Pressetext Frankreich, wir kommen

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Pressetext Frankreich, wir kommen
AUFWÄRMEN
Ein Ganzes ist, was Anfang, Mitte und Ende hat.
Aristoteles, Poetik
Frankreich, wir kommen!
Die Idee kam über e-mail und sie stammte von Michael Glawogger. Er wollte einen Film über die Befindlichkeit
des Österreichers während der Fußball-Weltmeisterschaft in Frankreich 1998 drehen. Die Österreicher würden
dort drei Spiele in ihrer Vorrundengruppe gegen Kamerun, Chile und Italien absolvieren, und vielleicht noch
eines mehr im Achtelfinale. Die Annahme, Österreichs Team würde Weltmeister werden, war eine verlockende,
wenn sie auch ein bißchen theoretisch anmutete. Die Österreicher scheiterten schließlich denkbar knapp. Sie
hätten nach den zehn Qualifikationsmatches und den drei Gruppenspielen nur mehr vier weitere Begegnungen
gewinnen müssen. Die Frage war, würden sich die Österreicher während der Weltmeisterschaft intensiver als
Österreicher erleben? Und warum "fühlt" man sich überhaupt als Österreicher, wenn elf Männer im Namen des
Landes irgendwo einen Plastikball malträtieren? Wenn Österreichern ihr Österreichertum zu Bewußtsein kommt,
gilt das dann auch für die Menschen anderer Nationen, wäre der Film also ein Stellvertreter für die national
gefärbte Sehnsucht nach Liebe, Anerkennung, Gemeinschaft und Ruhm?
Offensichtlich hat der Sport und insbesondere der Fußball diese Kraft zur Überschreitung des Privaten ins
Gemeinsame. Menschen verschiedener Kultur, Sprachen, Klassen, Einkommensgruppen, Besitzer unterschiedlichster Automarken und Bewohner von Bassena und Villa solidarisieren sich im Zeichen des Kreuzecks. Der
Kommunismus ist so gut wie tot, die Kirchen verlieren an gesellschaftlicher Macht, der Kapitalismus spaltet die
Gesellschaft in Gewinner und Verlierer. Der via Medien vermittelte Spitzensport hat eine Botschaft, die auf der
ganzen Welt sofort verstanden und akzeptiert wird. Der Sport ist die letzte Meta-Sprache, die letzte weltumspannende Ideologie - freilich eine Ideologie ohne ideologischen Inhalt, wenn man von der Alleinherrschaft
des Siegers absieht.Im Sport kann sich jede Ideologie, vom Faschismus bis zum Kommunismus, von der Demokratie bis zum Kapitalismus darstellen, bejubeln und beweisen.
Die Österreicher haben die Weltmeisterschaft genossen, diese zwei Wochen, wo die Großartigkeit nur einen
Lochpaß entfernt lag. Auch wenn man heute über diese Zeit sagen muß: When We Were Not Really The
Kings.Und doch, vor dem letzten, entscheidenden Qualifikationsspiel gegen Weißrußland im Wiener Stadion
waren die T-Shirts mit der Aufschrift: "Frankreich wir kommen!" schon fertiggestellt, schließlich sollte die
nationale Weihefeier durch nichts irritiert werden, die Möglichkeit des Scheiterns wurde von vorneherein ausgeschlossen.
Das Wunderteam 1931/32 mit Mathias Sindelar diente dem Austrofaschismus als Propagandainstrument und
Integrationshelfer. Als die Nationalelf im WM-Turnier 1978 Deutschland 3:2 besiegte, ging eine lange
Durststrecke der Kleinmütigkeit Österreichs gegenüber dem haßgeliebten Nachbarn Deutschland
zu Ende. Der Film "Frankreich, wir kommen!" zeigt einige Menschen und ihre Reaktionen auf die Spiele Österreichs während der WM 1998. Wenn sich aus dem Ablauf der Bilder ein Portrait Österreichs mit den Mitteln der
Fußballbegeisterung ergibt, soll es gut sein, und wir würden in diesem Fall behaupten: wir haben gesiegt.
Haben wir? Der Film beobachtet die Beobachter. Er zeigt die Wirklichkeitendes Spiels, der Zuschauer in Österreich und der Zuschauer im Land des jeweiligen Gegners, also in Kamerun, in Chile und in Italien. Der Reiz
besteht auch darin, die perfekte Realität des TV-Spiels mit der spontanen, imperfekten Realität der Beobachter
zu konfrontieren. Die Leidenschaft der Zusehenden wiederum weist über jede noch so professionelle
Inszenierung hinaus. Wenn die TV-Realität aufgrund ihrer Strahlkraft als die "wirkliche" Wirklichkeit angenommen wird, vor der wir uns in Ehrfurcht verneigen, so wird das TV-Bild doch nur ausgestrahlt, um die Zuseher zu
einer Reaktion zu provozieren. Es muß eine Kraft, einen Grund geben, der viel stärker als die Fernsehwirklichkeit ist, die in ihrer sekundären Professionalität Bedürfnisse, Mängel, Sehnsüchte bedient. Das Fernsehen ist
der Diener und der Fußball hat im Vergleich zu anderen Programmen - content heißt das heutzutage - den
unschätzbaren Vorteil, zwar in Dienst genommen zu werden, aber in jedem Augenblick frisch, unverfälscht,
spontan zu sein. Guter Fußball ist die rare Kombination von Perfektion und Freiheit von Inszenierung. Sogar
dann, wenn man verliert. In jedem Fall bleibt eine Lehre und eine Hoffnung, denn der Fußball folgt als die
dramatischste Form des Sports auf seine Weise den Gesetzen des Schauspiels. Die Regeln des Aristoteles müssen für das Spiel gelten, es kann gar nicht anders sein, und sie gelten auch für einen Film über das Spiel.
In der Poetik heißt es: "Das Schöne beruht nämlich auf der Größe und der Anordnung."
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SPIELANLAGE
PROLOG
Beine stoßen einen Ball vor sich her, laufen ihm nach, andere Laufwerkzeuge kommen den Ballbesitzenden in die
Quere. Das Bild öffnet sich, ein Ausschnitt aus dem Abschiedsspiel des österreichischen Teams ist zu sehen,
kurze Zeit nach dem 6:0 über Liechtenstein bricht dieMannschaft nach Frankreich auf. Auf der Tribüne sitzt der
blinde Roland Spöttling, zwei Freunde erzählen ihm das Spiel, Roland Spöttling ist trotz des hohen Sieges mit der
Leistung der Mannschaft gar nicht glücklich. Pressekonferenz, der Journalist Johann Skocek hört sich die letzten
Kommentare von Teamchef Herbert Prohaska und Star Anton Polster an, bevor sie ihre Wallfahrt beginnen. Mutter
Erber und Sohn Gérard packen für den ersten Trip zur WM, sie schauen sich jedes Spiel der österreichischen
Nationalmannschaft an, zwischen den Spielen fliegen sie heim - anstrengend, aber notwendig. Gérard findet im
letzten Augenblick das T-Shirt, auf dem Franz Wohlfahrts Unterschrift noch fehlt. Glück gehabt. Der
Nachrichtenelektroniker Lehner ist Nachwuchstrainer einer U 13 Mannschaft, er coacht die Buben, als wären sie
Anwärter fürs Team, aber das sind sie ja alle.
1. AKT
Es steht zu befürchten, daß Teamchef Prohaska den nicht gesunden Andi Herzog und den außer Form befindlichen Anton Polster einsetzen wird. Wie ein Maurer sucht Prohaska in den Trümmern seiner Qualifikationsmannschaft nach einem Bauplan für das Haus, das die WM überdauern könnte. Der pensionierte Glaser Toni
Ruhland schaut sich im Beisl das erste Spiel an, er ist skeptisch, weil er sich auskennt. In Kamerun beschwört ein
Medizinmann das Glück der Mannschaft, die den Beinamen "die unbezähmbaren Löwen" trägt. Ein Fernseher wird
besorgt, die Antenne aufgestellt, und dann hebt der symbolische Kampf gegen den weißen Mann an. Kamerun
geht in Führung, Anton Polster erzielt in der Nachspielzeit den Ausgleich. In Österreich macht sich Erleichterung
breit, in Kamerun die Einsicht, daß selbst für einen unbezähmbaren Löwen nicht alles leicht ist. Teamchef
Prohaska hat das Match vercoacht. Er wird sich nicht ändern.
2. AKT.
Prohaska wird wahrscheinlich wieder gegen den klaren Augenschein im Training an seiner gewohnten Mannschaft
festhalten, also Herzog und Polster einsetzen. Frau Laurin arbeitet in einem Supermarkt, bei wichtigen Spielen
findet sich die gesamte Familie mit Onkeln, Schwagern, Schwägerinnen und Opa bei ihr zu Hause ein. Chile erzielt
ein Tor, das die Österreicher für völlig irregulär halten, weil der Ball, was man nicht sehen konnte, klarerweise
nicht hinter der Torlinie war. Die Chilenen bejubeln den Kopfball des göttlichen Ivan Zamorano und die
Geistesgegenwart von Marcelo Salas. In der Nachspielzeit bringt Ivica Vastic eine Rechte an, die genau im
Kreuzeck sitzt. Die Österreicher jubeln schon allein aus Erleichterung, die Chilenen gehen deprimiert heim.
3. AKT.
Die Österreicher erklären, von Bundeskanzler Klima abwärts, daß Italien zu schlagen ist und daher geschlagen
werden wird.Teamchef Prohaska hat endlich die Leute aufgestellt die in Form sind, Hannes Reinmayr und Ivica
Vastic, Herzog ist draußen. Die WM ist wie eine Wallfahrt zur Quelle des Lichts, und die Wallfahrer stehen an der
ersten Wegkreuzung. Die Italiener erklären nach einem Blick in die Geschichtsbücher, daß Österreichs Siege über
Italien aus der Urgeschichte des Fußballs stammen. Die Österreicher hoffen auf ein Wunder. Der Glaser Toni kennt
sogar welche, "aber das sind die sieben Weltwunder". Die Italiener gehen in Führung. Polster wird ausgetauscht
und rauscht beleidigt in die Kabine. Die Italiener schießen das 2:0 und Österreich ist beleidigt, daß die eigene
Prophezeihung sich nicht erfüllt. Herzog schießt in der Nachspielzeit aus einem Elfer das 2:1. Die Österreicher
haben endlich einigermaßen schönen Fußball gespielt, und das war ihr Verderben. Wenn die Deutschen das selbe
Spiel gemacht hätten, hätten sie mit viel mehr Glück gewonnen. Dieser Meinung ist ganz Österreich. Ivica Vastic
meint, solange es etwas zu lernen gäbe, brauche der Mensch auch die Hoffnung nicht fahren zu lassen.
EPILOG
Im Viertelfinale werfen die Kroaten die Deutschen hinaus. Die Welt ist entzückt. Im finalen Kampf um das Licht
und gegen die Brasilianer siegen die Franzosen. Aber das ist eine Geschichte, die sowieso jeder kennt. Das Drama
ist durchgestanden, der Mensch hat etwas über sich gelernt, weil er überrascht wurde, und auch in diesem Punkt
trifft sich der Fußball mit Aristoteles, der bekanntlich meinte: "Denn es ist wahrscheinlich, daß sich
vieles gegen die Wahrscheinlichkeit abspielt."
Johann Skocek, Dezember 1998
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