Jens Christof, MDR Thüringen, stellv. Hörfunkchef CBC Toronto

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Jens Christof, MDR Thüringen, stellv. Hörfunkchef CBC Toronto
Jens Christof, MDR Thüringen, stellv. Hörfunkchef
CBC Toronto/Kanada
„Was weißt Du eigentlich über Kanada?“, fragt mich eine CBC Kollegin gleich am ersten Tag
im Sender. „Lass mich raten“, fährt sie fort: „großes Land, Bären und Hockey.“
Um ehrlich zu sein: Ja, ich hatte nicht viel zu ergänzen, genau genommen nichts. Aber das
sollte sich in den kommenden zwei Monaten ändern.
Kanada, und in meinem Fall Toronto ist das erste Mal Teil des Arthur F. Burns Programms.
Für mich war und ist Kanada mindestens genauso attraktiv wie die USA, was die
Medienlandschaft und den Lebensstil betrifft. Also stand die Option ‚Toronto‘ für mich hoch im
Kurs. Dass am Ende Kanada mein Zielland und Placement geworden ist, darüber bin ich
nach den zwei Monaten mehr als nur froh und zufrieden.
CBC ist im Grunde der Sender in Kanada, den man im Unterschied zu anderen, privaten
Sendern auch kanadaweit hören und sehen kann. Und er ist von der Sache her auch ein
öffentlich-rechtlicher Sender, zumindest wird er mit dem Geld der kanadischen Steuerzahler
finanziert. Die Voraussetzungen für einen Vergleich mit den heimischen Medien waren also
schon mal nicht schlecht. Und genau darum ging es mir während meines Aufenthaltes.
Als ich bei CBC ankam, fragte mich meine Betreuerin Catherine: „Was möchtest Du bei uns
machen?“ Wir hatten zwar vorher miteinander telefoniert, aber wir hatten noch keinen festen
Plan für die zwei Monate gemacht. „Wir möchten, dass Du dich wohlfühlst bei uns“, sagte
Catherine, „und es soll nicht wie in der Schule mit Stundenplan sein.“ Genau das kam mir
entgegen. Mein Ziel war, so viel wie möglich vom Medien-Unternehmen CBC und seinen
Mitarbeiter kennenzulernen. Welche Strukturen finde ich hier vor, wie arbeiten die
Redaktionen trimedial miteinander zusammen und was macht am Ende der Reporter in
seiner täglichen Arbeit? Antworten auf all diese Fragen konnte ich nur bekommen, wenn ich
nicht bereits einen festen Plan vorfinde. Nach den ersten ein, zwei Wochen war dann auch
recht schnell klar, was ich bei CBC alles sehen und erleben möchte. Catherine öffnete mir
nahezu alle Türen und stellte mir die entsprechenden Kontakte her. Den Rest wollte ich
selber erledigen. Und das gute dabei war, nahezu jeder, mit dem ich Kontakt aufgenommen
hatte, kannte Catherine, was in einem Medienunternehmen mit knapp 3000 Mitarbeitern
nicht selbstverständlich ist. Die Realität bei CBC entspricht nämlich zumeist der einer
Großstadt: meine Nachbarn kenne ich, aber dann hört es auch schon auf.
Die ersten CBC-Tage waren geprägt von Führungen durch das zehnstöckige CBC
Headquarter, und alle zwei Meter erklärte ich, wer ich bin, woher ich komme (was bei einer
Stadt wie Erfurt nicht ganz einfach ist), wie lange ich hier bin und was ich eigentlich hier
mache. Ach ja, das erste Mal in Kanada bin ich auch: „Really, and do you like it here so far?“
Mein Arbeitsplatz, und davon gibt es bei CBC einige, hat mich wirklich beeindruckt, mit Blick
auf Downtown Toronto, den CN Tower vor der Nase. Und so schön unkompliziert und ohne
viel Bürokratie kam ich an meine Zugangsdaten für den Computer und meinen Mailaccount.
CBC ist ein bisschen wie die große ARD in einem Haus, das Headquarter ist in Toronto. Über
das ganze Land verstreut gibt es CBC Studios z.B. in Vancouver, Ottawa, Montreal, Quebec
und an der Ostküste in Halifax und auf Neufundland etc. Das sind mit Abstand die größten
Märkte für CBC, wo der Sender auch die meisten Hörer und Zuschauer erreicht. Und eins
lernte ich auch ganz schnell, die Zeitzonen (fünfeinhalb...die halbe Zeitzone kommt aus
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Neufundland) sind eine der großen Herausforderungen für CBC, um es mal positiv
auszudrücken. „World at six“ eine der erfolgreichsten Nachrichtenformate bei CBC Radio
One kommt auch wirklich immer um 6Uhr abends in allen Zeitzonen. Zum Teil werden die
Sendungen, die im kanadaweiten Network laufen, aufgezeichnet und zeitversetzt in den
nachfolgenden Zeitzonen gesendet.
Und dann gibt es noch den französischen Teil von CBC: Radio Canada. Das heißt, eigentlich
gibt es überall alles doppelt: CBC Network TV, 24h News Channel, Radio One, Radio Two
etc. Wie unterschiedlich CBC englisch und französisch ist, fiel mir besonders auf, als ich das
Headquarter von ‚Radio Canada‘ in Montreal besuche. Ein beindruckendes freistehendes
Hochhaus mit großem CBC Logo schaute mich an. Hier spricht man französisch. Die
englisch sprachigen Kollege, die die lokalen Sendungen aus Montreal für den EnglischService von CBC zuliefern, sitzen gewissermaßen im Keller. In Toronto ist es umgekehrt.
Das Mandat für CBC lautet Zusammenarbeit und Austausch, die gelebte Realität sieht nicht
nur bei CBC etwas anders aus. Ich bin auf diesen Punkt immer wieder gekommen, weil ich
mich gefragt habe, warum die Kollegen bei so einem großen programmlichen Aufwand nicht
näher zusammen arbeiten und Synergien nutzen. Das sei ausbaufähig, erzählte mir die
Chefin der Lokalstation Toronto. Im täglichen Mediengeschäft würde man bereits z.B.
Kamera-Kapazitäten gemeinsam nutzen, um am Ende u.a. TV Bilder auszutauschen. Aber
die Franko-Kanadier interessierten sich eben für andere Themen. Und dann gäbe es ja noch
das Problem mit der Sprache, erzählten mir die Kollegen vom Local Assignmentdesk in
Toronto.
Von Beginn an lernte ich, dass die CBC Kollegen im Grunde genauso Radio machen wir.
Warum sollten sie es auch anders machen. Das versetzte mich in die Lage, recht schnell
mitreden und Themen-Vorschläge machen zu können. Zum Glück war ich am Anfang bei
einer Sendung, die sich auch für einige deutsche Themen interessiert. „As it happens“ läuft
täglich im Network-Programm von Radio One und ist seit Jahrzehnten bei CBC etabliert. Das
merkte ich an der für mich etwas eigenwillig und altmodisch anmutenden Eingangs-Musik,
die aber, so hörte ich, für viele Zuhörer das Markenzeichen der Sendung ist. „As it happens“
interviewt Menschen, die mittendrin oder dabei gewesen sind…zumeist per Telefon.
Wir berichteten also über den Veggie-Day im Grünen Wahlkampf und führten ein Gespräch
mit der stellvertretenden Sprecherin der Jungliberalen, die dagegen protestiert hat. Der
Auftakt des sogenannten Organspende-Prozesses war ebenso ein Thema wie die schöne
Sommerloch-Geschichte aus Bayern mit folgender Schlagzeile: „Bayerischer Bürgermeister
jagt Schnappschildkröte“. Die Sendung war wie maßgeschneidert für mich. Ich half, die
passenden Interviewpartner in Deutschland zu finden, die im Thema stehen mussten und
fließend Englisch sprechen konnten. Bei dem bayerischen Bürgermeister mussten wir
allerdings mal eine Ausnahme machen.
Eins meiner Highlights war die Bitte aus der Morgensendung von Toronto: Jens, hast Du Lust
auf einen kleinen Kommentar, wie du als Deutscher Toronto siehst? Ich fand das Angebot
toll. Ich hatte mich vor meinem Aufenthalt so ein bisschen darauf eingestellt, der Beobachter
und Helfer zu sein, jetzt durfte ich aber selber ran. Einen Tag später 6.20Uhr war Showtime
bei Morningshow-Host Matt Galloway in der Sendung „Metro-Morning“.
Und dann gab es ja noch die vielen Themen, die ich für meine Radiostationen zu Hause
umsetzen konnte. Allen voran die Bundestagswahl und der Blick von außen. Und natürlich
das TIFF (Toronto International Film Festival). Das hat mir mit Abstand am meisten Spaß
gemacht. Trotz abgelaufener Deadline bekam ich einen Presse-Ausweis und konnte eine
Woche lang Welt-Premieren sehen, die wir in Deutschland erst ein halbes Jahr später zu
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sehen bekommen. Und die Stars auf dem Roten Teppich bekam ich auch vors Mikro. Das
Gute in diesem Jahr war, dass Deutschland mit Schauspieler Daniel Brühl, Regisseurin
Caroline Link oder Filmmusik-Produzent Hans Zimmer eine nicht ganz unwichtige Rolle beim
TIFF spielte.
Apropos Stars: Herbert Grönemeyer war auch gerade auf Nordamerika Tour als ich in
Kanada war. Auch hier war das Timing perfekt. Gröni machte gerade einen Abstecher nach
Montreal und Toronto. Ein Interview auf Deutsch bzw. für die deutschen Medien wollte er
nicht geben, CBC beschränkte sich auf eine kleine Online-Berichterstattung, aber das
Konzert konnte ich mir anschauen, in Montreal, im ‚Le National‘. Herbert hat englisch
gesungen, aber auch deutsch und sogar französisch. Manchmal alles durcheinander. Er
hatte sichtlich Spaß an der Club-Atmosphäre und den vielen deutschen Auswanderern,
Geschäftsleuten, Urlaubern.
Meine beeindruckendste Begegnung war ein Interview mit der ältesten Bürgermeisterin der
Welt. Hazel McCallion ist fast 93 Jahre und gewährte mir eine Audienz in ihrem Büro in
Mississauga, einem 700.000 Einwohner Vorort von Toronto. Mit barschem Ton fragte sie in
den leeren Vorraum, in dem ausschließlich ich saß: Who is next? Are you the German with
the interview? Yes I am. Hazel erzählte mir viel über ‘ihre’ Stadt, über Persönliches mochte
sie offenbar nicht so gern reden. Aber am Ende verriet sie doch ein bisschen etwas von
ihrem Geheimnis, so alt zu werden: die Arbeit halte sie jung und fit. Und ihren Chevy fahre
sie auch noch allein. Aber nächstes Jahr soll Schluss sein. Dann würde sie nur noch
ehrenamtlich arbeiten.
Zwischen all den Terminen und CBC Programmpunkte habe ich mir natürlich auch Zeit für
Land und Leute genommen. Meine CBC Kollegen meinten, wenn du Kanada und die
Kanadier kennenlernen willst, musst du raus aus Toronto. Die heimliche Hauptstadt Kanadas
sei viel zu international, um typisch kanadisch zu sein. Also habe ich mir auch die Umgebung
von Toronto angesehen: Kitchener/Waterloo, Hamilton, Midland, Wasaga Beach und die
Niagara-Fälle durften auch nicht fehlen. Neben Montreal besuchte ich auch die Hauptstadt
Ottawa. Hier empfing mich der deutsche Botschafter, Werner Wnendt zu einem kurzen
Austausch über Deutschland und Kanada, das Burns-Programm und natürlich die
kommende Bundestagswahl. Ich empfand es als Ehre, gewissermaßen selber als
Botschafter für Deutschland und das Burns-Programm in Kanada unterwegs gewesen zu
sein.
Meinen zweimonatigen Besuch in Kanada konnte ich schließlich mit einer ‚German
Wahlparty‘ und einer Diskussion über das Wahlergebnis beenden. Auch das sollte Teil
meines Besuchs sein. Neben dem Erfahrungsaustausch mit den TV- und Radio-Kollegen war
ich z.B. für die University of Toronto als Deutscher auch Insider und Informationsquelle, um
zu erzählen, wie ich und die Deutschen über das Wahlergebnis denken. Also fand ich mich in
einer gut zweistündigen Diskussionsrunde mit interessierten Studenten wieder.
Wie oft am Ende einer tollen Erfahrung stellt man fest, dass man eigentlich noch mehr Zeit
hätte hier verbringen können und wollen. Auch wenn es zum Besuch eines echten
kanadischen Hockeyspiels für mich nicht gereicht hat (die Hockey Saison beginnt erst im
Oktober), steht für mich fest: zwei Monate ist nicht lang, aber ausreichend, um mehr als nur
mal rein zu schnuppern in ein Land wie Kanada und einen Sender wie CBC.
Eins kann ich nach den zwei Monaten gewiss sagen: Jetzt kenne ich mehr als ein paar
Stereotypen über Kanada. Es gibt eine ganze Menge mehr als Bären, dem großen Land und
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Hockey. Nicht zuletzt die vielen netten Kollegen und Freunde, die ich hier getroffen und
kennengelernt habe.
Mein Dank gilt abschließend dem Massey College in Toronto, John Fraser und Anna Luengo,
dem Deutschen Generalkonsulat in Toronto und seinen Mitarbeitern und dem Burns
Programm für die Unterstützung und die Möglichkeit dieses Fellowships.
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