musterseite - MM-Musik-Media
Transcription
musterseite - MM-Musik-Media
Marshall_Marshall 07.12.12 14:12 Seite 128 Hard-Rock-Klassiker neu aufgelegt Marshall DSL100H Welche Marshall-Modelle sind die Klassiker par excellence? Logisch: der 1959, auch Superlead genannt, und der 2203. Sie sind aus der Tradition nicht wegzudenken, ihre Gene haben immer wieder neue Modelle befruchtet und werden das wohl weiterhin tun. Drei Jahre vor Anbruch des neuen Milleniums packte Marshall quasi beide mit modernisierter Technik in ein Chassis. Der DSL100 ward geboren, Dual-Superlead, das Ding war heiß wie Nachbars Lumpi, Gain ohne Ende, Tuning über flüssig. TEXT EBO WAGNER | FOTOS DIETER STORK Der DSL100 gehörte zur JCM2000-Serie, die parallel die aufwendiger gestalteten TSL-100 und TSL-60 Modelle umfasste. Den DSL gab es auch als 50-Watt-Head und es durfte natürlich auch ein Combo (1×12") nicht fehlen. Der war allerdings nicht mit EL34 in der Endstufe bestückt, sondern mit EL84, und im Sound daher weniger resolut. Mit dem Erscheinen der JVM-Serie begann das Ende der JCM2000-Modelle. Da die Nachfrage hierzulande lebhaft blieb, hat der deutsche Vertrieb als „Special Order“ 128 921 sowohl den DSL50 als auch den DSL100 (zuletzt € 1340 UVP) noch bis Anfang 2012 verkauft. Nun werden die bis dato in England gebauten Verstärker durch OEM-Modelle aus Vietnam ersetzt, was offensichtlich mit dem Kosten-/Preisdruck auf dem Markt in Verbindung steht. Die neuen DSLs liegen im Preis erheblich niedriger. Der 50-Watt-Head ist Geschichte, er ist in der jetzigen Baureihe nicht mehr vertreten. Dafür aber ein 40 Watt starker 1×12"Combo. Zwei weitere Modelle basieren auf demselben Konzept, erzeugen mit zwei Endröhren vom Typ 6V6 aber eine noch geringere Nennleistung von 15 Watt: Der DSL15C, ein 1×12"-Combo, und der DSL15H, das entsprechende Topteil. Die unverbindlichen Verkaufspreise liegen zwischen € 640 und € 1111. k o n s t r u k t i o n Der DSL trägt seinen Namen, weil ihm das einkanalige Design der alten Marshalls 01.13 gitarre & bass Marshall_Marshall 07.12.12 14:12 Seite 129 Übersicht Fabrikat: Marshall Modell: DSL100H Gerätetyp: E-Gitarren-Verstärker, Topteil, zwei Sound-Kanäle m. je zwei Modes Herkunftsland: Vietnam Technik: Vollröhrenbauweise, Siliziumgleichrichtung Röhrenbestückung: Class-A/BGegentaktendstufe m. 4× EL34; Vorstufe: 4× ECC83 Leistung: max. ca. 100 Watt, (Herstellerang.) Gehäuse: Pressspanplatten (ca. 16 mm), innen mattschwarz lackiert u. a. Boden m. Abschirmfolie ausgekleidet, abnehmbare Rückwand, Lüftungsgitter hinten u. a. d. Oberseite, Kunstlederbezug, Kunststoffkappen an allen Ecken, Gummifüße, Tragegriff a. d. Oberseite Chassis: Stahlblech (ca. 1,4 mm), Kanten verschweißt, stehend montiert, Röhren m. Blechkappen bzw. Sockelkrallen gesichert Anschlüsse: Front: Input; Rücks.: 3 Lautsprecher-Anschlüsse (1× 4 Ω, 1× 8 Ω, 1× 16 Ω), FX-Send, -Return, Footswitch, Netzbuchse Regler: Front: je Kanal (1. ClassicGain, 2. Ultra-Gain): Gain, Volume, Reverb; gemeinsame Klangregelung m. Treble, Middle, Bass, Presence, Resonance Schalter/Taster: Front: Classic-GainClean/-Crunch, Ultra-Gain-Lead 1/Lead 2, Channel-Select, Tone Shift, Standby, Power; Rücks.: FX-LoopOn/Off Anzeigen: Front: 2 LEDs/Kanalstatus, Netzkontrollleuchte Effekte: digitaler Hall/Reverb Einschleifweg: 1× seriell, nom. Pegel ca. -10 dB Gewicht: ca. 24,2 kg Maße: ca. 741 × 274 × 242 BHT/mm Zubehör: Zweifach-Schaltpedal (ohne LEDs, Kabel ca. 4,8 m), Netzkabel, Lautsprecherkabel, Bedienungsanleitung Vertrieb: Musik Meyer GmbH 35041 Marburg www.musik-meyer.de www.marshallamps.de Preis: ca. € 1111 zugrunde liegt, dieses aber mit zwei wechselweise aufrufbaren Preamp-Sektionen kombiniert ist. Diese bieten je zwei Regler, Gain (Verzerrungsintensität) und Volume (Lautstärke). Zwischen diesen platziert erlaubt ein Schalter zwischen zwei Soundmodes zu wählen. Wie eingangs angedeutet, darf man den Namen Dual-Superlead nicht überstreng auslegen. Nur einer der vier Soundmodi bezieht sich nämlich tatsächlich erklärtermaßen auf den 1959-Urahn: Clean im Classicgitarre & bass 01.13 Gain-Kanal. Der zweite namens Crunch eifert bereits dem 2203 nach, auf klassischem Gain-Niveau. Im Ultra-Gain-Kanal – nomen est omen – herrschen heißere Pegelverhältnisse. Marshall nennt als Sound-Ausrichtung wieder den 2203, wobei Lead-1 einen offeneren Ton erzeugen soll als der noch mehr verzerrende, die Mitten stärker betonende Lead-2-Modus. Der DSL100H ist mit einer digitalen Halleinheit ausgestattet. Die Intensität des Effekts ist für die beiden Kanäle separat abstimmbar. Der Schalter Tone-Shift in der Klangregelstufe ermöglicht es Mid-Scoop-Sounds zu erzeugen. Schon am Vorstufenlayout zeigen sich Unterschiede zum alten DSL. Der hat/hatte z. B. einen Federhall. Außerdem konnte man mit dem Deep-Switch den Bassdruck betonen: Nicht vorhanden bei der neuen Version. Och ... schade. Nee, gar nicht, statt dessen darf man sich nämlich über einen Resonance-Regler freuen, mit dem man die Funktion nun stufenlos zur Hand hat. Auch an der Rückseite sind Änderungen erkennbar. Der serielle FX-Weg muss/kann auf den früheren Pegelumschalter (Loop Level) verzichten, weil er mit nominal ca. -10 dB schon universell funktioniert. Auch anders: Der alte DSL hatte neben einem 16-OhmLautsprecherausgang zwei weitere parallel liegende Ausgänge, die man auf acht oder vier Ohm umschalten konnte; praktisch, wenn man sich ein nettes Türmchen mit zwei Boxen mit je 16 oder 8 Ohm hinstellen wollte. Das geht jetzt nicht mehr ohne Weiteres, denn der DSL100H bietet für jede Impedanz nur noch eine Buchse an. Was es beim Vorgänger noch nicht gab: Einen Umschalter Pentode/Triode, der die Leistung senkt und die Tonfarbe verändert. Dass per Marshall_Marshall 07.12.12 14:12 Seite 130 Fußschalter der Kanalwechsel und der Reverb-Status kontrolliert werden kann, ist beiden DSL-Generationen zueigen (der alte hatte dafür zwei Mono-Klinkenbuchsen, der neue nur noch eine, stereo). Ein solides Schaltpedal mit Metallgehäuse gehört bereits zum Lieferumfang. Die Kabellänge beträgt ca. 4,8 Meter, was wohl in vielen Fällen ausreichen wird. Weniger schön bis unverständlich ist die Tatsache, dass das Pedal keine LED-Anzeige hat (zum Lieferumfang gehören außerdem ein kurzes Lautsprecherkabel, ein Netzkabel und eine mehrsprachige, informative Bedienungsanleitung, u. a. in Deutsch). Die Zeiten, da man das Näschen rümpfen durfte, wenn man hörte, dass Produkte aus Fernost kommen, sind längst vorbei. Asien hat sich gemausert und ist in mancher Hinsicht inzwischen schon marktführend. Andererseits darf man sicher sein, dass renom- Änderungen im Detail an der Ausstattung, neu: Pentode/Triode-Schalter mierte Firmen wie Marshall mit Argusaugen auf die Einhaltung der Qualitätsnormen achten; man hat schließlich einen Namen zu verlieren. So sieht der Fachmann den Innereien des DSL100H zwar an, dass die Fertigung auf Rationalität ausgerichtet ist, der Aufbau hinterlässt aber einen wertigen und vertrauenserweckenden Eindruck. Etwas irritierend wirkt vor dem Hintergrund, dass leichter Flugrost die Kernbleche am Netz- und Ausgangstrafo verunziert – ein Schönheitsfehler, funktional unbedenklich. Die Fassungen der Vorstufenröhren sind direkt auf der großen Hauptplatine verlötet, die der vier EL34 in klassischer Manier frei verdrahtet. Bei V1 handelt es sich um eine selektierte, mikrofoniearme ECC83, die zudem von einer Blechkappe fixiert und elektrisch abgeschirmt wird. Stramme Sockelklammern (von Belton, wie auch die Fassungen) halten die EL34. Sie können im Handumdrehen eingemessen werden, da innen auf der Platine Messpunkte und zwei Trimmpotis vorhanden sind. Der Bias war 130 131 nun mit Resonance-Poti statt Deep-Schalter ab Werk auf ca. 35 mA/Kathode bei 444 Volt Anodenstrom justiert: der Wert liegt gesund auf der „warmen“ Seite. Das Gehäuse des DSL100H punktet mit sehr sauberer Verarbeitung. Was allerdings das Hinweisschild zu den Sicherheitsvorkehrungen an der Unterseite zu suchen hat, ist unverständlich. Unter dem Tolex verbirgt sich nicht vielschichtige Birkenholzplatte, sondern ein einfacheres Holz bzw. bei der Rückwand eine Art Pressspan-Material. Oben sind zwei Lüftungsschlitze aus Kunststoff montiert sowie Marshalls bequemer Tragegriff der neuesten Generation. Was man erst bei näherem Hinsehen bemerkt: Die typischen Kunststoffecken werden nicht von Nieten gehalten, sondern sind angeschraubt. Das bricht mit der Tradition, ist letztlich aber erfreulich, weil eine defekte Kappe so viel leichter ersetzt werden kann. p r a x i s Kein Wunder, dass nach diesem immerhin 15 Jahre alten Amp-Modell stetig Nachfrage bestand. Schließlich produziert es den klassischen Marshall-Ton in seiner ganzen Bandbreite. Der neue DSL100H scheint sogar noch etwas aufpoliert zu sein, denn er wirkt in manchen Facetten geschmeidiger als sein Vorgänger. Ich habe auch den Eindruck, dass er nun intensiver in Obertöne umkippen will. Der Clean-Modus macht im Charakter eine Ausnahme. Er präsentiert sich gar nicht so urbritisch, erfreulicherweise, weil er gleichzeitig kraftvoll warm und frisch in den Höhen agiert. Nichts Quälendes im Klang, schon tendenziell offensiv, aber nicht aufdringlich. Ein großer Ton, der seinen Charme fast noch eleganter einsetzt, wenn man ihm minimale Anzerrungen erlaubt. Im Crunch-Modus formt der Classic-Gain- Kanal den Sound genauso lebhaft. Die Overdrive-Sättigungen setzen subtil ein und steigern sich bis in moderate Distortion. Ab von dem ohnehin schon betörenden Retro-Klangerlebnis darf man sich über sehr harmonische Zeichnung von Mehrklängen bzw. Akkorden freuen. Das ist auf seine Weise referenzverdächtig. Das Frappierende an dem Amp ist, dass er diese Eigenschaft bis in die sehr heißen Gain-Gefilde des Lead-2-Modus erhält. Selbst bei Gain-Vollgas sind die Tonstrukturen von Akkorden noch detailliert dargestellt. Und trotz spieltechnisch gesunder Kompression baut der DSL100H weiterhin perfiden Druck auf. Das ist die andere Seite der Medaille. Der Amp kommt dem Spieler entgegen, er braucht nicht viel Energie aus den Saiten um seinen Ton zu entfalten. Egal für welchen der beiden Lead-Sounds man sich entscheidet, die Wiedergabe trägt und begünstigt filigranes Legato-Spiel. In den Frühzeiten des 2203 konnte man von so was nur träumen. Damit aber keine Missverständnisse aufkommen: Der 2203-Charakter ist durchaus prägend, aber der DSL100H ist trotzdem etwas weicher im Klang, nicht ganz so kernig, er kratzt weniger/anders in den Höhen. Die wie gesagt sehr hohen Gain-Reserven sind in beiden Lead-Modi in etwa gleich. Lead 2 wirkt wegen seiner fetteren Mitten trotzdem intensiver. Der Tone-Shift-Schalter höhlt die Mitten aus, ohne dass die Distortion an Energie verliert. Geht tatsächlich markant in Richtung Metal-Pfund. Tiefstimmen willkommen, Kraft hat der DSL100H genug. Erfreulich variabel ist er obendrein; die Klangregelung arbeitet zufriedenstellend und effizient. Nur Resonance geht etwas zaghaft ans Werk. Eine ganz wichtige Frage bei so einem Konzept ist dann noch die nach der Balance 01.13 gitarre & bass Marshall_Marshall 07.12.12 14:12 Seite 131 Das Angebot im Bereich um € 1000 ist riesig. Guckt man also primär auf den Preis, scheint der DSL100H einige Konkurrenz zu haben. Betrachtet man dagegen mehr seine spezifische Funktionalität und vor allem den Klangcharakter, wird der Kreis sehr eng. Blackstars Stage Venue Head käme vielleicht in Frage. Tonal liegen die beiden aber ein gutes Stück auseinander. Schlussendlich wird man einen direkten Gegenspieler kaum finden; Marshall halt, SignatureSound. r e s ü m e e Nein, es muss nicht immer teure BoutiqueWare sein, wenn man einen „edlen“ Sound haben möchte. Der DSL100H macht es vor. Seine Wiedergabe pflegt die Tradition, rockt musikalisch wertvoll, ist bodenständig britisch, präzise im Detail. Highlights sind seine sensible Ansprache und das in sich sehr harmonische Zerrverhalten. Ein HotRod-Marshall nicht nur für Puristen. Fazit: Preis und Leistung stehen in einem gesunden Verhältnis. n Plus • Sound & Variabilität • Dynamik, Transparenz & Durchsetzungsvermögen • Zerrverhalten • hoher Schalldruck • Ausstattung & Konzept • geringe Nebengeräusche • gute, deutschsprachige Bedienungsanleitung • Verarbeitung & Qualität der Bauteile Minus Minus a l t e r n a t i v e n Plus zwischen den Sound-Modi. Hat Marshall klasse hingekriegt. Dass man beim Wechsel zwischen Classic und Ultra versucht ist die Klangregelung zu bemühen, dürfte eher selten sein. Außerdem kann man ja (sofern vorhanden) im Zweifelsfalle noch mit dem Tone-Poti an der Gitarre einiges bewirken. Die Verwendung digitaler Hallmodule sieht man immer häufiger. Es spricht ja auch nur wenig dagegen, wenn, wie hier beim DSL100H, der Raumeffekt plastisch und angenehm natürlich klingt. Zusätzlich ergibt sich damit ja vielmehr der Vorteil, dass sich der Hall nicht durch laute Schallwellen aufschaukeln kann. Digitaler Hall ist bei so einem Kraftpaket sicher die bessere Wahl; lassen wie die Federhallsysteme den Vintage-Amps. Wer Outboard-Effekte benutzen will, kann im Übrigen seinen Neigungen freien Lauf lassen. Der FX-Weg ist funktional makellos und schränkt die Qualität der Sound-Formung nicht ein. • Schaltpedal ohne LEDAnzeige