DER DEUTSCHE ARTUSROMAN

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DER DEUTSCHE ARTUSROMAN
DER DEUTSCHE ARTUSROMAN
MERTENS, Volker: Der deutsche
Universalbibliothek 17609).
Artusroman.
Stuttgart
1998
(=
Reclam
I. DER STOFF UND SEINE HERKUNFT
Stoff kommt v. a. aus Frankreich nach Deutschland, dort ist Artus bekannt, es
existieren mündliche Erzählungen
wichtigsten Elemente: Artus veranstaltet die großartigsten Feste
die höfischen Damen spielen eine wichtige Rolle
Miteinander von Damen und Rittern ist durch
institutionalisierte Verhaltensweisen geprägt (v. a. Einsatz
der Krieger für die Damen → je schöner, desto
angesehener)
Anweisungen von Artus werden diskutiert, kein
unumschränkter Herrscher, sondern Gleicher unter
Gleichen
Geburtshelfer: Antikenroman (Heinrich von Veldeke, Eneasroman)
Artusstoff: neu und von Traditionen unbelastet, kann mit aktuellen Inhalten
gefüllt werden, trägt Leitthema der höfischen Kultur: edle Liebe und rechter
Kampf
innere Dimension: Artus nicht selbst Held, sondern nur Garant der Geschichte
König vorbildlich, aber passiv
Dialektik von übergreifender Ordnung einerseits (Artus) und spezifischem
Erfahrungsweg des Einzelnen andererseits thematisiert die Bewusstwerdung
eins Grundproblems der höfischen Gesellschaft
Chrétien hat Artus nicht als zeitgeschichtlichen König gesehen →
Projektionsfläche für unterschiedliche Vorstellungen
Geoffrey von Monmouth: Historia regnum Britanniae
spätestens 1138 vollendet
Geoffrey
entwickelt
für
die
fremden
Normannenkönige
eine
Geschichtskonzeption, die sie als die Erben der alten sächsischen Könige
ausweist (nicht genealogisch, sondern in ihrer Herrschaftsgestaltung)
Briten kämpfen unter Constantinus, der hat zwei Söhne Aurelius und Uther
Pendragon. Uther begehrt Ygerna, Frau des Herzogs von Cornwall; führt Krieg.
Merlin, ein Zauberer hilft Uther bei der Eroberung Ygernas mit Hilfe eines
Gestaltentausches und zeugt Arthur. Herzog stirbt in der gleichen Nacht,
Ygerna heiratet Uther und Arthur legitimer Nachfolger. A. heiratet Guinivere
und ist siegreicher Feldherr. Neffe Mordred erhebt sich gegen A., A. schlägt ihn
in drei Schlachten, in der dritten (Camblam) fällt Mordred. A. ist schwer
verwundet und wird nach Avalon gebracht, dies sei 542 gewesen.
Bild von A. wird v. a. durch Hoftag in Carlion geprägt, prachtvolles Programm,
illustre Gäste. Schilderung des Hoftags Spiegel des realen Hoflebens und auch
Idealbild.
Wace, Roman de Brut
vollendet 1155
erste Erwähnung der Tafelrunde; Erweiterung von Geoffrey um Sagen und
mündliche Berichte.
Artus wird zum idealen König (bons reins); Gauvain wird zum idealen
Musterritter; jede Dame am Hof hat einen Ritter an der Hand
1
Schilderung höfischen Lebens, Höhepunkt Pfingstfest in Carlion
Artus ist Kämpfer und Eroberer, nationale Identifikationsfigur
Ursprünge von Geoffrey und Wace unbekannt
früheste Erwähnung Artus: Historia Britonum (anonym); um 830 in Wales
stark von Sagen geprägt; hier ist A. ein Heerführer, kein König
Volkssagen ab dem 12. Jhd. in England; Chrétien baut sowohl britische wie
bretonische Elemente mit ein
auch walisische Artustraditionen vorhanden: Culhwch und Olwen, um 1100,
überliefert erst 14. Jhd.
Culhwch ist A. Neffe und fährt an seinen Hof, um Rat zu erhalten
auch hier A. als Herrscher und Anführer, aber passiv (nur bei Eberjagd dabei)
Wace zementiert die Hoffnung auf Arthurs Rückkehr von Avalon
Chrétien will keine Geschichtsmythologie wie Geoffrey und Wace sondern
schöne, lehrreiche Geschichten neuer Art
II. DER KLASSISCHE ARTUSROMAN
1. CHRÉTIEN DE TROYES UND DIE ERFINDUNG DER FIKTION
Autorpersönlichkeit erschlossen aus seinen Werken, v.a. Prologe zu Lancelot und
Perceval (Gönner); Cligès (Werke)
Gönner: Marie von Champagne, Philipp von Flandern
Werke: noch zwei Ovid-Übersetzungen, ein Tristan-Gedicht
vermutlich aus der Champagne; erste Werke in England (Henry II)
sicherlich klerikal gebildet, kannte das Hofleben und die höfische Gesellschaft,
kannte volkssprachliche und lateinische Literatur seiner Zeit, war mit
Waffentechnik und Mode vertraut, Benimmregeln und Moralphilosophie →
bringt alles in seine Werke ein
Grundlage: mündliche Erzähltraditionen (im Ggs. zum Antikenroman mit
schriftliterarischen Vorlagen)
Rolle des gestaltenden Autors, stellt sich als Gelehrter dar; er will etwas schönes,
neues machen (conjointure)
Erec et Enide: um 1170
1. Episode: Artus will den weißen Hirsch jagen (Tradition seines Vaters); der
erfolgreiche Jäger muss die schönste Dame am Hof mit einem Kuss
auszeichnen. Gawain sieht Streit kommen, aber A. setzt seinen Willen durch.
Alle gehen auf die Jagd, nur Erec bleibt zurück, denn er hat keine Dame. Er
begleitet die Königin und eine Hofdame
Hirschjagd soll die Zuordnung von ritterlicher Kühnheit und Frauenschönheit
festigen.
eigentliches Problem: Streit der Ritter
Ritter mit Fräulein und Zwerg nähert sich der Königin; Zwerg schlägt Hofdame
und Erec (waffenlos); Erec kann sich nicht wehren → verliert Ehre, muss den
Rechtsbrecher besiegen und folgt dem Ritter ohne Waffen
in einer Stadt findet gerade ein Sperberkampf statt, Ritter war bis jetzt immer
siegreich; Erec will ihn bloßstellen, erhält die Waffen von einem alten Mann mit
schöner Tochter (Enide)
Erec gewinnt, mit Enide reitet er zum Artushof; die beiden verlieben sich und
Enide wird von Guinièvre herrlich ausgestattet, Artus erkennt sie als die
Schönste an
2
→ Erec ist der Sieger und hat die Schönste
Chrétien zeigt, dass der tapferste Ritter und die schönste Frau
zusammengehören
Ziel des Romans: Verbindung zwischen Tapferstem und Schönster
krisenanfällig, Problematisierung der Situation
Erec macht sich mit Enide auf ins Reich des Vaters, heiratet vorher noch am
Artushof; bei dem Turnier gewinnt wieder Erec → junges Paar zieht ab, Friede
und Freude
ABER: Erec vergisst seine ritterlichen Aufgaben (Frieden und Recht), erfüllt
seine gesellschaftlichen Pflichten nicht mehr und verliert erneut seine Ehre
innere Krise: Erec verhält sich falsch
Erec macht sich erneut auf, Enide muss mitreiten, darf aber nicht sprechen (sie
ist der Grund für seine Verfehlungen)
es folgen zweimal drei Abenteuer
- Erec muss Angriffe von Räubern abwehren; Enide warnt ihn trotz
Verbots
- Burggraf verliebt sich in Enide; diese rettet Erec vor der drohenden
Ermordung und flieht mit ihm, Burggraf wird besiegt
- Guivret (Zwerg) fordert Erec heraus; verwundet Erec, aber der siegt
trotzdem → Freundschaft
Erec und Enide treffen auf den Artushof; Gauvain versorgt Erecs Wunden
→ Zwischeneinkehr zeigt, dass Erec wieder artuswürdig ist, aber noch nicht
mit Enide ausgesöhnt ist
 Erec muss mit brutalen Riesen kämpfen; Erec besiegt sie, fällt jedoch in
Ohnmacht, Enide hält ihn für tot
 Oringle schnappt sich Enide und bringt sie mit dem scheintoten Erec
auf die Burg Limors. Enide wehrt sich gegen den Grafen und schreit
Erec aus der Ohnmacht, beide fliehen auf einem Pferd (Versöhnung)
 Erec trifft auf Guivret, sie erkennen sich nicht und kämpfen; Erec
unterliegt, Enide bittet für ihn und sie erkennen sich. Guivret pflegt
Erec gesund
beide Dreierfolgen haben Parallelen: zweimal Kampf mit außergesellschaftlichen
Gewalten; zweimal mit einem Liebesräuber, zweimal Guivret
Erec kann nur mit Enides Hilfe bestehen
vor der Rückkehr noch eine Schlussepisode: Joie de la cort
Freude des Hofes kann nur durch große Anstrengung erworben werden
Ritter (Mabonagrain) lebt in einem Baumgarten, mit seiner Dame und verteidigt
diese Liebe; jeder Angreifer muss sein Leben lassen, 80 Köpfe stecken auf
Pfählen
Erec kann Ritter besiegen, führt ihn wieder in die Gesellschaft zurück, Freude
des Hofes ist wiederhergestellt
letztes Abenteuer bündelt alle Probleme des Romans:
Liebesverfallenheit von Ritter und Dame entspricht Erec und Enide →
Ehrverlust → neuer Erec kann alten Erec besiegen
Baumgarten hat außerweltliche Züge: Erec erhält den Status einer Erlöserfigur,
er befreit die Gesellschaft von einer latenten Bedrohung
Freude des Hofes duldet keine Gewalt, sie ist aber nur um deren Preis zu haben
meisterhafte Konstruktion der Erzählung: Doppelweg durch Abenteuerwelt
Walter HAUG: Struktur nicht nur thematisch relevant, sondern auch Stilmittel,
um dem Zuhörer, die Sinnsuche nahezubringen; Leser geht mit dem Helden auf
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Reise; Krise vor dem zweiten Weg eine innere: Erec hat vor allem wegen seiner
Untätigkeit ein Problem
Christoph HUBER: neben dem fiktiven Stoff ist eine zweite Ebene anzunehmen,
die eine moraldidaktische Wahrheit erkennen lässt (Thomasin erlaubt so die
Lektüre der fiktiven Geschichten)
kann den Roman als Exempel eines Ritters lesen, der sich einer bestimmten
Situation falsch verhält, Fehlverhalten erkennt und dafür Buße tut
→ schreibt der Struktur keine symbolische, sondern nur poetologische Struktur
zu
conjointure wäre ästhetisch schön, nicht philosophisch war
im MA ist das Schöne jedoch auch das Wahre; damit stellt sich die Frage, ob die
Wahrheit eine moralische oder existentielle ist
Wie versteht man die Zunahme der Märchenmotive im zweiten Teil?
nur poetische Chiffren (KASTEN) oder Vertiefung der realen Welt ins
Mythische?
Roman ist eine mehrstimmige Partitur: mythische Stimme erscheint als
Ergänzung
Roman endet nicht mit der Hoffreude, sondern Erec wird König im Reich
seines Vaters; Artus erscheint zum Krönungsfest. Erec erhält Herrschermantel
mit Darstellung des Quadriviums (Geometrie, Arithmetik; Musik und
Astronomie); Krönung, abschließendes Festmahl
Schlusspartie verschränkt Lehre und Dichtung: Erec wird selbstständiger
Herrscher (Ziel)
Rolle des Artushofes zwiespältig: Erec konnte nicht die richtigen
Herrschertugenden lernen, arthurische Anerkennung bereits nach der ersten
Runde
Aber: Artus krönt Erec und Enide, er ist der Herr des Festes
Neu: Schlüsselstellung der Liebe und Integration der Partnerbeziehung → keine
Entsprechung in der Realität, aber als fiktives Thema sehr beliebt
Abschluss der Poetologie: Herrschermantel
Quadrivium nicht als Hinweis auf gebildeten Herrscher, sondern auf den Autor
Mantel dann Symbol des Werks selbst: Inhalt ist der Weg zum idealen Herrscher
drei Ebenen:
- Unterhaltung: Darstellung der Fest-, Kampf- und Liebesszenen.
Erwartungen des Publikums werden aufgebaut, erfüllt oder enttäuscht;
es gibt Überraschungen (Scheintod Erecs). Hohes Erzähltempo,
Abwechslung von Beschreibungen mit Aktionen sorgt für
Aufmerksamkeit. Kampf für die Männer, Liebe für die Frauen.
Orientierung nach oben durch Protagonisten aus höfischem Umfeld.
- Lehrhafte Wirkung: nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern durch
implizite Exemplarik (Kleidung, Ausstattung), beispielhafter Umgang
mit anderen. Einstellungen werden präsentiert, aber nicht
hervorgehoben.
- Erfahrung über den literarisch-erlebnishaften Nachvollzug des Helden.
Identifikation mit dem Helden über ein Grundmuster, welches mit
Dimensionen von Liebe und Tod arbeitet, sichert dem Roman eine
Allgemeingültigkeit
dieser Romantypus wird von Chrétien und Hartmann verändert
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2. HARTMANN VON AUE UND DIE ADAPTATION COURTOISE
Hartmann nicht urkundlich bezeugt → Aussagen und Vermutungen in eigenen
Werken; Erwähnungen bei anderen Autoren
Ministeriale aus dem Südwesten, welches Aue sein Heimatort ist, unbekannt →
vielleicht bei Freiburg (wäre dann Dienstmann der Zähringer)
Zähringer hatten auch Verbindungen nach Frankreich, auch zu Gönnern
Crétiens
nach eigener Aussage: lateinisch gebildet, vermutlich Dom- oder
Kathedralschule; sprach auch französisch (Übersetzung); vertraut mit Theologie,
Jura, höfisches Leben, politische Situation
vermutlich zwischen 1180 und 1200, Erec eher in die 80er, Iwain Richtung 1200
Erec nur schlecht überliefert: einzige fast vollständige HS im 16. Jhd., Ambraser
Heldenbuch
daneben Fragmente in 3 HS
nach mittelalterlicher Vorstellung war es eine besondere Leistung, sich an ein
neues literarisches und soziales Umfeld anzupassen, mehr noch als die
Erfindung von Neuem → höfische Epik basiert 30 Jahre lang auf französischen
Vorlagen
Hartmann hatte bereits die Geschichte vorgegeben, musste sie neu erzählen
Hartmann übersetzt Chrétien nicht einfach, passt sie an die deutschen
Fürstenhöfe an → adaptation courtoise; Variation der Darstellungsformen, meist
mit dem Ziel größerer Vorbildlichkeit
Hartmann wesentlich umfangreicher als Chrétien, geht v.a. auf Beschreibungen
zurück
Erzählhaltung: Reduktion der direkten Rede, Ausweitung der Erzählerrolle
(Rücksicht auf literarisch weniger erfahrenes Publikum)
deutliche Kontraste: Enites Familie wesentlich ärmer
Hartmann hat das Strukturmodell Chrétiens genau erkannt, nimmt jedoch auch
Vereinfachungen vor
Ausrichtung an größere Vorbildlichkeit im ersten Zyklus v.a. Enite: Hartmann
zeigt die Armut, bezeichnet sie als weiße Lilie unter Dornen, Enite scheint Erec
nicht wirklich wahrzunehmen, auch Liebe taucht auch wesentlich später auf
soziale Dimension der Beziehung wird über die sexuelle gestellt, Chrétien
wesentlich erotischer
in Karnant setzt Hartmann neue Akzente: Reaktion des ganzen Hofes viel
kritischer dargestellt; Enite bleibt schuldlos, begleitet Erec, damit er ihr seine
Tapferkeit beweisen kann
Aufbruch in aller Heimlichkeit (Ggs. zu Chrétien), Erec gibt vor einen
Spazierritt zu unternehmen
Enite wird hier als unschuldige Frau dargestellt, die von ihrem Mann schweren
Prüfungen unterzogen wird (Griseldis-Typus)
unterschiedliche Darstellung lässt sich aus der Eigenart der literarischen
Situation erklären: in D war der Frauendienst mit der Verklärung der Dame als
vollkommenes Wesen eben erst etabliert, an diesem Bild sollte nicht gerüttelt
werden; am engl. Königshof konnte eine „gemischte“ Frauenfigur eher
akzeptiert werden, Chrétien lockert das Bild der perfekten Dame auf
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Enide wird in den Selbstfindungsprozess Erecs mit einbezogen, auch sie lernt
Enide übernimmt eine traditionelle Rolle im Rahmen der Vermittlung adliger
Identitätsgaranten Familie und öffentliche Zeremonie
Enite braucht keine Lernergebnisse
Erec ist bei Hartmann jünger, hat noch an keinem Turnier teilgenommen, mit
seiner größeren Jugendlichkeit wird sein Vergehen eher entschuldbar
lebt seit Jahren am Artushof, sein Vater macht ihn nicht nur zum Mitregenten
(Chrétien), sondern zum formalen Herrscher → größere „Fallhöhe“
Erec führt die 80 Witwen an den Hof zurück, sein Mitleid ist stark
herausgestellt, er ist vorbildlicher als Chrétiens Erec, v.a. im Sinn christlicher
Ethik
bei Hartmann ist er König aus eigenem Recht, braucht keine Legitimation
auch hier Schema des Doppelwegs, mit zweimaligem Sturz und Aufstieg
Änderungen Hartmanns betreffen nicht den Sinn des Romans, die Integration
einer richtigen Beherrschung von Begierde und Gewalt in das Modell des
christlichen Herrschers
auf Ebene der Rollenentwürfe und Motivationen allerdings Änderungen,
romaninterne Widersprüche, reflektieren die heterogene Herkunft der
Romanmotive und ihre Umgestaltung durch literarische Muster und ihrer
Anpassung an die Gegebenheiten des Publikums
diese Eigenart beider Texte führt dazu, dass alle psychologisierenden und
sozialgeschichtlichen Deutungen Widersprüche nicht ausräumen können
Bsp.: Enites Reaktion im Schlafgemach
Erec verlangt von ihr, ihre Klage zu wiederholen, will sie zuerst zurücknehmen,
steht dann aber dazu, weil sie befürchtet, dann schlimmerer Vergehen
beschuldigt zu werden (Untreue). Nach Hartmanns Darstellung hätte sie dazu
überhaupt keine Grund, Hartmann bereitet hier die beiden Grafenabenteuer vor,
in der sich Enite bewähren muss
verzichtet auf sexuelle Anspielungen
sozialgeschichtlich ist die Ehe zwischen Erec und Enite eine Mesalliance, die das
Paar durch ethische Vervollkommnung wiedergutmachen → wird jedoch durch
den Sinn der Abenteuer nicht abgedeckt
Roman enthält weitere Sinnebenen: z. B. die Lebensform der adligen Ehefrau
von Nachkommen ist in keinem der Romane die Rede,
Sozialgeschichte nur in stark symbolisierter Form, auch bei den
Geschlechterrollen
Chrétien entwirft unabhängigere Frauenfigur (v.a. literarische Gründe), vielleicht
auch Utopie
konkreter auf die Realität bezogen: Benehmen, Rede, Ausstattung,
Repräsentation
Stufung des Realitätsbezug entspricht verschiedene Rezeptionsmöglichkeiten:
Katalog höfischen Lebens; Märchen vom Glück, Unglück und erneutem Glück
eines Paares; Identitätsfindungsprozess eines Adligen, der mit dunklen Mächten
von Begierde und Gewalt fertig wird
Chrétien beschreitet auch bei der Darstellung der Frauen einen ähnlichen Weg,
bei Hartmann macht Enite keine eigene Entwicklung durch, sondern bleibt
makellos
vielleicht ist das ein Reflex über die Zusammensetzung des Publikums, bzw. der
Rolle der Frauen im Publikum (in D eine geringere Rolle)
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3. LIEBE UND POLITIK: CHRÉTIENS YVAIN UND HARTMANNS IWEIN
Chrétiens vorletzter Roman: Löwenritter, Hartmanns Übertragung ist der
klassische Roman der mhd. Blütezeit
zusammen mit dem Erec prägt er das Bild des arthurischen Romans
Chrétien überträgt den anfänglichen Tiefpunkt des Helden auf einen
Verwandten Yvains, Calogrenant. Vor 7 Jahren ritt er auf Aventiure aus, abends
kam er auf eine Burg, der Burgherr mit einem Jagdvogel lädt ihn ein. Die schöne
Tochter plaudert mit ihm, man ist zu Abend, am nächsten Morgen nimmt man
freundschaftlich Abschied. Calogrenant kommt zu einer Lichtung, trifft auf
einen hässlichen Rinderhirten, der halbwilde Rinder bändigen kann. Der Hirte
weist ihn zu einer Quelle mit einer eigenartigen Bewandtnis: wenn man Wasser
aus der Quelle auf einen Stein gießt, gibt es ein Unwetter. Calogrenant löst das
aus, der Quellenritter erscheint, stößt ihn vom Pferd und reitet fort. Calogrenant
muss zu Fuß zurückgehen, wird vom Burgherrn wieder empfangen und erfährt,
dass von der Quelle noch niemand heil zurückkehrte.
Chrétien bricht mit diesem Bericht ironisch die Rolle des Erzählers und die
Stereotypie des handlungsauslösenden Abenteuers: Losreiten des Ritters, Wahl
des rechten Weges, der zu einem idealen Burgherrn führt, Auffinden der
Aventiure.
Artus will das Quellenabenteuer selbst erleben
Brunnenabenteuer sind wie Hirschjagd ein Brauch, aber außerhalb des
Artushofes → ist eine Provokation: ein Tapferkeits-, Stärkebeweis; Artus muss
sich zur Quelle begeben, wurde herausgefordert
Versagen Calogrenants ist identisch mit der initialen Erniedrigung des Helden
Yvain, der jedoch ohne persönliche Schande da steht.
Yvain will Calogrenants Schande rächen, aber Artus will das Quellenabenteuer
selbst; Yvain bricht deshalb heimlich auf, trifft auf die Burg mit dem Herrn und
seiner Tochter, findet Hirte und Quelle. Kämpft gegen den Brunnenritter, kann
seinen Schädel spalten und folgt dem Verwundteten zu einem Burgtor, das wie
eine Falle gebaut ist. Yvain kann der Falle entkommen, sein Pferd wird halbiert,
er ist aber gefangen. Ein Mädchen, Lunete, kommt herein und erkennt Yvain,
der als einziger freundlich zu ihr war und gibt ihm einen Ring, der unsichtbar
macht. Sie kümmert sich um ihn und ihre Herrin, eine der schönsten Frauen,
erscheint und klagt um ihren verstorbenen Mann (Brunnenritter). Yvain verliebt
sich in die Herrin und bekennt sich der Zofe, die ihrer Herrin klar macht, dass
sie erneut heiraten muss, um einen Brunnenschützer zu haben. Laudine (Herrin)
zunächst entsetzt, da sie den Mörder ihres Mannes heiraten soll, kommt aber zu
dem Schluss, dass er nicht schuldig ist, denn er tat es nicht aus Bosheit.
Laudine versammelt ihre Vasallen und präsentiert Yvain als neuen Brunnenritter.
Dieses stimmen zu und man heiratet sofort.
Artus kommt, löst das Unwetter aus, Yvain erscheint unerkannt und besiegt
Keu, danach gibt er sich zu erkennen und alle sind glücklich
Man reitet zu Laudine und feiert eine Woche lang, dann will Artus wieder weg,
Yvain soll mit und bittet Laudine um eine Jahr Urlaub, welchen sie gewährt. Sie
gibt ihm einen glücksbringenden Ring und man trennt sich.
Yvain reitet von Turnier zu Turnier, und er verspätet sich. Ein Fräulein klagt ihn
an: er habe ihre Herrin verlassen und solle nie wiederkommen.
Yvain flieht und lebt im Wald.
erster Handlungsteil ist ambivalent gestaltet:
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Weg, den Yvain einschlägt ist der rechte, beschwerliche Weg ritterlicher
Bewährung. Aber dann wird ihm vom Brunnenritter des Friedensbruchs
angeklagt, er hat sich heimlich vom Artushof entfernt und beginnt seine Fehde
in der Pfingstzeit (während dem GF)
rechtlich gesehen, hat sich Yvain schuldig gemacht, aber es zählt der Erfolg
Yvain ist ganz oben, stürzt herunter, weil der den Termin versäumt und fällt in
Wahnsinn
Laudine ist im Ggs. zu Enite eine viel autonomere Frauenfigur; ihr Land bildet
ein eigenes Zentrum neben dem Artushof: Artus kommt zur Heldin (Ggs. Erec)
Fehler Yvains: er bewertet die ritterlichen Beschäftigungen über und vergisst
seine Frau
zweiter Abschnitt:
Yvain lebt wahnsinnig im Wald mit einem Einsiedler
drei Damen treffen ihn schlafend und erkennen ihn, ihre Herrin, die Frau von
Noroison lässt ihn mit einer Salbe der Fee Morgana heilen und auf ihre Burg
holen, denn sie braucht Hilfe
Yvain erholt sich und kämpft gegen den Grafen Alier und nimmt dann Abschied
auf einer Lichtung trifft er zwei kämpfende Tiere: Löwe und Serpant, er hilft
dem Löwen und der unterwirft sich Yvain, begleitet ihn von da an (→
Löwenritter)
sie kommen zur Quelle und erfahren, dass Lunete wegen Verrat (sie hat Laudine
zur Hochzeit überredet) hingerichtet werden soll, es sei denn, sie findet einen
Ritter, der für sie mit drei Herren kämpft
Yvain sagt ihr Hilfe zu und verbringt die Nacht auf einer Burg, wo er erfährt,
dass ein Riese (Harpin) die Tochter erhalten soll; Yvain wundert sich, dass man
am Artushof keine Hilfe holte, aber der ist auf der Suche nach der entführten
Königin
Yvain will helfen, hat aber Zeitprobleme, weil er Lunete verteidigen muss
Riese kommt spät, aber zusammen mit dem Löwen kann er ihn besiegen
Yvain eilt zu Lunete, das Feuer brennt schon, und Yvain besiegt die drei
Ankläger; Laudine erkennt ihn nicht und so reitet Yvain weg
in diesem ersten Teil sind die Stationen auf Yvains Vergehen bezogen: er hilft
bedrohten Frauen und hat Zeitprobleme, aber er hält alles ein
Seine Verfehlung ist weniger Treulosigkeit in der Liebe (er weist auch die Herrin
von Noroison ab), sondern Treulosigkeit in seinen Herrscherpflichten
Artushof leidet unter Vorbildverlust: kann nicht helfen, Königin entführt,
Gauvain hat Yvain überredet, den Termin zu versäumen
Yvain und der Löwe werden gesund gepflegt
am Artushof erscheint ein Mädchen, das einen Ritter sucht. Gauvain kann nicht
und nun sucht sie den Löwenritter, der ihr Hilfe verspricht
Sie kommen zur Burg der schlimmen Abenteuer und hier muss er gegen zwei
Ungeheuer kämpfen. Zwei Gründe: Sieger soll Tochter des Burgherrn heiraten
und muss 300 Frauen befreien
Yvain befreit die Frauen, will aber von Hochzeit nichts wissen und weg zum
Gerichtskampf
Gericht: Yvain und Gauvain kämpfen unentschieden und der Kampf wird durch
eine Fangfrage von Artus entschieden
Yvain ist vom Hof anerkannt, aber er will Laudine, löst das Unwetter aus und
macht Laudine damit klar, dass sie keinen Ritter mehr hat; wieder sorgt Lunete
dafür, dass sie ihn wieder annimmt
Löwe: Symbol für Herrschertugenden; Unterhaltungswert
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auch im zweiten Teil kämpft er für Frauen
konsequent tritt er anonym als Löwenritter auf
Problem von Minne-Ehe und politischer Verantwortung in Person Yvains: er
heiratete wegen Verliebtheit, seine Schutzverpflichtung nahm er zu wenig war
Sinn des gesamten zweiten Weges: Erlernen von Verantwortung; Liebe ist ein
Randproblem
Yvains Weg ist der Weg zum verantwortungsvollen Herrscher
Hartmann hat den Roman vor der Jahrhundertwende bekommen und ihn
genauer als den Erec übertragen
Prolog: Hartmann formuliert seine Theorie von der Wirkung der Literatur
arthurische Idealwelt sei in der Erzählung präsent und man solle sie sich
zum Vorbild wählen
Hartmann übernimmt Chrétiens These vom Ggs. zwischen politischer
Verantwortung und arthurischer Ritterwelt, akzentuiert sie schärfer, indem er
Laudine stärker zur Landesherrin ausbaut und weniger als Minnedame zeigt
Ehe von Iwein und Laudine stärker auf Harmonie ausgelegt; dazu passt auch die
Änderung von Gauvains Rat: bei Chrétien warnt er vor dem Nachlassen der
Tapferkeit, weil Iwein dann die Liebe Laudines verlieren könnte; aber er sagt
auch, dass die Trennung das Begehren vergrößere
Hartmann ändert: als Warnung vor dem Verzicht auf ritterliche Bewährung wird
Erecs verligen zitiert und als Konsequenz die öffentliche Schande beschworen,
statt der Empfehlung, die Liebe durch Trennung zu steigern, entwirft er das Bild
eines verbauerten Ritters, der sich nur für seine Grundherrschaft interessiert
Gawein baut das Bild des lediglich kämpferisch Tüchtigen auf (Erec als Vorbild),
verweist aber nicht auf die sozialen Kompetenzen des zweiten Teils → Iwein
beschränkt sich auf die funktionslose Bewährung im Turnier
Gawain kann die herrscherlichen Tugenden nicht vermitteln
Hartmann nimmt hier Bezug auf den ersten Artusroman, vernachlässigt aber im
Ggs. zu Chrétien einen anderen Bezug: Karrenritter
erwähnt die Entführung der Königin, ihren Entführer, aber nicht den Befreier
Lancelot (im deutschen gab es keinen Lancelotroman; Ehebruchgeschichte war
problematisch)
Laudine wird beinahe ausschließlich über die Herrschaft und nicht über die
Liebe definiert
teilweise negative Interpretation der Brunnenaventiure: her Iwein jaget in ane
zuht → zuht ein wichtiger Begriff: Befolgung der Sitte, Selbstbeherrschung
entweder moralische Bewertung (Iwein als unvollkommener Ritter) oder nur
eine sachliche Beschreibung (ungestüm)
Brunnenabenteuer auf Erzählebene eine costume, eine Herausforderung für jeden
Ritter; als Mitglied der Tafelrunde muss Iwein kämpfen
kennzeichnend für den Doppelweg ist das falsche Verhalten im neugewonnenen
Status, nicht ein vorausliegender Defekt des Helden, sondern eher eine
Inkompatibilität der bisher gelernten Verhaltensweisen
Erec kommt mit seiner neuen Rolle als Ehemann, Iwein mit der als Landesherr
nicht zurecht
auch Iwein enthält ein Programm für rechte Herrschaft: Übernahme von Schutz
und Schirm
Änderungen, die die Vorbildlichkeit der Personen erhöhen:
Artus hat sich mit der Königin zum Mittagsschlaf zurückgezogen, wegen der
Liebe
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Liebe ist sonst bei Hartmann nicht vorbildlich
mit dem Schluss Chrétiens hatte Hartmann Probleme: Laudine nimmt Yvain nur
gezwungen an, von einem Verständnis ist nicht die Rede
bei Hartmann bittet Laudine um Verzeihung und auch Iwein hat gelernt, was er
hätte tun sollen
ez was guot leben waenlich hie
Skepsis bleibt am Schluss
Hartmann hat Laudine nicht nur sozial, sondern auch ethisch und emotional
aufgewertet; kommt damit vermutlich dem Bedürfnis nach größerer
Vorbildlichkeit der Frauenrollen nach und der Frage nach weiblichen
Identifikationsfiguren
Laudine ist eine mächtige Frau, die Iwein zu einem Lernprozess zwingt, sie ist
eine praktisch-ethische Instanz
dadurch reduziert sich die erotische Spannung
im Yvain ist die Anklagerede noch stark von Liebesthematik geprägt, im Iwein
wirft sie ihm v.a. politische Treulosigkeit vor
im Vergleich zum Erec:
mehr Brechungen, Ambivalenzen und Inkongruenzen
zielt auf ein literarisch bewussteres Publikum mit höherer Komplexitätstoleranz
es geht hier nicht um Vermittlung einfacher Wahrheiten, sondern um Prozesse
zur Bewusstseinsbildung
III. DER ARTHURISCHE GRALSROMAN
1. WOLFRAM VON ESCHENBACH: PARZIVAL
beliebtester höfischer Roman, über 85 Textzeugen, darunter 16 vollständige HS
Figuren des Parzival werden häufig zitiert
Datierung kann nur erschlossen werden, v.a. Weingärtendatum (→ Zerstörung
der Weinberg von Erfurt, 1203/1204) → Parzival zwischen 1205 und 1210
entstanden
Werk wohl in zwei Abschnitten verfasst: 1. Abschnitt bis 1203 (5. Buch) 2.
Abschnitt um 1210 (7. Buch)
Unsicherheit über den Auftraggeber: Landgraf Herrmann I. von Thüringen hat
zumindest zeitweise gefördert; andere Textstellen verweisen auf fränkischbayerische Orte und Personen
Wolfram selbst kommt vielleicht aus Eschenbach (heute Wolframseschenbach),
vielleicht ein Ahnherr der freiherrlichen Familie
stilisiert sich als ungebildeter Erzähler, betont seine Fähigkeiten als Kampfritter,
besaß lateinische Bildung, konnte Französisch und hatte auch wundärztliche
Grundkenntnisse
mit dem Parzival löst sich der deutsche Roman von den französischen
Vorbildern
Wolfram beruft sich u.a. auf Chrétien und eine ihm überlegene Quelle: Kyot
(unauffindbar) → vermutlich Quellenfiktion
Elemente anderer Gattungen (Heldenepik), Liebes-, Reiseroman, medizinische
und naturwissenschaftliche Fachliteratur
Wolfram stellt eine heiß diskutierten Prolog voran, in dem er den Lesern die
Vielschichtigkeit der thematischen Problematik erläutert
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beginnt mit der Elterngeschichte: Vater Gahmuret und Mutter Herzeloyde;
Gahmuret als jüngster Sohn bleibt ohne Erbe und wird Soldritter, er fährt in
ferne Länder, um sein Ansehen zu erhöhen
kommt nach Zazamanc, wo die schwarze Königin Belakane bedroht wird,
Gahmuret hilft ihr und sie verlieben sich; Gahmuret wird König, verlässt aber
nach 3 Monaten seine schwangere Frau; Belakane gebiert einen schwarz-weißen
Sohn
Gahmuret kommt nach Spanien, erfährt dort von einem Turnier bei Kanvoleis
und reitet dorthin, Anlass ist die Vergabe von Herzeloyde
Gahmuret gewinnt Herzeloyde, reist jedoch weiter auch Turniere, findet dort
den Tod
Herzeloyde trauert und verschwindet mit Kind im Wald
zweite Gahmuret-Handlung weitgehend Wiederholung der ersten: Gewinn von
Frau und Land; beide Male verlässt Gahmuret die Frauen vor der Geburt seines
Sohnes → sein Lebensprinzip des Ehr- und Liebeserfolgs durch Kampf ist
destruktiv
Herzeloydes Konsequenz: gibt Herrschaft auf und hält Sohn von der
Ritterschaft fern
Thema der Verwandtschaft wird in Kanvoleis angesprochen: es werden versch.
Personen eingeführt, die später wichtig werden (Lähelin, der Parzival um seine
Länder bringt; Gurnemanz, der ihn erzieht; Cidegast, der erste Geliebte von
Orgeluse, Gawans späterer Gemahlin)
Wolfram bewertet Herzeloyde sehr positiv: ihr Rückzug sei ein Zeichen von
triuwe,, stilisiert sie als eine Art Gottesmutter (Drachentraum) → wesentlich
größerer religiöse Dimension als andere Romane
zwei Grundausstattungen Parzivals: ritterliche Tüchtigkeit vom Vater; religiöseexistentielle Radikalität von der Mutter
Parzival sitzt im Wald, auf der Jagd trifft er drei Ritter, die er für Engel hält; will
ebenfalls Ritter werden und will zu König Artus
seine Mutter gibt ihm Narrenkleider, sie hofft, dass er zurück kommt; bricht tot
zusammen, als er geht
Parzival in einem problematischen Licht: versteht die religiösen Unterweisungen
seiner Mutter falsch; Tod der Mutter ist ihm nicht als Schuld anzurechnen →
Ggs. Chrétien
Parzivals Fahrt zum Artushof beginnt damit, dass er wegen eines
Missverständnisses eine junge Frau, Jeschute, die Schwester Erecs, in Not bringt:
raubt ihr mit Gewalt Ring und Spange; Jeschutes Ehemann glaubt an Untreue
und verstößt sie
Parzival trifft auf Sigune, seine Cousine, ihr gegenüber ist er höchst
rücksichtsvoll, als er sieht, dass sie ihren toten Geliebten, Schionatulander, im
Arm hält
er wird Sigune noch dreimal wiedertreffen, hat die Züge einer Prophetin
sie nennt ihm seinen Namen und seine Herkunft → als er am Artushof eintrifft,
weiß er, wer er ist
Artushof ist in Nantes, ist in einem Zustand der Unordnung: Ither erhebt
Ansprüche auf die Bretagne, hat die Königin mit Wein begossen
Parzival trifft auf Ither und dieser trägt ihm auf, dem Artushof zu sagen, dass er
auf einen Zweikampf warte → niemand hat die Verfolgung aufgenommen
am Artushof wird Parzival bestaunt, wird auf sein Drängen hin zum Ritter
11
Parzival tötet Ither und bekommt dessen rote Rüstung; er weiß nicht, dass er
einen Verwandten getötet hat
Parzival holt seine Ausbildung bei Gurnemanz nach, in 14 Tagen lernt er
höfisches Benehmen und Kampftechnik
zu den Lehren Gurnemanz gehört auch das Verbot, unnütze Fragen zu stellen
(→ Gralsburg)
Parzivals Weg gleicht zu Anfang dem arthurischen Schema: durch eine
Befreiungsaventiure gewinnt er frouwe unde lant; Parzival kommt nach Brobarz,
die Königin Condwiramurs wird bedrängt; Parzival gewinnt
Condwiramurs lässt Parzival fortreiten und trifft ihn erst 5 Jahre später wieder
Parzival kommt zur Gralsburg, der kranke Burgherr gibt ihm sein Schwert, aber
Parzival stellt die Frage nicht
allerdings wird hier seine spätere Einsetzung als Gralskönig vorweggenommen
→ er erhält den Mantel der Königin
auf dem Weg zurück begegnet er Sigune, die ihn wegen seines Fehlverhaltens
beschimpft; Parzival kann aber seine Kränkung Jeschutes durch eine Sieg über
Orilus und einen Eid wieder gut machen → Einkehr am Artushof, Parzival wird
in die Tafelrunde aufgenommen
Cundrie, die Gralsbotin erscheint, und macht deutlich, dass Parzival bei seiner
eigentlichen Aventiure (Gral) versagt hat → er macht sich auf die Suche nach
dem Gral
allerdings glaubt er, dass dafür ritterliche Aventiuren nötig sind → Fehler
Parzival bricht auf und die Handlung richtet sich auf Gawan;
Handlungsschema des ersten Zyklus:
Soltane → Artusritter (Artus) → Jeschute → Artus I (Ither) → Gurnemanz →
Condwiramurs → Gral (Versagen) → Jeschute → Artus II (Cundrie)
anders als bei Erec und Iwein liegen Parzivals Fehler nicht bei Defiziten in den
kämpferischen Fähigkeiten oder im Fehlen der Motivation für ihren Einsatz →
Wolfram zeigt eine Selbst- und Wertfindungsprozess
Handlung springt auf Gawan über, der bisher immer eine statische Figur war,
keinen eigenen Handlungsstrang hatte → hier umfasst die Gawan-Handlung
beinahe die Hälfte des Werkes
erste Aventiure: Verbindung von Ritterkampf und Liebe, in ironischer Brechung
Gawan wird in einen Konflikt hineingezogen, der aus Abweisung einer Werbung
entstanden ist: Obie hat den Lehnsherrn ihres Vaters, Meljanz zurückgewiesen
Meljanz will Obie → Kampf
im 9. Buch ist Parzival im 4. Jahr der Gralssuche und trifft erneut auf Sigune, die
will ihm den Weg nach Munsalvaesche weisen
Parzival trifft auf Trevrizent, den Bruder seiner Mutter, und wird durch
ausgedehnte Gespräche mit ihm zur Einsicht über sein Verhalten geführt;
Parzival erfährt, dass er der Erbe des Grals ist, vom Tod seiner Mutter und von
der Bedeutung des Totschlags an Ither → seine beiden Sünden, für die er Buße
tun muss
9. Buch strukturell die Zwischeneinkehr des Helden im 2. Zyklus, hier jedoch
keine Zwischenbilanz des Erreichten, sondern eine Wende im Bewusstsein
Trevrizent als Einsiedler wird für Parzival Buße tun, während Parzival für ihn
kämpfen wird → klassische Ständeeinteilung
12
Gawan ist auf der Suche nach dem Gral, allerdings ist er genealogisch nicht dazu
bestimmt und er sucht ihn in Kämpfen → falscher Weg
in den Büchern 10-13 erringt Gawan Land und Herrschaft → klassischer
Artusroman
2. Zyklus
Artus II (P, G) → 7. Buch (G) → 8. Buch (G) → Zwischeneinkehr bei
Trevrizent (P) → Schastel marveile (G) → Orgeluse (G) → Artus III, Kampf
(P,G) → Kampf mit Feirefiz (P) → Gralserwählung, Condwiramurs (P)
arthurisches Schema für Gralsthematik ungeeignet, Gral kann nicht erkämpft
werden;
Doppelweg wird formal als Struktur des Romans verwendet, inhaltlichsymbolisch vom Helden jedoch abgewählt
auch in der Gawan-Handlung: er gewinnt Land durch die nicht rein
kämpferischen Aventiuren auf Schastel marveile, die Frau gar nicht durch
Kampf
Liebe wird hier aufgewertet (Ggs. zu Kampf)
gilt nicht für Parzival: für den Gralserfolg nützt weder Sieg im Kampf noch
Liebe
HARTMANN VON AUE: EPOCHE – WERK – WIRKUNG
CORMEAU, Christoph; STÖRMER, Wilhelm: Hartmann von Aue. Epoche – Werk –
Wirkung. München 21993.
1. EREC
1.1 PHÄNOMENOLOGISCHE ANNÄHERUNG
hermeneutischen Probleme des Romans konzentrieren sich auf drei Bereiche:
o Poetik der Großform, die aus einem Arrangement von einzelnen
Episoden eine thematische Dimension eigener Art gewinnt
o Fabelsubstrat der Artussage, Figuren und Programmatik eines
westeuropäischen Erzählstoffes (im Erec die erste dt. Ausprägung)
o Korrespondenz dieser adligen Erzählwelt mit der realen
feudalhistorischen Lebenswelt der Dichter, Auftraggeber und Hörer
1.2 ARTUSSAGE UND ARTUSROMAN
1.2.1 HISTORISCHER KERN
UND FRANKREICH
UND
LITERARISIERUNG
DER
ARTUSSAGE
IN
BRITANNIEN
älteste Nachrichten: 9. Jhd. Arthur / Artus als siegreicher Heerführer der Briten
gegen die Sachsen, Schlacht am Berg Badon (Historia Britonum)
13
Annales Cambriae: Arthur als Heerführer
Zufallsnachrichten: A. wird in lokalen Sagen und Heiligenlegenden erwähnt
im Kern ist die Figur eine historische Figur, die in der mdl. Tradition fortlebt
und als heroische Figur kollektiven Geschichtsbewusstseins in lat.
Historiographie auftaucht, aber auch Teil lokaler Sagen und Legenden sein kann
Gesta regum Anglorum: (1125) A. schon von Erzählmotiven, auch keltischer
Herkunft umlagert; hier Bericht von der erwarteten Rückkehr Artus aus Avalon;
auch einige der Namen sind hier schon vertreten: Mordred, Gawain, Kei
Umfang der mdl. Traditionen nicht abzuschätzen
Geoffrey von Monmouth sammelt vieles in seiner Historia regum Britanniae
(1130/36): in Form einer Chronik kommen auch nicht belegbare Geschichten
vor; Ziel ist die Zusammenführung nationaler Geschichte mit der Antike
Gründer Britanniens ist Brutus, ein Enkel Aeneas (→ Troja); Höhepunkt der
Entfaltung zur Zeit Arthurs, der in jungen Jahren König wird und glanzvoll Hof
hält (vereinigtes Britannien und Bretagne); Neffe Mordred verrät ihn und Artus
wird verwundet nach Avalon gebracht
→ Geoffrey will eine glanzvolle nationale Geschichte schaffen, die sowohl den
eingeborenen Sachsen und den neuen anglo-normannischen Herren gefällt
Arthurs Hof als Sinnbild einer kultivierten höfischen Instanz
altfrz. Bearbeitung durch Wace (Roman de Brut): Anstoß vermtl. vom Hof
Eleonores von Aquitanien und Heinrich II.; führt die Tafelrunde ein; Artus als
Sinnbild eines gerechten, Ehre und Freigiebigkeit liebenden Feudalherren, sein
Hof eine Verkörperung von Lebenskultur und seine Helden Träger ritterlicher
Tugend
schriftliche Artussagen lösen allerdings nicht die mdl. Traditionen ab, vielmehr
werden in diesen noch mehr keltische Elemente (v.a. andersweltliches)
aufgenommen
König und Hof treten zurück, die Handelnden sind einzelne Ritter, der Artushof
wird zu einem Repräsentanten höfischer Gesinnung und Mittelpunkt einer
ideellen Welt
Verbreitung der Artussage v.a. in Frankreich und den brit. Inseln, daneben aber
Spuren in Sizilien und Savoyen
1.2.2 CHRÉTIEN DE TROYES UND DER FRANZÖSISCHE ARTUSROMAN
Erec et Enide (um 1170) ist der erste Artusroman im vollen,
gattungsdefinitorischem Sinn; die matiere de Bretagne tritt (auch bei den
Zeitgenossen) neben den Antikenroman und die Chanson de geste
Autor vermutlich in der Champagne, geistliche Ausbildung, eine Förderin ist
Marie de Champagne (Tochter Eleonores)
seine Romane setzen neuen Maßstab für höfisches Erzählen und formen
teilweise auch die Artuswelt neu
Artusroman ist die Schöpfung Chrétiens, aber auch der hatte Quellen: Geoffrey,
Wace und er beruft sich ausdrücklich (Prolog) auf eine mdl. Erzähltradition
Kennzeichen des neuen Romans:
o Stil, der Handlung, Beschreibung und Sinndeutung in ein neues
Gleichgewicht setzt
o verändertes Artusbild, das den König zum passiven Mittelpunkt einer
normsetzenden Gesellschaft macht; alle Aktionen werden auf einzelne
14
Ritter übertragen, diese Aktionen sind aventure, freie ritterliche
Aktivitäten in einem Normkanon
Großform und Thematik entstehen aus einer Reihung von einzelnen Episoden,
spezifisches Bauprinzip ist die Doppelung: die Einführung zweier
korrespondierender Teile im biographischen Weg des Helden
entscheidende Umformung des Artusstoffes durch Chrétien: legt
allgemeingültige literarische Gestaltungsprinzipien über den historischen
Sagenstoff und verwandelt dadurch das hist. Handlungssubstrat ohne die hist.
Verankerung ganz zu lösen
1.2.3 HARTMANNS QUELLEN
Hartmann führt den Artusroman in D ein, seine Hauptquelle ist auf jeden Fall
Chrétien
daneben kann es aber auch sein, dass er weitere Quellen benutzt hat
Theorien verweisen auf ein kymrisches Gedicht (Gereint) und die nordische
Erexsaga → sehr unsicher
wahrscheinlicher ist der Einbau einer mdl. Erzähltradition
nach heutigem Kenntnisstand: freie Bearbeitung von Chrétien, deren Änderung
entweder auf eine bewusste Umakzentuierung Hartmanns oder den Einfluss
mdl. Traditionen zurückzuführen sind
1.2.4. HARTMANNS BEARBEITUNGSPRAXIS
zwei pragmatische Voraussetzungen: Hartmann konnte Französisch und er hatte
eine Abschrift → nur: beides ist nicht selbstverständlich
o biographische Kenntnisse lassen keine gesicherten Kenntnisse über
Fremdsprachenkenntnisse zu, allein der indirekte Schluss, dass
Hartmann Chrétiens Werk so gut kannte, dass er es im Original gelesen
haben musste, kann überzeugen
o wenigstens zeitweiser Besitz kann nur durch einen Gönner ermöglicht
worden sein → keine Beweise
Frage nach dem Verhältnis zwischen Vorlage und Original kontrovers diskutiert:
neuere Arbeiten gehen von der Voraussetzung aus, dass Hartmann (und andere
Nachdichter) dem Publikum die gleiche Geschichte wie die Vorlage erzählen
wollten. Die Kunstfertigkeit der adaptation courtoise ist die Variation der
Oberfläche, der Versuch, dem Vorbild gleichzukommen, aber es nicht sklavisch
zu kopieren
Umfang: Hartmann beinahe um die Hälfte länger, v.a. Erweiterungen von
Beschreibungen und Ausweitung rhetorisch ergiebiger Stellen (Beschreibung von
Enites Pferd, Totenklage um den scheintoten Erec u.a.)
Kürzungen Hartmanns setzen Akzente: Einsparung der direkten Rede von Enite
in der Karnantszene; heimlicher Aufbruch des Paares ohne öffentlichen
Abschied
Hartmanns Ziel ist eine planvolle Nachgestaltung, kein breites Auserzählen
Erzählton: Chrétien hält sich als Erzähler zurück, viel direkte Rede; Hartmann
liebt den schillernden Bericht, ist als Erzähler viel präsenter
Hartmann handhabt die Struktur strikter, offensichtlicher → gilt als allgemeines
Kennzeichen der adaptation courtoise; Bsp.: Hartmann verschiebt den Bericht über
den Ausgang der Jagd konsequent an das Ende des ersten Teils, bei Chrétien
15
kommt er bereits nach der Trennung Erecs von der Königin → Hartmann hebt
hier die Wahrscheinlichkeit des Zeitablaufs zugunsten der Handlungsreihung auf
Hartmann akzentuiert teilweise anders: Bsp. Karnant
o Chrétien: Enite klagt direkt über die Vorwürfe der Umgebung und die
Rede Enites lässt Schlüsse über das Verhältnis der beiden zu; bei der
Versöhnung bestätigt Erec Enide, dass die Prüfungen bestanden sind
und verzeiht ihr
o Hartmann: Enite klagt nur, dass sie solche Vorwürfe hören müsse;
Hartmann geht vorher länger und tadelnder auf das verligen ein; bei der
Versöhnung bittet Erec um Verzeihung für die Prüfungen
religiöse Sinndeutung der Handlung ist ein eigenständiger Zusatz Hartmanns
(v.a. ab der joie de la curt)
Hartmanns Akzentuierung richtet den Roman stärker auf Erec aus, zugunsten
einer Ausdifferenzierung seiner Biographie werden Enites Aktivitäten
zurückgenommen; wichtiger Anteil an dieser Umgestaltung hat der
kommentierende Erzähler
hermeneutische Folgerungen:
o Hartmann nimmt sich die Freiheit, seine Vorlage prinzipiell gleich
nachzuerzählen, aber mit seiner eigenen Intention
o Hartmann Roman ist als eigenständig zu betrachten, aber eben Produkt
der Auseinandersetzung Hartmanns mit Chrétien
o Chrétien und Hartmann benutzen auch Motivmaterial, welches nicht
ohne seinen Herkunftskontext zu verstehen ist; die Autoren können
diesem Material nicht ihre neue Sinnsetzung aufzwingen
1.3 DIE POETIK DES ARTUSROMANS
Bauprinzipien waren Gegenstand lebhafter Forschung; durch KUHN kam die
Symbolstruktur in die Diskussion
danach hat Arrangement der Episoden programmatische Aussagequalität
dazu kommen die strukturalistischen Ansätze, die die Verwertung von
Erzählprinzipien deutlich machen, die nicht nur im Mittelalter wirksam waren
und die sich auch unter dem Stichwort „Märchenroman“ zusammenfassen lassen
1.3.1 EPISODENKETTE
Handlungskette des Artusromans: äußerlich voneinander unabhängige
Episodenmotive, die aneinandergereiht oder ineinander verschachtelt sind
Einheit wird durch den Helden hergestellt
Verbindung zwischen den Episoden: Zufall, der den Helden in eine neue
Aventiure führt
Handlung linear auf den Helden zugeschnitten
Zeit ist die subjektive Zeit des Helden
1.3.2 FIGUREN UND KONSTELLATIONEN
Versuch einer Ordnung: Held, seine Partnerin (taucht im Laufe des Geschehens
auf), König Artus mit seinem Hof teils fester Größen (Kei, Gawain), teils bloßer
Namen
16
andere Personen sind Gegenspieler, mit denen sich der Held in einer
Konfliktbeziehung auseinandersetzen muss; verschwinden nach ihrer
Überwindung entweder oder werden zu Helfern des Helden
Partnerin wird erworben → damit eine Art Belohnung; aber sie bleibt aktiv, mit
ihrem Auftauchen wird aus der Geschichte einer Einzelfigur die Geschichte
eines Paares
Verbindung von Held und Artushof: dialektische Spannung des AufeinanderAngewiesenseins
Held ist der aktive Part, der sich an die Normen des Artushofes hält
Artushof ist passiv, aber zugleich Zentrum des Geschehens, der Held ist von
ihm abhängig
1.3.3 SCHAUPLÄTZE UND THEMEN
Schauplätze lassen sich in zwei Kategorien teilen:
o höfische Umgebung (Artushof, ihm nahe stehende Orte)
o Aventiureumgebung: Wald, Wildnis, unbekannte Orte (teilweise mit
märchenhaften Zügen)
Themen lassen sich in zweit Kategorien teilen, die aufeinander bezogen sind:
o Minne zur Partnerin
o ritterlicher Kampf um Ruhm und Ehre
Konflikte entstehen, wenn die Normen, die beiden Themen zugrunde liegen,
verletzt werden
1.3.4 FINALE STRUKTUR
Episoden sind final, auf den Ausgang der großen Handlung ausgerichtet
Richtung auf ein Ziel ist die Motivation der Fortdauer
Handlung gliedert sich in zwei Teile, äußerlich markiert durch den Ortswechsel
zwischen Karnant und dem Artushof
thematisch bildet sich ein doppelter Kursus mit zweimaligem Aufstieg und Krise
des Helden in der Mitte
Verknüpfung der Episoden durch Zufall erhält inhaltliche Dimension durch
Steigerung, Wiederholung und Spiegelung der Episoden im Vergleich
1.3.5 MÄRCHENROMAN
Artusroman hat mit den Märchen die Weltsicht gemein; der Held erreicht durch
alle Hindernisse, die ihn zwar fordern, aber nie überfordern, sein Ziel
latenter Optimismus des Textes verhindert die Erwartung des Scheiterns des
Helden
1.4 TEXTANALYSE
1.4.1 HANDLUNGSAUSLÖSUNG (V.1-149)
Prolog nicht überliefert, wohl vergleichbar mit dem Chrétiens (Prolog, Ansage
der Jagd, Aufbruch der jagenden Ritter und der Damen in Begleitung Erecs)
Vorstellung von Artus fehlt, aber es wird klar, dass am Artushof vollendete
Höflichkeit und Galanterie herrschen
17
Geißelschlag gegen das Fräulein verletzt diese soziale Konvention und ist dem
Ritter, der das seinen Bediensteten tun lässt, anzulasten
Erec wird als Hauptheld vorgestellt, verbunden mit zwei Leitkategorien: vrümekeit
und saelde
beleidigende Verletzung kennt nur eine Antwort: besonnene Rache
1.4.2 ERSTE AVENTIURESEQUENZ (V.150-1497)
Erec ist in der Fremde, in der andere Regeln gelten: Beleidiger wird
standesgemäß empfangen und man erwartet von Iders den Sieg beim
Sperberkampf (einem Schönheitspreis → beliebtes Motiv)
Erec ist hilflos, ohne Ausstattung, unbekannt, ratlos
auf dem Tiefpunkt sucht er Zuflucht in einer Ruine, die Bewohner sind ein
verarmtes Grafenpaar mit wunderschöner Tochter, die ihm weiterhelfen
Erec will im Kampf gegen Iders antreten, braucht Waffen und Frau → beides
bekommt er von Koralus
noch keine Liebe zwischen Erec und Enite → reines Zweckbündnis
harter Kampf mit Iders, aber Erec wird durch den Anblick Enites und der
Erinnerung an die Beleidigung stärker → Iders muss Unrecht eingestehen und
wird an den Artushof geschickt
am Artushof hat Artus das Recht des Kusses der schönsten Frau gewonnen
(weißer Hirsch), Erzählung wird in der Schwebe gehalten, bis Iders auftaucht,
alle warten jetzt gespannt auf Erec
Erec und Enite verlieben sich auf dem Weg zum Artushof → Verbindung von
Kampf und Minne
1.4.3 AM ARTUSHOF: RÜCKKEHR, HOCHZEIT, FESTTURNIER (V.1498-2851)
Königin kleidet Enite ein, ihr Auftritt vor der Tafelrunde wird zu einem
Triumph der Schönheit, Artus küsst sie als die schönste Frau
Hochzeit zu Pfingsten am Artushof, verbunden mit einem Turnier
Hartmann fügt hier einen Katalog der Gäste und der Festbeschreibung ein
Erec gewinnt das Festturnier → herausragender Ritter hat die schönste Frau
1.4.4 KARNANT (V.2852-3092)
Rückkehr ins eigene Land, Übernahme der Herschaft
Interesse von Erec wendet sich der minne und gemach zu (kommt nicht mehr aus
dem Bett)
Erec verligt sich, sein ganzer Hof schimpft, verliert höfische Freude
Enite nimmt die Meinung der Umwelt war, schreibt sich die Schuld zu und Erec
hört zufällig ihr Klagen
Erec reagiert abrupt: ohne Erklärung bricht er auf
1.4.5 ZWEITE AVENTIURESEQUENZ (V.3093-9857)
Erec verschwindet heimlich, Enite muss ihn begleiten (ohne Begründung, auch
das Redeverbot wird nicht begründet)
soll vermtl. Spannung erzeugen
18
1.4.5.1 ERSTE RÄUBEREPISODE (V.3106-3290)
doppelter Konflikt: drei Räuber lauern, Enite nimmt sie wahr, muss aber
schweigen; sie warnt Erec trotzdem, der besiegt die Räuber, schimpft Enite und
lässt sie die Pferde mitnehmen
1.4.5.2 ZWEITE RÄUBEREPISODE (V.3291-3471)
diesmal fünf Räuber, wieder muss sich Enite entscheiden
warnt Erec, der siegt wieder, bestraft Enite
Verdoppelung dieser einfachen Episode nicht nur um Zeit zu schinden, sondern
v.a. um dem Publikum klar zu machen, welche Struktur und Reihungsmittel hier
benutzt werden
1.4.5.3 GRAFENEPISODE (V.3472-4267)
Treueprobe
Knappe gibt beiden zu essen, nimmt sie mit auf das Schloss seines Herrn, dort
demonstriert Erec Trennung von Tisch und Bett
Enite wehrt sich nicht, weißt aber den Grafen ab und flieht mit Erec (vrouwe
Enite was ein getriuwez wip)
auch hier bricht sie wieder Schweigegebot, aber Erec zürnt ihr wieder
1.4.5.4 ERSTER GUIVREZKAMPF (V.4268-4629)
Zwergenkönig wird als Ritter vorgestellt, will kämpfen, aber Erec weicht aus,
Zwerg denkt, der ist unhöfisch
Erec kämpft defensiv, wird verwundet, aber siegt dennoch
Guivrez begibt sich in den Dienst Erecs und bringt Erec auf seine Burg, dort
bleibt er eine Nacht
1.4.5.5 ZWISCHENEINKEHR BEI ARTUS (V.4629-5287)
teilt den zweiten Weg in zwei Hälften
Zusammenstoß mit Kei zeigt Erec als den überlegenen Akteur, doch auch nach
der Einladung von Gawain will Erec nicht an den Artushof kommen, erst durch
eine List Gawains kommt es zum Treffen
Erec will sich nach dem Fehler in Karnant bessern, die Krise hat ihn getroffen,
er muss seine eigene Identität wieder finden → zu einer echten Rückkehr an den
Hof bedarf es der vreude, die ihm fehlt
Erec bleibt nur eine Nacht am Hof, wird versorgt
1.4.5.6 CADOCEPISODE (V.5288-5729)
die Frau Cadocs ruft um Hilfe, denn ihr Mann wird von zwei Riesen bedroht →
hilft spontan (ritterliche Hilfeverpflichtung)
geglückte Hilfe wird auch dem Hof gemeldet → Aventiure hat soziale Funktion:
zeigt Erec als Ritter in den Normen des Hofes
sinkt scheintot zu Boden, Enite verzweifelt
19
1.4.5.7 ORINGLESEPISODE (V.5730-6813)
Enite klagt wegen ihres toten Gatten, wünscht sich den Tod, weil sie ohne ihn
nicht leben will
Forschungsdiskussion: Frage nach der Selbstdeutung der Geschichte im Sinn des
Erzählers in dieser Klage
Enite bezichtigt sich des Verrats an Erec (Karnant), schreibt sich schicksalhaftes
Unglück zu → unlogische, widersprüchliche Klagerede, ein verzweifelter
Ausbruch eben
allerdings ist es fraglich, ob der Erzähler hier wirklich moralisch urteilt
Erzähltempo des Romans verlangsamt sich deutlich
Enites Schönheit betört Oringles und bringt ihn zu einer gewaltsamen Werbung,
Enite will aber ihrem Mann treu bleiben und wehrt sich, muss zur Ehe
gezwungen werden
durch Enites Schreie wird Erec geweckt und sie fliehen gemeinsam
Schlüsselszene: Versöhnung zwischen Enite und Erec → Enite hat sich als die
vollkommene Frau erwiesen; Erec bittet um Vergebung
1.4.5.8 ZWEITER GUIVREZKAMPF (V.6814-7787)
Guivrez hatte sich auf den Weg gemacht, Erec zu helfen
unerkannt treffen sie aufeinander und kämpfen, nur Enite verhindert
Schlimmeres
kein ehrbarer Kampf, da ohne Anlass
Einkehr auf der Burg Penefrec bringt Erholung und Heilung
Erec akzeptiert einen längeren Aufenthalt, nach zwei Wochen reist man weiter;
Enite bekommt ein Pferd (→ lange Beschreibung)
1.4.5.9 JOIE DE LA CURT (V.7788-9825)
letzte Episode der Aventiure: isolierte Stellung, fällt aus der symmetrischen
Struktur des Doppelwegs heraus
in ihr verdichtet sich der Sinn der Handlung
Paar und Guivrez machen sich auf den Weg zum Artushof, verlaufen sich und
landen in Brandigan, wo sie 80 Frauen finden, die vom Abenteuer der joie de la
curt erzählen
Erec dringt in den Garten ein, kämpft mit Mabonagrin und gewinnt → Kampf
ist auch ein Kampf um die rechte Minne
Erec gewinnt, weil er ein anderer ist als in Karnant → Wiederherstellung der
höfischen Freude
1.4.6 SCHLUSSEINKEHR BEI ARTUS UND KRÖNUNGSFEST (V.9858-10135)
Erec stellt die höfische Freude wieder her, indem er die 80 Witwen an den
Artushof bringt
in Karnant wird er gekrönt
Glückszustand hält bis ans Lebensende an
20
1.4.7 THEMATISCHE LINIEN
doppelter Verlauf hat zweimal nahezu das gleiche Ziel: erfülltes Leben in
Karnant
erster Erfolg noch instabil, zweiter dauerhaft
zwei zentrale Werte: Minne und Ehre oder Minne und Kampf → ausgewogenes
Verhältnis zwischen beiden Werten
Geschichte eines Normenkonflikts: verligen als Vernachlässigung der
Ritterpflichten wegen Liebe
unvollständige Interpretation
es geht auch um die Verinnerlichung des höfischen Verhaltenskodexes, den Erec
zwar auch im ersten Teil anwendet, aber den er in Karnant vergisst
Erec wird zum abwägenden, verantwortlichen Ritter
Roman ist auch der Weg Erecs vom Scheitern zur Selbstverwirklichung
es geht um ein Gleichgewicht zwischen Minne und Ritterpflichten, ohne dass
eine Seite gewinnt
1.5 HINWEIS ZU DEUTUNGSANSÄTZEN
teilweise Korrespondenzen zur realhistorischen Welt (Hoffest, Turnier…)
2. IWEIN
2.1 PHÄNOMENOLOGISCHE ANNÄHERUNG
anders als im Erec spielt der Autor hier wesentlich mehr mit Ironie, er erzählt
einen Artusroman und spiel mit dessen Mustern
Anspruch an den Hörer liegt zwischen den Polen weltanschauliche Genauigkeit
und ironische Distanz
2.2 STOFF UND QUELLE
teilt sich mit dem Erec den Rahmen von Artussage und Artusroman
2.2.1 ERZÄHLMOTIVE
Owein auch unabhängig von Artus bezeugt (keltische Lieder)
bei Geoffrey im Umkreis von Artus
hoher Anteil an märchenhaften Erzählmotiven: Quelle im Schatten der Linde,
unsichtbar machende Ring, eine Wahnsinn heilende Salbe, Riesen als Gegner
auch im Erec vergleichbares, aber dort v.a. auf die letzte Episode joie de la curt
konzentriert
o Frage nach der literarischen Herkunft
Fee Morgane (Morgaine) bleibt zauberkräftige Fee und geht in viele Texte ein
zwar haben die Romanmotive Gemeinsamkeiten mit mythischen Szenerien, sie
sind aber rationalisiert im Sinn der neuen Erzählwelt: Zugangswächter ist ein
kampfbereiter Ritter, Laudine ist Herrin eines Landes, braucht einen Ritter an
ihrer Seite
21
diese tradierten Motive, die überformt wurden, können in ihrem aktuellen Sinn
nur aus ihrer Einfügung in den neuen Zusammenhang bestimmt werden
o Details in Motivparallelen tragen nur wenig zur Erhellung bei
auch antikes Material: dankbarer Löwe, rasch getröstete Witwe
es ist Chrétiens Werk, eine durchkonstruierte Fabel geschaffen zu haben
2.2.2 VORLAGE UND BEARBEITUNGSPRAXIS
größere Nähe und Entsprechung mit Chrétien als im Erec, 20% mehr Umfang
v.a. wegen Übersetzung
Hartmann setzt aber auch hier neue Akzente, v.a. bei der Darstellung der
Figuren Lunete und Laudine (Konzentration der Änderungen v.a. am Ende des
ersten Aventiureweges und am Ende des Romans); Beispiele:
o Hartmann übergeht einige Motive und Kommentare, die eine kritische
Einstellung gegen weibliches Verhalten enthalten
o Lunetes Spitze gegen weiblichen Zorn auf guten Rat
o Laudines rasche Neugier auf den besseren Ritter anstelle ihres toten
Mannes
auffallendster eigener Zusatz ist Laudines Bitte um Verzeihung, als Lunete die
Versöhnung von Laudine und Iwein mit einer List vorangebracht hat
Hartmann ändert die Erzählmittel: direkte statt indirekte Rede, innerer Monolog
anstatt direkter Figurenrede → mildert den Ton um Laudines Sinnenwandel,
setzt neue Akzente
seine Laudine ist weniger hart, nicht von selbstbewusst-kühler Souveränität,
menschlich weicher, auch in der Liebe → Hartmann mildert einige
Charakterzüge und die ironische Komik im Motiv der leichtgetrösteten Witwe
andere Eingriffe setzen Akzente für das Verständnis des zentralen Konflikts:
v.a. die längere Rede Gawains, mit der er Iwein überredet, Laudine zu verlassen
(Verweis auf den Erec, Karikatur des verwahrlosten Krautjunkers)
bei Chrétien liegt der Schwerpunkt auf Liebe und Ritterpflicht, deren Rangfolge
untereinander
bei Hartmann geht es v.a. um das soziale Prestige
Chrétien argumentiert beim Trennungsurteil persönlicher mit enttäuschter Liebe,
Hartmann mit Treulosigkeit im lehensrechtlichen Sinn
verstärkt ist auch das Programm der Hilfsleistungen Iweins
2.3. ABWANDLUNG DER POETIK
Anlage des Romans stimmt relativ genau mit dem des Erec überein
Strukturschema nicht so einfach, da Krise wesentlich weitläufiger erzählt wird
in der zweiten Sequenz keine einfache lineare Aneinanderreihung, sondern
Klammertechnik → Veranschaulichung von thematischen Aspekten (Terminnot,
zuverlässiges Einhalten von Versprechen)
Erweiterung des topographischen Rahmens um Laudines Herrschaftsbereich
unabhängig vom Artushof → zwangsläufige Folge, wenn man die
Herrschaftsposition durch und mit der Partnerin erreicht
22
2.4 TEXTANALYSE
2.4.1 PROLOG (V.1-30)
Glück und Ehre müssen auf dem Ethos gründen → Garant einer solchen
Haltung: Artus, Inbegriff der Idealität
Artus wird in doppelter Perspektive gesehen:
o historische Vergangenheit fremder Geschichte
o ideeller Aktualität des in ihm verkörperten Programms
Hartmann zeigt sein Selbstverständnis: hat Zugang zu schriftlicher Bildung,
Schreiben ist aber anderer Tätigkeit nachgeordnet
2.4.2 HANDLUNGSAUSLÖSUNG: KALOGREANTS ERZÄHLUNG (V.31-944)
Handlung beginnt mit dem Pfingstfest am Artushof, zeremonieller Charakter
löst sich in unterschiedliche, private Formen der Unterhaltung auf (Mittagsschlaf
Artus)
Kalogrant erzählt, Keie wird in seiner ambivalenten Funktion als Störenfried und
Hofzensor vorgestellt
Kalogreants Bericht beginnt mit topischen Aufforderungen an seine Hörer, sein
Ausritt entsprach ganz dem Aventiuremuster, er ist in der Wildnis, wartet auf
einen Zufall, trifft auf einen friedlichen Waldmenschen, der ihn nach seiner
Aufgabe fragt
die Definition einer Aventiure bleibt rein äußerliche Hülle
K. will nun die Brunnenaventiure lösen, wird jedoch von Askalon, dem
Quellenritter der Unrechtmäßigen Fehde beschuldigt; K. weiß nämlich nicht alles
über die Quelle, geht unvorbereitet in die Aventiure
für Iwein ist die Schande seines Verwandten Grund genug um aufzubrechen,
durch Keies höhnische Zweifel erhöht sich seine Motivation
durch das Interesse Artus ist er gezwungen, heimlich aufzubrechen und allein auf
Askalon zu treffen
2.4.3 ERSTER ZYKLUS
2.4.3.1 IWEINS BRUNNENAVENTIURE (V.945-1134)
Aventiure nimmt den erwarteten Verlauf, der Kampf ist hart und erbittert, Iwein
verwundet Askalon tödlich, der flieht und Iwein verfolgt ihn
diese Szene als Schlüsselszene zu sehen ist problematisch:
Beteiligte halten sich an das übliche Schema; zwar verschonen Artusritter ihre
Gegner meist, aber nur wenn diese ihre Niederlage anerkennen
Iwein verfolgt Askalon (jaget in ane zuht) → Debatte um Bedeutung
Spannung zwischen Plan und Ergebnis: Iwein besiegt zwar Askalon, ist aber
selber im Burgtor gefangen
2.4.3.2 DIE ERWERBUNG LAUDINES (V.1135-2445)
Lunete wendet die akute Todesgefahr für Iwein ab (auch als Dank für
Entgegenkommen am Artushof)
Laudine tritt auf → Totenklage für den verstorbenen Ehemann
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Iwein verliebt sich augenblicklich in Laudine und kann nur hoffen, dass es ihr
bald genauso geht → Laudine ist im Moment unerreichbar für ihn (vgl. Hohe
Minne)
Zwangssituation für Iwein: einerseits fehlt ihm der Beweis für seine Aventiure,
andererseits will er nur Laudine und keine Ehre mehr
Lunete erkennt Iweins Zustand
Lunete arbeitet auf Laudines Sinneswandel hin: Laudine soll den toten Gatten
mit einem noch besseren Ritter ersetzen; braucht einen Quellenritter; ist wegen
Artus bevorstehender Ankunft in Zeitnot
Laudine wehrt sich noch, Hartmann fügt hier seine Überlegungen über weibliche
güete ein
Laudine will einen Ritter ohne ihn zu heiraten
Laudine denkt um: sie hält Iwein zu gute in Gegenwehr gehandelt zu haben
(Hartmann schreibt dies der minne zu) und will nun als Quellenritter den Sieger
über Askalon
betreibt die neue Verbindung in geradezu unziemlicher Eile und sehr aktiv
Rest ist Komödie: Lunetes fingierte Botensendung, arrangiertes
Zusammentreffen, Liebesgeständnisse von Laudine und Iwein
Kniefall und Huldbitte Iweins unterstreichen die Funktion der Minne als der
lehnsrechtlichen Abhängigkeit vergleichbar
statt der Ehre einer Aventiure hat Iwein nun Frau und Herrschaft
glückliches Ende für Iwein
Rolle Laudines vielschichtig: als ursprüngliche Quellenfee konnte sie ihre
Herrschaft alleine verteidigen, mit der Transposition in eine realere Welt
brauchte sie einen Verteidiger, der ihr Ehemann wurde
es bleibt allerdings die Härte, dass der gewählte Nachfolger den Vorgänger
getötet hat → anstößig
Hartmann hat das Bild Laudines gemildert, doch auch er blickt ironisch
distanziert v.a. auf die überhastete Neuvermählung
2.4.4 ARTUS BESTÄTIGUNG UND KRISE (V.2446-3238)
Hochzeitsfest geht in Bestätigung durch Artus über: Iwein kann seine neue
Position als Quellenritter zeigen und besiegt Keie (Rachemotiv)
Gawain dankt Lunete für ihre Hilfe, bedrängt aber gleichzeitig Iwein, wieder mit
den Rittern auszuziehen, denn Ehre müsse immer wieder neu erworben werden
allerdings nimmt er keine Rücksicht auf Iweins Position als Landesherr, die ja
eigentlich auch ritterliche Tat beinhaltet (muss Quelle verteidigen)
Iwein folgt blindlings dem Rat und bittet Laudine um Urlaub, sie gewährt ihm
ein Jahr, gibt Iwein einen Ring mit (Symbol für Minne und auch Lehenspflicht)
Gawains Rat wird Iwein zum Verhängnis, denn er turniert ohne auf die Zeit zu
achten und merkt es erst 6 Wochen nach Ende der Frist
Lunete kommt an den Artushof und spricht das Urteil: Iwein ist ein Verräter
Grundtenor der Vorwürfe: Iwein sei ohne triuwe
Laudine bricht jeden Kontakt ab, Iwein ist wie gelähmt, lässt sich auch den Ring
nehmen; Erzähler macht deutlich, dass Iwein nicht aus Verantwortungslosigkeit
versagt hat → zeigt Iwein als verzweifelten Mann
Iwein wird vom Wahnsinn ergriffen und rennt in den Wald
versch. Deutungen sehen im Versäumnis des Termins die eigentliche Schuld
Iweins, weil die Bedingung zu willkürlich sei
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es geht jedoch mit dem Termin um seine Beziehung zu Laudine und die
Verantwortung um ihrer beider Existenz; Termin demonstriert eine
grundsätzliche Haltung, inwieweit Iwein bereit ist, Rechte und Pflichten seiner
neue Position anzuerkennen und auszufüllen
Initialschuld in der Tötung Askalons: auch problematisch
Iweins Identität gerät durch eine Realität in die Krise, der er noch nicht
gewachsen ist
2.4.5 WAHNSINN UND HEILUNG (V.3239-3654)
Iwein sinkt auf eine Existenzform weit unterhalb jeder höfischen Kultur,
Kontrast kann kaum größer sein
Erzähler gibt als Grund die minne an, nur sie könne die Ursache sein →
unterstreicht den Widerspruch zwischen tiefer persönlicher Bindung und
gedankenlosem Terminversäumnis
Begleiterin der Dame von Narison wird der Wahnsinn erkannt und die Heilung
entgang gesetzt, denn Iwein wäre der geeignete Kampfhelfer gegen Aliers, wenn
er denn gesund wäre
Iwein muss nun herausfinden, wer er ist → geleitet nur von seiner ethischen
Person
2.4.6 ZWEITE AVENTIURESEQUENZ
2.4.6.1 HILFE FÜR DIE DAME VON NARISON UND DEN LÖWEN (V.3655-3916)
durch die hilfreich Pflege wird Iwein schnell gesund und vergilt Hilfe durch die
Tat → besiegt Aliers
als Verteidiger verhält sich Iwein, als wenn es um sein eigenes Land ginge und
wird so zum Wunschkandidaten als neuer Landesherr
Iwein bricht überstürzt auf → will seine triuwe Laudine gegenüber beweisen, auch
wenn es zu spät scheint (hilft zwar weiter Frauen, will aber keine neue Bindung)
Hilfe für den Löwen hat programmatischen Charakter: prägt Iweins neues
Selbstverständnis → Hilfe v.a. im Rahmen des Rechts und der Treue
2.4.6.2 HILFE
5540)
FÜR
LUNETE
UND
HARPINEPISODE (EINKEHR
BEI
LAUDINE) (V.3923-
Zufall führt Iwein an den Brunnen zurück, wo ihn die Macht der Erinnerung
überkommt und er ohnmächtig wird
der Verlust der hulde Laudines ist für ihn der Inbegriff allen Unglücks
Dialog mit Lunete holt ihn wieder zurück: erkennt seine Schuld und
Verpflichtung an, er geht aber noch nicht um eine Rückkehr zu Laudine
verpflichtet sich, pünktlich zu einem Gerichtskampf für Lunete zu kommen →
Terminbindung
neuer Konflikt: sein Gastgeber braucht einen Ritter, Iwein ist in Zeitdruck (der
Artushof kann keinen Kämpfer schicken, denn die Königin ist entführt worden)
kann nur dann gegen Harpin kämpfen, wenn der früh genug auftaucht, denn
Iwein muss zum Gericht
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Harpin taucht nicht auf und Iwein durchleidet die Qual widerstreitender
Verpflichtungen und wendet sich an Gott → Harpin taucht doch noch auf und
zusammen mit dem Löwen gewinnt Iwein
kann im letzten Moment auch Lunete helfen
trifft beim Gerichtskampf auf Laudine, die ihn nicht erkennt und ihm Obdach
anbietet → nun will Iwein Laudine wiederhaben
2.4.6.3 ERBSTREIT UND BURG ZUM SCHLIMMEN ABENTEUER (V.5541-7780)
Erbstreit wirft Schatten auf den Artushof, denn es findet sich kein Kämpfer für
die jüngere Schwester, nur Iwein will gegen Gawain kämpfen
Iwein trifft auf die Burg der Schlimmen Abenteuer
paradoxe Situation: vollendet höfischer Burgherr und ungehobelte Torwächter
sowie 300 Frauen in einem Arbeitshaus, die Iwein befreien will
Iwein muss gegen zwei Riesen kämpfen (gewonheit – costume), besiegt sie und
gewinnt damit einen Anspruch auf die Tochter und die Herrschaft, die er mit
Verweis auf Laudine ablehnt
Gerichtskampf mit Gawain vor Artus: beide in fremden Waffen → kein
Erkennen
tagelanger Kampf → Ergebnis: absolute Gleichrangigkeit
Iwein gibt sich als Artusritter zu erkennen → Freude am Hof
2.4.7 RÜCKKEHR UND VERSÖHNUNG MIT LAUDINE (V.7781-8166)
Iwein nun bereit für die Rückkehr, bricht wieder heimlich auf, löst das
Brunnenabenteuer aus → erkennt, dass Laudine noch keinen Nachfolger hat
Lunete spinnt eine kleine Intrige, indem sie Laudine den Löwenritter als neuen
Gemahl schmackhaft macht → Auflösung in Wohlgefallen
2.4.8 THEMATISCHE LINIEN
in großen Linien dem Erec ähnlich, zweiteiliger Weg, Krise in der Mitte
Konflikt entsteht aus dem höfischen Verhaltenkanon, thematisiert aber eine
Spannung zwischen Minne und Kampf
Held erhält sein individuelles Profil und tritt aus dem Artushof heraus, dessen
Normen er weiter verpflichtet bleibt
Iwein will v.a. seine triuwe unter Beweis stellen und zeigen, dass er der Minne
würdig ist → stellt sich in sozialen Konflikten auf die Seite des bedrängten
Rechts → wird zum Löwenritter und erringt erneut Laudines Achtung
Iweins Anstrengungen nach der Krise zielen auf die Demonstration seiner
absoluten Zuverlässigkeit, auch das Zeigen von Desinteresse jeder neuen
Bindung gegenüber
seine Anstrengungen verlagern sich vom bloßen zufallsbedingten
aventiurehaften Kräfemessen zum Engagement in sozialen Konflikten auf der
Seite des bedrängten Rechts
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2.5 IDEAL UND WIRKLICHKEIT. DEUTUNGSMODELLE FÜR DEN ARTUSROMAN
Versuch einer Rekonstruktion der konkreten Probleme und Interessen des
historischen Publikums am Roman
2.5.1 ARTUSSAGE UND ARTUSROMAN IN BRITANNIEN UND FRANKREICH
Ausgestaltung der Artussage bei Geoffrey und Wace steht in unmittelbarem
Zusammenhang mit dem Wunsch der normannischen Herrscher nach
historischer Legitimation → stellen sich in die Nachfolge Artus
Chrétien setzt diese Linie nicht direkt fort, aber auch er steht in Verbindung mit
Gönnern aus dem Haus Anjou-Plantagenet und dessen Dunstkreis (Eleonore
von Aquitanien, Marie de Champagne, Phillip von Flandern)
auch im Umkreis Chrétiens nimmt Artus einen wichtige Platz im Geschichtsbild
ein, werden die Romane an stofflich an ein starkes historisch-ideales Interesse
angeschlossen
o großes Sinnpotential: Artusroman nach Chrétien nur noch im
anglonormannischen Bereich, Versuch eines Anschlusses an reale
Ortsnamen und Herrschaftstitel; Versuch, aktuelle Interessen
anzusprechen
o französischsprachige Artusdichtung bleibt eng mit der britannischen
Geschichtsperspektive verbunden → erklärt die Reserviertheit des frz.
Königshauses zu den Artusromanen
Geschichte um Artus ist der Raum, in dem die Romane innerhalb einer utopischideal gesehenen Vergangenheit Orientierungsmuster für die Gegenwart
ansprechen können
entscheidend für die Thesen sind zwei vers. Voraussetzungen
o gibt es ein mehr oder weniger einheitliches Bewusstsein des (in sich
schon stark abgestuften) Adels, das als Ansatzpunkt für die Vermittlung
zwischen realer und erzählter Welt dienen kann
o sind die Spannungen innerhalb des Adels schon so stark, dass sie
bestimmenden Einfluss auf die Thematik nehmen; ist das gemeinsame,
einheitliche Ethos der Romane also Kompensation der
Strukturprobleme des Adels
E. KÖHLER geht von der zweiten Voraussetzung aus und sieht in den Romanen
Chrétiens einen Sinnentwurf für ein in der Realität schon gefährdetes Rittertum
Zweiteilung ergibt sich für ihn zwangsläufig: im 1. Teil ist der Ritter ein
Individuum, das sich im Kampf und Minne selbst bestätigt; im 2. Teil wird der
Ritter wieder in die Gemeinschaftsordnung integriert und der soziale Anspruch
der Handlungsnormen gefestigt
erzähltes Ideal und realer Entwurf entfernen sich immer mehr voneinander →
Ursache sind tiefgreifende Interessenkonflikte, die die Widersprüche innerhalb
der feudalen Gesellschaft verschärfen
einerseits zwischen Zentralgewalt und großen Vasallen
andererseits zwischen den großen Vasallen und der großen Masse an
Kleinadligen
Antwort des Romans: zeigt ein kompensierendes gemeinsames ethisches Ideal,
das die Widersprüche zu lösen sucht
o Konflikt zwischen dem Königtum und den Vasallen wird das Bild der
Tafelrunde gegenüber gestellt (gleichberechtigte Partner)
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o verarmter Kleinadel bekommt als Ideal den aventiuresuchenden Ritter
präsentiert, in dem die ständische Unterscheidung zwischen Hoch- und
Niederadel verneint wird
Deutungsmodell von KÖHLER auf zwei Ebenen kritisiert:
o theoretische Prämissen: literarische Thematik stünde in einem
dialektischen Verhältnis zur gesellschaftlichen Struktur
o Abstraktion der sozialen Struktur von den hist. Quellen: zumindest
fragwürdig, ob das frz. Königshaus einen so großen Einfluss auf den
Artusroman haben konnte
2.5.2 ÜBERTRAGUNG IN DEN DEUTSCHSPRACHIGEN BEREICH
Übernahme von höfischer Kultur aus dem zu dieser Zeit vorbildlichen
Westeuropa
Artus bietet kaum Verbindungen zum eigenen Geschichtsbild, Interesse also
vermtl auf dem dort formulierten adligen Leitbild → wichtigste Begründung für
das Hervortreten ideeller Programmatik in den dt. Romanen
Hartmann passte die Romane der Vorstellungswelt seines dt. Publikums an
Bsp.: Enites Vater wird vom Vasallen zum Grafen (Vasall hatte keine adäquate
Entsprechung in der dt. Lehnspyramide)
2.5.2.1 DISKUSSIONSMEDIUM
MINISTERIALITÄT
AKTUELLER SOZIALER
PROBLEME
FÜR
ADEL
UND
Probleme des Romans werden meist als Ergebnis der Schichtung der adeligen
Hierarchie gesehen (Ministerialengeschlechter werden adelig, Vasallen werden
abhängiger…)
einige Ansätze für eine Rekonstruktion sozialer Thesen (Cramer, Kaiser)
o Cramer sieht den Ordnungsverstoß in der Ehe Enites mit Erec, die nicht
standesgemäß sein (Armut) und deswegen müsse sich das Paar bewähren
o Kaiser sieht das zentrale Identifikationsmoment für den
Ministerialenadel in den Aventiuren als Handlungsmuster, die einerseits
Leistung mit sozialer Zwecksetzung verbinde, andererseits ere und
Aufstieg in Aussicht stelle
o Kritik an Kaiser v.a. wegen der Nichtberücksichtigung der Minne
Mertens sieht im Iwein v.a. die Probleme der adligen Frau in Herrschaftsposition
zwischen Vernunftehe und Neigungsehe thematisiert
daneben noch die Interessen besitzloser Jungritter
reichen solche Analysen einzelner, enger Gruppen aus oder muss der Roman
eher als ganzes gesehen werden
vielleicht auch Augenmerk auf Gemeinsamkeiten zwischen dem Roman und
historischer Realität
2.5.2.2 SELBSTREFLEXION EINER LAIKALEN ADELSGESELLSCHAFT
Theorie geht davon aus, dass trotz aller Unterschiede im Adel dennoch ein
einheitliches Bewusstsein vorherrschte, welches in den Romanen reflektiert
werden konnte
laikale Adelsgesellschaft verfügt über kaum ein anderes Medium zur
Selbstvergewisserung ihrer Lebenspraxis als die volkssprachliche Literatur und
ihre Unabhängigkeit von lateinisch-klerikaler Bildung
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dafür spricht der ritter-Begriff, der kein ständischer Begriff ist, sondern für
Hoch-und Niederadel verwendet werden kann
harmonische Märchenromane eignen sich zur Bestätigung von
Verhaltensnormen, durch die Zweiteilung kann der Leser in den
Erfahrungsprozess des Helden eintauchen und sich mit den Handlungsnormen
kritisch auseinandersetzen
Hartmanns Romane lassen sich als „Modell sozialer Identitätsbildung“
verstehen, das ein neues Selbstverständnis zum Ausdruck bringt
utopischer Charakter des Leitbildes: deutlich an der thematischen Beschränkung:
Ehre im Kampf und Minne sind neben Jagd und Pflege und Förderung der
Künste die zentralen Werte europäischen Adels
andere Interessen werden im Artusroman nicht thematisiert und erhalten auch
nie vergleichbaren Wertcharakter
im Mittelpunkt des Ideals steht die unbehinderte Selbstbestimmung des Subjekts,
die ist aber in der realhistorischen Welt so nicht zu verwirklichen → Schaffung
eines Ideals unabhängig von der Realität
CRAMER, Thomas: Iwein. Berlin 42001.
Iwein oft als Komplementärroman zum Erec gesehen
o Erec verligt sich, Iwein verrittert
dieser Ansatz mit Sicherheit nicht verkehrt, zeigt
Oberflächenbefund und lässt viele Einzelheiten offen
aber nur
einen
Schuldfrage:
Voraussetzung für den Roman: Schuld-Sühne-Schema
wenn man Iweins Aventiurefahrt als Sühneleistung ansieht, dann muss es eine
Verfehlung gegeben haben und wenn diese Verfehlung nicht der Bruch des
Versprechens vor Laudine ist, was dann?
Tod Askalons: Iwein verfolgt den Verwundeten ane zuht
Hartmann missbilligt dieses Vorgehen, zeigt den Lösungsansatz
im 2. Weg, als Iwein mit Aliers kämpft, ihn auch verfolgt und dann aber
nicht tötet
Abenteuerstruktur
v.a. Aufsatz von Kuhn
doppelter Kursus, Doppelweg
o Iwein gliedert sich in sechs Episoden, teilbar durch die Entführung der
Königin
o Doppelweg wird zu dem Erzählprinzip des Artusromans schlechthin →
unzutreffend, da schon Chrétien im Lancelet ein anderes Erzählprinzip
verwendet
Doppelweg für Erec und Iwein allerdings plausibel
o Sinn des Doppelwegs kann nicht in einer Allegorie des Heilsweges
liegen, v.a. beim Iwein nicht möglich
o beim Erec einfacher, 6 Abenteuer entsprechen den 6 Weltaltern, nach
dem ein 7. der Ruhe komme (joie de la curt)
o auf den Iwein kann dieses Schema nicht übertragen werden, da ein 7.
Abenteuer fehlt
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Laudine
o Deutung als selbständige, machtbewusste Landesherrin, die gleichwohl
auf männliche Hilfe angewiesen ist
o Grundkonflikt sei ein Missverständnis zwischen Laudine und Iwein:
Iwein gehe von einer Liebesheirat aus und vernachlässige deshalb seine
Pflichten als Landesherr, während Laudine als Landesherrin in Iwein den
Verteidiger sieht
o Konsequenz dieser These wäre: alles was außerhalb des
Herrschaftsbereiches liegt müssten zu unverbindlichen Lustbarkeiten
abqualifiziert werden, in letzter Konsequenz wäre der Iwein der Roman
des Scheitern arthurischer Idealität und Realitätsferne
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