävention neben Kuration, Pflege und Rehabilitation zu einer eigenständigen "vierten Säule" des Systems der Gesundheitssicherung ausgebaut werden. In den Jahren 2005 bis 2007 sollten die in die neuen Strukturen fließenden Gelder stetig zunehmen, um im Jahre 2008 den vorgesehenen jährlichen Umfang von 250 Mio. Euro erreichen. Dazu kam es nicht: Der Gesetzentwurf wurde nach ausführlicher Anhörung im Bundestagsausschuss für Gesundheit und Soziale Si-­‐
cherung zwar am 22. April 2005 vom Bundestag verabschiedet. In seiner Sitzung am 27. Mai 2005 beschloss der Bundesrat dann jedoch das Gesetz aufzuhalten und den Vermittlungs-­‐
ausschuss "mit dem Ziel der grundlegenden Überarbeitung" anzurufen. Im März 2013 wur-­‐
de das „Gesetz zur Förderung der Prävention“ im Kabinett verabschiedet. Ziel ist, für Prä-­‐
vention in der GKV 6 Euro pro Versichertem in 2014 auszugeben (2013 sind es 3,01 €). Die Hälfte des Geldes soll die BZgA (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung) erhalten für Präventionskampagnen. Die Bonusprogramme der Kassen sollen gestärkt werden. Ein wei-­‐
terer Schwerpunkt sind Hausärzte und betriebliche Angebote. Prävention in den Lebenswel-­‐
ten (z.B. regionale Besonderheiten, Stadtteile usw.) ist nicht vorgesehen. o Rückenleiden 22 % der Arbeitsunfähigkeitstage entfielen 2013 auf Muskel-­‐/Skeletterkrankungen, da-­‐
runter überwiegend Rückenleiden (Psyche 17 %, Atmung 14 %, Verletzungen 12 %). Bei Männern sind Rückenschmerzen die häufigste, bei Frauen die zweithäufigste Ursa-­‐
che für Arbeitsausfälle, mindestens ein Drittel aller vorzeitigen Rentenanträge wird we-­‐
gen eines chronischen Rückenleidens gestellt. Die geschätzten Kosten betragen 40 Milli-­‐
arden Euro pro Jahr. Rückenschmerz ist zuallererst ein Symptom und keine Diagnose. Deshalb müssen diese Patienten im Hinblick auf körperliche, psychische und soziale Ursachen abgeklärt wer-­‐
den. Nur bei 15 -­‐ 20 Prozent finden Ärzte körperliche Veränderungen wie z.B. Abnut-­‐
44 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften zungserscheinungen von Wirbeln, Arthrosen in den Wirbelgelenken oder Bandscheiben-­‐
schäden, die die Schmerzen erklären. Das bedeutet, dass psychosoziale Faktoren bei Rü-­‐
ckenschmerzen eine wichtige Rolle spielen, nicht selten die entscheidende Rolle. Diese Tatsache wird oft übersehen, wenn die Rückenschmerzpatienten ausschließlich vom Or-­‐
thopäden behandelt werden. Bei etwa 35 Prozent der Patienten wird aus dem akuten Schmerz ein chronisches Leid, das ihre Lebensqualität erheblich beeinträchtigt. Ob aus dem Rückenschmerz eine chro-­‐
nische Schmerzkrankheit entsteht, entscheidet sich durch die persönlichen Fähigkeiten des Einzelnen zur Schmerz-­‐ und Konfliktverarbeitung. Viele dieser Patienten können nicht Nein sagen und laden sich ständig zu viel auf, der andauernde Druck findet nicht zuletzt in immer wieder auftretenden oder ständigen Rückenschmerzen ein Ventil. Bei diesen Patienten ist die Motivierung zur Psychotherapie besonders wichtig. Zwar neigen Schmerzpatienten dazu, sich zu schonen, das aber führt nur zu weiteren Verspannungen und Fehlhaltungen. Statt Ruhe wird deshalb seit einigen Jahren Rücken-­‐
training verordnet. Geeignet ist dafür fast jede Form der Bewegung, die Spaß macht und den Rücken nicht einseitig belastet. Etwa 70.000-­‐mal pro Jahr werden in Deutschland Bandscheiben operiert, oft mit gerin-­‐
gem Erfolg, weil Schmerzen nicht immer auf eine (zufällig) festgestellte Bandscheiben-­‐
vorwölbung zurückzuführen sind. Eine Operation ist nur dann angezeigt, wenn neurolo-­‐
gische Ausfälle wie Lähmungserscheinungen oder erhebliche Taubheitsgefühle eindeutig auf einen Bandscheibenvorfall zurückzuführen sind. o Volkskrankheit Depression 5 -­‐ 6 Millionen Deutsche sind jährlich von einer depressiven Störung betroffen, die sich durch anhaltende Symptome wie tiefe Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit, Schlaf-­‐
störungen und Interessenverlust äußert. Obwohl die Krankheit mit Antidepressiva und Psychotherapie erfolgreich zu behandeln ist, erhalten derzeit nur etwa 10 Prozent aller Betroffenen eine Therapie, die dem Stand der Medizin entspricht. Die Behandlungskos-­‐
ten betragen ca. 4,5 Milliarden Euro, hinzu kommen Versorgungskosten und volkswirt-­‐
schaftliche Folgekosten von geschätzten 20 – 30 Milliarden Euro. Das Suizidrisiko wird oft unterschätzt, denn 15 Prozent aller Patienten mit schweren De-­‐
pressionen nehmen sich im Laufe ihrer Krankheit das Leben, wenn sie nicht richtig be-­‐
handelt werden. Die Zahl der Suizidopfer liegt weit über der Zahl der Verkehrstoten, ist seit Jahren leicht rückläufig. Depressionen werden in 50 Prozent aller Fälle gar nicht erkannt. Die Diagnose gestaltet sich schwierig, weil viele Patienten im (Arzt-­‐)Gespräch körperliche Beschwerden in den Vordergrund stellen. Erst durch gezieltes Nachfragen ist es oft möglich, eine Depression zu erkennen. Dies ist in erster Linie Aufgabe der Ärzte, aber auch von Multiplikatoren wie Sozialarbeiter, Pfarrer oder Altenpflegekräfte, die in der Erkennung depressiver Stö-­‐
rungen geschult werden sollten. Hinzu kommt, dass psychische Krankheiten immer noch ein Tabu-­‐Thema sind. Gemäß der Devise "Jeder ist mal schlecht drauf" werden die Erkrankung und die Leiden der Be-­‐
troffenen häufig verharmlost. Viele Patienten trauen sich nicht, offen zuzugeben, dass sie an einer psychischen Erkrankung leiden. Sie befürchten Ausgrenzung. Psychisch Kranke werden in unserer Gesellschaft immer noch anders behandelt als körperlich Kranke. Aufklärung und Information kann dazu beitragen, dass es den Betroffenen in Zu-­‐
kunft leichter fällt, sich zu ihrer Erkrankung zu bekennen. 45 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften o
Diabetes mellitus Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) ist entweder durch Insulinmangel (Typ I – ca. 2-­‐5% der Diabetiker)) oder durch Insulinresistenz (Typ II – ca. 95 % der Diabetiker), also ein nicht-­‐Ansprechen der Körperzellen auf Insulin, bedingt (genaues s.o. – die großen Kör-­‐
persysteme: Hormonsystem). Zur Erinnerung: In Deutschland sind etwa 8 Millionen Menschen betroffen (Gesamtprä-­‐
valenz), in der Gruppe der über 60-­‐Jährigen sogar 30 %. Etwa 5 – 10 % der Gesundheits-­‐
kosten entfallen auf die Behandlung der Zuckerkrankheit bzw. deren Spätschäden. Ins-­‐
gesamt „kostet“ die Zuckerkrankheit 25 Milliarden Euro pro Jahr. Angehörige der unteren sozialen Schicht haben doppelt so häufig Diabetes wie Ober-­‐
schicht-­‐Angehörige. In den neuen Bundesländern gibt es deutlich mehr Diabetes als in den alten Ländern. Die Zuckerkrankheit selbst ist nicht tödlich, die Patienten sterben jedoch an den Folgen der Spätschäden (Durchblutungsstörungen an Beinen, Nieren, Augen, Gehirn und Ner-­‐
ven). Die Spätschäden sind Folge zunehmender Gefäßveränderungen, der sog. Mikro-­‐
angiopathie und Makroangiopathie. Während die Makroangiopathie der Arteriosklerose gleichzusetzen ist, kennzeichnet die Mikroangiopathie eine Schädigung der feinsten Adern (sog. Arteriolen und Kapillaren) der betroffenen Organe. Das Bild einer durch dia-­‐
betische Mikroangiopathie geschädigten Netzhaut des Auges wurde oben dargestellt. Ursache des Typ II Diabetes ist eine genetische Veranlagung. Die Krankheit kommt je-­‐
doch erst dann zum Ausbruch, wenn die Lebensweise zu Übergewicht und Bewegungs-­‐
mangel führt. Die Primärprävention muss sich daher ganz auf diese Punkte (Ernährung und Bewegung) konzentrieren, um Übergewicht zu vermeiden. Die Vermeidung von Spätschäden (Sekundärprävention) gelingt neben den bereits er-­‐
wähnten Ansätzen (Gewichtsabnahme bzw. –kontrolle, Bewegung) durch Kontrolle der Zuckerwerte, insbesondere des sog. Langzeitwertes (HbA1c). Dieser Wert gibt darüber Auskunft, wie gut die Zuckerwerte in den letzten 3 Monaten durchschnittlich waren. In der Sekundärprävention ist die Patientenschulung das Wichtigste, um die genannten Zie-­‐
le zu erreichen. In Deutschland gibt es mittlerweile Schwerpunktpraxen, die Schulung und Überwachung von Diabetikern kompetent durchführen. Leider ist die Inanspruch-­‐
nahme z.B. für Schulungen in den unteren sozialen Schichten deutlich geringer. Hier können SozialarbeiterInnen Motivationsarbeit leisten. Einen sehr guten Überblick über das Thema „Diabetes“ gibt folgende Website: http://www.gbe-­‐bund.de/gbe10/abrechnung.prc_abr_test_logon?p_ uid=gasts&p_aid=&p_knoten=FID&p_sprache=D&p_suchstring=9432::Herz Vermutlich wird die Demenz angesichts der demographischen Entwicklung ebenfalls bald zu den Volkskrankheiten gerechnet werden müssen. Das Krankheitsbild wird in der Vorlesung "Psychiatrie und Rehabilitation" besprochen. e. Krankheit und sozialer Status Bereits mehrfach wurde auf die Schichtabhängigkeit zahlreicher Erkrankungen und der Le-­‐
benserwartung insgesamt hingewiesen. Die wissenschaftlichen Grundlagen und Daten wer-­‐
den durch das Fachgebiet der Sozialepidemiologie bearbeitet bzw. erhoben. Eine soziologische Grundlage ist die Theorie der sozialen Schichtung. Schichtung meint Gliederung der Gesellschaft nach dem typischen Status (den Soziallagen) ihrer Mitglieder. Soziale Schichtung ist die vertikale und hierarchische Gliederung der Gesellschaft als Aus-­‐
druck von sozioökonomischen Ungleichheiten und den damit legitimierten ökonomischen und sozialen Privilegien. Schichtung äußert sich in einem für die Mitglieder einer Schicht et-­‐
46 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften wa gleichen Lebensstil. Die Schichtzugehörigkeit bestimmt sich durch Herkunft, Bildungsni-­‐
veau, Beruf, Einkommen, Besitz, Sprache, u.a. Schichten sind nicht scharf abgrenzbar, gehen fließend ineinander über. Üblicherweise wird eingeteilt nach: Oberschicht (6 %), Mittel-­‐
schicht (ca. 50 %, unterteilt in obere / untere Mittelschicht) und Unterschicht (ca. 44 %, ebenfalls unterteil in obere / untere Unterschicht). Die Anteile der einzelnen Schichten an der Gesamtgesellschaft sind interessanterweise in den letzten Jahren weitgehend gleich ge-­‐
blieben. Der Wechsel der Schichtzugehörigkeit z.B. durch Bildung / Ausbildung oder höhe-­‐
res Einkommen wird als soziale Mobilität bezeichnet. Die erhöhte Krankheitsanfälligkeit der unteren sozialen Schichten wird in der Sozialmedizin und in den Gesundheitswissenschaften durch ein Zusammenwirken von persönlichen und sozialen Belastungsfaktoren bei mangelnder sozialer Unterstützung erklärt. Hierbei stehen den sozialen Stressoren die sozialen und persönlichen Ressourcen gegenüber, die über Ge-­‐
sundheit und Lebenserwartung entscheiden. In den unteren sozialen Schichten ergeben sich: • Belastungen durch eine höhere Zahl und Intensität sozialer Stressoren (z.B. eingeschränkte Verfügbarkeit von Einkommen und Wohnraum, chronische Arbeitsbelastungen, langdau-­‐
ernde Arbeitslosigkeit, geringes Einkommen, ungesicherte und zudem schlechte Wohnver-­‐
hältnisse, hohe Verschuldung, chronische Erkrankungen, psychische Probleme, soziale Aus-­‐
grenzung); • geringere Verfügbarkeit von sozialen Ressourcen (z.B. wenige oder dysfunktionale Netz-­‐
werke der sozialen Unterstützung); • geringe bzw. weniger angemessene persönliche Ressourcen und Bewältigungsmöglichkei-­‐
ten (z.B. Orientierung des Gesundheitsverhaltens an schädlichen Normen der Bezugsgrup-­‐
pen bzw. negativen sozialen Werten, geringere Aufmerksamkeit gegenüber Symptomen und Störungen, wenige oder inadäquate persönliche Bewältigungsstrategien gegenüber Belas-­‐
tungen). Angehörige unterer sozialer Schichten sind auch anfälliger für kritische Lebensereignisse (sog. life events), für deren Bewältigung (coping) sie weniger Möglichkeiten haben. In folgenden Bereichen der Gesundheit besteht für untere soziale Schichten ein erhöhtes Krankheitsrisiko: o Herz-­‐Kreislauf-­‐Krankheiten o Arterielle Hypertonie (Bluthochdruck) o Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes und hohe Blutfettwerte o Übergewicht und Fettsucht o Tabak-­‐ und Alkoholkonsum o Psychische Erkrankungen wie Depression o Medikamentenkonsum Hingegen sind protektive Faktoren (Schutzfaktoren) vermindert wie z.B. o Körperliche Aktivität und Sport o Hilfreiche soziale Netzwerke o Inanspruchnahme von Versorgungssystemen o Wissen über Gesundheit, Ernährung … Zusammenhänge zwischen dem sozialen Status und Krankheiten konnten unter anderem für Herz-­‐Kreislauf-­‐Erkrankungen (Herzinfarkt und Schlaganfall: zwei-­‐ bis dreifach erhöhtes Risi-­‐
ko), Krebs-­‐ und Lebererkrankungen (Leberzirrhose) festgestellt werden. Arbeiter haben eine doppelt so hohe Sterblichkeit wie Akademiker. Eine Untersuchung von Angestellten ergab, dass die Sterblichkeit bei niedrigem Einkommen ungefähr doppelt so groß ist wie bei höhe-­‐
rem Einkommen. 47 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Die höhere Krankheitshäufigkeit und Sterblichkeit in den unteren sozialen Schichten soll bei-­‐
spielhaft für die Faktoren Bildung, Armut und Arbeitslosigkeit näher betrachtet werden. Mangelnde Bildung ist ein wichtiger Faktor für Gesundheits-­‐ oder Risikoverhalten. In einer älteren aber nach wie vor zutreffenden Untersuchung des Robert-­‐Koch-­‐Instituts (1991) wurde festgestellt: Männer mit sehr niedrigem Bildungsniveau rauchen doppelt so häufig wie jene mit hohem Bildungs-­‐
niveau, die Anteile starker Raucher sind sogar dreifach höher. Bei den Frauen ergeben sich bezogen auf die Rauchgewohnheiten insgesamt geringere bildungsspezifische Differenzen. Sehr deutlich un-­‐
terscheiden sich die Bildungsgruppen in Bezug auf ihre sportliche Aktivität . 70% der Männer und Frauen mit sehr niedrigem Bildungsstatus sind nicht regelmäßig sportlich aktiv. Mit steigendem Bil-­‐
dungsniveau steigt auch der Prozentsatz der sportlich Aktiven kontinuierlich. Was den regelmäßigen Alkoholkonsum anbelangt, sind für Männer und Frauen gegenläufige Trends zu beschreiben. Bei Männern findet sich der höchste Prozentsatz regelmäßiger Alkoholkonsumenten in der Gruppe mit sehr niedrigem Bildungsstatus, bei Frauen in der am höchsten gebildeten. Quelle: RKI, Gesundheitssurveys. Im Westen wurden Perso-­‐
nen im Alter von 25 bis 69 Jahren, im Osten im Alter von 18 bis 79 Jahren in die Befragung einbezogen. Bildung ist nur eine Dimen-­‐
sion des sozialen Status. Bezüglich des Risiko-­‐ oder Gesundheitsverhaltens ergibt sich jedoch ein deut-­‐
licher Bildungsgradient. Unter den Risikofaktoren für Herz-­‐Kreislauf-­‐Erkrankungen ergeben sich die deutlichsten bildungsspezifischen Unter-­‐
schiede für das starke Über-­‐
gewicht. Männer sowie Frauen mit sehr niedrigem Bildungs-­‐
niveau sind etwa dreimal so oft stark übergewichtig wie Personen mit sehr hohem Bildungsstatus. Deutliche Unterschiede finden sich bei Frauen auch im Hinblick auf die Risikofaktoren Bluthoch-­‐
druck und zu hohe Blutfett-­‐
werte. Die Gesamtbelastung über die Risikofaktoren für Herz-­‐Kreislauf-­‐Erkrankungen, einschließlich dem Zigaretten-­‐
rauchen, steigt mit abneh-­‐
mendem Bildungsniveau deut-­‐
lich an. Auch dieser Zusam-­‐
menhang ist bei Frauen noch stärker ausgeprägt als bei Männern. 48 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Unter den Risikofaktoren für Herz-­‐Kreislauf-­‐Erkrankungen ergeben sich die deutlichsten bildungsspezifischen Unterschiede für das starke Übergewicht. Männer sowie Frauen mit sehr niedrigem Bildungsniveau sind etwa dreimal so oft stark übergewichtig wie Per-­‐
sonen mit sehr hohem Bildungsstatus. Deutliche Unterschiede finden sich bei Frauen auch im Hinblick auf die Risikofaktoren Bluthochdruck und zu hohe Blutfettwerte. Die Gesamtbelastung über die Risikofaktoren für Herz-­‐Kreislauf-­‐Erkrankungen, einschließlich dem Zigarettenrauchen, steigt mit abnehmendem Bildungsniveau deutlich an. Auch die-­‐
ser Zusammenhang ist bei Frauen stärker ausgeprägt als bei Männern. Männer unterer sozialer Schichten haben ein doppelt so hohes Risiko, an einem Herzinfarkt zu erkranken, wie andere. In einem Zeitraum von zehn Jahren erkranken oder sterben etwa sechs Prozent der 40-­‐ bis 65jährigen an einem Herzinfarkt, aber nur drei Prozent der Män-­‐
ner in Führungspositionen. Armut . Neben Bildung ist die ökonomische Situation eine weitere, wichtige Dimension des sozialen Status. Etwa 8 % der Bevölkerung in den neuen und 13 % in den alten Bundeslän-­‐
dern gelten als arm. Armut ist mit erhöhter Krankheitshäufigkeit und Sterblichkeit ver-­‐
knüpft. "Armutsrisikogruppen" sind z.B. Arbeitslose, Wohnungslose, Alleinerziehende, Kin-­‐
der, Ausländer… Krankheit selbst stellt wiederum ein Armutsrisiko dar. Man schätzt, dass etwa ein Drittel der Kündigungen in Wirklichkeit auf Krankheit zurückzuführen ist. Bevölke-­‐
rungsgruppen, die besonders von Armut betroffen sind, haben ein signifikant erhöhtes Morbiditäts-­‐ und Mortalitätsrisiko. Die Lebenserwartung ist bei Armut um fast 10 Jahre ge-­‐
ringer! Es gibt im Wesentlichen vier Erklärungsansätze bzw. Hypothesen: 1) Nicht Armut macht krank, sondern Krankheit macht arm. 2) Arme haben einen schlechteren Zugang zur medizinischen Versorgung. 3) Die Lebensbedingungen machen Arme krank. 4) Arme weisen ein ungünstigeres Gesundheitsverhalten auf. So ist nachgewiesen worden, dass die Einführung der Praxisgebühr die Zahl der Arztbesuche in den unteren sozialen Schichten deutlich reduziert hat. Inzwischen wurde die Praxisgebühr wieder abgeschafft (2013). Arbeitslosigkeit, insbesondere Langzeitarbeitslosigkeit, ist in unteren sozialen Schichten deutlich häufiger. Verschiedene Studien belegen, dass Arbeitslosigkeit mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko korreliert. So leiden zwischen 20 und 60 Prozent aller Arbeitslosen unter seelischen und körperlichen Erkrankungen, wobei psychische und psychosomatische Krank-­‐
heiten überwiegen. Bei den psychosomatischen Beschwerden dominieren Ängste, Schlaflo-­‐
sigkeit und depressive Symptome. Ein erhöhtes Risiko besteht auch für Herz-­‐Kreislauf-­‐
Krankheiten (um 50 Prozent erhöht) und Krebs. Ein um mehr als das Doppelte erhöhtes Risi-­‐
ko besteht, Unfälle oder einen gewaltsamen Tod (auch durch Suizid) zu erleiden. Erkrankun-­‐
gen der Verdauungsorgane, zum Beispiel Magen-­‐ und Zwölffingerdarmgeschwüre, treten ebenfalls häufiger auf. Langzeitarbeitslose sind besonders betroffen. Sie haben eine deutlich erhöhte Häufigkeit für Herz-­‐Kreislauf-­‐ und Atemwegs-­‐Erkrankungen. Zudem treten bei Lang-­‐
zeitarbeitslosen signifikant häufig suizidale Phasen auf. Suizidversuche und vollzogene Selbsttötungen sind generell häufiger bei arbeitslosen Menschen. Selbsttötungsversuche finden sich bis zu 20mal häufiger als bei vergleichbaren Gruppen von Erwerbstätigen. Ø Die Sterblichkeit bei Arbeitslosen ist insgesamt um das 2,6fache höher ist als bei Er-­‐
werbstätigen. Arbeitslose nehmen im Vergleich zu Erwerbstätigen seltener medizi-­‐
nische Vorsorgeuntersuchungen und Gesundheitsförderungsmaßnahmen wahr. 49 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften 4. Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention Die Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenkassen lagen 2015 bei 209,3 Milliarden Euro. Hinzukommen über 5 Milliarden Euro Zuzahlungen der Versicherten. Für Vorsorge, Rehabili-­‐
tation und Früherkennung wurde ein vergleichsweise geringer Betrag von ca. 5,3 Milliarden € aufgewendet, der sich aufteilt in Primärprävention (4 %), Selbsthilfeförderung (0,9 %), Zahnprophylaxe (16 %), Schutzimpfungen (29 %), medizinische Vorsorge (6 %), Mütterkuren (10 %), Früherkennung bei Kindern und Erwachsenen (29 %). Die Ausgaben pro Jahr und Versicherten betrugen in 2013 3,01 € und in 2015 4,16 €.. Für Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention im engeren Sinne wird also kaum Geld ausgegeben. Obige Grafik dokumentiert die Aufwendungen der gesetzlichen Krankenkassen (Angaben der GKV 2014). Die Prävention gesetzlich zu verankern, ist seit 2005 mehrfach ge-­‐
scheitert (s. S. 44-­‐45). Erst im Juni 2013 wurde das „Präventionsförderungsgesetz“ im Bun-­‐
destag beschlossen. Ziel ist es, 6 € pro Versichertem pro Jahr für Prävention aufzuwenden. Das ist zwar eine Verdoppelung, jedoch immer noch ein vergleichsweise geringer Betrag. Weitere Informationen: http://www.bmg.bund.de/presse/pressemitteilungen/2013-­‐
02/praeventionsfoerderungsgesetz-­‐beschlossen.html Die Gesamtausgaben für Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland liegen bei ca. 10 Milliarden Euro, weil noch andere Träger hierfür Aufwendungen leisten (gesetzliche Rentenversicherung, öffentliche Hand, Unfallversicherung, private Krankenversicherung usw.). Gesundheitsförderung umfasst laut WHO fünf Bereiche: -­‐ Entwicklung einer gesundheitsfördernden Gesamtpolitik -­‐ Gesundheitsfördernde Lebenswelten schaffen -­‐ Gesundheitsbezogene Gemeinschaftsaktionen unterstützen 50 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften -­‐ Persönliche Kompetenzen entwickeln -­‐ Gesundheitsdienste neu orientieren Aus Sicht des Dozenten hat Gesundheitsförderung in Deutschland noch zu wenig Gewicht. a.
Salutogenese-­‐Konzept Ein spezieller Ansatz der Gesundheitsförderung ist das Salutogenese-­‐Konzept, zurückgehend auf den Medizinsoziologen Aaron Antonovsky (geb. 1923 in New York, gest. 1994 in Israel). In der traditionellen Medizin wird in der Regel die Abfolge krankmachender Faktoren untersucht, um Krankheit besser verstehen zu können (Pathogenese). Gesundheit ist jedoch nicht nur die Abwesenheit von Krankheit. Daher liegt es nahe, nicht die krankmachenden Faktoren sondern die gesunderhaltenden Faktoren zu betrachten (Salutogenese). Man kann sich Gesundheit und Krankheit als Pendel vorstellen, welches in die eine oder ande-­‐
re Richtung ausschlägt. Hier geht es um die Kräfte, die das Pendel Richtung Gesundheit bewe-­‐
gen. Die Grundlage der Salutogenese stammt aus Beobachtungen der Stress-­‐ und Coping-­‐
Forschung (1979 erschien Antonovskys Buch „Health, Stress and Coping“). In der Bewältigung von Stresssituationen werden Ressourcen aktiviert, was uns -­‐ bei erfolgreicher Bewältigung – ein Gefühl des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten vermittelt. Dieses Gefühl verstärkt sich mit jeder bewältigten Situation und erzeugt ein Vertrauen, dass die Umwelt vorhersagbar ist und sich die Dinge mit hoher Wahrscheinlichkeit so entwickeln, wie man es vernünftigerweise erwarten kann (Sinnhaftigkeit). Der Ablauf der Dinge stellt sich uns logisch, zusammenhängend („kohärent“) und nachvollziehbar dar. Diese Erfahrung bezeichnet Antonovsky als Kohärenz-­‐
sinn („sense of coherence“ – SOC). Der SOC ist das Kernelement des Salutogenese-­‐Konzepts. Die Ausprägung des SOC entscheidet darüber, wie gut ein Individuum Störungen der Gesundheit und Stress bewältigen kann. Er lässt sich in drei Komponenten gliedern: Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit. Aus diesen Komponenten entwickelt sich das Gefühl der Vorhersage: die Abläufe in meinem Innern und in der Umwelt sind nicht zufällig oder chaotisch, sondern vorhersagbar. Je nach-­‐
dem, wie gut entwickelt die einzelnen Komponenten (Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Be-­‐
deutsamkeit) sind, bleiben wir stabil, fühlen uns im Gleichgewicht oder über-­‐ bzw. unterfor-­‐
dert. Antonovsky hat ausführlich die Entwicklung der Komponenten in Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter beschrieben und darauf hingewiesen, dass der SOC einer Dynamik unter-­‐
liegt, d.h. in Grenzen auch bei Erwachsenen entwicklungsfähig bleibt. Die Ausprägung des SOC lässt sich mit dem von Antonovsky entwickelten Fragebogen (Angang III Seite 74) erfassen. Im Folgenden zwei Beispiele aus dem Buch Antonovskys „Salutogenese – Zur Entmystifizierung der Gesundheit“, die den Unterschied zwischen Menschen mit starkem und schwachem Kohä-­‐
renzgefühl zeigen: Beispiel 1 Mann, 50, verheiratet, zwei Kinder, Leiter einer sozialen Einrichtung, Überlebender des Holocaust [In Erinnerung an Ereignisse des Zweiten Weltkriegs] Obwohl diese Ereignisse für mich lebende Er-­‐
innerungen sind, bezogen sie sich, so wie es war, nicht speziell auf mich. Ich hatte nicht das Gefühl eines persönlichen Affronts. Was geschah, geschah jedem von uns. [Als IS-­‐jähriger im Ghetto] Ich führte gleichermaßen meine Studien fort und schloss mich dem Untergrund an, wo ich lernte, mit Waffen umzugehen. (...) Dies hielt mich gesund. (...) Ich war pessimistisch, glaubte nicht, dass ich oder andere lebend aus dem Ganzen herauskommen würden. (...) Aber ich hielt nichts davon, meine Identität aufzugeben, nur, um am Leben zu bleiben. [Im Konzentrationslager] Der Tod war kein täg-­‐
liches Ereignis, fand jedoch in jedem Moment statt. Aber wir wurden isoliert, auch hier war es wie-­‐
der ein kollektives Ereignis, nicht gegen mich persönlich gerichtet. [Nach dem Krieg] Es war natür-­‐
lich, dass ich nach Israel ging (...) der Armee beitrat (...) und dann anfing zu studieren. Beispiel 2 Frau, 50, verwitwet, zwei Kinder, Hausfrau, Tod des Ehemanns vor drei Jahren 51 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Ich bin eine kranke Frau, ich habe immer an irgend etwas gelitten, auch schon vor der Tragödie vor drei Jahren, als mein Mann starb. (...) Sie warfen ihn aus dem Krankenhaus, als ob alles in Ordnung sei. Aber ich wusste aufgrund seines Aussehens, dass er krank war. (...) Ich glaube an das Schicksal. Sicher, ich weiß nicht, in wessen Händen es liegt, weil ich nicht mehr an Gott glaube. (...) Ich konnte seinem Va-­‐
ter nicht in die Augen sehen -­‐ er starb ein Jahr später -­‐ oder meinem älteren Sohn. (...) Ich weinte nicht bei der Beerdigung, aber seitdem habe ich nur noch geweint. (...) Mein Leben ist seit jeher voller Verluste gewesen. (...) Die Dinge sind hart, ich habe keinen Glauben an irgend jemanden mehr. (...) Das ganze Leben ist voller Probleme, nur beim Sterben gibt es keine Probleme. (...) Ich denke nicht einmal daran, mit einem Mann auszugehen oder wieder zu heiraten. (...) Wir haben die Knaus-­‐Ogino-­‐Methode angewandt, aber es gab Pannen und ich hatte mehrere Abtreibungen. Mein Mann wollte nicht verste-­‐
hen. Als er damit drohte, zu anderen Frauen zu gehen, sagte ich, es mache mir nichts aus, solange er mich bloß in Ruhe ließe. Stressoren werden in der traditionellen Sicht meist als schädlich betrachtet. Antonovsky be-­‐
zeichnet Stressoren als „Widerstands-­‐Defizite“. Man weiß jedoch, dass ein potentiell schädi-­‐
gender Stressor dann gesundheitsförderlich wirken kann, wenn gleichzeitig soziale Unterstüt-­‐
zung erfahren wird. In diesem Fall wird die stressbedingte Aktivierung von Körper und Geist positiv genutzt. b.
Vorsorgeprogramme Vorsorge hat nicht zum Ziel, Krankheiten zu verhindert, dies wäre Prävention (s.u.). Vorsorge fördert Gesundheit, weil durch rechtzeitige Entdeckung von Entwicklungsdefiziten (bei Kin-­‐
dern) oder Krankheiten wie z.B. Krebs die Förder-­‐ und Heilungschancen verbessert werden. Vorsorge dient also der Früherkennung gesundheitlicher Störungen. Vorsorgeprogramme innerhalb der GKV existieren z.B. für Kinder und Jugendliche (neun Vor-­‐
sorgeuntersuchungen für Kinder innerhalb der ersten 6 Lebensjahre, eine Jugendgesundheits-­‐
untersuchung zwischen dem 13. und 14. Lebensjahr), für Schwangere, zur Erkennung von Herz-­‐Kreislauferkrankungen („Gesundheits-­‐Check“) und zur Krebsfrüherkennung. Der Leistungsumfang ist genau festgelegt. Als Beispiel seien die Programme der GKV zur Krebs-­‐
vorsorge (= Krebsfrüherkennung) und zur Früherkennung von Herz-­‐Kreislauferkrankungen dar-­‐
gestellt: Hautkrebsfrüherkennung ab 35. Lebensjahr alle 2 Jahre Genitaluntersuchung zur Krebsfrüherkennung bei Frauen ab 20. Lebensjahr jährlich Brustuntersuchung zur Krebsfrüherkennung bei Frauen ab 30. Lebensjahr jährlich Früherkennung von Herz-­‐Kreislauf-­‐ Erkrankungen, Nierenerkrankungen und Zuckerkrankheit (Untersuchung + kleiner Laborcheck) ab 35. Lebensjahr alle 2 Jahre Prostata-­‐/Genitaluntersuchung zur Krebsfrüherkennung bei Männern ab 45. Lebensjahr jährlich Enddarm-­‐ und Stuhluntersuchung zur Darmkrebsfrüherkennung ab 50. Lebensjahr jährlich Darmspiegelung zur Darmkrebsfrüherkennung ab 55. Lebensjahr zweimal in 10 Jahren Zwischen dem 50. und 69. Lebensjahr haben Frauen außerdem alle zwei Jahre Anspruch auf eine Mammographie (Röntgenuntersuchung der Brust) 52 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften c.
Prävention Unter Prävention werden hier Maßnahmen verstanden, die das Auftreten von Erkrankungen verhindern sollen, also der Krankheit zuvor zu kommen. Die herkömmliche Einteilung ist wie folgt: Primärprävention ist die Verhinderung der Erstmanifestation einer Krankheit. Beispiel: Durch Bewegungsprogramme und Ernährungsschulung können Herz-­‐Kreislauferkrankungen und Diabetes vermieden werden. Weitere Beispiele sind Drogenprävention, Arbeitsplatzhygiene und Impfprogramme. Sekundärprävention bedeutet, bei einer bereits bestehenden Krankheit deren erneutes Auftre-­‐
ten zu verhindern. Beispiel: Nach Herzinfarkt kann durch Elimination von Risikofaktoren ein weiterer Infarkt vermieden werden. Oder: Nach Bandscheibenvorfall (BSV) kann durch Rückenschule und evtl. orthopädische Hilfsmittel am Arbeitsplatz (Stehpult, orthopädischer Bürostuhl …) ein weiterer BSV vermieden werden. Tertiärprävention heißt, die Verschlimmerung einer bestehenden Erkrankung zu verhindern und Krankheitsfolgen zu lindern. Beispiel: Bei beginnender Alzheimer-­‐Demenz kann „Gehirn-­‐Jogging“ das Fortschreiten der Erkrankung verzögern. Die genannte Einteilung der Prävention ist zwar (noch) allgemein gebräuchlich, wurde aber in-­‐
zwischen durch neuere Ansätze verändert. In der Terminologie der WHO wird die Primärprä-­‐
vention als eigentliche Prävention mit dem Ziel der Inzidenzreduktion bezeichnet. Sekun-­‐
därprävention geschieht durch Behandlung („treatment“) und Tertiärprävention durch Auf-­‐
rechterhaltung der Behandlung („maintenance“). Neuere Ansätze der Einteilung unterscheiden: universale Prävention, selektive Prävention und indizierte Prävention (Mrazek & Haggerty 1994). Universale Prävention: Ziel ist die Inzidenzreduktion neuer Krankheitsfälle in der Allgemeinbe-­‐
völkerung oder Bevölkerungsteilen, unabhängig vom jeweiligen Erkrankungsrisiko, z.B. durch Schulungsprogramme, Massenmedienkampagnen, Reihenimpfungen, Trinkwasseroptimierung etc. Selektive Prävention: Ziel ist ebenfalls die Inzidenzreduktion neuer Krankheitsfälle bei Gruppen mit erhöhtem Krankheitsrisiko, jedoch ohne Vorliegen einer Erkrankung. Die vorliegenden Pro-­‐
gramme sind Risikofaktoren-­‐orientiert und beziehen sich sowohl auf körperliche wie psychi-­‐
sche Erkrankungen. Indizierte Prävention: Ziel ist auch die Inzidenzreduktion neuer Krankheitsfälle jedoch bei Gruppen mit einigen Symptomen der Krankheit, jedoch ohne Erfüllung aller Diagnosekriterien. Auch hier gibt es Programme für körperliche und seelische Störungen. Präventionsprogramme existieren für Kinder und Jugendliche sowie für Erwachsene. Beispiel-­‐
haft seien zwei Programme erwähnt (aus: http://www.gesundheitspsychologie.net/ , auf der Startseite rechts finden sich die Links zu den Präventionsprogrammen): Präventionsprogramm für Kinder und Jugendliche „Stark im Leben“ Schwerpunkte: Nikotinprävention, Magersuchtprävention, Selbstsicherheit Zielgruppe: Schüler der Klassen 7 und 8 Ziele: Primäre und sekundäre Nikotinprävention, Magersuchtprävention, Selbstsicherheit und Standfes-­‐
tigkeit, Reduktion von Risikoverhalten und Ergreifen von Schutzmaßnahmen, Hilfe holen können, besse-­‐
re Körperwahrnehmung Inhalte: Mutproben, Standfestigkeit, selbstsicheres Verhalten in Sympathie-­‐ und Recht-­‐Haben Situatio-­‐
nen, Persönliche Stärken, Flirttraining, Körperberührungen und Sexualität bei Jungen, Körperbild bei 53 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Mädchen, Marlboro-­‐Mann, Frauen und Rauchen, Gefühle erkennen und ausdrücken, Umgang mit schlechten Stimmungen, Hilfe holen/Beratungseinrichtungen, Krebsfrüherkennung und Selbstuntersu-­‐
chungen (Brust-­‐ und Hodenkrebs) Methodik/ Didaktik: Einsatz von Schülern als Teamleiter (Peer-­‐Leader), Gruppenarbeit, Rollenspieltrai-­‐
ning, verhaltenstherapeutische Hausaufgaben, mädchen-­‐ und jungenspezifische Aufgabenstellungen, spezielle Trainingsmaterialien für Raucher und Nichtraucher. Durchführung: Schulklassen, 9 Doppelstunden in Klasse 7, 3 Doppelstunden in Klasse 8 Trainer: Lehrer und Schüler (Peer-­‐Leader) mit vorhergehender Schulung Präventionsprogramme für Erwachsene „Abnehmen -­‐ aber mit Vernunft“ Zielgruppe: Erwachsene mit Übergewicht (BMI > 25) Ziele: Langfristige Umstellung des Essverhaltens, der Ernährung und des Bewegungsverhaltens. Inhalte: Die Teilnehmer/innen werden angeleitet, ihr Essverhalten zu beobachten und zu analysieren, schrittweise zu verändern und nachhaltig zu stabilisieren. Weitere Ziele sind die Verbesserung der Kör-­‐
perwahrnehmung und der Beweglichkeit/Kondition, das Erlernen eines Entspannungsverfahrens und Förderung des persönlichen Wohlbefindens Methodik/ Didaktik: Wichtige Bausteine sind Aufstellen eines individuellen Essensplan (kalorien-­‐ und fettreduzierte, ausgewogene Mischkost nach den Empfehlungen der DGE -­‐ Deutsche Gesellschaft für Er-­‐
nährung), schrittweises Umsetzen der Ziele, Bewegungs-­‐ und Entspannungsübungen, Übungen zur Stressbewältigung und Problemlösen, Rollenspiele zum Umgang mit Versuchungssituationen. Durchführung: Das Programm ist für Gruppen von 8-­‐12 Teilnehmer/innen konzipiert und läuft über 20 Wochen mit 16 angeleiteten Gruppentreffen à 90 Minuten und 4 Treffen in Eigenregie (ohne Trainer/in). Trainer: Die Kurse werden von speziell geschulten Fachkräften durchgeführt (Dipl.-­‐
Ökotrophologen/innen, Diätassistenten/innen, Dipl.-­‐Psychologen/-­‐innen und Ärzte/-­‐innen). Die Schu-­‐
lung wird von Schulungsleitern mit langjähriger Erfahrung durchgeführt und erstreckt sich über 4 Tage. Schulungen und Qualitätssicherung werden vom IFT (Institut für Therapieforschung) organisiert; dort ist auch eine Liste geschulter Trainer erhältlich. Insgesamt wurden vom IFT seit Übernahme der fachlichen Betreuung 1991 über 1400 Trainer ausgebildet (siehe: www.ift-­‐gesundheit.de). Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung ergänzen sich. An einem Beispiel sei dies dargestellt. Gesundheitsziel: Gesund aufwachsen (Ernährung, Bewegung, Stressbewältigung) Einzelziele: •Förderung von gesundem Ernährungsverhalten bei Kindern und Jugendlichen, Reduktion von Fehlernährung (Setting KiTa, Schule und Familie/Freizeit) •Stärkung motorischer Fähigkeiten, Reduktion von Bewegungsmangel (Setting KiTa, Schule und Familie/Freizeit) •Stärkung der Fähigkeiten zur Stressbewältigung, Reduktion von Stressoren (Setting KiTa, Schule und Familie/Freizeit) •Optimierung der Rahmenbedingungen für Gesundheitsförderung in KiTa, Schule, Familie und Freizeit (Aktionsfeld Rahmenbedingungen) Maßnahmen: •Gesundheitsbezogene, aufsuchende Angebote für junge, sozial benachteiligte Familien •Ausbau und Vernetzung familienbezogener Angebote in sozial benachteiligten Stadtteilen •Ausbau niedrigschwelliger Hilfsangebote in sozial benachteiligten Stadtteilen •Entwicklung von Konzepten für eine „Gesundheitsförderliche Kindertagesstätte“ •Erprobung der Gemeinschaftsverpflegung in der KiTa •Auf-­‐ und Ausbau (über)regionaler Service-­‐ und Beratungsstrukturen zur gesundheitsfördernden Schulentwicklung •Evaluation derzeit (an)laufender Modellversuche zur Unterstützung und Vernetzung gesund-­‐
heitsfördernder Schulen •Anpassung des Konzeptes der „gesundheitsfördernden Schule“ auf die Schulform der Berufs-­‐
schule 54 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Über nationale Gesundheitsziele informiert das BfG: http://www.bmg.bund.de/themen/gesundheitssystem/gesundheitsziele.html d. Betriebliches Gesundheitsmanagement Nur gesunde und zufriedene Mitarbeiter sind gute Mitarbeiter und erhöhen die Produktivität des Betriebs! Gesundheitsförderung im Betrieb ist Managementaufgabe. Daher spricht man von betriebli-­‐
chem Gesundheitsmanagement (BGM). Globalisierung und Strukturwandel der Wirtschaft er-­‐
höhen den Zeitdruck, steigern die Komplexität der Aufgaben und die Verantwortung. In Ver-­‐
bindung mit dem demografischen Wandel, mit Unternehmensverkäufen, Fusionen und per-­‐
manenten Restrukturierungen stellen diese Trends die Unternehmen vor neue Herausforde-­‐
rungen. Die Folgen dieser Entwicklung -­‐ wie beispielsweise Mobbing, Motivationsverlust, inne-­‐
re Kündigung, Burnout und arbeitsbedingte Erkrankungen -­‐ zu verhüten und zu bekämpfen, wird zu einer zentralen Aufgabe für die betriebliche Personal-­‐ und Gesundheitspolitik sowie den Arbeits-­‐ und Gesundheitsschutz. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind die wichtigste Ressource eines Unternehmens: Sie müs-­‐
sen gefördert und geschützt werden gerade in Zeiten schnellen Wandels. Ein aktives Gesund-­‐
heitsmanagement bedeutet eine nachhaltige Investition in das betriebliche Sozial-­‐ und Hu-­‐
man“kapital“ und mobilisiert unerschlossene Leistungspotenziale, die Beiden nutzen -­‐ den Be-­‐
schäftigten und den Unternehmen. BGM zielt auf die Führung, die Unternehmenskultur, das Betriebsklima, die soziale Kompetenz, auf die Arbeitsbedingungen und das Gesundheitsverhalten: Einem vorzeitigen Verschleiß der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wird auf allen Unternehmensebenen entgegengewirkt. Ge-­‐
sundheit und Wohlbefinden der Beschäftigten werden gefördert. Durch geringere Fehlzeiten, eine stärkere Motivation, verbesserte Qualität und Produktivität wird das Betriebsergebnis sowie die langfristige Rentabilität und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens gesteigert. Leitprinzipien des BGM sind die Integration und die Partizipation. Es integriert die betrieblichen Aktivitäten zum Schutz des Menschen bei der Arbeit und zur gesundheitsförderlichen Gestaltung von Arbeitsinhalten, Arbeitsbedingungen und Arbeitsorganisation sowie die personenbezogenen Maßnahmen zur besseren Bewältigung des Arbeitsalltags. Das BGM gibt Orientierung für ein Verhalten der Beschäftigten, vor allem der Führungskräfte, das Sicherheit, Gesundheit und Wohlbefinden fördert. Erfolgreich kann es nur sein, wenn alle Beschäftigtengruppen aktiv beteiligt werden. In der Regel wird zunächst ein Lenkungsgremium geschaffen, das die Institutionalisierung, Ausgestaltung und Weiterentwicklung der Bereiche Arbeitsschutz, Gesundheitsförderung, Suchtprävention und Sozialberatung koordiniert. Besonders konfliktanfällig erweist sich die Gestaltung der Schnittstellen für die Kooperation verschiedener betrieblicher Fachstellen wie z.B. Arbeitssicherheit, betriebsärztliche und soziale Dienste, Personal-­‐, Organisations-­‐ und Qua-­‐
litätsmanagement sowie die Zusammenarbeit mit den Interessenvertretungen. Das BGM trägt zu einer zielgerichteten Maßnahmenentwicklung und zur Überprüfung der Wirksamkeit gesundheitsbezogener Aktivitäten -­‐ mit Blick auf ihre Wirkung für Frauen und Männer -­‐ bei. Es sorgt außerdem für eine Beteiligung der Organisation an überbetrieblichen, nationalen und internationalen fachlichen Netzwerken. Strukturen, Instrumente und Maßnahmen des BGM: Arbeitsschutz / Gesundheitsschutz: integriertes Arbeitsschutz-­‐/ Gefahrstoffmanagementsys-­‐
tem, Gefährdungsbeurteilung, moderiertes Sicherheitsgespräch 55 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Organisationsentwicklung: Leitbildentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen, Kli-­‐
magruppen Qualitätsmanagement: Q-­‐Managementssystem (z.B. TQM, EFQM), Qualitätszirkel, Qualitäts-­‐
standard/-­‐audit Sozialberatung: Mitarbeiterberatung, Konfliktmoderation, Partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz Betrieblicher Umweltschutz Gesundheitsförderung: Gesundheitsbericht, Gesundheitszirkel, Gesundheitskompetenz Personalentwicklung: Führungskompetenz, Personal-­‐/Teamentwicklungsprogramme, Mitar-­‐
beiterbefragungen, Stress-­‐ / Selbstmanagement Suchtprävention und Suchthilfe: Präventionsangebote, Stufengespräche, Vorgesetztensemi-­‐
nare, Umgang mit auffälligen Mitarbeiter/innen (aus: Dr. E. Wienemann | Weiterbildungsstudium Arbeitswissenschaft | Universität Hannover | 2002) Maßnahmen innerhalb des BGM laufen nach allgemeinen Prinzipien des Qualitätsmanage-­‐
ments ab: Quelle: www.bgm-bielefeld.de Beispiel für ein Programm innerhalb des BGM: Gesundheitsförderung von Azubis im Betrieb (Fa. ThyssenKrupp Nirosta) Die Auszubildenden durchlaufen im Rahmen Ihrer Ausbildung insgesamt 4 Gesundheitstage im Rahmen einer Einführungswoche im ersten bzw. zweiten Lehrjahr im zweiten bzw. dritten Lehrjahr im Rahmen einer Abschlusswoche Die Themenstruktur umfasst Suchtmittel Bewegung Ernährung Sport Gesundheits-­‐Check Die Themen sind weiter aufgegliedert, das Thema Suchtmittel umfasst beispielsweise: Alkohol/Nikotin/Cannabis... Muss doch jeder selbst wissen -­‐ oder? Alkohol = legal / Drogen = illegal. Wie sollte das geregelt sein? Alkohol & Drogen, was hat das mit Arbeitssicherheit zu tun? Erarbeitung einer eigenen Einstellung zum Thema Suchtmittel. 56 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften In diesem Zusammenhang ist auch das Programm „Azubi Fit“ zu erwähnen, welches umfassen-­‐
der als „Gesundheitsportal für Azubis“ im Internet auftritt (http://www.azubifit.com/ ), insbe-­‐
sondere die Seiten „So geht gesund“ sind empfehlenswert. e. Soziale Arbeit und Gesundheitsförderung „Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. Um ein umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen, ist es notwendig, dass so-­‐
wohl Einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrneh-­‐
men und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern bzw. verändern können. In diesem Sinne ist die Ge-­‐
sundheit als ein wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens zu verstehen und nicht als vorrangiges Lebensziel. Gesundheit steht für ein positives Konzept, das in gleicher Weise die Bedeutung sozialer und individueller Ressourcen für die Gesundheit betont wie die körperlichen Fähigkeiten. Die Verantwortung für Gesundheitsförderung liegt deshalb nicht nur bei dem Gesundheitssektor sondern bei allen Politik-­‐
bereichen und zielt über die Entwicklung gesünderer Lebensweisen hinaus auf die Förderung von um-­‐
fassendem Wohlbefinden hin.“ (Weltgesundheitsorganisation 2006 – Ottawa-­‐Charta) Da sich soziale Arbeit unter anderem damit befasst: „… gesellschaftlich benachteiligte oder persönlich beeinträchtigte Menschen zu möglichst eigenständiger Lebensbewältigung zu befä-­‐
higen und zur Integration in die Gesellschaft anzuleiten“ und andererseits Gesundheit / Krank-­‐
heit sozial ungleich verteilt sind, braucht es keine weitere Begründung, um Gesundheitsförde-­‐
rung im weitesten Sinne als eine der Hauptaufgaben sozialer Arbeit zu begreifen. Der unmittelbare Zusammenhang von Armut und Gesundheit ist in der Sozialarbeit seit langem bewusst und begründet professionelle Interventionen. Diese erfolgen konkret in klar um-­‐
schriebenen Arbeitsfeldern wie öffentlicher Gesundheitsdienst, Sozialdienst in Kliniken, Sucht-­‐
beratung oder Rehabilitation. Hierbei muss sich Sozialarbeit einerseits abgrenzen gegenüber neuen „Gesundheitsberufen“ (Gesundheitswirt, public health, Gesundheitsberater usw.), die teilweise als Fachhochschulausbildung angeboten werden, andererseits gegenüber den mehr medizinisch orientierten Berufsfeldern (z.B. Pflegewissenschaften u.a.). Die Gesundheitsförderung als klinische Sozialarbeit (clinical social work) ist als anwendungsori-­‐
entierter Teil der Sozialarbeitswissenschaft zu verstehen. Besonders die Abgrenzung zu Ge-­‐
sundheitswissenschaften ist schwierig. In der sozialen Arbeit sind immer der gesellschaftliche Bezug und die sozialpolitische Dimension von Bedeutung, der Schwerpunkt liegt auf Lebens-­‐
bewältigung und sozialer Integration, während Gesundheitswissenschaft Lebenszufriedenheit und Wohlbefinden im Focus hat – ebenfalls mit dem Blickwinkel des gesellschaftlichen Hinter-­‐
grunds. In der Tat gibt es eine große Schnittmenge zwischen beiden Feldern. Beispiel für Gesundheitsförderung und Prävention im Stadtteil im Rahmen klinischer Sozialar-­‐
beit (Chemnitz): Problemlage: Gesundheitsdefizite betroffener Gruppen wie Alleinerziehende und ihre Kinder, Arbeitslose, kinderreiche Familien, Ausländer, Migranten u.a. vor dem Hintergrund schlechter Wohnqualität, maroder Bausubstanz und städtebaulicher Defizite. •
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Zielgruppenanalyse Handlungsprinzipien und Ziele: Gemeindenähe, Selbsthilfe und Selbstverantwortung. Stärkung der Betroffenenkompetenz, Aufbau von nicht medizinischen Präventionsangeboten und sozia-­‐
len Unterstützungssystemen, Vernetzung bestehender Einrichtungen zur Gesundheitsversor-­‐
gung. Stärkung eines medizinischen Systems, welches ein längeres Verbleiben Pflegebedürftiger im bekannten Wohn-­‐ und Lebensumfeld und einen bedarfsgerechten Zukauf von Hilfen ermög-­‐
licht. 57 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften •
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Einrichtung eines Bürgerbüros als Anlaufstelle, zur Information, Kommunikation, Herstellung von Kontakten usw. Das Bürgerbüro ist ein „Netzwerkknoten“ (s.u.) Gesundheitsförderliches Setting (d.h. Verbesserung der Rahmenbedingungen, unter denen die Menschen im Stadtteil leben). Netzwerkarbeit: Stärkung eines sozial unterstützenden Netzwerks zur emotionalen Unterstüt-­‐
zung, Vermittlung und Aufrechterhaltung einer sozialen Identität, materieller Hilfe und Dienst-­‐
leistung, Vermittlung von Informationen und Herstellung neuer sozialer Kontakte. Knoten des Netzwerks sind z.B. Vereine und Institutionen, Kommunalverwaltung, Bürgerbüro, die Bürger des Wohngebietes. Netzwerkbeispiel ist die AG Kultur und Soziales: Hier arbeiten Vereine, Schule, Jugend -­‐, Sozial -­‐ und Kulturamt, Polizei und Bürger mit. Verbesserung der baulichen Struktur z.B. Reduzierung der Brachen und Schaffung einiger Frei-­‐
zeitplätze, Schaffung der Jugendaktionsfläche (Skater-­‐ und Streetballfläche, Multifunktionsflä-­‐
che mit Kletterwandelementen, Sprayerwände und vieles mehr). Realisierung durch Zusam-­‐
menarbeit mit den Nutzern und Bürgerbeteiligung. Gewinnung von Angebotsträgern zur gesundheitlichen Prävention unter anderem die Kinderta-­‐
geseinrichtungen, Schulen, Freizeiteinrichtungen, aber auch die Gewerbetreibenden und öf-­‐
fentlichen Einrichtungen wie Behörden oder das Bürgerbüro. Z.B. Angebotsträger Schule: Präventionsangebote für gesunde Ernährung, Bewegung und Stressregulation. Trainings für den Umgang mit Konflikten und Gewaltsituationen. Angebote für bestimmte Zielgruppen wie Migranten (interkulturelle Begegnungsstätte, Dol-­‐
metschen bei Arztbesuchen, Präventionsinformation in Muttersprache u.a.) •
Entwicklung von niedrigschwelligen Angeboten (z.B. Maßnahmen mit Ziel gesunde Ernährung, Rauchen, Blutdruckkontrolle, Entspannung, Stressbewältigung oder Autogenes Training. Ver-­‐
mittlung in Form von Form von Gesundheitsfesten oder themenorientierten Großaktionen. zu Auch die betriebliche Gesundheitsförderung gehört hierzu. •
Mediale Unterstützung (z.B. Handzettel, Faltblätter oder Broschüren die über die einzelnen Ri-­‐
siko-­‐ und Verhaltensbereiche, Internetportale, Plakate, Aufkleber, Ausstellungsmaterialien, ei-­‐
gene (Stadtteil-­‐)Zeitungen, Kooperation mit Presse und Rundfunk. Gesundheitsbildung und Gesundheitserziehung als sozialpädagogischer Ansatz (Vorträge, Se-­‐
minare, Kurse, workshops – Einrichtung einer „Gesundheitswerkstatt“) •
siehe auch: http://www.chemnitz.de/chemnitz/de/soziales-­‐
gesundheit/gesundheit/konzeptionen-­‐und-­‐berichte/ 5. Das öffentliche Gesundheitswesen a. Das gegliederte System der sozialen Sicherung Grundgedanke des Sozialstaates ist, die wichtigsten Lebensrisiken des Einzelnen durch die Gemeinschaft (finanziell) aufzufangen. Hierzu ist eine Reihe von Sozialversicherun-­‐
gen und Versorgungssysteme geschaffen worden, die hier im Überblick dargestellt wer-­‐
den: Finanzierung aktueller Satz Lebensrisiken Zuständige Institutionen Leistungen z.B. Beiträge Krankheit, Arbeitsunfä-­‐ Krankenversicherung (AG+AN) higkeit und andere (GKV) 14,6 % + variabler Zu-­‐
satzbeitr. (AN) Früherkennung, Be-­‐
handlung, Medizin, Rehabilitation, Kran-­‐
kengeld. Beiträge Leistungen zur Pflege Pflegebedürftigkeit Pflegeversicherung 58 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften (AG+AN) 2,35 % Beiträge (AG+AN) 18,7 % und Steuern (Bundes-­‐ zuschuss) (GPV) Alter, Rentenversicherung Erwerbsminderung (GRV) früher: Erwerbsunfähigkeit, Be-­‐
rufsunfähigkeit (Pflegegeld, Sachleis-­‐
tungen). Medizinische und beruf-­‐
liche Rehabilitation, Übergangsgeld, Renten. Beiträge Beruflich bedingte Ge-­‐ Unfallversicherung (AG) sundheitsschäden (je nach Risiko u.a.) Medizinische und beruf-­‐
liche Rehabilitation, Verletzten-­‐ und Über-­‐
gangsgeld, Renten, Pflege. Beiträge Arbeitslosigkeit (AG+AN) und Umlagen 3,0 % Arbeitslosenversiche-­‐ rung Berufliche Rehabilitati-­‐
on, Ausbildungs-­‐ und Übergangsgeld, Arbeits-­‐
losengeld und -­‐hilfe, Arbeitsvermittlung. Steuern Gesundheitsschäden durch Sonderopfer Versorgung Medizinische und beruf-­‐
liche, ggf. soziale Reha-­‐
bilitation, Versorgungs-­‐
kranken-­‐ und Über-­‐
gangsgeld, Renten, Pflege. Steuern Besondere Belastungen Ausgleichssysteme Geldleistungen: Kinder-­‐ und Wohngeld. Befrei-­‐
ungen: unentgeltliche Beförderung im Nah-­‐
verkehr. Sonderrechte: Kündigungsschutz. AN = Arbeitnehmer AG = Arbeitgeber Betragssätze 2016 Bundeszuschüsse aus Steuermitteln gibt es für GKV (2015: 11,5 Milliarden €) und für GRV (2014: 61,3 Milliarden €) für Leistungen, die nicht beitragsgedeckt sind. b. Krankenversicherung und Pflegeversicherung Das Risiko Krankheit und Pflegbedürftigkeit ist durch die Kranken-­‐ und Pflegeversicherung abgedeckt. Die Krankenversicherung gliedert sich in die gesetzliche (GKV – ca. 90 %, entspr. 70 Mio Ver-­‐
sicherte) und private (PKV – ca. 10 %) Krankenversicherung. In der GKV sind Arbeitnehmer versicherungspflichtig, wenn ihr Bruttogehalt eine bestimmte Höchstgrenze nicht über-­‐
schreitet (Versicherungspflichtgrenze 4.687,50 EUR monatliches Bruttoeinkommen in 2016). Versicherte können frei wählen, bei welcher Kasse sie sich versichern lassen möchten. In der Krankenversicherung sind grundsätzlich versicherungspflichtig: •Arbeitnehmer, einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten, •Bezieher von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe, •Landwirtschaftliche Unternehmer und deren Familienangehörige, •Künstler und Publizisten nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz, 59 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften •Personen in Einrichtungen der Jugendhilfe, •Teilnehmer an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, •Behinderte Menschen in anerkannten Werkstätten und in Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen, •Studenten, •Praktikanten und Auszubildende ohne Arbeitsentgelt sowie Auszubildende des Zweiten Bil-­‐
dungswegs, •Rentner/Rentenantragsteller, die eine bestimmte Vorversicherungszeit erfüllt haben, •Personen, die über keinen anderweitigen Krankenversicherungsschutz verfügen und aufgrund ihres Status dem System der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuordnen sind oder zuletzt ge-­‐
setzlich krankenversichert waren. Darüber hinaus gibt es in der Krankenversicherung auch freiwillig Versicherte (z.B. Selbstän-­‐
dige) und Familienversicherte. Freiwillig versichern kann sich im Wesentlichen nur, wer zu-­‐
vor pflicht-­‐ oder familienversichert war. Beitragsfrei familienversichert sind unter bestimm-­‐
ten Voraussetzungen der Ehe-­‐ oder Lebenspartner und die Kinder von Mitgliedern. Die Finanzierung der GKV folgt dem Beitragsprinzip. Bei Arbeitnehmern wird der Beitrag von derzeit 14,6 % je hälftig von Arbeitnehmer und Arbeitgeber aufgebracht bis zur sog. Bei-­‐
tragsbemessungsgrenze (in 2016 liegt sie bei 4.237 € pro Monat). Die Beiträge für Auszubil-­‐
dende mit einem Lohn oder Gehalt von bis zu 325 Euro werden vom Arbeitgeber allein fi-­‐
nanziert. Für pflichtversicherte Rentner übernimmt der Rentenversicherungsträger die Hälf-­‐
te der Beträge aus der Rente. Freiwillig versicherte Rentner zahlen ihren Beitrag selbst, er-­‐
halten aber auf Antrag einen Beitragszuschuss des Rentenversicherungsträgers. Studenten zahlen den sogenannten Studentenbeitrag, der bei allen Krankenkassen einheitlich festge-­‐
legt ist (2016: – ohne Kind -­‐ 67,58 € + 14,03 € Pflegeversicherung, kinderlose Studenten ab 23. LJ zahlen 15,52 €). Der zusätzliche Beitrag aller Mitglieder von 0,9 % (mit Befreiungsrege-­‐
lungen) wurde ab 1.1.2015 abgeschafft. Je nach Krankenkasse wird jedoch ein vom Versi-­‐
cherten allein zu zahlender Zusatzbeitrag erhoben. Die Leistungen der GKV werden vom gemeinsamen Bundesausschuss (http://www.g-­‐ba.de/) festgelegt. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-­‐BA) ist das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland (Grundlage ist der § 92 SGB V). Er bestimmt in Form von Richtlinien den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für die 70 Mil-­‐
lionen Versicherten und legt damit fest, welche Leistungen der medizinischen Versorgung von der GKV erstattet werden. Die Leistungen gliedern sich in Dienstleistungen, Sachleistun-­‐
gen, Geldleistungen, Gesundheitsförderung, Krankheitsverhütung, Früherkennung und Krankenbehandlung. Die Leistungen in der Krankenbehandlung umfassen: •Die ärztliche und zahnärztliche Behandlung, •die Krankenhausbehandlung, •Arzneimittel, Verbandmittel, Heilmittel, z.B. Massagen, und Hilfsmittel wie Hörgerät oder Roll-­‐
stuhl, •die Haushaltshilfe, falls Versicherte, in deren Haushalt ein Kind unter 12 Jahren lebt, ins Kran-­‐
kenhaus müssen und ihren Haushalt nicht weiter führen können, •die häusliche Krankenpflege, wenn dadurch ein Krankenhausaufenthalt vermieden oder ver-­‐
kürzt werden kann, •die kieferorthopädische Behandlung bei Versicherten bis zum 18. Lebensjahr sowie •Maßnahmen zur Vorsorge und Rehabilitation. Die Träger der GKV sind die allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK), die Betriebskrankenkas-­‐
sen (BKK), die Innungskrankenkassen (IKK), die landwirtschaftliche Sozialversicherung und die Knappschaft sowie die Ersatzkassen. Seit Anfang der 90er-­‐Jahre hat sich die Zahl der ge-­‐
60 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften setzlichen Krankenkassen deutlich verringert. 1991 waren es noch 1.209 Kassen, inzwischen sind es 118 Kassen (Stand 1.1.2016). Die AOK beispielsweise konzentrierte sich von 276 Ortskrankenkassen 1991 auf 11 AOKs (2015). Mit dem Gesundheitsfonds wurde die Finanzierung der GKV auf eine andere Grundlage ge-­‐
stellt. Alle Beiträge werden von den Krankenkassen in den vom Bundesversicherungsamt verwalteten Gesundheitsfonds einbezahlt, hinzu kommt ein Bundeszuschuss (2015: 11,5 Milliarden, 2016 geplant: 14 Milliarden). Von dort werden die Mittel an die Kassen verteilt. Die Mittelzuteilung an die Krankenkassen berücksichtigt die Krankheits-­‐Wahrscheinlichkeit (Morbidität) innerhalb der Population der jeweiligen Kasse, wodurch ein Risikoausgleich be-­‐
steht. Dadurch soll jede Kasse annähernd die Finanzmittel erhalten, die sie zur Versorgung ihrer Versicherten benötigt. Krankenkassen, die mit der Mittelzuteilung nicht auskommen, können einen zusätzlichen Beitrag von ihren Mitgliedern verlangen. Diese Zusatzprämie muss von den Mitgliedern alleine getragen werden; d. h., Arbeitgeber, Rentenversiche-­‐
rungsträger oder andere Sozialleistungsträger beteiligen sich hieran nicht (Ausnahme: Azu-­‐
bis mit einem Entgeld von unter 325 €). Die Mitglieder haben in diesem Fall ein Sonderkün-­‐
digungsrecht, d.h. sie können sofort in eine Kasse wechseln, die keine Zusatzprämie ver-­‐
langt. Der Zusatzbeitrag lag 2015 bei 0,9 %, für 2016 werden 1,1% prognostiziert. Der Gesundheitsfonds soll Beitragsstabilität garantieren und das unterschiedliche Krank-­‐
heitsrisiko ausgleichen. Wenn innerhalb von 2 Jahren der Fond weniger als 95 % der Ausga-­‐
ben deckt, wird der Beitragssatz erhöht. Die Pflegeversicherung als „fünfte Säule der Sozialversicherung“ ist eine Pflichtversicherung für alle. Sie ist ebenfalls beitragsfinanziert. Der aktuelle Beitragssatz liegt bei 2,35 Prozent bzw. 2,6 % (Kinderlose) vom Lohn bzw. Gehalt. Arbeitgeber und Arbeitnehmer übernehmen jeweils 1,175 % (Ausnahme: Bundesland Sachsen wegen anderer Feiertagsregelungen). Kin-­‐
derlose, die mindestens 23 Jahre alt und nach 1939 geboren sind, zahlen einen Beitragszu-­‐
schlag von 0,25 Prozent. Wie in der Krankenversicherung gibt es eine Obergrenze für die Beiträge. Rentner zahlen ihren Beitrag allein entsprechend der gesetzliche Rente sowie wei-­‐
terer Einkünfte bis zur Beitragsbemessungsgrenze. Studenten bezahlen derzeit monatlich 14,03 Euro, für Kinderlose ab 23 Jahre 15,52 €. Bei Arbeitslosen übernimmt die Bundesan-­‐
stalt für Arbeit die Beitragszahlung, wenn sie beim Arbeitsamt registriert sind. Die Leistungen richten sich nach der Pflegebedürftigkeit in 3 Stufen, die vom medizinischen Dienst der Krankenkassen (MdK) eingeschätzt wird. Ab 2017 greift eine Reform der PV, aus 3 Pflegestufen werden 5 Pflegegrade. •
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Pflegestufe 0 → Pflegegrad 2 Pflegestufe 1 → Pflegegrad 2 Pflegestufe 1 + eingeschränkte Alltagskompetenz → Pflegegrad 3 Pflegestufe 2 → Pflegegrad 3 Pflegestufe 2 + eingeschränkte Alltagskompetenz → Pflegegrad 4 Pflegestufe 3 → Pflegegrad 4 Pflegestufe 3 + eingeschränkte Alltagskompetenz → Pflegegrad 5 • Härtefall → Pflegegrad 5 Mit „Pflegestufe 0“ wurden Leistungen für die Betreuung Demenzkranker eingeführt. Über die Leistungen der Pflegeversicherung informiert der Anhang (S. 73-­‐74). Es besteht eine Wartezeit für den Leistungsbezug von 5 Jahren, d.h. es müssen vor Antrag-­‐
stellung 5 Jahre lang Beiträge entrichtet worden sein. c. Öffentliche Gesundheitsdienste und ihre Aufgaben Öffentlicher Gesundheitsdienst (ÖGD) ist die Organisation von Dienststellen auf der Ebene von Bund, Ländern, Kreisen und Gemeinden, die dem Schutz der Gesundheit der Gemein-­‐
61 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften schaft und des einzelnen dient. Wahrgenommen wird der ÖGD schwerpunktmäßig von den Gesundheitsämtern, regional auch von anderen Ämtern (z.B. Umweltschutzämtern). Neben den staatlichen und kommunalen Einrichtungen des ÖGD gibt es noch andere Träger wie Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen und sonstige Institutionen wie z.B. Verbände und Vereine. Organisationsform und Zuständigkeiten werden im Bund von der Bundesregierung und in den Ländern, den Kreisen und Gemeinden von den Landesregierungen bestimmt. Der ÖGD wird häufig als die „dritte Säule im Gesundheitswesen“ bezeichnet. Die Aufgaben des öffentlichen Gesundheitsdienstes umfassen folgende Bereiche: • Seuchenhygiene und Gesundheitsschutz • Umwelthygiene und Toxikologie • Gesundheitsförderung und Gesundheitsvorsorge • Jugendgesundheitspflege • Sozialmedizinischer Dienst • Amtsärztlicher Dienst und gutachterliche Aufgaben • Gesundheitsberichterstattung und Epidemiologie Seuchenhygiene und Gesundheitsschutz Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten mit Hilfe von vorbeugen-­‐
den, zielgerichteten und gesundheitspolizeilichen Maßnahmen; insbesondere auf der Grundlage des Bundesseuchengesetzes. Schutz der Bevölkerung vor der Weiterverbreitung von AIDS; vornehmlich durch Maßnahmen der Gesundheitserziehung-­‐und -­‐aufklärung (z.B. Beratungsgespräche, Öffentlichkeitsarbeit, Multiplika-­‐
torentraining für Lehrer und Ausbilder) und kostenlose HIV-­‐Antikörpertests. Verhütung, Feststellung, Erkennung und Veranlassung der Behandlung von Geschlechtskrankhei-­‐
ten. Schutz der Bevölkerung vor übertragbaren Krankheiten, gegen die durch Schutzimpfung immuni-­‐
siert werden kann (Impfwesen). Überwachung des Durchimpfungsgrades der Bevölkerung. Schutz von Personal und Patienten im Krankenhaus (Krankenhaushygiene). Zur Verminderung der Krankenhausinfektionen erfolgt eine regelmäßige Beratung und Kontrolle der Krankenhäuser bei Neu-­‐ und Umbauten, Investitionen und im Betrieb durch alle Ebenen. Die hohe Zahl von Kranken-­‐
hausinfektionen erfordert eine Intensivierung der Beratungs-­‐ und Kontrolltätigkeit (= regelmäßige Krankenhausbesichtigungen). Umwelthygiene und Toxikologie Allgemeines Ziel ist die Verringerung der gesundheitlichen Belastungen der Bevölkerung bei der Nutzung der Umwelt (Umwelthygiene, Umweltschutz). Es sollen die Risikofaktoren für die mensch-­‐
liche Gesundheit erkannt (z.B. bei Kontrollen, Ortsbesichtigungen, Probeentnahmen) und im Sinne der Prävention gegen schädliche Einflüsse Maßnahmen veranlasst werden. Hier erfolgt die Zu-­‐
sammenarbeit mit anderen Stellen (z.B. Gewerbeaufsichtsamt, Wasserwirtschaftsamt). Dies um-­‐
fasst z.B. hygienische Bereiche wie Abfallhygiene, Abwasserhygiene, Badewasserhygiene, Kranken-­‐
haushygiene, Lebensmittelhygiene (Lebensmittelüberwachung) und Trinkwasserhygiene. Gesundheitsförderung und Gesundheitsvorsorge Aufgabenschwerpunkte sind die zielgruppenorientierte Gesundheitserziehung und -­‐aufklärung über vermeidbare Risikofaktoren und Hinführung zu einer gesunden Lebensführung. Dazu gehört die Koordination und Initiierung von entsprechenden Angeboten auf regionaler Ebene (z.B. Ge-­‐
sundheitstage und -­‐wochen, Veranstaltungen zum Weltgesundheitstag, Aus-­‐ und Fortbildung von Multiplikatoren). Eine weitere Aufgabe ist die Beratung von Schwangeren sowie von Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern (sog. Mütterberatung), soweit andere Institutionen diese Aufgabe nicht wahrnehmen (Früherkennung von Krankheiten, Mutterschaftshilfe). Dies schließ ein die Beratung von Eltern zu den Themen Ernährung, Stillen, Hygiene, Körperpflege, Entwicklungsförderung, Schutzimpfung und Kinderkrankheiten (z.B. Rachitis-­‐ und Kariesprophylaxe) und Behinderungen sowie Bereitstellung von Informationsmaterial (Müttersterblichkeit, Säuglingssterblichkeit). 62 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Ferner ist die Beratung von Einrichtungen und ihren Trägern in Fragen möglichst wirksamer ge-­‐
sundheitsfördernder Gestaltung der Einrichtungen eine Aufgabe. Dies betrifft insbesondere Kin-­‐
dergärten, Schulen, Heime sowie Behinderteneinrichtungen (z.B. Kindergärten für Behinderte). Jugendgesundheitspflege Lebenslang wirksame Verhaltensweisen zur Gesundheitsförderung lassen sich am ehesten im Kin-­‐
des-­‐ und Jugendlichenalter einüben. Die Vorsorgeuntersuchungen für Kinder und Jugendliche wer-­‐
den in der Regel von den niedergelassenen (Kinder-­‐)Ärzten durchgeführt, können aber auch im Rahmen des ÖGD erfolgen. Ferner finden Untersuchungen der Berufsanfänger nach dem Jugend-­‐
arbeitsschutzgesetz statt (15. bis 18. Lebensjahr). Ergänzt werden diese Angebote durch die schul-­‐
ärztlichen Untersuchungen und der Jugendzahnpflege des ÖGD; sie binden einen großen Teil der Arbeitskapazität (= Schulhygiene). Zur Schulgesundheitspflege gehören die ärztliche Untersuchung von Kindern auf Hinderungsgründe für den Schulbesuch (bestimmte Schulstufe und Schulart, besondere Förderungsmaßnahmen), Be-­‐
ratung der Kinder und Sorgeberechtigten in gesundheitlichen Belangen sowie Gesundheitserzie-­‐
hung und -­‐aufklärung für Schüler, Eltern und Lehrer. Die Jugendzahnpflege hat die Erhaltung der Zahngesundheit von frühester Kindheit an zum Ziel, insbesondere durch Einüben zahnpflegender und -­‐erhaltender Verhaltensweisen. Die Aufgaben der Jugendzahnpflege ergänzen die Leistungen zur Verhütung von Zahnerkrankungen in der gesetzli-­‐
chen Krankenversicherung (Krankheitsverhütung) und ermöglichen gleichzeitig eine Sammlung von Daten zum Gesundheitszustand der Zähne von Kindergarten-­‐ und Schulkindern. Diese Daten ste-­‐
hen für epidemiologische Zwecke zur Verfügung. Sozialmedizinischer Dienst Der sozialmedizinische Dienst soll sicherstellen, dass Personen, die wegen Krankheit oder Behinde-­‐
rung der Hilfe bedürfen, durch den ÖGD beraten werden und evtl. in andere Beratungs-­‐ und Hil-­‐
feeinrichtungen vermittelt werden, Hilfen für den Betroffenen koordiniert eingesetzt werden und zum Teil Hilfen direkt gewährt werden. Sozialmedizinische Hilfeleistungen stellen auch eine not-­‐
wendige Unterstützung und Absicherung der seuchenhygienischen Maßnahmen bei übertragbaren Krankheiten dar. Behinderten soll ein möglichst hohes Maß an selbständiger, qualitätsvoller Lebensführung ermög-­‐
licht werden. Um diesem Ziel gerecht zu werden, hat der ÖGD die ärztlichen Aufgaben nach dem SGB XII (Eingliederungshilfe für Behinderte) wahrzunehmen (ansonsten sind die übrigen Rehabilita-­‐
tionsträger zuständig) und die individuelle Beratung und Betreuung Behinderter sicherzustellen (Landesärzte für Behinderte). Dabei kommt der Koordination der Hilfeangebote eine große Bedeu-­‐
tung zu, insbesondere bei der Frühförderung im Kleinkind-­‐ und Schulbereich (in Ergänzung der Mütterberatung). Bei der Beratung und Betreuung bei Abhängigkeit hat der ÖGD eine ergänzende Rolle. Sie ist aber notwendig, da immer noch Fälle von a nderen Betreuungsangeboten (z.B. Drogenberatungsstellen, Selbsthilfegruppen) nicht erreicht bzw. angenommen werden. Der ÖGD nimmt bei der Betreuung von psychisch Kranken insbesondere folgende Aufgaben wahr: primäre Zuständigkeit in der Kinder-­‐, Jugend-­‐ und Gerontopsychiatrie, Mitarbeit in sozialpsychiatri-­‐
schen Arbeitskreisen, soweit erforderlich Betreuung und Hilfevermittlung im Bereich der Erwach-­‐
senenpsychiatrie. Für Personen mit chronischen Krankheiten und ihren Angehörigen sind Beratungs-­‐ und Betreu-­‐
ungsangebote vorgesehen. Hilfen sozialer Art aus gesundheitlichen Gründen sollten gemeinsam von Ärzten und Sozialarbeitern eingerichtet werden. Ein Angebot für chronisch Kranke ist z.B. die Beratung bei Krebs wenn kein anderer Beratungsträger vorhanden ist. Im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten richtet sich ein besonderes Beratungs-­‐ und Betreuungsangebot vor allen an Prostituierte. Hierzu gehören vornehmlich Hil-­‐
fevermittlung, Schuldnerberatung, "Ausstiegs"-­‐Hilfen, Berufseingliederungshilfen und Umschulun-­‐
gen. Vorrangiges Beratungsziel ist die Infektionsverhütung bei Prostituierten. Bei der sozialmedizinischen Betreuung im Zusammenhang mit HIV und AIDS steht die Erhaltung ei-­‐
nes niedrigen Morbiditätsniveaus und die Hilfe bei der Lebensbewältigung im Vordergrund. Zu den 63 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Aufgaben gehören die Beratung vor und nach HIV-­‐Antikörpertests, die aufsuchende Beratung, die Betreuung sowie die Vermittlung von Hilfen. Hinsichtlich des Beratungs-­‐ und Hilfeangebots anderer Stellen hat der ÖGD eine Koordinations-­‐ und Initiativaufgabe. Amtsärztlicher Dienst und gutachterliche Aufgaben Untersuchung und Begutachtung durch Ärzte ohne Behandlungsauftrag nach im wesentlichen glei-­‐
chen Kriterien für den Staat als Dienstherrn oder andere Einrichtungen im öffentlichen Interesse. Untersuchungen durch den Amtsarzt kommen z.B. in Betracht zum Ausschluss gesundheitlicher ungeeigneter Bewerber für bestimmte Tätigkeiten und Berufe (Beamtenanwärter usw.), zur Fest-­‐
stellung der Berechtigung von Leistungsansprüchen (z.B. Eingliederungshilfe für Behinderte) und als Beitrag zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Untersu-­‐
chung/Gutachten im Zusammenhang mit der Unterbringung von psychisch Kranken). Tätigkeit als ärztlicher Sachverständiger nach Strafprozessordnung und Zivilprozessordnung sowie der freiwilligen Gerichtsbarkeit, soweit kein eigenständiger gerichtsärztlicher Dienst außerhalb des ÖGD besteht. Überwachung der Gesundheitsberufe, soweit diese Tätigkeit nicht in anderer Zuständigkeit wahr-­‐
genommen (z.B. durch Ärztekammern, Zahnärztekammern) und Apotheken einschließlich des Ver-­‐
kehrs mit Arzneimitteln, Betäubungsmitteln und Gefahrstoffen. Beratung der zuständigen Behörden in Angelegenheit des Katastrophenschutzes und Zivilschutzes, vornehmlich aus dem Gesichtspunkt der Seuchenhygiene und Umwelthygiene. Im Zusammenhang mit der Sicherstellung des Krankentransports und des Rettungsdienstes obliegt dem ÖGD insbesondere die Wahrnehmung von hygienischen Aufgaben. Soweit eine anderweitige Zuständigkeit nicht gegeben ist, wird der ÖGD auch Initiativen zur schnellstmöglichen Versorgung von Kranken und Verletzten ergreifen. Bei der Bestattung hat der ÖGD die Aufgabe der Abwehr von gesundheitlichen Gefahren, insbe-­‐
sondere aus hygienischer Sicht (= Bestattungshygiene), und die Sicherung von Daten für eine quali-­‐
fizierte Gesundheitsberichterstattung (Mortalitätsstatistik). Vor Durchführung einer Feuerbestat-­‐
tung hat der ÖGD eine amtliche Leichenschau durchzuführen. Gesundheitsberichterstattung und Epidemiologie Aufgabe ist das Sammeln, Verknüpfen und Auswerten von bereits vorhandenen und neu zu erhe-­‐
benden gesundheitsbezogenen Daten. Damit soll eine Verbesserung des Kenntnisstandes über die gesundheitliche Lage der Bevölkerung und deren Entwicklungstrends sowie über Leistungen, Inan-­‐
spruchnahmeverhalten und Gesundheitsausgaben erreicht werden. Eine verbesserte Gesundheitsberichterstattung könnte bereits an anderer Stelle vorliegende Daten (z.B. Jahresgesundheitsbericht, Krankenhausstatistik) berücksichtigen und sinnvoll miteinander verknüpfen. Eine regionalisierte und bevölkerungsbezogene Statistik der Morbidität und Mortalität mit ihrer Verknüpfung von soziodemographischen sowie umweltrelevanten Daten und deren epi-­‐
demiologische Analyse wäre eine vordringliche Aufgabe. Viele der geschilderten Aufgaben des ÖGD werden heute von anderen Institutionen wahrgenommen. Der ÖGD wird nur dann tätig, wenn Aufgaben nicht anderweitig erledigt werden (Prinzip der Nachrangigkeit). Insofern hat die Bedeutung des ÖGD erheblich abgenommen und ist eher historisch zu sehen. Eine detaillierte Information über den ÖGD in Baden-­‐Württemberg gibt https://www.gesundheitsamt-­‐bw.de/lga/DE/Seiten/default.aspx 64 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften d. Soziale Arbeit und öffentliches Gesundheitswesen Weite Bereiche dieses Tätigkeitsfeldes decken sich mit dem obigen Abschnitt über Soziale Arbeit und Gesundheitsförderung. Die oben dargestellten Aufgaben des öffentlichen Ge-­‐
sundheitsdienstes sind nur mit multiprofessionellen Teams zu leisten. Dazu gehören auch Sozialarbeiter und -­‐pädagogen, die sich dem gesetzlichen Auftrag entsprechend um Ge-­‐
sundheitsförderung kümmern. Beispiele wären Beratung bei Schwangerschaftskonflikten, AIDS und Drogenproblemen, Förderung und Prävention, incl. interkultureller Gesundheitsförderung, Suchtprävention und Sexualpädagogik. Die personelle Ausstattung des öffentlichen Gesundheitsdienstes mit Sozialarbeiter ist aller-­‐
dings mangelhaft. Im Einzelnen wird auf die Bücher von Ernst Reinhardt und Anne E. Lützenkirchen verwiesen (s. Literaturliste), die in der Vorlesung präsentiert werden. 65 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Literaturliste Empfohlene Fachbücher Gesundheitswissenschaft Von Heiko Waller, 267 S, 25 € Kohlhammer; Auflage: 4., überarb. u. erw. A. (10. August 2006) ISBN-­‐13: 978-­‐3170190733 Gesundheitswissenschaften: Eine Einführung von Petra Kolip , 294 Seiten, 19,00 € Verlag: Juventa (2002) ISBN-­‐13: 978-­‐3779915638 Modelle von Gesundheit und Krankheit von Alexa Franke, 231 Seiten, 19,95 € Verlag: Huber, Bern; Nachdruck 1.Auflage, 2008 ISBN-­‐13: 978-­‐3456843537 Leider sehr teuer: Die Erhaltung von Leben und Gesundheit: Was hält uns gesund? Was lässt uns wieder gesund werden? Auf der Suche nach einer Gesundheitswissenschaft. von Monika Pirlet-­‐Gottwald (Herausgeber), Albrecht Falkenbach, 296 Seiten 89,00 € Verlag: Kovac, J; Auflage: 1 (August 2003) ISBN-­‐13: 978-­‐3830010340 Lehrbuch Prävention und Gesundheitsförderung von Klaus Hurrelmann, Theodor Klotz und Jochen Haisch, 422 Seiten EUR 29,95 Verlag: Huber, Bern; Auflage: 2., überarb. Aufl. 2007 ISBN-­‐13: 978-­‐3456844862 Soziale Arbeit und Gesundheit: Eine Einführung von Hans Günther Homfeldt und Stephan Sting, 244 Seiten, 24,90 € Verlag: Reinhardt, München; Auflage: 1 (September 2006) ISBN-­‐13: 978-­‐3497018673 Soziale Arbeit im Öffentlichen Gesundheitsdienst Von Ernst Reinhardt, 159 S, 14,90 € Verlag : UTB 1. Auflage 2005 ISBN : 978-­‐3-­‐8252-­‐2654-­‐1 Soziale Arbeit im Gesundheitswesen: Zielgruppen, Praxisfelder, Institutionen von Anne E. Lützenkirchen, 199 Seiten , 28,00 € Verlag: Kohlhammer; Auflage: 1., Aufl. (10. März 2005) ISBN-­‐13: 978-­‐3170184404 Einführung in die Epidemiologie von Ruth Bonita, Robert Beaglehole und Tord Kjellström, 312 Seiten 29,95 € Verlag: Huber, Bern; Auflage: 2., vollst. überarb. Aufl. 2008 ISBN-­‐13: 978-­‐3456845357 66 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Weitere Literatur: Salutogenese: Zur Entmystifizierung der Gesundheit von Aaron Antonovsky und Alexa Franke von Dgvt-­‐Verlag (Taschenbuch -­‐ 1997) Preis: EUR 19,80 Wie Gesundheit entsteht: Salutogenese: Schatzsuche statt Fehlerfahndung von Eckhard Schiffer von Beltz (Ta-­‐
schenbuch -­‐ 1. April 2001) Preis: EUR 14,90 Salutogenese: Grundwissen für Psychologen, Mediziner, Gesundheits-­‐ und Pflegewissenschaftler von Rüdiger Lo-­‐
renz von Reinhardt, München (Broschiert -­‐ September 2005) Preis: EUR 24,90 Salutogenese und Kohärenzgefühl: Grundlagen, Empirie und Praxis eines gesundheitswissenschaftlichen Konzepts von Hans Wydler, Petra Kolip, und Thomas Abel von Juventa (Taschenbuch -­‐ Juli 2006) Preis: EUR 19,00 Stressabbau durch Lebensfreude -­‐ Das Modell der Salutogenese von Antonovsky von Dagmar Schnell von GRIN Verlag (Broschiert -­‐ August 2007) Preis: EUR 12,99 Soziale Arbeit im Krankenhaus: Soziale Arbeit im Gesundheitswesen 5 (Uni-­‐Taschenbücher S): Soziale Arbeit im Gesundheitswesen 5 von Harald Ansen, Norbert Gödecker-­‐Geenen, und Hans Nau von Utb (Broschiert -­‐ 1. Sep-­‐
tember 2004) Preis: EUR 14,90 Klinische Sozialarbeit (Uni-­‐Taschenbücher S) von Brigitte Geissler-­‐Piltz, Albert Mühlum, und Helmut Pauls von Utb (Broschiert -­‐ 1. Oktober 2005) Preis: EUR 14,90 Sozialarbeit im Gesundheitswesen: Geschichte, Dokumente, Lebensbilder von Peter Reinicke von Lambertus-­‐Verlag (Broschiert -­‐ 16. Oktober 2008) Preis: EUR 19,80 Sozialarbeit im Gesundheitswesen. Ausbildungskonzepte, Praxisberichte, Forschungsergebnisse von Heiko Waller von Beltz (Broschiert -­‐ Mai 1995) Angebote ab EUR 1.95 Sozialarbeit im Spannungsverhältnis von Medizin und Kultur: Am Beispiel der soziomedizinisch-­‐orientierten Kultur-­‐
sozialarbeit im Gesundheitswesen Nepals von Satish Shroff von Diplomarbeiten Agentur diplom.de (Taschenbuch -­‐ 1. Januar 1998) Preis: EUR 38,00 Perspektiven der sozialen Arbeit im Gesundheitswesen: Personenbezogene Dienstleistungen als rehabilitative Ressourcen von Georg Hey von Lippe Verlag (Taschenbuch -­‐ Mai 2001) Angebote ab EUR 9,50 67 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Anhang I: Gesund oder krank? 2 Beispiele
Für Thorsten Schneider, 32 Jahre alt, war es immer wichtig, sich im Beruf nicht zu verausgaben und viel Zeit für seine sportlichen Hobbys zu
haben. Schon während der Schulzeit war ihm der Sport wichtiger als das
Lernen. Nach der Mittleren Reife ging er zur Stadtverwaltung und absolvierte eine Inspektorenlaufbahn; dies erlaubt ihm nun, einen sicheren
Job mit geregelten Arbeitszeiten zu haben. Vor vier Monaten ist Herr
Schneider beim Inline-Skaten so unglücklich gefallen, dass er sich einen äußerst komplizierten Bruch im linken Schultergelenk zugezogen hat.
Er wurde zweimal operiert und musste nach der zweiten Operation noch
sechs Wochen lang einen Gips tragen. Nun ist der Arm wieder frei, Herr
Schneider muss aber viermal wöchentlich zur Krankengymnastik, um die
volle Bewegungsfreiheit wieder erreichen zu können. Vom Arzt ist Herr
Schneider weiterhin krankgeschrieben, da er sich noch in ambulanter Rehabilitation befindet. Auf dem Weg zur „Reha“ ist Herr Schneider mehrmals in seinem Büro vorbeigegangen, um die Kolleginnen und Kollegen zu
begrüßen - das tut er seit drei Wochen aber nicht mehr, weil die Kolleginnen und Kollegen zunehmend sauer auf seine Besuche reagiert haben.
Bedingt dadurch, dass die Stadtverwaltung ein neues EDV-System eingeführt hat, gibt es in Herrn Schneiders Behörde derzeit weitaus mehr Arbeit als üblich, und ein Kollege hat ihm ziemlich unverblümt gesagt,
dass er nicht sehe, warum Schneider, der ja topfit sei und äußerst ausgeruht, nicht seine sitzende Tätigkeit wieder aufnehmen könne. Gerade
bei der aktuellen Umstellung gebe es viele Arbeiten, bei denen er seinen linken Arm überhaupt nicht zu belasten brauche; er könne die Kollegen zum Beispiel enorm entlasten, wenn er Bürger-Sprechstunden und
sonstige Arbeiten, bei denen es vor allem auf Sitzfleisch, Köpfchen und
Redefähigkeit ankomme, übernehmen würde.
Der 63jährige Konrad Köppen führt einen Kiosk in Bochum. Da dieser direkt neben einer Gesamtschule liegt, hat Köppen regelmäßige und gute
Einkünfte.
Vor langer Zeit konnte er das Grundstück einschließlich Kiosk erwerben.
Beides ist inzwischen schuldenfrei, und der Grundstückswert ist enorm
gestiegen.
Früher hat Köppen den Kiosk mit seiner Frau betrieben, seit diese vor
zwei Jahren verstorben ist, führt er den Kiosk allein weiter. Da schon
immer er es war, der den Einkauf gemacht hat und auch derjenige, der
den Kontakt zu den Kunden pflegte, hat er mit der Führung des Kiosks
keine Probleme. Schwierigkeiten hatte er allerdings immer schon mit Behörden, Banken, Ämtern und so weiter. Diesen Bereich hat früher seine
Frau erledigt, weil sie es besser konnte und auch, weil er sich immer
so schrecklich über Banken, Ämter und Behörden ärgern musste. Seit die
Frau nun tot ist, muss sich Köppen auch um diesen Bereich kümmern, und
seitdem hat er ständig Ärger. Seiner Meinung nach haben es alle Ämter,
Banken und Behörden auf den Meinen Mann abgesehen und bescheißen ihn,
so gut es geht. Immer wieder fühlt er sich betrogen und macht entsprechend Eingaben, vor allem beim Finanzamt. Zurzeit führt er sechs Prozesse. Außerdem muss sich Köppen in der letzten Zeit sehr über die
Nachbarn ärgern. Sie verargen ihm, dass es ihm wirtschaftlich so gut
geht und lassen ihren Ärger an ihm aus, indem sie ihn schikanieren und
ihm vorwerfen, er halte sich nicht an die Hausordnung. Köppen gibt zu,
dass er im letzten Jahr mehrfach vergessen hat, die Treppe zu wischen
und die gelbe Tonne herauszustellen, wenn er an der Reihe war. Er findet aber, dass ihm das ja schließlich mal passieren könne, wo er jetzt
so viel um die Ohren habe. Auch dass im letzten Jahr zweimal die Badewanne übergelaufen ist, findet er nicht so schlimm - den Schaden an der
Decke des unter ihm wohnenden Mieters hat seine Versicherung beide Maie
gezahlt, Warum die Nachbarn jetzt in der vorigen Woche eine Tussi vom
Gesundheitsamt vorbei geschickt haben, ist ihm völlig unverständlich.
68 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Anhang II: Anwendungsbeispiel zur ICF – Quantifizierung gestörter mentaler Funktionen bei ALZHEIMER-­‐Demenz Globale mentale Funktionen
b114 Funktionen der Orientierung
Allgemeine mentale Funktionen, die Selbstwahrnehmung, Ich-Bewusstsein und realistische Wahrnehmung anderer Personen
sowie der Zeit und der Umgebung betreffen
Inkl.: Funktionen der Orientierung zu Zeit, Ort und Person sowie der Orientierung zur eigenen Person
und zu anderen Personen; Desorientierung zu Zeit, Ort und Person
Exkl.: Funktionen des Bewusstseins (b110); Funktionen der Aufmerksamkeit (b140); Funktionen des
Gedächtnisses (b144)
b1140 Orientierung zur Zeit
Mentale Funktionen, die sich im bewussten Gewahrsein von Wochentag, Datum, Tag, Monat und Jahr äußern
b1141 Orientierung zum Ort
Mentale Funktionen, die sich im bewussten Gewahrsein der örtlichen Situation äußeren, z.B. in welcher unmittelbaren
Umgebung, in welcher Stadt oder in welchem Land man sich befindet
b1142 Orientierung zur Person
Mentale Funktionen, die sich im bewussten Gewahrsein der eigenen Identität und von Personen in der unmittelbaren
Umgebung äußern
b11420 Orientierung zum eigenen Selbst
Mentale Funktionen, die sich im bewussten Gewahrsein der eigenen Identität äußern
b11421 Orientierung zu anderen Personen
Mentale Funktionen, die sich im bewussten Gewahrsein von Personen in der unmittelbaren Umgebung äußern
b11428 Orientierung zu Personen, anders bezeichnet
b11429 Orientierung zu Personen, nicht näher bezeichnet
b117 Funktionen der Intelligenz
Allgemeine mentale Funktionen, die erforderlich sind, die verschiedenen mentalen Funktionen einschließlich aller
kognitiven Funktionen zu verstehen und konstruktiv zu integrieren sowie diese über die gesamte Lebensdauer hinweg fortzuentwickeln.
Inkl.: Die Intelligenzentwicklung betreffende Funktionen; intellektuelle und mentale Retardierung,
Demenz
Exkl.: Funktionen des Gedächtnisses (b144); Funktionen des Denkens (b160); Höhere kognitive
Funktionen (b164)
b122 Globale psychosoziale Funktionen
Sich über das gesamte Leben entwickelnde allgemeine mentale Funktionen, die für das Verständnis und die
konstruktive Integration jener mentalen Funktionen erforderlich sind, die zur Bildung interpersoneller Fähigkeiten
führen, welche für den Aufbau reziproker sozialer Interaktionen, die sinnvoll und zweckmäßig sind, benötigt werden.
Inkl.: Störungen wie bei Autismus
b130 Funktionen der psychischen Energie und des Antriebs
Allgemeine mentale Funktionen, die physiologische und psychologische Vorgänge betreffen, welche bei einer Person ein nachhaltiges Streben nach Befriedigung bestimmter Bedürfnisse und die Verfolgung allgemeiner Ziele verursachen.
Inkl.: Funktionen, die psychische Energie, Motivation, Appetit, Sucht (einschließlich Sucht nach
Substanzen, die zu einer Abhängigkeit führen) und Impulskontrolle betreffen
Exkl.: Funktionen des Bewusstseins (b110); Funktionen von Temperament und Persönlichkeit (b126);
Funktionen des Schlafes (b134); Psychomotorische Funktionen (b147); Emotionale Funktionen
(b152)
b1300 Ausmaß der psychischen Energie
Mentale Funktionen, die sich in Durchsetzungskraft und Durchhaltevermögen äußern
b1301 Motivation
Mentale Funktionen, die sich in einem Anreiz zu handeln und in einer bewussten oder unbewussten Antriebskraft zu
Handlungen äußern
b1302 Appetit
Mentale Funktionen, die sich in einem natürlichen Verlangen oder einem Wunsch äußern, insbesondere das natürliche
und wiederkehrende Verlangen nach Essen und Trinken
b1303 Drang nach Suchtmitteln
Mentale Funktionen, die sich in einem Drang äußern, Substanzen zu konsumieren einschließlich solcher, die zu Missbrauch führen können
b1304 Impulskontrolle
Mentale Funktionen, die plötzliche intensive Handlungsimpulse regulieren und unterdrücken
Spezifische mentale Funktionen
69 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften b140 Funktionen der Aufmerksamkeit
Spezifische mentale Funktionen, die die Fokussierung auf einen externen Reiz oder auf innere Vorgänge für eine
geforderte Zeitspanne betreffen
Inkl.: Funktionen, die Daueraufmerksamkeit, Wechsel der Aufmerksamkeit, geteilte Aufmerksamkeit, mit anderen
geteilte Aufmerksamkeit, Konzentration und Ablenkbarkeit betreffen
Exkl.: Funktionen des Bewusstseins (b110); Funktionen der psychischen Energie und des Antriebs (b130);
Funktionen des Schlafes (b134); Funktionen des Gedächtnisses (b144); Psychomotorische
Funktionen (b147); Funktionen der Wahrnehmung (b156)
b1400 Daueraufmerksamkeit
Mentale Funktionen, die sich in der Konzentration über eine geforderte Zeitspanne äußern
b1401 Wechsel oder Lenkung der Aufmerksamkeit
Mentale Funktionen, die die Umlenkung der Konzentration von einem Reiz auf einen anderen zulassen
b1402 Geteilte Aufmerksamkeit
Mentale Funktionen, die die gleichzeitige Fokussierung auf zwei oder mehr Reize zulassen
b1403 Mit anderen geteilte Aufmerksamkeit
Mentale Funktionen, die die Fokussierung auf denselben Reiz durch zwei oder mehr Personen zulassen, wenn z.B. ein
Kind und ein Betreuer sich gemeinsam auf ein Spielzeug konzentrieren
b1408 Funktionen der Aufmerksamkeit, anders bezeichnet
b1409 Funktionen der Aufmerksamkeit, nicht näher bezeichnet
b144 Funktionen des Gedächtnisses
Spezifische mentale Funktionen, die die adäquate Registrierung, die Speicherung und den Abruf von Informationen betreffen
Inkl.: Funktionen, die Kurzzeitgedächtnis und Langzeitgedächtnis, Sofort-, Frisch- und Altgedächtnis,
Gedächtnisspanne und Abrufen betreffen; Funktionen, die beim Wiedererkennen und Lernen
benutzt werden, wie bei nominaler, selektiver und dissoziativer Amnesie
Exkl.: Funktionen des Bewusstseins (b110); Funktionen der Orientierung (b114); Funktionen der
Intelligenz (b117); Funktionen der Aufmerksamkeit (b140); Funktionen der Wahrnehmung
(b156); Funktionen des Denkens (b160); Höhere kognitive Funktionen (b164); Kognitivsprachliche
Funktionen (b167); Das Rechnen betreffende Funktionen (b172)
b1440 Kurzzeitgedächtnis
Mentale Funktionen, die sich in einer vorübergehenden, störbaren Gedächtnisspeicherung von etwa 30 Sekunden äußern. Aus diesem Speicher gehen Informationen verloren, wenn sie nicht im Langzeitgedächtnis verankert werden
b1441 Langzeitgedächtnis
Mentale Funktionen, die sich in einem Gedächtnissystem zur langzeitigen Übernahme von Informationen aus dem
Kurzzeitgedächtnis und zum Abruf dieser Informationen äußern. Es gibt zwei unterschiedliche Formen des
Langzeitgedächtnisses: ein autobiographisches (für Ereignisse der Vergangenheit) und semantisches (für Sprache und
Sachverhalte)
b1442 Abrufen von Gedächtnisinhalten
Spezifische mentale Funktionen, die das Erinnern von Informationen aus dem Langzeitgedächtnis und zur Überleitung
ins Bewusstsein betreffen
b152 Emotionale Funktionen
Spezifische mentale Funktionen, die im Zusammenhang mit Gefühlen und den affektiven Komponenten von
Bewusstseinsprozessen stehen
Inkl.: Funktionen, die (Situations)Angemessenheit der Emotion, affektive Kontrolle und
Schwingungsfähigkeit betreffen; Affekt; Trauer, Glück; Liebe, Furcht, Ärger, Hass, Anspannung,
Angst, Freude, Sorgen; emotionale Labilität; Affektverflachung
Exkl.: Funktionen von Temperament und Persönlichkeit (b126); Funktionen der psychischen Energie und des Antriebs (b130)
b1520 (Situations)Angemessenheit der Emotion
Mentale Funktionen, die sich in der Übereinstimmung des Gefühls oder des Affektes mit der Situation äußern, wie
Glücksgefühl, wenn man gute Nachrichten erhält
b1521 Affektkontrolle
Mentale Funktion, die Erleben und Ausdruck von Affekten kontrolliert
b1522 Spannweite von Emotionen
Mentale Funktionen, die sich im Spektrum von Gefühlsregungen oder Gefühlen äußern, wie Liebe, Hass, Angst, Sorgen, Freude, Furcht und Ärger
b160 Funktionen des Denkens
Spezifische mentale Funktionen, die im Zusammenhang mit dem formalen und inhaltlichen Ablauf des Denkens stehen
Inkl.: Funktionen, die Tempo, Form, Kontrolle und Inhalt des Denkens betreffen; Funktionen, die
zielgerichtetes und nicht zielgerichtetes Denken betreffen; Funktionen, die logisches Denken
betreffen, wie bei Gedankendruck, Ideenflüchtigkeit, Denkhemmung, inkohärentes Denken,
Vorbeidenken/Vorbeireden, umständliches Denken, Wahn, Zwangsgedanken, Zwangshandlungen
Exkl.: Funktionen der Intelligenz (b117); Funktionen des Gedächtnisses (b144); Psychomotorische
Funktionen (b147); Funktionen der Wahrnehmung (b156); Höhere kognitive Funktionen (b164);
Kognitiv-sprachliche Funktionen (b167); Das Rechnen betreffende Funktionen (b172)
b1600 Denktempo
70 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Mentale Funktionen, die sich in der Geschwindigkeit des Denkprozesses äußern
b1601 Form des Denkens
Mentale Funktionen, die Kohärenz und Logik des Denkprozesses gewährleisten (formales Denken)
Inkl.: Störungen wie Perseveration, Vorbeidenken/Vorbeireden und Umständlichkeit
b1602 Inhalt des Denkens
Mentale Funktionen, die Ideen und Inhalte im Denkprozess und das, was konzeptualisiert wird, betreffen (inhaltliches
Denken)
Inkl.: Störungen wie Wahn, überwertige Ideen und Somatisierung
b1603 Kontrolle des Denkens
Mentale Funktionen, die die willkürliche Kontrolle über das Denken beinhalten und die als solche von der Person selbst
erkannt werden
Inkl.: Störungen wie Deja-Vu-Erleben, Zwang, Gedankenbeeinflussung und Gedankeneingebung
b164 Höhere kognitive Funktionen
Spezifische mentale Funktionen, die insbesondere von den Frontallappen des Gehirns abhängen, einschließlich
komplexe zielgerichtete Verhaltensweisen wie Entscheidungen treffen, abstrakt denken sowie einen Plan aufstellen und durchführen, mentale Flexibilität, sowie entscheiden, welche Verhaltensweisen unter welchen Umständen angemessen sind (häufig
„exekutive Funktionen“ genannt)
Inkl.: Funktionen, die Abstraktionsvermögen und Ordnen von Ideen betreffen; Zeitmanagement,
Einsichts- und Urteilsvermögen; Konzeptbildung, Kategorisierung und kognitive Flexibilität
Exkl.: Funktionen des Gedächtnisses (b144); Funktionen des Denkens (b160); Kognitiv-sprachliche
Funktionen (b167); Das Rechnen betreffende Funktionen (b172)
b1640 Das Abstraktionsvermögen betreffende Funktionen
Mentale Funktionen, die die Entwicklung von allgemeinen Vorstellungen, Qualitäten oder Charakteristiken betreffen,
hervorgegangen aus und losgelöst von den konkreten Realitäten, spezifischen Gegenständen oder aktuellen Gegebenheiten
b1641 Das Organisieren und Planen betreffende Funktionen
Mentale Funktionen, die das Zusammenfügen von Teilen zu einem Ganzen und das Systematisieren betreffen; diese
mentale Funktion trägt dazu bei, eine methodische Vorgehens- oder Handlungsweise zu entwickeln
b1642 Das Zeitmanagement betreffende Funktionen
Mentale Funktionen, die das Ordnen von Ereignissen in eine chronologische Reihenfolge und das Zuweisen von Zeiten
zu Ereignissen und Aktivitäten betreffen
b1643 Kognitive Flexibilität
Mentale Funktionen, die das Ändern von Strategien oder Denkansätzen betreffen, insbesondere beim Problemlösen
58
b1644 Das Einsichtsvermögen betreffende Funktionen
Mentale Funktionen, die Bewusstsein und Verstehen der eigenen Person und des eigenen Verhaltens betreffen
b1645 Das Urteilsvermögen betreffende Funktionen
Mentale Funktionen, die daran beteiligt sind, zwischen verschiedenen Möglichkeiten zu unterscheiden und diese zu
bewerten, wie solche, die an der Meinungsbildung beteiligt sind
b1646 Das Problemlösungsvermögen betreffende Funktionen
Mentale Funktionen, die Identifizieren, Analysieren und Integrieren nicht übereinstimmender oder sich
widersprechender Informationen in eine Lösung betreffen
b167 Kognitiv-sprachliche Funktionen
Spezifische mentale Funktionen, die das Erkennen und Verwenden von Zeichen, Symbolen und anderen Teilbereichen einer
Sprache betreffen
Inkl.: Funktionen, die Verständnis und Entschlüsselung von gesprochener, geschriebener oder anderer
Formen von Sprache wie Gebärdensprache betreffen; Funktionen, die das Ausdrucksvermögen in
gesprochener, geschriebener oder anderer Form von Sprache betreffen; integratives
Sprachvermögen in Sprache und Schrift, wie sie an der sensorischen (rezeptiven), motorischen
(expressiven), Broca-, Wernicke- und Leitungsaphasie beteiligt sind
Exkl.: Funktionen der Aufmerksamkeit (b140); Funktionen des Gedächtnisses (b144); Funktionen der
Wahrnehmung (b156); Funktionen des Denkens (b160); Höhere kognitive Funktionen (b164);
Das Rechnen betreffende Funktionen (b172); Mentale Funktionen, die die Durchführung
komplexer Bewegungshandlungen betreffen (b176); Kapitel 2: Sinnesfunktionen und Schmerz;
Kapitel 3: Stimm- und Sprechfunktionen
b1670 Das Sprachverständnis betreffende Funktionen
Spezifische mentale Funktionen, die Verstehen und Erfassen der Bedeutung von Mitteilungen in gesprochener, geschriebener, symbolisierter oder anderer Form betreffen
b16700 Das Verständnis gesprochener Sprache betreffende Funktionen
Mentale Funktionen, die Verstehen und Erfassen der Bedeutung von gesprochenen Mitteilungen betreffen
b16701 Das Verständnis geschriebener Sprache betreffende Funktionen
Mentale Funktionen, die Verstehen und Erfassen der Bedeutung von schriftlichen Mitteilungen betreffen
b16702 Das Verständnis der Gebärdensprache betreffende Funktionen
Mentale Funktionen, die das Verstehen und Erfassen der Bedeutung von Mitteilungen in Sprachen, die mittels Hand
und anderen Bewegungen erzeugte Zeichen benutzen, betreffen
b1671 Das sprachliche Ausdrucksvermögen betreffende Funktionen
71 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Spezifische mentale Funktionen, die notwendig sind, um sinnvolle Mitteilungen in gesprochener, geschriebener, symbolischer oder anderer Form zu produzieren
b16710 Das lautsprachliche Ausdrucksvermögen betreffende Funktionen
Mentale Funktionen, die notwendig sind, in der gesprochenen Sprache sinnvolle Mitteilungen auszudrücken
b16711 Das schriftsprachliche Ausdrucksvermögen betreffende Funktionen
Mentale Funktionen, die notwendig sind, schriftsprachlich sinnvolle Mitteilungen zu verfassen
b16712 Das Ausdrucksvermögen in Gebärdensprache betreffende Funktionen
Mentale Funktionen, die notwendig sind, sinnvolle Mitteilungen in Sprachen auszudrücken, die mittels Hand- und anderen Bewegungen erzeugte Zeichen verwenden
b1672 Integrative Sprachfunktionen
Mentale Funktionen, die semantische und symbolische Bedeutung, grammatische Struktur und Inhalte ordnen, um Mitteilungen in gesprochener, geschriebener oder anderer Form produzieren zu können
b172 Das Rechnen betreffende Funktionen
Spezifische mentale Funktionen, die Bestimmung, Abschätzung von und Umgang mit mathematischen Symbolen und Verfahren
betreffen
Inkl.: Funktionen, die Addition, Subtraktion und andere einfache mathematische Rechenarten betreffen; Funktionen,
die komplexe mathematische Operationen betreffen
Exkl.: Funktionen der Aufmerksamkeit (b140); Funktionen des Gedächtnisses (b144); Funktionen des
Denkens (b160); Höhere kognitive Funktionen (b164); Kognitiv-sprachliche Funktionen (b167)
b1720 Das einfache Rechnen betreffende Funktionen
Mentale Funktionen, die Rechnen mit Zahlen betreffen, wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division
b1721 Das komplexe Rechnen betreffende Funktionen
Mentale Funktionen, die Umsetzen von Textaufgaben in arithmetische Verfahren, Umsetzen von mathematischer Formeln in arithmetische Verfahren sowie andere komplexe Operationen im Zusammenhang mit Zahlen betreffen
72 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Anhang III: Pflegeversicherung aktuell Definition der Pflegestufen: Pflegestufe 0 -­‐ Personen mit dauerhaft erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz, die zwar einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung haben, jedoch noch nicht die Voraussetzungen für eine Einstufung in die Pflegestufe I erfüllen Pflegestufe I – Erhebliche Pflegebedürftigkeit Erhebliche Pflegebedürftigkeit liegt vor, wenn mindestens einmal täglich ein Hilfebedarf bei mindes-­‐
tens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen der Grundpflege (Körperpflege, Ernäh-­‐
rung oder Mobilität) erforderlich ist. Zusätzlich muss mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirt-­‐
schaftlichen Versorgung benötigt werden. Der wöchentliche Zeitaufwand muss im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten betragen, wobei auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen müssen. Pflegestufe II – Schwerpflegebedürftigkeit Schwerpflegebedürftigkeit liegt vor, wenn mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten ein Hilfebedarf bei der Grundpflege (Körperpflege, Ernährung oder Mobilität) erforderlich ist. Zusätz-­‐
lich muss mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt werden. Der wöchentliche Zeitaufwand muss im Tagesdurchschnitt mindestens drei Stunden betragen, wobei auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen. Pflegestufe III – Schwerstpflegebedürftigkeit Schwerstpflegebedürftigkeit liegt vor, wenn der Hilfebedarf bei der Grundpflege so groß ist, dass er rund-­‐um-­‐die-­‐Uhr, auch nachts anfällt. Zusätzlich muss die pflegebedürftige Person mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der wöchentliche Zeitaufwand muss im Tagesdurchschnitt mindestens fünf Stunden betragen, wobei auf die Grundpflege (Körperpflege, Ernährung oder Mobilität) mindestens vier Stunden entfallen müssen. Definition der Pflegegrade ab 2017: (Quelle: Analysen für die Entwicklung von Empfehlungen zur leistungsgerechten Ausgestaltung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs) 73 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Leistungen der Pflegeversicherung ab 2015: Leistungen der Pflegeversicherung ab 2017 (in Euro): 74 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften - 25 -
Anhang IV 8.2
Der Fragebogen zur Lebensorientierung70
Fragebogen zur Lebensorientierung nach dem Salutogenese-­‐Modell Mit dem SOC-­‐Fragebogen lassen sich die drei Komponenten des Kohärenzsinnes (SOC) quantifizieren: V = Verstehbarkeit H = Handhabbarkeit B = Bedeutsamkeit (entnommen aus dem Buch von ANTONOVSKY) 70
ANTONOVSKY, 192-198.
75 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften - 26 76 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften - 27 77 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften - 28 -
78 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften - 29 -
79 W. Ruf-­‐Ballauf Einführung in die Gesundheitswissenschaften Auswertung: Punktwerte der Items mit negativer Polung müssen umcodiert - 30 werden: also z.B. statt 7 Punkte =1, statt 6 = 2, usw. (siehe S. 79) 80