Große Steine von kleinen gehalten
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Große Steine von kleinen gehalten
aktuell BUNDESWEHR „Große Steine von kleinen gehalten“ Am Ausbildungszentrum Infanterie in Hammelburg werden kurdische Peshmerga aus dem Nordirak unter anderem am Panzerabwehrsystem MILAN ausgebildet. von Dieter von Anhalt Hammelburg. Der 32-jährige Hauptmann Mohammed Y. aus der Nähe von Erbil in Kurdistan im Norden Iraks liegt mit einem Kameraden in einer Stellung auf dem Truppenübungsplatz Hammelburg. In etwa 1200 Meter Entfernung zwei gegnerische Panzer. Neben ihm in der Stellung der 30-jährige Oberleutnant Nazir O. Er bereitet das tragbare Panzerabwehrlenkflugkörpersystem MILAN vor. Die beiden Ziele sind erkannt und aufgefasst. Jetzt muss alles schnell gehen. „3, 2, 1, Feuer“, ruft Ausbilder Oberfeldwebel Michael M. und Hauptmann Y. drückt ab. Ein lauter Knall und ein drahtgelenkter Flugkörper steuert in einem zischenden Feuerball auf den linken Panzer zu – und trifft das Ziel nach einigen Sekunden. Aus einer anderen Stellung heraus wird gleichzeitig der rechte Panzer erfolgreich bekämpft. Die kurdischen Peshmerga in den Stellungen sind Angehörige der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak. Zwei Wochen lang werden sie zusammen mit insgesamt 30 anderen Peshmerga am Ausbildungszentrum Infanterie in Hammelburg ausgebildet. „Das Ziel der heutigen Ausbildung war der sichere Umgang mit der Panzerabwehrwaffe MILAN. Zum Abschluss der Ausbildung konnten Sie ihr Können im scharfen Schuss unter Beweis stellen. 35 Ziele wurden erfolgreich bekämpft. Das ist eine große Leistung. Sie haben alles, was Sie gelernt haben, gut umgesetzt. Respekt und Anerkennung.“, lobt beim anschließenden Antreten der Ausbilder die Peshmerga. Direkt von der Front Die Männer, die hier stehen, kommen direkt von der Front und haben alle Kampferfahrung. Einige von ihnen kämpfen, wie viele ihrer Freunde und Verwand- aktuell ten, seit Monaten gegen die Terrororganisation IS. Direkt nach der Ausbildung in Hammelburg fliegen sie wieder zurück in den Nordirak, wo sie dann selbst in die Rolle des Ausbilders schlüpfen und wiederum ihre Kameraden an der MILAN ausbilden werden. Einsatz im Irak Derzeit sind 27 Bundeswehrsoldaten im Nordirak im Einsatz. Mit einer breiten Mehrheit genehmigte der Bundestag den Einsatz von insgesamt 100 Bundeswehrsoldaten, die in Erbil, dem Sitz der Regierung der Autonomen Region Kurdistan, stationiert werden sollen. Das Mandat ist zeitlich zunächst bis zum 31. Januar 2016 begrenzt. Das setzt die bereits im vergangenen Jahr begonnene Einweisung an geliefertem Gerät fort. (eb) Intensive Ausbildung „Die Hauptprobleme der Peshmerga bestehen momentan im Fähigkeitsaufbau in den Bereichen Kampf gegen IS in bebautem Gelände, Kampfmittelabwehr, einschließlich Abwehr behelfsmäßiger Sprengvorrichtungen, Sanitätsdienstliche Erstversorgung und Transport sowie Maßnahmen zur Materialerhaltung und Instandsetzung an den bereits gelieferten Handwaffen und Fahrzeugen. Daher konzentriert sich die zweiwöchige Ausbildung intensiv auf diese Schwerpunkte“, unterstreicht Generalleutnant Jörg Vollmer, Kommandeur Einsatz und Stellvertretender Inspekteur des Heeres, der sich vor Ort in Hammelburg ein Bild von der Ausbildung der Peschmerga macht und damit an seine Reise in den Irak vom vergangenen Jahr anknüpft. ,,Die durch das Ausbildungszentrum Infanterie hier abgebildeten Ausbildungsthemen sind genau die Bereiche, in denen die Peshmerga den größten Nachholbedarf haben und somit ganz besonders das erfolgreiche Bestehen im Gefecht fördern. Dies wurde mir während meiner letzten IrakReise immer wieder bestätigt.“ Zum ersten Mal haben die Peshmerga mit der Panzerabwehrwaffe MILAN die Mittel, moderne, gepanzerte Fahrzeuge auf einer Distanz bis zu zwei Kilometer unter nahezu allen Sichtbedingungen erfolgreich bekämpfen zu können. Damit erhalten sie eine wichtige Fähigkeit im Kampf gegen den IS, der im vergangenen Sommer große Landstriche im Norden Iraks und im angrenzenden Syrien über- Ziel auffassen: Einweisung am Panzerabwehrsystem MILAN. rannt hatte. Siegt der IS im Nordirak, sind auch andere Länder in Gefahr. Die irakische Armee und kurdische Peshmerga-Verbände bekämpfen die Dschihadisten am Boden. Eine internationale Allianz aus dutzenden westlichen und arabischen Ländern fliegt Angriffe aus der Luft. Gemeinsam mit Verbündeten beteiligt sich die Bundeswehr an der militärischen Ausbildung der Peshmerga. „Deutschland ist wie eine zweite Heimat“ Das Ausbildungsprogramm ist umfangreich. Parallel zur MILAN-Ausbildung findet die Sanitätsausbildung für fünf Peshmerga statt. „Hier lernen sie unter anderem eine Erweiterung einer sanitätsdienstlichen Grundbefähigung – vergleichbar mit dem Niveau ‚Ersthelfer A‘, erweitert um die Teile ‚Combat Life Saver‘ und wie eine Rettungskette funktioniert“, erklärt Hauptfeldwebel Enrico M. „Wir sind sehr dankbar, dass uns Deutschland im Kampf gegen IS unterstützt und uns professionell ausbildet. Deutschland ist für uns wie eine zweite Heimat“, betont der 25-jährige Oberstabsgefreite Javid Z., während er einem Kameraden zur Übung das Abbindesystem (Combat Application Tourniquet (CAT)) anlegt, um eine simulierte schwere Blutung zu stillen. Diese Ausbildung kann das Leben seiner Kameraden retten, wenn er in ein paar Tagen wieder als Ausbilder im Nordirak im Einsatz ist. „Wir wollen Stabilität und Frieden.“ Besuch in Hammelburg: Generalleutnant Jörg Vollmer im Gespräch mit den kurdischen Peshmerga-Kräften. 7 Ein weiterer Schwerpunkt der Ausbildung ist die Kampfmittelabwehr (C-IED). Die Peschmerga werden hier unter anderem ausgebildet, ausgewählte für den Nordirak relevante Kampfmittel (IED) zu erkennen und durch die äußeren Konstruktionsmerkmale die jeweilige Kategorie bestimmen zu können. „Ausgewählte, ein- gedrungene und verlegte Kampfmittel sollen anhand der sichtbaren Erkennungsmerkmale der jeweiligen Munitionsart und -sorte erkannt und zugeordnet werden.“, übersetzt der kurdische Sprachmittler den anwesenden Peshmerga im Dienstgrad Leutnant bis Hauptmann. „Momentan herrscht eine große Angst vor IS, der das Leben von Millionen Menschen bedroht. Was wir hier lernen, hilft uns im Kampf gegen IS. Wir wollen wieder Stabilität und Frieden in unserer Heimat“, so Mohammed Y. mit fester Stimme. Seine Kameraden nicken zustimmend. Wie ein trockener Schwamm Auf dem Ausbildungsprogramm steht auch das Erlernen von Maßnahmen zur Materialerhaltung und Instandsetzung. Die Ausbildung ist umfangreich: Nach der theoretischen Einweisung in das Maschinengewehr MG3 am Vormittag stehen nachmittags praktische Übungen auf dem Plan. Die Peshmerga lernen sehr schnell. Die deutschen Ausbilder haben sichtlich Spaß an der Ausbildung. Wie ein trockener Schwamm saugen die Kurden die Informationen auf und schon nach kurzer Zeit sind sie in der Lage, das MG bis zum kleinsten Bauteil und der kleinsten Feder zu zerlegen, zu reinigen und wieder zusammenzusetzen. Die Ausbildung hilft Einige Soldaten, wie Gefreiter Azad F., haben bereits Erfahrung mit dem deutschen Sturmgewehr G-36. „Mit dieser Waffe wurde ich in Erbil ausgebildet. Eine einzigartige Waffe. Sie ist absolut präzise. Die wesentlichen Bauteile sind aus glasfaserverstärktem Kunststoff und somit einfach zu reinigen“, sagt er und führt fort: „‚Große Steine werden von kleinen Steinen gehalten‘, lautet ein kurdisches Sprichwort. Die Ausbildungsunterstützung durch die Bundes- Spurensuche: Der Ausbilder zeigt Auffälliges im Gelände. wehr vor Ort in Erbil als auch hier in Hammelburg sind solche Steine. Die Ausbildung hier hilft uns, unsere Heimat und unsere Familien zu verteidigen. Das ist unsere Motivation.“ Materialerhaltung durchführen Auch sollen die Peshmerga fit gemacht werden für das Feststellen einfacher Schäden und Instandsetzen der gelieferten Fahrzeuge „Dingo 1“, LKW-2Tonner und „Wolf“. „Sie sollen nach der Ausbildung in der Lage sein, Wartungs- und Fristenarbeiten und vorbeugende Maßnahmen der Materialerhaltung kennen und durchführen zu können.“, erläutert der deutsche Ausbilder in einer Instandsetzungshalle den kurdischen Soldaten. Der Sprachmittler hilft: Einweisung in die Übungslage. Der Einsatz hat sich gelohnt Zwei Wochen intensive Ausbildung gehen zu Ende. Der Einsatz hat sich gelohnt. 30 gut ausgebildete und hochmotivierte Peshmerga werden in wenigen Tagen in ihre Heimat zurückkehren. Die Ausbildungen vor Ort in Erbil und hier in Deutschland ergänzen sich. Die nächsten Lehrgänge sind bereits ausgeplant. Foto (7): Bundeswehr 6 System MILAN: Die Lenkflugkörper werden vorbereitet. Wichtiger Beitrag Generalleutnant Jörg Vollmer (Foto l.), Kommandeur Einsatz und Stellvertretender Inspekteur des Heeres, über seine Eindrücke von der Einweisung der Peshmerga am Ausbildungszentrum Infanterie in Hammelburg. Welche Peshmerga werden ausgebildet? Im Rahmen der Ausbildungsunterstützung durch das Deutsche Heer werden pro Lehrgang jeweils bis zu 30 militärische Führer, Multiplikatoren und Spezialisten der Sicherheitskräfte der Regierung und Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte in Deutschland ausgebildet. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Hilfe bei der Bekämpfung des IS. Was folgt danach? Im Schneeballsystem entwickelt sich die Ausbildung weiter. Wir können aber nicht alle Peshmerga zur Ausbildung nach Deutschland holen. Deswegen sind die, die wir ausbilden, so wichtig als Ausbilder für die Männer vor Ort. Wir werden sie weiterhin unterstützen und in Erbil ausbilden. Wieviel wir insgesamt erreicht haben und wie sich die Multiplikatorenausbildung dann vor Ort ausgewirkt hat, werden wir aber erst am Ende dieses Jahres bewerten können. (anh)