100 Prozent Gott

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100 Prozent Gott
C
4
Nummer 260 – RMR4
Samstag, 9. November 2013
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Unsere Serie „Christsein heute“, Teil 17: Wie lese ich
EXTRA:
„Die Bibel ist wörtlich inspiriert.“
So steht es, unter der Überschrift
„Was wir glauben“, auf der Homepage des Christlichen Zentrums
Life, einer evangelischen Freikirche
in Plüderhausen. „Unsere Gesellschaft braucht Orientierung“,
sagen die Gemeindeleiter – wie
aber soll das Wort Gottes sich entfalten, wenn wir es im Säurebad
der Kritik „atomisieren“?
Von unserem Redaktionsmitglied
Peter Schwarz
Michael Knospe, Frank Simon und Jürgen Knospe.
Bild: Bernhardt
100 Prozent Gott
Und 100 Prozent Mensch: Das Prinzip der wörtlichen Inspiration
Der Architekt
Was „wörtlich inspiriert“ heißt
Eine Kathedrale wird gebaut: Jahr um Jahr,
Jahrzehnt um Jahrzehnt arbeiten Handwerker und neue Handwerker, bedienen die
Bohrwinden, schwingen Breitbeil und Vorschlaghammer, legen das Winkelmaß an,
schichten Steine, formen Spitzbögen, meißeln Verzierungen – all das aber gehorcht
dem Plan des Architekten; letztlich ist es
sein Bauwerk.
Vielleicht, sagen die drei vom Life-Leitungsteam, hilft uns dieses Bild, das Wesen
der Bibel zu verstehen: Sicher, es waren
Menschen, die all dies schrieben, keine
„Marionetten“, sie brachten ihre individuelle „Färbung“ ein – aber so tief und reich
sind die Erkenntnisse, die eingeschlossen
sind in diesem Werk, dass „Zweifel angebracht sind, ob es eigentlich ein rein
menschliches Buch ist“, sagt Frank Simon.
Und Jürgen Knospe: „Die Bibel ist 100 Prozent Menschenwerk und 100 Prozent Gotteswerk, so, wie Jesus 100 Prozent Mensch
und 100 Prozent Gott ist.“
Die Bibel „lehrt uns, die Wahrheit zu erkennen“, sagt Michael Knospe, sie ist „dieser Kompass, der uns zeigt, wie wir in Harmonie mit Gott leben können.“ Wer damit
aber ernst machen will, müsse sich fragen,
ob all „die sogenannten wissenschaftlichen
Methoden angebracht sind“, dem Text zu
Leibe zu rücken.
Wenn die „kritische Theologie“ die
„Kraft der Bibel verdünnt“, wenn wir Menschen in „unserer Postmodernität, unserer
Beliebigkeit“ den Gehalt des Textes nach
unserem Gusto zurechtschleifen, wenn „die
Medien daran arbeiten“, die Schrift „in
Misskredit zu bringen“, wenn sich die Vorstellung verfestigt, dass da „nur Märchen
stehen“ – heißt das nicht am Ende, dass wir
die Bibel zu etwas bloß menschengemachtem herabstufen, etwas, das man ernst nehmen kann, wo es einem in den Kram passt,
und als überholt abtun, wo es einem im
Wege steht? Darin, sagt Jürgen Knospe,
„sehe ich die Gefahr der historisch-kritischen Methode“.
Und „was ist dann überhaupt noch wahr?
Wie relevant ist die Bibel dann? Das ist für
mich die Grundfrage. Welche Relevanz hat
die Bibel für unser Leben?“ Es stecke doch
so viel „Dynamit und Power“ in dem Buch,
es kann Leben verändern. Deshalb folgern
die Life-Gemeindeleiter: „Lasst uns das
Wort Gottes als Wort Gottes nehmen!“
Gottes Atem
Der Schöpfungsbericht
Gott nahm einen Klumpen Lehm, knetete
ihn in Menschenform und blies der Skulptur durch die Nase das Leben ein, so steht es
in der Bibel: eine großartig bildmächtige
Szene – aber soll es sich buchstäblich so abgespielt haben? „So unwissenschaftlich finde ich das nicht“, antwortet Frank Simon –
bestehe der Mensch etwa nicht aus „ein
paar Mineralien“ und Wasser und zerfalle
„nach dem Tod wieder zu Erde“? Es ist
„durchaus möglich, dass er die Welt so geschaffen hat, wie es beschrieben ist“, findet
Michael Knospe.
Und das geschah an sieben Tagen? In der
Bibel, erklärt Simon, steht auch, dass ein
Tag vor dem Herrn ist wie tausend Jahre,
und tausend Jahre wie ein Tag.“ Wie lange
„die Einheit Tag“ war beim siebentägigen
Schöpfungswerk – wer vermag das zu sa-
gen? Aber im Prinzip „habe ich überhaupt
kein Problem mit dem Schöpfungsbericht –
eher mit der Evolutionstheorie“. Schon der
Name drücke es aus: eine bloße „Theorie“;
sie handelt von Vorgängen, die „weit in der
Vergangenheit liegen und experimentell
nicht nachvollzogen werden können“; und
„in 30 Jahren gibt es wieder ganz andere
wissenschaftliche Standpunkte“. Da soll
„ein ominöser Urknall“ gewesen sein, und
dann soll das achtlos blinde Evolutionsgetriebe über Jahrmilliarden hinweg gemahlen und irgendwann zufällig den Menschen
ausgespuckt haben? „Das ist mir einfach zu
spekulativ.“ Als „denkendem Menschen“
falle ihm leichter, an eine „ordnende und
schöpfende Hand“ zu glauben.
„Es macht doch einen Riesenunterschied“, sagt Jürgen Knospe, „ob ich glaube, dass Gott der Schöpfer ist oder ob alles
aus dem Nichts entstanden ist“ – denn davon hängt ab, „wie ich mit der Erde umgehe“, mit welcher Fürsorge, wie viel Respekt.
Schwere Stellen
Herausforderung Altes Testament
Als die Ägypter durchs geteilte rote Meer
ziehen, um das Volk Israel zu verfolgen,
lässt Gott die Wassermassen über ihnen zusammenschwappen – hätte er den Durchgang nicht auch vorher schließen und dem
Pharao den Weg versperren können, anstatt
den ganzen Heeres-Tross wie Lemminge in
der Todesfalle zu ersäufen? Auf lasterhafte
Städte lässt Gott zur Strafe Schwefel und
Feuer regnen, und dem König Saul erteilt er
den Befehl zum totalen Krieg: „So zieh nun
hin und schlag Amalek“ und „verschone sie
nicht, sondern töte Mann und Frau, Kinder
und Säuglinge, Rinder und Schafe, Kamele
und Esel.“
Viele Geschichten des Alten Testaments
sind in ihrer Blutrünstigkeit nicht vereinbar mit unserer mild-modernen Vorstellung
vom „lieben“ Gott. Wie damit umgehen?
„Wir kämpfen auch mit manchen Stellen“,
sagt Jürgen Knospe. Aber gebietet nicht der
„Respekt vor der Bibel, Sachen stehen zu
lassen, die mir unbequem sind“? Schon Petrus schreibe, „dass er die Briefe von Paulus
auch nicht alle auf Anhieb versteht“. Die
Life-Gemeindeleiter haben keine PatentAntworten – sie offerieren Verständnismöglichkeiten.
Vielleicht ist Gott vielschichtiger und facettenreicher in seinem Wesen als nur
„lieb“? Vielleicht ist „Gottes Handeln noch
in einem anderen Licht zu sehen, nicht nur
aus unserer jetzigen Perspektive, unserer
humanistischen Sicht heraus“? Wenn Gott
den Krieg gegen die Amalekiter befiehlt –
müssen wir dabei womöglich mitbedenken,
dass „die physische Auslöschung von Leben
besser war aus Gottes Sicht, als welche am
Leben zu lassen, die noch mehr Schaden angerichtet hätten“? Leicht tut sich Frank Simon nicht mit dieser Erklärung, er ist „Pazifist und Kriegsdienstverweigerer“. Es ist
„nur ein Denkansatz“.
„Die Sitten der antiken Völker waren
brutal“, sagt Michael Knospe, „es gab Gesellschaften, die haben einfach so funktioniert“ – vielleicht hat Gott die Notwendigkeit gesehen, mit „radikalen Maßnahmen“
zu antworten? Und „wir haben auch Hinweise“, betont Simon, „dass diese Völker
gewarnt worden sind“.
Es ist jedem Christen eine Erleichterung,
dass über diese schweren Stoffe letztlich
Jesu Licht fließt und sich im Neuen Testament ein Gott offenbart, der nicht mit Feuer
und Schwert wütet, sondern seinen Sohn
für die Menschen hingibt. Aber sollen wir,
was uns nicht passt am Alten Testament,
einfach totschweigen oder wegerklären?
„Wir lassen die Bibel als Autorität stehen.“
Gericht
Schwerpunkt-Setzungen
Die Bibel ist eine moralische Richtschnur in
ganz konkretem Sinne, glauben die Gemeindeleiter von Life. Die Bibel habe die
westliche Welt gelehrt, einen Erfolgsweg zu
gehen: „Alles, was wir an Fortschritt haben,
haben wir der Bibel zu verdanken“, sagt
Frank Simon, in der Schrift sei „der Gedanke des Nationalstaats“ angelegt, die Schrift
hat die Karriere des Buchdrucks vorangetrieben und damit einen entscheidenden zivilisatorischen Entwicklungsmotor angeworfen. Die Werte der Bibel, sagt Michael
Knospe, „haben die westliche Kultur so erfolgreich gemacht“, auf ihnen beruhe unser
Wirtschaftssystem, unsere Vorstellung von
freiem und fairem Handel. Frank Simon
fasst zusammen: „Wir haben der Bibel unseren Wohlstand zu verdanken und unsere
Demokratie.“
Bereits das Alte Testament lehre „moderne Management-Prinzipien“: Jethro legte
seinem Schwiegersohn Moses Führungstechniken ans Herz, die heute „in vielen Seminaren empfohlen“ werden, sagt Michael
Knospe – lade dir nicht alleine alles auf, delegiere Arbeiten, definiere Zuständigkeiten,
schaffe Strukturen, „sonst hast du bald einen Burnout“.
Moralische Anleitung - da drängt sich in
Debatten über die Bibel klassischerweise
das Thema Homosexualität auf. Die LifeGemeindeleiter antworten: Der Römerbrief
„nennt gleichgeschlechtliche Beziehungen
explizit als Beispiel“ dafür, „wie sich die
Menschheit dem Willen Gottes und seiner
Schöpfungsordnung entfremdet“ habe –
ebenso eindeutig aber „heißt es in der Heiligen Schrift, dass wir alle Gefangene der
Sünde sind und dass wir allein durch den
Glauben an Jesus Christus befreit werden.“
Als Christen „sind wir genauso Sünder wie
alle Menschen und haben keinen Grund,
andere wegen ihrer Lebensweise oder Einstellung zu diskriminieren. Unser Auftrag“
sei es nicht, andere abzuurteilen, sondern
„unseren Mitmenschen die Gute Nachricht
weiterzusagen: Gott spricht jeden von seiner Schuld frei und nimmt jeden an, der an
Jesus Christus glaubt.“
Die Bibel, sagt Frank Simon, gibt uns
„eine Riesenchance auf Lebensveränderung“: Wenn wir uns auf sie einlassen und
„nicht Ausreden finden über die Wissenschaft“, dann „befreit diese Botschaft und
gibt eine gewisse Gelassenheit im Leben“.
Das Neue Testament lehrt in der Offenbarung des Johannes, dass „die Welt auf ein
Gericht zusteuert“, und auch das Apostolische Glaubensbekenntnis kündet davon –
das sind „Tatsachen, denen wir gerne ausweichen“. Auf der Homepage des Christlichen Zentrums Life steht deshalb unter der
Überschrift „Was wir glauben“: Dereinst
wird Jesus wiederkehren und „tausend Jahre auf der Erde regieren. Die Toten werden
leiblich auferstehen, die Gerechten zum
ewigen Leben, die Gottlosen zur ewigen
Verdammnis.“
Solchen „Gerichtsszenarien“ setzen die
Life-Sprecher den Glauben entgegen,
„durch den jeder, der die Hand Jesu ergreift, eine Riesenchance hat auf Lebensveränderung und nicht ins Gericht kommt.“
Mögen die Menschen „erkennen, dass da
eine Rettung drinsteckt. Diese befreiende
und hoffnungsfrohe Botschaft wollen wir
den Menschen unserer Zeit weitersagen.“
Schöpfung aus Freikirchen-Sicht
t Bibel oder Evolution? Zur Frage, wie der Schöpfungsbe-
richt zu lesen ist, gibt es eine Stellungnahme der „Vereinigung
evangelischer Freikirchen“ (VEF).
t Die VEF betont zunächst, dass in jeder einzelnen Freikirche
die Freiheit des Glaubens und des Gewissens sich gerade darin
ausdrücke, dass in der jeweiligen Gemeinde geistliche und ethische
Standpunkte in der Regel von der Basis her verortet werden. In den Ortsgemeinden werden diese Themen miteinander bearbeitet und findet der Meinungsbildungsprozess seine Konkretion. Darum ist die Vielfalt des gelebten
Glaubens in den Freikirchen so lebendig und groß. Daraus ergebe sich,
dass in den Freikirchen sowohl Vertreter der Evolutionstheorie als auch Anhänger des Kreationismus nebeneinander ihren Platz haben können. Da um den Wahrheitsanspruch der
sich schroff unterscheidenden Deutungsmodelle zum Teil heftig gerungen werde, folgert die VEF: Die jeweils anderen wegen ihrer
Sichtweise nicht zu verurteilen, ist dabei eine gegenseitige innerkirchliche Herausforderung. Die VEF-Stellungnahme betont, dass es unangemessen
ist, aus religiöser Haltung heraus die Wissenschaften zu diskreditieren. Jedoch
reklamieren wir auch, dass es umgekehrt ebenso unangemessen ist, für wissenschaftliche Überzeugungen eine areligiöse Haltung zur Vorbedingung zu
machen. Es gilt die Unterscheidung der Daseins-Ebenen, aber für uns auch die
Erkenntnis, dass zu den letzten Fragen, den Fragen nach dem Woher und Wohin, dem Wozu des menschlichen Lebens, die Wissenschaften nur unzureichende Antworten bieten.
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Wenn wir sie versteh
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liest, wird gerade am
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Nächste Folge
Von Bach bis Pop – K
Gottesdienst-Stile im
Mittwoch, 13. November
Die ersten Menschen? Adam und Eva, nackt, wie Gott sie schuf, im Garten
Eden.
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C5
ich die Bibel richtig? Wörtlich? Oder historisch-kritisch?
Mit Antje Fetzer durch die Bibel zu
streifen ist ein intellektuelles
Abenteuer, eine Ermunterung zum
genauen Lesen, eine Lektion in eigenständigem Denken. Die Botschaft der evangelischen Pfarrerin
aus Waiblingen: Gerade, wenn wir
die Bibel mit einem wachen historisch-kritischen Bewusstsein studieren, kann dieser Text erhellende
Funken in der Gegenwart schlagen.
Von unserem Redaktionsmitglied
Peter Schwarz
Antje Fetzer und ihre Bibeln.
Bild: Habermann
Ein Buch für das Jetzt
Gerade, wenn man seine Geschichte reflektiert: Die historisch-kritische Methode
Sitz im Leben
Was „historisch-kritisch“ heißt
kein leichtes Buch.
verstehen wollen,
mit den Texten inAuf dieser Dopch zwei Gespräche
die ihr Leben mit
nüpft haben – aber sie
chrift verschieden.
Gesprächen lag der
Themen, die tradinders umstritten sind
Verständnisgrenönnen. Da ist zum eiGenesis – ist das, was
Entstehung der Welt
eine Schöpfungsuns in bildhafter
sen und den Wert
nahebringen will?
n auch naturwissenltbarer und damit die
Evolutions-Biologie
Schöpfungs-„Bezum anderen der
rafende, zornige, töAlten Testaments.
damit umgehen?
Schöpfung aus Sicht der EKD
t Bibel oder Evolution? Zur Frage, wie der Schöpfungsbericht zu lesen ist, gibt es mehrere Stellungnahmen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
t Der „Kreationismus“, also das Wörtlichnehmen der Schöp-
fungsgeschichte, sei eine Verkehrung des Glaubens an den Schöpfer in
eine Form der Welterklärung, die letztlich dazu führt, dass das Bündnis von
Glaube und Vernunft aufgekündigt wird. Die Evolutionstheorie besitze
als wissenschaftlicher Erklärungsversuch zur Entstehung des Lebens, der Arten und der Artenvielfalt die höchste Wahrscheinlichkeit und Erschließungskapazität. Es sei aber auch ein Irrweg, aus den Einsichten der modernen
Naturwissenschaften zwingend eine Leugnung Gottes und die Verpflichtung
auf einen kämpferischen Atheismus ableiten zu wollen. Das biblische
Orientierungswissen und das naturwissenschaftliche Faktenwissen seien zwei verschiedene Erkenntnisebenen, die Unterschiedliches leisten können. Es gehe in der Bibel nicht um irrtumslose Informationsvermittlung zur Weltentstehung, sondern um die Botschaft der biblischen Zeugen: Sie bekennen, dass
alles (Himmel und Erde) aus Gottes Hand kommt. [...] Sie unterstreichen,
dass Gott ein Gegenüber ist, das angeredet werden kann. Sie weisen darauf
hin, dass die Würde eines jeden Menschen in seiner Gottesebenbildlichkeit begründet ist. Bildlich ausgedrückt: Die Sprache des Glaubens und
die Sprache der Wissenschaft sind zwei unterschiedliche Sprachen,
auch wenn sie sich auf dieselbe Sache beziehen. Der untersuchende Blick des
Arztes in das menschliche Auge ist ein anderer als der eines Liebenden.
räche vergleichend
am Beispiel dieser
en Text-Klippen
markant sich die
teilweise unterisweilen tut sich verEinigkeit auf.
Welt-Ordnung
Die Schöpfungserzählungen
p – Kirchenmusik und
im Wandel der Zeit:
mber.
Serie im Internet unter
christentum
Antje Fetzer hat nicht „die Bibel“ vor sich
liegen – es ist ein ganzer Stapel. Hebräischer Urtext. Neues Testament auf Griechisch. Luther-Bibel. Zürcher Bibel. BasisBibel. Einheitsübersetzung. „Die gute
Nachricht“ in moderner, leicht zugänglicher Sprache. In dieser Vielfalt offenbart
sich eine Haltung: Der Gehalt der Bibel ist
nicht starr und zementiert, ihr Sinn will immer wieder aufs Neue erschlossen, durchdacht, erforscht und aktualisiert werden.
Die Bibel, sagt Antje Fetzer, ist mehr als
einfach ein literarisches Werk, sie ist ein
„Offenbarungsbuch“, insofern, dass „Gott
tatsächlich Kontakt mit Menschen aufnimmt und Menschen davon Zeugnis geben“. Fetzer hat „unbedingten Respekt vor
den Autoren als Gläubige, Respekt vor diesem Glaubenszeugnis.“ Zur historisch-kritischen Lektüre gehört allerdings auch, die
Entstehungsbedingungen eines Textes zu
reflektieren, seinen „Sitz im Leben“: Auf
welche Erfahrungen gründeten die Menschen, die das schrieben, ihre Vorstellungen, auf welche Bedrängnisse reagierten,
welche Ziele verfolgten, welche Erzählformen wählten sie, um sich verständlich zu
machen? Wie lebten, was wussten sie? Und
welche Erkenntnisse, die uns selbstverständlich erscheinen, waren ihnen unzugänglich? Zwischen uns und ihnen liegt eine
„große kulturelle Distanz“.
Und nun stellt sich beim Lesen die Frage,
„ob ich meinen menschlichen Verstand anwenden“ und moderne wissenschaftliche
Einsichten einbringen darf – „oder ob ein
Opfer des Verstandes gefragt ist“.
Antje Fetzers Antwort lautet: Wer die
biblischen Texte auch in ihrer geschichtlichen Bedingtheit zu verstehen lernt, entwertet sie dadurch nicht, degradiert sie
nicht zu unverbindlichem Literaturmaterial, missbraucht sie nicht als bloße Knetmasse im Deutungsspiel, wirft sie nicht ins Säurebad einer zersetzenden Analyse. Im Gegenteil: Die historisch bewusste Lektüre
„eröffnet neue Sinngehalte“ und „Anschlussmöglichkeiten“, um die alten Texte
bedeutend zu machen im Hier und Jetzt.
Gott lässt strafendes Feuer regnen: Lot und seine Töchter fliehen aus der Stadt
Sodom, Lots Frau erstarrt, als sie zurückblickt, zur Salzsäule.
Am fünften Tag schuf Gott die Fische und
Vögel, am sechsten die Landtiere – und
abends dann, als Herr über alles, was da
kreucht und fleucht: den Menschen. So
steht es im Buch Genesis. Nur folgt danach
gleich noch einmal ein Schöpfungsbericht –
also, zurück auf null . . . Öd war die Welt
und leer – bis Gott Erde vom Boden aufhob,
daraus eine Menschengestalt formte und ihr
durch die Nase Lebensatem einblies. Danach erst, weil es „nicht gut ist, dass der
Mensch allein sei“, schuf Gott die Tiere und
schließlich die Frau als Gegenüber.
Wenn wir dies als Tatsachenbericht lesen
wollen, müssen wir mühsam versuchen, die
aufklaffenden Widersprüche wegzuschminken – die historisch-kritische Forschung tut
sich leichter mit dem Phänomen: Sie erkennt darin Überlieferungsschichten unterschiedlichen Alters und aus verschiedenen
Regionen: Der eine Text, entstanden vermutlich im Zweistromland, sieht Gottes
schöpferischen Akt darin, aus dem Urmeer
das Land hervortreten zu lassen; im anderen, erdacht vermutlich in karger Gegend,
macht Gott die Urwüste mit feuchten Nebeln fruchtbar und bebaubar.
Biologen, Archäologen, Geologen, Physiker gehen davon aus, dass die Vielfalt der
Arten aus einfachsten Anfängen entstanden
ist, dass das Leben mit Einzellern im Meer
begann und der Mensch erst ganz spät, fast
am Ende der Geschichte, den Planeten betrat, als Nachfahre affenartig behaarter
Gestalten – die Forschung hat dafür eine
derartige Vielzahl von Indizien, Belegen,
Fossilienfunden zusammengetragen, dass
im Wissenschaftsbetrieb die großen Entwicklungslinien, bei allen Unklarheiten im
Detail, als gesichert gelten . . . aber in der
Bibel steht es anders. Und nun?
„Man sagt traditionell Schöpfungsberichte, aber eigentlich sind es Schöpfungserzählungen oder Schöpfungsmythen“, erklärt Antje Fetzer – und wenn wir sie nicht
als Faktenprotokolle begreifen, sondern als
„Orientierungs-Erzählungen“, sind diese
Texte nicht im mindesten verstaubt und
ganz und gar nicht überholt von den Erkenntnissen der Wissenschaft, sondern
sprechen zu uns mit verblüffend gegenwärtiger Kraft: Sie beharren darauf, dass diese
Welt kein planloses Chaos ist, sondern eine
„Ordnung“ hat, „mit Rhythmen und Relationen“ und „Beziehungen zwischen den
Lebewesen“, einer „gegenseitigen Abhängigkeit im Ökosystem Welt“. Und wenn der
Mensch in diese Ordnung eingreift, sie für
seine Zwecke zurechtbiegt und Raubbau
treibt, genmanipulierten Mais züchtet oder
den Regenwald abholzt, ist das gefährlich
und anmaßend. Die Schöpfungserzählungen sind lesbar als Texte gegen die Hybris
des Menschen: Sie handeln davon, dass es
hinter all den Ursache- und Wirkungszusammenhängen, die wir in unserem Allmachtswahn zu beherrschen glauben, „die
Ur-Ursache“ gibt, „die wir Gott nennen“.
Gottesbilder
Herausforderung Altes Testament
Der Gott des Alten Testaments kann herrisch sein, zornig und erbarmungslos: Er
verstockt absichtlich das Herz des Pharaos,
anstatt es friedensstiftend zu erweichen;
befiehlt Saulus, gegen die Amalekiter in
den Krieg zu ziehen und nach dem Sieg alle
Frauen und Kinder des Feindes umzubringen, selbst die Säuglinge; erschafft erst die
Erde und ist danach mit seiner eigenen
Schöpfung derart unzufrieden, dass er sie in
einer großen Flut fast gänzlich ersäuft. Viele dieser Geschichten sind verstörend in ihrer begründungslosen göttlichen Brutalität.
Das Alte Testament ist eine „sehr realistische Büchersammlung“, sagt Antje Fetzer,
„sehr nahe an unserer Lebenserfahrung“.
In der Tat erleben wir noch heute die Welt,
die Menschheit, die Natur oft als unbegreiflich, ungerecht, wahl- und achtlos grausam.
Insofern entfaltet das Alte Testament Kraft
und Gültigkeit, indem es nichts beschönigt,
nichts hinwegharmonisiert.
Aber Gott stellen wir uns doch anders
vor. Und im Neuen Testament geht er in Jesus ja auch ganz anders auf uns zu: gewaltlos, opferbereit, ein Anwalt der Schwachen,
der sich „nicht von der Macht korrumpieren
lässt“. Im Alten Testament, sagt Fetzer,
wirken teilweise „archaische Vorstellungen
von Gottesherrschaft“, sie stammen aus
„anderen Zeiten“, die „andere Gefühle für
Brutalität hatten“. Gibt es in der Bibel verschiedene Gottesbilder? „Ich gehe davon
aus, ja.“ Die Gottesvorstellung der Bibel
hat sich über die Jahrhunderte ihrer Entstehung hinweg entwickelt.
Und doch können wir auch die scheinbar
grausamen Passagen mit Gewinn lesen. Da
ist Jephta: Der Heerführer gelobt Gott,
wenn er den Krieg gegen die Ammoniter gewinnt, werde er zum Dank das erste, „was
zu meiner Haustür heraus mir entgegen gehet“, als Opfer verbrennen. Er kehrt siegreich heim, und über die Schwelle tritt: seine Tochter. Jephta löst sein Gelübde ein.
Eine entsetzliche Geschichte – aber Moment, wovon erzählt sie? Jephta glaubt, er
könne sich Kräfte und Mächte, die größer
sind als er, nutzbar machen, könne sie für
seinen Ehrgeiz, seine Ziele instrumentalisieren – und muss am Ende feststellen: Er
zahlt einen fürchterlichen Preis dafür. Ist
das nicht eine Mahnung auch an uns mit
unserem naiven Glauben an die Beherrschbarkeit der Atomkraft oder die Segnungen
des entfesselten Marktes? Plötzlich spricht
der Text über die Jahrtausende hinweg direkt zu uns.
Gerechtigkeit
Schwerpunkt-Setzungen
Vor einiger Zeit hat sich Antje Fetzer ordentlich in die Nesseln gesetzt – was sie da
in einem Waiblinger Vortrag darlegte, fasste die Zeitung unter folgender Überschrift
zusammen: „Schwule sind von Gott gewollt“. Es gab, neben Zustimmung, eine
Menge Protest-Leserbriefe.
Am Thema Homosexualität lässt sich zeigen, wie die historisch-kritische Lesart den
Blick schärft: An keiner Stelle, betont Fetzer, sagt die Bibel etwas aus über „partnerschaftliches gleichgeschlechtliches Zusammenleben“ in unserem modernen Sinne –
denn das gab es damals überhaupt nicht.
Verbreitet allerdings war im hellenistischen
Kulturraum die Pädophilie: Sexualkontakte zwischen Herren oder Lehrern und ihren
oft minderjährigen Sklaven oder Schülern –
wir würden heute von asymetrischen Beziehungen sprechen, von Abhängigkeitsverhältnissen. Paulus wandte sich dagegen.
Das Christentum, sagt Fetzer, tritt ein für
das, „was dem Leben in seiner tiefsten Dimension dient“ – wenn wir Jesu Menschenfreundlichkeit als Wertungsmaßstab zugrunde legen, können wir es dann verwerfen, wenn zwei Menschen in frei gewählter,
gleichberechtigter und treuer Partnerschaft
ihr Lebensglück finden?
Eines wundert Antje Fetzer immer wieder: Es gibt Menschen, die heftig darauf beharren, dass Homosexualität der Bibel ein
„Gräuel“ sei – und gleichzeitig reden sie
kaum über die Wucht anderer Bibelstellen
zum Thema Reichtum und Armut. Das sei
eine „merkwürdige Allianz“: einerseits sexualmoralischer Rigorismus, andererseits
„wenig Probleme“ mit den unbiblischen
Auswüchsen des Kapitalismus. Dabei sei es
der Bibel vor allem ein „Gräuel, wenn man
den Hungrigen hungern lässt“, dem Bibeltreuen muss es „ein Skandal“ sein, „wenn
manche ganz reich rumlaufen, und daneben
verhungern andere“ – angesichts des
Flüchtlingsleids vor Lampedusa müssten
die Kirchen eigentlich „alle Tore aufreißen
und Asyl gewähren. Dass wir es nicht tun,
ist unsere menschliche Schwäche.“
Sexualmoral oder Gerechtigkeitsvisionen: Wenn wir mit der Bibel umgehen, entscheiden wir uns immer auch – ob eingestanden oder unausgesprochen –, welche
Stellen wir besonders wichtig nehmen, was
wir hervorheben, was betonen, wofür wir
uns einsetzen wollen. Wie lese ich die Bibel
richtig? Das ist dabei nur die eine Frage.
Die andere, genauso wichtige lautet: Wenn
wir ernst machen wollen mit dem Wort Gottes – womit fangen wir an?