Detlef Altenburg, Jörg Jarnut und Hans

Transcription

Detlef Altenburg, Jörg Jarnut und Hans
Feste und Feiern
im Mittelalter
Paderborner Symposion des Mediävistenverbandes
Herausgegebenvon
Detlef Altenburg, Jörg Jarnut und
Hans-Hugo Steinhoff
a
T)b
Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen
1991
36$
Fest und Integration
VON
I
PETER
JOHANEK
Das Fest ist zu Ende; nun fehlt noch der Kehraus'. Ihn zu bewerkstelligen, ist dem
Schlußvortrag zugedacht,in dem dieser Fest-Kongreß sich gleichsamselbst bespiegelnsoll.
Das ist schwierig, denn was bliebe zu sagenübrig, wenn mehrereTage über dasmittelalterlidiskutiert
Fest
Feiern
che
worden ist, auch über das Thema,
und seine
geredet,referiert und
das hier zur Debatte steht: Fest und Integration, über die integrierendeKraft, die vom Fest
Funkund seinemfeierndenVollzug auszugehenscheint,von seinergemeinschaftsstiftenden
die
Zusammenfassung
Eine
tion.
zu versuchen, auch einer systematischenIntegration aller auf
dem Kongreß vorgetragenenGedankenin ein Abschlußstatementgleichkäme,scheintunmöglich. Daher soll esbei Reminiszenzenbleibenan manches,was in den verzweigtenDiskussionen der PaderbornerKongreßtagevielfach angeklungensein mag.
Es scheint außer Frage zu stehen, daß das Fest als fundamentalesElement sozialer
Kohäsion zu geltenhat, alsbewußt eingesetztesInstrument oder unbewußt gesuchtesMedium
der Gemeinschaftsstiftungsozialer Gruppen2.Dabei ist es ganz gleichgültig, ob es um kleine
Gruppen geht, die nach innerem Zusammenhaltsuchen- Familien, Vereine, Gefolgschaften,
Gewerbe oder dergleichen-, oder ob es sich um den Zusammenschlußeiner Vielzahl von
Gruppen handelt, deren Interessendurchauswidersprüchlich sein können oder doch zumindest nicht in allen Punkten parallel laufen. Sie suchenaber doch nach einem gemeinsamen
Nenner, um bestimmte,ihnen allen gemeinsameInteressendurchsetzenoder verwirklichen zu
können. In solchen Zusammenhängenmag es nicht ausbleiben,daß gelegentlich,ja häufig,
vielleicht in der Regel, die Interesseneiner oder verschiedenerGruppen und Individuen
zugunsten andererüberspielt werden. Das Fest in seinemVollzug vermag Spannungenund
Gegensätzezwar nicht grundsätzlichzu beseitigenund auszuräumen,esüberdecktsie jedoch
oder gestattetihre Austragungin ritualisierter Form und bewirkt dadurch ihre Zähmung.Das
1 Mein Paderborner Vortrag gelangt hier leicht gekürzt zum Abdruck, die Vortragsform wurde
beibehalten. Der Vortrag war von den Veranstaltern als )Öffentlicher Festvortrag( angekündigt. Er
beabsichtigt daher keine systematische Analyse des Themas, sondern sucht es durch ausgewählte Beispiele
zu illustrieren und möchte eher zu der Textsorte entertainments gerechnet werden. In den Anmerkungen
werden in der Regel nur direkte Zitate oder Anspielungen belegt; Literaturüberblicke sind nicht
beabsichtigt und angesichts der in diesem Bande versammelten Beiträge nicht notwendig. Hingewiesen sei
lediglich auf einen der jüngsten Sammelbände, auf den im folgenden gelegentlich zurückgegriffen wird:
UWE SCHULTZ(Hg. ), Das Fest. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart (München 1988).
2 Vgl. dazu JAcQuEs HEERS,Fetes,jeux et joutes Jans les socidtdsd'occident ä la fin du moyen age (Paris
1971), S. 79.
526
PETER
JOHANEK
Fest- so vielleicht eine Kurzformel, mit der sich beginnenläßt - ist vor allem, besondersin
älterer Zeit, ein Medium der rituellen Integration3.
Das alles weiß man nicht erst seit,heute, ist nicht erst durch die in den letzten Jahren
die
ins
Gedächtnis
diesem
in
Festforschung
Paderborner
gerufen
worden,
aufblühende
Kongreß einenneuenHöhepunkt erlebt hat. Friedrich Schilleretwa hat den Vorgang,um den
beschrieben
der
Jahrhundert
in jener Szeneder Maria
Wende
19.
es geht, an
zum
präzise
Stuart, in der Mortimer seineBekehrungzum Katholizismus schildert4.Mortimer beschreibt
der Puritaner dumpfe Predigtstuben,in denen er in ftnsterm Haß desPapsttumsaufgesäugt
der
die
den
Begierde,
ihn
Kontinent trieb, über Frankreich
worden war, und spricht von
auf
nach Italien, nach Rom. Dort geschahes:
Es war die Zeit des großen Kirchenfests,
Von Pilgerscharen wimmelten die Wege,
Bekränzt war jedes Gottesbild, es war,
Als ob die Menschheitauf der Wandrungwäre,
Wallfahrendnach dem Himmelreich Mich selbst
Ergriff der Strom der glaubenvollenMenge,
Und riß mich in dasWeichbildRoms
Wie ward mir, Königin!
Als mir der SäulenPracht und Siegesbogen
desKolosseums
Entgegenstieg,
Herrlichkeit
Den Staunendenumfing, ein hoher Bildnergeist
In seineheitre Wunderweltmich schloß!
Ich hatte nie der KünsteMacht gefühlt,
Es haßt die Kirche, die mich auferzog,
Der SinneReiz, kein Abbild duldet sie,
Allein daskörperloseWort verehrend.
Wie wurde mir, als ich ins Innre nun
Der Kirchen trat, und die Musik der Himmel
Herunterstieg, und der Gestalten Fülle
Verschwenderisch aus Wand und Decke
quoll,
Das Herrlichste und Höchste,
gegenwärtig,
Vor den entzückten Sinnen sich bewegte,
...
Als ich den Papst drauf sah in
,
seiner Pracht
Das Hochamt halten und die Völker
segnen.
0 was ist Goldes, was Juwelen Schein,
Womit der Erde Königesichschmücken!
Nur Er ist mit dem Göttlichenumgeben.
Ein wahrhaft Reichder Himmel ist seinHaus,
Denn nicht von dieserWelt sind dieseFormen. (418-450)
Mortimer ist überwältigt, er fühlt sich befreit, und:
Haß schwurich nun dem engendumpfenBuch,
Mit frischemKranz die Schläfemir zu schmücken,
Mich fröhlich an die Fröhlichenzu schließen. (457-459)
3 Ich folge hier Gedankengängenvon ACHATz VONMÜLLER, »Die Festa S. Giovanni in Florenz. Zwischen
Volkskultur und Herrschaftsinszenierung«, in: SCHULTZ,Fest (wie Anm. 1), S. 153-163, hier S. 154.
FRIEDRICH
SCHILLER,
4 Maria Stuart, 1/6;
G. GÖPFERT
(München21960),S.564f.
SämtlicheWerke, hg.
v.
GERHARD
FRICKE
und
HERBERT
FEST UND
527
INTEGRATION
Er sucht die Gemeinschaftund findet sie in einer Scharkatholischer Schottenund Franzosen.
Der Kardinal von Guisebelehrt ihn über den Glauben,und in seineHände schwört Mortimer
seinem Irrtum ab, unter der nachdrücklichenVersicherung,daß nicht die grübelnde Vernunft
ihn zu seinemEntschluß geleitethabe,sondern die sinnliche Erfahrung.
Bei dieserWiedergabeder Worte Schillersbelasseich es für den Augenblick und wende
mich kurz einem anderen Zeugnis des 19.Jahrhunderts über die integrierende Kraft des
demonstrieren
Festgeschehens
Es
ähnlich
wie SchillersVerse.
eindringlich zu
zu.
vermagsie
Es geht um die Worte, die der junge Karl Hediger, der Anführer des Fähnleins der Sieben
Aufrechten, in Gottfried Kellers Novelle an den Empfangsrednerdes großen eidgenössischen
Schützenfestesvon 1849richtet, das die wehrfähigen Männer der Schweizin Aarau vereint.
Keller hat dieser Rede in der Komposition seiner Novelle einen herausragendenPlatz
für Karl Hediger, und das
angewiesen.In ihr schürzt sich der Knoten desNovellengeschehens
gibt auch dem Inhalt der Rede besonderesGewicht. Keller setzt in ihr den Sinn der
Feiern auseinander.Darauf kommt esihm an dieserStellean, und er läßt den
eidgenössischen
jungen Hediger sagen':
Diese Alten hier haben ihre Jahre in Arbeit und Mühe hingebracht; sie fangen an, die
Hinfälligkeit desFleischeszu empfinden,den einen zwickt eshier, den andern dort. Aber
sie reisen, wenn der Sommer gekommen ist, nicht ins Bad, sie reisen zum Feste. Der
Festweinist der Gesundbrunnen,der ihr Herz erfrischt; das sommerliche
eidgenössische
Bundeslebenist die Luft, die ihre alten Nerven stärkt, der Wellenschlageinesfrohen Volkes
ist dasSeebad,welchesihre steifenGlieder wieder lebendig macht. Ihr werdet ihre weißen
Köpfe alsobalduntertauchensehenin diesesBad! So gebt uns nun, liebe Eidgenossen,den
Ehrentrunk! Es lebe die Freundschaftim Vaterlande! Es lebe die Freundschaft in der
Freiheit!
Schon die Bilder, die der junge Hediger hier gebraucht, machen die Funktion des Festes
deutlich, und die Antwort des Festredners verstärkt das noch. Mögen unsere Feste
- so
entgegnet er - nie etwas schlechtereswerden als eine Sittenschule für die Jungen, der Lohn eines
reinen öffentlichen Gewissensund erfüllter Bürgertreue und ein Verjüngungsbad für die Alten!
Mögen sie eine Feier bleiben unverbrüchlicher und lebendiger Freundschaft im Lande von Gau
zu Gau und von Mann zu Mann! Auch er kennzeichnet das Fest als ein Ereignis, bei dem die
bloße ungegliederte Masse seiner Besucher zur Gemeinschaft verschmilzt, ja durch das
Festgeschehen zur Gemeinschaft gestaltet wird, zu einer Gemeinschaft, die zum Träger der
Ideen werden soll, die das Fest vermittelt. Neben dem Vergnügen und der Festesfreude, die
die allen sichtbare Oberfläche des Festes darstellen, hebt diese Antwort auf Hediger die innere
formende Kraft hervor, die im Fest vermutet wird und die hier
bedingt
durch
vielleicht
didaktischen
Zug erhält.
Nüchternheit
therapeutischen
und
eidgenössische
geradezu
einen
-
Beide- Schillerwie Keller - hatten bei ihren FestschilderungendasMittelalter vor Augen.
Das ist um so bemerkenswerter,als sie nicht zu den Romantikern gehören, denen wir
gemeinhin die Wiederentdeckungdes Mittelalters und seine Instrumentalisierung für die
Bedürfnissedes 19.Jahrhundertszuschreiben.Es ist die Tradition der mittelalterlichen Kirche
5
GOTTFRIED
KELLER,
SämtlidheWerke und ausgewählte Briefe,
(München 1958),5.857.
hg.
von
CLEMENS
HEBELHAUS,
Bd.2
528
PETER
JOHANEK
Schilderung
Bekehrung
das
in
Schiller
Mortimers
liturgisches
Zeremoniell,
ihr
seiner
auf
und
der
ist.
in
Renaissance
das
Es
ist
Geschehen
angesiedelt
ausgehenden
zurückgreift, selbst wenn
ja eben dieses Zeremoniell gewesen, von dem auch die Romantiker überwältigt wurden. Man
denke nur an Heinrich Wackenroders Bericht über seine Reise nach Bamberg und das Erlebnis
des Hochamts im dortigen Dom vom Sommer 1793, das fast Zug um Zug dem MortimerMonolog entspricht6. Bei Keller sind die mittelalterlichen Bezüge verdeckt, aber doch
beschreibt
das
das
Bundesfest
Das
Fest,
eidgenössische
er
unbestreitbar vorhanden.
die
des
Zeitgenossen
Volk
NationalfeIdee
ihm
vom
selbstgestalteten
seinen
und
verkörpert
fürstlichen
den
Kirche
Höfen
Arndt
Gegengewicht
Ernst-Moritz
zu
von
und
als
stes, wie es
des Ancien Regime veranstalteten Festaufzügen und Prozessionen gefordert hatte'. Hinter
dieser Idee des Festes als Medium bürgerlicher Selbstfindung und Identitätsstiftung standen
für Arndt ebenso wie etwa für Jacob Grimm und Joseph Görres als Folie die Feste des
Mittelalters, die Feiern der städtischen Genossenschaften und Korporationen. Ihre suggestivhat
diese
des
Vorstellung
bürgerlichen Festes des Mittelalbis
Gestaltung
heute
wirksame
ste,
ters sicherlich in der Festwiese des dritten Aktes von Richard Wagners Meistersingern
gefunden.
Es ist gleichgültig, ob die Vorstellungen, die Arndt und Keller oder der sicherlich besser
des
Grimm
Fest
Jacob
Mittelalters hatten, dessen einstige Realität zu
vom
unterrichtete
daß
Zweifel
Außer
sie
vermochten
oder
eher
mehr
erfassen
oder weniger verzeichneten.
steht,
bereits Dichter und Gelehrte des 19.Jahrhunderts im Fest und seiner integrativen Kraft ein
wesentliches Element des Funktionierens mittelalterlicher Gesellschaften sahen. Das gilt für
das Fest der Kirche wie für das Fest des Volkes, ohne bei letzterem danach
zu fragen, von wem
es inszeniert wird. Es ist keineswegs so, daß nur die Dichter dieses Faktum intuitiv erfaßten
formulierten;
und
auch die Gelehrten - Literaturwissenschaftler wie Historiker - sind solchen
Zusammenhängen nachgegangen, für das Mittelalter wie für die Geschichte der frühen
für
Neuzeit. Es genügt, an wenige Namen zu erinnern, um wenigstens
Kontinuitätslinie
eine
unser 20. Jahrhundert zu ziehen: Otto Cartellieri, Johan Huizinga, Norbert Elias und Richard
Alewyns. Festforschung ist also nicht etwas wirklich Neues in der Mediävistik. Wenn wir uns
heute mit der Erforschung von mittelalterlichen Festen befassen,
langen
in
einer
stehen wir
Traditionslinie, auch wenn diese Forschung
vielleicht noch nie so intensiv betrieben und selten
methodisch so reflektiert nach der Funktion des Festes in der Gesellschaft des Mittelalters
gefragt wurde wie in unseren Tagen.
In dieser zeitgenössischen Forschung kommen nun auch andere Aspekte des Festes zur
Sprache, jene etwa, die beispielsweise Jacques Heers schon vor über einem Jahrzehnt den
integrierenden Kräften des Festes gegenübergestellt hat: la caricature, l'agression, le defouleWerkeund Briefe (Heidelberg 1967),S.533-537.
6 WILHELMHEINRICHWACKENRODER,
7 Vgl. dazu zusammenfassend BERNWARDDENEKE,»Zur Rezeption historisierender Elemente in volkstümlichen Festlichkeiten der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts«, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg 1973, S. 111-114; dort Nachweis der einzelnen Zitate.
8 OTTO CARTELLIERI,Am Hofe der Herzöge von Burgund (Basel 1926); JOHAN HUIZINGA, Herfstij der
ALEWYN/KARL
(Leiden
RICHARD
1919);
SÄLZLE,Das große Welttheater. Die Epoche der
middeleeuwen
höfischen Feste in Dokument und Deutung (= rowohlts deutsche enzyklopädie 92, Hamburg 1959);
NORBERT ELIAS, Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der
höfischen Aristokratie (Darmstadt u. Neuwied 1969; hier benützt in der Ausgabe Frankfurt/M. 1983
[= suhrkamp taschenbuch wissenschaft 423]).
FEST UND
INTEGRATION
529
die
das
integriert,
im
das
Gegenteil
KohäsionsDabei
Fest,
sondern
nicht
ment9.
geht es um
kraft bestehender Ordnungen zu sprengen oder gar zu zerstören sucht und dabei nicht selten
zum Ziel gelangt. Es mag fast scheinen, als gelte diesen Sprengkräften des Festgeschehens das
besondere Interesse der jüngeren und jüngsten Forschung; zu nennen wäre die deutsche
Fastnachtsforschung oder Charivari-Arbeiten im Umkreis der »Annales«, auch Le Roy
Laduries Buch über den Karneval von Romans 1° gehört hierher. Dabei wird auch nicht außer
durch
im
das
doch
daß
der
Fest
Festgeschehen
Aggression
Vollzug
und
solcher
acht gelassen,
der
die
Kohäsionskräfte
attackierenden Gruppen selbst stärkt und unter
gleichzeitig wieder
Umständen neue Traditionen zu setzen vermag. Doch nicht davon soll die Rede sein, sondern
des
den
kohäsionsstärkenden
Wirkungen
Festes,
Fest
und Integraeben
von
von
affirmativen,
tion.
Die Texte Friedrich Schillers und Gottfried Kellers, mit denen ich hier begann, demonstrieren Integration dieser Art. Sie tun es von verschiedenen Blickpunkten aus. Mortimers
Monolog zeigt die Integration eines einzelnen in eine Großgruppe, er zeigt zudem den
initialen Akt der Integration, die Auslösung der conversio des zu Integrierenden. Kellers
Schilderung der Wirkung des eidgenössischen Festes stellt den Zusammenhalt von Gruppen
innerhalb einer Großgruppe, der Schweizer Eidgenossenschaft, dar. Das Fest bewirkt nicht
deren Entstehung, sondern demonstriert ihre immer wieder sich vollziehende Erneuerung.
Eben dies hebt Keller hervor. Was er zu verdeutlichen sucht, ist gerade das iterative Moment,
das für ihn und für die Beteiligten die Integrationskraft des Festes ausmacht. Die Integration
die
durch
Appell
Emotionen. Mortimer spricht es aus,
beiden
in
Fällen
an
erreicht
wird finden.
des
fond
Die
ist
Geschichte
Festes
bei
ist
Vergleichbares
Keller
zu
also au
und auch
Bestandteil einer Geschichte der Emotionen, die wir in der Mediävistik ebenso nötig haben
der
Mentalitäten.
Geschichte
wie eine
Der Appell an die Emotionen wird getragen durch Liturgie, Ritus und Zeremoniell. Nicht
die Verkündigung des Wortes oder die Lektüre eines Buches (das er als eng verwirft)
überzeugen Mortimer, sondern der Bann des beeindruckenden, an die Sinne appellierenden
Ablaufs der Liturgie im weitesten Sinne. Gerade die Forschung zu den Festen der Zeitgehat
diese
des
der
Jahrhunderts,
Wirkung
den
Mixtur
20.
Massenveranstaltungen
schichte, zu
kann
hervorgehoben.
Sie
Aussage
Albert
Symbolik
Ritus
zufällig
sich
nicht
auf
eine
von
und
Speers berufen, in der dieser selbst die Absichten zu erläutern suchte, die hinter den
Inszenierungen des Nürnberger Reichsparteitages standen. Um jene Integrationskraft zu
die
dokumentiert
die
Geschehen
Nürnberger
ausging
und
ganz zweifelsfrei
vom
realisieren,
ist, setzte man weniger auf die Person des 'Führers< als auf einen Ablauf der Veranstaltung,
9 HEERS,Fetes(wie Anm. 2), S.12; diesemAspekt ist Kapitel IV desBuchs,5.119-142 gewidmet.
10 Vgl. nur HERMANN BAUSINGERu. a. (Hg. ), Narrenfreiheit. Beiträge zur Fasnachtsforschung (TübinCharivari
in:
Le
THOMPSON,
Rough
Music<:
Annales E. S. C. 27 (1972),
E.
P.
1980);
anglais«,
gen
*,
S. 285-312; CLAUDE GAUVARDund ALTAN GOKALP, *Les conduites de bruit et leur signification ä la fin
du Moyen Age: le Charivari«, in: Annales E. S. C. 29 (1974), S. 693-704; ROLANDEBONNAIN-MOERDYCK
bourgeois
du
Charivari:
Discours
DONALD
MOERDYCK,
et coutumes populaires«, in:
und
»A propos
Annales E. S. C. 32 (1977), S. 381-398; JACQuES LE Gorr und JEAN-CLAUDE SCHMITr (Hgg. ), Le
Charivari (Paris 1981); EMMANUEL LE Roy LADURIE, Le carneval de Romans. De la Chandeleur au
mercredi des cendres 1579-1580 (Paris 1979).
530
PETER
JOHANEK
im
".
Rom
in
beeindruckend
Vergleichbares
Mörtimers,
geschieht
auch
war«
sich
selbst
»der
Texten
Davon
läßt
ablesen.
wird noch zu reden
mittelalterlichen
es sich aus vielen
und ebenso
sein.
Es sind also die Liturgie, das Zeremoniell, der Ritus, die die Teilnehmer des Festes in
dessen Bann schlagen, doch Gottfried Kellers Beschreibung des eidgenössischen Festes fügt
Vergnügen,
Begeisterung,
jede
hinzu.
Er
FestbeElement
von
von
und
spricht
weiteres
ein
hebt
die
hervor,
die
Akte
Begeisterung
Zusammenhang
im
gemeinschaftsstiftender
schreibung
die Teilnehmer ergreift. Gemeint ist etwas Atmosphärisches: die Festesfreude, die durchaus
der
des
französischen
der
der
fröide
Lyrik
Epik,
joie
Romans
und
mittelhochdeutschen
mit
des Mittelalters gleichzusetzen ist. Es ist ein zumindest partiell rauschhafter Zustand, der die
Teilnehmer ergreift. Er wird ganz sicher durch Ritus und Zeremoniell angebahnt und
doch
häufig
Gottfried
Keller
genug
realiter
gesteigert.
spricht expressis verbis
aber
vorbereitet,
diesem
Festwein,
Kongreß
kein
Geheimnis,
und
verrät
man
auf
eidgenössischen
wahrlich
vom
die
des
Funktion
Mahles und des Gelages hinweist.
gemeinschaftsstiftende
wenn man auf
Beides, Ritus und Zeremoniell wie Gelage und Mahl, kann der Ausgangspunkt dafür sein, die
bewußte Inszenierung des gemeinschaftsstiftenden Festes zu betrachten, sie als einen grundleBaustein
mittelalterlicher Herrschaftsausübung und Herrschaftsgestaltung zu ergenden
kennen.
Ich wähle dazu zunächstBeispieleausden archaischenPeriodendes Mittelalters, also aus
den
besser
Frühzeit
überschaubarenund einfacherkonstruierten Gesellschaftsvermit
seiner
hältnissen. Ich entnehme ein erstes dem angelsächsischen
Beowulf-Epos, das in seinem
Eingangsteilden Charakterköniglicher Herrschaft schildert. Sie gründet sich auf die Gefolgdie
schaft, wirkungsvoll an die PersondesKönigs gebundenwerden muß. Die Redeist dabei
vom DänenkönigHrodgar, dessenSitz Beowulf aufsuchtund bei dem er seineAbenteuermit
Grendel besteht.Das Epos schildert Hrodgars Anstengungen
so:
Heil im Heerkampf ward Hrodgar verliehen,
stolzer Streitruhm, daß die Stammverwandten
neidlos ihm folgten, bis der Nachwuchs erstand
kräftige Jungmannschaft
...
SchondieseZeilen lassenkeinenZweifel, daß esfür Hrodgar um Integration geht,um die
Domestizierung des Adels und um die Notwendigkeit, ihn so an sich zu binden, daß er
folgte.
heißt
ihm
Weiter
neidlos
es:
ihm kam in den Sinn,
...
die Helden zu heißen eine Halle erbauen.
Einen mächtigenMetsaal die Männer errichten
wie ihn nie gesehen die Söhneder Menschen
und dort innen alles auszuteilen
der
Alt
Ewige ihm gab.
Jung
an
und
was
11 Dazu HANS-ULRICH THAMER, »Faszination und Manipulation. Die Nürnberger Reichsparteitage der
NSDAP«, in: SCHULTZ,Fest (wie Anm. 1), 5.352 368, hier 356.
FEST UND
INTEGRATION
531
Zu rechter Frist "
das
ihm
Erden
vollendet ward
gelang
auf
der höchsteHallenbau Heorot nannte ihn
dem desWortes Gewalt weithin zu eigen.
Er hielt die Verheißung hin gab er Kleinode
Ringe beim Gastmahl es ragte der Saal
hoch und weitgieblig12.
Das ist das äußereGehäuse.Heorot, der Hallen herrlichste, beherbergt das Fest, jenes
Fest, das die materiellenAnreize und die realeEntlohnung, die der König seinerGefolgschaft
damit
der
des
das
bieten
hat
Ringe
Edelmetalls
Weggeben
überhöht
und
zu
und
- ergänzt,
beschreibt
dieser
Der
in
Beowulf-Dichter
Halle geschieht:
auch,
was
wirksamer macht.
Die Hochgesinnten setztensich hin,
die Kraftstolzen ein Krieger betreute sie,
Alkanne,
blinkene
die
brachte
herbei
er
der
das
Sang
Dann
Bier
erscholl
schenkte
hell in Heorot der Helden Menge
der
da
Dänen.
in
Wettern
Wonne
(493-498)
und
weilte
Die Zeilen machenklar, was in dieserHalle geschieht,und auch die Benennungen,die der
Beowulf-Dichter für sie gebraucht, kennzeichnenihre Zweckbestimmung: Methalle, Bierhalle, Trinksaal. Das bedarf keines Kommentars, und daß das Trinkgelage Hochstimmung
die
Zweifel.
Gefolgschaftzum Kampf an, selbstwenn
Sie
spornt
erzeugt,steht ebenfallsaußer
dies
im
deutlich,
Auch
Beowulf-Epos
wird
wenn
er wenig aussichtsreicherscheinenmag.
König Hrodgar die Bedrohungenschildert, die von dem Ungeheuer Grendel ausgehenidas
ihn seinerBankgenossenund damit seiner Gefolgschaftberaubt:
Gar oft vermaßensich von Met trunken
über dem Alkrug, edle Krieger,
daß sie im Biersaal bleiben wollten
zum Grendelkampf mit grimmer Klinge.
Dann troff der Trinksaal wenn der Tag aufging,
die Methalle zur Morgenzeit
blutbesudelt die Bänke alle
der
Saal so schwandenmir die Helden. (480-487)
Schwerttau
von
In diesen Passagendes Epos wird deutlich, was die Atmosphäre des Gelagesfür die
Gefolgschaftbedeutet.Siefördert ihren Zusammenhalt,erzeugtein Wir-Gefühl, integriert die
Mannen zur Gefolgschaft.Die im Gelageder Halle erzeugteHochstimmung ist es, die die
Gefolgschaft
Macht desKönigs in der Gesellschaftausmacht,die hier zusammengeschmiedete
12 GERHARD NICKEL (Hg. ), Beowulf und die kleineren Denkmäler der altenglischen Heldensage
Waldere und Finnsburg, 1. Teil (Heidelberg 1976), V. 64-82 (S. 4-7); ich folge hier der Übertragung von
FELIX GENzMK, Beowulf und das Finnsburg-Bruchstück (= Reclams Universal-Bibliothek 430, Stuttgart
1953), S. 16£; zur Kontrolle ist stets die Prosaübersetzung bei NICKEL heranzuziehen.
532
PETER
JOHANEK
den
im
des
Sie
den
Nachdrucks,
dem
Grad
es
regnum
ausübt.
garantiert
verbum regis
verleiht
seineHerrschaft.
Von der integrierenden Kraft der Halle, des Gelages,gehen keineswegsnivellierende
Wirkungen aus. Die Rangunterschiedeinnerhalb der Gefolgschaftwerden - wenigstensim
Prinzip - keineswegsaufgehoben.Von fast allen, die sich mit dem Zusammenhangvon Fest
darauf
hingewiesen
haben,
beschäftigt
ist
letzten
den
Jahren
in
Herrschaft
worden,
auch
und
daß im FestvollzugHierachien nicht aufgehoben,sondernbestätigtwerden, ja ihre Betonung
dann,
insbesondere
Das
durch dasFestgeschehen
geschieht
wenn eine große
gefördert wird.
Festversammlungzusammentritt, die aus heterogenenTeilnehmergruppenbesteht,wie dies
der
des
ist.
der
Mittelalters
Fall
Peter
Moraw
Deutschen
Könige
bei
Hoftag
etwa
etwa
einem
hat dieses Risiko des Festes am Beispiel des Mainzer Hoftages von 1184 - eines der
berühmtestenFeste des deutschenMittelalters - herauszuarbeitengesucht,indem er nachdrücklich auf die Streitigkeiten unter den Fürsten hinwies, die die erstePhasediesesFestes
kennzeichnen,darin liegt das Risiko des Festes13.Wo viele zusammenkommen,bleibt die
Lage während des Festeslabil, doch haben die mittelalterlichen Herrscher Situationen wie
dieseimmer wieder geschaffen.Offenbar schätzteman den Nutzen der Integrativkraft höher
hielt
das
des
für
kalkulierbar.
den
der
Schaden,
Risiko
in
Halle
Auch
möglichen
ein als
Beowulf-Epos gibt esRangunterschiede,
so überschaubarin ihr die Verhältnisseauchgewesen
bestätigt
daß
dürften.
in
die
belegt,
Das
Blick
der
Gesetze,
ein
angelsächsischen
sein
zugleich
dasnach dem Epos gezeichneteBild der Integration im Metsaalnicht lediglich ein Konstrukt
fiktionalen
bleiben
das
keine
Textes
der
in
Realität
Entsprechung
eines
muß,
aufgrund
gefundenhätte. In den GesetzenKönig Hlothheres ausdem Ende des7.Jahrhundertsheißt es:
Wenn jemand einem anderen den Becher fortsetzt, wo Leute trinken, ohne dessen
Verschulden,so gelteer nach altemRecht einenSchilling demjenigen,der dasHaus besitzt
und sechsSchilling dem, welchem er den Becher wegsetzte und dem Könige zwölf
Schilling".
Das heißt: Wer einemanderenseinenPlatz in der Zechgenossenschaft
ihn
oder
wegnimmt
in dem Rang, den er dort einnimmt, mindert, ohne daß ein rechtlich begründeterAnlaß dazu
bestünde,macht sich einesVergehensschuldig.Darin wird deutlich, welcher Stellenwertdem
Gelagedes Herrschers,wie es dasBeowulf-Epos als konstituierend für die Königsherrschaft
und Königsgefolgschaftschildert,auchin der Realitätzukommt. Wer am Fest teilnimmt, stellt
unter Beweis,daß er dieseHierarchie akzeptiert, und bindet sich an ihre Geltung.
Noch einsist zu bedenken.Die Integrationskraft desFestesund desGelageshat Grenzen.
Siegreift sicherlichnicht in allen Fällen, und sie kann verlorengehen,wenn die gesellschaftlichenVoraussetzungensich ändern.Das können längereAusschnitteauseinemText verdeutlidie
der
den
die
isländischen
Sagas
Grönlandfahrer
um
zugehört und
gleichzeitig auch
chen,
dieser
der
Zug
integrationsstiftenden
Wirkung
In
zu
verdeutlichenvermögen.
einenweiteren
Sagaist die Rede von Thorbjörn, der späterin Grönland in den VerwandtschaftskreisEiriks
(wie
13 PETERMoxAw, »Die Hoffeste Kaiser Friedrich Barbarossasvon 1184und 1188«,in: SCHULTZ
Anm. 1), S.70-83, hier S.74f.
14 Die Gesetze der Angelsachsen, hg. von FELnc LIEBERMANN,Bd. 1 (Halle 1903), S. 11.
FEST UND INTEGRATION
533
des Roten eintrat. Die SagaerzähltdenVorgang, um den esgeht, in ihrer gleichzeitiglapidaren
und umständlichenArt 15:
Thorgeir Vifilssohn heirateteund nahmsich zur Frau Arnora, die Tochter Einar Sigmundssohnsvon
Warmquellhang.... Eine andereTochter EinarshießHallweig. SieheirateteThorbjörn Vifilssohn. Sie
bekamendas Gebiet von Warmquellhangauf der Höhlenebene.Dort siedeltesich Thorbjörn an
und
Mann. Er hatte die Godenwürde und führte einen prächtigen Haushalt.
ward ein sehr angesehener
Thorbjörns Tochter hieß Gudrid. Siewar die schönsteder Frauen und ein Kernweib in ihrem ganzen
Auftreten.
Ein Mann hießOrm. Der wohnte auf Adlersfels.SeinWeib hieß Halldis. Orm war ein tüchtiger Bauer
und ein guter FreundThorbjörns. Gudrid war langebei ihm als Ziehtochter. Ein Mann hießThorgeir.
Der wohnte in Thorgeirsberg.Er war sehrreich, doch erst freigelassen.SeinSohn hieß Einar. Er war
ein hübscherKerl, wohlgebildet,und wußte sich gut zu kleiden. Einar segeltevon Land zu Land, und
er fuhr gut dabei.Er verbrachteimmer abwechselndeinenSommerin Island und dann in Norwegen.
Nun ist davon zu berichten, daß Einar einst im Herbst auf Island war und mit seiner Ware nach
Schneebergsspitz
fuhr, um sie dort loszuschlagen.Da kam er auch nach Adlersfels. Orm lud ihn zu
sich ein, und Einar folgte der Einladung,denn beidewaren befreundet.Man trug Einars Waren in ein
Vorratshaus.Einar packtedie Warenaus,ließ siedurch Orm und dessenLeute besichtigenund bat sie
sich auszuwählen,was ihnen behage.Otm nahm dasAnerbieten an. Er sagte,Einar sei ein tüchtiger
Handelsmann,und dasGlück sei ihm hold.
Die Sagastellt Angehörige dreier gesellschaftlicherGruppen auf Island vor; sie sind das
Personal der Saga.Thorbjörn führt einen prächtigen Haushalt und übt Einfluß aus. Die
Bindungen, die zu Orm bestehen,drücken sich darin aus, daß Thorbjörns Tochter in Orms
Haus erzogen wird. Einar, der aufstrebendeHandelsmann, der Sohn eines Freigelassenen,
des
deutlich
Textes
diese
hinein
das
im
in
Verlauf
Gemeinschaft
strebt
wird
weiteren
-, und
Orm ist ganz offenbar bereit, ihm den Zugangbis zu einem gewissenPunkt zu ebnen.Er geht
mit ihm eine temporäreHausgemeinschaftein. Doch Einar zielt höher:
Während sie aber noch sich um die Waren zu tun machten, ging eine Frau vorbei an der Tür des
Vorratshauses.Einar frug Orm, wer dasschöneWeib wäre, dasebenan der Tür vorbeigegangensei,
»ich sahsie nimmer vorher«. Orm sprach:»Dasist meineZiehtochter Gudrid, desBauernThorbjörn
von WarmquellhangTochter.« Einar fragte: »Siemag einegute Heirat sein. Haben etwa schonandere
um sie gefreit?« Orm sagte:»Gewiß warb man schon um sie, Freund, doch so leicht geht das nicht,
denn ihr Vater und sie sind offenbar ziemlich schwierig bei der Wahl einesMannes.« »Gleichwohl,«
sagteEinar, »ist sie doch die Frau, um die ich werben möchte, und ich bitte dich, nimm die Sachefür
mich in die Hand bei ihrem Vater Thorbjörn und tu alles,was du kannst,um siezu fördern. Ich werde
esdir mit größterFreundschaftlohnen.BauerThorbjörn wird schonsehen,die Verschwägerungwird
Mann und besitzt einen stattlichen Hof,
uns beidenzustattenkommen, denn er ist ein angesehener
doch allzuviel Geld hat er nicht, wie man mir sagt.Mir aberund meinemVater fehlt esnicht an Land
noch an Geld, und kommt die Heirat zustande,wird Thorbjörn nur den größten Vorteil davon
haben«.Orm erwiderte: »Gewiß glaubteich, daß du mir freundschaftlichgesinntbist, aber doch bin
ich meinerseitsnicht dafür, die Sachein die Hand zu nehmen,denn Thorbjörn ist gar stolz und ein
hochmütiger Mann.« Einar aber sagtedoch, er wünsche,daß man seineWerbung vorbringe. Orm
Einar ging da wieder in denSüden,bis er auf seinen
sagte,essolledennnachseinemWillen geschehen.
Hof kam.
15 EINAR OL. SVEINSSON
und MArrHIAs THORDARSON(Hgg. ), Eyrbyggia saga. Groenlendinga S9gur
(= Islenzk Fornrit 4, Reykjavik 1925), S. 202205. Ich zitiere nach: Grönländer und Färinger Geschichten,
übertragen v. FELIX NiEnrrER (= Thule 13, Düsseldorf-Köln 1965), S.25-27.
534
PETER
JOHANEK
Diese Passagezeigt den Ansatzpunkt Einars. Er erkennt, 'daß der' gesellschaftliche, Rang
des Goden Thorbjörn unsicher geworden ist. Dessen Helfer Orm zögert zwar, ein für
Thorbjörn nur schwer zu akzeptierendes Angebot weiterzugeben, entscheidet sich dann aber
doch'dafür. Er wählt dafür eine besondere Gelegenheit:
Etwas später lud Thorbjörn zum Herbstgelage ein, wie er es gewöhnlich tat, denn er wollte gern als
Thorbjörns
Orm
kam
Freunden
Dorthin
Mann
auch
von
vielen
anderen
unter
gelten.
großer
Adlersfels. Orm zog Thorbjörn ins Gespräch, und er sagte, Einar von Thorgeirsberg sei jüngst bei ihm
brachte
dann
höchst
hoffnungsvoller
Mann
Er
Einars
jetzt
Der
geworden.
ein
gewesen.
wäre
Werbung bei ihm vor und fragte, es sei vielleicht aus gewissen Gründen gut, wenn etwas daraus
diese
dir,
Thorbjörn,
Stütze
Heirat
Geld
große
wohl
eine
meinte
er,
»könnte
anlangt, «
würde. »Was
daß
dir,
ich
ich
Vorschlags
Thorbjörn
mich
eines
solchen
von
erwiderte: »Nicht versah
werden. «
haben,
daß
Du
Weibe
Knechtssohne
Tochter
mein
geben
sollte.
gemerkt
zum
muß
einem
meine
Vermögen abnahm, wenn du mir einen derartigen Rat gibst. Nun aber soll Gudrid nicht länger bei dir
bleiben, da sie dich einer so niedrigen Heirat wert dünkt. « Nun ging Orm heim und desgleichen alle
den
in
dessen
bei
ihrem
blieb
Vater
Gudrid
Winter
ihre
über
Höfe.
Gäste
zurück
und
aber
auf
anderen
Hause.
Die SagabeschreibtdasAuseinanderbrechen
einer Gemeinschaft,die von Thorbjörn zwar
dominiert
doch
der
beherrscht,
Eines
Bindemittel dieser Gemeinschaftist
aber
wurde.
nicht
das Herbstgelage,ein periodischesEreignis, bei dem es auch Geschenkegab und das aus
bekannt
ist.
Thorbjörn setzteauf die gemeinschaftsstiftende
Sagas
Wirkung
ebenfalls
anderen
diesesGelages:»Er wollte gern als großer Mann gelten.«
Gerd Althoff hat darauf hingewiesen, daß das Gelage eine Atmosphäre friedlichen
Umgangs zu schaffenvermochte und daher das Fest als Plattform von Bündnisverträgen
.
geeignetmachte16.Das Fest einesVerbandes,wie er hier in den Blick kommt, war demnach
die
Gelegenheit,bei der Verhandlungenangebahntwerden konnten, ganz besondersdie
auch
Besprechungheikler Materien, die geeignet sein konnten, die Harmonie innerhalb des
Verbandeszu stören, jedoch in der entspannten,friedlichen Atmosphäre des Festestraktabel
erscheinenmochten. Aus diesem Grunde spart Orm die Besprechungmit Thorbjörn über
Einars Heiratsantragbis zu diesemGelageauf. Doch das,was Orm vorschlägt,überschreitet
die Grenzen der Konventionen, auf denen das Zusammenlebendieser Gemeinschaftruht,
oder präziser: jene Grenzen,die Thorbjörn gezogensieht. Die Atmosphäredes Festesreicht
nicht aus, um die Zumutung zu mildern, die Orm Thorbjörn stellt. Daß Orm eine solche
Zumutung zu stellenwagt, machtfür Thorbjörn deutlich, daßdie BasisseinerAutorität, die er
über ýdie übrigen in der Gemeinschaftausübt, geschwundenist. Daß Orm die Zumutung
läßt
Thorbjörn
daß
die
Integrationskraft desFestes,das er jährlich gibt
erkennen,
ausspricht,
das
die
Thorbjörns
der
Gemeinschaft
in
Bedingungen
zu
und
von ihm vorgebenenHierarchie
festigt, nicht mehr besteht. Thorbjörn zieht die Konsequenzen.Beim nächstenGelageim
Frühjahr informiert er die Teilnehmer von seinerAbsicht, mit seinerFamilie nach Grönland
kündigt
die
Gemeinschaft
Damit
er
auf.
auszuwandern.
Das zeigt: Die Wirkung des Festes,seine Integrationskraft ist nicht absolut. Sie'wird
bestimmt durch die allgemeinenVerhältnisse,seine Inszenierungmuß auf sie hin bezogen
die
Inszenierung
Stimmung
Umständen
Grenzsituationen
In
vermag
solche
zu
unter
werden.
der
das
letztere
Thorbjörns
ist
Fall.
Falle
Im
scheitert.
sie
wenden oder
Beitrag in diesem-Band,S.29-38.
16 GERDALTHoFFS
FEST UND
INTEGRATION
535
Zurück zu Heorot, zur Halle des Beowulf-Epos. Hier geht es - das dürfte deutlich geworden
das
das
den
in
die
Kriegertum
Mittelpunkt
Aktivierung
Wert-Normensystems,
sein - um
eines
die
die
Rang- und Standesschranken, die
Beabsichtigt
ist
Gemeinschaftsbildung,
stellt.
eine
innerhalb dieser kriegerischen Gefolgschaft bestehen und auch in der Realisierung der Hallengemeinschaft fortbestehen, transzendieren soll. Erstrebt wird eine Gruppensolidarität, die die
Grenzen der Rangunterschiede überwölbt und sich in der Realität des Alltags als haltbar erweist.
Heorot, die Methalle, ist ein recht einfachesModell des gemeinschaftsstiftenden Festes; das hohe
wie das spätere Mittelalter haben weitaus raffiniertere ausgebildet. Jedoch, es geht auch bei jenen
späteren Gelegenheiten stets um die Konstituierung einer Kriegergemeinschaft, ob es sich nun um
die Artus-Inszenierungen der englischen Könige oder um das Fasanenfestam burgundischen Hof
Herzog Philipps des Guten zur Begründung des Ordens vom Goldenen Vlies handelt, um nur die
herausragendsten Beispiele aus einer Unzahl solcher Feste zu nennen 17.Propagiert wird die Idee
des Rittertums, und das Ziel ist die Entfachung von Kampfesbegeisterung, sei es für den Krieg
Englands gegenSchottland um die Wende vom 13. zum 14.Jahrhundert oder für einen Kreuzzug
zur Rückgewinnung Konstantinopels im 15.Jahrhundert.
König Hrodgar sprachin Heorot vom Todesmut der Kämpfer gegenGrendel, der sich aus
dem Geist der Methalle herleitete,aus dem dort erzeugtenGemeinschaftsgefühl.
Das ist nicht
lediglich eine Hyperbel der fiktionalen Literatur. Einer der berühmtestenund entschiedensten
für
Enthusiastendes Rittertums, seinerFesteund seinerGemeinschaftsbildungen,
vollzog
sich
der
der
in
Selbstmordes.
In
Anfangsphaseder
Inszenierung
subtilen
etwasvergleichbares
eines
Schlachtvon Crecy spricht der völlig erblindeteBöhmenkönig Johann von Luxemburg seine
Umgebung folgendermaßenan: Signeur,vowsestesmi homme et mi ami et mi compagnonä le
journee dui.
Johann von Böhmen wendet sich demnach an die durch das ritterliche Fest gestiftete
Gemeinschaftund bittet sie, nach dem Bericht Froissarts, ihm zu helfen, in dieser Schlacht
kann.
führen,
bindet
die Pferdemit
Man
Schwertstreich
selbst
sehen
zu
obwohl er
nichts
einen
den Zügeln aneinanderund stürzt sich in die Übermacht des englischenHeeres.Am anderen
Tag fanden die siegreichenEngländerdie compagnieniedergemetzelt,susle place autour dou
roy leer signeur, et leurs chevaustowsalloyes ensamble18.Dieser Tod wurde als beispielhaft
der
der
bekanntlich
Eduard
Schwarze
Prinz,
Sohn König EduardsIII. von
soll
empfunden;
England, aus diesem Grunde König Johanns Abzeichen, die Straußenfedernund das ihm
zugeschriebeneMotto »Ich dien, selbstaufgenommenund zum badgedesPrinzen von Wales
gemachthaben".
Der Schlachtentodin der Gemeinschaftwird hier zur KonsequenzdesFestes,auch dies ein
Motiv, das die Literatur niemalslosgelassenhat. Noch Rilkes Cornet - er am deutlichsten
die
fort
Und
das
in
Fest:...
der
Nacht
Fest
sechzehnrunden Säbel,die auf
einem
anderen
setzt
ihn zuspringen,Strahl um Strahl, sind ein Fest.Eine lachendeWasserkunstzo
17 Vgl. etwa PErERJoHANEK,. König Arthur und die Plantagenets.Über den Zusammenhangvon
Historiographie und höfischerEpik in mittelalterlicher Propaganda«,in: FrühmittelalterlicheStudien 21
Burgund (wie Anm. 7), S. 143-160.
(1987),5.346-389, hier S.364f. mit Lit.; CARTELLIERI,
18 KERVYN DE LETIENHOVE (Hg. ), Oeuvres de Froissart. Chroniques, t. 5 (Bruxelles 1868), S. 54f.
19 Vgl. Dictionary
of National Biography VI (London 1917), S. 510 s. v. Edward, Prince of Wales.
20 RAINER Mwtw RnLaa, Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke. Textfassungen und
Dokumente, bearb. v. Walter Simon (Suhrkamp Taschenbuch 190, Frankfurt/Main 1974), S. 68 u. S.57. In-
536
PETER
JOHANEK
Ich verfolge diesen düsteren Zug des Themas nicht weiter, obwohl gerade er, und auch in
neuer und neuester Zeit, im Kontext von Reminiszenzen an Vorzeit und Mittelalter mentalitätsbildend und virulent geworden ist. Ich verfolge ihn nicht weiter, doch ging es nicht an, ihn
zu verschweigen. Das ritterliche, das höfische Fest des Mittelalters stiftet Integration für eine
Kriegergemeinschaft. Doch seine Integrationskraft ist weitergespannt, vermag über diese
engere Zielsetzung hinauszugreifen. Auch die Artus-Feste und Artus-Inszenierungen des
englischen Königtums - das Beispiel ist willkürlich gewählt, doch muß es hier damit sein
Bewenden haben - dienten nicht lediglich der Aktivierung der Kampfbereitschaft des englider
Zusammenhalt.
Ritterheeres
Als
Eduard
I.
Eroberung von Wales in
seinem
schen
und
nach
Nevin einen Artus-Hoftag abhielt, da bot dieses Fest auch der unterworfenen Bevölkerung
von Wales die Möglichkeit zur Integration in den Herrschaftsverband des englischen
Königtums. Die Inszenierung dieses Festes gestattete es den Unterlegenen, bei der Unterwerfung das Gesicht zu wahren. In ähnlicher Weise ist offensichtlich bereits König Heinrich II.
von England 1167 bei der Eroberung der Bretagne verfahren, als er dieses Land vom König
Arthur der Sage zu Lehen nahm21. Wiederum stößt man hier auf die bündnisstiftende
Funktion des Festes, obwohl ein formelles Bündnis der Kontrahenten nicht abgeschlossen
wird. Doch jedes Fest - und ich versuche den Tatbestand auf eine kurze, vielleicht allzu
bringen
ist ein Bündnis, das der Herrscher
Formel
den
Teilnehmern
zu
pointierte
mit
am
Fest schließt, ist die Realisierung eines Herrschaftsvertrags.
DieseRealisierungwird möglich, weil in vielen solchenFällen der Appell an die Emotiodie
die Integration bewirken, auf einenfestenBezugspunkt
nen,
gelenktwird, in der Regelauf
eine als gemeinsamgedachteVergangenheit.Bereits im Beowulf, in der Halle Heorot spielt
dergleicheneine Rolle. In Felix GenzmersÜbersetzungheißt da:
der
Sang
es
erscholl
»Dann
laut in Heorots Halle«22.Nicht die Festgenossen
singenhier, sondernder Scop,jener Sänger,
der über die HeldentatendesHerrschersberichtete,vor
allem aberüber die Taten der Helden
der Vergangenheit.
Feste dieser Art vergegenwärtigen eine gemeinsame Vergangenheit,
emotionalisieren sie
und machen sie der Integration nutzbar. In den Festen von Nevin und der Bretagne, von
denen soeben die Rede war, ist dies die Britannien in
allen seinen Teilen überspannende
Herrschaft König Arthurs, die als historisch real
und gut begründet gedacht wird. Beim
Fasanenfest Philipps des Guten von Burgund geht es um Jason und die Fahrt der Argonauten,
um die ferne, aber nicht minder reale und glänzende Welt der Antike. Die Entrees der
französischen Könige, die regelmäßig die betroffene Stadt
zur aktiven Festgemeinschaft
haben
die Geschichte des französischen Königtums, vor
verwandelten,
allem in literarischen
Konnotationen der matiere de France, in Karl und Roland, aber auch in Chlodwig
und
Ludwig dem Heiligen, immer wieder in Bild und Aktion realisiert und zum Mittelpunkt des
Festes gemacht23. So werden die Emotionen auf die gemeinsame Vergangenheit gelenkt, die
eine Gemeinschaft zu stiften vermag, die wiederum Rang- und Standesschranken überschreitet
Interpretation von HARRY
struktiv auch die während des erstenWeltkrieges(1916)niedergeschriebene
MAYNC,ebd., S.198.
21 JOHANEK,»Arthur« (wie Anm. 17), S. 364f.; S. 384-387.
22 NICKEL, Beowulf (wie Anm. 12), V. 496 (S. 32): Scop hwilum sang.
23 BERNARD GUENEE und FRANCOISE LEHOUX, Les entrees royales francaises
d'histoire medievale 5, Paris 1968), S. 65; S. 187; S. 256 u. ö.
de 1328 ä 1515 (= Sources
FEST UND
INTEGRATION
537
und die königliche Herrschaft zu festigen in der Lage ist. Ähnlich diesen mittelalterlichen
Festen der französischenEntrees kommemoriert auch Gottfried Kellers eidgenössisches
Schützenfestdie konstituierendegeschichtlicheTat der Eidgenossenschaft:den SchützenTell
aus dem Mittelalter.
Damit mag es genug sein. Nur eines
noch muß erwähnt werden, um gegen den Vorwurf
gewappnet zu sein, hier würden lediglich die Feste einer Elitekultur und ihrer Herrschaftsinteressen abgehandelt. Es ist selbstverständlich wahr, daß die Feste der höfischen Gesellschaft
dichter in den Quellen belegt
sind, doch auch der gemeine Mann hat Feste eben dieser Art
gefeiert. Nur ein Beispiel, das den kriegerischen Zug solcher Feste noch einmal hervorhebt
und zugleich die Beteiligung des gemeinen Mannes an den kriegerischen Vergnügungen der
Eliten belegen kann, mag hier mitgeteilt werden. Eikhan Artzt,
ein elsässischer Chronist des
15. Jahrhunderts, erzählt, wie die Bürger von Weißenburg im Zuge
einer Fehde Kurfürst
Friedrichs des Siegreichen von der Pfalz ein pfälzisches Dorf überfielen. Dort
raubten sie
Vieh, Wein und Hausrat, brannten die Mühle nieder, zogen wieder
ab, und der Rat von
Weißenburg tat, was
er für richtig hielt. Die Ratsherren richteten ein Fest aus. Sie teilten das
viehe und wein under die zurrfft und gaben brot und wein dazu, das alles volk gar frolich wart.
Und im Zusammenhang solcher elsässischer Siegesfeste des gemeinen Mannes heißt
es dann
hielten
da
konig Artus Hoffe und meniglich
gelegentlich auch:
praß
und
redlichen
was
...
...
costfrei24. Bei diesem fernen Abglanz des Hofes des großen Königs soll es hier sein Bewenden
haben.
Ein letztes bleibt zu erörtern übrig. Die Texte Friedrich Schillers und Gottfried Kellers,
mit denen hier begonnen wurde, betrafen, trotz ihrer verschiedenartigen Wirkungsweise,
periodisch wiederkehrendes Zeremoniell und Fest. In der Tat ist diese iterative Wirkung von
Fest und Gelage in den Quellenzeugnissen verifizierbar, im Beowulf so
gut wie im alten
Island, wie auch in der höfischen Welt. Hier reiht sich Fest an Fest, vergleichbar dem
liturgischen Jahreszyklus der Kirche. Wie aber steht
es um jene Feste, die ihrer eigenen Zeit
etwas Herausragendes bedeuten, die nicht einer Periodizität unterliegen und eine solche
zumeist aus ihrer Eigenart heraus auch nicht begründen können. Gemeint sind etwa jene Feste
wie das Artus-Fest zu Nevin, der Mainzer Hoftag von 1184, eine Herrscherkrönung oder eine
Fürstenhochzeit. Sie alle haben im Moment ihres Vollzugs Gemeinschaft
damit
und
unter
Umständen Zustimmung zur Herrschaft begründet. Die Frage stellt sich, wie
solchem, im Fest
erzeugten Gemeinschaftsgefühl Dauer zu verleihen ist. Norbert Elias hat bekanntlich in
Anknüpfung an andere Gedankengänge, aber doch bezogen auf die höfische Welt
und ihre
Rituale, zwischen charismatischer und routinisierter Herrschaft unterschieden 25.Die Gemeinschaftsstiftung durch das Fest wird man zweifellos dem charismatischen Bereich zuordnen
können. Wie aber entgeht dieses charismatisch begründete Gemeinschaftsgefühl, das
zur Basis
von Herrschaftsausübung werden kann, der Aushöhlung durch die Routine des Alltags?
24 CONRADHoFauwN (Hg. ), Quellen zur Geschichte Friedrich's des Siegreichen, 2. Bd.: Michel Beheim
und Eikhan Artzt (= Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte 3, München
1863, Ndr. Aalen 1969), S. 273; GÜNTHER FRANZ_(Hg. ), Peter Harers wahrhafte
und gründliche
Beschreibung des Bauernkriegs (= Schriften der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften 25, Kaiserslautern 1936), S. 44.
25 ELIAs,Höftsdie Gesellschaft(wie Anm. 8), S.184ff. u. S.404.
538
PETER JOHANEK
Mir scheint, daß der Eingang des Nibelungenliedes eine Antwort darauf geben kann:
Uns ist in alten murren wunders viel geseit
lobeberen,
helden
von grözer arebeit,
von
klagen,
hochgezIten,
fröuden,
'
von
weinen
und
von
von
von küener recken striten muget ir nu wunder hceren sagen26.
Das Epos erzählt - das ist der Sinn der Strophe - von Helden, von Exempelfiguren und
ihren Mühen; es erzählt vom Kampf der Recken, denn das ist ihre ureigenste' Betätigung.
Beides aber umschließt noch eine dritte Aussage. Das Epos erzählt auch von Festen, von
Festen im weitesten Sinn, denn auch Weinen und Klagen gehören dazu, als Totenfeier und
Totengedenken. Das Fest selbst ist also der Überlieferung, des Erinnerns, der memoria wert.
Dieses Erinnern an das Fest erneuert seine Integrationskraft in jenen, die an ihm teilgenomder
durch
die
die
haben.
läßt
diese
Die
Erinnerung
Erinnernden,
an
sie anderen mitteilen,
men
Integration teilhaben. Wiederum pointiert ausgedrückt: Die Kraft, die die Erinnerung an das
Fest verleiht, überspielt die Routine. In der Tat ist die Wirkungskraft der Erinnerung an die
großen Feste nachhaltig gewesen,offenbar der unmittelbaren Wirkung oder Festesgegenwart
vergleichbar. Der Mainzer Hoftag Friedrich"Barbarossasjedenfalls ist in dieser Weise kommedes
der
in
Geschichtsschreibung,
im
Medium
moriert worden, nicht nur
sondern auch
höfischen Romans, etwa in der Eneit Heinrichs von Veldeke27. Es wäre reizvoll, solchen
Spuren in aller Breite nachzugehen. Hier aber soll ein vergleichsweise schlichtes Beispiel
genügen, das gleichwohl etwas von der Faszination vermitteln kann, die für die Teilnehmer
von den großen Festen ihrer Zeit ausging, wenn sie ihre eigenePerson und ihren Lebens- und
Herrschaftszusammenhangbetraf.
Die Rede soll sein von den Erinnerungen eines kleinen
Adeligen,
niederösterreichischen
Andreas von Lappitz, den man wegen seiner-Herkunft
den »Krabathen«
der
Adriaküste
von
nannte. Er schrieb diese leider nur fragmentarisch erhaltenen Erinnerungen auf28: Zu einem
Unterricht mein Khindern, nahmblich mein Söhnen, das
sie doch wissen, was wunders und
Kaiser
Handl
ist
bey
Krönungszug
Zeiten.
Andreas
unglaublicher
geschehen
meinen
nahm am
in
Friedrichs III. nach Rom
Besuch
dessen
bei
den
und an
anschließenden Festlichkeiten
Neapel 1452 teil. Was ihm
am Herzen liegt, ist dies: Kunde davon zu geben, welch große
daran
Ehren dem Kaiser dort wiederfuhren
und wie er selbst, ihm in den Festen verbunden,
teilhatte. Und er hatte teil. Anläßlich der Krönung schlug der Kaiser junge Leute zu Rittern,
und Andreas erzählt: der Kaiser rüth für die Engl-Purckh auff die Tyber-Pruckhen: Da muest
Er Ritter schlagen nach alter Gewohnheit,
den vierthalbhundert
den
Tag
mehr
schlueg
ain
darunter.
Ritter, da waren viel Pueben
Auch
er war
auch, zu Ritter geschlagen. Ich auch mit.
Kraft
Beide
die
Elemente,
hier
r",
zu Beginn zu beobachten waren, das Zeremoniell und seine
wie die Faszination der Festesfreude, schlagen auch Andreas von Lappitz in ihren Bann.
Hans-Ulrich Thamer hat in seiner Analyse der Nürnberger Reichsparteitage, deren Faszina26 Das' Nibelungenlied, nach der Ausgabe von KARL BARTSCHhg. von HELMUT DE BOOR (Wiesbaden
"1956), S.3.
27 Vgl. MoRAw (wie Anm. 13), S. 73f.; dazu HEINRICH VON VELDEKE, Eneide, hg. von OTTO BEHAGHEL
(Heilbronn 1882), V. 13221-13251.
28 WURMBRAND,
Collectaneagenealogico- historica ex archivo inclytorum Austriae inferioris statuum ...
excerpta (Wien 1705), S.64f.
FEST UND INTEGRATION
539
tion und Manipulation, auch die andereSeite entgegengestellt29:
Die Stagnation im Ritual, die
Pannen, zermürbendes Warten,
bemerkenswert,
daß
in
dem
ist
Bericht des
'auch
es
und
Andreas ähnliches
berichten,
da
langsam
zu, weiß er zu
weret den gantzen
zutage tritt:
giengs
Tag biß in die finster Nacht. Andreas
der
durch
Zug
Rom wälzt, bis hin
quer
schreibt, wie sich
nach S. Giovanni in Laterano. Da wir dahin khumen, da was gar finster Nacht. Man het uns
das Mall kocht, da
der
Eysenhuet,
in
in
Speiß
ander
ain Pruststeckh,
ainer
nahmen wir unser
der dritt
auff ain holten Ziegl wie ein jeder urecht, und da der Khayser gessenhat und machets
nit lang, da belaitteten wir In bey der Nacht mit Wind-Liechter und grossenHauffen biß
wiederumb ins Pabst-Hoff, das heißt bis nach St. Peter. Andreas ist müde, hungrig, zermürbt
vom Warten. Doch die Erinnerung überspielt alles: Der Khayser schluegdie Ritter mit dem
Schwerdt das Khayser Carl vorn Himmel khumen ist
Ich auch mit. Das allein zählte.
...
Es zählt ebenso wie die Ehren, die zu Neapel auf den Kaiser und sein Gefolge gehäuft
werden und die nun erst recht die Atmosphäre des Festesentstehenlassen,jenen rauschhaften
Zustand kreieren,
hat
der
junge
Ihm
Andreas
die
Lappitz,
dem
hier
Rede
sich
von
war.
von
hingegeben,
der voll bey XVI Jaren
der
Zügen
in
er,
eben noch vom
alt war, offenbar vollen
Himmelsschwert Karls des Großen berührt worden war. Da waren lang Tafel khestlich
auffgericht auff paiden Seytenam Platzen und khöstlich Prun mit Wein, weissenund rotten.
Bey den Taffeln stuenden.Fiierschneider, das Gepratens und Gesottenswas jedermann frey,
Die Frawen in Frawen-Haug, die waren alle bestelt, derffet
wer mit dem Khayser zog
...
fandt
khaine khain Pfening
Hof.
Da
Mörin
von
ainer
und sonst
alles
zaltets
nicht nemen ...
schöneFrawen, was ain lustet ... 0 was grosserEhren uns geschach.Und er, Andreas von
Lappitz, genannt der Krabath, war dabei und weiß noch nahezu vierzig Jahre später davon zu
erzählen.
Es ist die Erinnerung, die mitgeteilte und niedergeschriebeneErinnerung, die die im Fest
der
die
die
der
Liturgie
Gemeinschaft
Memoria
Integration
gestiftete
wie
weiterträgt, so
Lebenden und Toten erneuert. Was hier, im Bericht des Andreas von Lappitz sich vollzieht,
ist eine weltliche Memoria. Siekann ihrerseits in ein Fest umschlagen,ähnlich wie Shakespeare
dem
der
Felde
Azincourt
Schlacht
in
der
England
V.
Rede
König
Heinrichs
von
vor
auf
es
von
das Fest verschmilzt mit der Schlachtund stiftet
beschreibt30.Es ist
Crispian;
St.
Festtagein
der
Teilnehmern
Schlacht:
den
des
Königs
fraternitas
mit
eine societasund
Wefew, we happyfew, we band of brothers.
Das Fest St. Crispians wird die Memoria an diese in der Schlacht gestiftete Bruderschaft
wachhalten. Zwar:
Old men forget,
doch diesesGeschehenwird keiner von jenen vergessen,die dabei waren:
He that outlives this day, and seesold age,
his
friends.
feast
will yearly on the vigil
29 THAMER(wie Anm. 11), S.367f.
King Henry the Fifth, IV, 3; The Oxford Shakespeare,Henry V. ed. by GARY
30 WILLIAM SHAKESPEARE,
TAYLOR(Oxford 1982), S.228-230.
540
PETER JOHANEK
Dann wird er seine Narben zeigen, seine Taten berichten und schließlich die Namen der
Glieder der so gestifteten Bruderschaft nennen:
Then shall our names,
Familiar in their mouths as household words, Harry the king, Bedford and Exeter,
Warwick and Talbot, Salisbury and Gloster, be in their flowing cupsfreshly remembered.
Flowing cups.Da ist es noch einmal, das Gelage, das das Fest trägt, Gemeinschaft, societasund
fraternitas stiftet, die in der Memoria erneuert werden.
Damit mag es genug sein, doch vielleicht noch eine Schlußbemerkung. Dieser Kongreß in
Paderborn war dem Fest des Mittelalters gewidmet, und er hat viele verschiedeneDisziplinen
Tat
der
fremd
in
die
das
Disziplinen,
ist
Fest
Nun
ein
sich oft genug
gegenüberstehen.
vereint,
Gegenstand unserer Wissenschaft, der nur im gemeinsamenBemühen aller Disziplinen der
Mediävistik zu analysieren und zu beschreiben ist. Vielleicht hat diesesgemeinsameBemühen
die
das
integrative
Fest
Wirkung wie das echte Fest und vermag zusammen mit
gleiche
um
der Erinnerung an diese Tage und unter Umständen auch an deren flowing cups aus den
Mediävisten des Mediävistenverbandes eine echte Gemeinschaft zu machen.