Theologie der Musik
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Theologie der Musik
p wr LiniattLan.ti.raafz: "g -- -y f r r Gro-ßer i SS E £ g-TjCTTJ» Gott, wir • ! f:^r^"-i lo - ben dich! I i t ». r?7- H Rheologie 4er ^ / 2 <^nzlfi£u/n ü/rsz asls£llans c ^ ^ T ^ J ^ Una aslstllc/zS^LlsasZ asz ((^szaanasnnsli ^fsqsnarazt, ^Lalsnallsasz una füz z/^zsalgsz una una füz alle, als <ffo££ auf als zsenis t^yliusln In C?TZ£ ml£ una-Z-o/rassana usznszzllahsn aiollEn. jDoasnJiofen, ^shlsmlrst 7pS7 Theologie der Musik - Inhaltsverzeichnis 1 Geistliche Musik und Lieder in Bibel und Kirchengeschichte bis zur Reformation (Überblick) 1.1 Musik zur Zeit des Alten Testaments 1.1.1 Die Blütezeit Israels unter David und Salomo 1.1.2 Einige Erklärungen zu Instrumenten, die in dieser Zeit genannt werden: 1.1.3 Erklärungen zu Formen des Singens imA.T. 1.2 Musik im Neuen Testament 1.2.1 Ein Wort zur Singfreudigkeit der urchristlichen Gemeinde 1.3 Das Mittelalter 8 10 16 18 20 21 1.3.1 Musikanschauungen des Mittelalters, Einfluß der Griechen, Kampf der Kirchenväter gegen Einflüsse aus dem Heidentum. 21 1.3.2 Die einstimmige Musik des M. A. = Der Gregorianische Choral 24 1.3.3 Die Melodien des Gregorianischen Chorals... 25 1.3.4 Die Mehrstimmigkeit 26 1.3.4.1 Die Motette 27 1.3.4.2 Die Messe 28 1.4 Musik im Zeitalter der Reformation 1.4.1 Martin Luther 1.4.2 Ulrich Zwingli 1.4.3 Johannes Calvin Manfred Pickhardt: Theologie der Musik 30 30 33 34 Seite 2 2 Einführung in die Hymnologie 2.1 Das Lied in der Urgemeinde 2.2 Das Lied der alten und mittelalterlichen Kirche 2.3 Das Lied in der Reformationszeit: Martin Luther 2.4 Dichter um und neben Luther 2.4.1 Johann Walter (1496-1570)_ 2.4.2 Nikolaus Hermann (um 1480-1561) 2.4.3 Justus Jonas (1493-1555) 2.4.4 Paul Speratus (1484-1551) 2.4.5 Nikolaus Decius (um 1485-1546 oder später) 2.4.6 Johann Gramann (1487-1541) 2.4.7 Die Böhmischen Brüder 2.5 Das reformierte Psalmlied 41 2.6 Das Lied im Zeitalter der Gegenreformation (Bekenntnislied 1560-1618) 41 2.6.1 Nikolaus Seinecker (1528-1592) 2.6.2 Valerius Herberger (1562-1627) 2.6.3 Ambrosius Lobwasser (1515-1585) 2.6.4 Cornelius Becker (1561-1604), 2.6.5 Bartholomäus Ringwaldt (1530-1598), 2.6.6Philipp Nicolai (1556-1608) 2.7 Paul Gerhardt und seine Zeit (1618-1680) 2.7.1 Martin Opitz (1577-1639) 2.7.2 Johann Heermann (1585-1647) 2.7.3 Heinrich Albert (1604-1651) 2.7.4 Georg Neumark (1621-1681), 2.7.5 Paul Gerhardt (1607-1676) 2.8 Das Lied im Pietismus (1680-1750) 2.8.1 Johann Scheffler (1624-1677) 2.8.2 Johann Jakob Schütz (1640-1690) 2.8.3 Johann Heinrich Schröder (1667-1699) 2.8.4 Joachim Neander (1650-1680) 2.8.5 Gerhard Tersteegen (1697-1769) 2.8.6 Benjamin Schmolck (1672-1737) 2.8.7 Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700-1760) 2.8.8 Christian Gregor (1723-1801), 2.8.9 Karl Heinrich von Bogatzky (1690-1774) 2.8.10 Philipp Friedrich Hiller (169-1769) Manfred Pickhardt: Theologie der Musik 42 42 42 43 43 43 44 44 44 45 45 45 46 46 47 47 47 47 48 48 49 49 49 Seite 3 2.9 Das Lied in der Zeit der A ufklärung 2.9.1 Christian Fürchtegott Geliert (1715-1769) 2.9.2 Friedrich Gottlieb Klopstock (1724 -1803), 2.9.3 Matthias Jorissen (1739 -1823) 2.9.4 Ehrenfried Liebich (1713 -1780) 2.9.5Matthias Claudius (1740-1815) 50 50 51 52 52 52 2.10 Das Lied von E. M. Arndt bis zur Mitte des 20. Jhs. 2.10.1 Ernst Moritz Arndt (1769 -1860) 2.10.2 Karl Johann Philipp Sputa (1801 -1859) 2.10.3 Friedrich Spitta (1852 -1924) 2.10.4 Heinrich Ernst Gebhardt (1832 - 1899) 2.10.5 Rudolf Alexander Schröder (1878 -1962) 2.10.6 Jochen Klepper (1903 - 1942) 2.10.7 Otto Riethmüller (1889 -1938) 2.10.8 Kurt Müller-Osten (1905- ) 2.10.9 Dietrich Bonhoeffer (1906 - 1945) 5 53 54 54 54 54 55 55 55 55 2.11 Das neue Lied 56 2.12 Das Lied in der Adventbewegung 58 2.13 E. G. White und ihre Aussagen über Musik 63 2.14 Die Kontrafakturen (geistliche Texte zu weltlichen Melodien) _ 6 Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 4 1 Geistliche Musik und Lieder in Bibel und Kirchengeschichte bis zur Reformation (Überblick) 1,1 Musik zur Z&H ä&$ Alt&n T$$ism&t$t$ Gen. 4, 21: Jubal-Musik, Musik zur Freude der Menschen, entspricht Pred. 2, 8-11 Num. 10, 2-10 ff: von Gott befohlene Musik, sie dient als Gefäß seiner Rede. Unter ihr gibt er sein Gesetz (Ex. 19, 16-19), wird er gegenwärtig (2. Chr. 5, 13; Ps. 22, 4). Das Lied soll ihn bezeugen (Deut. 31, 19-21). Diese Musik ist ein Geschenk (Ps. 40, 4) und hat Lob- und Dankfunktion (Rieht. 5, 3; 1. Chr. 16, 9; Ps. 33, 1-3). Sie ist eine Musik, die konstitutiv zum Gottesdienst des A. T. gehört, förderen Pflege eine eigene Musikakademie eingesetzt wird. (1. Chr. 15, 16) .Über die frühe Geschichte Israels haben wir, musikalisch gesehen, nur spärliche Angaben. Es gibt keine bildlichen Darstellungen. Eine musikalische Notation gab es nicht. Die vergleichende Musikwissenschaft bzw. die Nachbarn Israels erlauben aber Rückschlüsse. (Siehe „Jewish Music", S. 3) Die Musik Israels wird von Nachbarvölkern beeinflußt: Die Sumerer hatten z. B. Klappern, Zimbeln und Schellen, auch Trommeln, Hörner und Trompeten (Siehe Ausgrabungen der Königsgräber in Ur, der Hauptstadt der Sumerer). Aus der Blütezeit Ägyptens sind 26 Instrumente bekannt (Neues Reich 1600 bis 700). Nur zwei davon scheinen ägyptischen Ursprungs gewesen zu sein: Sistrum und Schalmei. Mehr oder weniger waren alle Instrumente im östlichen Mittelmeerraum bekannt. Wenn Israel 430 Jahre in Ägypten war, dann darf angenommen werden, daß sie die Musikkultur kannten und beim Auszug eine Anzahl Instrumente mitnahmen. Die Ägypter entwickelten Melodien in Tonarten (Modi), die von den Hebräern ausgebaut und an die Griechen weitergegeben wurden. Mose war in ägyptischer Kunst und Wissenschaft von ägyptischen Priestern erzogen worden. Nach P. Gradenwitz lernte Israel in Ägypten Hand- und Fingerbewegungen zur Erinnerung an die Melodien für Sänger und Musiker. Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 5 Eine wichtige Rolle spielte in Israel der Rhythmus n u r bei nichtreligiöser Musik. In Ägypten hatte Israel die singenden Mädchen mit Rhythmusinstrumenten kennengelernt. Musik und Tanz gehörten zusammen, aber nicht im Tempel. David tanzte vor der Bundeslade (2. Sam. 6, 14). Musizierende Mädchen spielen die Langhalslaute, die Tänzerinnenlaute, die Doppeloboe (zwei im spitzen Winkel gehaltene Rohre) und die Vierkanttrommel. Zwischen ihnen die Handklatscherin. Während der Wüstenzeit und der Wanderjahre ist die Schaffung eines geistigen und kulturellen Zentrums nicht möglich. Während der nomadischen Epoche dürften es aber vor allem 6 Instrumente sein, die Israel verwendet: 'ugab eine primitive Hirtenpfeife Kinnor ein Saiteninstrument für die Begleitung des Gesanges. Er hatte die Form einer kleinen runden Leier. Tof eine Rahmentrommel Pa'amon ein Glöckchen oder eine Schelle Schofar das Widderhorn Chazozrah eine durchdringende Trompete (Siehe Namen auf nachfolgender Tabelle!) Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 6 Wichtige Bibelstellen, die Musik und Musikinstrumente erwähnen mit den originalen hebräischen und griechischen Termini (nach Martin Luthers Bibel): Im After* Testament 1. Buch Mose 2. Buch Mose 3. Buch Mose 4. Buch Mose Josua Richter 1. Samuel 2. Samuel 1. Könige Esra 2. Könige 1. Chronik 2. Chronik Daniel Nehemia 4:21 - Kinnor, Ugab 31:27-Kinnor, Tof 15:20-Tof 19:16 ff., 20:18 - Schofar 25:9 - Schofar 10:2,8,9, 13-Schofar 6:4, 5, 6, 8, 9, 13 - Schofar, Keren 3:27, 6:34, 7:8, 16, 18 ff. - Schofar 11:34-Tof 10:5 - Nevel, Tof. Chalil, Kinnor 13:3-Schofar 16:17, 23-Kinnor 18:6 - Tof, Schalischim 2:28 - Schofar 6:5 - Kinnor, Nevel, Tof, Mna'anim, Zelzelim 6:15 -15:10, 18:16, 20:1 und 22 Schofar 1:34,39,41 -Schofar 1:40-Chalil 10:12-Kinnor, Nevel 2:65 - Sänger und Sängerinnen 3:10 - Chazozrah, Zelzelim 3:15- Spielmann 9:13-Schofar 11:14 und 12:13 - Chazozrah 13:8 - Kinnor, Nevel, Tof, Zelzelim, Schofar 15:16, 20 - Nevel, Kinnor, Zelzelim 15:19-28 - Meziltajim, Nevel, Kinnor, Chazozrah, Schofar, Zelzelim 16:5-7, 42-Nevel, Kinnor, Zelzelim, Chazozrah 23:5 - Sänger und Spieler 25:1 ff. - Kinnor, Nevel, Keren, Zelzelim 5:12, 13-Zelzelim, Nevel, Kinnor, Chazozrah 7:6 - Instrumente der Priester 9:11 - Kinnor, Nevel 13:12, 14-Chazozrah 15:14 - Schofar, Chazozrah 20:28 - Nevel, Kinnor, Chazozrah 23:13-Chazozrah 29:25 ff. - Zelzelim, Nevel, Kinnor, Chazozrah 23:15 - Sänger und Sängerinnen 3:5 ff. - Keren, Maschrokita, Katros, Sabca, Psanterin, Sumponia 4:12 (18) ff.-Schofar 7:44, 67 und 10:40 - Sänger und Sängerinnen 12:27, 35, 41,45, 47-Zelzelim, Nevel, Kinnor, Chazozrah, Sänger 39:24 und 25 - Schofar Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Hiob Jesaja Jeremia Hesekiel Hosea Joel Arnos Zephanja Sacharja Psalmen Jesus Sirach 21:12-Tof, Kinnor, Ugab 5:12 - Kinnor, Nevel, Tof, Chalil 14:11 -Nevel 16:11 -Kinnor 18:3-Schofar 23:16-Kinnor 24:8 - Tof 27:13-Schofar 30:29 - Chalil und 32 - Tof, Chalil 58:1 -Schofar 4:5, 19,21 und 6:1, 17-Schofar 31:4-Tof 42:14-Schofar 48:36 - Chalil 51:27-Chalil 26:13-Kinnor 28:13 - Tof und Pfeifeninstrumente 33:3 - Schofar 5:8 - Chazozrah, Schofar 2:1 und 15-Schofar 2:2 und 3:6 - Schofar 5:23 und 6:5 Nevel 1:16-Schofar 9:14-Schofar 14:20-Zelzelim 33:2 - Nevel-Assor 47:6 - Schofar 49:5 - Kinnor 57:9- Nevel, Kinnor 68:26 - Tof 71:22-Nevel, Kinnor 81:3 und 4 - Nevel, Tof, Kinnor, Schofar 92:4 - Nevel, Kinnor 98:5 und 6 - Kinnor, Nevel, Schofar, Chazozrah 108:3- Nevel, Kinnor 137:2- Kinnor 144:9- Nevel-Assor 149:3-Tof, Kinnor 150 - Schofar, Nevel, Kinnor, Tof, Minnim, Ugab, Zelzelei-Schema, Zelzelei-Truah 9:4 und 32:5 ff. - Sänger und Spielleute im Neuen Testament Matthäus Lukas 1. Korinther Offenbarung des Johannes 9:23-Aulos 15:25 - Gesang und Reigen 13:1 - Kumbalon 14:7-Aulos, Kithara 1:10, 4:1, 9:14-Salpinx 5:8 und 14:2-Kithara 18:22 - Kithara, Aulos, Salpinx Seite 7 1.1.1 Die Blütezeit Israels unter David und Salomo Der griech. Kirchenvater Joh. Chrysostomus, Bischof von Konstantinopel, schrieb um das Jahr 400: „ Wenn die Gläubigen in der Kirche wachen, ist David der erste, mittlere und letzte. Bei Trauerzügen und Beerdigungen ist David der erste, mittlere und letzte. In den Konventen (Klosterfamilien) der Jungfrauen, die da Maria nacheifern, ist David der erste, mittlere und letzte." (Grad. 31) David ist zur symbolischen Gestalt eines Schutzpatrons der Musik geworden und die ihm zugeschriebenen Psalmen werden in der ganzen Welt gesungen und gelesen. Die Psalmen bildeten die wesentlichen Stücke •der israelitischen Tempelliturgie und behielten ihre Bedeutung im Gottesdienst aller östlichen und westlichen Kirchen. Im Laufe der Zeit haben die Psalmen viele Werke inspiriert. Der auf der Leier spielende David ist das Thema einiger der größten Bilder und Statuen der Welt. (Nicht auf der Piazale Michelangelo in Florenz. Siehe Abbildungen unten). König David, die Chrotta spielend und vier Schreibern Psalmen diktierend. Miniatur. Ende 10. Jh Auf Bildern des 9., 10. und 11. Jhs. wird David als Ahne der alttest. Musik dargestellt. Zwei der größten musikdramatischen Werke aus unserer Zeit, preisen den königlichen Sänger: ARTHUR HONNEGER, ein schweizer Komponist, gestorben 1955, schreibt: Le Roi David 1921 (Oratorium). Von DARIUS MILHAUD, einem franz. Komponisten, geb. 1892, haben wir eine „Davidsoper". Davids poetische Begabung ist biblisch belegt. Im 2. Chr. 7, 6 wird von Musikinstrumenten berichtet, die der König hatte machen lassen, dem Herrn zu danken. Im 1. Chr. 23, 5 werden 4000 Lobsänger mit Instrumenten genannt, die David für den Lobgesang bestellt hatte. Der Prophet Arnos ruft die in Üppigkeit und König David an der Orgel Links unten ein DrehleierMusikant, über der Orgel das Glockenspiel Englische Miniatur des 13. Jhs. Übermut lebenden Vornehmen in Juda auf, Buße zu tun. Dabei werden in Kap. 6, 5 Lieder und Instrumente von David genannt ( „...die Leier spielen und sich Instrumente bauen wie David" ). In vielen Legenden jüdischer Vergangenheit ist David Erfinder neuer Musikinstrumente. Auch in der christlichen Tradition ist in David der musikalische Glanz am reinsten verkörpert. In den mittelalterlichen und neuzeitlichen Darstellungen sieht man David als Spieler neuzeitlicher Instrumente. Die biblischen Darstellungen sind sicherlich aus MA und Neuzeit, weil im Judentum (Exod. 20, 4) solche Darstellungen verboten waren. Man wurde aber später großzügiger. Der Höhepunkt der israelitischen Geschichte darf wohl mit David und Salomo angenommen werden. David bemühte sich, beide Teile des Reiches 'zusammenzuhalten (1. Chr. 18, 14). Die Bundeslade wurde nach Jerusalem gebracht und die Stadt zur glanzvollen Hauptstadt in politischer, wirtschaftlicher und religiöser Hinsicht erhoben. Das entsprach dem Willen Gottes (Ps. 2, 6; 48, 3+4). Schließlich wurde das irdische Jerusalem zum Symbol für das himmlische. Mit dem Königtum Davids endet das Nomadentum Israels. Das Volk war seßhaft geworden, hatte Muße, seinen Boden zu bearbeiten und dessen Schätze zu heben. Kein Kampf mehr um Weideplätze. Man baut und genießt des Landes Früchte. Eine Zeit wohlorganisierter Kultur und des Lebens entsteht. Jerusalem wird Anziehungspunkt von Pilgern aus nah und fern. Tempel und Hof des Königs waren die ehrwürdigen Quellen geistf /;- ' Führung, sodaß Israel fremde Zivilisationen und Lebensformen überwinden konnte. Die Musik, die früher ländlichen Charakter zeigte (Ps. 23), nahm jetzt städtischen Charakter an. Die biblischen Quellen sprechen gern von der Musik der heiligen Stadt, nennen Sänger und Spieler, die dem Tempel und Hof dienen. Bemerkenswert ist, daß die Chronisten der Bibel sich nicht um die Musik des Volkes kümmern, was übrigens die Geschichtsschreiber in den mittelalterlichen Klöstern auch nicht getan haben. Mit der Zeit machte sich der Einfluß der Tempelmusik auch in den breiten Schichten bemerkbar. Auch hatten die Leviten, die seit David Träger des musikalischen Tempeldienstes waren, ihre Sänger und Spieler unter den Einwohnern des ganzen Landes gesucht. Regionale Vorbereitungsschulen wurden für diesen Dienst geschaffen (Grad. S. 34), (1. Chr. 23, 26+30, Kap. 25), (1. Chr. 15; 16, 1-6). Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 9 1.1.1 Einige Erklärungen zu Instrumenten, die in dieser Zeit genannt werden: 1. Chr. 15.16: Lutherübersetzung: Psalter, Harfe, Zimbeln Original: Nevel, Kinnor, Zelzelim Fangen wir mit dem K I N N O R an. Der Kinnor, ein Saiteninstrument für die Begleitung des Gesanges benützt, hatte die Form einer kleinen runden Leier. „LEIER" ist der Name eines alten Saiteninstrumentes, das als Grundkennzeichen ein Querloch und zwei Hörner hatte, wodurch die Saiten gehalten wurden, im Gegensatz zur Stange der Harfe. Die Leier war das beliebteste und geachtetste Instrument des biblischen Instrumentariums und ist durch Ausgrabungen in Ur (Sumerer, Stadt Abrahams) und in ägyptischen Gräbern in verschiedenen Varianten für ganz Vorderasien belegt (Gradenwitz S. 32). Die verbreitetste Form der Leier war wohl der Kinnor mit 7 Saiten. Es gab aber auch den Kinnor mit 10 Saiten, mit Plektron gespielt. Dieses Instrument wurde wohl mehr bei freudigen, weniger bei traurigen Anlässen gespielt: Ps. 137, 1-3. Die Leier war das Instrument für den Psalmendichter und -sänger und für vokale Aufführungen im Tempel. Ägyptische Riesenleier aus ptolemäischer Zeit (2. Jh. v.Chr.). Der Tierkopf am oberen Jocharm und die mit Knebeln zu stimmenden Saiten erinnern an die vorderasiatische Kerkunft des großen Instruments Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 10 Die hebräische Bezeichnung für Harfe „nevel", zum ersten Mal im 1. Sam. 10, 5 erwähnt, deutet darauf hin, daß der Rahmen des Instrumentes, welches winkelförmig war, aus Tierhäuten gefertigt war. Die Harfe wurde von den Israeliten aus Ägypten eingeführt. Schon in der Zeit der Pyramiden von Gizeh (2600 v. Chr.) war die Harfe das angesehenste Instrument in Ägypten. Es gab verschiedene Formen, kleine und große, tragbare und nicht tragbare (Aida!). Luther übersetzt bei David gern „Harfe", jedoch muß hier „Kinnor" verstanden werden. Davids Instrument war der Kinnor, der anders klang und gebaut war. Wir können nicht an unsere gegenwärtige Harfe denken, wenn wirz. B. 1. Sam. 16, 17+23 nach Luther lesen. (Siehe auch 1. Sam. 10, 5; Ps. 49, 5; 149, 3 u.a.) Wie bei den meisten Saiteninstrumenten damaliger Zeit finden wir eine wechselnde Zahl von Saiten. Üblich waren vor allem die 10- und 12-saitigen Harfen gewesen. Sie wurden mit einem Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 11 Plektron gespielt. In der levitischen Musikakademie (1. Chr. 15, 16-24) waren Harfe und Zimbeln wichtige Instrumente. Als Saiteninstrument war die Harfe das klangstärkste des Tempels. Nach der Tradition waren mindestens zwei, aber nicht mehr als sechs vorgeschrieben. Für die zarter klingende Leier war keine Beschränkung verlangt. Drei altorientalische Harfenformen. Aus Eschnunna (Babylonien). Anf d. 2. Jt. v. Chr •j£\ ' '*?" " "~ y .1 |:. ' J Horizontale Bogenharfe Assyrische Winkelharfe Horizontale Winkelharfe fp/ß''' Musikkapelle König Assurbanipals. (Tympanon, Lyra, Harfe und Zimbeln). 7. Jh. v. Chr. Ägyptische Flachbogenharfe. Der gespannte Bogen, Ausgangsform der Harfen, ist noch deutlich erkennbar. Der lange Hals, in dessen oberem Ende die Saitenpflöcke stecken, erweitert sich unten zum Resonanzkörper. Um 2500 v. Chr Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 12 Der Musikzug des Königs Te 'umman von Elam huldigt König Assurbanipal mit assyrischen Winkelharfen, der horizontalen Winkelharfe, Doppelklarinette und Trommel. 7. Jh. v. Chr. Die ZELZELIM Das hebräische Wort für Zimbeln ist „Meziltajim" ( das griechische „Kymbala" wie auch „Zelzelim"). Die Zelzelim unterschieden sich von den Meziltajim durch die äußere Form. Sie waren erzern und .neben der Pauke das rhythmische Instrument, das hauptsächlich überlebt hat. Außer den Zimbeln finden wir als weitere Schlaginstrumente die „Mna'anim" und die „Schalischim".Die Mna'anim leiten ihre Abstammung vom altägyptischen Sistrum ab, einem Rasselinstrument, das sich mit dem Isiskult im Mittelmeerraum verbreitete. Mit Schalischim ist wahrscheinlich ein triangelartiges Schlaginstrument gemeint, doch könnte die Herkunft des Wortes vom hebräischen „schloshah" = 3, auch auf einen Tanz hindeuten, der auf drei Schritte aufgebaut war. Instrumentenangaben in 1. Samuel 10. 5 Luther Psalter, Pauke, Flöte und Harfe Elberfelder Übersetzung Harfe, Tamburin, Flöte und Laute Pattloch Harfe, Handpauke, Flöte und Zither Manfred Pickhardl: Theologie der Musik Seite 13 Gradenwitz Harfe, Pauke, Pfeife unc|>eier Für das Wort „Pfeife" steht im Hebräischen „Chalil", was modernhebräisch soviel wie Flöte heißt. Dieses Instrument entspricht aber weniger einer Flöte, sondern dem oboenartigen griechischen „Aulos". Etymologisch leitet sich das Wort vom assyrischen „hallalu" = durchlocht, ab. Chalil kommt zum erstenmal im 1. Sam. 10, 5 vor und wird mit „Pfeife" übersetzt. (Gradenwitz S. 37) Dieses Instrument erklingt auch bei der feierlichen Salbung Ägyptische Musikantinnen. Kettenförmige Bogenharfe, Salomos (1. Kön. 1,40). Sein Gebrauch ist Langhalslaute mit mandelförmigem Resonator, die nur von erst im zweiten Tempel belegt. Der Frauen gebrauchte Vierkanttrommel und Handklatscherinnen. Um 1500 v.Chr. durchdringende, ja orgiastische Charakter dieses Instrumentes erklärt die Benutzung "nur an bestimmten Festen, nie am Sabbat (Gradenwitz S. 37). Der Musikzug des Königs Te 'umman von Elam huldigt König Assurbanipal mit assyrischen Winkelharfen, der horizontalen Winkelharfe, Doppelklarinette und Trommel. 7. Jh. v. Chr In 1. Sam. 10,5 geht es um eine prophetische Schar, die weissagt und dabei Instrumente verwendet. Nach einem talmud. Traktat wird der Spieler bei der Kadenz angewiesen, nur auf einer Pfeife zu spielen. So muß es sich beim Chalil um ein Doppelrohr handeln, ähnlich dem Aulos (Doppeloboe). Dieses Instrument finden wir auch z. B. in Jes. 5, 11. 12; Jer. 48, 36; 51,27. Doppelaulos, ein Oboen-Instrument. Um 480 v. Chr. Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 14 Doppelaulos, Wiegenkithara, Winkelharfe und Lyra. Um 440 v. Chr Instrumentangaben in Ps. 33.2: 92. 4:144. 9 z. B. in Ps. 33,2: Luther „ Danket dem Herrn mit Harfen und lobsinget ihm auf dem Psalter von 10 Saiten' Elberfelder „Preiset Jehova mit der Laute; singet ihm Psalmen mit der Harfe von 10 Saiten " Pattloch .Preist den Herrn mit der Zither, spielt für ihn auf der 10-saitigen Harfe " Der hebr. Grundtext sagt hier: Preist den Herrn auf nevel-assor. „Assor" kommt von „assaria" = 10. Der Geschichtsschreiber Curt Sachs (zit. bei Gradenwitz S. 36 j.) glaubt, daß „assor" in Verbindung mit Harfe (nevel) eine Verwandtschaft mit der phönizischen 10-saitigen, viereckigen Zither ist. Dieses Instrument ist aus keiner ägyptischen oder assyrischen Darstellung bekannt, wohl aber auf zwei phönizischen Zeichnungen auf Elfenbein (8. Jh. vor Chr.) überliefert. Es dürfte sich also hier um ein zitherartiges, 10-saitiges Instrument handeln, das als „Psalterium" oder „Psalterion" in den Psalmen nach Luther vorkommt und zum Vortragen einer geistlichen Dichtung benutzt wurde. Es wird auch „Psalter" genannt. Schließlich schreiben einige Übersetzer einfach „10-saitige Harfe". In Anlehnung an das Saiteninstrument „Psalterion" wird das Buch der Psalmen auch der „Psalter" genannt. Als Salomo den Tempel fertiggestellt hatte, konnte der Tempeldienst beginnen. Priester und Gemeinde versammelten sich vor der Bundeslade (2. Chr. 5) und die Leviten begannen am östlichen Ende des Altars mit Zimbeln, Harfen, Leiern und Trompeten zu spielen. Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Psalter: Spanische Handschrift a\ 13. Jhs Seite 15 Die Zahl der im Gesang des Herrn Gelehrten war 288 und ihre Einteilung erfolgte in 24 Gruppen, allesamt Meister (1. Chr. 25, 1-31). Außer den Leviten, die sangen und Saitenspiel verwendeten, spielten bei der Einweihung noch 120 Priester auf durchdringenden Trompeten. (2. Chr. 7, 6). Die Bibel schreibt anläßlich dieser Tempelmusik (2. Chr. 5, 12-14): „Es war, als wäre es einer, der trompetete und sänge, als hörte man eine Stimme loben und danken ... " 587 wurde der 1. Tempel zerstört. Israel ging in die Gefangenschaft. Mit diesem Ereignis ging viel verloren: manches Instrument, manche Quelle über Musik und Aufführungspraxis und manche Schriftrolle. Man muß aber annehmen, daß man nach der Rückkehr aus dem Exil bemüht war, die alte Tradition getreulich wiederzubeleben, wie man ja auch den Tempel nach den biblischen Angaben zu rekonstruieren vermochte. Sicherlich hat dieser gezwungene Aufenthalt in Babylon aber auch musikalische, wie auch dichterische Spuren hinterlassen. Trompeten aus dem Tempel von Jerusalem werden im Triumphzug in Rom eingebracht. Eine schmetternd trillernde und eine weithin hallende Klangfarbe sind von diesem Instrument überliefert. 81 n. Chr. Hebräische Hornbläser bei der Einnahme von Jericho, JosuaRolle. 5. Jh. n. Chr. Wie schon erwähnt, fehlen uns jegliche Aufzeichnungen über Melodien oder Melodiefloskeln. Die Quellen aus Bibel, Talmud und vergleichender Musikwissenschaft können aber nur in etwa einen Einblick in Stil und Klang der Tempelmusik geben. Die Leviten waren auch nach dem Exil verantwortlich, die alte Tradition zu hüten. Sie brachten aus Babylon die dort entwickelten Formen des Singens mit, die für die spätere hebräische Liturgie und auch für die christliche Kirche wegweisend wurden. 1.1.3 Erklärungen zu Formen des Singens im A. T. Die auch heute noch bei den Juden beliebte Singform ist die Antiphon oder Antiphonie. Griechisch: Antiphone = Gegenstimme; antiphonein = antworten, widersprechen, mit lauter Stimme erwidern Antiphon Antiphonie Wechselgesang = wechselchöriges Singen Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 16 Zwei Chorgruppen wechseln gegenseitig ab und machen im Gesang ein Frage- und Antwortspiel. Ein frühes Beispiel antiphonalen Singens ist uns aus Ex. 15 bekannt. Nach dem Durchgang durchs Rote Meer singen Mose und Mirjam im Wechsel oder antiphonal. Im 1. Sam. 18,7 heißt es: „ Und die Frauen sangen gegeneinander und spielten und sprachen: Saul hat 1000 geschlagen, David 10 000. " Manche Psalmen haben einen sich ständig wiederholenden Refrain, der vom Volk als Antwort auf einen vom Priester intonierten Vers gesprochen oder gesungen wird. Beispiele hierfür: 5. Mose 27, 15 ff; Ps. 136; 118. Diese Art ist ein Antwortgesang, der in der Fachsprache responsoriales Singen oder Responsorium (lat. respondere = antworten) genannt wird. Ex.l Ytnmvt« ffoirwn'i Sowg Ü- vt' t tt—f -"""^ _frfi r . E x " Al.geriar» WomgnlsSoTVf » rt—r—er ^T*** f— h—n—i fr 7ti*a* i 11 u t * Traditionelle orientalische Melodietypen, die aus biblischen Zeiten überliefert sein sollen Frauenlieder Ex. 1. Gesang jemenitischer Frauen (jüdisch), aufgezeichnet von E. Gerson-Kiwi. Das Lied wurde von zwei Frauen gesungen, die sich auf Rahmentrommel und Zymbel begleiteten. Ein kurzes pentachordisches Motiv wird viele Male wiederholt. Die rhythmische Periode ist deutlich vierzeitig. Die Trommelfigur ist vom Rhythmus der Melodie mehr oder weniger unabhängig. Ex. 2. Gesang algerischer Frauen (arabisch), aufgezeichnet von R. Lachmann. Diese Melodie weist Ähnlichkeiten mit der jüdischen Melodie Ex. 1. auf. Doch wurde sie ohne instrumentale Begleitung ausgeführt; die Frauen schlagen die Hände in regelmäßigen Rhythmen zusammen. Ex.4 Ramadan ,Sonts of Palesttnian Araba J ü d i s c h e und Melodietypen "* Ut U HI U I L-M U tu U 1 UJ U arabische Ex. 3. Hymnus marokkanischer Juden, aufgezeichnet von E. Gerson-Kiwi. =&= tastTKBxmtol IwUztub Choitu» Ex. 4. Ramadan-Gesang palästinensischer Araber, aufgezeichnet von E. Gerson-Kiwi. Ex.5 Hymn o{ M o r o c c a n Jews tMtzitmeztal äTteräub Ein Vergleich der beiden Hymnen zeigt, daß die Melodien in der Zusammensetzung ihrer Leitern und ihren melodischen Floskeln ziemlich ähnlich sind. Aber ihre Funktionen sind verschieden und im Rhythmus unterscheiden sie sich grundlegend. Der marokkanische Hymnus, der rein vokal ist, wechselt dauernd im Metrum; der palästinensische Ramadan-Gesang, von Solisten und Chor mit Instrumentalbegleitung ausgeführt, ist streng und regelmäßig rhythmisiert. Nahöstlich-orientalische Leitern Ex. 5. Hymnus marokkanischer Juden, aufgezeichnet von E. Gerson-Kiwi. Ein charakteristisches Beispiel der Komposition aus dem Nahen Orient, in Anlage und Technik der seriellen Musik der Neuzeit verwandt: die erste Phrase enthält die Exposition der ganzen „Reihe"; die „Variationen" und Modifikationen des „Themas" bringen eine Intensivierung und konzise Zusammenfassung der Grundreihe. Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 17 Diese Formen werden heute von vielen Kirchen (nicht nur in der Gregorianik!) als wertvolle Bereicherung gottesdienstlichen Singens angewendet. Wenn z. B. heutzutage das Singen eines Bibeltextes als katholisch negativiert wird, dann sei an die biblisch-jüdische Praxis erinnert. „ The Talmud says, that the bible should be read in public and made understood to the hearers in a musical, sweet tune. And he, who reads the Pentateuch without tune shows disregardfor it and the vital value ofits laws. A deep understanding can be achieved only by singing the Thora... " (Zit. aus „Jewish Music", S. 35). 1*2 Musik im Neuen Testament Der aufmerksame Bibelleser und Student der Musikgeschichte weiß um die Herzensbewegungen, die die neue Lehre von Jesus Christus und seiner Erlösung hervorrief. Mit dem Christentum waren Kräfte im Gange, deren sich auch die musikalischen Mittel nicht verschließen konnten. Paulus spricht von einer neuen Kreatur (2. Kor. 5, 17) und die Offenbarung des Johannes (Kp. 5, 9) von einem neuen Lied. Dieses neue Lied ist das „Christus-Lied", die Freude, die Petrus dem David nachempfindet (Apg. 2, 26; Ps. 16, 9 f.) Martin Luther drückt sein Christuserlebnis so aus: „ Der Glaube ruht undfeiert nicht, erfährt heraus, redet und predigt, dichtet schöne, süße Psalmen, singet lustige, liebliche Lieder, damit zugleich Gott fröhlich zu loben und zu danken und auch die Menschen nützlich zu reizen und zu lehren. " „ Gott hat unser Herz und Mut fröhlich gemacht durch seinen lieben Sohn, welchen er für uns gegeben hat zur ERLÖSUNG von Sünden, Tod und Teufel. Wer solches mit Ernst glaubet, der kann 's nicht lassen, er muß fröhlich und mit Lust davon singen und sagen, daß es andere auch hören und herzukommen. " (Theol, der Musik, O. Söhngen, S. 222) Die ersten Christen waren von Geburt Juden. Sie verrichteten ihre Andacht wie gewohnt in der Synagoge bzw. im Tempel. Es gab bestimmte Gebetszeiten (Apg. 2, 46; 3, 1). Später erfolgten die Zusammenkünfte in Privathäusern, noch später in den Katakomben. Zunächst dürfte sich an der Musik nichts geändert haben. Die alten jüdischen Melodiefloskeln (Ps. 69, 1; 80,1; 56,1; 22,1; 9,1), nach denen die Worte in Musik gesetzt wurden, bildeten nach wie vor die Grundlage für das Singen der Psalmen und Cantica. „Canticum" = ein biblischer Lobgesang im Unterschied zu geistlichen Liedern, z. B.: Lk. 1, 46-55 Lobgesang der Maria, in der Kirche als Magnificat bekannt. Lk. 1, 68-79 Lobgesang des Zacharias, in der Kirche als Benedictus bekannt. Lk. 2, 29-32 Lobgesang des Simeon, in der kath. Kirche als Nunc Dimittis bekannt. Nach den Quellen der vergleichenden Musikwissenschaft, die sich an alten Traditionen orientiert, haben die Melodien selten den Umfang einer Quinte oder Sexte überschritten (Grad., S. 46). Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 18 Jesus, der sich mit Fragen der Kunst nicht auseinandersetzte, singt nach dem Mahl (Mth. 26, 30) einen Teil des bekannten Hallel (Psalmen 113-118), das an wichtigen jüdischen Festen rezitiert wurde. Was die Singfreudigkeit unseres Heilandes anbelangt, so dürfen wir wohl mit E. G. White annehmen: „ Christ was often heard singing hymns ofpraise, andyet I have heardpersons say, Christ never smiled. How mistaken their ideas in regard to the saviour: There wasjoy in his heart. We learnfrom the Word that there isjoy among the heavenly angels over one repentant sinner, and that the Lord himselfrejoices over his church with singing. " (Rev. and Herald, Nov. 11,1902) In bezug auf den Gottesdienst ist zu sagen, daß dieser in seiner großen und repräsentativen Form mit Schlachtopfern, Gesang und Instrumentalmusik nur im Tempel erfolgte. Priester und Volk waren im Kult getrennt. Die heiligen Handlungen waren Sache von Berufenen. Anders war es in der Synagoge. Diese Schöpfung des nachexilischen Judentums hatte lediglich Schriftlesung, Psalmengesang, Predigt und Gebet. Jeder erwachsene Israelit konnte für die Erbauung seiner Glaubensgenossen tätig sein, insbesondere natürlich der Schriftgelehrte. (Siehe Lk. 4, 16) Ein Instrumentarium gab es nicht. Das Absingen von Psalmen erfolgte ohne Begleitung. Paulus ist es, der, rückblickend auf den Lobgesang im A T . , der neutestamentlichen Gemeinde die Grundlage geistlichen Singens vermittelt: Kol. 3, 16; Eph. 5, 19; Jak. 5, 13; 1. Kor. 14, 26. Die Texte im Kolosser- wie auch Epheserbrief nennen drei Formen von Liedern: Psalmen, Hymnen und geistgewirkte Oden. Über die Psalmen sind wir uns im klaren. Sie waren sozusagen das Gebetsbuch und Liederbuch der Israeliten. Was aber ist zur Hymne und Ode zu sagen: Das Wort „Hymne" kommt aus dem Griechischen und bedeutet bei diesen 1. eine Musik allein, 2. ein gesungenes Dichterwort, 3. eine allgemeine Bezeichnung eines Festliedes zum Preise der Götter (Herders Kirchenlexikon S. 519). Im N. T. bezeichnet Hymnus einmal den liturgischen Gesang der Hallelpsalmen (Mth. 26, 30; Mk. 14, 26), ein andermal soviel wie Christuslied oder geistliches Lied (Eph. 5, 19; Kol. 3, 16). Die Liturgen des Mittelalters definieren Hymne im engen Sinne als ein mit metrischer oder rhythmischer Kunstmäßigkeit strophisch verfaßtes Lied, welches das Lob Gottes ausdrückt (Herder, S. 520). Ein berühmter Hymnendichter der Frühzeit war Ambrosius, der Bischof von Mailand, gest. 397 n. Chr. Seit dieser Zeit haben wir das Strophenlied. Loblieder oder Hymnen an Christus können auch momentane Geisteseingebungen sein. Im 1. Kor. 14, 26 schreibt Paulus: „Jeder hat aus Geisteseingebung etwas vorzubringen, sei es dieser oder jener Art. Alles aber soll zum Aufbau der Gemeinde dienen. " Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 19 Wir wissen um die außerordentlichen Geisteserregungen (Zungenreden) in der Korinthergemeinde. Wenn ein Mensch erfüllt ist von der Liebe zu seinem Herrn, dann kann er nicht schnell genug Worte finden, er muß jubeln, er muß singen und artikulieren, was ihn beseelt. Auch in der Offenbarung finden wir treffende Stellen, die ein Lob auf das Lamm anstimmen: Offb. 5, 8-14 Lobgesang der 4 Tiere und 24 Ältesten auf das Lamm. Offb. 14, 1-3 Die 144 000 singen das Lied ihrer Errettung. Offb. 19, 1-7 Triumphlied über Babels Fall. Wenn wir auch keine Noten aus der Zeit der Propheten haben (ein berühmter Gelehrter der christlichen Frühzeit, der Bischof Isidor von Sevilla, 560-636, schrieb in einer seiner Chroniken: „Musik vergeht, sofern sie nicht vom Gedächtnis festgehalten wird, denn aufschreiben kann man sie nicht."), so bleiben diese Texte doch ein Hymnus auf den Erlöser. Der dritte Ausdruck in Kol. 3, 16 nennt „Pneumatische Oden". Das Wort Ode kommt auch vom Griechischen und meint damit Lied oder Gesang. In der Antike war „Ode" ein feierliches, lyrisches Gedicht, reimlos und frei rhythmisch mit ungleichen Zeilenlängen. Von „Ode" kommt das Wort „Odeion" = antikes Gebäude, in dem Musikwettkämpfe stattfanden. Das Odeon in München ist eine Singhalle. Die Ode ist Ausdruck der Begeisterung über einen erhabenen Gedanken. Man besingt Vaterland, Liebe, Treue, Freundschaft usw. Eine geistliche Ode ist an sich eine Hymne. Inhaltlich unterscheiden sich Ode und Hymne fast nicht, nur in der Form des Ausdruckes. Wir wissen nicht genau, welche Art des Liedes mit „Ode" im N. T. gemeint ist. Da auch NichtJudenchristen in der Gemeinde waren, die ihr Geisteserlebnis möglicherweise auf ihre musikalische Art und Weise auszudrücken versuchten, so könnten es geistgewirkte musikalische Eingebungen gewesen sein, die Paulus im 1. Kor. 14, 26 erwähnt. 1.2.1 Ein Wort zur Singfreudigkeit der urchristlichen Gemeinde Dem jüdischen Gottesdienst folgend, war der Gesang responsorial und antiphonal. Lieder im Staboder Endreim gab es nicht. Der hebräische Parallelismus Membrorum wurde zunächst beibehalten (Siehe z.B. Ps. 77, 6; 91, 1; 71, 9). Paulus und Silas singen im Gefängnis (Apg. 16, 23+25). Hier trifft das Wort Luthers zu: „Dem Herrn singen bedeutet nicht immer:' sich freuen undfröhlich sein'; denn das neue Lied ist das Lied des Kreuzes, das heißt: 'Gott loben und mitten in der Drangsal und selbst bis in den Tod im Herzen tragen. (Söhng. S. 102) Aus dem 2. Jh. besitzen wir ein wichtiges Musikzeugnis über das Christentum. Der Statthalter Plinius Secundus schreibt in einem Brief an Kaiser Trajan, daß die Christen am frühen Morgen aufstehen und Christus als ihren Gott in LIEDERN verehren. (Eusebius von Cäsarea, Kirchengeschichte, Darmstadt 1967) Während des Gottesdienstes sangen in den ersten christl. Jahrhunderten alle Glieder. Als die Christen in die Katakomben mußten, waren es ehemalige jüdische Vorsänger, die die Gemeinde im Gesang führten. Tertullian, gest. 220, berichtet, bei der Agape würden nach der Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 20 Händewaschung und dem Anzünden der Lichter alle Anwesenden aufgefordert, sich an den Lobpreisungen mit Schriftworten oder Gesängen eigener Erfindung zu beteiligen (zit. bei Zenetti, Heiße Eisen, S. 40) Eusebius (260-340), Bischof von Cäsarea, schreibt über den Gemeindegesang seinerzeit: „ Das Gebot, im Namen des Herrn Psalmen zu singen, wird von allen überall befolgt; denn die Vorschrift, Psalmen zu singen, gilt in allen Kirchen, die unter den Völkern bestehen, nicht nur für die Griechen, sondern auch für die Barbaren .... auf dem ganzen Erdkreis, in Städten und Dörfern, wie auf den Feldern, kurz, in der ganzen Kirche, singen die Völker Christi, die sich aus allen Nationen zusammensetzen, dem einen Gott, den die Propheten vorher verkündet, mit lauter Stimme Hymnen und Psalmen, so daß die Stimme der Psaltierenden von den Draußenstehenden vernommen wird. " (Robertson, Stevens (Hg.): Geschichte der Musik, Bd. 1, S. 176. Prestel-Verlag München, 1965) In den „Apostolischen Konstitutionen" (Kirchenordnungen aus dem 4. Jh., wahrscheinlich in Syrien entstanden) heißt es: „...kommt täglich in der Frühe und am Abend zusammen, um in der Gemeinde zu singen und zu beten. " (zit. bei Zenetti, S. 36) Wie schon erwähnt, übernahm die junge Gemeinde einen Urbestand liturgischer Musik (Psalmen) aus der Synagoge. Mit der weiteren Ausbreitung des Glaubens in die jüdische Diaspora und in die Bereiche des damaligen Heidentums wurden diese Gesänge in fremde Länder übertragen, z. B. von Galiläa nach Syrien, wo sich bald reichere Singformen ausprägten und die Einflüsse bis Byzanz ausstrahlten. Im Süden, z. B. Ägypten, stießen die aus der Synagoge überkommenen orientalischen Sangesweisen auf die antik-griechische Musik, die in Alexandrien ein Zentrum gefunden hatte. Es erfolgte eine gegenseitige Bereicherung. Auch im gregorianischen Choral des M. A. klingen Hymnen aus der griechischen Antike nach (siehe Gregorianischer Choral). Mailand wurde der Ort für die Entwicklung besonders melismatischer Formen. In Südfrankreich entstand der „Gallikanische Choral", in Spanien sangen die unter maurischer Herrschaft lebenden Christen den „Mozarabischen Choral" (Mozaraber: von arab.: musta'rib = arabisiert, die Christen Spaniens, die unter maurischer Herrschaft arabische Kultur übernommen hatten). Die Stürme der Völkerwanderung brachten zu den orientalisch-griechischen Einflüssen auch andere, vor allem germanische Musikauffassungen herein. 1.3.1 Musikanschauungen des Mittelalters. Einfluß der Griechen. Kampf der Kirchenväter gegen Einflüsse aus dem Heidentum. Das Mittelalter stand musikalisch unter dem Einfluß der Griechen, die von Historikern als das musikfreudigste Volk der Antike betrachtet werden. Unsere Musiktheorie basiert, ob Tonleiter oder Intervalle, auf griechischen Entdeckungen und Errungenschaften. Ich denke z. B. an Pythagoras (6. Jh. v. Chr.), der die musikalischen Intervalle arithmetisiert: Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 21 Z. B.: die Oktave steht im Verhältnis 2:1, d. h. c1 hat doppelt so viele Schwingungen wie das kleine c, oder: die Quinte steht im Verhältnis 2:3, die Quarte 4:3 usw. Die Griechen waren Heiden, ihre Musik war an heidnische Götterkulte gebunden. Zu Ehren des Apollo (lat. Apollon), den Gott der Weissagung, der Musen, Urbild der schönen Jugend, Gott des harmonischen Lebens, der Reinheit und Sühne, gab es einen eigenen religiösen Tanz, den „paian". Ein Sohn des Zeus war Dionysos, auch Bakchos (lat. Bacchus) genannt, der Gott des Weines und des Weinbaues. Sein Kult war eine rauschende Angelegenheit, ganz Griechenland verehrte ihn. Bei diesem Kult waren heftige Tanzbewegungen und Musik üblich (Musikgesch. Stevens, Bd. 1, S. 114). Die Geburt des Dionysos wurde auch bei besonderen Spielen von einem 50 Mann starken Chor gesungen und getanzt. Für diese Angelegenheit war die Kithara nicht leidenschaftlich genug, man verwendete die Doppelrohrflöte, also den Aulos, der diesen Festen einen erregenden Klang gab. Die Dichterwelt pries ihre Götter. Man sang zur Lyra, daher lyrische Dichtung oder Lyrik. Handlungen und Texte der griech. Dramen waren oft Themen aus der Mythologie. Als ab dem 4. Jh. v.Chr. die griechische Kunst immer mehr verfiel, als die verpönte Chromatik 'Ausdruck der Verweichlichung - ins Werk rutschte, als es mehr und mehr um Sensationsbedarf als Qualität des Werkes ging, da wetterten die Philosophen gegen die einschleichende Dekadenz (z. B. Plato 427-347) und forderten die Rückkehr zur älteren Zeit, als man noch die Eigenschaften, die ihrer Meinung nach in den Skalen (Tonarten) stecken, beachtete: • die erhebende dorische Tonart (e - e') • die trotzige phrygische Tonart (d - d') • die zu verwerfende lydische Tonart (f - f), die die Jugend verweichlicht und tugendfeindlich ist So betonen die Philosophen den erzieherischen Wert der Musik, die den Menschen sittlich besser machen soll. Die staatlichen Gesetze sollen der Jugend eingeimpft werden (Söhng. S. 124). In seinem Werk „Politeia" 3, 10 (zit. bei Söhng. S. 134), macht Plato einen berühmten Ausspruch: „ Niemals werden die Tongeschlechter geändert, ohne daß wichtige staatliche Gesetze in Mitleidensc gezogen werden. " Mit der Verbreitung des Christentums ergaben sich manche Umwelteinflüsse und heidnische Gebräuche, die in das christliche Gemeindeleben einzudringen drohten. Hatte doch Paulus gesagt: „Ziehet nicht am fremden Joch mit den Ungläubigen" (2. Kor. 6, 14), und Johannes: „Habt nicht lieb die Welt..." (1. Joh. 2, 15). So konnte man heidnische Formen, Instrumentalmusik, Tänze, Kulte und alles, was unchristliche Assoziationen hervorrufen konnte, nicht in den christlichen Gottesdienst übernehmen. Die Verantwortlichen der Kirche erheben deshalb immer wieder ihre warnende Stimme, um zu vermeiden, daß orgiastische Elemente des Heidentums in die Gemeinde einbrechen. In seiner Homiletik über Eph. 5, 20 schreibt der Kirchenvater Chrysostomus (4. Jh.): „ Wer die Lieder der Dämonen singt, ist selbst vom Dämon erfüllt" (Zenetti, S. 41) Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 22 Der christl. Religionsphilosoph Clemens von Alexandria, gest. vor 215, predigt: „ Weichliche Melodien und solche, die den Sinn betäuben, leichte Weisen, wie sie in Mode sind bei Trinkgelagen, Musik von Buhlerinnen, soll man durchaus meiden. " (Zenetti, S. 42) Weil die Instrumente in der Antike unlösbar mit heidnischen Kulten und sittlichen Verirrungen verknüpft waren, gibt e s in der frühmittelalterlichen Kirche häufig Verbote von Musikinstrumenten. Man geht so weit, d a ß der Mensch das Instrument sei, durch das sich der Heilige Geist bekundet: „Ihr seid die Trompete, das Psalterion, die Kithara, das Organum und die jubelnden Zimbeln, ihr seid dies alles." (Augustinus, Zit. aus Zenetti, S. 43) Man findet in der frühen Kirche schließlich auch einen „asketischen Rigorismus". Basilius (331379), Kirchenlehrer aus Kappadozien und Vater des morgenländischen Mönchtums (Basilianer), meint: „ ...als der hl. Geist sah, wie schwer sich das Menschengeschlecht zur Tugend leiten ließ, und wie oft wir durch unsere Neigung vom richtigen Leben abgezogen werden, was tat er da? Er fügte den Dogmensätzen die Lieblichkeit der Melodie hinzu, damit wir durch Vermittlung des Gehörs unvermerkt den in den Worten liegenden Nutzen erfahren ... darum sind die wohlklingenden Melodien für die im Alter und Geist Unterentwickelten und Jungen ersonnen worden... denn der im Glauben Starke braucht diese äußeren Reizmittel nicht mehr. Er hat mit der Sinnenwelt längst abgeschlossen. " (Abert, Musikansch. des Mittelalters, S. 87) Mit anderen Worten: Musik ist ein notwendiges Übel. Hieronymus, lat. Kirchenvater aus Dalmatien (4. Jh.), kommentiert in seinem Brief an Ephesus (zit. bei Abert, S. 87) die Stellung des Gesanges wie folgt: „ Mag auch einer noch so eine schlechte Stimme besitzen, wenn seine Werke gut sind, ist er bei Gott ein wohlgefälliger Sänger; denn der Diener soll so singen, daß nicht die Stimme des Sängers, sondern seine Worte gefallen. " Im Unterschied dazu E. G. White (Seh. 1, S. 418): "... Andererseits sind die Darbietungen so fehlerhaft, daß sie bei den Hörern keinen guten und nachhaltigen Eindruck hinterlassen ..." Für die Beurteilung der Musik im Mittelalter waren also die Männer der Kirche zuständig. Es war ihre Absicht - im Unterschied zu den Griechen - den Sinn und die Existenzberechtigung der Musik allein von der kirchlichen Funktion her gelten zu lassen. Der Abt Rupert von Deutz meinte über die Künste, „daß sie als Dienerinnen in das Heiligtum ihrer Herrin, der göttlichen Weisheit, eingetreten und vom Schmutze der Straße hinweg zum ernsten Dienst des Wortes Gottes berufen seien, nachdem sie so lange als lockere geschwätzige Dirnen ohne eigentlichen Lebenszweck in der Welt umhergeschweift hätten. " (Abert, S. 72) Offensichtlich bedeutete zur Zeit eines Augustinus das Wort Gottes mehr als die Melodie über einen geistlichen Text. Im 33. Kapitel des X. Buches seiner Confessiones schreibt er: „...Mitunter will mir scheinen, ich gäbe den Melodien doch mehr Ehre als ihnen gebührt. Wohl fühle ich, daß die heiligen Worte selber, so gesungen, unser Gemüt inniger und lebhafter in der Flamme der Andacht bewegen, als wenn sie nicht so gesungen würden:... Aber meine Sinnesfreude, der sich der Geist doch nicht zur Verweichlichung ergeben darf hintergeht mich oft: statt daß der empfindende Sinn sich der Vernunft als Begleiter anschlösse..." (zit. bei Söhngen, S. 127) Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 23 Die Tonkunst der frühen Kirche Kewegte sich in den Grenzen eines Tetrachords, also nach heutigem Ermessen bescheiden. Als aber die Jahrhunderte der Verfolgung voüber waren, die antike Welt zu Ende ging, da lockerten sich auch die Vorstellungen über Musik: die Instrumente wurden verwendet, der Tonraum wurde größer und die Kirchenmusik entfaltete sich in Richtung Mehrstimmigkeit. Im Orient, bei den Armeniern und Ostsyrern, wurde der Kirchengesang mit Schellen, Becken und Glockenspielen verziert. Bei den Kopten und Äthiopiern betonen bis heute Schlaginstrumente wie Trommel, Tamburin, Sistrum und Klapper den Rhythmus. 13.2 Die einstimmige Musik des M. A. = Der Gregorianische Choral 313 war das Toleranzedikt von Mailand. Die Christen bekamen die Freiheit. In den großen Städten wie Jerusalem, Rom, Antiochien und Alexandria wurden große Basiliken gebaut. Kunst, Architektur, Malerei und Musik entwickelten sich. Die Christen versammelten sich nun in großen Räumen. Der Kirchengesang mußte diese Räume füllen. So verstehen wir, daß Bibelstellen nicht gelesen, sondern gesungen wurden. Sie waren damit besser hörbar und feierlicher. Wie in der jüdischen Musik rezitiert wurde nach bestimmten Melodiefloskeln, so entwickelte die römische Kirche einen „tonus lectionis" = Leseton (Stevens, Bd. 1, S. 178) Für das Singen von Psalmen gab es neun sogenannte Psalmtöne. Man konnte also einen Psalm unter einen dieser Töne schieben. Je nach den Festen wurde dann ein Psalm in diesem oder jenem Psalmton rezitiert. (Man versteht also unter Psalmton keinen Modus d. h. keine Tonart, sondern eine Rezitationsformel). '?*«/,. •'«••. F?^-\« ' \. « ^ Der Gregorianische Choral hat seinen Namen von Papst Gregor I. dem Großen, gest. 604. Dieser hat sich große Verdienste um den einstimmigen liturgischen Choral erworben. Er sammelte seinerzeit alle vorhandenen Melodien und gab sie gesichtet heraus. Diese Ausgabe nannte man Antiphonarium Gregorianum. Bis zur 2. Hälfte des 4. Jh. war die Sprache der römischen Kirche das Griechische, ein internationales Idiom, das Asien und Gallien mit Rom verband; im 4. Jh. aber erschien die Itala, die altlateinische Fassung der griech. LXX, die dann Anfang des 5. Jhs. von der Editio Vulgata des Hieronymus verdrängt wurde. Wir haben aus den ersten Jahrhunderten aus Rom, Jerusalem und Antiochien etliche Liedtexte, aber wir wissen nicht, wie deren Musik geklungen hat; eine Notation gab es nicht, wenn man von der griech. Buchstabenschrift (Anfänge reichen vielleicht bis ins 4. Jh. v. Ch. zurück) absieht. Die ältesten Notenschriftzeichen stammen wahrscheinlich aus dem 9. Jh. Es waren Neumen (griech. Wink, Zeichen), also eine Art Stenographie, keine Linien, nur relative Tonhöhenangaben. Im 10. Jh. erfand der Mönch Guido von Arezzo (Ital. Prov. in derToscana) ein System von 4 Linien. Die oberste Linie war grün, die nächste schwarz, die dritte rot und die unterste wieder schwarz. Auf diesen Linien standen zwar auch Neumen, doch konnte man sich besser orientieren. Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 24 Zwischen dem 9. und 12. Jh., also nach Guicje v. Arezzo, entwickelte sich die Romanische Quadratnote, die benutzt wurde zur Aufzeichnung gregor. Melodien. Vom 13. bis gegen Ende des 16. Jhs. wurde die Mensuralnotenschrift (Mensur = Maß) entwickelt. Nun konnten die Noten auch in ihrer Dauer festgelegt werden. Es gab aber noch keine Taktstriche, wie wir sie heute im Lied vorfinden, welche die Schwerpunkte setzen. Daher muß ein Lied z. B. aus der Mensuralnotenzeit anders gesungen und dirigiert werden als spätere Modelle, die unserem Taktgefühl mit dem Gewicht auf die „Eins" entsprechen. Taktstriche entstanden erst um 1600. Zwei Beispiele dazu: „Wir loben Gott": Nr. 10: „Dankt, dankt dem Herrn, jauchzt volle Chöre" (keine Taktstriche, lang gezogene Linien) Nr. 379: „Tut mir auf die schöne Pforte" (Taktnoten) Gemäß der Entstehung einer Liedmelodie sollte daher beim Singen und Dirigieren älterer Liedmelodien auf deren flüssigen Linienverlauf (keine Betonungstakte!) geachtet werden. Etwa um 1600 war das System, wie wir es heute mit einem 5-Linien-System verwenden, fertig. 13.3 Die Melodien des Gregorianischen Chorals... ...haben ihren Ursprung im Orient bzw. im Jüdischen Psalmengesang und in der Griechischen Hymnodie. Sie waren aber im Unterschied zu diesen viel umfangreicher. Der Tonbereich streckte sich von der Quarte bis zur Undezime. Die Tonschritte waren hauptsächlich Sekund- und Terzschritte, selten Quint- und noch seltener Sextschritte. Der Gregorianische Choral ist nicht leicht in seiner Ausführung. Drei Formen sind bekannt: a) syllabisch: ein Ton auf eine Silbe b) neumatisch: zwei bis vier Töne auf eine Silbe c) melismatisch: lange, reich ausgezierte Phrasen, die auf eine Silbe gesungen werden. Die 3. Form war Sache eines Solisten, der sein ganzes Können ad majorem Dei gloriam, leider auch zu seinem Ruhm zeigen konnte. Aber auch die anderen Formen waren nicht leicht zu singen und so ging die Entwicklung dahin, daß die Gemeinde sich nur mehr mit kurzen Antworten wie „Amen" und „Halleluja" begnügen mußte und die Hauptträger des Gesanges die dafür bestimmten Männer wurden. Im 4. Jh. hatte noch Ambrosius (Bischof von Mailand) Hymnen für die ganze Gemeinde geschaffen. Die Anregung dafür erhielt er von der Ostkirche (Hilarius). Leider verweltlichte aber um 600 dieser Gesang und führte so zum gregorianischen. An Stelle des Liedes trat nun Psalmodie und Rezitation und der gottesdienstliche Gesang wurde auf den Priesterchor beschränkt. Das Volk war hörende Gemeinde und mußte sich mit kurzen Akklamationen und Responsorien zufriedengeben. „Die gregorianische Tradition ist dafür verantwortlich, daß beinahe 1000 Jahre lang kein echtes Kirchenlied mehr aufgekommen ist" (Protest. Enzyklopädie, S. 760). Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 25 Aus dem Gregor. Choral entstand die musikalische römische Messe, die eine Fülle von musikalischen Formen bringt. Zwei Zitate, die helfen, das Wesen und die Funktion dieses Chorals auszudrücken: „ Der Gregorianische Choral (Gesang) gibt rein melodisch alle Regungen der menschlichen Seele wieder. Man braucht nicht mit dem komplizierten Tonsystem dieser Gesänge vertraut zu sein, um ihre erhabene Schönheit und Gottesfurcht zu empfinden..." (Schweizer Musiklexikon von Caspar Höweler, 1962, S. 351). „... größer als die Übereinstimmung zwischen der liturg. Musik der Juden und der Katholiken sind aber ihre Unterschiede: die überschwenglichen orientalischen Melismen mäßigten sich im M. A. zu ruhigen Gesängen ..." (ebenda S. 351). „Das Wesen des Hebräische Psalmodie aus dem Jemen 4 ©fc'-;?-^"--*'.-«^^*»^ =te^-^ Gregorianischen Chorals ist nur von der Gregorianische Psalmodie Sprache her zu ^E^|^3=1 * r',-rue-ta-vii cor De um ver-tura bo-iium; di - co e - £0 begreifen; er will nichts ca . la-musscri-bar Lin-ü-u-a me • a anderes sein als ein Vergleich zwischen hebräischer und gregorianischer Psalmodie 'gehobenes, geläutertes Sprechen. Diese Musik war niemals Selbstzweck, sie war ein Mittel, die Seelen der Gläubigen mit Andacht zu erfüllen. Das bestimmte ihre erhabene Ruhe und Feierlichkeit; sie wollte Dienerin des Wortes und damit der Kirche sein: 'Musica est ancilla ecclesiae '... Die Ausbildung der einstimmigen Gesanglinie wurde die Grundlage für die spätere abendländischen Musik ..." (Wir lernen Musik, 6. Band, S. 11, Doblinger 1974) 1.3.4 Die Mehrstimmigkeit Durch die in der Natur vorkommenden Teiltöne (Obertöne, Partialtöne) d. h., daß beim Spielen eines Tones andere Töne mitschwingen (Oktave - Quinte - Quarte - Terz etc.) und dem angeschlagenen Ton eine ganz bestimmte Farbe und Fülle geben, beweist sich die Mehrstimmigkeit eigentlich schon als eine natürliche Erscheinung, zumindest vorgebildet. Genauso vorstellbar wäre das „Echo" als Ansatz für eines der bedeutendsten Stilmittel der Komposition: die Imitation. Die Entstehung der Schriftzeichen hatte sicherlich einen bedeutenden Einfluß auf die Mehrstimmigkeit. Die griechische Buchstabennotation war durch den röm. Philosoph und Staatsmann Boethius (gest. 524) überliefert worden. Daraufbaute nun der flandrische Mönch und Musiker bzw. Musiktheoretiker Hucbald (gest. 930 im Kloster Saint Amand bei Tourney) auf. Er entwickelte Zeichen als Angabe für das Steigen und Fallen der Töne. Sein Werk „De institutione harmonica" ist eine Quelle für die frühe Mehrstimmigkeit (Siehe „Organum"). Von der um 850 n. Chr. im Frankenland entstandenen Mehrstimmigkeit, die man Organum (griech. organon = Werkzeug, in der Antike Name für ein Musikinstrument, bes. Orgel) nannte, ging die Entwicklung dann von der Zweistimmigkeit über Drei-, Vier-, Fünfstimmigkeit bis zum 8stimmigen Vokalsatz. Mit dem Aufkommen der Instrumentalmusik um 1600 entwickelte sich die Musik bis zum vielstimmigen Orchestersatz. Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 26 Bemerkenswerterweise hatte in der Zeit vom 9. bis 17. Jh. die Vokalmusik den Vorrang und innerhalb dieser Kategorie die kirchliche Musik vor der weltlichen. Motette und Messe gehören zur kirchlichen Gattung, Chanson (Frankreich), Frottola und Madrigal (Italien), Tenorlied (Dtl.) zur weltlichen. „ Solange alle ' Wonne der Menschen' von der Kirche geleitet und betreut wurde, stand auch das, was man 'weltliche Musik' zu nennen pflegt, unter der Führung der geistlichen Musik. Die 'musica sacra' ist in den Frühzeiten der abenländischen Musikgeschichte die Mutter aller Musik... Als die Kultur aufhörte, eine Funktion der Kirche zu sein, löste sich auch die 'weltliche Musik' von der Kirchenmusik und verselbständigte sich. Sie kehrte zu heidnischen Anschauungen zurück, so daß sie heute im weltlichen Raum in geistig hoch entwickelter Form dynamistische, magische oder ekstatische Wirkungsabsichten hat" (Herder's Kirchengeschichte, S. 407, 408). „Das Denken des mittelalterlichen Menschen war in allen Lebensbereichen auf Glaubenswahrheiten des Christentums ausgerichtet. Religiös-philosophische Spekulationen fanden sich darum auch allenthalben in der Kunsttheorie. So galt in der Mensuralmusik der dreiteilige Takt (als Abbild der göttlichen Dreieinigkeit) vollkommener als der zweiteilige. Aus dieser Bevorzugung des „ Tempus perfektum " ergibt sich für heutige Ohren der Eindruck eines in der Mensuralmusik vorherrschenden 6/4 Taktes" (Wir lernen Musik, S. 21). 1.3.4.1 Die Motette Dem Baustil der Romantik mit seinen trotzig lastenden Kirchenschiffen entsprach in der Musik das schwer einherschreitende Organum. Dann kam die Gotik mit ihrer Vertikaltendenz und „gotischen Beweglichkeit". In dieser Zeit, wo man das chorische Singen immer mehr pflegte, also im 14. und 15. Jahrhundert, fügte man einer schon vorhandenen Melodie, die man „cantus firmus" nannte, eine gegensätzlich gestaltete, oft höher gelegene Stimme hinzu, der ein eigener Text zugrunde lag. Diese zur Melodiestimme kontrapunktierende Stimme (Kontrapunkt = Gegenstimme) wurde „Motetus" (möglicherweise von MOT = franz.: Bibelwort) genannt. Aus „Motetus" wurde dann später „Motette". Wir haben es bei dieser Kunstform wohl mit der ältesten Form der Polyphonie zu tun. Sie ist eine A-cappella-Komposition (a-capella = unbegleiteter Gesang), meistens auf einen Psalmvers oder Bibelspruch. Jedem neuen Sinnzusammenhang im Text entspricht ein neues musikalisches Motiv oder Thema. Das wesentliche Stilelement dieser Gattung ist die Imitation. Eine Besonderheit stellt die „Liedmotette" dar, bei der der cantus firmus von einer Volks- oder Kirchenliedmelodie gebildet wird. Die Musikgeschichte kennt und nennt einige Großmeister der Motette: im 14. Jh.: Machaut, Ph. deVitry im 15. Jh.: Dufay, Desprez, Isaac, Ockeghem im 16. Jh.: Orlando di Lasso (516 Motetten), Palestrina (300), Senfl im 17. Jh.: Heinrich Schütz (Cantiones sacrae) im 18. Jh.: Johann Sebastian Bach Mozart nannte sein „Ave verum" (für Chor, Streicher, Orgel) und sein „Exultate, jubilate" (für Koloratursopran und Orchester) ebenfalls „Motetten", doch sind das Ausnahmen. Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 27 Die Sprache der Motette war das Latein wie auch die Landessprache. 1.3.4.2 Die Messe Die Messe ist die höchste Kulthandlung der kath. Kirche. Sie ist entstanden aus dem Entlassungsruf: „Ite, missa est ecclesia" = „Geht hin, die Gemeinde ist entlassen." Dem biblischen Gedächtnismahl folgte in der großen Kirche bald der Gedanke einer Wesensverwandlung d. h. die durch Konsekration (consecratio, -onis = Weihe) erfolgende Umwandlung der Substanz des Brotes in jene des Leibes Christi und der Substanz des Weines in die des Blutes Christi, so daß von Brot und Wein nur die Akzidentien (accidentia, ium = zufällige Dinge, nicht wesentliche Eigenschaften, z. B. Farbe, Geschmack, Ausdehnung) zurückbleiben. (Siehe „Transsubstantiation" zit. bei Eberhardt, „Von der Vorreformation bis zur Urgemeinde", S. 64-66, 191). Der mächtige Papst Innozenz III. hatte auf der glanzvollen Lateransynode 1215 in Rom die Wesensverwandlung festgelegt, doch war infolge der reformatorischen Änderungen eine neuerliche Festlegung der röm. Messe auf dem Konzil zu Trient (1545-63) notwendig. Mit der Feier der Messe als einer unblutigen Erneuerung des Kreuzopfers Jesu entstanden bestimmte vorgeschriebene Messetexte und Messegebete, die im römischen „Missale" = Messbuch festgelegt sind. Merke: I Missa privata: stille Messe 1 Missa cantata: vom Priester gesungene Messe, „Amt" 1 Missa solemnis: Hochamt, feierliche Messe 1 Missa pro defunctis: Totenmesse, Requiem genannt 1 Missa votiva: Votivmesse, vom lat. votum = Gelübde Missa matutina: Frühmesse; aus Matutin, lat. = morgendlich, früh, ist das deutsche Wort „Mette" = nächtliches Stundengebet als tägliche Pflichtlesungen für Priester, Mönche, Nonnen etc. entstanden. Diese meditieren aus dem Brevier, einem kurzen Verzeichnis mit Psalmen und Lesungen. Dem Vorbild Jesu, der mit seinen Jüngern beim Abendmahl gesungen hatte, will auch die römische Kirche in der Messe Rechnung tragen. Die Gesänge der Messe werden unterschieden nach festen (unveränderlichen) und wechselnden Teilen: Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 28 DiB,BstenTei,e , l B d : » Kyrie Anrufung der göttlichen Barmherzigkeit Gloria Lobgesang der Engel, Lk. 2, 13+14 entlehnt Credo Glaubensbekenntnis = „Credo in unum Deum" = „Ich glaube an einen Gott..." wird an Sonntagen und bestimmten Festen gesprochen Sanctus mit Benedictus Heiligpreisung, Jes. 6,3 entlehnt; Lobgesang des Zacharias aus Lukas 1,68 Agnus Dei Lamm Gottes, dem Johannesevang. 1,29 entlehnt D,e w a n d e n T e . l e ^ ^ ^ ^ M M ^ M M . n d : Introitus lat. Eingang, ein meist den Psalmen entnommener Gesangstext, chormäßig gesungene Einleitung zur Messe Graduale lat. Treppenstufe, ältester Meßgesang, Bez. für Psalmverse der Messe, gebetet oder gesungen zwischen Epistel und Evangelium Alleluja Lobgesang, aus dem Hebr. „Bringt Gott Lobgesang dar" Offertorium lat. „Darbringung" von Brot und Wein mit den dazu gesungenen Meßgebeten, die die Konsekration vorbereiten Communio lat. „Gemeinschaft, Abendmahl", nach kath. Lehre der wirkliche Genuß des unter jeder der beiden eucharistischen Gestalten (Brot und Wein) gegenwärtigen Gottesmenschen Seit dem 10. Jh. sind Vertonungen einzelner Messeteile bekannt, im 14. Jh. ganze Vertonungen von Messen. Seit Dufay (15. Jh.) stand die Messe im Zentrum der mehrstimmigen Musik. Sie wird kontrapunktisch kompliziert, verwendet teilweise volkstümliche, auch weltliche Melodien, so daß beim Tridentinischen Konzil beinahe die Musik aus der Kirche verbannt worden wäre, hätte nicht Palestrina als „Retter der kath. Kirchenmusik" zu einer einfacheren, textverständlicheren Setzweise zurückgefunden. Ein berühmtes Werk von Palestrina ist die Papst Marcello gewidmete „Missa Papae Marcelli" (in memoriam Papst Marcellus II, der 1555 nur drei Wochen regierte). Nach 1600 wird die Beteiligung von Instrumenten (Orchester und Orgel) immer stärker. Viele der Messen der Klassik und Romantik sind musikalische Höhepunkte und sprengen teilweise den liturgischen Rahmen, so z. B. Beethovens „Missa solemnis" und Bachs „H-moll Messe". Aus der Reihe berühmter Messekomponisten ragen hervor: Bach, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Liszt, Brückner; für das Requiem (lat. nach dem Eingangsgebet „requiem aeternam dona eis, Domine" = „Herr, gib ihnen die ewige Ruhe"): Brahms (schreibt sein Requiem in deutscher Sprache), Berlioz, Verdi, Cherubini, Mozart. Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 29 1,4 Musik im Zotta?t&r <tor Reformation Verweltlichung, Vermischung, Papstschisma, die schlechte Lebensführung höherer Geistlicher, Pfründenjagd (Pfründe = das mit einem Kirchenamt dauernd verbundene Einkommen), Überwucherung des kirchlichen Brauchtums, Machtgier (die meisten Bischöfe waren Landesfürsten) und nicht zuletzt die Entfernung vom Evangelium machten eine Reformation (reformare = wiederherstellen) verständlich. „ Germanisches Heidentum, aristotelische Logik und Metaphysik und areopagitische Mystik sind das Neue, das die mittelalterliche Kirche ihrem Schöße einverleibte; die Volksfrömmigkeit wucherte immer -wilder, der theologische Rationalismus wird immer subtiler, die fromme Mystik treibt vom 13. Jh. an immer neue Blüten" (F. Heiler, 'Der Katholizismus', München 1970, S. 109). Mißstände zeigten sich auch in der Musik. Der einstimmige Altargesang (Gregorianik) wucherte aus. Schon Walther von der Vogelweide (gest. 1230 ? in Würzburg ?) höhnt: „...sich unmarte in den Koren davon der Pfaffen sanc" (H.J.Moser: Geschichte der evangelischen Kirchenmusik in Deutschland., Berlin 1953, S. 3). Weltangst und Aberglaube und die Heilskaufkraft guter Werke mögen Gründe gewesen sein, .warum man an einigen Orten zuviel sang: „ Grade im Meißner Dom etwa (und dies war nicht der einzige Fall) stiftete Herzog Ernst, der Vater Friedrichs des Weisen, eine 'ewige Kantorei', die in drei Schichtablösungen selbst die Nächte durch singen mußte und so pausenlos von 1480 bis zur Reformation psalliert hat... " (Moser, S. 4). Die Gregorianik erreichte vom 11. -13. Jh. ihre Blüte. Dann gab sie zu Anständen hinreichenden Anlaß. Man warf ihr vor, daß der Geist des Singenden durch die Schwierigkeit der Musiknoten vom Textsinn zu sehr abgelenkt werde; mit anderen Worten: die große Melodik sei zum Teil zu selbstzwecklich, zu kompliziert, sie vertrage zwecks Beförderung der Andacht eine Vereinfachung. Die Süßigkeit der Stimme könne den Sänger leicht eitel machen. „Sänge der Geistliche schlecht, so errege es ihm Husten und Galle, dem Hörer aber Gelächter... der gregorianische Gesang, wie er bis j geschieht, und das Orgelgetön sind leerer Schall, nur clamor statt amor dei..." (Moser, S. 28). 1.4.1 Martin Luther Im- itft) In diese Zeit hinein fällt das Wirken Luthers. Martin Luther (1483-1546) ist ein großer Mann der Musik gewesen. In einem Brief an Johs. Walter, dem Kapellmeister an der Torgauer Kantorei, schreibt er: „Ich habe Musicam allezeit liebgehabt." Was den christlichen Kampf gegen den Teufel betrifft, so half ihm die göttliche Musik, die der Böse nicht mag: „Musica diabolum fugat" = „Die Tonkunst verjagt den Teufel". Viele überschwengliche und dankbare Worte verliert der Reformator, der sich als Mönch in Erfurt mit Kirchenmusik und Lautespiel beschäftigt und der, wäre er nicht Theologe, gerne Musiker geworden wäre. Als Luther 1521 den schweren Weg nach Worms unternahm, begeisterte er die Leute im Gasthaus durch sein fröhliches Singen und Lautespiel. Auf einer Reise 1539 nach Leipzig wetteiferten er, Melanchton und andere Freunde, Lieder nach dem Alphabet zu singen. „ Ich wollt wahrlich, daß alle Christen den feuern, werten, hohen Schatz, die liebe Musica mein ich, so Gott uns Menschen gegeben, ja lieb und wert hielten.... " (Moser, S. 39) Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 30 „Die edle Musica ist nach Gottes Wort der höchste Schatz auf Erden. Sie regiert alle Gedanken, Sinn, Herz und Mut. Willst du einen Betrübten fröhlich machen, einen frechen, wilden Menschen zäumen, daß er gelinde werde, einem Zaghaften Mut machen, einen Hojfärtigen demütigen unddgl, was kann besser dazu dienen denn diese hohe, teure, werte und edle Kunst. Der hl. Geist ehret sie selbst und ehret sie hoch, da er zeuget, wie der böse Geist von Saul gewichen sei, wenn David auf der Harfen schlug. Item, da der Prophet Elisa weissagen sollte, befahl er, man sollte ihm einen Spielmann herbringen, der auf der Harfen schlüge. Daher auch die lieben Väter und Propheten nicht ohne Ursach gewollt haben, daß bei der Kirchen Musica allezeit bleiben sollt. Daher sind kommen so viele Gesang und Psalmen. Und diese teure Gabe ist allein dem Menschen gegeben, daß er sich dabei erinnere, er sei dazu geschaffen, daß er Gott loben undpreisen soll. " (Söhngen: Theologie der Musik, S. 89) In einem Brief an den Schweizer Komponisten Ludwig Senfl (Schüler v. H. Isaak und um 1543 in München gest.) schreibt Luther: „ Obwohl ich fürchten muß, daß ein Brief von mir dich gefärden könnte, überwindet diese Besorgnis der Hang zur Musik, durch welche ich dich geschmückt und beschenkt sehe von meinem Gott. Wer wollte selbst in der Türkei den tadeln, der die Kunst liebt und den Künstler lobt? Ich wenigstens rühme undpreise vor anderen deine mir so ungnädigen Herzöge von Bayern, weil sie die Musik so begünstigen und ehren. Ohne Zweifel lebt viel Same guter Tugenden in jenen Herzen, die von Musik bewegt werden, wer gegen sie taub ist, scheint mir Strünken und Steinen am ähnlichsten. Wir wissen, daß den bösen Geistern Musik unfaßbar und untragbar ist. Auch urteile ich und schäme mich nicht zu bekennen, nach der Theologie sei keine Kunst, die der Theologe gleichgesetzt werden könne, da sie allein nach jener vermag, wessen sonst nur die Gottesgelahrtheit fähig ist: ein ruhiges undfröhliches Gemüt zu schenken, um dessentwillen, weil der Teufel, trauriger Sorgen und unrastiger Scharen Urheber, auf das Wort Musikfast ähnlich flieht wie auf das Wort Theologie. Darum haben die Propheten sich keiner Kunst so beflissen wie die der Musik, haben auch ihre Gottesweisheit nicht nach Geometrie, Arithmetik, Astronomie gerichtet, sondern an die Musik gewandt, um Theologie und Musik engstens zu verbinden, wenn sie in Psalmen und Liedern redeten. Doch was lob ich die Tonkunst hier und versuche im engen Briefrahmen solch ein Ding zu malen oder gar zu verpfuschen? Doch so überwallt mich die Neigung zu ihr, die mich so oft erfrischt und von großen Leiden befreit hat. " (Moser, S. 27) Große Verehrung durch Luther erfuhr der geniale Messen- und Motettenkomponist, der Niederländer und Schüler Ockeghems Josquin Desprez (gest. 1521 in Conde): „Josquin ist der Noten Meister- die Noten habens machen müssen, wie er gewollt; die anderen Sängermeister habens müssen machen, wie es die Nöten haben wollten" (Moser, S. 16). Luthers komposit. Können wird von seinem Freund Johann Walter (1496-1570) ausdrücklich bestätigt. Für das neue Lied nahm Luther das Beste der alten volksnahen Gesangsformen einschließlich des greg. Chorals und schenkte der so lange entmündigten Gemeinde das neue Lied: „Ein neues Lied wir heben an, des walt Gott, unser Herre. Nun freut euch, lieben Christen gmein und laßt uns fröhlich springen, daß wir getrost und all in ein mit Lust und Liebe singen... " (siehe Evangelisches Kirchengesangbuch = EKG, S. 284) Den Melodien des Papstes nicht prinzipiell fern, mußte doch manche alte Singweise auf den neuen Kerntext abgestimmt werden. Die Noten sollten den Text lebendig machen, so daß auch das Evangelium durch die Musik lebendig gepredigt wird. Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 31 Seine Mitarbeiter sind nicht irgendwelche „Komponisten", sondern Fachleute. Luther gab sich nicht mit laienhaften und billigen Liedern zufrieden. Weil seine herausgegebenen Lieder zum Teil verfälscht wurden, warnte er in einem seiner letzten Gesangbücher: „ Viel falscher Meister itsz Lieder lichten Sihe dich für und lern sie recht richten Wo Gott hin bawet sein Kirch und sein Wort Da will der Teufel sein mit trug und mord" (Paul Gabriel, Das dt. evang. Kirchenlied, Leipzig 1935) Alle Gläubigen, vor allem auch die Jugend, sollen durch Musik, ob vokal oder instrumental, ins Gotteshaus und zum Evangelium gezogen werden. Dreierlei Typen von Gottesdiensten sieht Luther vor: den lateinischen für die Gebildeten; den öffentlichen deutschen Gottesdienst vor allem für die Einfältigen und die Jugend. „...und wo es hülfflich undfodderlich dazu were, wollt ich lassen mit allen glocken dazu leuten und mit allen orgeln pfeiffen, und alles klingen lassen, was klingen künde" (Moser, S. 34) Und drittens den Gottesdienst bei privaten und kleinen Zusammenkünften wie in der Urgemeinde: „...hier dürffts nicht viel und groß gesenges...". Keineswegs sollten diese Typen ein Zwang sein, 'sondern freigestellt und änderbar sein. Die Beibehaltung einer vorbereiteten und gepflegten Kirchenmusik war ein ernstes Anliegen des Reformators. Er will Schulmeister und Prediger in der Musik erzogen wissen, damit diese nicht abnimmt. In der Vorrede zu Johann Walters Sammlung von Kirchenliedmotetten 1524 sagt er: „Ein Schulmeister muß singen können, sonst sehe ich ihn nicht an. Auch soll man junge Gesellen zum Predigtamt nicht verordnen, sie haben sich denn in der Schule in der Musica wohl versucht und geübt. Auch bin ich nicht der Meinung, als sollten durch das Evangelium alle Künste zu Boden geschlagen werden und vergehen, wie manche Abergeistliche vorgeben, sondern ich wollte gern alle Künste, bevorab die Musica, im Dienste dessen sehen, der sie gegeben hat. " (Moser, S. 38) In bezug auf die Messe ist zu sagen, daß Luther die zentrale Lehre von der Transsubstantiation als den Grundpfeiler der kath. Abendmahlauffassung und damit verbundene Vorbereitungen und Gebete (Zeremonien sind nicht aus dem Glauben, schaden aber auch nicht und dürfen kein Gesetz werden) verwarf. Doch hatte er die Lehre von der Realpräsenz, der mystischen Gegenwart des Leibes und Blutes Christi in Brot und Wein aufrechterhalten. (Siehe bei Friedr. Blume, Gesch. der Evang. Kirchenm. S 33). Die lateinische Messe nicht ganz aufgebend, erschien 1526 in Wittenberg Luthers „Deutsche Messe und Ordnung des Gottesdienstes", die beim Reformator von Nördlingen, Kaspar Kantz, und bei Thomas Müntzer, dem deutschen Führer der Wiedertäufer, ihre Vorbilder hatten. Mit der deutschen Messe entstehen neue deutsche Lieder an Stelle der alten Vorgänger und die Gemeinde wird am gemeinsamen Gottesdienst beteiligt. Auch das mehrstimmige Lied deutscher Zunge erhält durch Johann Walter, einem engen Mitarbeiter Luthers, seinen Platz im Gottesdienst durch den Chor. Die großen musikalischen Bestrebungen Luthers, die gemäß seiner Lehre dem Lied den wichtigsten Platz in der Ausbreitung der Lehre und dadurch vor allem das heilige Evangelium getrieben und in Schwung gebracht werden sollten, fanden bei den Reformatoren Zwingli und Calvin weniger Verständnis. Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 32 1.4.2 Ulrich Zwingli (/^ "^ Ulrich Zwingli (1484-1531), nach dem zeitgenössischen Chronisten Bernhard Wyß beurteilt, dürfte unter den drei Reformatoren der musikalisch begabteste gewesen sein: „ Ich habe auch von keinem gehört, der in der Kunst der Musik, als da ist im Gesang und allen Instrumenten der Musik, also Harfen, Geigen, Pfeifen, Schwegeln, Trummscheit, Hackbrett, Zinken, Waldhorn und was noch erdenken will, wenn er es in die Hand nahm, es alsbald konnte... " (Friedr. Blume, Evang. Kirchenm. S. 343). Wir fragen uns nur, warum Zwingli in Anbetracht seiner hohen Musikalität jedwede Musik bei der Neuordnung des gottesdienstlichen Lebens ausschaltete. Zwingli entwickelte ein eigentümliches Gebetsverständnis: „ Wärest du andächtig, so wärest du allein, Andacht wird durch die vile gefälscht... " (Auslegung des 4 6 . Art. seiner Schlußrede zur ersten Züricher Disputation vom 21. Januar 1523, Söhngen, S. 34) Sicherlich auch wegen des „Geschreies im Priester- und Mönchsgesang" predigt Zwingli: „ Wahre Anbeter rufen Gott im Geist und Wahrheit an, ohne alles Geschrei vor den Menschen... " „ Von der Fidei Contemplatio darf niemand und nichts die Gemeinde abziehen, auch nicht Musik, auch nicht Gesang." (Söhng., S. 34) Zwingli denkt besonders an den Einzelnen, wie er vor Gott betet. Er wünscht es gern im Sinne eines ANGELUS SILESIUS (Joh. Scheffler, schles. Mystiker u. Dichter, 1624-77, urspr. Protestant, dann später kath. Priester, siehe Söhngen, Seite 49), der die Ehrfurcht vor Gott in seinem „Cherubinischen Wandersmann" so ausdrückt: „Die heilige Majestät, willst du ihr Ehr erzeigen, wird allermeist geehrt durch heiiges Stillschweigen... " „Mit Schweigen singt man schön, die Engel singen schön; ich weiß, daß dein Gesänge, so du nur gänzlich schwiegst, dem Höchsten besser klinge..." (Söhng., S. 49) Zwingli stellt sich die Frage, wie wohl eine Musik klingen müßte, die das Tun Gottes verherrlichen dürfte. Auf jeden Fall sei der künstlerisch ungeformte Massengesang vor dem unendlichen, transzendenten Gott eine Beleidigung. Man soll nicht andächtig sein mit langen Worten, sondern „andächtigsein in Wahrheit des Geistes". So zitiert er Arnos 5, 23, um seine Ansicht zu bekräftigen; daß Gott das Singen im A T . verworfen habe. Als Fazit aus einer Predigt über Jesaja 30,29 vom Jahre 1528 zieht er: „So war der Psalmengesang bei den Juden, aber er deutete nur auf unsere Freude durch Christus hin. Es braucht deshalb diese Gesänge in der Kirche nicht." (Söhng. S. 37) Konrad Grebel, ein Wiedertäufer und Gegner Zwinglis, interpretiert hier in die gleiche Richtung: Er schreibt an Thomas Müntzer in einem Brief von 1524: „ Wir haben gesehen, daß du die Messe verdeutscht und einen neuen deutschen Gesang aufgerichtet hast. Mag nicht gut sein: denn wir finden im N. T. keine Lehre vom Singen, kein Beispiel... Paulus verbietet den Gesang - Epheser 5, Kolosser 3. Man soll im Herzen singen und Dank sagen ... Der übel singt, hat einen Verdruß, wer gut singt, eine Hoffart... " (Söhng., S. 33 Anm.) Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 33 Beim rkenswerterweise aber hat Zwingli das Psalmensingen und überhaupt das Musizieren in den Schulen und Häusern sehr gefördert. Kirchliche und weltliche Musik wird im Rahmen der Hausmusik aufgeführt, das andere (Gebet und Predigt) ist Sache des Gottesdienstes. Die Folgen dieser Reform betrafen mehr oder weniger die gesamte deutschsprachige Schweiz. Neben Zürich war vor allem Bern betroffen. Die Abschaffung der gottesdienstähnlichen Musik zog den Abbruch der Orgeln nach sich: zuerst im Großmünster zu Zürich am 9. Juli 1527 und den Verkauf der Berner Orgel im Jahre 1528. Solche radikalen Maßnahmen waren freilich zu unnatürlich, um auf die Dauer wirksam bleiben zu können. In Basel hatte Zwingli weniger Erfolg. Hier reformierte der deutsch protest. Theologe JOHANNES OEKOLAMPAD (1482-1531). Im Gegensatz zu Zwingli vertrat er die Ansicht: „Der Gesang hilft auch dem Gebet auf undfördert die Andacht weit mehr als die geistlichen Zeremonien. Es ist eine Anreizung, das Wort Gottes zu hören und sich mit göttlichen Dingen zu beschäftigen. " (Blume, S. 344) Zwingli konnte nicht verhindern, daß 1526 zu Ostern in Basel Psalmlieder von der Gemeinde angestimmt wurden. Auch in St. Gallen ist seit 1527 der Gemeindegesang bekannt, wie auch 1533 dort das erste evangelische Gesangbuch durch Dominik Zili herauskam. Man wollte und konnte offenbar nicht auf das gottesdienstliche Singen verzichten. In Bern wurde 1574, in Zürich 1598 der Kirchengesang wieder eingeführt, nicht aber Chorgesang und Orgelspiel. Die Gemeinde wollte aber auf die Begleitung nicht verzichten und so führte man nach alttestamentlichem Vorbild 1581 den Gebrauch von Posaunenchören ein, die dann 1731 der Orgel weichen mußten. Zwinglis Puritanismus konnte sich also im Gottesdienst nur bis 1598 halten, dann kamen - was wie Ironie klingt - vielstimmige Liedsätze auf im Gottesdienst und Zürich ging darin allen voran. 14.3 Johannes Calvin ((5fi- - ' ^ ) Nach Friedrich Blume (Evang. Kirchenmusikgeschichte, S. 347) war der in Genf wirkende Johannes Calvin (1509-1564) unter den Reformatoren der am wenigsten musikalische. Wir wissen bei ihm nichts von einer Musikausübung. Von einer Freude, wie sie Luther über die überschwengliche Gabe der Musik ausdrückt, kann hier nicht die Rede sein. In Fragen der Musik war Calvin streng bedacht, aus dem Gehorsam des Wortes Gottes heraus zu handeln. Die Musizierpraxis, die er im Gottesdienst vorfand, nannte er eine „papistische Verirrung". Damit fiel der priesterliche Altargesang weg, weil er als lateinischer Gesang seinem Wesen nach unverständlich war. Wenn nun nach Calvins Auffassung die gottesdienstliche Musik eine große Kraft besitzt, das Herz der Menschen zu bewegen und sie zur Anrufung und zum Lobe Gottes antreibt, dann ist eine solche Musik nicht irgendeine. Hatte doch so oft die geistliche Musik auch im Dienst der Eitelkeit gestanden. Gemäß dieser Feststellung entwickelte Calvin einen eigenen „cantus ecclesiasticus", der als besonderer Gesangstil sich von aller nichtgottesdienstlischen Musik deutlich unterscheiden sollte. Er sollte keine Sinnenfreude, sondern eine keusche Freude wecken. Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 34 Damit wurde der inbegleitete Gemeindegesang in der Volkssprache eingeführt. Als Text konnte nur das allein gültige Wort der Heiligen Schrift in Frage kommen bzw. die Psalmen, aber keine psalmodische Ausführung, sondern Psalmengesang in Versen. Am französischen Hof lebte damals der berühmte Dichter CLEMENT MAROT (1495-1544). Er begegnete Calvin zum ersten Mal 1531. Ihrzufolge und nach dem Kennenlernen von Martin Butzers (Straßburger Reformator, gest. 1551) Psalmenkommentar begann Marot 1532 mit seinen Psalmendichtungen. Es war eine Neudichtung eines Gemeindegesangs aus der höfischmodischen Literaturströmung des Tages heraus (Blume, S. 83). Marot konnte die Übertragung der Psalmen nicht fertigstellen, aber zwei Jahre vor seinem Tode erschien unter Calvins Aufsicht, also 1542 in Genf: "La forme des Prieres et Chants ecclesiastiques" mit 39 Gesängen, darunter allein 32 Psalmenübertragungen Marots. Nach dem Tode Marots hat der Mitarbeiter und Nachfolger Calvins, Theodor BEZA (1519-1605) die Arbeit fortgesetzt. 1562 lag der Genfer Liedpsalter vollständig vor. Er erlebte viele Auflagen und freute sich großer Beliebtheit, drang in manches Herrscherhaus (Franz I., Karl V., Katharina v. Medici, Margarete v. Navarra etc.), bis er durch die Bekämpfung der Hugenotten (Bartholomäusnacht 24. Aug. 1572) stark zurückgedrängt wurde. Im Zusammenhang mit dem Liedpsalter seien einige wichtige Berater Calvins genannt: Guillaume Franc: seit 1542 der erste Kantor an der Peterskirche in Genf. Melodienbearbeiter. Louis Bourgeois: seit 1545 in Genf als Melodienarbeiter. Großer Erzieher im Psalmengesang und Schöpfer von Singweisen; schrieb auch 4-stimmige homophone Sätze, die zunächst fürs häusliche Musizieren gedacht waren, später aber eindrangen in den Gemeindegottesdienst. Pierre Dagues: seit 1559 Peterskantor in Genf, vervollständigte die Melodiesierung des Gesamtwerkes d. h. die von Beza übertragenen Psalmen (Siehe F. Blume, S 351 ff) Claude Goudimel: einer der bedeutendsten Komponisten damaliger Zeit, wurde als Hugenott in der B.N. 1572 ermordet. Goudimel komponierte neben lateinischen Motetten und Messen einen Zyklus von Psalmversen motettenartig, polyphon; einen anderen mit schlichten homophonen Sätzen. Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 35 2 Einfährung in die Hymnoiogie „Hymnologie ist die Lehre vom Kirchenlied. Weil sie es sowohl mit seiner textlichen als auch mit seiner melodischen Gestalt zu tun hat, ist sie einerseits ein Teilgebiet der theologischen Forschung, andererseits ein Stück Musikwissenschaft" (Christoph Albrecht, Einf. in die H., Berlin 1973). Der vorliegende Stoff soll dem Prediger wie auch dem Laienglied einen kleinen Einblick in die Welt des Gemeindeliedes vermitteln. Er soll das Verständnis der verschiedenen Epochen wecken und den Leser ermuntern, sich so mancher Glaubenssänger zu erinnern, die Trost und Kraft aus ihren Liedern schöpften. Die Beziehung zu einem Lied wird wohl auch eine andere sein, wenn man etwas über seine Entstehung und Herkunft weiß. Bei der Vielzahl von Liedern, die im Laufe der Vergangenheit entstanden sind, hat sich bemerkenswerterweise eine kleinere Anzahl bis heute erhalten. Viele haben ihre Sprache gesprochen, andere die Zeiten überdauert. Musikalisch und inhaltlich gelungene „Würfe" wie „Ein feste Burg", „Du, meine Seele, singe", „Befiehl du deine Wege" und andere heute noch notwendig gebrauchte und gern gesungene Lieder sind nicht zuletzt ein Beweis fachmännischeen Könnens, 'das weder Einfachheit noch „Glaubensseele" vermissen läßt. 2.1 Das Lied in der Urgemeinde ( Siehe auch Kapitel 1.2 Musik im N.T.) Von unserem Herrn Jesus wissen wir, daß er beim letzten Abendmahl mit seinen Jüngern Teile aus den „Passa-Hailel-Psalmen" gesungen hat. (Matth. 26, 30). Aus den Bibelstellen Epheser 5,19 und Kolosser 3,16 kann man durch die Partizipialkonstruktion im giechischen Urtext ( „ ... euch untereinander lehrend und ermahnend in Psalmen, Hymnen und Oden... " ) ersehen, welche Funktion und Bedeutung Paulus dem gottesdienstlichen Gesang beimißt: 1. Konsekutiv: Singen ist eine Folge davon, daß Christus Einzug genommen hat in den Herzen. Das Wort Jesu wohne in euch, so daß ihr singt. 2. Instrumental: Lasset das Wort Christi reichlich unter euch wohnen, indem ihr (dadurch daß ihr) singt. Hier ist also das Singen ein Mittel, durch das das Wort weitergesagt wird. 2.2 Das Lied der alten Kirche und miiieiziteriichen In den ersten christlichen Jahrhunderten entstanden zahlreiche Hymnen, von denen jedoch viele verlorengegangen sind. Diese Lieder waren Ausdruck einer singenden und lebendigen Gemeinde. Ein besonderer Freund der Kirchenmusik im 4. Jh. war der Bischof von Mailand, AURELIUS AMBROSIUS (um 333-397). Er stammte aus einem alten Adelsgeschlecht und wurde zunächst Jurist. Als Erwachsener kam er mit dem Christentum in Berührung und wurde ein gewaltiger Prediger, der auch Augustinus überzeugte. In seinem Charakterfest und unbestechlich, verwehrte er dem jungen Kaiser Valentinian (von seiner Mutter Justina aufgehetzt) die Übergabe der Basilika an die Arianer. Während vor geschlossener Türe eine römische Centurie aufmarschierte, um die Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 36 Kirche mit Gewalt zu öffnen, ermunterte Ambrosius seine zornigen Gläubigen: „ Wir sind im Hause Gottes, um zu beten, nicht, um zu kämpfen" (Wilh. Hünermann, „Lobsingt d. Herrn", Rex-Verl. LuzernMünchen 1963, S. 50). Unter denen, die drei Tage und Nächte in der Basilika wachten, war auch der junge Augustinus, Professor der Beredsamkeit an der Mailänder Hochschule. Der Glaube und der Mut der Gläubigen zu ihrem Hirten erschütterten ihn tief und was in diesen Tagen der Gläubigen Gesang für ihn bedeutete, schrieb er noch als Bischof von Hippo in seinen Bekenntnissen: „ Wie weinte ich bei den Hymnen und Gesängen auf Dich, mächtig bewegt vom Wohllaut dieser Lieder Deiner Kirche! Die Weisen drangen an mein Ohr, und die Wahrheit flößte sich ins Herz, und fromminniges Gefühl wallte über: Tränen flössen, und mir war wohl bei ihnen" (Bekenntnisse, Fischer Buch. 1961, S. 158) Ambrosius ließ in der Kirche fleißig Psalmen und Hymnen singen. Dabei benutzte er gern die Form des Wechselgesanges zwischen Priester und Gläubigen. Aus seinen Schriften wissen wir: „Musik und Poesie sind die beiden Flügel, aufweichen die von Hoffnung, Reue und Liebe bewegte Seele zu Gott emporgetragen wird... Die Stimmen der Männer und Frauen und Kinder, die in Psalmen und Responsorien erklingen, gleichen dem Brausen der Meereswellen. Die so teuer gewordenen Gesänge leben auch außerhalb der Kirche fort, zu Hause, auf dem Felde, am Webstuhl und auf dem Schiffe, und bewähren sich auf diese Weise gegenüber den Gefahren durch die heidnischen Lieder als treue Schützer" (W. Hünerm., Lobsingt dem Herrn, S. 43) Seit Ambrosius ist das strophische Gemeindelied bekannt. Das sogenannte Metrum Ambrosianum besteht (d. h. also seine Gedichte) aus acht Strophen, deren jede vier Zeilen zu acht Silben enthält. Mindestens vierzehn Hymnen sind bei ihm bezeugt. Aus der berühmten Hymne „Veni redemptor gentium" schuf Luther sein „Nun komm der Heiden Heiland". Ob das „Großer Gott, wir loben dich" auf Ambrosius zurückgeht (wie im PGB, Nr. 32 angegeben), ist nicht bewiesen. Nach Christoph Albrecht (Siehe auch bei 'Wackernagel', Kirchenlied, Bd. 1) hat die hymnologische Forschung über 20.000 lateinische geistliche Dichtungen aus der mittelalterlichen Kirche ermitteln können. Sehr wenig davon ist heute noch von Bedeutung. Besonders Pfingsthymnen sind vertreten, z. B. die vom Benedikinermönch und späteren Erzbischof von Mainz, HRABANUS MAURUS (etwa 776-856) „Veni creator spiritus". Nach diesem schuf Luther sein „Komm, Gott Schöpfer, Heilger Geist". Ein heute noch gern gesungenes Weihnachtslied „Es kommt ein Schiff, geladen" geht auf den Dominikanermönch JOHANNES TAULER (1300-61), Schüler des Mystikers Eckehart, zurück. Ungefähr 1500 deutsche geistliche Lieder (Albrecht, S. 13) sind aus vorreformatorischer Zeit nachweisbar. Aber auch hier sind viele für unsere Zeit unbrauchbar geworden und erweisen sich andererseits auch nicht als Lieder von hohem poetischen Wert. Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 37 2,3 Das Lied in der R&form&tfonsatQit: Martin Luther (Siehe auch Kap. 1.4) Von Luther sind 43 Lieder bekannt, davon 37 Kirchenlieder. Von diesen 37 hat Luther nur 5 frei geschaffen. Bei 32 lehnt er sich an Vorlagen an, zunächst an die Bibel und hier besonders um die Psalmen. Auch nimmt er lateinische Lieder der mittelalterlichen Kirche, Hymnen, die z. T. auf Vorlagen der morgenländischen Kirche zurückgehen, Wechselgesänge, Sequenzen. Luther bearbeitet auch das mittelalterliche deutsche Volkslied, Wallfahrtslieder, Meßgesänge und ein Marienlied. (Mehr darüber: Paul Gabriel, „Das dt. evang. Kirchenlied, S. 12) Unter den frei erfundenen Liedern befindet sich auch ein Märtyrerlied, d. h. eine Ballade, die aus Anlaß der am 1. Juli 1523 in Brüssel verbrannten 2 Ordensbrüder Luthers entstand: „Ein neues Lied wir heben an...". 1523 entstand Luthers persönliches Glaubenslied: „Nun freut euch liebe Christen mein und laßt uns fröhlich springen ...". Man spürt den Mönch, der Ruhe in Gott sucht. Wahrscheinlich aus dem selben Jahr stammt eine Nachdichtung des 130. Psalms: „Aus tiefer Not schrei ich zu Dir...". Nach einem altkirchlichen Hymnus von Gregor I. „O lux beata trinitas (Selges J-icht der Dreieinigkeit) dichtet Luther: „Der du bist drei in Einigkeit". Auch Lehrlieder (Dies sind die heil'gen 10 Gebot; Wir glauben all an einen Gott) sind neben Schutz- und Trutzliedern (Ein feste Burg) zu nennen. Luthers Lieder wurden meist mündlich weitergegeben, aber auch durch Flugblätter. In kürzester Zeit sang man in Deutschland seine Lieder, auf dem Marktplatz, vor der Kirche und auf der Straße, wo immer sich Gelegenheit fand. Die umherfahrenden Sänger nannten die Leute „Sturmvögel der Reformation". Bekannt ist die Klage des Jesuiten CONZENIUS: Luthers Lied habe die katholische Kirche mehr Abtrünnige gekostet als Luthers Predigt. (G. Mittring, Musik als Lobgesang, Darmstadt 1964). Luthers Liedstil ist kurz und kräftig. Er liebt keine langen Satzkonstruktionen. Der Reim ist häufig unrein, z. B. auferstanden-gefangen, kommt-Sünd, Sohn-abgetan. Auch finden wir keine lange Strophenanzahl, im Unterschied zu Paul Gerhardt. 1524 kam das „Achterliederbuch" heraus. Es hatte 4 Lutherlieder, 3 von Speratus, 1 unbekanntes. Vier Lieder waren auf eine Melodie geschrieben, nach „Es ist das Heil uns kommen her". Im selben Jahr erfolgten zwei größere Ausgaben mit je 25 Liedern, gedruckt in Erfurt (Die erste in Wittenberg). Luther-Lieder im DZL (=„Deutsches Zionsliederbuch", Adventverlag Hamburg, 1935) bzw. im WLG (=„Wir loben Gott", Adventverlag Hamburg, 1982): Dies sind die heil'gen 10 Gebot Vom Himmel hoch Gelobet seist Du, Jesus Christ Aus tiefer Not Ein feste Burg Verleih uns Frieden gnädiglich Erhalt uns Herr, bei deinem Wort Manfred Pickhardt: Theologie der Musik DLZ 88 nicht mehr im WLG DLZ 92 bzw. WLG 125 DLZ 100 bzw. WLG 123 DLZ 192 bzw. WLG 202 DLZ 463 bzw. WLG 332 DLZ 464 bzw. WLG 391 DLZ 476 bzw. WLG 419 Seite 38 2.4 Dichter um unä a&ben Luther 2.4.1 Johann Walter (1496-1570) „Urkantor der evang. Kirche" genannt. Kapellmeister an der Torgauer Kantorei. Auf Bitten Luthers wurde er vom Kurfürsten 1524 nach Wittenberg berufen. Walter war ein enger Mitarbeiter des Reformators. Gab 1524 mit Luthers Vorrede das erste evang. Chorgesangbuch mit 32 deutschen und 5 lateinischen Gesängen im mehrstimmigen Chorsatz heraus. Nach dem Tode Luthers verfolgte er mit Sorge und Gram die Entwicklung seiner -Kirche. Die Führung war dahin und so sang er sein Lied: „Wach auf, wach auf, du deutsches Land, du hast genug geschlafen" mit 26 Strophen (EKG 390). In seinem Lied „Herzlich tut mich erfreuen die liebe Sommerzeit" (DZL 385 bzw. WLG 357) gibt Walter einen Einblick und Ausblick auf die Ewigkeit. Er hilft Luther bei der Gottesdienstreform (begonnen 1523) und ist Mitgestalter der deutschen Messe 1526. 2.4.2 Nikolaus Hermann (um 1480-1561) Kantor der Schule zu Joachimsthal in Böhmen. Von Luther hoch geachtet als ein frommer Mann. Er las Luthers Schrift:"An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes, daß sie christliche Schulen aufrichten und erhalten sollen." Bemühte sich, die Jugend in der Gottesfurcht zu erziehen. Sein Rektor, Johannes Mathesius, handelte nach dem Motto: „Christus liebhaben ist viel besser als alles Wissen". Aus dem Liedschatz dieses kinderreichen Familienvaters und freudigen Anhängers der Reformation, der einen schlichten Liedtyp schreibt, sind wohl folgende Lieder zu nennen: Lobt Gott, ihr Christen allzugleich Bescher uns, Herr, das täglich Brot Hinunter ist der Sonne Schein DLZ 99 bzw. WLG 124 DLZ 370 bzw. WLG 355 DLZ 637 bzw. WLG 51 (Siehe auch: Jörg Erb, Dichter und Sänger des Kirchenliedes, St.-Johannes-Druckerei C. Schweickhardt, Dinglingen, 1970, Bd. 1, S. 59 ff) Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 39 2.4.3 Justus Jonas (1493-1555) Er war es, der sich als junger Mann am 16. April 1521 zu Luther gesellte, als dieser auf seinem Rollwägelchen durch das Martinstor in Worms einfuhr. Zunächst Doktor der Rechtswissenschaft und der Theologie in Wittenberg, reformierte er später unter viel Leid und Trübsal die Stadt Halle. Er war es auch, der am Sterbebett Luthers stand und ihn fragte, ob er auf Christus und die Lehre, die er gepredigt habe, sterben wolle. Jonas verfaßte ein Lied über den 124. Psalm: „Wo Gott der Herr nicht bei uns hält, so ist's mit uns verloren." 2.4.4 Paul Speratus (1484-1551) stammte aus Schwaben. Wurde als Domprediger in Würzburg wegen seines Bekenntnisses zu Luther 1520 ausgewiesen. Als Domprediger in Salzburg wegen seiner Sittenpredigten vertrieben. Speratus predigte in der Stephanskirche gegen Mönchsgelübde, Ehelosigkeit und gegen Rom. Deshalb kurzerhand exkommuniziert. In Mähren eingekerkert und zum Scheiterhaufen verurteilt, wurde er nach 12 monatiger Haft entlassen. Zuletzt Reformator in Preußen.. Speratus verfaßte ein Lied über Glaube und Rechtfertigung: „Es ist das Heil uns kommen her, von Gnad und lauter Güte.". DZL 186 bzw. WLG 213 2.4.5 Nikolaus Decius (um 1485-1546 oder später) Als Probst am Nonnenkloster in Wolfenbüttel (Norddeutschi.), wandte er sich 1520 der Reformation zu. War später Pfarrer in Stettin. Decius bearbeitete das altkirchliche „Gloria in excelsis Deo" zu: „Allein Gott in der Höh sei Ehr" DZL 1 bzw. WLG 1 2.4.6 Johann Gramann (1487-1541) War zunächst katholischer Rektor an der Thomasschule in Leipzig. 1519 dort Sekretär von Dr. Eck bei der Disputation mit Luther und dabei durch Luthers Auftreten fürs Evangelium gewonnen. Prediger in Würzburg, Nürnberg und Königsberg. Sein Lied: „Nun lob, mein Seel, den Herren" DZL 26 bzw. WLG 39 ist eine großartige Übertragung des 103. Psalms. In Nürnberg besang Hans Sachs Luther als die „Wittenbergische Nachtigall". Von seinen Liedern hat sich jedoch keines behaupten können. Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 40 2.4.7 Die Böhmischen Brüder Sie gehörten eigentlich nicht zum Dichterkreis Luthers, sind aber doch dessen zeitliche und theologische Nachbarn. Die B. B. sind die Vorfahren der Herrnhuter Brüdergemeinde. Die alte Brüderunität entstand im Zusammenhang mit den Hussitenwirren. Es gab Eiferer, die für den gewaltsamen Tod des Johann Hus 1415 Rache nahmen durch Morden und Brennen. Von diesen sonderte sich bald eine Gruppe ab, die sich darüber klar war, daß man der Sache Christi nicht mit Waffengewalt dienen könne. Diese tschechisch sprechenden Gläubigen wurden in ihrem Kreis 1478 durch emigrierende Waldenser aus der Mark Brandenburg vergrößert. Sie sprachen deutsch. Für beide Sprachen war ein Gesangbuch notwendig. 1501 entstand das tschechische, 1531 das deutsche Gesangbuch. Der Verantwortliche des letzteren war MICHAEL WEISZE (um 1488-1534). Wenn im letzten von Luther bearbeiteten Gesangbuch (Babstsche G.) 14 Lieder Weißes enthalten sind, so ist das ein Zeugnis gegenseitiger Kontakte und Wertschätzung. Von Michael Weiße sind 137 Lieder bekannt. Doch sind viele unserem Sprachausdruck nicht mehr zumutbar. Das DZL weist die Nummer 207 auf: „O gläubig Herze, benedei, und gib Lob deinem Herren!" (im WLG nicht enthalten) Ferner wird im Chorgesang sehr gern sein „Gelobt sei Gott im 'höchsten Thron" gesungen. 2*5 Das reformierte Ps&lmH&d Siehe Kapitel 1.4^Johannes Calvin 2.6 Bus i / e d Im Zeitalter der Gegenreformation (Bekenntnislied i$$Q* 1618) Diese Zeit ist geprägt durch den Kampf um die reine Lehre, vor allem gegen Katholizismus und Calvinismus. Im Lied sticht das Lehrhafte hervor. Glaubenskämpfe und Kriege einerseits, Pest und Hungersnot andererseits lassen die Dichter oft über Tod und ewiges Leben singen. Der Augsburger Religionsfrieden 1555 brachte nur die Ruhe vor dem Sturm. Der geistliche Führer war dahin und ein neuer „Großer" war nicht zu finden. Die katholische Kirche hatte sich gefestigt und im Jesuitenorden ein besonderes Instrument gefunden, das in der Gegenreformation zu immer neuen Schlägen ausholte. In den Reihen des Protestantismus sah es düster aus. Konfessionelle Gegensätze (z. B. durch das Vordringen des Calvinismus) ließen manche Pfarrer ins Gefängnis und in den Tod wandern., weil sie sich verdächtig gemacht hatten. Zu Hunderten wurden solche aus dem Amt und Haus verjagt, die sich weigerten, ihren Namen unter eine vorgelegte Erklärung oder unter ein Bekenntnis zu setzen. Viele unterschrieben mit gebrochenem Gewissen, weil sie es nicht übers Herz brachten, Frau und Kinder dem Elend auszuliefern. Wie sollten die Dichter bei einem solchen geistlichen Raufhandel Lob- und Festlieder schreiben können! Immerwieder predigten mutige Hirten gegen Trunksucht und Unzucht, was ihnen seitens des Volkes und ihrer Patronatsherren viel Ärger einbrachte. Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 41 Trotz „wirre Köpfe, leere Herzen und stumpfe Gewissen... " wurde aber doch ein Grund gelegt, „der viele in den Stürmen des kommenden Weltkrieges getragen und gehalten hat". (Gabriel; Das dt. evang. Kirchenlied, S. 47) 2.6.1 Nikolaus Seinecker (1528-1592) Schüler Melanchthons. Versuchte zwischen Luthertum und Calvinismus zu vermitteln. Deshalb von beiden Seiten verachtet und schließlich des Amts enthoben. War Hofprediger in Dresden, Theologieprofessor in Jena und Leipzig, Superintendent in Hildesheim und Leipzig. Auch hatte er Anteil am Verfassen der Konkordienformel (Lutherische Bekenntnisschrift 1577). Ein konsequenter Mann, den man mit „Seelenhenker" und „Seelnecator" (=Seelenmörder) verspottete. N. S. schuf 120 Kirchenlieder und Psalmenübertragungen und gab 1587 sein eigenes Gesangbuch heraus. Das WLG bringt die Nr. 392 von ihm: „Laß mich dein sein und bleiben" und die Nr. 514: „Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ, weil es nun Abend worden ist." 2.6.2 Valerius Herberger (1562-1627) 37 Jahre Pastor in seiner Heimatgemeinde Fraustadt. Unter den 17 Pestjahren in seiner Amtszeit ist besonders das Jahr 1613 zu nennen. Hunderte starben in seiner Gemeinde. Tag für Tag waren große Beerdigungen zu halten und Zweifel an der Güte Gottes zu überwinden. Aus dieser Situtation heraus schrieb er sein Lied: "Valet will ich dir geben" (WLG 235 Der Titel dieses Liedes ist verständlich: „Ein andächtiges Gebet, damit die evangelische Bürgerschaft zu Fraustadt Anno 1613 im Herbst Gott dem Herrn das Herz erweicht hat, daß er seine scharfe Zuchtrute, unter welcher bei 2000 Menschen sind schlafen gegangen, in Gnaden hat niedergelegt. Sowohl ein tröstlicher Gesang, darinnen ein frommes Herze dieser Welt Valet gibt" (Chr. Albrecht, Einführung in die Hymnologie, S. 30) Mit dem Wort „VALET" am Anfang des Liedes beabsichtigt der Dichter ein Akrostichon über seinen Namen. Die ersten vier Anfangsbuchstaben seines Vornamens sind in „Valet" (vale=lat. lebe wohl; valete=lebt wohl) enthalten und die Anfangsbuchstaben der Strophen nacheinander ergeben „Valerius", d. h. die 1. Strophe „Vale" und die anderen 4 Strophen „rius". Möglicherweise haben wir heute nicht ganz das enge Verhältnis zu diesem Lied, jedoch können „Himmelssehnsucht" und Trostlieder schneller aktuell werden als wir es erahnen. 2.6.3 Ambrosius Lobwasser (1515-1585) Jurist in Königsberg. Als Lutheraner lernte er bei einem Aufenthalt in Frankreich den reformierten Genfer Psalter von Marot-Beza kennen. Er übersetzte ihn 1573 ins Deutsche (also nicht vom Original der Bibel) und nahm dafür die volkstümlichen Melodien des Louis Bourgeois. Diese Weisen sind es dann vor allem gewesen, die Lobwassers „Verse, in deutsche Reime gezwängt" populär machten. Sie verdrängten zum Teil deutschsprachige Psalmübertragungen lutherischer Dichter. Mit dieser Entwicklung war aber , , , t Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 42 2.6.4 Cornelius Becker (1561-1604). Theologieprofessor in Leipzig und streitbarer Lutheraner (deshalb 1601 suspendiert), nicht einverstanden. Er befürchtete das, was später, im Jahre 1669 Pfarrer Schragmüller in Speyer sagte: „ Mutata musica in templis mutatur etiam doctrinae genus = bei Veränderung der Musik oder geistlichen Gesängen und Liedern in den Kirchen wird auch die Art und Weise der Lehre verändert" (Gabriel: Das dt. evang. Kirchenl., S. 54). So schuf er 1602 eine Neudichtung der Psalmen, um „denen, denen der Atem nach dem Cahinismo reucht", das Spiel zu verderben. Den „fremdenfranzösischenundfür die weltlüsternen Ohren lieblich klingenden Melodeyen" versuchte er lutherische Choralmelodien mit gängigen Strophenmodellen entgegenzusetzen. Die Dichtungen Beckers sind sprachlich nicht von besonderem Niveau, sind aber z. T. durch Vertonungen von Heinrich Schütz, der 1628 und 1661 den Becker-Psalter in schlichten homophonen Sätzen vertonte, bekannt. 'Neben dem aus Frankfurt an der Oder stammenden, leidgeprüften Pfarrer 2.6.5 Bartholomäus Ringwaldt (1530-1598). der uns ein Lied über die Wiederkunft Christi geschenkt hat, „Es ist gewißlich an der Zeit" DZL 156 bzw. WLG 166, ist noch der Theologe und Dichterkomponist, Hauptpastor an St. Katharinen in Hamburg, zu nennen: 2.6.6 Philipp Nicolai (1556-1608) Auch er erlebte als Pfarrer von Unna (Westfalen) 1597/98 die schwere Pestepidemie, die täglich 30 und mehr Beerdigungen forderte. Aus dieser Situation heraus schrieb Nicolai 1599 einen „Freudenspiegel des ewigen Lebens", mit dem er die Gläubigen auf eine Zeit himmlischer Freude ohne Leid und Trübsal tröstete. Im Anhang dieser Schrift standen drei Lieder, darunter: „Wie schön leuchtet der Morgenstern" „Wachet auf ruft uns die Stimme" DZL 39 bzw. WLG 54 DZL 136 bzw. WLG 165 Das Morgenstern-Lied ("König" genannt) will inhaltlich die Gemeinschaft mit Christus betonen. In der Originalfassung sind Bilder einer Brautmystik verwendet, die nach heutigem Verständnis nicht mehr möglich sind und daher verändert wurden, z. B.: „...nimm michfreundlichin dein Arme, daß ich warme werdvon Gnaden..." (Siehe bei Albrecht, Hymnologie S. 33). Interessant ist der Aufbau des Silbenschemas, welches, graphisch dargestellt, einen Abendmahlskelch bildet. Um die Frische dieses Liedes zu erhalten, sollte es in der rhythmischen Form gesungen werden. Das „Wächter-Lied" ("Königin" genannt) hat seine Sprache aus Matthäus 25 und aus der Offenbarung des Johannes. Es endet mit einem „Gloria" auf das, „was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat" : „...Des sind wir froh, io, io, ewig in dulci jubilo". Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 43 2.7 Paul Gerhardt und se/ne Ze/f (1$1S-1$S0) Es klingt merkwürdig, wenn man in Büchern über diese Zeit liest, daß „sie eine ungeahnte Blüte des Kirchenliedes" hervorbrachte. Aber vielleicht hat gerade die Not die Menschen herausgefordert, ihren Glauben zu bekennen oder nicht. Der Ausdruck vieler Lieder dieser Zeit ist die über harte Tage hinweghelfende Freude des Christen in seinem Herrn Jesus Christus. So ist es verständlich, daß die zunächst für die Hausandacht entstandenen Lieder von einer bestimmten Subjektivität geprägt sind. 2.7.1 Martin Opitz (1577-1639) Philosophieprofessor in Königsberg. Ist nicht durch ein bedeutendes Lied in die Hymnologie eingegangen, wohl aber als „Formenschulmeister der neuen Dichtkunst". Opitz erklärte einerseits den Fremdwörtern, die in Massen ins Deutsche eingedrungen waren, den Krieg, wie er andererseits sich gegen unreine Reime und Wortverkürzungen wandte und die Regel „Wortakzent=Versakzent" aufstellte. 2.7.2 Johann Heermann (1585-1647) Er ist einer der großen Liederdichter zwischen Luther und Paul Gerhardt. Seine Lebensgeschichte ist ergreifend: „Die Eltern, die bereits fünf Kinder verloren hatten, wendeten ihm besondere Aufmerksamkeit zu. In seinen jungen Jahren hat Valerius Herberger, in dessen Hause in Fraustadt er Aufnahme fand, am tiefsten auf ihn gewirkt. Man ist bewegt darüber, was der früh (1608) mit dem kaiserlichen Lorbeer geschmückte Dichter in seinem Leben ausgehalten hat. Ein Augenleiden zwingt ihn, das Studium in Straßburg abzubrechen. Seine Gemeinde in Koben wird von einer Feuersbrunst heimgesucht, die von der Stadt nicht viel übrig läßt. Ein Jahr später, kurz vor dem Kriege, stirbt seine Frau. 1629 treiben ihn die Dragoner aus dem Hause. Wallensteins Truppen nehmen ihm, nachdem er wiedergekommen war und Hunderte durch die Pest sterben sah, all sein Hab und Gut. Auf der Flucht über die Oder im übervollen Kahn wird er beschossen und nur damit gerettet, daß er sich in diesem Augenblick nach einem ins Wasser gefallenen Kinde bückt. In der Gemeinde fehlt es dem gewissenhaften Prediger, der kein Blatt vor den Mund nimmt, nicht an Kränkungen. Tiefer greift der Kummer um seinen Sohn, der von den Jesuiten in Breslau zum Übertritt reif gemacht worden ist und erst im letzten Augenblick von dem 'bis in den Tod betrübten Vater' herumgeholt wird. Drei Jahre später hat ihm der Tod diesen besonders vielversprechenden Sohn genommen. Über alledem konnte er nicht eines gesunden Tages sich in seinem Leben erinnern, so daß er schon mit 53 Jahren sein Amt aufgeben mußte und zuletzt in Lissa (Polen) ganz ans Haus gefesselt war, nicht mehr sitzen und liegen, sondern nur noch angelehnt stehen konnte, bis er endlich 1647 abgerufen wurde " (Gabriel, Das dt. evang. Kirchenl., S. 58). Mehr als 400 Lieder dichtete dieser schwer geprüfte Mann. Viele bedeuteten in der Zeit des 30jährigen Krieges, der ganz Deutschland verwüstete, geistliche Aufrichtung und Trost. Im DZL finden wir zwei Nummern von ihm, eine als Wort aus Hes. 33,11: „So war ich lebe, spricht der Herr" (Nr. 159); die andere als Lied der Heiligung: „O Gott, Du frommer Gott" (Nr. 257 bzw. WLG 281). Die dritte Strophe wird auch „des Christen Mundschloß und Zungenarzt" genannt. Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 44 2.7.3 Heinrich Albert (1604-1651) Neffe des Heinrich Schütz, Organist in Königsberg, ist im Liederbuch mit einem Morgenlied: „Gott des Himmels und der Erden" (DZL 621 bzw. WLG 502) vertreten und 2.7.4 Georg Neumark (1621-1681). herzoglicher Archivsekretär in Weimar, mit einer Liednummer über christliche Erfahrung: „Wer nur den lieben Gott läßt walten" DZL 309 bzw. WLG 298 2.7.5 Paul Gerhardt (1607-1676) Seine Biographie ist mehr als lesenswert, kann aber an dieser Stelle wegen ihres Umfangs nur kurz notiert werden. 1622-1627 Schulzeit an der Fürstenschule in Grimma. Streng lutherische Erziehung. Nach dem Theologiestudium in Wittenberg muß er sich als Hauslehrer sein Brot verdienen, bis er 1651 seine ' 1 . Stelle als Pfarrer in Mittenwalde antreten kann. 1657 kommt er an die Nikolaikirche, Berlin. Als streitbarer Lutheraner verweigert er dem Kurfürsten eine Unterschrift, die ihn zum Verzicht auf seine „Kanzelpolitik" aufforderte. Daraufhin wurde er vom Kurfürsten entlassen. Von dort ging Gerhardt nach Lübben, Niederlausitz, wo er bis zu seinem Tode wirkte. Das Gedächtnis, das die Gläubigen zu Lübben ihrem Hirten in Form eines Bildes stifteten, trägt die Inschrift: „Theologus in cribo Satanae versatus" (= ein Theologe, der im Siebe Satans gesichtet wurde). Diese Inschrift kennzeichnet das harte und leidvolle Leben dieses Dichters, der Frau und Kinder verloren hat und in seinem Testament u. a. schreibt: „ Meinem einzigen hinterlassenen Sohn (Paul Friedrich) überlasse ich von irdischen Gütern wenig, dabei aber einen ehrlichen Namen, dessen er sich wird nicht zu schämen haben. Es weiß mein Sohn, daß ich ihn von seiner Kindheit an dem Herrn meinem Gott zu eigen gegeben, daß er ein Diener und Prediger seines heiligen Wortes werden soll. Dabei soll er nun bleiben und sich nicht daran kehren, daß er nur wenig gute Tage dabei haben möchte; denn da weiß der liebe Gott schon Rat zu und kann die äußere Trübsal mit inniglicher Herzenslust und Freudigkeit des Geistes genugsam ersetzen" (Jörg Erb: P. Gerhardt und seine Lieder, Hänssler-Verlag 1974, S. 73). 133 Lieder sind von Paul Gerhardt bekannt. Seine Lieder sind nicht zuletzt durch die Opitz'sche Reform sprachlich bereichert worden. Auch beweisen sie ein hohes Niveau dichterischen Könnens und musikalischen Empfindens. Wer wollte auf seine Lieder, die so manche Seite des Lebens anklingen lassen, verzichten?! Aus dem Schaffen des Sängers seien einige geliebte Nummern genannt: „Wie soll ich dich empfangen" „Ich steh an deiner Krippen hier" „Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld" „O Haupt voll Blut und Wunden" „O Welt sieh hier dein Leben" „Auf, auf, mein Herz, mit Freuden" Manfred Pickhardt: Theologie der Musik DZL 142 bzw. WLG WLG 130 DZL 105 bzw. WLG DZL 108 bzw. WLG DZL 115 bzw. WLG nicht im WLG 169 146 143 147 Seite 45 „Du meine Seele, singe" „Ich singe dir mit Herz und Mund" „Sollt ich meinem Gott nicht singen" „Ist Gott für mich, so trete" „Befiel du deine Wege" „Warum sollt ich mich denn grämen" „Die güldne Sonne, voll Freud und Wonne" „Lobet den Herren, alle die ihn ehren" „Wach auf, mein Herz, und singe" „Nun ruhen alle Wälder" „Geh aus, mein Herz, und suche Freud" „Nun danket all und bringet Ehr" DZL 3 bzw. WLG 4 DZL 11 bzw. WLG 21 DZL 12 bzw. WLG 26 DZL 300 bzw. WLG 297 DZL 268 bzw. WLG 258 DZL 349 bzw. WLG 336 WLG 504 DZL 613 bzw. WLG 500 DZL 622 bzw. WLG 499 DZL 623 bzw. WLG 516 DZL 642 bzw. WLG 537 DZL 454 bzw. WLG 20 Bemerkenswert an Paul Gerhardt-Liedern ist, daß sie fast alle mit dem Gedanken der Ewigkeit schließen (sub specie aeternitatis). Auch sind es gerne sogenannte „ICH"-Lieder, die aus dem persönlichen Erlebnis sprechen. Die Texte von Paul Gerhardt sind z. T. von dem Organisten der Nikolai-Kirche, Johann Crüger (1598-1662), der in seinen letzten Lebensjahren mit P. Gerhardt gemeinsam amtierte, vertont worden, d. h. 7 Weisen Crügers entfallen auf dessen Texte. Beim Lied: „O Haupt voll Blut und Wunden" wird Hans Leo Haßlers Melodie verwendet. r 2.B Oas Lied im Pietismus (1ßSÖ~175Q) Diese Zeit zeichnet sich durch einen lebendigen Glauben aus. Das Gefühl wird stark betont. Im Inhalt der Lieder geht es besonders um Erweckung, Bekehrung und Heiligung. Es geht um das „Habt nicht lieb die Welt" und die Hingabe an Jesus Christus, den Bräutigam. Der Missionsgedanke wird lebendig. Die erstarrte Kirche wird zu einem lebendigen Glauben mit Bibellesen und Gebet ermuntert. Sicherlich schlägt das Pendel, wenn es um den Ausdruck dieser Zeit im Lied geht, zuweilen ins Sentimentale und Schwülstige um, doch wurden derartige Lieder bald danach bearbeitet oder aus mehreren eines gemacht (z. B. Gregor bei Zinzendorf). Neben dem Missionarischen und Kämpferischen tritt auch der beschauliche Ton hervor (z. B. Joh. Scheffler). Das pietistische Lied ist zunächst für kleinere Zusammenkünfte einer Gruppe von Erweckten gedacht gewesen, hat sich aber in vielen Fällen den „Gottesdienst" erobert. Die Melodien dieser spätbarocken Zeit sind oft „Andachtsarien", d. h. Sologesänge (darüber später) mit großem Tonumfang. Durch isometrische Melodik (Isometrie = Gleichmaß, Längengleichheit) wird dann der Gemeindegesang zu einer schleppenden Gleichförmigkeit. 2.8.1 Johann Scheffler (1624-1677) Streng lutherisch erzogen. Verlor als Kind Vater und Mutter. 1643 Medizinstudium in Straßburg. In Holland lernte er die „mystische Form eines schwärmerischen Katholizismus" kennen. Er studierte die mittelalterliche Mystik (Meister Eckehart und Johannes Tauler), konvertierte und wurde ein Kämpfer für die Gegenreformation. Dabei nahm er den Vornamen „Angelus" an. Die Literaturgeschichte kennt ihn als ANGELUS SILESIUS = schlesischer Engel. Ob er in seinem Lied „Mir nach, spricht Christus, unser Held" (DZL 238 bzw. WLG 187) die „Weltflucht" als Christentum in der Beschaulichkeit versteht, wollen wir nicht hoffen, sondern: 1. Joh. 2,15-17. Weitere Lieder von ihm: „Ich will dich lieben meine Stärke" „Liebe, die du mich zum Bilde" „Auf, Christenmensch, auf, auf zum Streit" Manfred Pickhardt: Theologie der Musik DZL 47 bzw. WLG 58 DZL 48 DZL 343 Seite 46 2.8.2 Johann Jakob Schütz (1640-1690) Von Spener, dem „Vater des deutschen Pietismus" beeinflußt, traf er sich mit anderen in kleinen Erbauungsversammlungen (Collegia pietatis). Seiner Schrift aus dem Jahre 1675, „Christliches Gedenkbüchlein zur Beförderung eines anfangenden neuen Lebens, worin zur Ablegung der Sünde, Erleuchtung des inneren Menschen und der Vereinigung mit Gott in möglichster Kürze und Einfalt die erste Anregung geschieht", fügte er fünf Lieder bei, von denen eines im DZL 15 bzw WLG 22 verewigt ist: „Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut." 2.8.3 Johann Heinrich Schröder (1667-1699) Als Schüler und geistlicher Sohn Aug. Herrn. Franckes dichtete er die Lieder: „Eins ist not" „Jesu, hilf siegen" DZL 158 bzw. WLG 204 DZL 322 bzw. WLG 323 'Neben vielen anderen Dichtern dieser Epoche, die aus Platzgründen nicht alle vermerkt werden können, seien einige hervorstechende erwähnt: 2.8.4 Joachim Neander (1650-1680) Ein nur sehr kurz lebender Lehrersohn, der reformierte Theologie studierte. War Hauslehrer, später Rektor einer Schule in Düsseldorf. Seine drei Lieder „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren" „Wunderbarer König, Herrscher von uns allen" „Sieh, hier bin ich, Ehrenkönig" DZL 22 bzw. WLG 2 DZL 13 bzw. WLG 24 DZL 456 bzw. WLG 408 sind gern gesungene Lieder. Zu bemerken ist, daß Neander so oft vom „König" spricht. Vielleicht wollte er gemäß seiner Kirche oder Theologie den Abstand Gottes vom Menschen betonen, vielleicht auch deutlich machen, daß Gott nicht unser Kumpel ist, dem wir kollegial auf die Schulter klopfen, sondern ein dreimal heiliger und anbetungswürdiger Gott. 2.8.5 Gerhard Tersteegen (1697-1769) Ein Kaufmann und Bandweber aus Mühlheim an der Ruhr. Ein stiller Beter, der sich als Erweckungsprediger und Seelsorger brieflich und im Gespräch bemüht. Seine Sprache ist eine sehr verinnerlichte und persönliche. Er wird „der berühmteste und frömmste unter den Mystikern der reformierten Kirche" genannt. Seine Lieder: „Gott ist gegenwärtig" „Ich bete an die Macht der Liebe" „Siegesfürst und Ehrenkönig" „Groß ist unsers Gottes Güte" „O Jesu, meines Lebens Licht" „Nun sich der Tag geendet" Manfred Pickhardt: Theologie der Musik DZL 22 bzw. WLG 36 DZL 41 bzw. WLG 63 DZL 50 DZL 310 DZL 610 bzw. WLG 496 DZL 635 bzw. WLG 521 Seite 47 Er muß ein eigenartiger Mann gewesen sein, dieser Tersteegen, wenn Leute ihn mit 1000 Fragen plagten und ihn, fieberkrank, aus dem Bett holten, um eine Predigt von ihm zu hören, oder unterwegs in eine Scheune schleppten, in der sich schon eine kleine Gemeinde versammelt hatte. Ein Mann, dem der Herrnhuter „Zinzendorf zu leichtfertig schien, weil kein Mensch sich in ein paar Stunden oder Tagen bekehren könne und Christus nicht mit „süßen Erfahrungen" verwechselt werden dürfe; ein Mann, der nicht in die Kirche ging und doch so vielen reformierten und lutherischen Pastoren aus seiner geistlichen Erfahrung raten konnte. Freilich - von Zweifel geplagt - hatte sein Glaube auf dem Spiel gestanden, bis er lernte, Unvollkommenheiten auf den zu werfen, mit dem er in stiller Zurückgezogenheit lebte und dem er sich 1724 mit eigenem Blut verschrieben hat. In diesem Sinne sein Lied, „Gott ist gegenwärtig..." (WLG 36). 2.8.6 Benjamin Schmolck (1672-1737) Ein Oberpfarrer aus Schweidnitz, der in der Zeit der Gegenreformation sich in ständigem Kampf mit den Jesuiten befand. Am Ende seines Lebens war er gelähmt und erblindet. Der Quantität von fast 1200 Liedern entsprach nicht immer die Qualität. Auf jeden Fall war er ein Schlesier, dem die „Bilder der Poesie" nur so zufielen und der nie um ein Lied verlegen war. In unserem DZL sind 14 Nummern von ihm enthalten, darunter: „Teures Wort aus Gottes Munde" „Gib mir das Wollen und Vollbringen" „Seele, geh auf Golgatha" „Halleluja, Jesus lebt" „Dennoch bleib ich stets an Dir" „Tut mir auf die schöne Pforte" „Der Sabbat ist vergangen" 2.8.7 Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf DZL 74 bzw. WLG 92 DZL 90 bzw. WLG 109 DZL 113 DZL 121 bzw. WLG 156 DZL 333 bzw. WLG 319 DZL 427 bzw. WLG 379 DZL 548 (1700-1760) Sohn eines sächsischen Ministers. Hof- und Justizrat in Dresden. Schon früh wurde sein Herz durch Gebetsversammlungen und den Einfluß Franckes für die Liebe zur Heidenmission berührt. Er sammelte manche Erfahrung als Vielreisender durch Städte und über Meere bis Nordamerika. Sein Motto, „Der Glaube bricht durch Stahl und Stein und kann die Allmacht fassen", läßt ihn alle Freuden, die er sich gemäß seinem Stande und seiner Gaben hätte leisten können, vergessen, und dafür keine Entsagung scheuen, „SEINER PASSION" gerecht zu werden. Was das Wort Gottes für ihn bedeutet, drückt sein folgendes Lied aus: „Herr, dein Wort, die edle Gabe, diesen Schatz erhalte mir".... WLG 93 Und wenn Zinzendorf singt: „Herz und Herz, vereint zusammen" WLG 421 dann beweist er seine Liebe zu den böhmisch-mährischen Exulanten, denen er auf seinem Boden Heimatrecht gewährt und zum Begründer der Herrnhuter Brüdergemeinde wird, die sich 1722 auf dem Hutberg (bei Berthelsdorf) niederließ. Zinzendorf hat ungefähr 2000 geistliche Gedichte hinterlassen (Das dt. evang. Kirchenlied, Paul Dorsch, Calw-Verl. Stuttgart, Seite 261) Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 48 Von vielen „Augenblickseingebungen", d. h. Zeilen, die Z. aus der Stimmung des Augenblicks der Gemeinde vorsprach und dann mit ihnen sang, sind die wenigsten heute noch verständlich oder zu gebrauchen. Wer will in unserer Zeit das Original seines Liedes „Herz und Herz..." verstehen: „Herz und Herz vereint zusammen sucht in Gottes Herzen Ruh, keusche Liebes-Geister-Flammen lodern auf das Lämmlein zu, das vor jenes Alten Throne in der Blut-Rubinen-Pracht und in seiner Unschuldskrone liebliche Parade macht. " Solche Texte sind nach heutigem Verständnis zu überladen und verletzen den guten Geschmack. Auch haben die Herrnhuter nicht sehr lange diese Originale gesungen. 2.8.8 Christian Gregor (1723-1801). der Asaph der Herrnhuter Gemeinde, Organist und Musikdirektor in Herrnhut, hat viele Texte überarbeitet und sich nicht gescheut, aus mehreren Liedern Zinzendorfs eines zu machen. Ein Lied ist Zinzendorf ganz aus dem Herzen gesungen: „Jesu geh voran, auf der Lebensbahn. Und wir wollen nicht verweilen, Dir getreulich nachzueilen, führ uns an der Hand, bis ins Vaterland. " (WLG 320). Hatte er doch schon mit 10 Jahren gleichgesinnte Mitschüler an Franckes Pädagogium in Halle gesammelt und mit ihnen an abgelegenen Orten gebetet. Das Zeichen seines „Senfkornordens" war ein goldener Ring mit griechischer Inschrift: „UNSER KEINER LEBT SICH SELBER". 2.8.9 Karl Heinrich von Bogatzky (1690-1774) hinterließ über 400 Lieder. Als Schüler A. H. Franckes fungierte er als geistlicher Berater an pietistischen Fürstenhöfen und als Erbauungsschriftsteller in Schlesien. Von seinen Liedern ist uns die Nummer DZL 499 bzw. WLG 424: „Wach auf, du Geist der ersten Zeugen", als eines der meistgesungenen Missionslieder wohl vertraut. O 2.8.10 Philipp Friedrich Hiller (169-1769) war ein Schüler der Bengelschen Schule in Würtemberg. Ein schwäbischer Pfarrer, der mit 52 Jahren seine Stimme verlor und in den 15 noch verbleibenden Jahren mit seinen Liedern predigte. Die Gesamtausgabe dieses „Hauptsängers der Bengelschen Schule" umfaßt 1079 Lieder. Das DZL hat 18 seiner Lieder aufgenommen, darunter: „Jesus Christus herrscht als König" „Des Menschensohn Erscheinen" „Wir warten Dein, o Gottes Sohn" „Demut ist die schönste Tugend" „Ich will streben ..." „Lehr mich Herr die Worte wägen" „Seelen laßt uns Gutes tun" Manfred Pickhardt: Theologie der Musik DZL bzw. WLG 59 DZL 143 DZL 155 bzw. WLG DZL 237 bzw. WLG DZL 247 bzw. WLG DZL 248 bzw. WLG DZL 580 bzw. WLG 170 282 287 284 420 Seite 49 2.$ 03$ Lfed in der Zeit oter Aufklärung Die Aufklärung ist im 17/18. Jh. ein Grundzug des englischen, französischen und deutschen Geisteslebens. Vernunft und individuelle Freiheit des Menschen galten als höchster Wert. Sie schärfte das kritische Denken und den Sinn für das Natürliche. Die relig. Offenbarung verlor an Bedeutung und in bezug auf Glaubensangelegenheiten wurden Zweifel angemeldet. Auch in den Liedern dieser Zeit dominiert das rationale Moment, der christliche Glaube wird gegen Kritik und Zweifel verteidigt und die Schöpfung besungen. So ähnlich wie Immanuel Kant (17241804) die menschliche Vernunft in ihren Grenzen sieht, so versuchen die Dichter andererseits begreiflich zu machen, daß Gott und seine Offenbarungen (Schöpfung und Bibel) existieren, auch wenn nicht alles von der „Ratio" erfaßt werden kann. Aus den hohen und gelehrten Kreisen (Lessing, Schiller, Goethe) möchte man in Anbetracht ihrer herrlichen Gaben ein paar Dichtungen für das „Reich Gottes" erwarten, jedoch scheinen sie sich lieber „im antiken Heidentum zu bewegen als in den Evangelien ..., und so blieben sie für das Reich Gottes tot und unfruchtbar... " (Dorsch, Das evangel. Kirchenl., S. 282). Es ist auch verständlich, daß dieser Zeitgeist ältere Lieder nicht sonderlich schätzt, daß er gerne an ihnen „vernünftelt" oder sie gleich durch moralisierende Neudichtungen ersetzt. Trotzallem •seien einige Männer genannt, die den Glauben des Evangeliums im Lied bekunden. 2.9.1 Christian Fürchtegott Geliert (1715-1769) Ein Pfarrerssohn aus Hainichen im sächsischen Erzgebirge, der unter den vielen Geschwistern wohl der schüchternste und ängstlichste gewesen ist und daher für das Amt des Vaters nicht in Frage kam. So findet man ihn als Professor der Moral und Philosophie an der Universität in Leipzig, wo er, eben durch seine Bescheidenheit, einen größeren Hörerkreis als erwartet im Saal vorfand. Neben einer großen Anzahl von Fabeln („Der Blinde und der Lahme", „Der Maler", „Der Bauer und sein Sohn", „Der Prozeß"), die eine gute Feder erkennen lassen, dichtete er auch so manches geistliche Lied. Es ist bemerkenswert, daß dieser einfache, gläubige Mann, der persönlich den Heiland innig liebt und „sterbend ihm allein vertraut", auch von Goethe und Friedrich II. „ernstgenommen" wird. Es ist rührend zu lesen, wie ein Leipziger Leutnant den Professor aufsucht, ihm 100 Taler in die Hand drückt mit den Worten: „Sie haben mein Herz durch Ihre Schriften gebessert und gegen dieses Glück vertausche ich die ganze Welt nicht;" und wie ein Bauer Brennholz vor sein Haus fährt, um sich für den Segen aus Gellerts Schriften erkenntlich zu zeigen; und wie der General Hülsen die Stadt Leipzig mit Einquartierung verschont um Geliert's willen. (Gesch. der dt. Literatur, München 1953, Seite 160) Diese Freuden und Ehren waren kein Anlaß, ihn hochmütig zu machen. Sein körperliches Leiden machte ihm das Leben zu einer harten Prüfung, daß er oft weder aus noch ein wußte. Daher DZL 467 bzw. WLG 334: „Ich hob' in guten Stunden des Lebens Glück empfunden, ...so will ich denn gelas mich auch in Leiden fassen ...". Das DZL hat 18 Lieder Gellerts aufgenommen, das WLG 16, darunter: „Gott ist mein Lied" „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre" „Wie groß ist des Allmächt'gen Güte" Manfred Pickhardt: Theologie der Musik DZL 5 DZL9 DZL 20 bzw. WLG 30 Seite 50 „Wenn ich, o Schöpfer, Deine Macht" „Gott ist mein Hort" „An Dir allein hab ich gesündigt" „Gott, Deine Güte reicht so weit" „Du bist's, dem Ruhm und Ehre gebühret" „Jesus lebt, mit ihm auch ich" „Mein erst Gefühl sei Preis und Dank" „Herr, der Du mir das Leben" DZL 27 bzw. WLG 37 DZL 66 bzw. WLG 89 DZL 179 bzw. WLG 490 DZL 208 bzw. WLG 231 DZL373 bzw. WLG 341 DZL 412 bzw. WLG 369 DZL 617 bzw. WLG 497 DZL 632 bzw. WLG 518 Die Thematik der Gellertschen Lieder ist wohl hauptsächlich dem AT entnommen. Geliert ist überfordert, wenn er gegen die „Verstandesheroen" seiner Zeit über Christus und seine Erlösung singen soll. So stellt er in seinen Liedern mehr rhetorische Fragen vom Standpunkt des Alten Bundes her. Anders, im Sinne des NT, formuliert es der berühmte Dichter des „Messias", 2.9.2 Friedrich Gottlieb Klopstock (1724 - 1803). der älteste Sohn eines Quedlinburger Rechtsanwalts - er hatte 16 Geschwister -, der am 14. März 1803 mit fürstlichen Ehren unter ungeheurer Beteiligung, auch des Auslandes, wie kein Dichter vor und nach ihm, zu Grabe getragen wurde. (P. Gabriel, Das dt. evang. KL, Seite 117) Sein Motto: Keine gereimte Dogmatik!!! Der Hauptton des Liedes muß sein: „Das Lamm, das erwürgt, ist würdig zu nehmen Preis und Ehre". Das Lied darf Gott nicht kleiner machen, als ihn die Bibel erscheinen läßt, auch nicht unter dem Vorwande, er würde sonst vom Volk nicht verstanden. Der eigentliche Sinn des Gottesdiestes ist die Anbetung. Sein wichtigster Teil ist das Singen als das laute Gebet der Gemeinde. Klopstock bemängelt „die Schwäche und Niedrigkeit einiger eingeführter Lieder", er bedauert den „Tiefstand der Kirchenmusik" und stellt die Frage, ob die Musik in unseren Zeiten allein für Oper und Konzert so vollkommen geworden sei? (Ein Beweis dafür, daß viele hervorragende Musiker in dieser Zeit die Plätze getauscht hatten und das Niveau der Lieder und der Gottesdienstmusik zu sinken begann). In dem guten Bestreben, dem Lied den für Gott in Frage kommenden Ton zu geben, ging Klopstock aber nicht ganz glücklich vor. Er griff die alten Kernlieder wegen ihrer sprachlichen Härten und älteren Ausdrucksweisen an und ver(schlimm)besserte sie nach dem Geschmack seiner Zeit. Damit verärgerte er so manche Väter und Mütter, die den „kraftlosen Liedern" der Rationalisten keinen Geschmack abgewinnen konnten. Andererseits gelang es ihm auch nicht, den so ehrlich gemeinten Glaubenston, besser gesagt das zu Ehren Gottes gedachte „hochtönende Pathos" mit den vielen Un- und Halbgläubigen zu teilen. Indem Klopstock am Lied eines Luther, Decius, Nikolai, Gerhardt u. a. rationalisiert (er war ja doch ein Kind seinerzeit, einer Zeit des Umsturzes und der Neuerung, Kritik und Verneinung, 1789 war die franz. Revolution), schafft er den „alten Geist" hinaus und verwässert die Lieder. Im DZL ist Klopstock mit 3 Liedern vertreten, darunter die Nr. 570 als Abendmahlslied und die Nr. 421 als Auferstehungslied. Das letztere entstand 1758 in Hamburg nach dem Tode seiner noch jungen Lebensgefährtin. Das WLG enthält zwei Lieder: Nr. 159: „Preis dem Todesüberwinder", und Nr. 488: „Herr du wollst uns vorbereiten," ein Abendmahlslied (wie DZL 570). Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 51 2.9.3 Matthias Jorissen (1739 - 1823) war deutscher Prediger in Haag und Vertreter der Aufklärung in der reformierten Kirche. Durch den Psalmengesang der holländischen Reformierten wurde er angeregt, aus dem Geist seiner Zeit wiederum eine Umdichtung der Psalmen vorzunehmen. Im Jahr der franz. Revolution (1798) erschien seine „Neue Bereimung der Psalmen", mit deren Veröffentlichung er fünf Jahre gezögert hatte. Durch diese Arbeit sollte die längst überalterte Arbeit von Andreas Lobwasser aus dem Jahre 1573 abgelöst werden. Tatsächlich wurden ältere Psalmdichtungen durch die neuen verdrängt. Vier Liedtexte sind von Jorissen im DZL enthalten, unter anderem: über Psalm 18 über Psalm 42 über Psalm 23 DZL 14 bzw. WLG 10 DZL 324 bzw. WLG 316 DZL 359 Aus gleicher biblischer Orientierung dichten E. Lieblich und M. Claudius. 2.9.4 Ehrenfried Liebich (1713-1780) Dieser schlesische Pfarrer war ein vehementer Gegner in bezug auf die Veränderung alter Lieder nach dem Geschmack der Aufklärung. Von den 4 Nummern im DZL seien besonders „Hier ist mein Herz" „Gott ist getreu" DZL 219 bzw. WLG 246 DZL 270 bzw. WLG 267 genannt. Der Hamburger Buchhändler und Übersetzer Johann Joachim Bode wußte wohl keinen besseren „Fang" zu machen, als er 1771 seinem „Wandsbecker Boten", der „nichts geboten hatte als seichte Kost und Klatschereien, jedenfalls nicht, was der Heraufbildung des Volkes förderlich war", in dem Poeten 2.9.5 Matthias Claudius (1740 - 1815) einen neuen Schriftleiter gab. „Er sollte den rechten Ton treffen für das ländliche Volk, denn er liebte einfache Menschen und das Landleben. Auch hat er gute Beziehungen zur geistigen Welt, um den literarischen, dem politischen und dem gelehrten Teil, die die neue Zeitschrift prägen sollen, die nötigen Mitarbeiter zu verschaffen..." (Marianne Fleischhack, „Sein Bauernmädchen", Christl. Verl. Anstalt Konstanz, S. 4) Dieser bibeltreue Schriftsteller, ein Freund Klopstocks und Herders, der sich nicht widerstandslos dem Zeitgeist auslieferte, besser gesagt, der den biblischen Glauben verteidigte (Theologiestudium nicht abgeschlossen), wandte sich mit folgenden Worten an seine rationalistischen Zeitgenossen: „ Vernunft, was man nie leugnen mußte, war je undje ein nützlich Licht. Indes was sonsten sie nicht wußte, das wußte sie doch sonsten nicht. Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 52 Nun sitzt sie breit auf ihrem Steiß und weiß nun auch, was sie nicht weiß" (Albrecht, Hymnologie, Seite 47). Die Arbeit als Schriftleiter brachte Claudius bis 1775 ein festes Einkommen. Dann war man mit Claudius unzufrieden und entließ ihn. Glücklicherweise konnte er seine „Sämtliche Werke des Wandsbecker Boten" (alle literarischen und gelehrten Aussprüche vergangener Jahre) erscheinen lassen, was für das bescheidene Haushaltsbudget eine gewisse Hilfe bedeutete. Die Familie zieht vorübergehend nach Darmstadt, wo Claudius sein Brot als Oberlandeskommissarius verdient. Hier „in der Waldeinsamkeit des Schnempelwegs bei Darmstadt" wird wohl (nach Dorsch, Das dt. evang. S. 297) das allen bekannte Abendlied: „Der Mond ist aufgegangen" entstanden sein. Neben diesem „Wurf", der eine Analyse wert ist (siehe besonders die Strophen 3+4, die gegen zweifelnde und ungläubige Aufklärer gerichtet sind), singen wir gern Claudius' Erntelied: „Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land" (ein Danklied an den Schöpfer und Erhalter unseres Lebens). 1777 von einem Lungenleiden genesend, gibt Claudius seine hessische Funktion auf und zieht in sein stilles Wandsbeck bei Hamburg zurück, wo er ein eigenes Haus und einige Grundstücke mit 2 Kühen bewirtschaftet. Schließlich befreit ihn der dänische Kronprinz von allen Nahrungssorgen, die ihn mit seinen 9 Kindern oft gedrückt hatten. Die Bemühungen, sich auf die gläubige Seite des Volkes zu stellen, brachten Claudius oft das paulinische Gefühl ein: „Wir sind Narren um Christi willen". Doch was konnte diesen einfachen gläubigen Mann davon abhalten, in einer 'evangeliumsarmen Zeit, die lieber spottete (Voltaire) als demütig glaubte, vielen Menschen das Evangelium des Friedens zu vermitteln. 2,10 0 a s £/e«f von E. M, Arndt bis zur des 20, Jhs, Mitte Die Aufklärung hatte sich eingebildet, in allen Dingen weiser und klüger zu sein als die Vorzeit. Sie war oft selbstsicher und überheblich vorgegangen. Nun folgte mit der deutschen Romantik ein geistesgeschichtlicher Gegenschlag. Das Jahr 1813 spielt hier sicherlich eine bedeutende Rolle. Man besinnt sich auf die Alten und auf die „gute alte Zeit". Die antike Bau- und Dichtkunst wird gepriesen. Das Lied eines Luther und seiner Nachfolger gewinnt an Bedeutung und die Schöpfungen der Aufklärung werden als nichtig und kraftlos betrachtet. Die Bibel wird wieder zum Inhalt der Lieder, was sich auch in unserem Jh. an mancherlei Schöpfungen zeigt. Im Jahre 1819 erschien durch den damaligen Bonner Professor 2.10.1 Ernst Moritz Arndt (1769 - 1860) die Schrift: „Von dem Wort und dem Kirchenliede". In dieser Schrift tadelt Arndt die sprachliche Nüchternheit und inhaltliche Leere der „Aufklärungslieder". Er schimpft, daß man Lieder der Väter umgedichtet hat und d a ß „Mäuse sie zu zernagen beginnen". Die Lieder, die in dieser Zeit das Gesangbuch bilden (Anzahl etwa 500), zeichnen sich durch Originaltreue aus. Arndt fühlte sich dem einfachen Volk besonders verbunden (im Gegensatz zur Aufklärung, die sich mit Vorliebe an die „höheren Schichten" wandte). Arndt's Lied „Der Gott, der Eisen wachsen ließ" ist wohl Ausdruck seiner Zeit gewesen, dagegen wollen wir seine Lieder: „Ich weiß, woran ich glaube" „Der alte Gott, der lebet noch" DZL 304 bzw. WLG 300 und 303 DZL 350 bzw. WLG 342 nicht missen. Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 53 2.10.2 Karl Johann Philipp Spitta (1801 - 1859) ist ein Dichter der Erweckungsbewegung im 19. Jh. Ursprünglich Uhrmacher von Beruf, studierte er Theologie und wurde Pastor in verschiedenen niedersächsischen Gemeinden. 1833 erschien in erster Auflage seine Liedersammlung „Psalter und Harfe", von deren Liedern heute noch viele gesungen werden. Das DZL entält 21 Lieder von Spitta, darunter: „Geist des Glaubens" „O komm, du Geist der Wahrheit" „Ich weiß, ich werde selig werden" „Ich steh in meines Herren Hand" „Wie ist doch der Abend so traulich" „Freuet euch der schönen Erde" 2.70.3 Friedrich Spitta DZL 60 bzw. WLG 81 DZL 63 bzw. WLG 80 DZL 193 DZL 278 bzw. WLG 253 DZL 631 bzw. WLG 596 DZL 643 bzw. WLG 538 (1852-1924) ist der Sohn von K. J. Ph. Spitta und der Bruder des Bachbiographen Philipp Spitta. Er war Professor der praktischen Theologie in Göttingen. Auch gab er eine Schrift „Monatsschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst" heraus. Sein Kampflied DZL 472: „Kommt her, des Königs Aufgebot, die seine Fahnen fassen", wurde nicht allzuoft gesungen (nicht im WLG enthalten). 2.70.4 Heinrich Ernst Gebhardt (1832 - 1899) Ein Methodistenprediger aus Ludwigsburg. Seine Sammlung „Frohe Botschaft in Liedern" ist ein schlichtes Mittel, den Weg zu den Herzen suchender Menschen zu finden. 34 Lieder aus dieser Sammlung sind im DZL enthalten, darunter: „Dort auf dem Hügel Golgatha" „Welch ein Freund ist unser Jesus" „Brüder laßt uns vorbereiten" „Hast du keinen Raum für Jesus" „Komm zu dem Heiland" „Nun hab ich Heil gefunden" „Glaube einfach jeden Tag" DZL DZL DZL DZL DZL DZL DZL 106 bzw. WLG 134 bzw. WLG 140 bzw. WLG 168 bzw. WLG 171 bzw. WLG 189 bzw. WLG 195 bzw. WLG Auch unser Jahrhundert mit seinen Dichtern ist im WLG vertreten! < ••<"r, (->•• 151 248 174 593 597 229 230 "Jl,. ••'*• V . . : " . 2.10.5 Rudolf Alexander Schröder (1878- 1962) Ein Dichter aus Bremen, der Homers Epen in deutscher Sprache nachdichtete. Sein Lied, „Wir dienen, Herr, um keinen Lohn ..." (WLG 215) wendet sich an den Nachfolger Jesu in seiner Grundeinstellung zur Arbeit im Weinberg des Herrn. Sein Abendlied (WLG 532) erinnert an Psalm 4, 9. Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 54 2.10.6 Jochen Klepper (1903 - 1942) war ein schlichter, demütiger Mann aus Berlin, der als Dichter und Schriftsteller aus schwerer Zeit schreibt. Seine geistlichen Lieder (Kyrie) sind tiefe und edle Poesie. Sein Lied zur Jahreswende (WLG 549) ist wohl in diesem Gedankenkreis nicht zu vergleichen: „Der du die Zeit in Händen hast, Herr, nimm auch dieses Jahres Last und wandle sie in Segen. Nun von dir selbst in Jesus Christ die Mitte fest gewiesen ist, führ uns dem Ziel entgegen. " Weitere Lieder: „Die Nacht ist vorgedrungen", Adventlied Trost in schwerer Stunde Ein Lied zum Trost der Alten Abschied von hier, Sehnsucht auf d. neue Erde Morgenlied, Bitte um Führung WLG WLG WLG WLG WLG 121 234 311 365 509 „Wegen seiner Ehe mit einer Jüdin stand er unter immer stärker werdendem nationalsozialistischem Druck, der ihn gemeinsam mit seiner Frau und seiner Stieftochter 1942 in den Tod trieb (siehe WLG, Biogr. Verz.). 2.70.7 Otto Riethmüller(1889 - 1938) Ein Dichter und Hymnologe aus Eßlingen, der Jugendgesangbücher herausgibt und mit seinem Lied „Herr, wir stehen Hand in Hand" die Gläubigen ermuntert, mutig und vereint dem Ziel entgegenzugehen. Sein Lied „Sonne der Gerechtigkeit" soll die tote Christenheit aus dem Schlaf der „Sicherheit" herausrufen. Der Pastor r '-it& 2.10.8 Kurt Müller-Osten (1905 - ) bereichert das neue Liederbuch mit einem freudigen Danklied an seinen Herrn: „In dem Herren freuet euch, freut euch alle Wege!" (Phil. 4,4). UL & 3^/2 2.10.9 Dietrich Bonhoeffer (1906- 1945) war ein Privatdozent in Berlin, der illegal ein Predigerseminar der „Bekennenden Kirche" leitete und nach Widerstand gegen das NS-Regime 1945 im KZ Flossenburg umgebracht wurde. Sein Lied „Von guten Mächten" WLG 579 entstand 1944/45 nach seiner Verhaftung. Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 55 2.11 Bas neu® Lied Der 96. Psalm fordert uns auf: „Singet dem Herrn ein neues Lied! Verkündet von Tag zu Tag sein Heil...!" Was meint das? Sind etwa die Lieder vergangener Epochen ungültig geworden? Müssen sie sich mit dem Dasein eines historischen Bildungsgutes bescheiden? Es geht dem Psalmisten weder um das Singen aus dem Kapital der Alten noch um eine modische Erneuerungssucht der Jungen, sondern um das Lied eines in Christus erneuerten Menschen. Wer in Christus lebt, wird anders singen als „im alten Menschen". „Das 'Neue Lied' der Gemeinde - nicht zu verwechseln mit dem neuesten Lied! - ist der Lobgesang der von Gott Versöhnten und von Gott Geliebten". (W. Blankenburg, Kirchenmusik im Spannungsfeld der Gegenwart., Kassel 1968, S 9 ff; derselbe in Kirche und Musik, Göttingen 1979, S. 115). Sicherlich ist die hymnologische Ernte bis heute noch nicht abgeschlossen. Die Gemeinde hat in ihrem Gottesdienst ein Anrecht auf das alte wie auch neue Lied. Das alte unveränderte Evangelium soll ruhig auch in neue Schläuche „gefüllt" werden. Aber das Singen und Sagen aus dem Worte Gottes kann nicht irgendeine Musik, nicht irgendeine Sprache sein. Wir wollen für •unseren Gott das Beste und beziehen diese Forderung auf die Arbeit im Predigtamt, auf die Arbeit in der Buchevangelisation, auf die Schulen und Spitäler, auf alles!!! Es ist ein großer Unterschied, ob ich aus gegenwärtigem Unvermögen nur bescheiden zur Ehre Gottes singe und spiele, oder grundsätzlich keine Anstrengungen zu unternehmen gewillt bin, zur „höheren Ehre Gottes „ dazuzulernen, ja, mich nach vorne zu bilden. Wo käme der Herausgeber eines Liederbuches z. B. hin, wenn er sich in bezug auf den Maßstab eines solchen allein nach den oft so bescheidenen technischen Fähigkeiten an sich liebenswerter Gemeindeglieder richten müßte. Das Volk Gottes ist und bleibt ein lernendes und wer will es wagen, hier eines der schönsten Geschenke Gottes (Luther!) auszuschließen! Wie sagte doch E.G. White diesbezüglich: „...Andererseits sind die Darbietungen so fehlerhaft, daß sie bei den Hörern keinen guten und nachhaltigen Eindruck hinterlassen... " (E. G. White, Zeugnisse Band I, 418) Einige Jugendliche wünschen für den Gottesdienst eine Art religiösen Schlager, d. h. eine weltliche Melodie einfach unter einen geistlichen Text gesetzt. Dabei soll die Sprache (wie bei Kleidung und Aussehen) einen forschen, saloppen Jargon, eine platte Alltagssprache ausdrücken (Jesus und seine Hawarra). Wendungen aus der Werbung und Massengesellschaft sollen nicht fehlen. Wir fragen uns, ob der hohe Ton des göttlichen Evangeliums mit „Straßendeutsch" und „Fließbandpoetik" die erhabene Distanz vor dem Unendlichen noch gewährleistet. Natürliche stehen Schwache und Starke, Gesunde und Kranke, Diebe und Räuber, Intellektuelle und weniger Intellektuelle vor Gott, mit der Bitte um Erlösung, jedoch gilt es bei Andachten und Gottesdiensten sich der Worte des Jesaja (Kp. 6) zu erinnern. „Es besteht kein Zweifel darüber, daß Schlagermelodien oder Jazz in den Gemeindegottesdiensten vollkommen unpassend sind, auch wenn der Text eine christliche Botschaft enthält, so unpassend wie 'Hemdsärmel'ßr einen Geistlichen, der zum Altar tritt" (W. Opp, Handbuch des kirchenmusikal. Dienstes, Berlin 1967, Seite 17). Mit dem geistlichen Lied im Gottesdienst soll eine bestimmte Aussage gemacht werden. Es soll durch Form und Inhalt keine „weltlichen" Assoziationen hervorrufen. Wir brauchen im Gottesdienst keine „Unterhaltungsmusik", weil „Musikein Teil der Anbetung ist" (E. G. White, Erziehng, S. 174). Die Praxis hat bewiesen, daß gängige, leicht-lockere Melodien im Schlagerstil dem Anbetungscharakter im Gotteshaus nicht zuträglich sind. Die Ansicht, „In der Kirche Gottes mal Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 56 was Flottes" stimmt nicht mit Luthers Herzenswunsch überein: „Die Noten müssen auf den Text gerichtet sein". Im Jahre 1960 fing es mit dem „neuen Lied" an. Die Evangelische Akademie Tutzing veranstaltete ein Preisausschreiben für neue geistliche Lieder mit folgenden Bedingungen: • „Die neuen Lieder müssen die heutige Sprache sprechen. • Dem Stilempfmden der Jugend unserer Zeit muß dadurch Rechnung getragen werden, daß Elemente der U-Musik, der Schlagermusik und des Jazz verwendet werden" (W. Opp, Seite 43). Das Echo daraufhin war stark. Nicht nur ausgebildete Chorleiter und Organisten, sondern auch die Massenmedien reagierten. „ 'Lobt Gott getrost mit Schnulzen' betitelte der Kabarettist Hans Dieter Husch in den Sechzigerjahren eine bitter-ironische Nummer, in der er die ersten (schlimmen) Versuche des 'neuen geistlichen Liedes' auf's Korn nahm" (W. Offele, Das ungeliebte Gesangbuch, Frankfurt 1979, S. 62). „Eine Sendung des WDR trügt den Titel: 'Lobt Gott getrost mit Schnulzen', eine andere 'Wachet auf, ruft uns das Schlagzeug'; die Illustrierte 'Kristall' macht sich lustig: 'Da hat jetzt so 'n Pastor 'n Dreh ^gefunden, wie er die Jugend in die Kirche kriegt: Mit Jazz! Er hat den Jazz spielen lassen, und die Jugendlichen sind gekommen, na endlich! Undjetzt glauben siei an Gott ...oder meine Sie etwa nicht? " (Armin Juhre, Singen, um gehört zu werden, Wuppertal 1976, Seite 26). Sicherlich haben „Impulse von außen in der Geschichte des Kirchengesanges eh undje eine Rolle gespielt. Schon in der Metrik und der Melodie der Hymnen sind weltliche Einflüsse festzustellen " (Mark. Jenny, Zukunft des evang. Kirchengesanges, Zürich 1970, Seite 13). Aber in welcher Form, wie und mit welcher Dosierung und welchen Veränderungen hier ein Lied zustande kam, das soll in einem anderen Thema über die „Kontrafakturen" behandelt werden. Auch Luther sagte einmal: „Ich will nicht, daß der Teufel alle schönen Melodien allein hat". Unsere Jugend liebt rhythmische Melodien. Warum auch nicht, aber wisse: „Rhythmus ist ein geordneter Bewegungsvorgang auf physiologischer Grundlage ...Er birgt in sich eine geheime Neigung, die eigene Ordnung aufzuheben. Unaufhörliches Wiederholen kleiner rhythmischer Einheiten vermag anfangs das Lebensgefühl zu steigern, hat aber mit der Zeit die Wirkung, daß der Mensch 'außer sich' gerät und sein Triebleben entfesselt wird" (Adolf Brunner, Wesen, Funktion und Ort der Musik im Gottesdienst, Zürich/Stuttgard 1960, S. 36/37). „ Christliche Popmusik ist der Abholer, der den industrialisierten Neuheiten des 20. Jhs. in seinem kultischen Kontext entspricht. Funktioniert das - kommt es zum Glauben, dann hat die geringschätzige 'Gebrauchsmusik' ihre Funktion erfüllt.... Es geht ihr.... um die Botschaft an die Welt in der Sprache ihrer Zeit" (Andreas Malessa, Der neue Sound, Wuppertal 1980, Seite 11). Diese „Für-Stimme" im letzten Zitat akzeptiert den geistlichen Schlager, wenn er imstande ist, den Menschen unserer Zeit geistlich „abzuholen". Nun soll ja die Musik, wenn ich z:B. an die Evangelisation denke, das menschliche Gemüt und Gefühl treffen, aber doch nicht um jeden Preis, so nach dem Motto: „Hauptsache, er kommt in die Gemeinde". Auch als Musiker muß ich mir darüber klar sein, daß nicht die Musik bessert, sondern der erneuernde Heilige Geist. Und diese dritte Person der Gottheit ist doch nicht so schwach, daß wir uns als Prediger, Chor- und Jugendleiter der rührseligsten, sentimentalsten und billigsten quasi jeder Stil und Ausdrucksmittel bedienen müssen. Wenn Neugewonnene das Gemeindeleben und Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seile 57 den christlichen Alltag mit all seinen Sorgen und Prüfungen erleben, dann verliert sich allzuschnell das „high-Gefühl", das nicht zuletzt durch musikalische „Schubkraft, Hektik, Berauschung und Berieselung" zustande kommt. Nichtsdestoweniger! Wir wollen das Lied unserer Zeit! Die Gemeinde und Jugend hat ein Anrecht darauf. Ein Jugendseelsorger sagte einmal: „Daß wir das Lied unserer Väter in der Kirche haben, ist unser Reichtum, daß wir nur dieses Lied haben, ist unsre Armut". Dieses Zitat bezieht sich natürlich auf das EKG, das in bezug auf Erweckungs- und Heilslieder des 19. Jhs. fast nichts bietet. Das bedeutet aber nicht, daß wir hemmungslos alles aufnehmen, was produziert wird und den „geistlichen Markt" überschwemmt. Muß nicht ein ernster Christ immerwieder prüfen und beurteilen?! Manchmal habe ich den Eindruck, als würde die Bibel kritischer betrachtet als der Gegenstand Musik. Dabei gibt es doch in dieser Welt nichts, was nicht auch von einer antigöttlichen oder unlauteren Macht beeinflußt ist.Auch auf dem großen Gebiet der Musikerziehung und -ausübung, können wir uns das Prüfen und sorgfältige Aussuchen nicht ersparen. Der adventistische Maßstab eines Liedes (einer Musik) wird wohl auch an der Kernaussage der hl. -Schrift gemessen werden müssen. So manches gegenwärtige Lied preist Gott, der alle liebt und für alle lebt, singt gegen Hunger und Ungerechtigkeit und ruft zur Freiheit und zum Frieden auf. Das alles ist wichtig. Der Christ liebt seinen Nächsten wie sich selbst. Aber im Unterschied zu älteren Liedern riecht manches heutige zu sehr nach Ökumene. Erlösung, Wiedergeburt und Rechtfertigung sind Kerninhalte der Bibel und dürfen nicht durch „ungefährliches Reden" (von Gottes Liebe und Macht, von Lob und Preis zu reden ist brav und nie „verkehrt!") und abgenutzte Klischees ihre primäre Stellung verlieren. Andererseits stellt Gott an uns im Stande der Kindschaft auch Forderungen. Obwohl Gott ein gütiger Vater ist.darf er als der dreimal heilige Gott nicht zum volkstümlichen Onkel, zum Kumpel werden, dem ich freundschaftlich auf die Schulter klopfe. Gott ist auch Autorität! Wohlgemerkt! Absolute Autorität!!! Bei den vielen Fragen um das neue Liederbuch fragte sich der Liederbuchausschuß 1973, ob es überhaupt sinnvoll sei, in Anbetracht unserer Konsumgesellschaft und schnellebigen Zeit ein Liederbuch von Dauer zu schaffen. Wäre es nicht besser, abzuwarten, bis sich das „neue Lied" herauskristallisieren würde? Demgegenüber mußte aber festgestellt werden, daß auch in der Vergangenheit Tausende von Liedern „Eintagsfliegen" gewesen sind (die Zahl der Liedkompositionen geht in die Hunderttausende), andere aber infolge ihrer Qualität und Aussagekraft (z. B. P. Gerhardt, M. Luther, Ch. F. Geliert, M. Claudius etc.) die Zeiten überdauert haben und in einem neuen Gesangbuch nicht vermißt werden sollten. Neues und altes Liedgut! Wir brauchen beides. Im neuen Liederbuch ist mit „altem" und „neuem" Singen für den Gottesdienst und die Andacht gesorgt. ZA2 0 a s i i e t f in d$r Attv&ntb&wegttttg Die frühe Adventbewegung beeindruckt immer wieder durch Zitate, die ihre Sangesfreudigkeit und die Notwendigkeit der Musik für ihr geistliches Leben ausdrücken. In seinem Buch „E. G. White and Music" (Washington 1976, Seite 7), schreibt Paul Hamel: „ Vielleicht zu keiner Zeit in der Geschichte der STA-Gemeinde waren Lieder über den Advent so bedeutungsvoll gewesen, wie in den Tagen dieser Pioniere, welche in der Mitte des 19. Jhs. lebten. " Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 58 So manches Lied half dieser Bewegung, über harte Stunden und Tage hinwegzukommen und sich der Hilfe Gottes zu erinnern: „ Those early Adventists found the song o/Zion best antidodefor discouragement and depression. They sang everywhere and qften. They sang white driving by horse and carriage to their humble meeting places, and they sang, oh, how they sang at the meetings;... Their singing was not confined within church walls. They sang in their homes... " (P. Hamel, Seite 14) Konrad Müller erwähnt in seinem Buch „Die frühe Geschichte der STA", S. 130, wie William Miller am 17. Dezember 1849, schon fast erblindet, seine engeren Bekannten bittet, ihm noch einmal die Adventhoffnung, die er all die Jahre verkündigt hatte und die nicht ohne Enttäuschung geblieben war, mit seinem Lieblingslied zu stärken. So sang man Isaak Watts Adventhymne „There is a land of pure delight..." (Siehe Abbildung nächste Seite). In der frühen Bewegung waren auch gläubige Männer, die aus ihrem geistlichen Erleben heraus Lieder schrieben. Sie dichteten und komponierten gemäß ihrer musikalischen Kenntnis und erhoben nie den Anspruch, Maßstab für das Musikniveau ihrer Gemeinde zu sein. Diese eigenen Lieder wurden in Zeitschriften der Millerbewegung mit Noten gedruckt. Namen von Gesangbüchern wie „The Millennial Harp" und „The Millennial Musings" sind bekannt (Siehe bei Nichol, „Midnight Cry", p. 121) Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 59 Der Gründer der STA - wenn man so sagen darf - James White, war ein freudiger Sänger der Adventhoffnung. Das erste Liederbuch der ST-Adventisten entstand 1849, also im selben Jahr der Erscheinung der ersten Zeitschrift (Present Truth) der Bewegung. Es hatte eine geringe Anzahl von Liedern (52) und erschien unter dem Titel: r.Hymns for God's Peculiar People. that keep the Commandments of God. and the Faith of Jesus" (Siehe AD I/80 S. 7). 219 NEVER PART AGAIN (Tradilional Advpnt Hyinn) I-'rüiu "Timbre! o( Zion", 1&5:1 Arr. ISAAC W A T T S m $t 3 !=&££ 4- 4- -I- by DONALD ]•". H A Y N K = Ä qs-J= n^=r 1. Tkcreis a land of pure de-h^lit, Where bliss c - ter-nal reigns, 2. Tfiereev - e r - laat - ingspring a-bidus,And nev-er with-'ring flowers, 3. Could we but staud wbere Moses stuud, And viow Uie land-scape o'er, mm Bä£* ZÄrt 4 i- iatrfr- V £Ä EH -un PÖE *=F=±t$mm -EE^- In - fi - nilo day ox-eludos the night And ploas-ures ban-ish pain. Andbul. a lit - tle Kpaoe di-vide.» This hcav'nly land from ours. Not all this world's pre-tend - ed good Could ev - ercharm tis more. =£ ^^J^-f£rf §±B=r s* L (-•»-'— EfcEfEBi •cn? .p-p. TiTm 1=1 i~\i T~l~l~ We're trav-'ling to Im-man-uel'B land, We soon shallhear tho trampet sounrl, ^ i-T-* fe rr~ ^ ^ ^ m-T~r ^ =F=t fefcq* ?r-T^-F 3 * S= -*-^*—f. M* 3gpi|_= t_^ =T- . . I U Ami soon we shall wilh J e - sus reign, And ney-or, nov-er pari T5>" u-g&iii. I I -»- * .»—*—« £ J_. V g q i r r r : *d—_a ±: ES W-^ T - - -»1=^ffi^^ ^ H f i—r äte Äh= /TN =5 iÜ WhaÜ Nov - er part a - gain? No, nov-er a - gain, What! :*^£=£ =£-£=& ___..* ^ ü part :sc 3 -+- .y Cüpvriubl, 11/36, by D. I-*. Hayncs. International Copyright Securcd. «&=* Nov-er part 4± !-£=*= -5«^ ^ E*E - ^ - # * • • # - • -#+P -»-»- ffi 1 1 L* / with Je - sus roign. And, nev - er, nev -er B-'Tf Manfred Pickhardt: Theologie der Musik - a - grün, And soon wo ^FF •?•? ? — - V 1» i L ^ ^ — V Millers - part -4- I shall I Xo, nev - er a-gain? ^—H* y- part «T- •*»•• 1 gain. I —> -t—t- Lieblingslied Seite 60 INDEX And when the last loud trumpet Are we almost there Asoldier, Lord, thou hast me made Behold a light appears. Be perfect - holiness persue Bright crowns are just before us Bright scenes of glory strike my sense Christian, thy warfare soon will be o'er Come let us anew Farewell! Farewell! to all below For Canaan l've started, andonlmustgo Gracious Father, guard thy children Hall peaceful morn, thy dawn I hall Hall, the dayso long expected Hearthe glorious proclamation Here o'er the earth as a stranger Iroam HolyBible, book divine Hosiannah! hark the melody How happy are the little flock How sweet to reflect on those joys thatawaitme l'm a lonely trav'llerhere l'm a pilgrim and l'm a stranger l'm glad Iknow that Christshallreign Jesus, I my cross have taken Jesus our Saviour says -1 will appear Lo! an angelloud'proclaiming Lo/he comes, with c/ouds descending Lo!what a glorious sight appears Mark that pilgrim - lowly bending Ohall, happy day, that speaks our trials ended Oh, spare theirpeople, Lord O teil me no more Our Father who in heaven ort Rejoice, rejoice, thepromis'dtime isComing Soldiers of Christ arise Sweet is the work, myGod, myKing The appearing of Christ is good. The chariot! the chariotl its wheels roll in fire The Coming events of the kingdom of God The friends that flee when trials come The last lovely morning The pure unfailing word of God Thine earthlySabbath, Lord, we love Time now is closing, Jesus will come Truth is the gern for which we seek. We have heard from the bright, the holy land We speak of the joys of the blest What heavenly music sfea/s ever the sea When Jesus Christ was here below. White I was down in Egypt's land Manfred Pickhardt: Theologie der Musik 32 46 18 7 28 43 26 23 45 17 35 22 41 42 37 34 21 16 30 7 20 31 43 33 15 4 37 39 25 10 13 36 12 39 31 46 44 19 29 22 19 3 40 14 32 // 5 33 6 36 Seite 61 Nach 1849 erschienen noch einige kleinere Liedsammlungen, bis 1884 die GK einen Ausschuß von 5 Mitgliedern bestimmte, um Pläne für ein umfangreicheres abwechslungreicheres und mit größerer Sorgfalt bearbeitetes Liederbuch zu legen. Dieser Ausschuß holte sich dann mehrere Mitarbeiter aus dem Felde, die entsprechende Lieder vorschlagen sollten. Die 5 Mitglieder waren: G. I. Butler (damals Vorsteher der GK) Uriah Smith J. H. Waggoner A. R. Henry E. Barnes Diese 5 Mitarbeiter beauftragten F. E. Beiden und E. Barnes als Mitverantwortliche, die dann auch ein Buch mit mehr als 1400 Liedern zustande brachten unter dem Titel: „Hymnes and Tunes for Use in Divine Worship" im Jahre 1886. Erst 1941 wurde dieses Werk durch das Buch „Church Hymnal" ersetzt, das nur mehr etwa die Hälfte enthielt, was beweist, daß viele Lieder nicht mehr zeitgemäß und als wertvolle Dichtung und Musik angesehen wurden. Unser deutschsprachiges PGB mit zunächst 945 Nummern, 1893 in Amerika herausgebracht, erfuhr 1917 eine Ergänzung von weiteren 144 Liedern. Für diese Auswahl war besonders der Bestand des in den USA benutzten Liedgutes maßgebend. Hinzu kamen Lieder aus deutschen Quellen der Reformationszeit und der folgenden fruchtbaren Jahrhunderte. Dieses 1089er Liederbuch teilweise heute noch im Gebrauch, beinhaltet viele Lieder, die nie gesungen worden sind, z. T. auch schlecht singbar bis wertlos sind. So war auch hier eine ERNEUERUNG notwendig. Ein Liederbuch mit 1050 Liedern, das dem 1089er ähnelt, war bereits im Adventverlag herausgegeben worden. Es war das „alte Liederbuch" für viele Geschwister, denn 1935 erschien das in vieler Hinsicht verbesserte neue „Zionsliederbuch, zur Erbauung für Gemeinde und Heim" mit 656 Nummern. Dieses Buch stieß (wie so oft in der Geschichte, man lese nur ein wenig in der Liedgeschichte nach) zunächst auf Widerstand, bis es dann doch geliebt und geschätzt wurde. Ältere STTA erzählen noch gern ihre Erfahrungen, die sie mit den Liedern dieses Buches gemacht haben (Siehe AD/80, S. 3 + 4). Im Jahre 1973 wurde ein Ausschuß beauftragt, ein neues Gesangbuch für die deutschsprachigen Länder Schweiz, Österreich, BRD und DDR vorzubereiten. Die Gründe waren die folgenden: • Der Bestand der Gesangbücher ging zu Ende. • Textunterschiede bei gemeinsamen Liedern, auch bei Melodien. • Das auf 1893 zurückgehende PGB ist nicht mehr zeitgemäß, von 1089 Nummern werden die wenigsten im Gottesdienst gesungen. • Das Buch ist verhältnismäßig schwer, eine geringere Anzahl singbarer Lieder macht es handlich. • In Anbetracht der steigenden Bildungstendenz soll ein höherer Maßstab angelegt werden. • Die plattgewalzten Melodien sollen wieder ihre frische Originalfassung erhalten und wenn möglich, viele neue Melodien erscheinen. • In Anbetracht einer Division wäre für die deutschsprachigen Gebiete ein gemeinsames Liederbuch vorteilhaft. Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 62 Die Arbeit an diesem Projekt brachte manches Problem. Wie sollten die verschiedenen Traditionen unter einen Hut gebracht werden? Auch ging es immer wieder um „Lieblingslieder" mancher und oft älterer Gemeindeglieder, die mit dem einen oder anderen Lied eine besondere Erfahrung verknüpften. Der Ausschuß „kämpfte" und „rang", wenn auch nicht ohne Opfer, für alle. Dem oft vorgebrachten Argument, daß Niveau und ein höherer Maßstab keine Rolle zu spielen hätten, konnte der Ausschuß nicht immer entsprechen, genausowenig die Gemeinschaft auch auf anderen Gebieten nicht „irgendetwas" veröffentlichen kann und wird. Die Arbeit am neuen Gesangbuch erforderte eine gründliche Quellenforschung. Melodien, Texte, Dichter, Komponisten - alles soll ja doch „hieb- und stichfest" sein. Dabei staunt man zuweilen, wie „Originale", die frisch und freudig klingen, in der Vergangenheit verlangweiligt wurden, indem man alle Notenwerte gleich machte. Das neue Liederbuch, das 1982 erschien soll und rund 602 Lieder hat, übernimmt aus den beiden „Vorgängern" etwa 300 Lieder als gemeinsamen Grundbestand. Alle Weisen sind mit vierstimmigen Sätzen versehen, die auch als Sing-, Spiel- und Bläsersätze fungieren können. Auch sind die technischen Möglichkeiten der Gemeindespieler berücksichtigt worden. Die geschichtliche Aufteilung der Lieder im neuen Gesangbuch ist vorn im WLG unter „Hinweise und Erläuterungen" zu finden. 1AZ £* G> White und ihre Aussagen über Musik Eine Fülle von Aussagen über Musik stammt aus der Feder dieser vom Geist Gottes erfüllten Frau. Einerseits drückt sie ihre Freude über dieses Geschenk des Himmels aus und fordert die Gemeinde auf, mehr davon Gebrauch zu machen, andererseits ist es ihr ein ernstes Anliegen, die Jugend zur Wachsamkeit dem gegenüber zu ermahnen, der mit jedem Mittel, auch mit Musik, zur Sünde verleiten kann und will. „Musik gehört zu den hervorragendsten Mitteln, das Herz mit göttlicher Wahrheit zu füllen ... Der Erziehungswert des Gesangs sollte niemals außer acht gelassen werden. Im Heim sollen Lieder gesungen werden, die süß und rein sind; das kostet weniger zurechtweisende Worte und schafft mehr Frohsinn, Hoffnung und Freude. Laßt uns in der Schule singen; die Schüler werden näher zu Gott, zu ihren Lehrern und zueinander gezogen... " (Ruf an die Jugend, S. 185). „Als ein Teil des Gottesdienstes ist Singen ebensosehr eine Art der Anbetung wie das Gebet, denn viele Lieder sind Gebet. Wenn das Kind gelehrt wird, dies zu erkennen, so wird es mehr an die Bedeutung der Worte denken, welche es singt und wird empfänglicher für ihre Kraft sein... " (Erziehung, S. 174; Ruf, S. 185) „ Musik bildet einen Teil des Gottesdienstes in den Vorhöfen Gottes; wir sollten uns darum bemühen, in unseren Lobgesängen so vollkommen wie möglich mit den himmlischen Chören in Harmonie zu kommen. Die richtige Ausbildung der Stimme ist ein wesentliches Erziehungsmittel und darf nicht vernachlässigt werden... " (Ruf, S. 186) „Laßt an den Liedergottesdiensten einige geschulte Sänger teilnehmen. Und wenn es möglich ist, sollen die Sänger von guter Instrumentalmusik begleitet werden... " (Ruf, S. 186) „Junge Leute versammeln sich zum Singen, und, obwohl bekenntliche Christen, entehren sie häufig Gott und ihren Glauben durch ihre oberflächliche Unterhaltung und ihre Wahl der Musik. " (Ruf, S. 187) Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 63 „Junge Männer und Frauen sollten nicht denken, daß ihr Zeitvertreib und ihre abendlichen Gesellschaften wie auch ihre musikalischen Unterhaltungen als gewöhnliches Verhalten von Christus akzeptiert werden. Mir wurde gezeigt, wieder und wieder, daß all eure Versammlungen charakterisiert sein sollen von einem entschiedenen christlichen Einfluß... " (Messages to young People, Nashville 1930, S. 391) „ Die Jugend hat ein offenes Ohr für Musik, und Satan weiß dieses Organ zu erregen, daß der Verstand geblendet wird und Christus nicht erwünscht ist. " (Test. Bd. 4, S. 497) „Bei Verwendung zum Guten ist Musik ein Segen; leider wird sie oft zum erfolgreichsten Mittel Satans und zu seinem SEELENFÄNGER gemacht. " (Ruf an die Jugend, S. 187) „Ich sah, daß von 20 Jugendlichen nicht einer weiß, was erfahrenes Christentum ist." (Und sie nennt Schlagermusik als einen der Faktoren, die zu diesem Zustand beitragen ) (P. Hamel, E.G.W, and Music, S. 51) Der Inhalt dieser Zitate beweist die Sorge und zugleich das ernste Anliegen der Dienerin des Herrn, dem Gegenstand Musik Verantwortung und Wachsamkeit zuzuwenden, andernfalls wir auf eine raffinierte Art ins Netz einer uns nicht liebsamen Macht geraten. Gerade die Fülle der Äußerungen über Musik erklärt doch, daß es nicht immer so einfach ist, bei der gegenwärtigen „Marktüberschwemmung" den geistlichen Durchblick zu bewahren. Ich bin davon überzeugt, daß •der Fürst dieser Welt sowohl „Krankenheilungen" vollbringen wie auch nach seiner Art „geistliche Musik" machen kann. Darum gilt immer wieder und in allen Bereichen dieser Welt das Wort Jesu: „WACHET UND BETET...!" 2,14 Die Kontrafaktvren {geistliche weltlichen Melodien) Texte zu Nicht wenige Menschen wünschen für den Gottesdienst gängige Schlager- und Unterhaltungsmelodien, die aber mit einem geistlichen Text versehen sind. Sie begründen das mit dem Argument, daß man in früheren Jahrhunderten auch Tanz- und Liebeslieder sowie instrumental begleitete weltliche Chormusik mit einem geistlichen Text versehen und sie im Gottesdienst gesungen hätte. Diese Meinung ist an und für sich richtig. So etwas hat es tatsächlich gegeben. Auch umgekehrt, indem man Melodien aus der geistlichen Musik verwendete zu weltlichen Liedern. Diese Vorgangsweise wird in der Musikwissenschaft „Kontrafaktur" genannt (Contra = gegenüber oder Gegensatz; facio = machen, herstellen; also ein Gegenstück machen). Man findet sie in allen Musikkulturen. Nun, die Verwendung eines geistlichen Textes auf eine Melodie, die vorher und gleichzeitig für einen weltlichen Text verwendet wurde, ist eher selten. Verbreiteter war die Handlungsweise, auf schon bekannte Melodien immer neue Texte zu finden. Es gab bis zur Schwelle der Neuzeit sogenannte „wandernde Melodien", die durch ihre formelhafte Elementar-Melodik und Prägnanz bekannt und beliebt waren und gerne für die Verbreitung neuer Texte verwendet wurden. Daß diese Melodien aber nicht ohne weiteres in die Kirche aufgenommen wurden, das beweisen schon die Zeugnisse der Kirchenväter und Konzilien, die immer wieder gegen weltliche Einflüsse in die gottesdienstliche Musik wettern. Vor allem wurde von den geistlichen Vätern die Art der Musikausübung, die weltlich-heidnische Art, verneint. Im Lustbarkeitsbetrieb der antiken Großstädte wurden Melodien mit einem raffinierten Rhythmus, einer bestimmten Klangfärbung und eienm instrumentalen Beiwerk gespielt, daß die Leute oft zu Ekstase, zur sexuellen Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 64 Ausschweifung und zu weichlichen Genüssen verleitet wurden. Daher so oft das Verbot der Verwendung von Musikinstrumenten. (Siehe dazu: Joh. Aengenvoort, in „Kirchenmusik im Spannungsfeld der Gegenwart", Bärenreiter, Kassel 1968, S. 28 ff) Wir brauchen uns nur in unserer Zeit daran zu erinnern, was die Kaufhäuser allweihnachtlich an „Stille Nacht - Arrangements" bis zum Ekel herunterrühren und -fließen lassen. Die Verpackung spielt in der Unterhaltungswelt eine so wichtige Rolle, daß eine an sich einfache Melodie fast unerkennbar werden kann. In der Kindersabbatschule paart sich das Wort Gottes gern mit Musik als klingender Bewegung. Der Erwachsenenstand wird sich aber wohl (zumindest in unseren Breiten) in einer „leibseelischen Bewegtheit" dem Allmächtigen nähern und im Gottesdienst nicht springen wie die Mastkälber. Das Anbeten im Geist und in der Wahrheit, das Sich-Sammeln und Stille-werden vor dem großen Gott wird gemäß unserer Entwicklung nicht ausladende, hektische, straff-motorische, hopsende, springende und wippende Körperbewegungen dulden können. Religiöse Begeisterung und Freude zeigt sich beim Genießen göttlicher Dinge zuchtvoll, bescheiden und demütig. Raffinierte und gesteuerte musikalische Reizmittel sind gefährlich. Beim geisterfüllten Christen wird es eine „nüchterne Trunkenheit" oder „trunkene Nüchternheit" geben. Eine weltliche Melodie wenn sie einen geistlichen Text erhalten soll - muß umgeschmolzen werden. Offenbar war die .Grund-Melodik damaliger Zeit dafür geeignet. Tanzmelodien (z. B. Schwerttanz = Waffentanz in voller Rüstung z.B. bei Spartanern und Indianern, und Totentanz) konnten fast die selben Melodien haben, sich aber durch Auszierungen, Beseelungen und rhythmische Akzentuierungen deutlich unterscheiden. Die verlotterten Scholaren (Studenten und Kleriker, die keine Anstellung fanden und wildernd umherzogen) brachten durch ihre „Sauf-. Rauf- oder Schwoflieder" starke Elemente der Kunstmusik in die Spiel- und Volksmusik. Sie hatten den liturgischen Gesang gelernt mit allen rhythmischen Regeln und bastelten nun unterhaltsame Texte erotischen, politischen und satirischen Inhalts dazu. So wanderten manche liturgische Melodien in die U-Musik, d.h., daß viele weltliche Melodien dieser Zeit verweltlichtes geistliches Kulturgut waren. Andererseits wanderten die verweltlichten Kirchenmelodien dann später wieder in einer zweiten Kontrafaktur in die Kirche zurück. Zig-Male haben Troubadours, Trouveres und Minnesänger die Kontrafaktur verwendet. Sie nahmen alle möglichen Melodien aus jeder Gesellschaftsschichte und legten ihnen neue Texte unter, egal, woher sie stammten und wer sie geschrieben hatte. „Die geistlichen Lieder des Mittelalters, deren Melodien aus der weltlichen Musik stammten, besser gesagt: deren Melodien uns auch in der Tanz und U-Musik dieser Zeit begegnen, wurden fast ausschließlich nicht im Gottesdienst gesungen, sondern in der Familie, im Kreise der Nachbarschaft, der Zünfte und Bruderschaften, bei Wallfahrten und Mysterienspielen, in geselligen Kreisen auf Burgen und in Schlössern, in Klöstern und Stiftsschulen, bei der Arbeit in der Werkstatt und auf dem Feld" - aber nicht im Gottesdienst (Zenetti, Heiße (W)Eisen in der Kirche, München 1966, S. 79). „Bei den Liedern der heutigen geistlichen Chanson- und Schlagersänger ist es aber genau umgekehrt: Ihre Melodien sind gar keine Kontrafakte; denn gerade die erfinden sie neu. Aus der U-Musik aber stammt eben das, was in der alten Kontrafakturpraxis nicht übernommen wurde: Die rhythmische und klangliche Ausprägung, das 'Arrangement'. Dies aber prägt erst den musikalischen Ausdruck, die spezifische Gestimmtheit der Gesänge. Es ist die Aura der Konsummusik, eine Gestimmtheit tändelnd-neckischer Oberflächlichkeit, die den geistlichen Text Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 65 und die Situation, in der er vorgetragen wird, auf schleichende Weise verfälscht, als könnte man sie wie eine nette Unterhaltung in sich aufnehmen" (Zenetti, S. 80). Im Spätmittelalter und danach erlebt man eine allegorische Umdeutung der Liebeslieder. Die „Liebesminne" wird zur „Jesuminne". Die Worte der Liebe zu einem Menschen werden umgedeutet. An sich finden wir diesen Ausdruck schon im Hohenlied der Bibel, doch könnte in unserer Zeit so manche „Übertragung", wie wir sie z. B. im Lied „Ich bete an die Macht der Liebe" des Mystikers Teerstegen (gest. 1769) vorfinden, mit einer gemütsseligen Romantik in vielen „süßen Herzensergüssen", auf Unwille oder Bedenklichkeit stoßen. Luther sagte einmal: „Darum wir solche abgöttische, tote und tolle Texte entkleidet und ihnen die schöne Musica abgestreift und dem lebendigen, heiligen Gotteswort angezogen haben. " (Zenetti, S. 83) Luther wollte nicht dem Teufel alle schönen Melodien lassen, weil so manche seiner Meinung nach weit besser zum Worte Gottes paßten als zur Welt. Diese Denkweise Luthers ist durchaus verständlich, wenn man bedenkt, wie viele „Kirchenmelodien" durch die fahrenden Scholaren in die Welt „wanderten" und dann wieder zurückgeholt wurden. So waren denn diese Melodien - und das ist einer der großen Unterschiede zum heutigen Schlagerlied - für ihn nicht absolut „weltlich", weil ja alle Kunst mehr oder weniger unter der Dominanz der Kirche stand. Auch schuf sich das Volk sogenannte „weltliche Analogien" zu geistlichen Liedern, die es in der Kirche sang. „Weltlich" und „Geistlich" stellten in dieser Zeit nie den Gegensatz dar, wie wir ihn heute vorfinden. Die Kontrafakturen sind zur Zeit Luthers gang und gäbe. In seinem Buch „Formenlehre der Musik", (Köln 1962, S. 101), gibt Hermann Schröder einige Beispiele: „Aus fremden Landen komm ich her" „Vom Himmel hoch, da komm ich her" „Innsbruck ich muß dich lassen" „O Welt ich muß dich lassen" „Den liebsten Buhlen, den ich hab, der liegt beim Wirt im Keller" „Den liebsten Buhlen, den ich han, sitzt auf des Himmels Throne" „Mein G'müt ist mir verwirret" „ 0 Haupt, voll Blut und Wunden" „Ich armes Maidlein klag mich sehr" „Ich armer Sünder klag mein Leid" Ein Wort zum ersten: '/„Aus fremden Landen komm ich her" - ist ein Zeitungslied. Der Sänger führt sich auf diese Weise ein, um dann zu berichten, was alles in fremden Landen passiert ist. Luther deutet um. Er singt von der neuen Mär (Botschaft), die der Engel verkündigt. Wie das vor sich ging, drückt Markus Jenny in seinem Buch „Die Zukunft des evang. Kirchengesanges" (Zürich 1970, S. 13), so aus: „Unter den 36 Liedern Luthers ist eigentlich keines, das nicht in irgendeinem Stück - durch Bearbeitung einer gegebenen Textvorlage, durch Weiterführung einer schon vorhandenen Strophe, durch Übernahme oder Bearbeitung einer älteren Melodie ... vorgegebenes benützte und weiterführte". Auch die Barockzeit verwendet die Kontrafaktur. Sie nennt das etwa von 1600 an „Parodie" (= nach dem Griechischen: Neben- oder Gegengesang. Z. B. wurden mehrstimmige Vokalwerke, die ältere Werke kopiert hatten, so genannt.) Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 66 Es gab z. B. „Parodie-Messen". Man nahm dafür aber keine volksliedhafte Elementar-Melodik, sondern Kunstlieder (Villanellen, Canzonen, Madrigale), um wahrscheinlich mehr Achtung und Niveau zu erreichen. • Ein weiteres Beispiel: „Mein G'müt ist mir verwirret, das macht ein Jungfrau fein" stammt aus Hans Leo Haßlers „Lustgarten" vom Jahre 1601. Das Lied ist ein Schmerzausdruck über eine Liebe, der nicht entsprochen wird. In dem geistlichen Gegenstück „O Haupt voll Blut und Wunden" ist es auch ein Schmerz, der Schmerz der Leiden Christi und die Erschütterung darüber, daß einer in sein Eigentum kommt und nicht angenommen, sondern zu Tode gequält wird. Hier Schmerz - dort Schmerz! Die Eignung der Melodie für einen geistlichen Text wird auch durch den Kompositionsstil Haßlers bestätigt. Die Musikforschung beschreibt ihn so: „Eine auf das äußerste geschliffene Form, reine Schönheit, Wärme des Empfindens, noble Zurückhaltung! ... Selige Süßigkeit des rauschhaft ausgekosteten Schmerzes, wird man bei ihm vergebens suchen. ... Obwohl ihm die Mittel der italienischen Affektbehandlung genau bekannt waren, vermied er sie bewußt. Sein Wesen erschöpft er sich in den Grenzen des Maßvollen, das mitunter das Gemessene streift... " (MGG Bd. V, Sp. 1808 ff.). Überhaupt muß festgestellt werden, daß damals das Verhältnis „Geistlich-Weltlich" nicht im heutigen Sinne verstanden werden kann. Andererseits: „Auch 'weltliche Musik' kann ja mit der Gestimmtheit, die sie ausdrückt, die vordergründige Aussage ihres Textes weit übersteigen, bzw. religiöse Tiefen aus ihm entbinden. Sie verfälscht damit den Text nicht, soweit er nur Ansätze zu solcher Vertiefung in sich hat, während umgekehrt eine Musik ohne religiöse Gestimmtheit einen geistlichen, ja sogar einen gehaltvollen weltlichen Text verfälscht. Die religiöse Aussage in einem Lied mit weltlichem Text drückt vielmehr gerade dies aus, daß ein religiöser Mensch auch in den weltlichen Dingen, von denen er singt, ihre religiöse Sinntiefe, ihre ins Ewige hinüberweisende Innenseite erfaßt" (Zenetti, S. 85). In diesem Sinne verstehen wir auch die Praktiken eines Bach, der „weltliche" Kantaten zugleich als Kantaten mit geistlichem Text komponiert, mit der Begründung eines Zeitgenossen: „Es bleibt ein Affekt, nur daß die Objekta variiren, daß z. B. hier ein geistlicher Schmerz, dort ein weltlicher empfunden wird, daß hier ein weltliches Gut, dort ein geistliches vermisset wird" (Zenetti, S. 86). Musik kann tief ergreifen. Sie kann auch einen Atheisten ergreifen. Sie kann als Religionsersatz „ergreifen". Sie kann aber an sich nicht darstellen, daß Ergriffenheit ein religiöses Ergriffensein von Gott ist. Sie kann's genausowenig erzeugen wie sie auch keine Glaubensaussagen machen kann. „ Viele weltliche Dinge haben eine religiöse Sinn-Tiefe, die mit dem gleichen musikalischen Ausdruck, der dem Gebet, des Gottesdienstes angemessen ist, dargestellt werden kann... doch müssen die Objekta für das menschliche Empfinden von vergleichbarer Bedeutsamkeit sein, um solche Gleichsetzung vor dem Urteil eines vernünftigen und ehrfürchtig-gläubigen Menschen zu rechtfertigen" (Joh. Aengenvoort, in: Kirchenm. im Spannungsfeld der Gegenwart.,S. 34,35). Beim Thema „Ergriffen-Werden" wollen wir's doch gleich richtig formulieren: Das Wort Gottes (=Objekt) bzw. der Heilige Geist „ergreift". Es geht also vom Objekt aus: Objekt Affekt - Musik. Die Musik artikuliert die Beweggründe oder Bewegungen des Herzens. Sie ist nur Geburtshelfer des Affekts, der Erzeuger ist das Objekt bzw. das Wort Gottes. Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 67 Wenn Psalm 19, 8 sagt, daß das Wort Gottes weise macht und die Seele erquickt, die Augen erleuchtet und das Herz erfreut, dann ist das eine Gestimmtheit, ein seelisch-geistliches Befinden, das nicht mit „viel Krach und Getöse", nicht mit rassigen U-Melodien erreicht wird. Wenn Rhythmus und Beat und flotte Weisen uns in die Gottesdienste und Jugendstunden und Evangelisationen ziehen (reißen) müssen; wenn starke Gefühlserregungen, lustbetonte Mühelosigkeit und befriedigte geistliche Unterhaltung mit dem „Geisterlebnis", das uns eigentlich packen soll, verwechselt werden, wenn Andacht nichts anderes mehr ist als sich geistlich im musikalischen „Plauderton" und „Traumparadies" zu wiegen, dann ist Paulus nicht zu verstehen, der immer wieder vom „Geistmenschen" spricht. Nicht das Fleisch soll den Geist vertreiben, sondern der Geist soll im Fleisch herrschen. Kontrafaktur heißt: ein Gegenstück machen. Möge uns das wirklich gelingen!! Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 68 NACHWORT Parallel und vertiefend zu diesem Skriptum empfehle ich meine Arbeit „Zur Musikanschauung der Kirchenväter", Salzburg 1991 (s. Seminarbibliothek!). Da das vorliegende Skriptum als Überblick zeitlich nur bis in die 80er Jahre reicht, die Entstehung neuer Musik und Lieder aber zügig voranschreitet, müssen diese zunächst in Form von Referaten, Diskussionen etc. mündlich behandelt werden. Literaturverzeichnis: Ein Gesamtliteraturverzeichnis aller Skripten und Unterlagen im Unterrichtsfach „Theologie der Musik" wird jeweils am Anfang des Semesterkurses ausgegeben. Weitere Neuerscheinungen, die für diesen Unterrichtsgegenstand von Interesse und Wert sind, werden zunächst außerhalb des alphabetischen Literaturverzeichnisses im Nachtrag festgehalten. Manfred Pickhardt: Theologie der Musik Seite 69 S y n o n y m e r P a r a l l e l i s m U S : Gleiche Gedanken (Inhalte) werden sinnverwandt ausgedrückt. Gott, schweige doch nicht, sei doch nicht so still; Gott, halt doch nicht so Urne! (Psalm 83,1.2) K o n t r a s t p a r a l l e l i s n i U S : (Antithetischer Parallelismus) Eine linde Antwort stillt den Zorn; aber ein hartes Wort richtet Grimm an. (Sprüche 15,1) S y n t h e t i s c h e r P a r a l l e l i s m u s : (zwei selbständige Teile werden zur Einheit, ergänzen sich, werden zusammengefaßt) Behüte dein Herz mit allem Fleiß; denn daraus geht das Leben. (Sprüche 4.,23) Ausschmückender Parallelismus: Erzürne dich nicht über die Bösen; sei nicht neidisch auf die Übeltäter, denn wie das Gras werden sie bald abgehauen, und wie das grüne Kraut werden sie verwelken. (Psalm 37,1.2) Ach, daß müßten zuschanden werden und zurückkehren alle, die Zion gram sind! Ach daß sie müßten sein wie das Gras auf den Dächern, welches verdorrt, ehe es man ausrauft. . (Psalm 129, 5.6) Steigerungsparallelismus: Bringet her dem Herrn, ihr Gewaltigen, bringet her dem Herrn Ehre und Stärke! Bringet dem Herrn die Ehre seines Namens; betet an den Herrn in heiligem Schmuck (Elberf. „Pracht") (Psalm 29, 1.2)