Waschen, Schneiden, Legen
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Waschen, Schneiden, Legen
Franziska Holzapfel, 06.10. 1987 Waschen, Schneiden, Legen Heute ist der Tag, den ich hasse. Den ich jedes halbe Jahr wieder hasse. Und es geht nicht um den Zahnarzt. Der Zahnarzttermin ist ein Segen dagegen. Man geht dahin, bekommt vielleicht kurzzeitig Schmerzen zugefügt, aber dann ist es vorbei. Nicht jedoch wie beim Friseurtermin. Man geht hin, sieht die Zerstörung und muss sich danach seinen Bekanntenkreis präsentieren. Und trotzdem ist es notwenig. Weil der Rapunzelstil nicht mehr wirklich in ist. Also mache ich mich schweren Herzens mit meinem Bildchen meiner Wunschfrisur, von der ich allerdings weiß, dass sie meiner spätern nicht ähneln wird, auf dem Weg zu unserem Dorffriseur. An der Tür hängt ein Schild "Was Friseure können, können nur Friseure". Ich betrete den Laden und sehe zwei ältere Damen, die mit Pudelfrisuren unter der Trockenhaube sitzen. Ich setze mich erst einmal und greife nach der erstbesten Zeitschrift, die ich sehe. In dieser werden genau drei Leute interviewt. Alle zu einem Thema: Homosexualität. Bischof Meisner ist dagegen, Ross von der Flickband Bro`Sis ist es egal und Karl Lagerfeld findet es okay. Ich frage mich nur, ob das irgend jemanden interessiert. Dann werde ich von der blondierten Friseurin, bei der man, ob man will oder nicht, denkt, dass alle Friseurinnenwitze wahr sind, auf einen Stuhl gebeten. Die Zeitschrift wird mir wieder abgenommen und einer anderen Kundin gegeben. Wahrscheinlich ist sie sowas wie eine Stammkundin. Sie bekommt sogar Kaffee. Im Gegensatz zu mir. Ich schiele so unauffällig wie möglich in ihre Königshäuserzeitschrift, da mir keine andere Beschäftigung einfällt. Ich muss ziemlich lange warten, weil das Team nur aus drei Frauen besteht. Eine kann nur Waschen, die Zweite nur Schneiden und die andere kennt sich nur mit dem Fön aus. Endlich bin ich an der Reihe. Die Blondine von vorhin kommt nun zu mir und fragt zuckersüß, als ob sie mit einem Baby spräche: "Na, wie wollen wir`s denn haben." Ich grinse noch süßer zurück und zeige ihr das Foto von Cameron Diaz. Sie verzieht ihren Mund zu eine Schnute: "Hmmm, ob das geht? Die hat nämlich gekrauselte Haare, da müsste man dann noch eine Dauerwelle machen..." NEIN! Bitte keine Dauerwelle. Frani, lass dir bloß nichts einreden, lass dir um Himmels Willen keine Dauerwelle machen! Deshalb sage ich schnell: "Ich möchte es einfach nur auf die Länge geschnitten haben, bitte. " Sie zuckt mit den Schultern und bindet mir, so dass ich fast erwürgt werde, den Vorhang um. Dann werde ich zum Waschbecken geschoben und mit eiskaltem Wasser wäscht sie meine Haare. Während sie ihre meterlangen Fingernägel in meine Kopfhaut sticht, frage ich mich, ob sie vielleicht etwas gegen mich haben könnte. Doch wie durch ein Wunder überlebe ich es und ich komme zur zweiten Station. Allerdings erst, nachdem ich noch einmal zwanzig Minuten gewartet hatte da die Scherenmeisterin, Rita, sich noch mit einer anderen Kundin über den unehelich geborenen Sohn der Nachbarin von der Freundin der Tochter unterhalten musste. Welch ein Skandal. Naja, wenn man sonst keine Probleme hat... Aber endlich bin auch ich an der Reihe und ich zeige ihr wieder mein Bild. "Aber ich möchte es nur so geschnitten haben, keine Dauerwelle", sage ich schnell, bevor sie ihren Kommentar dazu abgeben kann. Sie lächelt freundlich, und dann packt sie ihr Folterinstrument aus: Die Schere. Strähne um Strähne fällt und langsam aber sicher bekomme ich Angst. Ich kann es fast nicht ertragen, in den Spiegel zu sehen. Nebenbei fragt sie mich über das Thema aus, über das jedes arme gequälte Kind beim Friseur ausgequetscht wird. "Und wie geht`s in der Schule so ?" Ich muss jeden Morgen früh aufstehen, da hingehen und mir anhören lassen, dass ich besser lernen muss, dass ich das nicht richtig und dort einen Fehler habe. Außerdem mag ich meinen Englischlehrer nicht, was sicherlich auf Gegenseitigkeit beruht. Trotzdem sage ich: "Ganz okay." Was soll ich auch anders Sagen? Sage ich, es ginge mir gut, hält sie mich für einen Streber, sage ich, es ginge mir schlecht, dann hält sie mich für einen Versager. Na bravo. Außerdem geht das doch meinen Friseur nichts an. Sie merkt anscheinend, dass ich nicht der Typ in, der sich beim Haareschneiden die intimsten Geheimnisse entlocken lässt, deshalb redet sie mit ihrer Kollegin, die nebenan die Haare wäscht. Inzwischen frage ich mich, ob ich sie vielleicht darauf aufmerksam machen soll, dass ich durchaus noch gerne Haare auf dem Kopf hätte. Denn am Liebsten würde ich nur rufen: "Aufhören!" Ich könnte auch einfache aufspringen und sagen: "Oh, tut mir Leid, das war ein Irrtum, eigentlich wollte ich gar nicht zum Friseur" oder ähnlich Sinnloses. Hauptsache sie hört auf. Aber das tut sie, wie durch ein Wunder auf einmal ganz von alleine. Ich atme auf, obwohl das, was auf meinem Kopf ist, kein Grund zum Aufatmen ist. Dann kommt die Fön-Frau, die mich zum Glück weder foltert noch ausfragt. Dafür ist sie ein bisschen wie mein Biolehrer. Langsam. Hätte sie eine Autobiographie geschrieben, würde die sicher heißen: "Mein ewiger Kampf gegen die Geschwindigkeit". Es vergehen wieder zwanzig Minuten und sie sieht immer noch verträumt in die Gegend und brennt mir fast sämtliche Haare an. Doch wie durch ein Wunder ist auch sie fertig und holt den Spiegel. Ich lächele wie Miss World, obwohl ich im Inneren am Liebsten aufgeschrieen hätte. Ich sage "Oh, sehr schön, danke", weil mich meine Eltern zu Höflichkeit erzogen haben, obwohl ich am Liebsten sagen würde: "Ach, wenn ich´s mir recht überlege, ein bisschen länger könnten sie sein". Naja, aber dann ist es schon vorbei. Ich bezahle und als ich aus der Tür komme, bin ich froh, dieses Geschäft das nächste halbe Jahr nicht mehr von innen sehen zu müssen. Die Ergebnisse: 1. Der Geldbeutel meiner Mom ist um 20 Euro erleichtert worden. 2. Ich habe etwas auf dem Kopf, das man nur mit Mühe Frisur nennen kann, und von dem ich weiß, dass morgen alle in der Schule sagen werden: " Oh, sieht das toll aus", aber nachher drüber lästern werden. 3. Doch wie alle Sachen hat auch das ein Gutes: Ich weiß nun, was Bischof Meisner, Ross von Bro`Sis und Karl Lagerfeld von der Homo-Ehe halten.