37 - Strategie und Technik

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37 - Strategie und Technik
(Foto:Björn Trotzki)
Luftwaffe
Luftwaffe
Allwetterfähige
Bewaffnung
Kann die Fähigkeitslücke fliegender Plattformen
auf mittlere Reichweite geschlossen werden?
Stefan Rigauer
Um eine allwetterfähige Bewaffnung flexibel und präzise bei nahezu allen Wetterbedingungen und unabhängig von der Tageszeit einsetzen zu können, werden u.a. auch besondere Anforderungen an die Sensorik, die
Flugsteuerung und -regelung der Effektoren sowie an die Daten- und Kommunikationsverbindungen gestellt.
S
owohl bei Luftverteidigungs- als
auch bei Luftangriffskräften beschäftigen sich moderne Luftstreitkräfte intensiv mit dem Thema Abstandsbewaffnung zur Steigerung der
Überlebensfähigkeit und Effizienz. Da
eine umfassende Beleuchtung dieser Thematik den Rahmen eines solchen Artikels
deutlich sprengen würde, beschränkt sich
die nachfolgende Betrachtung auf Überlegungen der deutschen Luftwaffe für ihre
fliegenden Waffensysteme in der Luftangriffsrolle.
Luftmacht
Die Ausübung von Luftmacht ist ein wesentlicher Bestandteil in nahezu jeder militärischen Operation, von humanitären
Hilfseinsätzen bis hin zu Eingreif- und Stabilisierungsoperationen und in der Landesund Bündnisverteidigung.
Autor
Oberstleutnant i.G. Stefan Rigauer
ist im Waffensystemkommando der
Luftwaffe zuständig für die Fähigkeitskategorie Wirkung im Einsatz.
Auch die Verteidigungspolitischen Richtlinien 2011 definieren „die internationale
Konfliktverhütung und Krisenbewältigung
– einschließlich des Kampfs gegen den
internationalen Terrorismus“ als eine der
Hauptaufgaben der Bundeswehr. Diese
Aufgaben prägen daher maßgeblich die
Fähigkeiten und die Ausrüstung der Bundeswehr und sind strukturbestimmend.
Gleichwohl bleibt der Schutz des Territoriums der Bundesrepublik Deutschland und
seiner Bürgerinnen und Bürger eine Kernaufgabe der Bundeswehr.
Besonders in Szenarien, in denen der
Gegner über eine leistungsfähige Luftverteidigung (LV) verfügt, kommen der
Durchsetzungs- und Überlebensfähigkeit
eingesetzter Luftfahrzeugbesatzungen,
Trägerplattformen und Effektoren eine besondere Bedeutung zu. Für Luftstreitkräfte
sind diese Fähigkeiten gerade zu Beginn eines bewaffneten Konflikts erforderlich, um
mit möglichst geringen eigenen Verlusten
eine günstige Luftlage zu erringen. Eine
Steigerung der Reichweite von Effektoren
ermöglicht eine Erhöhung der Abstandsfähigkeit der Trägerplattform, die im Wesentlichen dem Schutz der eigenen Kräfte
und Mittel vor der Bedrohung durch die
gegnerische Luftverteidigung dient.
Um eine derartige Bewaffnung flexibel und
präzise bei nahezu allen Wetterbedingungen und unabhängig von der Tageszeit
einsetzen zu können, werden u.a. auch besondere Anforderungen an die Sensorik, die
Flugsteuerung und -regelung der Effektoren
sowie an die Daten- und Kommunikationsverbindungen gestellt. Diese zunehmende
technische Komplexität moderner Bewaffnung schlägt sich auch in Form von aufwändigeren Integrationsmaßnahmen in die
Trägerplattform nieder, deren Kosten die reinen Beschaffungskosten des Effektors nicht
selten um ein Vielfaches überschreiten.
Darüber hinaus ist eine leistungsfähige Unterstützung durch Elemente der Nachrichtengewinnung und Aufklärung, deren aufbereitete Informationen über das Ziel und
die gegnerische Bedrohung wesentlich zur
Planung beitragen, ebenso wichtig wie ein
funktionierender Führungsverbund.
Um zukünftig den Zeit- und Kostenaufwand
eindämmen zu können, werden insbesondere multinationale Ansätze, aber auch
Kompromisslösungen verfolgt. Auch Bestrebungen, anstelle von spezialisierten Effektoren z.B. durch Modularität der Sensoren,
der Steuerung und der Wirkladung vielfältig
einsetzbare Bomben- oder Flugkörperfamilien zu erhalten, folgen diesem Ansatz.
Strategie & Technik · November 2011
37
(Foto:Björn Trotzki)
Luftwaffe
Eingeführte Effektoren
Mit dem spezialisierten Anti-Radar-Lenkflugkörper HARM (High-Speed Anti-Radiation Missile) verfügt die Luftwaffe gegenwärtig über eine wetterunabhängige
Abstandswaffe kurzer bis mittlerer Reichweite (mR) gegen radargeführte Flugabwehrsysteme. Er ist für den Einsatz durch
das Waffensystem Tornado ECR (Electronic
Combat Reconnaissance) in der Einsatzrolle „Supression of Enemy Air Defences“
(SEAD) vorgesehen.
Die Lenkflugkörper (LFK) HARM herkömmlicher Technologie, so auch der in
der Luftwaffe eingeführte LFK AGM-88B
Block III A, verfügen über einen passiven
Radar-Suchkopf, der die abgestrahlte elektromagnetische Energie eines Emitters auffassen, identifizieren und verfolgen kann.
Das Signal dient dem LFK als Leitstrahl zum
Ziel. Eine erfolgreiche Bekämpfung ist nur
möglich, wenn der Emitter quasi ununterbrochen bis zum Eintreffen des LFK ein
Signal sendet und der Suchkopf das Ziel
nicht verliert. Zu Zeiten des Kalten Krieges
war diese Konzeption sicherlich richtig, es
ist heute jedoch nicht immer davon auszugehen, dass derart „kooperierende“
Sender in den zu erwartenden Szenarien
anzutreffen sind.
Für den Einsatz der LFK HARM AGM-88B Block III A sind die ECR-Tornados des
JaboG 32 durch zusätzliche Subsysteme speziell ausgerüstet
Moderne Radargeräte mit komplexen Pulsfolgezügen erschweren eine eindeutige
Identifizierung und Zielverfolgung. Komplexe Signalstrukturen, parametrische Ähnlichkeiten in Frequenz, Pulsfolgeintervall und
der Wechsel derselben stellen wachsende
Probleme für eine erfolgreiche Bekämpfung
dar. Eine räumliche Nähe von eigenen oder
zivilen Radargeräten zu gegnerischen Systemen – insbesondere in Szenarien mit nicht
klarem Grenzverlauf – in Verbindung mit
ähnlichen Signalcharakteristiken erschweren die eindeutige Zielidentifizierung und
-verfolgung.
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Taktiken gegnerischer LV-Kräfte, wie „kurzes Aufschalten“, „reaktives Abschalten“
oder „Blinking“ (Wechselseitiges koordiniertes An- und Ausschalten integrierter
LV-Systeme) führen relativ leicht zu einem
Verlust der Zielverfolgung. Der LFK bleibt
bei dauerhaftem Verlust der Aufschaltung
zwar grob auf das ursprüngliche Zielgebiet fixiert, wird aber aufgrund fehlender
Fähigkeit zur präzisen Navigation das Ziel
verfehlen. Mögliche Falschzielbekämpfungen und das Verursachen unbeabsichtigter
Begleitschäden wären die nicht hinnehmbaren Folgen.
Der von der Luftwaffe eingeführte LFK
HARM kann gegen eine moderne, komplexe und integrierte LV nicht mehr ohne
Weiteres erfolgreich eingesetzt werden.
Eingeschränkte Fähigkeiten gegen qualitativ weniger fordernde Bedrohungen
können durch Anpassungen der Verfahren
zum Einsatz von HARM im Verbund Aufklärung-Führung-Wirkung (A-F-W) ausgeglichen werden.
Als Präzisions-Abstandslenkflugkörpersystem nutzt die Lw seit Ende 2005 den Taurus
KEPD 350 (Kinetic Energy Penetrator and
Destroyer 350). Bei dieser Abstandswaffe
handelt es sich um einen modernen Luft/
Boden-Marschflugkörper für große Reichweiten von mehr als 350 Kilometern, der
ÖSUNGEN
(Foto: Raytheon)
Xxxx
Die Miniature Air Launched Decoys von Raytheon besitzen eine Reichweite
von über 900 Kilometern und dienen der Saturierung feindlicher Raketenstellungen
bei der Luftwaffe am Tornado IDS (Interdiction and Strike) eingesetzt wird.
Das System Taurus ist als Penetrationswaffe
optimiert und wurde in erster Linie entwickelt, um stark gehärtete Hochwertziele
wie unterirdische Führungsgefechtsstände und Bunker (Hard and Deeply Buried
Targets), aber auch andere Zieltypen wie
Brücken, Flugzeugschutzbauten, Landebahnen, Waffenlager oder Schiffe in Häfen punktgenau zu bekämpfen. Bei dieser
Zielkategorie handelt es sich also um stationäre Ziele, deren Positions- und Umfelddaten genauestens bekannt sind und vor
dem Abflug des Trägerflugzeuges in die
Waffe programmiert werden. Bewegliche
Ziele, die ihre Position während des Anflugs
ändern, können mit diesem System nicht
bekämpft werden.
Während moderne Präzisionsabwurfmunition und -lenkflugkörper kurzer und mittlerer Reichweite weitestgehend flexibel und
auch kurzfristig einsetzbar sind, erfordern
Flugkörper großer Reichweite wie Taurus
einen größeren Planungsvorlauf, um entsprechend zuverlässig und präzise wirken
zu können. Dieser ist erforderlich, um die
Waffe nach einer eingehenden Analyse
des Ziels und unter Berücksichtigung der
aktuellen Bedrohungslage im Rahmen der
(Foto: PIZLw)
Luftwaffe
Missionsplanung hinsichtlich der Streckenführung, der Navigationspunkte, Zieldaten
und Angriffsparameter zu programmieren.
Die Fähigkeitslücke
Mit der Abstandswaffe Taurus KEPD 350 können aus Entfernungen von über
350 Kilometer u.a. gehärtete Ziele zerstört werden
kämpfung des Ziels eine herausragende
Rolle spielt. Dies ist z.B. der Fall, wenn die
Bekämpfung des Ziels zeitkritisch ist oder
wenn leistungsfähige Luftverteidigungssysteme, die auch kleinere Luftziele wie
anfliegende Effektoren auffassen und bekämpfen können, überwunden oder ausgeschaltet werden müssen.
Ein weiterer Vorteil von angetriebenen Effektoren ist, dass sie auch in niedrigeren
Höhenbändern gestartet werden können,
(Foto: U.S. Air Force)
Bei der bestehenden Fähigkeitslücke geht
es also in erster Linie um die Fähigkeit zur
Bekämpfung stationärer und beweglicher
Hochwertziele, deren exakte geographische Position nicht ermittelt oder vorausbestimmt werden kann, die möglichst
ohne großen Zeitverzug bekämpft werden
müssen und die durch eine leistungsfähige
Luftverteidigung geschützt werden.
Diese Zielgruppe enthält beispielsweise
mobile Raketen-Startgeräte im Hinterland
des Gegners, aber auch hochmobile LVSysteme und Überwasserziele, die ohne
entsprechende Unterstützungsmaßnahmen, wie z. B. einer Unterdrückung der
gegnerischen Luftverteidigungssysteme,
Bereits 2007 wurde die Ausbildung zur Beladung der GBU-39B Small Diameter Bomb (250 Pfund) an die F-15E Strike Eagle der 494th Fighter Wing (U.S.
Air Force) in Lakenheath/UK aufgenommen
nur mit hohem Risiko erfolgreich bekämpft
werden können. Dazu zählen auch Ziele
die möglichst verdeckt angegriffen werden
sollen und bei denen ein direkter Anflug
der verbringenden Plattform nicht möglich
ist.
Zum Schließen dieser Fähigkeitslücke ist
eine „allwetterfähige Bewaffnung fliegender Plattformen auf mittlere Reichweite“
erforderlich. Hierfür sind mehrere Bewaffnungsoptionen denkbar, die sich grundsätzlich in die Kategorien „angetriebene“
und „nicht-angetriebene“ Effektoren aufteilen lassen.
Angetriebene Effektoren haben entscheidende Vorteile, wenn die Forderung nach
einer hohen Durchsetzungsfähigkeit,
mittels Faktoren wie Geschwindigkeit,
Signaturreduzierung und Agilität zur Be40
November 2011 · Strategie & Technik
ohne ihre Reichweite drastisch zu verkürzen.
Nachteil solcher Effektoren ist jedoch, dass
zu den ohnehin schon technisch anspruchsvollen Komponenten wie multispektrale
Sensoren, Zünder oder skalierbare Wirkladung noch ein Antrieb (meist ein Raketenmotor) als weiterer komplexer Faktor hinzu
kommt, welcher zusätzlich höhere Kosten
für den gesamten Lebenszyklus verursacht.
Nicht-angetriebene Effektoren können
eine mittlere Reichweite durch aerodynamische Auftriebshilfen, z.B. in Form von
Flügelanbausätzen, in Verbindung mit einer entsprechenden Abwurfhöhe und -geschwindigkeit erzielen.
Dies ist jedoch auch ihr Nachteil gegenüber angetriebenen Effektoren. Reichweite
steht hier in direktem Zusammenhang mit
der Abwurfhöhe und -geschwindigkeit,
zweier Faktoren, die einer Vielzahl äußerer
Zwänge unterliegen und sich nicht beliebig
verändern lassen.
Außerdem lässt sich die maximal erreichbare Geschwindigkeit solcher Gleitflugkörper,
auch aus wirtschaftlichen Erwägungen,
nicht beliebig erhöhen und bewegt sich
in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit
zum Auslösezeitpunkt in der Regel im hohen Unterschallbereich. Aufgrund der im
Vergleich mit angetriebenen Effektoren
geringeren Geschwindigkeit sind nichtangetriebene Effektoren zur zeitkritischen
Bekämpfung von Zielen also nur bedingt
geeignet.
Moderne, leistungsfähige Luftverteidigungssysteme sind heute in der Lage, relativ langsam fliegende Flugkörper auch
mit geringer Radarrückstrahlfläche aufzufassen und zu bekämpfen. Dieser Nachteil
könnte jedoch teilweise damit ausgeglichen werden, indem solche LV-Systeme
mit mehreren gleichzeitig abgeworfenen
Gleitflugkörpern und/oder angetriebenen
Scheinzielen (Miniaturized Air Launched
Decoy, MALD) saturiert werden. D.h. man
nimmt die erfolgreiche Bekämpfung einer
größeren Anzahl „nicht-angetriebener“ –
und damit kostengünstiger – Effektoren
bewusst in Kauf, um den Verschuss der
(teuren) gegnerischen LV-Waffen zu provozieren und das LV-System auf Grund der
hohen Anzahl an gleichzeitig anfliegenden
Zielen schließlich zu saturieren.
Ein bereits auf dem Markt verfügbarer
Gleitflugkörper ist die US-amerikanische
„Small Diameter Bomb (SDB)“ der 125-kgKlasse. In einer ersten Ausbaustufe (Increment I) wurde eine Grundbefähigung mit
einem kombinierten Inertial Navigation
System (INS)/Anti-Jam Global Positioning
System (GPS)-Suchkopf für die Mid-course
Führung und den Endanflug zur Bekämpfung von stationären Zielen realisiert. Diese
erste Ausbaustufe hat jedoch den Nachteil,
dass auf Grund der verwendeten Sensoren
ausschließlich ortsfeste Ziele, deren Position exakt bekannt ist, bekämpft werden
können. Die SDB ist mit einem ausklappbaren Flügelkit ausgestattet, welches fest mit
dem Effektor verbunden ist und erst nach
dem Abwurf ausgeklappt wird. Je nach
Abwurfhöhe hat die SDB bei einer Flugzeit
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(Grafik: Diehl)
(Foto: Eurofighter)
Luftwaffe
Eine Kombination des Staustrahlantriebs des LFK Meteor mit einem Dual-/ Unter der Bezeichnung PILUM wird die von Diehl
Tri-Mode-Suchkopf und einem entsprechenden Lenksystem für den Luft/ BGT Defence entwickelte Gleitbombe HOSBO mit
Boden-Einsatz könnte zu einem zukunftsfähigen Konzept zur zeitkritischen IR- und EO-Sensoren von Rafael ergänzt
Bekämpfung von Zielen entwickelt werden
kämpft werden können. Belastbare Daten
über Aufwand und Kosten einer Integration in die Trägerplattform liegen derzeit
noch nicht vor. Einige Partnernationen – allen voran die USA – planen die Einführung
dieser SDB II.
Diehl BGT Defence verfolgt derzeit ein Familienkonzept einer Gleitflugkörperfamilie
„HOPE/HOSBO“ (Hochleistungs Penetrator/Hochleistungs Spreng Bombe) mit
einem modularen Aufbau. Durch diesen
können gleich bleibende Hauptkomponenten wie ein INS/GPS-gestütztes Lenkund Steuerteil, eine Adapter-Sektion mit
drehbarem Scherenflügel und die Front
Section für einen variablen Suchkopf in
Verbindung mit verschiedenen Wirkkörpern genutzt werden. Bei relativ geringer
Radarsignatur ermöglicht das Lenk- und
(Foto: MBDA)
von knapp zehn Minuten eine Reichweite
von bis zu 110 km. Auf Grund ihrer geringen Baugröße kann die SDB mittels eines Vierfach-Lastenträgers (BRU-61/A) an
den jeweiligen Pylonen am Luftfahrzeug
angebracht werden. Da eine präzise Geolokalisierung – besonders bei beweglichen
Zielen wie z.B. Raketen-Startgeräten etc.
– jedoch häufig nicht gewährleistet werden kann, ist diese Auslegung der SDB zur
Schließung der aufgeführten Fähigkeitslücke nicht geeignet.
Für eine zweite Ausbaustufe der SDB
(Increment II) ist ein Tri-Mode-Suchkopf
(Semi-active laser, Millimeter-Wellen Radar
und Infrarot) für die Endphasenlenkung
implementiert. Dieser Suchkopf soll gewährleisten, dass auch Ziele in Bewegung
bei nahezu allen Wetterbedingungen be-
Mit Tornados GR4/4A der RAF wurden bereits im Irak-Krieg (2008) die ersten
Dual Mode Brimstones gegen Bodenziele erfolgreich eingesetzt. Auch bei der
Bekämpfung libyscher Regierungstruppen bewährte sich diese Waffe durch
Zuverlässigkeit und Präzision
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November 2011 · Strategie & Technik
Steuerteil in Verbindung mit einem Scherenflügel eine hohe Agilität des Flugkörpers
sowie eine bedrohungsorientierte Planung
und Programmierung des Anflugwegs, der
Anflugrichtung und -höhe sowie des Auftreffwinkels im Ziel.
Die GPS/INS-gelenkte Version des Gleitflugkörpers HOPE hat am 22. September
2008 in einer Testkampagne des Bundesamtes für Wehrtechnik und Beschaffung
(BWB) erstmals die volle Leistungsfähigkeit
demonstriert. Nach einem erfolgreichen
Gleitflug bewies der Flugkörper mit einem
Direkttreffer gegen ein stationäres Bodenziel seine Präzision gegen diese Zielkategorie. Abgeworfen wurde der Gleitflugkörper
von einem Tornado der Wehrtechnischen
Dienststelle 61.
Für die weitere Analyse zur Schließung
der oben beschriebenen Fähigkeitslücke
lohnt es insbesondere, die Version HOSBO
näher zu betrachten. Um diese Version jedoch auch gegen Ziele in Bewegung bzw.
gegen Ziele, deren Position für einen INS/
GPS-Sensor nicht präzise genug ermittelt
werden kann, einsetzen zu können, muss
dieser Effektor mit einer entsprechenden
zusätzlichen Sensorik zur Endphasenlenkung ausgestattet werden. Hierzu ist seitens
Diehl BGT Defence eine Zusammenarbeit
mit dem israelischen Unternehmen Rafael
angedacht, welche einen bereits im Einsatz
erprobten Dual-Mode-Suchkopf mit einem
abbildenden Infrarot- und einem abbildenden elektrooptischen Sensor (Imaging Infrared Radiometer, IIR/Charge Coupled Device,
CCD) zur Verfügung stellen könnte, der ggf.
mit einem Semi-active Laser (SAL) zu einem
Tri-Mode-Suchkopf erweitert werden kann.
In dieser Kombination könnte dieser agile Gleitflugkörper mit der Bezeichnung
PILUM (Precision Impact Low signature
Unpropelled Medium range), als flexibler
Mehrzweck-Effektor für mehrere Zielkate-
Aus der Luftwaffe
Nachteile eines solchen Konzepts sind
jedoch seine Gesamtkomplexität sowie
die damit verbundenen Entwicklungsrisiken und Kosten. Darüber hinaus hat die
Größe der Wirkmasse erheblichen Einfluss
auf die Baugröße des Antriebs bzw. die
Geschwindigkeit und die Reichweite und
wird daher sowohl aus operationeller wie
auch aus wirtschaftlicher Sicht an Grenzen stoßen, welche die Eignung für ein
möglichst breites Zielspektrum wiederum
einschränken dürfte.
Arbeitspferd Transall
Der ersten an die Luftwaffe am 30. April
1968 ausgelieferten Transall C-160D mit
der heutigen Kennung 50+06 fiel mehr
als 43 Jahre später die Ehre zu, mit der
Landung auf dem Fliegerhorst des Lufttransportgeschwaders 63 in Hohn am 4.
Oktober 2011 die millionste Flugstunde
zu absolvieren. Für die Luftwaffe Anlass
(Foto: PIZLw)
gorien bis zu mittleren Reichweiten eingesetzt werden.
Wenn entsprechende Informationen zu
den tatsächlichen Fähigkeiten der SDB II
als möglicher Effektor vorliegen, müssen
diese zunächst bewertet werden. Möglicherweise ergeben sich Synergieeffekte
mit Partnernationen – wie gemeinsame
Integration an Trägerplattformen – die in
eine Bewertung einfließen könnten.
Die Vorteile beider Konzepte PILUM und
SDB II sind das überschaubare Entwicklungsrisiko durch die Verwendung von bereits erprobten Komponenten, sowie der
Verzicht auf einen Antrieb und die damit
einhergehende geringere Komplexität des
Gesamtsystems. Des Weiteren ändert sich
das Gesamtdesign eines Gleitflugkörpers
bei unterschiedlich großen Wirkmassen (in
bestimmten Grenzen) weniger, als bei einem angetriebenen Effektor.
Nachteil ist jedoch die verhältnismäßig geringe Geschwindigkeit, die u. a. Einfluss auf
die Überlebens- und Durchsetzungsfähigkeit hat und durch taktische Anflugmanöver des Effektors nur zum Teil kompensiert
werden kann.
Dem gegenüber steht die Möglichkeit
der Beschaffung eines marktverfügbaren
Systems wie z.B. des Systems Brimstone
oder der Entwicklung eines angetriebenen
Mehrzweck-Effektors für mittlere Reichweiten, der auf Grund seiner Geschwindigkeit, kombiniert mit einer geringen Radarsignatur, eine hoch durchsetzungsfähige Option darstellen könnte. Erste Überlegungen
hierfür wurden von MBDA vorgestellt. Bei
einem solchen Konzept könnten beispielsweise Komponenten aus der Entwicklung
des Luft/Luft-Lenkflugkörpers mR „Meteor“ Verwendung finden. Eine Kombination
des Staustrahlantriebs des LFK Meteor mit
einem Dual- oder Tri-Mode-Suchkopf und
einem entsprechenden Lenksystem für den
Luft/Boden-Einsatz könnte ein zukunftsfähiges Konzept vor allem zur zeitkritischen
Bekämpfung von Zielen auch unter hoher
Bedrohung darstellen, wie z.B. mobile oder
nicht permanent strahlende LV-Stellungen.
Hervorzuhebende Vorteile eines solchen
Konzeptes sind zum einen die hohe Geschwindigkeit (Mach 3+), die sich mit einem Staustrahltriebwerk erreichen lässt
und zum anderen die vergleichsweise
geringen Auswirkungen unterschiedlicher Verschusshöhen auf die Reichweite
des Effektors. Beide Kriterien wirken sich
positiv auf die Überlebens- und Durchsetzungsfähigkeit sowohl des Effektors selbst
als auch auf die der Trägerplattform aus.
Auch dieses Konzept würde zum Teil auf
Komponenten zurückgreifen, die bereits
erprobt sind oder sich in der Entwicklung
befinden.
Zusammenfassung
und Ausblick
Derzeit gibt es keinen marktverfügbaren
Effektor, der das gesamte geforderte Zielspektrum auf mittlere Reichweite vollständig abdeckt. Ob es solch einen Effektor,
der auch noch bezahlbar sein soll, in absehbarer Zukunft geben wird, ist h.E. mehr
als fraglich. Hier wird nun das Dilemma
sichtbar: Ein einzelner Effektor kann nicht
alle Forderungen abdecken. Bei mehreren
verschiedene Effektoren stellt sich die Frage
der Gesamtkosten.
Erschwerend zu den Beschaffungskosten
kommen die explodierenden Integrationskosten hinzu, verursacht durch die steigende Komplexität sowohl der Plattformen als
auch der Effektoren selbst. Diese Integrationskosten erhöhen den Druck, für Trägerplattformen, wie z.B. Eurofighter, gemeinsame Lösungen für die Integration neuer
Effektoren zu finden.
Die Zeichen der Zeit sind also darauf
gerichtet, mit möglichst wenigen unterschiedlichen Effektoren ein möglichst breites Zielspektrum abzudecken. Das heißt
Verzicht auf spezialisierte Effektoren und
Entwicklung hin zu einem MehrzweckEffektor. Das heißt aber auch Verzicht auf
eine „Goldrandlösung“ und möglicherweise Bestrebung hin zu einer Kompromisslösung.
Da es verschiedene Lösungsansätze in Abhängigkeit der Priorisierung der zukünftig
angestrebten Fähigkeiten der Bw und der
zukünftig zur Verfügung stehenden Plattformen zur Schließung der aufgezeigten
Fähigkeitslücke gibt, ist weitere intensive
Analysearbeit erforderlich, um die für die
Luftwaffe optimale Lösung zu finden. Diese Analysearbeit kann nur im Rahmen einer
Gesamtbetrachtung Plattform – Effektor
unter Einbeziehung von Einsatzgrundsätzen im Verbund „Aufklärung – Führung –
Wirkung und Unterstützung“ zielführend
fortgesetzt werden.
Alle Überlegungen müssen jedoch einem
gemeinsamen Grundsatz folgen: Sie müssen bezahlbar bleiben. Denn nur was bezahlbar ist, hat Aussicht auf Realisierung.L
genug, um die Leistungen dieses Transportflugzeugs, das sich über Jahrzehnte
bei unterschiedlichsten Aufträgen als Arbeitspferd der Bundeswehr bewährt hat,
im Rahmen eines Appells entsprechend
zu würdigen. In entsprechenden Reden
u.a. durch den Inspekteur der Luftwaffe,
Generalleutnant Aarne Kreuzinger-Janik,
wurde an einige besondere Herausforderungen an Besatzungen und Transall
erinnert. Dazu gehören die Erdbebenhilfe in Italien oder der Türkei, die Hungerkatastrophen in Äthiopien, Sudan oder
Somalia, die Luftbrücke von Sarajevo,
Evakuierungsoperationen von deutschen Staatsbürgern aus Liberia oder
zuletzt aus Libyen. Im laufenden Einsatz
in Afghanistan deckt dieses Muster 50
Prozent des von ISAF beauftragten innerafghanischen Transportbedarfs ab. Zusätzlich werden alle deutschen Soldaten
von der Drehscheibe Termez, Usbekistan, über den Hindukusch zu ihren Bestimmungsflugplätzen in Mazar-e Sharif
oder Kabul transportiert. Seit nunmehr
zehn Jahren finden diese Flüge in einer
fliegerisch nicht unproblematischen Region ohne Verlust an Personal oder Material statt. Die mit der Transall erbrachten Leistungen lassen sich auch in Zahlen
darstellen. Bis heute wurden 700.000
Tonnen Ladung und etwa fünf Millionen
Passagiere sicher an ihre Bestimmungsorte gebracht. Dahinter stehen Besatzungsangehörige im Cockpit, aber auch
Ladungsmeister und Techniker, die oft
bei humanitären Einsätzen jenseits der
Zivilisation mangels Kommunikation an
die Grenzen ihrer Kompetenzen gehen
mussten. Diesen Soldaten, aber auch
den zivilen Mitarbeitern und der Betreuungsindustrie sprach der Inspekteur seinen besonderen Dank aus. (ur)
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