Unterwegs in der einzigartigen Vulkanlandschaft der

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Unterwegs in der einzigartigen Vulkanlandschaft der
extra
Wetterfest:
die besten
neuen Wanderprodukte
Schnellster
Mann am Berg:
der Extremläufer
Kilian Jornet
Foto: Thomas Straub
Unterwegs in der einzigartigen
Vulkanlandschaft der Azoren
Outdoor
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Outdoor
Im feuer geboren
● Einst galt die Azoreninsel São Miguel als Tor zur Hölle. Von Christian Ewers; Fotos: Thomas Straub
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Stille im Krater:
Der See Lagoa
do Fogo entstand
nach einem Vulkanausbruch. Er liegt
inmitten von
Lorbeerwäldern
Heute erleben Wanderer hier ein Naturparadies
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Immer grün,
immer farbenfroh:
Subtropisches
Klima und
reichlich Wasser
lassen die
Insel ­erblühen.
Und im Atlantik
gibt es für die
Fischer fette
Beute (u.)
D
er Vulkan macht gerade
Zigarettenpause. Er pafft
so vor sich hin, hier und da
steigt eine schlanke Rauchsäule auf im Tal von Furnas,
und die Menschen sind
froh, dass es zurzeit bei diesen paar
Fluppen bleibt.
Vom letzten Ausbruch im September 1630 ist bekannt, dass er
fürchterlich war. Feuerwalzen verwüsteten weite Teile der Azoren­insel
São Miguel, heiße Aschewol­ken verdunkelten den Himmel, drei Tage
lang war es schwarz wie die Nacht.
Als der Vulkan endlich Ruhe gab,
folgte ein schweres Erdbeben. 200
Menschen starben. Erst 100 Jahre
später wagten sich wieder einige Jesuitenmönche nach Furnas, das vielen Insulanern als Hölle galt, als das
Ende der Welt.
Heute bildet die Hügellandschaft,
die der Vulkan aufgeworfen hat, ein
einzigartiges Wanderrevier. In märchenhaft verwunschenen Wäldern
versteckt sich ein blaugrüner Kratersee, umrahmt von Blumenstauden und duftenden Lorbeerbüschen.
Ein kleines, noch immer bedrohtes Paradies ist da entstanden im
Südosten von São Miguel, gelegen
mitten im Atlantischen Ozean, 1400
Kilometer vom portugiesischen
Festland entfernt.
Am nördlichen Ufer des FurnasSees, wo der Vulkan aus Erdlöchern
qualmt, beginnt ein lehrreicher
Wanderweg, der viel erzählt über die
wechselvolle Geschichte der Insel.
Über die Kraft der Naturgewalten
und die langsame Rückkehr des
Lebens sowie über den Menschen,
der das Land auszubeuten versuchte, das sich gerade von Eruptionen
und Magmaströmen erholt hatte.
Der Pfad führt vom dampfenden
Thermalfeld hoch in den Wald. Die
Luft ist klamm hier; gewaltige Farne fischen sich Feuchtigkeit aus
der Luft, Moos überzieht den Fels.
Durch das Blätterdach fällt kaum
Licht, es fühlt sich an, als ziehe
dieser Dschungel den Wanderer mit
tausend Armen in ein grünschwarzes Nirgendwo.
Je höher man kommt auf den
Serpentinen, desto spärlicher und
flacher wird die Vegetation. Auf dem
Plateau unterhalb des 570 Meter
hohen Pico do Ferro wachsen noch
ein paar dürre Büsche, ansonsten:
Wiesen. Die Wälder waren im vergangenen Jahrhundert gerodet worden, um Weideland zu gewinnen.
Vor neun Jahren stoppte die Regierung der autonomen Azoren­
inseln die Milchwirtschaft rund um
den Furnas-See. Die Wasserqualität
hatte sich dramatisch verschlechtert; der viele Kunstdünger und vor
allem der Kuhmist ließen das sensible Ökosystem beinahe kippen.
Ein Rettungsplan zeigt mittlerweile
erste Erfolge: Auf den ehemaligen
Weideflächen stehen wieder heimische Gewächse wie die Besenheide,
Lorbeer, Gagelbäume und die Azorische Stechpalme.
„Der See erholt sich“, sagt Lígia
Melo, 40, von der Initiative SPR Açores, die die Renaturierung koordiniert. „Die Blaualgen gehen zurück,
Phosphate und Nitrate im Wasser
nehmen ab, einige Kleinlebewesen
siedeln sich wieder an – das sind
sehr ermutigende Zeichen.“
Lígia Melo, eine kleine, energische
Frau, beschäftigt sich nicht nur wissenschaftlich mit dem Furnas-See.
Sie half mit bei den Pflanzungen
und bei der Sicherung der Hänge
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gegen Erosion. Sie sagt: „Was der
Mensch mit seinen Händen vernichtet hat, muss er mit seinen Händen auch wieder aufbauen.“
Noch sind die Wunden der Vergangenheit nicht ganz verheilt oben
am Pico do Ferro. Man watet stellenweise durch Matsch und Sumpf,
der sich in tiefen Traktorfurchen
gesammelt hat. Futtertröge und
Tränken liegen herum, Zeugen einer
vergangenen Zeit.
Achtung: Alle Wetter!
Man muss das mögen, diesen plötzlichen Wechsel der Kulissen. Vom
lieblichen Zauberwald hin zur spröden Landschaft sind es auf São Miguel mitunter nur ein paar Schritte.
Überhaupt wird man als Wanderer
ziemlich gefordert. Der Himmel ist
ständig in Bewegung, alle paar Stunden gehen Schauer nieder, und so
muss man sich auch rüsten für die
Touren auf der Insel: Regenzeug,
Wollpullover, aber auch T-Shirt und
Sonnenhut gehören stets in den
Rucksack. Alles ist jederzeit möglich
auf den Azoren. Es herrscht hier
feuchtwarmes Klima, das gern mal
Pause macht und sich von Schietwetter vertreten lässt, wie man es von
der deutschen Nordseeküste kennt.
Dafür ist das Gelände recht gnädig. Mit einer mittelprächtigen
Kondition kommt man gut voran
auf São Miguel; es gibt viele ehemalige Wirtschaftswege, die gemütlich
auf die Hügelplateaus führen.
Die Landwirtschaft auf den Azoren hat schon einige Wandlungen
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hinter sich. Die wirtschaftlich erfolgreichste Zeit war der sogenannte Orangenzyklus zwischen 1750
und 1870, als man Zitrusfrüchte vor
allem nach England exportierte. Der
plötzliche Reichtum veränderte vor
allem São Miguel nachhaltig.
Wenn jetzt im Frühjahr die Natur
erblüht, sind es oftmals importierte Pflanzen, die die Insel zum Leuchten bringen. Die Orangenhändler
kauften damals Blumenstauden
und Bäume aus aller Welt ein, um
damit ihre Privatgärten zu verzieren. Es gab regelrechte Gartenkunstwettbewerbe. Aus Tasmanien
ließen sie sich Akazien schicken, aus
Japan Kamelien, aus der Karibik die
Goldrute, und hoch aus dem Himalaja kam die Schmetterlingsblume.
Die Schmuckpflanzen wilderten
bald aus, und heute haben die
­Landschaftsgärtner auf São Miguel
einige Mühe, ein gesundes Gleichgewicht zwischen heimischen und
exotischen Gewächsen herzustellen.
Besonders gut gelungen ist das in
dem Gebiet um die Lagoa do Fogo,
einen Kratersee westlich von Furnas. Hier mischen sich europäische
Seekiefern mit azorischen Heidelbeersträuchern, hoch aufgeschossene Japanische Zedern mit dem knorrigen Kurzblättrigen Wacholder.
Nur die Schmetterlingsblume, aus
deren gelben Ähren orangefarbene
Staubblätter ragen, ist in ihrer Ausbreitung kaum zu bremsen. Schönheit kann auch eine Plage sein.
Die Lagoa do Fogo ist wie der Furnas-See vulkanischen Ursprungs.
Alte Meister:
In der Teemanufaktur Chá
Gorreana wird
mit Maschinen
aus dem
19. Jahrhundert
gearbeitet
Feuerspucker
Noch immer entstehen Vulkane
auf den Azoren.
Der jüngste
tauchte 1957/58
vor der Insel F­ aial
auf und heißt
Capelinhos
Sie entstand vor knapp 500 Jahren
und liegt abgeschieden oberhalb des
Küstenstädtchens Água de Pau. Wer
die Hochsaison zwischen Juni und
Mitte September meidet, kann diesen stillen, tiefblauen See ziemlich
allein genießen. Gelegentlich kreist
ein Mäusebussard über den angrenzenden Lorbeerwald; ansonsten
sind nur Möwen in der Luft, ständig
auf der Jagd nach Fischen oder Material für den Nestbau.
Die Lagoa do Fogo ist der Höhepunkt einer etwa dreieinhalbstündigen Tour, die grandiose Panoramablicke bietet. Bei klarem Wetter kann
man im Süden bis auf den Atlantik
schauen und das Inselchen Vila Franca; im Norden zeichnen sich sanfte
Hügelketten am Horizont ab.
Der Weg hinab ins Tal führt zwei
Kilometer an schmalen Kanälen
entlang, sogenannten Levadas. Mit
dem Zufluss aus der Lagune wurde
70 Jahre lang ein Wasserkraftwerk
be­trieben. Überhaupt ist São Miguel
fortschrittlich, was die Energiegewinnung betrifft. Mehr als 40 Prozent des Stroms stammen mittlerweile aus Geothermie-Anlagen. In
Ribeira Grande, wenige Kilometer
von der Lagoa do Fogo entfernt,
herrschen schon in 500 Meter Tiefe
Temperaturen von 200 Grad Celsius.
Die Insulaner haben den Vulkanen jahrhundertelang beim Rauchen zugeschaut, oft angsterfüllt.
Jetzt wärmen die Menschen sich an
ihnen – und hoffen einfach, dass sie
weiter ruhig und friedlich vor sich
hin schmauchen.
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Verlassene
Schönheit: Vor
50 Jahren wurde
das Bergdorf
Sanguinho aufgegeben
für entdecker
São Miguel bietet spektakuläre
Wanderwege, köstliche Vulkanküche –
und sogar Nachtleben
●
Das Terra Nostra Hotel
liegt im Dorfkern von
Furnas und verfügt über
einen 12,5 Hektar großen
botanischen Garten mit
Thermalbecken. Der
Garten wurde Ende des
18. Jahrhunderts von
Unterkünfte
Idealer Ausgangspunkt
für Wanderungen durch
die Vulkanlandschaft
ist das Dorf Furnas im
Südosten von São Miguel.
In der Nähe der Lagoa
das Furnas, eines
Kratersees, liegt die
Quinta da Mó. Vermietet
werden komfortable
Ferienhäuser für zwei
bis sechs Personen.
Ab 135 Euro pro Nacht.
Tel. +351/917/ 80 02 81,
www.quintadamo.com
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dem amerikanischen
Kaufmann Thomas
Hickling angelegt.
Schmuckstück ist eine
Sammlung von mehr
als 200 Kamelienarten.
DZ ab 85 Euro.
Tel. +351/296 54 90 90,
www.bensaude.pt/
terranostragardenhotel
Ein sehr gutes PreisLeistungs-Verhältnis
bietet das Hotel Villa
Verde. Die zehn Zimmer
sind einfach, aber ge­
schmackvoll eingerichtet.
DZ ab 45 Euro.
Rua das Caldeiras 3,
Tel. +351/296 54 90 10,
www.hotelvaleverde.com
Essen und Trinken
Das Restaurant Tony’s
ist bei den Einheimischen
beliebt. Chef António
Arruda und sein Sohn
Marco servieren den
besten Fisch in Furnas.
Besonders lecker:
Bacalhau (Stockfisch)
und Tintenfisch.
Largo do Teatro 5,
Tel. +351/296 58 42 90,
www.restaurantetonys.pt
Im O Miroma gibt es fast
immer einen freien Tisch.
Das hat nichts mit der
Qualität des Essens zu
tun, sondern allein mit
Fotos: Thomas Straub
Anreise
Von Deutschland aus
gibt es wöchentlich drei
direkte Flugverbindungen auf die Azoren­insel.
Air Berlin fliegt mittwochs
ab Düsseldorf, die azo­
rische Fluggesellschaft
Sata mittwochs und
sonntags ab Frankfurt.
www.airberlin.de;
www.sata.pt/de
dem turnhallengroßen
Speisesaal. Spezialitäten des Hauses sind
Morcela (Blutwurst)
und Eintöpfe.
Rua Dr. Frederico
Moniz Pereira 15,
Tel. +351/296 58 44 22
Auf einen Absacker
nach der deftigen
Inselkost trifft man
sich im 3 Bicas Club.
Im Sommer lockt die
Terrasse, im Herbst
und Winter der offene
Kamin. Etwas anstrengend können die
Karaoke-Nächte in
der Hauptsaison sein.
Rua Padre José
J. Botelho 19
Thermale Küche
Hier kocht der Vulkan
noch selbst: Am Nordufer des Furnas-Sees
kann man Speisen
in heißen Erdlöchern
garen lassen. Ein Wär-
ter vergräbt die Töpfe
im Boden, wo sie dann
stundenlang köcheln.
Mittags um zwölf
werden die Schätze
wieder gehoben und
auf Picknickbänken
oder im Schatten
der angrenzenden
Bäume verspeist.
Caldeiras da Lagoa
Wanderung zur
Lagoa do Fogo
Einer der schönsten
Wege auf São Miguel
führt zum Kratersee
Lagoa do Fogo ­
(s. Karte unten). Startund Zielpunkt des
Rundkurses ist ein
Parkplatz ca. 1,5 Kilometer oberhalb des
Hotels Bahia Palace in
Rocha dos Campos.
Man folgt dem Caminho Ribeira da Praia
bergauf. Bald erreicht
man ein altes Gehöft –
ab hier beginnt der
einsame Teil der Tour.
Umsäumt von Zedern
und Lorbeerbäumen
geht es hoch Richtung
See. Dreht man sich
um, sieht man im Süden den Atlantik und
die Insel Vila Franca.
Die Lagoa do Fogo
ist vor 500 Jahren
durch eine VulkanEruption entstanden.
Es gibt schmale Strände; im Sommer kann
man hier baden. Auf
dem Rückweg folgt
man kleinen Kanälen
Richtung Tal. Das
Lagoa
do Fogo
»
»
das Furnas; ca. zwei
Kilometer westlich
vom Dorfzentrum
entfernt.
AZO REN,
SÃO MI GU EL
10,8 km
Wanderweg
»
Levada
Ribeira
Chã
Start
Wasser der umliegenden Bäche ist trinkbar.
Man muss auch gelegentlich auftanken
während dieser
knapp vierstündigen
Tour, die einige
sportliche An- und
Abstiege bereithält.
Geführte Touren
Picos de Aventura
Tel. +351/296 28 32 88,
www.picosdeaventura.
com
Futurismo
Tel. +351/296 62 85 22,
www.futurismo.pt
Geo Fun
Tel. +351/296 09 26 70,
www.geo-fun.com
Touren im Netz
www.wanderwege.
visitazores.com
Sehr gutes Internetangebot: Präzise
beschriebene Wandertouren, reichhaltiges Kartenmaterial,
GPS-Daten der einzelnen Touren stehen
zum Download bereit.
Reisezeit
Für Wanderungen auf
São Miguel empfehlen
sich Mai und Juni
sowie die zweite
Septemberhälfte und
der Oktober. Dann ist
das Klima angenehm
mild. Im Hochsommer
herrscht dagegen
Sauna-Atmosphäre:
Luftfeuchtigkeit von
80 bis 90 Prozent,
dazu Temperaturen
um die 30 Grad Celsius. Nichts für nordeuropäische Wanderer,
die die Kühle der
Alpen gewohnt sind.
Literatur
Michael Bussmann:
„Azoren“, M. Müller
Verlag, 540 Seiten,
22,90 Euro.
Sehr detaillierter,
2013 aktualisierter
Reiseführer
Susanne Lipps:
„Azoren“, DuMont,
296 Seiten, 17,99 Euro.
Kompakte, bildstarke
Orientierungshilfe
PORTUGAL
Azoren
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