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“Freaks, geeks, nerds and losers, that’s who zines are made by.”
(S. DUNCOMBE)
Die grüne LCD Anzeige sagt 3:23 Uhr, grad von der DM Lesung in der Brause
nach Hause gekommen. Jetzt macht es sich der Kater neben der Deadline in
meinem Nacken gemütlich und freut sich schon auf morgen früh. Auf jeden
Fall wieder mal ein schöner Abend mit Freunden und Bekannten. Und diesmal
sogar ohne spucken... Aber mal ehrlich: wer kennt in seiner Heimatstadt
bzw. seinem Heimatdorf die Legende eines Mädchens, dass von seinen Eltern
„Rosa Schlüpfer“ getauft wurde? Würde mich brennend interessieren, bei uns
kursierten allerhand Geschichten – die nicht. Oder kommt Nagel aus Wolkenkuckucksheim? Oder ist der schwip-Schwager vom Baron von Münchhausen?
Bitte um Aufklärung.
Apropos, im Hintergrund läuft „von wegen“. Was soll ich sagen? Muff Potter,
vom Major glattgebügelt, in die Knie gezwungen nach so vielen Jahren, Seele
verkauft? Dafür vom persönlichem Chauffeur zur Lesung fahren lassen und
auf einer eigenen Flasche Wein bestanden? Nee, nee, keine Angst, war nur
Spaß, super Album geworden, hab jetzt schon drei Ohrwürmer. „Wir können
auch ohne Spaß Alkohol haben“ – spitze.
Kommen wir zur vorliegenden Jubiläumsausgabe (das wird ja erwartet):
Euch bleibt auch nichts erspart. Aber immerhin haben wir uns Zeit gelassen:
neue und alte Jobs, Urlaube, Fußball sowie weitere Lesereisen standen im
Vordergrund. Berlin zum Beispiel war auch sehr schön und eine Reise wert:
ist für die Stimmung doch klasse, wenn der Veranstalter/Wirt einen ungefähr
gar nicht begrüßt (auch wenn vielleicht ein komischer Trip, den er nie wieder
losgeworden ist, daran Schuld sein mag...) und um halb neun noch keine Besucher, nicht mal Freunde („Ich komm dann gegen acht, spätestens!“ da sind.
Zu allem Überfluss erzählt uns die Bedienung beim Abendessen, während sie
die Pizzen serviert, dass der Pizzabäcker leider krank sei und sonst niemand
wirklich wüsste, wie man die Dinger macht, wären vielleicht nicht so lecker...
Recht hatte sie. Einziger Lichtblick soweit: der Träger Berliner Pils für 3,45
Euro. Danach ging es dann auch steil bergauf: super Abend, volles Haus, alle
begeistert – die Hauptstadt war unser. Bizarres Ende der Nacht für die einen
eine Pingpong Party mit komischen Pornoprojektionen, für die anderen „Didi,
der Doppelgänger“ in englischer Synchronisation. Glücklicherweise zählte ich
vorwort
drachenmädchen
drachenmädchen
zu letzteren... Der auf der „nur“ ungefähr acht Stunden währenden Heimreise
gefasste Vorsatz, einen Witz gegen Honorar in die „BZ“ zu bringen, gelingt
Wochen später auch noch. Wir sind die Geilsten. Und kommen bestimmt bald
auch in deine Stadt, dann gibt es kein Entkommen mehr. ��������
Oops, schon wieder zwei Wochen vorbei, jetzt wird es aber wirklich Zeit.
Mittlerweile läuft die Bundesliga wieder, Makaay, unser Tulpenknicker trifft
schon wieder wie verrückt und Carsten Ramelow hat ne CD rausgebracht – die
ich glücklicherweise noch nicht gehört habe. Aber schlimmer als der Ausflug
von Jens Weißflog ins Musikbusiness, den ich gerade im Fernsehen ertragen
muss, kann es nicht sein - bei allem Respekt. Apropos Fernsehen: Gestern
abend konnte ich mich nicht entscheiden, wer nerviger und schlimmer ist:
Thomas Gottschalk und seine schreckliche Deutschland vs. Schweiz vs. Österreich Patriotenschrott-Show oder aber der besoffene Elch. Bin mir bis heute
nicht ganz sicher. Beide ganz weit vorne dabei, soviel steht fest.
Auf jeden Fall wünsche ich nun viel Spaß mit dieser Jubiläumsausgabe. Nummer zehn. Maradona, Zico, Gullit – und wir mittendrin. Und wieder haben wir
viele Freunde eingeladen, viele sind der Einladung mit Freude nachgekommen, wie ihr feststellen werdet. Danke an dieser Stelle an alle, die das Heft
irgendwann irgendwie unterstützt und es zu dem gemacht haben, was es ist.
Bestimmt ist am Ende nicht alles so geil und besonders geworden, wie wir
mal gedacht hatten, dennoch bin ich mir sicher, dass zumindest wir selber
die Ausgabe lieben und abfeiern werden. Und somit bleiben viele gute Ideen
und Visionen nicht auf der Strecke, sondern nur in der Hinterhand – bleibt
gespannt und freut euch schon mal auf die #11.
In diesem Sinne aloha,
Euer COMMANDER POSITIVE 3D ([email protected])
P.S.: Ich stehe total auf die RAKES, verreise immer mit Trolley (wieso auch
sollte ich 15 Kilo auf meinem Rücken – oder noch besser: auf einer Schulter
schleppen, wenn ich sie auch bequem hinter mir herziehen kann?) und war
letzte Woche mit äußerst angenehmen sogenannten Promotanten – und Onkels ganz hervorragend feiern. Das musste ich an dieser Stelle schnell noch
los werden...
vorwort vom chief
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I can‘t relax in Deutschland.
vorwort
5
Einmal alles. Mit scharfe Soße.
Das Projekt besteht zuerst einmal aus einem Sampler mit Buchbeilage. Oder
einem Buch mit CD-Beilage?
Auf der CD: Mouse on mars, Kettcar, Tocotronic, The Robocop Kraus, Kante,
Die Goldenen Zitronen, Die Sterne, Von Spar, Stella, Lali Puna, Muff Potter,
Knarf Rellöm, T.Raumschmiere, Superpunk, Lawrence, Bernadette la Hengst,
Monochrome, Räuberhöhle feat. Saalschutz, Rhythm King and her friends,
Peters feat. Egotronic. 77 min Spielzeit.
Im Buch: Martin Büsser (Autor und Journalist: testcard, Intro, taz, konkret)
und Roger Behrens (Autor: Die Diktatur der Angepassten [2003], Adorno-ABC
[2003]). 56 Seiten.
Erscheinungstermin ist der 29. August 2005.
Infotext aus der Pressemappe des Projekts:
„Die (deutsche Kultur-) Nation startet durch – aufgeschlossen, entkrampft,
relaxt. Mit oder ohne Radioquote boomt deutsche Musik, der deutsche Film
illustriert konsequent die Geschichte des eigenen Leids, Deutsch-sein punktet
als hippster aller Lifestyles, Trendfarben rot-grün. Das Nationalteam 1. FC
Deutschland kommt zu sich und entdeckt das positive Wir-Gefühl nicht mehr
nur aus einer Standortlogik als Erfolg versprechende Marketingstrategie heraus,
sondern baut auch das neue Selbstbewusstsein als geläuterte Kulturnation
auf ein stolzes Wir-sind-wieder-wer. Neben dem guten alten Konservatismus
setzt sich dabei zunehmend eine vorpolitische Stimmungslage durch, in der
sich Popkultur und ein modernes, unverkrampftes Heimatgefühl zu einem
geläuterten deutschen Identitätsverständnis verbinden; immer bedacht
auf ein positives Image im Ausland, schließlich will ‚deutsch’ ganz vorne
mitspielen: wirtschaftlich, geo-strategisch und eben auch kulturell. Zu dieser
kulturalistischen Nationalisierungstendenz ist seit dem Wegbruch der so
genannten Poplinken kaum eine öffentliche Gegenstimme wahrnehmbar.
Auch das Modell Indie als scheinbar bessere Kultursparte und mögliche
Gegenpositionsplattform hat ausgedient, die Nationalisierung zieht sich quer
durch alle, auch ehemals linke oder subkulturelle Genres und Kulturen.“
Was mir zuallererst dazu einfällt:
Mieze, die Sängerin der Band Mia gibt auf einer eigens eingerichteten Homepage
Interpretationshilfen für ihren Text des Songs „was es ist“. Dieser Text hatte
einiges an Wirbel verursacht, weil er „revisionistisch“ rüberkommt. Ich
drachenmädchen
setze „revisionistisch“ in Anführungszeichen, weil diese Vokabel heutzutage
inflationär benutzt wird und man mit der Verwendung meiner Meinung nach
behutsam umgehen sollte. Aus ihrer Eigeninterpretation lese ich heraus, dass
sie sich der faschistischen Geschichte Deutschlands zwar bewusst ist, aber
vor dem Hintergrund, dass, (vereinfacht und so in der Art auch vorgefunden),
Deutsche heute viel Gutes für den Frieden tun, sie ein neues Bewusstsein
erlangen möchte: ein gestärktes, positives Gefühl zur „Heimat“. Sie formuliert
das so: „der tag vergeht und in hinsicht auf die gedanken, die ich mir in bezug
auf mein verhältnis zu meiner heimat gemacht habe, fühle ich bewusster denn
je“1. Nun ist ja ein „bewusstes Verhältnis“ bezüglich eigener Gedankengänge
keineswegs per se mit Makel behaftet. Auffällig ist jedoch, dass diese naive
Aufbruchstimmung einseitig ausblendet, dass aus „unserer Heimat“ Panzer in
die Türkei verkauft werden oder reger Handel betrieben wird mit Staaten, die
folternderweise Menschenrechte missachten bis hin zur Exekution. Mieze findet
„dass deutsche überall in der welt arbeiten und leben und geschätzt werden für
ihre art, und teilweise selber probleme mit ihrer herkunft haben. die kraft, diese
ansicht zu ändern steckt in jedem selbst. es regt sich in mir das gefühl, dass ich
nicht warten will, bis sich die veränderung vollzieht, ich muss es selber tun“.
Soll heissen: man soll keine Probleme mit seiner Herkunft haben müssen. Die
Kraft, die Ansicht zu ändern, man müsse Probleme mit seiner Herkunft haben,
steckt in jedem von uns. Weg mit dem Ballast, kein Blick zurück, sondern nach
vorn. „in diesem augenblick es klickt - leuchtet uns ein heller tag“2 , und wir
streben einer goldenen Zukunft entgegen in der es uns an nichts mangelt und
uns kein Leid geschieht, denn: wir sind ja die Guten. „Nationalismus artikuliert
sich in Deutschland unter den Bedingungen Mitte als etwas Lebendiges,
Aufgeschlossenes, Modernes.“ (Felix Klopotek in Intro 12/04)
Meine Mutter sagt manchmal: „Kann man das nicht einfach alles vergessen?“
Sie ist des Themas müde. Ihr Vater hat im russischen Frost auf dem Weg zur
Front seine Zehen verloren und Zeit seines Lebens daran festgehalten, dass
ihm nichts besseres hätte passieren können zu der Zeit. Schließlich war ihm
persönlich wenig daran gelegen, in einem völlig sinnlosen Krieg das alte „lieberDu-als-ich-tot-im-Matsch“-Spiel zu spielen. Ich soll also keine Probleme mit
meiner Herkunft haben müssen. Natürlich habe ich selbst meinen Großvater
nur als feinen Kerl kennengelernt. Und wenn er nichts erzählt hätte, wüsste
ich heute nichts über die Einzelheiten dieses „Wahnsinns“ (O-Ton Opa). Und
drachenmädchen
setze „revisionistisch“ in Anführungszeichen, weil diese Vokabel heutzutag
benutzt
wird nie
undeinen
man Zweifel
mit der Verwendung
meiner Meinung nac
der hat trotz allerinflationär
persönlichen
Verluste
daran gelassen,
behutsam
umgehen
sollte.
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n lese ich heraus, da
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begeistert, wenn
sich
der faschistischen
Geschichte
Deutschlands
zwar bewusst ist, aber
ich im britischensie
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Deutsche
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den Frieden tun,oder
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also gilt „deutsch-sein“
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„Heimat“.
Roger Behrens im
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1
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bezüglich
eigener Gedankengäng
Bands wie MIA je“
verschwinden,
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behaftet.
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dass aus „unserer
sich bei MIA und
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ja schon ausblendet,
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sense derHeimat“ Panzer
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oder reger Handel
betrieben wird
deutschen Angestelltenkultur
und der
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Sozialdemokratie.
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Menschenrechte
missachten
bis hin zur Exekution. Mieze fi
Fernsehen wird folternderweise
zum Beispiel durch
Ostalgie-Shows
die DDR-Geschichte
„dass
deutsche überall
in der welt
arbeiten
leben
und geschätzt werden
wieder einverleibt,
beziehungsweise
zunichte
gemacht.
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teilweise
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will, aber
ansicht zu kommt
ändern steckt
in jedem selbst.
regt ganzen
sich in mir das gefühl, dass
der deutschen Geschichte
interessanterweise
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diesen
nicht warten
will,nicht
bis sich
veränderung
vollzieht,
ich muss es selber tun“
Renationalisierungen
überhaupt
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Das
wäre zwar nicht
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Soll heissen:
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problematisch, jedoch
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verankerten
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zu ändern,
man müssegeben
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mit gibt
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die es die
auch
aus einer
linken Perspektive
könnte,
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steckt in jedem von uns. Weg mit dem Ballast, kein Blick zurück, sondern na
ja nicht.“3
vorn.
„in diesem
augenblick
klickt
- leuchtet unsgibt
ein heller
tag“2 , und wir
Und passend zum
deutschen
Common
Senseesohne
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Zukunft
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dieses Geschrei streben
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sind ja dieder
Guten.
„Nationalismus artiku
viel offensichtlicher
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liegen denn:
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zweifelhaften,
sichBeschallung
in Deutschland
unter
den Bedingungen
Mitte
flächendeckenden
unserer
„Heimat“,
nein, darum
gehtalsesetwas Lebendiges,
Aufgeschlossenes,
Modernes.“denn
(Felixdas
Klopotek
in Musik“
Intro 12/04)
nicht. Zumindest
wird es nicht so formuliert,
„deutsche
Meine
Mutter sagtinmanchmal:
„Kann
man das nicht einfach alles vergessen?
gleichzusetzen ist
mit „Qualität“
Abgrenzung
zu anglo-amerikansichem
Sie ist des Themas
müde.
hat im russischen
Frost auf dem Weg zur
oder sonstwie ausländischem
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selbstverständlich
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FrontSoseine
Zehen verloren
und Zeit des
seines
Lebens„Von
daran festgehalten, dass
wurde), ist implizit.
ist nachzulesen
im Bei-Buch
Projekts:
ihm nichts
hätte passieren
können
zu der Zeit.
Yvonne Catterfield,
Smudobesseres
(Die Fantastischen
Vier),
über Joachim
WittSchließlich
und
war ihm
persönlich
wenig
daran
gelegen, in einem
völlig sinnlosen
Krieg das alte „lie
Heinz Rudolf Kunze,
bis hin
zu den
Abgeordneten
des Bundestages
oder gar
Matsch“-Spiel
zuindes
spielen.
Ichden
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also keine
dem NPD-BlattDu-als-ich-tot-im„Deutsche Stimme“
war man sich
über
der Probleme mit
meiner
Herkunft haben
müssen. Natürlich
habe ich selbst
meinen Großvate
Bedrohung einig.
Das „dominante
anglo-amerikanische
Repertoire“
(Wolfgang
nur als„weniger
feinen Kerl
kennengelernt. Und
wenn er(Antje
nichtsVollmer,
erzählt hätte, wüsste
Thierse, SPD) immer
weltumspannende[r]
Firmen“,
ich „die
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nichts über
Einzelheiten Kulturimperialismus“
dieses „Wahnsinns“ (O-Ton Opa). Un
Die Grünen), also
des die
amerikanischen
(ebd.) zerstöre das kulturelle Fundament des deutschen Wertesystems. Mit
i can*t relax in deutschland
6
der Ablehnung so genannter seelenloser „Fabrikmusik“ wird so das bereits
seit der Romantik in Deutschland präsente Vorurteil von der kultur- und
geschichtslosen Neuen Welt fortgeschrieben.“ (S.10 ff) Lustig, oder? Und gleich
ein bisschen weiter findet man auch die meiner Meinung nach höchst schlüssige
Begründung, warum ich solcherlei Ansichten lustig finde: „Elvis Presley war,
so drückte es die Spex 08/93 aus, nicht umsonst kein Deutscher, deshalb sollte
man nie hinter die Erkenntnis zurückfallen, dass es ohne die Internationalität
des anglo-amerikanischen Kulturimports wahrscheinlich keinen Ausweg aus
dem Kulturmief der Nachkriegszeit gegeben hätte.“ (S.11) Allein die Idee,
man könne Popmusik von anglo-amerikanischen Einflüssen bereinigen oder
fernhalten, ist indiskutabel. Weder Mia noch Joachim Witt noch Heinz Rudolf
Kunze oder wer da sonst noch so ist, können mir ihre Musik als „deutsch“
verkaufen, nur weil in deutscher Sprache getextet wird. Die Einflüsse lassen
sich zurückverfolgen und man landet zwangsläufig im anglo-amerikanischen
kulturellen Raum. Nun lässt sich darüber streiten, ob ein CD-Sampler mit Buch
die richtige Form ist, um eine Öffentlichkeit für Diskussionen zu schaffen.der
In Ablehnung so genannter seelenloser „Fabrikmusik“ wird so das bereits
Internetforen findet man durchaus die Meinung, hier sei eine weitere linkeseit
Platte
der Romantik in Deutschland präsente Vorurteil von der kultur- und
für den Selbstzweck gepresst worden, die man sich als bereits bekehrter Mensch
geschichtslosen Neuen Welt fortgeschrieben.“ (S.10 ff) Lustig, oder? Und gleich
in den Schrank stellt, um sich beruhigt auf der „richtigen Seite“ zu wähnen.
einDa
bisschen weiter findet man auch die meiner Meinung nach höchst schlüssige
in der Pressemappe jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass man
die
Begründung,
warum ich solcherlei Ansichten lustig finde: „Elvis Presley war,
Diskussion durchaus in die Feuilletons tragen will, halte ich den Ansatz und
so die
drückte es die Spex 08/93 aus, nicht umsonst kein Deutscher, deshalb sollte
Art der Durchführung für berechtigt und lohnenswert, denn der abschliessende
man nie hinter die Erkenntnis zurückfallen, dass es ohne die Internationalität
Gedanke ist meines Erachtens noch nicht weit genug vorgedrungen: „Der des anglo-amerikanischen Kulturimports wahrscheinlich keinen Ausweg aus
rebellische Gestus, den so genannte Subkulturen mit sich führen, hat sich im
dem Kulturmief der Nachkriegszeit gegeben hätte.“ (S.11) Allein die Idee,
popkulturellen Rahmen und damit in bloßer Symbolik von der umstürzlerischen
man könne Popmusik von anglo-amerikanischen Einflüssen bereinigen oder
Geste zur konformistischen Plakette gewandelt. Die Pop-Dissidenz endet eben
fernhalten, ist indiskutabel. Weder Mia noch Joachim Witt noch Heinz Rudolf
doch bei einem frechen Haarschnitt.“ (S.13). Und das sollte wenigstens einmal
Kunze oder wer da sonst noch so ist, können mir ihre Musik als „deutsch“
erkannt werden. Dann sehen wir weiter.
verkaufen, nur weil in deutscher Sprache getextet wird. Die Einflüsse lassen
Umfangreiche Information über das komplexe Thema befinden sich im Netz
sich zurückverfolgen und man landet zwangsläufig im anglo-amerikanischen
unter: http://www.icantrelaxin.de
kulturellen Raum. Nun lässt sich darüber streiten, ob ein CD-Sampler mit Buch
Kontaktaufnahme möglich unter: [email protected]
die richtige Form ist, um eine Öffentlichkeit für Diskussionen zu schaffen. In
Internetforen findet man durchaus die Meinung, hier sei eine weitere linke Platte
1
http://www.r-o-t.de/wasesist.html
für den Selbstzweck gepresst worden, die man sich als bereits bekehrter Mensch
2
textauszug: „was es ist“ von Mia
in den Schrank stellt, um sich beruhigt auf der „richtigen Seite“ zu wähnen. Da
3
http://www.icantrelaxin.de am 15.4.05
in der Pressemappe jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass man die
Diskussion durchaus in die Feuilletons tragen will, halte ich den Ansatz und die
Art der Durchführung für berechtigt und lohnenswert, denn der abschliessende
puffi und kevin
drachenmädchen
Gedanke ist meines Erachtens noch nicht weit genug vorgedrungen: „Der
rebellische Gestus, den so genannte Subkulturen mit sich führen, hat sich im
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Ende August erscheint auf Unterm Durchschnitt der Sampler „I Can’t Relax
In Deutschland“ der sich mit gestärktem Nationalbewusstsein in der
Gesellschaft und speziell der Popmusik beschäftigt. Eine der Bands die ein
Lied dazu beisteuerten sind die PETERS aus Hamburg. Über die Ziele und
Erfolgschancen des Projektes, ihre persönlichen Empfindungen gegenüber ihrem
Heimatland und die Kollabo mit EGOTRONIC sprachen sie im Interview.
Die einen beobachten seit Jahren ein zunehmendes gestärktes
„deutsches Selbstbewusstsein“ in der Gesellschaft, für andere
Menschen mag dies erst auffallend sein, seit Radio-QuotenDiskussion, bestimmten Berliner Rappern oder „Wir sind Papst“Geschichten. Bei euch speziell, wo war da der Punkt im Kopf, an
dem man sich sagte, das nimmt immer mehr Überhand, das birgt
Gefahren, da wollen wir was tun?
Also das war genau am 8.5.2000. Nee, Quatsch. Tja, da gab es eigentlich
keinen bestimmten Zeitpunkt. Man konnte zwar nie einen positiven Bezug
zu Deutschland herstellen und sicherlich hat sich dieses Gefühl auch in
den letzten Jahren mit der Politik und dem neuen Großmachtstreben der
rot-grünen Regierung noch mal verstärkt, doch man muss ja sagen, dass
wir nicht die Idee hatten, mit diesem Sampler ein Statement dagegen zu
setzten. Das waren halt Andi und Tobi. Und als wir gefragt wurden, ob wir
da mitmachen wollen, sagten wir natürlich gerne zu.
Wo liegen deiner Meinung nach die Gründe, für ein widererstarktes
Wir-Gefühl in Deutschland und der damit einhergehenden
verbreiteten Meinung, die Vergangenheit endlich anders zu sehen und
neu zu bewerten?
Ich bin da wohl wie viele der Meinung, dass Menschen besonders in
Krisenzeiten für nationale Ideen empfänglich sind. Wenn der sogenannte
„Wohlfahrtskapitalismus“ deutliche Risse bekommt und das Ende eines
Aufschwunges erkennbar ist, wird von Politik von Medien versucht, das
eigentliche Problem zu überspielen, und stattdessen andere Sündenböcke
zu finden. Bei 5 Millionen Arbeitslosen braucht man dann halt erst mal
wieder neues Selbstbewusstsein. Die Leute haben Zukunftsängste und eine
vorgegaukelte Volksgemeinschaft soll ihnen dann Schutz und Geborgenheit
vermitteln. Das Boot ist dann halt voll. Da ist den Leuten dann nichts
drachenmädchen
zu schade, um sich selbst wieder aufzuwerten und vom Eigentlichen
abzulenken. Dieses sich „wieder besser machen“ geschieht meiner Meinung
besonders stark durch die Abgrenzung zu den USA. Und dadurch entsteht oft
ein völlig unreflektierter Antiamerikanismus. Gut gegen Böse. Es ist wieder
salonfähig geworden ein anderes Land zu hassen und das finde ich sehr
bedenklich.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen Gefühle wie
Stolz, Patriotismus oder auch Geschichts-Revisionismus überhaupt
nicht mit rechtem Gedankengut in Verbindung bringen, es also für
sie da auch gar kein Problem gibt. Da ist man zwar „Gegen Nazis“
und „Wählt nicht Stoiber“, nimmt dann jedoch in Diskussionen über
z.B. Immigration oder Patriotismus die genau andere Position ein.
Meinungen gegen rechts können so neben einem „Wir sind wieder
wer“-Gefühl existieren und die Menschen sehen da drin gar keinen
Widerspruch. Mit dem Sampler wird darauf hingewiesen, dass
sich „rechts“ nicht nur durch Glatzen und ähnliches definiert. Ich
finde dies am wichtigsten, den Leuten das klar zu machen, um sie
überhaupt zu sensibilisieren. Meinst du, dass die Thematik aus der
Richtung ausreichend genug angegangen wird?
Ich finde schon. Das Anliegen des Samplers ist ja schließlich nicht, ein
Statement gegen die offensichtlichen Nazis zu setzen, sondern man will ja
gerade darauf aufmerksam machen, dasz sich nationalistische Tendenzen
durch alle Bevölkerungsschichten und politische Lager ziehen.
Gerade auch bei den sogenannten Linken finden sich ja auch solche
Tendenzen, dasz man kein Problem mit Deutschland hat. Bands wie Mia., die
von Vielen dem linken Spektrum zugeordnet werden, wollen die Geschichte
beiseite schieben und beziehen sich wieder positiv auf Deutschland. Und
auf diese Gefahren weist der Sampler meiner Meinung nach auch ganz
deutlich hin.
Wenn ihr an Deutschland denkt, was empfindet ihr da? Kommt es in
Gesprächen auf das Thema, wie würdet ihr antworten?
Ehrlich gesagt empfinde ich weder besonderen Hass, noch Liebe oder sowas
wie „Stolz“ für das Land „Deutschland“. Warum auch? Wenn man sich
allerdings die Geschichte vergegenwärtigt, hat natürlich gerade Deutschland
einen sehr faden Beigeschmack. Auf Staatsangehörigkeit stolz zu sein, wie
interview mit peters
8
geht das? Welche Gründe sollte es dafür geben? Dieses Heimatgeschwätz
geht für mich auch nicht klar, denn ich mache meine Heimat doch nicht
an einer Nation fest, eher schon an „Home is where your heart is“ und so,
also meinem unmittelbaren Umfeld.
Musiker melden sich ja immer wieder zu politischen Themen
zu Wort. Meistens erreichen ihre Aktionen jedoch nur die Fans
und vielleicht noch die Leser von irgendwelchen Promi-Seiten
im Boulevard. In wie weit denkst du, dass I CANT RELAX IN
DEUTSCHLAND mehr Leute als nur Musik-Interessierte und Fans
der Bands ansprechen wird? Oder um noch ein wenig weiter
auszuholen: Ob überhaupt neue Leute für die Thematik sensibilisiert
werden, oder es dann doch nur die, die sich eh damit auseinander
setzen, anspricht?
Dadurch, daß auf dem Sampler - mal abgesehen von uns - ziemlich
bekannte Bands sind, die jetzt nicht nur das „linke Spektrum“ bedienen,
sondern auch ein Publikum, welches sich mit den Themen, die der Sampler
anspricht, aus welchen Gründen auch immer noch nicht auseinander
gesetzt hat. Angedacht war ursprünglich, daß alle Bands der Compilation
jeweils ein unveröffentlichtes oder exklusives Stück beisteuern, um die
Verkaufszahl und damit auch den Wirkungskreis des Themas erheblich
zu vergrößern. Leider hat das so nicht geklappt, da viele Songs bereits
vorher als Single oder so erschienen sind... Naja, wie dem auch sei.
Jedenfalls denke ich, daß ein bestimmter Teil der Fans von z.B. Kettcar
oder Tocotronic, die ja immerhin den Sampler erstmal kaufen, weil
dort ein Song von eben jenen drauf ist und nicht der Thematik wegen,
erstmals damit vertraut gemacht werden und so darüber reflektieren
können und es vielleicht auch weitertragen werden, um Diskussionen
mit Freunden etc. auszulösen. Außerden wird es hoffentlich durch die
vielen bekannten Bands ein größeres Echo in der Öffentlichkeit geben und
damit auch eine breitere Auseinandersetzung in den Medien stattfinden.
Ein weiterer Punkt ist, daß der I CAN‘T RELAX IN DEUTSCHLAND-Sampler
ein unkonventionelles Format ist, weil es keine normale CD mit ein
paar runtergeschriebenen Gedanken im Booklet ist. Allein aus visuellen
Gründen sollte sich die Buch-CD im Handel schon von den anderen
herkömmlichen CDs abheben und auffallen.
interview mit peters von kevin
9
Euer Beitrag für den Sampler, ist eine Kollabo mit Egotronic. Wie
habt ihr das Lied geschrieben und wer kam überhaupt auf die Idee
der Zusammenarbeit?
Andreas von Unterm Durchschnitt bot uns gleich zu Anfang der
Planungsphase an, ein Lied beizusteuern. Also haben wir dafür relativ
früh einen Song im Studio aufgenommen, der musikalisch jedoch nicht
so richtig fertig war. Gleichzeitig wollte die BLACKSTAR CONSPIRACY aus
Leipzig die Berliner Egotronic mit auf den Sampler haben, die ebenfalls
früh zusagten. Daß so viele populäre Bands, welche die Öffentlichkeit
aufmerksam machen sollten, tatsächlich zusagen würden, war zu dem
Zeitpunkt noch gar nicht abzusehen. Und als ein paar Tage/Wochen/
Monate später etliche Zusagen kamen, war dann doch nicht 100%ig
klar, ob wir noch bei der Compilation dabei sein würden, da sich das
„Sampler-Kommitee“ nicht einig war, wer letztendlich auf den Sampler
kommen sollte. Andreas machte schließlich den Vorschlag, unser Stück von
Egotronic überarbeiten zu lassen bzw. zu elektronifizieren. Irgendwie hat
das alles zusammengepasst, weil es um einiges cooler geworden ist und sie
es quasi komplettiert haben.
Wie sehen die weiteren Veranstaltung bezüglich des Samplers aus?
Habe bisher nur von Konzerten/Info- Veranstaltungen gehört. Und
wie weit seid ihr da eingespannt ?
Im Vorfeld haben Torben und Jörg eine solche Veranstaltung zur
Finanzierung von I CAN‘T RELAX in Hamburg organisiert, auf der drei Bands
spielten, die auch auf der CD vertreten sind. Ähnliche fanden bereits auch
in anderen Städten statt und werden vornehmlich von den Organisatoren
des Samplers bzw. in irgendeiner Weise beteiligten Leuten veranstaltet. Es
gibt allerdings auch Interesse von einigen Unabhängigen, die das Projekt
unterstützen wollen und selbst Abende mit Podiumsdiskussion und Konzert
veranstalten, was ich schon echt super finde. Man kann dabei nur hoffen,
daß die ursprüngliche Intention dabei nicht aus den Augen verloren bzw.
zu anderen Zwecken missbraucht wird. Ab Semptember, also nach dem
offiziellen Release, startet dann eine Reihe von Konzert-Diskussions-Partys
im Rahmen des Projekts.
drachenmädchen
drachenmädchen
vorwort
testsieger und nils damage
drachenmädchen
sind mit kleinen tapestreifen versehen. oder aber
auch, man weiss doch einfach wie was klingt;
kennen unsere boards ja mittlerweile ganz gut.
n.damage>>>das
habe
ich
schon
verstanden und mir auch jetzt mal
gemerkt.... wie lange habt ihr denn so
insgesamt an dem album gearbeitet? ich
brauch für ne lp mit allem drum und dran
sowas bei zehn monaten rum. bei euch war
das dann doch etwas zeitaufwendiger?!
siegercrew>>> mit unseren grundsätzlichen
argen zeitproblemen, haben wir so round about
gute zwei jahre dran gwerkelt, gefeilt und soviel
gute songs zusammen getragen, dass es für nur
eine cd zu wenig war. das debutalbum soll ja man
dann auch immer mit das beste werden. wann
kommt denn dein erstes studio
doppelalbum raus herr nilson??!
n.damage>>>
bestimmt
demnächst! mal den herrn
peter trash fragen.... aber weiter
im text; ihr seid ja man nicht
gerade hartz IV empfänger
und hab echt permanent
nen arsch voll zu tun, sogar
der herr echolotse wird endlich nen
testsieger-papa. wie bekommt ihr das so
auf die reihe, wie lassen sich studium
(puuaaah...>>>n.damage), eure musikjobs
und privatleben miteinander vereinbaren?
siegercrew>>>schlecht.
ganz
schlecht
sozusagen. aber insgesamt nur ein focus
problem. wenn wir das, was wir an zeit und arbeit
in unsere theatergeschichten und andere bands
stecken, nur in testsieger investieren würden,
dann wären wir mit sicherheit ein
ganzes stück weiter wie jetzt.
aber andererseits ist es eine
stärke von uns, dass wir anderen
einflüssen offen gegenüber treten
und das wir so breit gefächert
arbeiten. wir haben also nicht
wirklich soviel zeit um testsieger
allein voran zu bringen, was aber auch mit sich
bringt, dass dadurch so viele verschiedene
einflüsse einfliessen, das es dumm wäre dies
zu bedauern. durch die theaterarbeit z.B., was
nicht nur extrem interressant ist sondern auch
noch die nötige kohle einbringt, können wir uns
dann auch finanzieren, wieder neue instrumente
kaufen und aufnahmen bezahlen. dadurch ist
alles etwas entspannter und wir haben keinen
n. damage >>> jungens, fangen
wir doch mal an und erzählt
mir und dem drachenmädchenjubiläumspublikum, wie es zu
eurem spitzen bandnamen
gekommen ist und wo der
wesentliche
unterschied
zwischen eurem neuem gold album und
der handelsüblichen elektonik-schiene liegt.
siegercrew >>> also das mit dem „spitzen“
namen war wie so oft im leben,
eher ein zufall. dieser ist uns beim
kreuzen eines matrazengeschäftes
zugefallen. dort stand diese
testsieger-matraze
draussen
und die würfel waren gefallen.
naja,
und
der
wesentliche
unterschied zwischen uns und
der, wie du es gerade so schön formuliert hast,
handelsüblichen elekronik-schiene, ist, dass
wir live komplett mit analogen instrumenten
spielen. wir schleifen wirklich mindesten drei
millionen instrumente mit auf die bühne und
bedienen sie entsprechend live. ein anderer
unterschied ist auch, dass wir garnicht aus
der elektonikecke kommen. da kannste uns
namen nennen, kennen wir alle nicht (fast wie
bei mir.. hehehe>>>n.damage). das spiegelt
sich auch in unserer musik wieder. natürlich
bedienen wir uns irgentwelcher sachen, die
TESTSIEGER.
trash-hits für elektriker und
radiokonsumenten?
eigentlich bin ich in ganz anderen schubladen
zu hause; gerade deswegen ein grund,
diese jenigen welchen zu zulassen und über
clubhits und discokracher zu berichten!
TESTSIEGER sind jerry mono (boards, sounds),
derek vulcano (live-kickdrums, boards, sound)
und role echolotse (der mann hinter
den reglern am mischpult). nach der
veröffentlichung ihres ersten (doppel
cd!) album „Gold TESTSIEGER - 20
Volltreffer“ wollte ich als teil der
fangemeinde erfragen, wie es zu
diesem hammer aus gold gekommen
ist und natürlich erforschen, wo die
ursachen zu diesen anomalischen
tanzfieberschüben auf den meist ausgebuchten
konzerten zu finden sind. unterhalten habe ich mich
eines schönen kaffee- und kuchennachmittages
mit allen dreien in der tonmeisterei:
drachenmädchen
na dann. dem ist nichts mehr
hinzu zufügen. danke vielmals
meine herren, es war mir ein
vergnügen und euch doch
hoffentlich auch. der mohnkuchen
war ausgezeichnet, im vergleich
zu dem kaffee. oder war das doch tee?!!!
allen anderen netten leuten hier sei noch gesagt:
besorgt euch diesen hammer aus gold! wenn das
zeugs schon so‘m schrägen rattenhund wie mich
zum geschmeidig fühlen und hüftgelenk bewegen
bringt, kann das ja nur von äusserst guten einfluss,
von absolut ausgezeichneter musik zeugen! ahoi,
euer nils damage.
druck irgentetwas zu bestimmten zeitpunkten an
den start, auf den markt zu bringen. ausserdem
sind wir alle viel zu unruhig und könnten mit
unseren ideen einmal im monat eine neue
band oder sowas in der art gründen. insgesamt
arbeiten wir mit einem anderen arbeitskonzept,
welches nicht soviel wert auf regelmässiges
zusammen treffen legt, sondern wir arbeiten
eher mehr projektorientiert. hat auch was für
und gegen sich. und was die zeit im allgemeinen
anbetrifft, gibt‘s ja nie wirklich genug davon....
n.damage>>>wie könnt ihr mir erklären
das ihr auch radio-play habt (keinen
offenen kanal scheiss und sowas), discos
rockt, die konzerte die ich von euch bisher
sehen durfte, immer proppevoll sind und die
leute in ihren viel zu kleinen
konfirmationsanzügen- und
kleidern sich die schenkel
nass tanzen??? liegt es daran
das euer sound eher nur
für den einfachen elektiker
und
radiokonsummenten
angelegt
ist?...
wieso
unterhalte ich mich dann
überhaupt
gerade
mit
euch...
siegercrew>>> nun, vielleicht sollten wir da
versuchen objektiv zu bleiben und die presse
das beantworten lassen: ...ein hammer aus
gold...es ist als ob die welt auf diese band
gewartet hat...während die erste cd noch
den humor-bonus auspielt und aberwitzige
trashhits beinhaltet, setzt der zweite silberling
auf die oftmals zitierten unendlichen weiten
- spacenight zwischen filia brazilia und der
zweiten
mondlandung...yeah.
wir mit sicherheit nicht neu erfunden haben,
wie drumbeats oder einen keyboard sound, der
hier und da schon einmal verbraten worden
ist. aber es fliessen auch elemente ein, die
einfach aus unserem eigenen empfinden, aus
unserer eigenen welt entnommen sind, ohne
durch eine bestimmte stilistik vorbelastet zu
sein. dazu kommt, dass wir immer offen sind
für alle uns gefallenden musikalische einflüsse
und uns dadurch auch immer
versuchen weiter zu entwickeln.
n. damage>>> also spielt
euer equipment eine grosse
rolle. was für instrumente
benuzt ihr und wie geht es
vornander, wenn ihr neue
songs an den start bringt?
siegercrew>>>
wir
sind
grundsätzlich analog unterwegs. das heisst,
dass unsere soundästhetik sich an eben solchen
instrumenten orientiert. das kernstück unserer
anlage ist ein rhodes piano,
welches über das roland bandecho läuft. das drumset dem
entsprechend, mit einer alten
roland-drummaschine.
dann
haben wir einen ganzen haufen
von analogen synthies, wie
moog, rogue, juno, crumar und
korg. dann gibt‘s noch mehrere
bandechos. das was wir am meisten daran
schätzen, ist der warme und weiche sound.
zudem ist nichts genau reproduzierbar, das ist
cool. jedes mal musst du neu an
den reglern drehen und jedes
mal klingt es anders. es kommt
immer wieder etwas neues dabei
raus, was auch dann unsere
inspirationsquelle ist. also
die musikinstrumente ansich.
wenn wir neue songs schreiben,
läuft es meistens so, dass wir ein ewig langes
stück spielen und/oder improviseren und die
grossen schalter auf den boards bedienen.
häufig ensteht dann ein zufallsprodukt, welches
sich zu einem neuen track verarbeiten lässt. es
setzt sich also keiner zu hause hin und schreibt
die stücke, heisst ja keiner von uns nils damage,
hahaha. dann schneiden wir ab und zu was auf
md mit und es gibt auch noch eine andere illustre
art der notierung, also akkorde und melodie
aufzuschreiben. die keybords sind teilweise
abgetaped, meint also, die soundeinstellungen
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kontakt: www.die-tonmeisterei.de
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“When you`re up to your neck in shit, the only thing left to do is sing.”
Wenn die Musik nicht wäre, wäre er schon vor langer Zeit innerlich
gestorben, sinniert Whitmore, im Geiste Samuel Becketts. Musik
empfindet er als seine Therapie, als den richtigen Umgang mit dem
frühen Tod seiner Eltern: „It´s better to sing the blues than to cheat
yourself in the head!“
Als ich Anfang Februar mal wieder meinen E-Mail Account checkte,
waren neben null persönlichen Nachrichten, einem Haufen Spam-Mails
und Werbung noch ein paar Tourangebote im Postfach. Neben einigen
durchgenudelten Emo Bands wurde mir William Elliott Whitmore
angepriesen. In dem Text hieß es: „Wer nur ein Fünkchen für Johnny
Cashs Spätwerk übrig hat, wird William E. Whitmore lieben.“ Große
Worte, dachte ich, und lud mir einen Song runter. Midnight hieß dann
der Song, der mich anfixen sollte.
In meinen Augen steht die Einzigartigkeit Johnny Cashs außer Frage,
doch um Whitmores Musik zu beschreiben, drängt sich der Vergleich
immer wieder auf: Countryeske Singer-Songwriter Balladen, wechselnd
von Akustik-Gitarre oder Banjo getragen, machen Whitmores zwei
bisherige Alben „Hymns For The Hopeless“ und „Ashes To Dust“ zu dem,
was sie sind: Tieftraurige, melancholische, düstere und verbitterte
Zeugnisse einer Person, die persönliche Erfahrungen in seiner Musik
verarbeitet.
Whitmores tiefe Whiskeystimme thematisiert immer wiederkehrend
den Tod. Als er noch jung war, starben seine Eltern, was für ihn eine
einschneidende Erfahrung gewesen ist. Der Kreislauf des Lebens und
des Todes, das Diesseits und Jenseits sind dem zu Folge fundamentale
Hauptmerkmale seiner Lyrik, die sich in Songs wie „The Day The End
Finally Came“ oder „Diggin` My Grave“ voll entfalten.
Ich klickte auf den „Antwort-Button“ meines E-Mail Accounts, um
direkt einen Konzerttermin festzumachen. Am 19.05. war es dann
soweit und der bereits einige Wochen zuvor eingetroffene Tourrider ließ
einiges erhoffen: 1 Flasche Whiskey, 15 Flaschen Bier, und 4 Flaschen
Wasser (still) sollten für den Herrn Whitmore bereitstehen. Nach einer
intensiven und begeisternden Live-Show und einigen Whiskeys später
wurde der anfänglich wortkarge Whitmore ein wenig redseliger.
vorwort
drachenmädchen
drachenmädchen
Angesprochen auf die ewigen Vergleiche mit Johnny Cash fühlt er sich
auf der einen Seite geehrt, da Johnny Cash für ihn einer der größten
Künstler aller Zeiten ist. Auf der anderen Seite widerspricht er da er
sich vor allem in musikalischer Hinsicht durch die majoritäre Anwendung
seines Banjos unterscheide.
Trotz allem verbindet die beiden einiges. Abgesehen von immer
wiederkehrenden Themen, die in ihrer beider Lyrik behandelt wird,
teilen sie eine ähnliche Sozialisation. Wie Cash, so wuchs auch
Whitmore auf einer Farm auf. Eine Pferdefarm in Iowa, an den Ufern
des Mississippis, ist das zu Hause des erst 26jährigen. Nach eigenen
Aussagen wuchs er dort in der Mitte eines Kornfeldes – in der Mitte von
nirgendwo – auf. Es war hauptsächlich die Country Musik und der Blues,
die ihn in musikalischer Hinsicht sozialisierten, beeinflussten und
inspirierten.
Bei mir zu Hause angekommen, legte Whitmore jedoch als erstes die
„Group Sex“ LP von den Circle Jerks auf und gröhlte lautstark mit.
Ursprünglich wollten wir bei mir nur einen Zwischenstop machen, um
das Banjo abzulegen, und direkt weiter, um eine einschlägig bekannte
Diskothek aufzusuchen. So wurde der Zwischenstop unweigerlich ein
bisschen mit Whiskey und alten Punk Klassikern verlängert, während
Whitmore erzählte, wie er an Punkrock gelangte. Mit 16 begann er
Skateboard zu fahren. Über Skateboard Magazine wurde er auch auf
andere Bands aufmerksam. Er gelangte an Bands wie Minor Threat,
Minutemen, Bad Religion, NWA oder Public Enemy die ihn fortan
beeinflussten.
Verschiedene Freunde von Whitmore spielten außerdem in Punk und
Hardcore Bands und so kam es, dass er mit befreundeten Bands auf Tour
fuhr. Für einen Mann mehr war im Bulli immer Platz.
Auf einer Tour mit einer befreundeten Band namens „Ten Grand“, für
die er Roadie war und gleichzeitig den Support machte, wurde er dann
entdeckt. Das Label „Southern Records“ signte Whitmore und auch Ten
Grand vom Fleck weg. Inzwischen hat auch schon Epitaph-Boss und Bad
Religion Gitarrist Brett Gurewitz nach einer England Tour zusammen mit
der Hardcore Band „Converge“ sein Interesse bekundet.
Die Shows mit „Converge” zählt Whitmore zu seinen besten: „It was nice
william elliott whitmore
14
to be able to hopefully turn some of these hardcore kids on something
different and they enjoyed it. The shows there´d be a thousand kids
there, but not one said a word when I was playing. They were really
focused and into it...“
Für Whitmore ist es wichtig, mit Bands zusammen zu spielen und
in Verbindung gebracht zu werden, die in einem subkulturellen
Kontext stehen. Es waren die oftmals konservativen Inhalte der
amerikanischen Volksmusik, die Whitmore am Country ablehnte. Er hat
es geschafft, ohne die musikalische Komponente der Country Musik zu
vernachlässigen, diese mit alternativen Inhalten zu füllen und einer
D.I.Y. Ethik zu verbinden.
„I thought if I can play my hillbilly music through a punk rock crowd,
that would be the best of both worlds to me.”
Neben Whitmore gibt es immer mehr junge Bands, wie Whiskey & Co,
The Weight oder Boxstep, dies sich diesem „Alternative Country“
zugehörig fühlen und mit der konservativen oft republikanischen und
NRA nahen Country Bewegung nicht in einen Topf geschmissen werden
möchten. Von Country Labels verschmäht und von subkulturellen Labels
oft unbeachtet, haben es solche Bands anfangs recht schwer einen
Plattenvertrag zu erhalten. Überbrückt hat Whitmore dies, indem er
seine ersten Veröffentlichungen D.I.Y. produzierte. “It taught me that
kids can just do whatever they want when they put their mind into
it!.” Inspiriert durch Dischord Records, die das Label ursprünglich
gründeten, um ihre eigene Musik rauszubringen, hat Whitmore,
bevor er auf Southern Records veröffentlichte, einige 7“s und CDs in
Eigenproduktion rausgebracht. Selbst das Artwork seiner Platten bleibt
in Familienhand. Luke Tweedy, Whitmores Cousin, stellt die Skulpturen
aus Tierschädeln, getrockneten Rosen und allerlei anderen organischen
Materialen her, die Whitmores Alben zieren. Und auch seine Gitarre
verzierte er mit organischem Material: Beklebt mit den Nikotingefärbten
Filterpapierresten unzähliger Spliffs machte er Whitmores Klampfe zu
etwas Einzigartigem. „And it actually sounds better!“
Bis heute fällt William Whitmore die Entscheidungen über sich und
seine musikalische Zukunft alle selbst, ohne Management. Selbst im
Booking Bereich behält er gern den Überblick. So kommt es öfters vor,
text von lennart bohne, fotos martin schmitt
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dass er sich einfach in sein Auto oder in den Zug setzt, losfährt und bei
irgendwelchen Bars oder Pubs anfragt, ob er für etwas zu Essen und zu
Trinken spielen darf. Diese Tatsache erklärt auch sein Reisegepäck: eine
ledernde Umhängetasche, gefüllt mit einigen T-Shirts, Hemden, Socken,
sowie einer Kulturtasche, sind das einzige, dass er unterwegs dabei hat.
Selbst für zwei Monate (!) Europa. „I like to live pretty simply and so
when I go on tour I don`t bring much – I just bring enough clothes to
wear and of course my intruments. I don`t like to be weighted down by
much – I like to travel light.”
Später ging es dann doch noch in obig erwähnte einschlägige Discothek
– weiterzechen. Überflüssig zu erwähnen dass William seinen Whiskey
nur pur trinkt. „I love the flavor of pure whiskey man. I normally don`t
mix it up with coke, because I don`t drink soda-pop”
Stark angetrunken, versuchte ich William noch in Gespräche und
Fachsimpeleien über Fußball zu verwickeln. Ich konnte ihm jedoch nur
noch entlocken, dass er Fußball selbst nicht praktiziert. Mit Freunden
zusammen schaut er sich jedoch des Öfteren ein Spiel an – bei einem
Glas Whiskey auf Eis.
drachenmädchen
The man in black
Lohmeier liest Cash (10.06.2005)
Durch die schönen großen Fensterscheiben des schönen kleinen Cafés Tazza
d´Oro in Hamburg-Ottensen gucke ich raus und kann sehen, wer da so
rumläuft, in unserem Viertel: jede Zweite ist schwanger, jeder Dritte schiebt
einen Kinderwagen. Draußen fahren Autos langsam über Kopfsteinpflaster,
hier drinnen läuft Johnny Cash, und er singt ´When the man comes around`.
Da warte ich hier auch drauf, dass mal ein richtiger Mann um die Ecke
kommt, ein Mann, dem man ansieht, dass er es nicht einfach hat, der gelitten
hat und weiß, wie Blut und Tränen schmecken. Hier aber scheint die Welt
so dermaßen in Ordnung, dass man gerne viele Kinder kriegt. Wenn ganz
Deutschland so wie Ottensen wäre, müssten wir uns keine Gedanken
machen über Geburtenrückgang und Vergreisung der Gesellschaft. Hier
ist Schwangerschaft schick. Neben meiner Tasse Marocchino liegt Charles
Bukowskis ´Ochsentour`, seine Erinnerungen an die Deutschlandtour 1978.
drachenmädchen
Bukowski - auch ein Mann. Draußen immer noch nur modebewusste junge
Hamburger. Kein Mann weit und breit.
Letzte Woche hat Peter Lohmeier ein Johnny Cash-Hörbuch promotet: ´Auf
Kurs – Johnny Cash in guten wie in schlechten Tagen`. Herr Lohmeier ist
gerade auf ausgedehnter Promo-Tour: morgens Berlin („Am Tag als Bobby
Ewing starb“) , mittags Düsseldorf („Playa del futuro“), abends dann die
Lesung in Hamburg. Der ganze Promo-Stress lässt Peter schön kaputt
aussehen. Er trägt Jeanshose, Jeansjacke, Jeanshemd, dazu Cowboystiefel.
Er sieht ein bisschen so aus, wie jemand, der sich mit gewagtem Sprung vom
Güterwaggon direkt vor die Thalia-Buchhandlung in Hamburgs City abgerollt
hat, so wie Cashs Vater, wenn er, den Tageslohn in den zerbeulten Taschen,
abends nach Hause kam. „Mir hat das schwere Leben nichts ausgemacht, ich
kannte ja nichts anderes“, sagt Cash durch Lohmeier, wenn er sich an sein
Baumwollpflücker-Sohn-Dasein erinnert. Schon früh gab’s für Johnny nur
Musik. Statt den durstigen Erntehelfern das Wasser zu reichen, sitzt er im
lohmeyer und cash
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Traktor und hört Musik. Sein Vater dazu: „Solange der Bengel nur Musik im
Kopf hat, wird er es nie zu was bringen.“ Etwas später in Detroit steht Cash
am Fliessband und stanzt Löcher in Blechbögen, Musik im Kopf. Draußen ist
gerade wieder eine unglaublich schwangere Frau vorbeigetorkelt. Als Truman
1950 Freiwillige sucht, ist JC dabei und macht sich auf nach Korea, mit
Musik im Kopf wird er Funker. Und was für einer! Er entschlüsselt synchron
gemorste Funksprüche. Während sein linkes Ohr und seine linke Hand den
einen Funkspruch hören und notieren, hören und schreiben rechtes Ohr
und rechte Hand einen anderen. Nach Korea: Militärdienst in Bayern, wo
Cash seine erste Band gründet, die ´Landberg Barbarians`. Er konfrontiert
Platte ´Fulson Prison Blues` bekommt er 1968 einen Grammy. Lohmeier liest
und liest, und das Publikum in der Buchhandlung hätte wenig dagegen gehabt,
an diesem Abend weniger Johnny und mehr Peter zu erleben, aber der liest
und erholt sich dabei vom Promo-Terror. Und ich glaube, er liest gerne. Kann
sich jemand an Cashs Auftritt in ´Wetten, dass...?` 1983 erinnern? Zu der Zeit
wurde JC dermaßen von Halluzinationen geplagt, dass er Frank Elstner für
eine riesige Giftspinne hielt, die sein Leben bedroht. 1994 kommt der junge
zottelige Rick Rubin und nimmt in wenigen Tagen im Studio zig Songs mit
Cash auf, darunter viele Coverversionen, die wir alle kennen: ´Hurt` von Nine
Inch Nails, ´Mercy Seat` von Nick Cave, ´Personal Jesus` von Depeche Mode,
die Bayern mit Country. Deutsch hat er in Bayern nur wenig gelernt, wie
man auf seinen wenigen deutschen Aufnahmen hören kann. Auf einem von
Franz Doblers liebevoll zusammengestellten Samplern hören wir Cashs
Deutsch in ´Wo ist zu Hause, Mama?`. Back home in the U.S. gründet er ´The
Tennesse Three`. Erste professionelle Studio-Aufnahme am 22.3.1955. Wie
es sich gehört, wird Nüchternheit für Johnny zum Fremdwort. Kombiniert
mit Amphetaminen wird das schon früh zum Problem. Aber statt ideenlos
Fernseher aus Hotelfenstern zu schmeißen, kauft Cash 50 Hühner, die er dann
im Hotel frei lässt. Randale auf die nette Tour.
Apropos nett: Draußen schlendern immer noch die Schwangeren vorbei,
halten manchmal an, um koffeinfreien Latte Macchiato zu trinken. Drinnen
läuft immer noch Johnny Cash, eine seiner in den 90ern von Rick Rubin
produzierten American Recordings. Johnny muss sich nicht verstellen,
um zu leiden, er leidet wirklich. Bei ihm wird das Shydragger-Syndrom
fehldiagnostiziert, die falschen Medikamente führen 1997 zur letzten EuropaTournee, er wird Plattenkünstler ohne Auftritt. Und das ihm, der gerade für
seine Live-Auftritte bekannt war. Legendär seine Konzerte in amerikanischen
Gefängnissen: ´Saint Quentin, i hate every inch of you.` Für den Text seiner
Bonnie Prince Billys „I See A Darkness“. Cash unplugged, der alte Mann und
seine Gitarre. 1999 bekommt er noch mal Grammys für sein Lebenswerk, um
wenig später von uns zu gehen: am 12.09.2003 in einem schwarzen Sarg mit
silbernen Griffen: „The man in black“. Johnny lebt weiter, u.a. in den Liedern
von Cashs Duzfreund Gunter Gabriel, der kürzlich ein paar seiner Lieder auf
deutsch rausgebracht hat. „Gabriel singt Cash“, mit netten Übersetzungen,
z.B. „Mann hinterm Pflug“ für „Man in Black“. Danke, Gunter. Danke auch,
Peter, für die schöne Lesung. Danke auch, Johnny, für deine Lieder an diesem
sonnigen Nachmittag.
Sascha Wundes . 0162-4003311 . [email protected]
drachenmädchen
drachenmädchen
vorwort
18
Hinter GREY GOOSE, dem Quartett aus Gainesville/Florida, verbergen sich
ehemalige Mitglieder von AS FRIENDS RUST, RADON und CRO(W)S – eine
Gainesville Allstar-Band sozusagen. Aufgenommen haben sie ihr Album „til
the medicine takes“ mit Ann Beretta´s Rob McGregor in den Goldentone
Studios in Gainesville. Abgemischt hat McGregor das Album zusammen mit
Chris Wollard von Hot Water Music, der beim Song „Elimination Process“
selbst in die Saiten gegriffen hat und seinen ehemaligen Cro(w)s-Kollegen
Kaleb Stewart und Bill Clower auch bei den Background Vocals zur Seite
steht. All das lässt Großes erwarten und GREY GOOSE erfüllen diese
Erwartungen auf ganzer Linie. Auf „til the medicine takes“ (erschienen
übrigens auf SOUNDS OF SUBTERRANIA) gibt es zehnmal treibenden,
melancholischen Punkrock der Marke Gainesville auf die Ohren. Die Songs
kommen im Vergleich zu den Cro(w)s jedoch nicht so aggressiv rüber,
sondern sind eine ganze Ecke relaxter ausgefallen. Grey Goose ist es
gelungen ein großartiges, zeitloses Album mit ordentlichem Tiefgang zu
schreiben, weshalb wir nicht warten wollten bis die Jungs in Europa auf
Tour gehen und haben Kaleb vorab schon mal ein paar Fragen zugeschickt.
Die Antwort kam prompt, obwohl sich der gute Kaleb gerade auf seiner
Hochzeitsreise befand.
Viel Spaß also beim kleinen Grey Goose-Frage/Antwort-Spiel, dass euch
schon mal auf das demnächst folgende ausführliche Interview einstimmen
soll (Sollten euch irgendwelche Fragen brennend interessieren, dann mailt
interview mit grey goose
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sie uns einfach an [email protected] und wir werden sie ins Interview
einbauen).
Could you please introduce yourself, tell us what you do for Grey
Goose and tell us your favorite joke?
My name’s Kaleb, I play guitar and sing. “Why did the chicken cross the
road? ” “To get to the other side.” I can’t really think of a good joke
on the spot, some of George W. Bush’s speeches are pretty humorous
though.
Do you think that humor in general is important?
Yeah, because if you can’t laugh about life, you’ll be down all the time.
Nothing’s perfect so you have to enjoy the flaws and smile.
What means Grey Goose for you? What is it all about?
Well, I was raised listening to a lot of old blues records my dad had,
and one of my favorites was a guy called Leadbelly. One of my favorite
songs of all time was written by him and it’s called “Grey Goose”, so
naming the band that, was a sort of homage to music I was raised on.
Can you name one quality or one funny thing for each band
member that makes him special in your eyes?
Sean, the bassist is just a super loyal friend and hard worker. He’s
always down to write and practice. I can’t imagine being in a band
without him. Bill is one of my best friends, and is also in the Cro(w)s
drachenmädchen
with me. He’s one of the punkest dudes I know. I love those guys.
How have the responses to Grey Goose been so far?
It’s been great, people really seem stoked on the new record in general.
Are there any plans for a European Tour this year?
Yeah, our label is based out of Germany so I imagine we’ll be getting
over there pretty soon if they want us to tour there.
Are you touring the US right now?
Not at the moment because our drummer is on probation... don’t ask.
Is Grey Goose a fulltime job for you or what else do you do to make
a living?
Some of us work in kitchens, I work at the University of Florida library
What do you do besides the music? How does your everyday life
look like?
BBQ, hang out with friends, play guitar.
What do you consider the strengths and weaknesses of Grey Goose.
What are some things you’d like to improve on in the future?
Just keep writing stuff that feels natural and not force anything, that’s
what I admire about bands like Husker Du and Leatherface, they just
wrote stuff they were happy with and didn’t worry about what was
popular at the moment
Some questions for you as individual persons: Did you at any time
have another future? Did you ever have another path that you
drachenmädchen
didn’t follow?
Well, at one point I was the full-time road manager for Hot Water Music,
and basically when I started playing in bands I couldn’t tour with them
anymore. I also quit As Friends Rust after three years and sometimes
I wonder if that band would still be around if I had stuck it out, since
Damien, the singer and I are still really close friends...
What have you most regretted doing while drunk?
Drinking more
What is your greatest talent?
Laughing
What’s the best piece of advice you’ve received in your life?
“You never die if you never grow old” -Tom Petty
The music again - Are there any plans for the future of Grey
Goose?
Get over to Europe, that’s gonna be our next move I think
Do you have any final thoughts you want to add?
Stay sick!
von herrn solke
21
vorwort
Meine Top 5 von früher...
Gar nicht so einfach für mich, da jetzt aus dem
Stehgreif ne Liste aufs Papier zu bringen.
Die Hörgewohnheiten meiner späten Kindheit,
bzw. frühen Jugend lassen sich nämlich ganz
klar in zwei Abschnitte separieren. Und
damit ich mich jetzt nicht selber vollkommen
verwurschtele und zum Beispiel die zweite
„Bonfire“-Platte mit der „Gladbach soll
brennen“-EP von EA 80 durcheinander
BRAMI, Muff Potter:
Hey, liebes Drachenmädchen, spät, aber
hoffentlich noch rechtzeitig...
Bis die Tage!
Brami.
ROCKO SCHAMONI, der Dorfpunk....:
Damned - Smash it up
Der Plan- Normalette Surprise
Daf- die erste...
Swell Maps- Jane from occupied Europe
Fehlfarben- Monarchie und Alltag
Meine Lieblingsplatten als ich 18 (15) war:
Weil es so schön war, zum Jubiläum gleich
noch mal: diverse TOP 5 von Freunden und
Bekannten - und bei den nicht so faulen
Gesprächspartnern noch mit ein paar Dönkes
garniert...
schmeiße, werde ich diesen Text auch in zwei
Abschnitte klar gliedern. Das dient zum einen
der Verdeutlichung chronologischer Abläufe
und damit einhergehend zum anderen dem
inhaltlichen Verständnis.
Interessant an solch einer kleinen
Dokumentation ist ja vor allem die äh,
Sozialisation des Verfassers sag ich mal. An den
Hörgewohnheiten, vor allem den frühen, lässt
sich ja oft erstaunlich viel herausfinden über
einen Menschen, so z.B. über seine Herkunft
( Meat Loaf: Bat out of Hell), seinen sozialen
Status (Canalterror: Saufbauch) oder auch seine
sexuellen Vorlieben (Scorpions: Virgin Killer).
Eben die gesamte soziale, emotionale und
moralische Entwicklung, bzw. der Verfall eines
Heranwachsenden.
Nu aber los!
Phase 1
In dieser Phase blieb ich bedauerlicherweise
sehr lange stecken, eigentlich bis zum Alter von
14 Jahren. Mein Hauptaugenmerk war während
dieser Zeit vor allem auf die Plattensammlung
meines großen Bruders gerichtet, die neben
einigen Aerosmith, Bonfire, White Lion,
Twisted Sister, Warlock oder Def Leppard
–Scheiben fast ausschließlich aus Scorpions
–Alben bestand, also von „Fly to the Rainbow“
bis zu „Savage Amusement“ seinerzeit.
Etliche Picturediscs, Japan-Pressungen und
natürlich die beiden live-burner „Tokyo Tapes“
und „World Wide Live“ komplettierten das
20
drachenmädchen
Programm. Und das hab ich mir gegeben. Und wie! Wenn ich ausreichend
gepichelt habe, kann ich noch heute Klaus Meines komplette WWLAnsagen aus dem Lockenhut zaubern. Und sogar das japanische gesprochene
Eingeschleime von den „Tokyo Tapes“. Damit das allerdings aus den Tiefen
meines Gedächtnisses wieder an die Oberfläche kommt, muss ich mich vorher
mindestens zwei Mal im Abstand von höchstens drei Minuten tierisch mit dem
Fahrrad auf den Pinsel gelegt haben, was glücklicherweise heutzutage seltener
passiert, als früher.
Ich hab eh nen Platten.
Phase 2
Erst hier wird es eigentlich interessant, denn erst in Phase 2 begann ich Musik
zu hören, die mich in großen Teilen auch heute noch interessiert, und das kam
so:
Weil ich so schlecht in Latein und Mathe war, musste ich im 2. Halbjahr der 8.
Klasse die Schule wechseln. Und zwar musste ich „auf Real“, wie man damals
sagte. Und schon nach kurzer Zeit „auf Real“ bekam ich mit, was wirklich so
abgeht! Im Schulbus wurde nämlich ruckzuck eine Band gegründet! Dass ich
noch nie schlaggezeugert hatte und sowieso nicht wusste, was Punkrock ist,
verschwieg ich natürlich.
So hörte ich kurze Zeit später erstmals die „Never Mind The Bollocks“,
übrigens im Elternhaus eines gewissen „Wiesmann“. Ich war absolut
weggebeamt und bekam sofort in der Garage von Wiesmanns Eltern „Cash
from Chaos“ auf die (Wild) –Lederjacke gesprüht!!
Jedenfalls war von da an nichts mehr so wies vorher war, ihr kennt das
wahrscheinlich selber.
Die „Never Mind...“ hab ich mir dann direkt am nächsten Tag bei Karstadt
gekauft und zwar von Geld, welches mir meine Mutter für ein Schulbuch für
den Religionsunterricht eingepackt hatte. Ne geile Schulboykottaktion halt. Das
gab natürlich Ärger, auch nachher noch: Weil ich nämlich kein Religionsbuch
hatte, bekam ich eines von der Schule gestellt, und als dann in dem
Buchstempel, in den man seinen Namen eintragen muß, „Karl Arsch“ stand,
wurde mir von meiner Religionslehrerin „bodenlose Dummheit“ bescheinigt.
Und da ich nicht genau weiß, ob auch bodenlos dumme Leute in den Himmel
kommen, hab ich die Sonntagmorgene, an denen meine Mutter mich zur Kirche
geschickt hatte, bei meinem (evangelischen) Kumpel Mongo verbracht, wo ich
drachenmädchen
„Minor Threat“, „Black Flag“ und die „Angry Samoans entdeckte. Nein, falsch:
Wo ich eine Welt entdeckte!!!
Hier meine Top 5, als ich ca. 15 war:
1.
Sex Pistols – Never Mind The Bollocks
2.
Slime – 1 und Die Letzten
3.
Dead Kennedys – Fresh Fruit For Rotten Vegetables
4.
Black Flag – Damaged
5.
Daily Terror – Gefühl & Härte
Nix Besonderes eigentlich, aber wenn man bedenkt, was die armen Kids sich
heute so anhören müssen.. den beschissenen Fred Durst oder dicke schwarze
Männer mit Goldketten, die mit Bitches in teuren PKWs einkaufen fahren...
Nee, war schon schön damals.
Brami.
Die fünf besten Songs der 90er Jahre:
CLICKCLICKDECKER (sein tolles Album, jetzt auch auf Vinyl bei RECORDS
& ME!): Meine persönliche Best of Songs der 90er? Schwierig! 90er Jahre war
meine Jugendzeit in der ich noch einen Musikgeschmack formte, soll heißen,
dass ich jeden Trend mitgenommen habe, deshalb lasse ich mal Nirvana,
Biohazard oder Tocotronic draußen und konzentriere mich auf Songs die ich
heute noch hören kann (will) ohne Ohrenschmerzen oder gar Scham.
Helmet – Unsung (Meantime – 1992)
Dieser Umgang mit Rhythmus und Gesang war für mich neu und total
beeindruckend, soviel Energie und Kraft ohne dass jemand Grunzen oder dicke
Hosen brauchte,… die waren einfach völlig normal…die Betty fand ich auch
noch sehr gut, danach wurde der Sound zu aufgemotzt, dass sie es jetzt noch
mal versuchen finde ich eher eklig
Sebadoh – Rebound (Bakesale – 1994)
Ich war immer mehr Sebadoh als Dinosaur Jr Fan... die Bakesale ist eine meiner
Lieblingsplatten überhaupt, auf Sebadoh kam ich weil ich das Video zu Rebound
auf MTV bei Alternative Nation sah, nun ja und wie das meistens so ist, das
erste Lied dass einen kriegt bleibt für immer das erste Lied
Superchunk – Detroit has a skyline (Here´s were the strings come in – 1995)
Im Auto hundert fahren und diese Hymne laut mitgrölen, Sound, Tempo,
vorwort
vorwort
TEMPER TEMPER, wieder einmal beweist Revelation guten Geschmack und
schickt diese grandiose Dance-Wave-Punk Band ins Rennen. Wozu die Jungs aus
Detroit in den 90er getanzt haben?
Dr. Dre – dre day
Gin Blossoms – hey jealousy
Jesus Jones – right here, right now
Whitney Houston - I will always love you (the theme from „The Bodyguard“)
The Rembrandts – I’ll be there for you (the theme from „Friends“)
Jetzt, wo auch noch der Papst deutsch ist, und sich alle aufregen, dass der
Bundestrainer nicht in Deutschland wohnt, ist es an der Zeit, auch dem
Lokalpatriotismus der Punkbands auf die Spuren zu gehen… Im Ring diesmal:
der Underdog Emsland gegen das mächtige Bayern...
Die TOP 5 Gründe, ein EMSLÄNDER zu sein:
EL*KE (Debüt Album jetzt draußen! Und auch live immer unterwegs, www.
alleselke.de ):
Das Emsland ist daran beteiligt das wir EL*KE heißen! Da das amtliche
Autokennzeichen des Emslandes mit „EL“ beginnt und wir unseren Namen von
unserer alten WG Karre haben!
DIE UNERFORSCHTEN WEITEN DES EMSLANDES
In denen kann man sich austoben und immer wieder neues entdecken kann!
Besonders gilt das für den Rock’n’Roll. Stichwort „Proberaum“, denn das ist
gleich Partys, Bier und nackte Frauen! Eigentlich der Ort, an dem man mehr
Zeit verbringt als bei seinen Eltern. Und das prägt! Wenn man genug davon hat,
zieht man einfach in eine große Stadt!
DIE RESTE DER NORDSEELUFT
Man kann sie im Emsland noch spüren, man muss nicht gleich Ostfriese
werden, um sie zu atmen. Das Meer ist auch nur eine Stunde Autofahrt entfernt!
PLATTDEUTSCH
Die offizielle Landessprache nach deutsch. Kommt sogar in Berlin gut an!
drachenmädchen
drachenmädchen
Und was sagen die Bayern dazu?
Die TOP 5 Gründe, aus BAYERN zu
sein:
COSMIC CASINO (tatsächlich aus Bayern,
dazu die erste Band auf Stickman, und ohne
Scheiß, die Platte rockt so was von...):
1. Mit bierdimpfligem Südpatriotismus haben
wir, das vorne weg, nichts am Hut. Aber so was
von gar nichts. Trotzdem: Wer auch immer uns
- und das passiert erstaunlicherweise öfter mal
- ob unserer bayerischen Herkunft mit falscher
Zunge anspricht oder gar beleidigt, unwahre
Gerüchte streut („ihr f…t Schafe!“ - stimmt
nicht, nur Hamster!) oder Lügen verbreitet
(„wer in München kifft, kommt nach Dachau“!
- stimmt nicht, wer in München kifft, hat eine
Bierallergie!) kriegt nach guter bajuwarischer
Tradition entweder gleich eine aufgestrichen
oder wir strafen ihn mit einer unser liebsten
Charaktereigenschaften: Schweigen.
2. Ich liebe karge, flache Naturlandschaften,
und das Meer ebenso. Aber ein in voller
Blüte stehender Kastanienbaum in Münchens
Stadtmitte, mit darunter befindlicher Bierbank,
dazu ein kaltes Getränk und ein Wurschtsalat
(Igitt..., Anm. d. Red.) o.ä., und das ganze
in Begleitung eines guten Freundes: Das ist
RAMIN/ DIE TÜREN:
Technohead - i wanna be hippy
Wir saßen dazu immer bei Maurice zu Hause auf’m Sofa rum, haben uns
weggeballert und Mtv geguckt.
Knocking on heavens door... natürlich in der Guns’n’Roses Version
Wir saßen dazu immer bei Maurice zu Hause auf‘m Sofa rum, haben uns
weggeballert und Mtv geguckt.
Genesis - i can´t dance
Wir saßen dazu immer bei Maurice zu Hause auf‘m Sofa rum, haben uns
weggeballert und Mtv geguckt.
Whigfield - saturday night
Wir saßen dazu immer bei Maurice zu Hause auf‘m Sofa rum, haben uns
weggeballert und Mtv geguckt.
Barnes&Barnes - fishheads
Wir saßen dazu immer bei Maurice zu Hause auf’m Sofa rum, haben uns
weggeballert und Mtv geguckt.
HOLLAND
Da das Emsland direkt an der Holländischen
Grenze ist, fährt man sehr oft rüber um sich
dort Inspiration und neue Klamotten zu holen.
Das im wesentlichen macht den Emsländer zu
einem aufgeweckten Kerlchen!
Länge... hier stimmt einfach alles, wenn ich jemandem Superchunk das erste
Mal vorspielen sollte, dann dieses Lied, „playin track 6, track 7 again and again“
Ja!!! Diese Leadgitarre, Wahnsinn…irgendwie wurden Superchunk nie wirklich
berühmt, zu unrecht, aber gut für uns, so bleiben sie für immer eine der Indie
Bands überhaupt…
The Notwist – Chemicals (Shrink -1998)
Wegweisende Platte für mich, immer noch, diese Verschmelzung von
Elektronik und Indie-Rock, da kann man nicht viel zu sagen, der Einstieg von
Martin Gretschmann war entscheidend, die Produktion ist der Wahnsinn, ich
hatte Angst vor dem Neon Golden Album, weil ich nicht wusste wie sie diese
Platte noch topen wollten, aber sie haben Ihren Stand gehalten, …Marion
Thaler und O.L.A.F. Opal sind für mich die absoluten Recording-Götter (sehr
zu empfehlen die Dokumentation zur Entstehung von Neon Golden) …
das Nachahmen dieses Styles habe ich bis heute nicht aus meinem Kopf
bekommen, gehört für mich zu den 5 besten Platten ever!
Tom Liwa – Musical Cats (V/A Familienangelegenheiten 2 – 1998)
Dieser Song veränderte mich mehr als alle Tocos und Sterne Lieder zusammen,
wegen diesem Lied mache ich Musik, ich kann nicht wirklich beschreiben
wieso…
Natürlich gab es noch Hunderte anderer Lieder die hier hätten stehen können,
aber ich sollte mich ja auf fünf beschränken... Danke für die Aufmerksamkeit!
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schon ein gewichtiger Grund, den Sommer auf
diesem Flecken Erde zu verbringen. Solange
kein Japaner dabei ein Farbfoto von uns macht.
Was nicht zwangsläufig der Fall sein wird, denn
wir tragen - Achtung! - auch bei solch erdiger
Abendunterhaltung seltsamerweise keine
Lederhosen.
3. Bayern hat politisch gesehen grauslig
schwarze Flecken, die vor Provinzialismus
und ignorantem Grantelhubergetue nur so
strotzen. Wahltage sind in Bayern deswegen
eher Qualtage. Aber Bayern ist auch das Land
der Freidenker: Denn man vergesse nie die
Kehrseite von mangelndem Liberalismus und
katholischer Einengung: strong underground
resistance. Auch Brecht war Bayer!
4. Fußball ist natürlich ein starkes Thema,
wenn man hier wohnt, insbesondere in der
Landeshauptstadt. Schön, aber: ich als Schalke
Fan (noch mal Igitt aus der Redaktion...) bin
vor körperlichen Übergriffen relativ sicher.
Denn gewalttätig wird der normale Bayer
erst, wenn man ihm seinen Wurschtsalat
ungefragt wegnimmt. Seltenst wegen
Fußball oder ähnlicher lebensnotweniger
Nebensächlichkeiten. Ich schätze dieses
Laissez-Faire an uns Norditalienern sehr.
5. Schon mal auf niederbayerisch von
einem Mädchen angesprochen worden? Wer
sich dabei nicht in Herzatemstillstandkoma
geschwindigkeit verliebt, muss ein Herz aus
mecklenburgischem Sandstein haben. Wenn es
da so etwas gibt.
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vorwort
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Wer ist Mark Fiore? Wie kommt er ins Drachenmädchen? Mark Fiore kommt aus
San Francisco und ist ein Cartoonist, der sowohl gezeichnete als auch animierte
politische Cartoons entwirft. Die gezeichneten Cartoons sind unter anderem in
der Washington Post, dem San Francisco Chronicle, der Los Angeles Times sowie
in vielen anderen amerikanischen Tageszeitungen erschienen. Die animierten
politischen Cartoons findet man auf den Homepages von SF Gate, Salon.com,
The Village Voice, Mother Jones, Workingforchange.com oder einfach auf der
Homepage von Mark Fiore – www.markfiore.com.
Da das Drachenmädchen allen kreativen Ausdruckarten immer offen gegenüber
steht, war es nun endlich auch mal an der Zeit sich mit Mark Fiore über seine
Arbeit zu unterhalten. Less Talk, More Rock und los geht’s mit dem Interview:
Could you please introduce yourself (How old are you, where do
you live? Etc.). How would you describe yourself in a few words for
somebody who doesn´t know anything about you?
I’m 35 and live in San Francisco. San Francisco is a great city for a
cartoonist because it has so much natural and architectural beauty, and also
is a great place to live politically-- one of the more/most liberal cities in
the U.S.
Political cartooning is a huge part of my life, but I also like to leave
the politics behind once in a while and go surfing. It would be too
interview mit mark fiore
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depressing to not have an escape from all the bad news in the world and I’m
fortunate enough to be able to turn it off now and again.
You have studied political science and now you are working as a
cartoonist and as an illustrator � where´s the link between your
studies and your creative output? Was there something like a
development during your studies?
Definitely. I went to a small liberal arts college called Colorado College.
Studying political science and learning how to argue and think allowed
me to make stronger cartoons. Sure, the drawing and cartoon style is
important, but the most important part is still the idea. My political science
background helps me get angry and dig deeper in a particular issue.
You are making animated political cartoons – when did you start with
it and what made you first turn to the internet as a cartoonist?
I first started experimenting with Flash around 2000/2001 after working on
a freelance job for an educational software company. At that time, I was
doing traditional print political cartoons and would take outside freelance
jobs to make the rent. I began learning Flash and animation to support my
political cartooning habit, then began experimenting with merging the two.
I’m a little embarrassed, but here is my first crude attempt at an animated
political cartoon: http://www.markfiore.com/animation/streetmov.html
This is what I was working on for the educational company:
drachenmädchen
http://www.markfiore.com/animation/pwalk.html
What is the most important factor in making an animated political
cartoon effective?
Definitely the idea-- I always ask myself “what are you trying to say?”
Can you describe your creative process, from the idea to the final
product, for one of your cartoons – for example – “Jurisprudence” or
“Fissionary”?
Initially, I’ll begin by reading the newspaper and checking various news
sites, making notes the whole time. At that point I’m “trolling” for a topic,
seeing what grabs my eye or jumps out and makes me angry. Then, once I
decide on a topic, say, new nuclear weapons, I’ll dig a little deeper and do
more research on that topic, again, taking loads of notes.
At some point, those notes begin to get more graphical and become
sketches-- just tiny thumbnails-- and an idea starts to take shape. Once
I’ve got a solid idea, I’ll work it out into a storyboard. My story boards are
very basic, just one page in my sketchbook with about 8 or 10 thumbnail
sketches with the script and dialogue written beside them. (The topic/idea
phase is the most important and the most difficult for me.)
Once I’ve completed the storyboard, I’ll begin the drawings-- usually about
18-30 drawings on regular old laser paper. I’ll pencil the drawings and then
use a brush to do the inking. Then scan into the computer, assemble in
drachenmädchen
Flash and record the audio. Once I’ve got the rough animation together,
I’ll add the dialogue audio and sound effects and music, followed by some
animation tweaks, then finished. Whew!
Is there a special issue you are working on right now?
I just finished an animation on torture. I wanted to let people know
(mainly Americans) that the U.S. is using torture and that is terrible. Also,
I wanted to point out to the people that may be supportive of torture that
it is a stupid way to do things because it doesn’t really work. It’s a clear-cut
black and white issue for me. Not a lot of caveats-- “torture is bad and it
doesn’t work.”
Your animated political cartoons are very cynical – how are the
reactions of the people you criticize or of the conservative ones who
support them? Can you give some examples?
Yikes. I get some very crazy letters. Most people that disagree spout off
and don’t expect a response. A few weeks ago I received a death threat
email and passed it on to some friends. Within 20 minutes, they had
tracked down the guy that sent the email and had actually found a photo of
him on the web! I sent an email with the photo to the guy simply saying “is
this you?” Needless to say he was pretty freaked out and suddenly seemed
to feel a little threatened by me.
von herrn solke
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My favorite letters are from people that say something like: “you’re a crazy
leftie pinko and I hate you . . . but I really like your work.” Those always
make me laugh, but also realize the power of cartoons-- you can bring
people in that otherwise would write you off immediately.
Can you make a living with your work as a cartoonist and illustrator
or do you have another job to make a living?
Fortunately, I can make a living doing this. I charge various news sites a
license fee to run my animations on their sites. Also, recently, I’ve started
selling DVDs from my site. I have more big capitalist plans, but seem to
generally be too busy cranking out the current animation.
Let´s talk about the U.S. Election – what does it mean to you that your
old President is the new President? Does it change anything in your
motivation for your work or in your life?
As a citizen, I think it’s a shame Bush won. He’s doing terrible things to
our country and to the world and I was really hoping he would get the boot.
As a cartoonist, I couldn’t be happier. Bush and his crew are so crazy, they
make for perfect cartoon material. I used to long for being a cartoonist in
the days of Nixon, but now I think Bush makes even better cartoon material
than Nixon. When there is more cause to be irate, political cartoons are
more effective. I’m basically a hyena.
If you would find a time machine, is there any place or time you
mark fiore
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would like to travel to? Is there anything you would like to change in
the past?
Yikes, tough question! I hope I get unlimited use of the time machine,
because it might take more than a few trips. Hitler and WWII pops into my
mind first, I’d like to travel back and straighten him out-- maybe give him a
happier childhood so he wouldn’t become so crazy, or give his parents more
birth control. I’d like to settle things in a nonviolent way before they really
get started, ideally.
Here in the United States, I’d pass out the small pox vaccine to the Native
Americans so they wouldn’t be decimated when the whites started spreading
around. It’d be nice to slow or stop the destruction of America’s native
people and animals. More fish, more buffalo, less genocide.
Any last comments?
I’ll be thinking of question number 10 and all the ways I should’ve answered
that. Fortunately, the time machine will also allow me to travel back and
change my responses!
drachenmädchen
drachenmädchen
vorwort
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Der Schleichende Wahnsinn
kann sich auch mal in einer E-mail irren
Seitdem ich hören kann, lebe ich mit Lärm. Der amerikanische Schriftsteller
Ambrose Bierce hat Lärm einmal als Gestank im Ohr bezeichnet. Das
trifft vor allem auf den Lärm von der Baustelle zu, die meiner Wohnung
gegenüberliegt. Und sowieso auf alle Baustellen, die an vorherigen Wohnorten
mein Leben bestimmten. Inzwischen sind Baustelle, Lärm und ich per du,
obwohl wir uns anfangs nicht wirklich mochten.
Zwischen meiner jetzigen Wohnung und der gegenüberliegenden
Grossbaustelle sind es ca. 5 Meter, genug Platz also für einen Betonmischer,
um diesen auszufüllen und meinen Wohn-und Schalfraum mit mächtig
Lärm „aufzumischen“. Ein Klassiker unter den Lärmmachern ist ein
Man-Betonmischer LKW mit 411 PS und hochbelastbaren AußenplanetenAchsen, der mit Boshaftigkeit seinen grossen Mischraum dreht. Aber
nicht nur die Drehzahlkonstanz beim Mischbetrieb ist faszinierend, der
Lärmpegel lässt meine innere Dezibelverträglichkeit schon zur Übelkeit
tendieren. Das Baustellenkomplettpaket von gegenüber liefert zusätzlichen,
ohrenbetäubenden Lärm gleich kostenlos mit.
Nachts wird die Lärmthematik gerne in meinen Träumen wieder
aufgegriffen. Zwei Träume haben mir inzwischen geholfen, den
Baustellenlärm als meinen Freund anzusehen:
Ein Traum handelt davon, dass ich eine Baustelle in Fraggle Rock bin, dem
Wohnort der Fraggles aus der gleichnamigen Puppenserie der 80er Jahre. Ich
als Baustelle: das hat man sich ungefähr wie in Gullivers Reisen vorzustellen,
denn ich liege praktisch auf einem Felssims inmitten Fraggle Rock und die
Doozers haben unzählige Gerüste an meinen Körper emporgebaut. Sie
bearbeiten fleissig meinen Körper. Bevorzugt dreschen sie mit ihren kleinen
Spitzhacken auf meinen Kopf ein und erzeugen somit kaum auszuhaltende,
stechende Schmerzen in mir. Sobald die Schmerzen unerträglich geworden
sind, tauchen Gobo und seine Fragglebande auf und singen:
Sing und schwing das Bein, lass die Sorgen Sorgen sein.
In das Lied stimm ein, froh nach Fraggle-Art.
Rackern muss man doch, tanzen kann man morgen noch.
Mein Freund die Tassen hoch, mit Gobo, Mokey, Wembley, Boober, Red.
vorwort
drachenmädchen
Sing und schwing das Bein, lass die Sorgen Sorgen sein.
In das Lied stimm ein, froh nach Fraggle-Art,
froh nach Fraggle-Art
froh nach Fraggle-Art
Danach befreien sie mich von den Aufbauten der Doozers indem sie diese
einfach verspeisen. Genau wie damals in dieser Serie. Die Doozers kümmern
sich aber einen Dreck um ihre zerstörten und aufgegessenen Bauten,
denn die Fraggles und die Doozers lebten ja in Symbiose miteinander: das
Verzehren ihrer Bauten bedeutete zugleich Futter für die Fraggles als auch
neuen Arbeitsplatz für die eifrigen Wesen mit Bauarbeiterhelmen. Sie fangen
also gleich wieder mit den Aufbaumassnahmen an. Ich wache immer dann
auf, wenn ich mit den Fraggles Hand in Hand durch ihre Welt laufe und
dieses Fraggle-Lied singe. Dieser Traum kann sich bis zu 3 Mal in der Nacht
wiederholen.
Der zweite Traum handelt von meinem Aufenthalt im Konsonantenland, ein
Land in dessen Landessprache keine Vokale auftauchen. Absurderweise leitet
sich konsonantisch vom klassischen Hochdeutsch ab, nur dass die Vokale
herausgekürzt worden sind. Deswegen wird die Sprache dort mitunter auch als
„Vklkrzngssprch“ bezeichnet, was soviel bedeutet wie Vokalkürzungssprache.
Die Konsonanten, die Einwohner des Konsonantenlands und nicht
zu verwechseln mit der Artikulationsform, haben selbst untereinander
Verständigungsprobleme, denn die Sprache ist natürlich total absurd. Die
Konsonanten müssen bei der Verständigung ihre artikulierten Plosive,
Frikative, Nasale usw. immer wieder im Gedächtnis mit Vokalen auffüllen
um dem Ganzen Sinn zu geben. Somit sprach man konsonantisch, aber man
dachte bzw. verstand die Sprache im vokaleingebundenen hochdeutsch.
Es konnte schon einmal mehrere Minuten dauern bis man wusste, was der
Gesprächspartner von einem wollte.
Im Konsonantenland waren Geräusche die Basis für Kunst und Literatur.
Die Literaturszene im Konsonantenland wurde z.B. ausschliesslich von
Baustellenlärm beherrscht. Hier kommen wir also zum Hauptmotiv des
Traums. Nirgendwo anders gab es eine so grosse Vielfalt von Geräuschen,
der sich die Konsonanten hingeben konnten. So sammelten sich so genannte
drachenmädchen
Geräuschverschriftlicher vor den Baustellen um Geräusche aufzuschreiben
und diese zu dechiffrieren. Dabei wandelten sie die gehörten Laute in eine
Aneinanderreihung von Konsonanten um. Kamen gleiche Konsonanten
mehrfach hintereinander vor, wurden sie ganz nach entstandenen Sinn
gekürzt. Aus diesem Konsonantenüberbleibseln entstand dann die
Literatur des Landes. Das künstlerische daran war zweifelsohne, dass
man die verschriftlichten Geräusche so mit Vokalen im Kopf auffüllen
musste, so dass alles Sinn ergab. Man kann sich vorstellen, dass ungeübte
Geräuschverschriftlicher mehrere Jahre brauchten um ein Meisterwerk der
konsonantischen Literatur zu verfassen. Natürlich handelte es sich bei dieser
Art von Literatur um reine Wahrnehmungsliteratur, denn jeder erfahrene
Geräuschverschriftlicher codierte den Lärm auf seine eigene Art und schrieb
somit ein anderes Stück mit unterscheidlichem Sinn und kulturellem Wert.
Ich habe meine Realität dem Baustellenlärm ausgeliefert, meine Träume
hingegen, habe ich dem Wahnsinn verkauft. Für die Logik dieser Träume
haftet also allein der Wahnsinn, doch dieser scheint mir tatsächlich Strategien
gegen den Lärm aufgezeigt zu haben. Natürlich habe ich im Traum keine
Ausbildung zum Geräuschverschriftlicher abschliessen können, aber das
Konsonantenland und seine Art Literatur zu schaffen, lassen mich den
Baustellenlärm fortan anders wahrnehmen. Inzwischen klingt der Lärm wie
Musik in meinen Ohren. Welchen Beitrag die Fraggles daran haben, weiss ich
nicht.
Baustellenmusik, Donnerstag, den 6.7.
Der Lärm folgt logischen und musikalischen Mustern. Das Aufsetzen des
blanken Hammerkopfes auf den noch unbearbeiteten Stein richtet sich oft
nach einem nicht gerade klassischen aber umso interessanteren 7/8 Takt
mit einem Aussetzer auf der 3 und der 5. Das Anschreien des Kollegen
setzt zumeist im Offbeat ein und entwickelt sich zu einem imponierenden
Verbal-Crescendo mit atemberaubender Artikulationskraft in garantierter
Unverständlichkeit. Das damit verbundene Call and Response-Intermezzo
konnte mit Schimpfwörtern der miesesten Art abgeschlossen werden.
Das Open-Air Konzert dauert bei anhaltendem Sonnenschein von 7 Uhr
morgens bis 17 Uhr nachmittags. Danach stehe ich applaudierend am Fenster
und teile meine Begeisterung mit aufgrund des schönen Zehn-Stunden
dr. nolte berichtet aus dem hirnstrudel
30
31
Konzerts. Die verdutzten Bauarbeiter erwidern meine Anerkennung mit
dem Stinkefinger und pöbeln mich durch das Fensterglas an. Ein krönender
Abschluss ihrer alltäglichen Performance. Die alten Punker von der Baustelle
haben nun Feierabend.
Ich höre auch wieder die Einstürzende Neubauten. „Hört ihr den Krach
der schlagenden Herzen?“ Ja, ich höre ihn, Blixa. Und zum Einschlafen
Throbbing Gristles First Annual Report und klassische Noise Experimente
wie Sonic Youths Silver Sessions. Metal Machine Music, Lou Reeds „giant
fuck you“ aus dem Jahre 75 weckt mich morgens aus dem Schlaf. Ich stimme
lauthals unter der Dusche ein in den Krach: „RRRRRRZZZZZZZGNNNN
NNIIIIEEEEHHGRRRRRRqqquiiwpdvsssdddddswwwwrrrrrrrrrsdfkkkrrr
rrrroooppppsdssss“
Danach ziehe ich mein Häschenkostüm an und checke noch meine Mails,
bevor ich auf die Strasse gehe…
On a mission
Zunächst mal eine ganz simple Frage: Wo überall kann man Schuhe sehen?
Im Schuhgeschäft –richtig
An den Füßen von irgendwelchen Leuten –richtig
An den eigenen Füßen -richtig
Auf der Autobahn –richtig
Ist Euch das schon mal aufgefallen? Ständig liegen auf Autobahnen neben
Radkappen und Mc. Donalds–Verpackungen einzelne Schuhe rum. Wo kommen
die her? Diese Frage ließ mich nicht los, denn jetzt, wo ich darauf achtete sah ich
dort immer mehr Schuhe. Immer einzelne Schuhe, die so aussahen als ob sie nicht
erst seit gestern da lagen. Wieso schmeißen Leute einzelne Schuhe weg?
Aus Langeweile? „Verdammter Stau ! Im Radio läuft auch nur Schrott. Ist
mir langweilig. Ich glaub ich schmeiß erst mal meinen rechten Schuh aus dem
Fenster.“
Nur so zum Spaß? „ Cool, Heinz ist eingeschlafen. Höchste Zeit einen seiner
stinkenden Turnschuhe bei 170 Sachen aus dem Fenster zu pfeffern und im
Rückspiegel zu beobachten, wie das Teil über die Straße tanzt.“
Aus Versehen? „Kannst du mir mal bitte einen Deiner Pumps reichen? An der
Scheibe sitzt gerade eine Fliege, die ich gerne kaputt hauen möchte.“ „Hier bitte.“
„Danke.“ „Scheiße, jetzt hab ich die Scheibe kaputt gehauen und Dein Schuh
ist auch mit rausgeflogen. Tut mit leid mein Schatz.“ „Macht nichts, das kann ja
jedem mal passieren. Nur schade, dass Du die Fliege nicht getroffen hast.“
Aus Hass? „Ich hasse Schuhe. Die sollen alle an irgendeiner Autobahn elendig
vergammeln.“
Es gab unzählige Möglichkeiten. Wo sollte ich da ansetzen? Erst mal brauchte ich
Zeit, viel Zeit. Also nahm ich mir zunächst ein Jahr bezahlten Urlaub um dieses
Problem zu lösen. Mein Chef hatte volles Verständnis dafür. Irgend jemand
musste der Sache schließlich auf den Grund gehen.
Zunächst fuhr ich alle deutschen Autobahnen in beide Richtungen ab um alle
Schuhe zu kartografieren. Immer wenn ich einen Schuh sah fuhr ich auf den
Standstreifen, zückte meine Polaroid und knipste das Ding. Außerdem markierte
ich den Fundort auf meiner Karte. Die ganze Aktion dauerte sieben Wochen, denn
ich musste oft rechts ranfahren. Zuhause machte ich mich dann umgehend an die
Auswertung der Daten. Gab es Gebiete in denen deutlich mehr Schuhe lagen als
anderswo? Nein, Fehlanzeige. Sie waren fein säuberlich verteilt. Insgesamt waren
Oh, e-mail für mich…..vom Wahnsinn:
huhu arschloch,
wenn du denkst, dass du verrückt wirst, ist es das allersicherste
zeichen dafür,dass genau das nicht passiert. und ist auch
irgendwie logisch. menschen, die wirklich verrückt werden,
merken das ja gar nicht.
die denken dann auf einmal, sie müssten sich in häschenuniform
in die fußgängerzone stellen und allen vom nahenden
weltuntergang
berichten. und fühlen sich dabei, als sei alles tiptop in ordnung.
du bist also auf der sicheren seite.
dicken gruss,
der wahnsinn
[repeat]
(geschrieben in einem Gehirnstrudel)
dr. nolte
drachenmädchen
drachenmädchen
es 7652 Schuhe. Etwas mehr linke als rechte. Mehr Herren als Damenschuhe.
Vom Gummistiefel über Badelatschen bis hin zu High-Heels war alles vertreten.
Aber immer nur einzelne Schuhe. Kein einziges komplettes Paar. Als ich vor
meiner Karte mit den unzähligen Stecknadeln, die die Fundorte markierten
stand, schoss es mir durch den Kopf. Was, wenn das alles kein Zufall war und die
ganze Sache die Aktion eines Einzeltäters ist. Irgendwo fährt ein Wahnsinniger
mit einem Sack voller Schuhe auf dem Beifahrersitz im Cabrio durch die Gegend
und schmeißt von Zeit zu Zeit einen Schuh über Bord. Was soll das? Ich musste
anders an die Sache rangehen und auf einen Zufall hoffen. Einen Sechser im
Lotto sozusagen. Im Agentenshop besorgte ich mir einige Minisender und machte
mich auf den Weg. Wo gibt es einzelne Schuhe? Richtig, auf den Ständern vor
Schuhgeschäften. Hier fällt es auch nicht weiter auf, wenn der eine oder andere
Schuh auf einmal nicht mehr da ist. Ich war gerade dabei meine ersten Sender an
den Schuhen zu befestigen, als sich vor meinen Augen der komplette Ständer mit
allen Schuhen in Luft auflöste. Sofort kam eine aufgebrachte Schuhverkäuferin
nach draußen gerannt, die die Szene mit eigenen Augen verfolgt hatte. Bevor sie
auch nur ein Wort sagen konnte verschwand auch sie von der Bildfläche. Plötzlich
wurde mir schwarz vor Augen und als ich wieder zu mir kam befand ich mich in
Gesellschaft der Schuhverkäuferin an Bord eines schuhförmigen Raumschiffes.
Um uns herum standen diverse Schuhständer inklusive der dazugehörigen
Schuhe. Wir waren im Lagerraum der Schuhpiraten gelandet und vermutlich nur
durch Zufall mit an Bord gebeamt worden. Diese Vermutung stellte sich sofort
als nicht zutreffend heraus als zwei Außerirdische, die sich um uns zu verwirren
als Dick und Doof verkleidet hatten zur Tür reinstolperten. Sie brachten uns zu
ihrem Chef. Der machte erst mal einen auf großer Gönner und meinte auf den
Schreck könnten wir wohl erst mal einen Cognac vertragen. Wir exten das Zeug
runter und machten es uns auf der pinken Ledercouch gemütlich, von der man
einen beachtlichen Ausblick auf Mutter Erde hatte. Der Chef der Truppe war ein
ziemlich cooler Typ Marke Frauenheld. Als er der Schuhverkäuferin vielsagend
zulächelte, war die Gute sofort hin und weg. Jetzt wandte sich der Chef an mich.
Er meinte, dass er mich schon einige Zeit beobachten würde und dass er befürchte
ich könne ihm in die Suppe spucken. Dann packte er aus. Er erzählte von den
Kornkreisen, die er mit seiner Crew in den 80ern fabriziert hatte. „Darüber
wurden sogar Bücher geschrieben und Dokumentarfilme gedreht. Aber niemand
ist uns damals wirklich auf die Schliche gekommen. Irgendwann wurde die Sache
busy beatman
Nächster Halt Drensteinfurt.
„Mein Leben als Zehnpfennigstück“
Es ist Weltjugendtag, nicht zu verwechseln mit Weltjudentum. Und was
“You think I ain’t worth a dollar, but I feel like a millionaire”
normalerweise in diesem Zug Pendler sind, sind heute Pilger, die den Pabst
Hamm, Verkehrsknotenpunkt. Sonntag Nachmittag. Diese Stadt taugt nur zum
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sehen wollen, den angeblich keiner gut findet. Das ist das postmoderne an
Umsteigen; ob von Braunschweig nach Münster oder Heroin auf Methadon.
unserem
obersten
Hirten:
Es
interessiert
niemanden,
was
er
sagt
und
vertritt.
Ein Atomkraftwerk in der Region ist immer ein schlechtes Zeichen. Bloß weg
Er ist bloß eine sinnentleerte Ikone, ein Popstar. Daher auch zu Recht das
hier. Wir sind heute nicht gekommen um zu bleiben. Scheiße – die regionale
Bravoposter. Bei der Messe, auf einem Acker bei Köln, unter dem beleuchteten
Bimmelbahn erwischt. Zum Teufel. Wir entern mit einem Schwung sogenannter
Baldachin, wirkt er wie ein Elvis, der im Raumschiff auf die Erde niederkommt.
Schwarzafrikaner. Was soll das sein? Das Gegenteil von Weißrussen? Otto
Religion hin oder her: Die Leute brauchen einfach einen Halt, weil sie zu
würde sagen: Schwarze Kopf, schwarze Bauch, schwarze Füß. Aber schwarze
schwach sind für das harte Leben hier draußen. Wie Karl Marx schon erkannt
Afrikaner?
hat Sie ist Opium des Volkes, nicht für das Volk.
Die ganze Bahn guckt. Also wirklich die ganze Bahn.
Drensteinfurt.
Naja,Nächster
ist ja auchHalt
scheißegal.
Würden sie bloß nicht so blöd aus ihrer
„Mein
Leben
alsfür
Zehnpfennigstück“
Warum?
Was
ist das
eine Hautfarbe? Oder, wer sind die beiden jungen Leute
Es ist Weltjugendtag,
zuverdammten
verwechseln Christen
mit Weltjudentum.
Und was
Kirchentagswäsche
gucken.nicht
Diese
sehen wirklich
think I ain’t worth a dollar, but I feel like a millionaire”
(also “You
ich) dahinten?
normalerweise
diesem
Zug
Pendler
sind,
sindzwar
heuteihren
Pilger,
die denaber
Pabst
aus. Undinsie
starren
einen
an. Sie
haben
Glauben,
Hamm,
Verkehrsknotenpunkt.
Nachmittag.
Diese Platz
Stadt suchen,
taugt nur zumfürchterlich
Was ist
hier los,
muß ich mich fragen.Sonntag
Während
wir einen freien
sehen wollen,
den angeblich
gut findet.
DasSie
ist haben
das postmoderne
sie können
nicht glauben,
was umkeiner
sie herum
geschieht.
das ganze an
obvon
voneinem
Braunschweig
nach Münsterzum
odernächsten.
Heroin auf
Methadon.
blickeUmsteigen;
ich verblüfft
Glubschaugengesicht
Was
haben
unserem
obersten
Hirten: Es
was er ist
sagt
und vertritt.
erklärt
bekommen,
aberinteressiert
was um sieniemanden,
herum geschieht
unfassbar.
Ein Atomkraftwerk
der Region
ist immer
schlechtes Zeichen. Bloß weg Universum
die denn?
Steht hinter mirinFranz
Ferdinand,
oder ein
was?
Er ist
bloß eine
sinnentleerte
einist
Popstar.
zu Recht
eigentlich
schon
tot, diese Ikone,
Welt hier
für sie Daher
bereitsauch
vergangen.
Siedas
hier. Wir
sind heute
nicht
gekommen
um blöd
zu bleiben.
Scheiße
– die Kann
regionale Sie sind
Ich merke
ziemlich
bald: Es
sind
alles einfach
glotzende
Christen.
Bravoposter.
der Messe,
auf einem
Acker
Köln,dabei:
unterEr
dem
jetzt schonBei
zurück
auf diesen
Moment
undbei
denken
da, beleuchteten
mir
Bimmelbahn
Zum Teufel.
Wir entern
einem
Schwung in
sogenannterblicken
man sich
darunter erwischt.
etwas vorstellen?
Sie sitzen
da wiemit
blöde
Tiefseefische
Baldachin,
wirkt
wie ein
Elvis, der im Raumschiff auf die Erde niederkommt.
gegenüber,
er wird
zurerHölle
fahren.
Schwarzafrikaner.
Was soll das
sein?
Dasihnen
Gegenteil
Weißrussen?
Gottes
Aquarium. Ihr Bekenntnis
sieht
man
an dervon
Nasenspitze
an, Otto
Religion
hin oder her:
Dieein
Leute
einfach einen
sie zu
Von mir
aus. Mittlerweile
sind
paarbrauchen
Wochen vergangen.
IchHalt,
sitzeweil
im Zug
würde
sagen: Schwarze
Kopf,
schwarze Bauch,
schwarze
Aber schwarze
welche
sie plattdrücken
an einer
unsichtbaren
Glasscheibe,
dieFüß.
der heilige
Geist
schwach
sindStrecke
für dasund
harte
Karl Marx
erkannt
auf der
gleichen
warLeben
geradehier
dreidraußen.
Tage mitWie
Queens
of theschon
Stoneage
Afrikaner?
ist. Dahinter
lauert die große, böse und böse, große Welt. Und wir sind ihre
hat SieInistmeiner
OpiumHölle
des Volkes,
für das
Volk.
unterwegs.
könnennicht
sie ruhig
jeden
Tag spielen..
Die ganze
Bahn guckt.Sünde.
Also wirklich
dieEva,
ganze
Bahn. aus dem Paradies.
Vertreter.
Die verkörperte
Adam und
vertrieben
Naja, ist ja auch scheißegal. Würden sie bloß nicht so blöd aus ihrer
Warum? Was ist das für eine Hautfarbe? Oder, wer sind die beiden jungen Leute
Kirchentagswäsche gucken. Diese verdammten Christen sehen wirklich
(also ich) dahinten?
fürchterlich aus. Und sie starren einen an. Sie haben zwar ihren Glauben, aber
Was ist hier los, muß ich mich fragen. Während wir einen freien Platz suchen,
sie können nicht glauben, was um sie herum geschieht. Sie haben das ganze
blicke ich verblüfft von einem Glubschaugengesicht zum nächsten. Was haben
Universum erklärt bekommen, aber was um sie herum geschieht ist unfassbar.
die denn? Steht hinter mir Franz Ferdinand, oder was?
Sie sind eigentlich schon tot, diese Welt hier ist für sie bereits vergangen. Sie
Ich merke ziemlich bald: Es sind alles einfach blöd glotzende Christen. Kann
blicken jetzt schon zurück auf diesen Moment und denken dabei: Er da, mir
man sich darunter etwas vorstellen? Sie sitzen da wie blöde Tiefseefische in
gegenüber, er wird zur Hölle fahren.
Gottes Aquarium. Ihr Bekenntnis sieht man ihnen an der Nasenspitze an,
Von mir aus. Mittlerweile sind ein paar Wochen vergangen. Ich sitze im Zug
welche sie plattdrücken an einer unsichtbaren Glasscheibe, die der heilige Geist
auf der gleichen Strecke und war gerade drei Tage mit Queens of the Stoneage
ist. Dahinter lauert die große, böse und böse, große Welt. Und wir sind ihre
unterwegs. In meiner Hölle können sie ruhig jeden Tag spielen..
Vertreter. Die verkörperte Sünde. Adam und Eva, vertrieben aus dem Paradies.
32
dann einfach langweilig. Die Reaktionen der Erdbewohner auf die immer neuen
unerklärlichen Muster in den Kornfeldern ließen nach. Außerdem wurden die
Aktionen auch einfach zu aufwendig und kostspielig.“
Also entschied sich der Chief einen Schlußstrich unter die Sache zu ziehen, einen
Großteil der Mannschaft zu entlassen und sich einen neuen Spaß auszudenken
um die blöden Menschen zu verarschen.
Er ließ also eine Schuhkanone bauen mit der er im Tiefflug zielsicher Schuhe auf
Autobahnen schießen konnte. Denn da fielen sie am meisten auf und sollten für
Verwirrung sorgen. Der Typ hatte einfach einen kranken Humor. Jetzt griff er
zum Joystick, mit dem sich das Schuhschiff steuern ließ und setzte zum Sturzflug
in Richtung Erde an. Mit der anderen Hand nahm er seelenruhig eine Sandale
von einem Haufen und lud die Kanone, als ob er das schon das eine oder andere
Mal gemacht hatte. Dann ging alles furchtbar schnell. Wir rasten auf die Erde
zu, der Kerl drückte auf den Kanonenknopf und mit den Worten „A31 kurz vor
Meppen“ riss er die Karre rum und lachte sich kaputt.
Aber warum hatte er uns raufgebeamt? Ganz einfach. Die Verkäuferin sollte bei
ihm bleiben und es sah auch so aus, als ob sie nichts dagegen hätte. Ich sollte
wieder zurück und der Bild und der Bunten von meinen Erlebnissen erzählen.
langweilig. Die
Die wollten
Reaktionen
der Erdbewohner
auf die
immer
neuen und zahlen wollten sie
die Sache
aber nicht groß
genug
aufziehen
n Muster inauch
den nichts.
Kornfeldern
ließen
nach.
Außerdem
die und ich denke das ist
Deshalb
gehört
ihr jetzt
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h einfach zuauch
aufwendig
und
kostspielig.“
im Sinne des Chiefs.
d sich der Chief einen Schlußstrich unter die Sache zu ziehen, einen
Mannschaft zu entlassen und sich einen neuen Spaß auszudenken
n Menschen zu verarschen.
ne Schuhkanone bauen mit der er im Tiefflug zielsicher Schuhe auf
chießen konnte. Denn da fielen sie am meisten auf und sollten für
orgen. Der Typ hatte einfach einen kranken Humor. Jetzt griff er
mit dem sich das Schuhschiff steuern ließ und setzte zum Sturzflug
Erde an. Mit der anderen Hand nahm er seelenruhig eine Sandale
ufen und lud
Kanone, mit
als ob
er das
schon das eine oder andere
ondie
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hatte. Dann ging alles furchtbar schnell. Wir rasten auf die Erde
rückte auf den Kanonenknopf und mit den Worten „A31 kurz vor
drachenmädchen
drachenmädchen
wiesi wiesmann und die christen
34
35
La notte dei morti viventi
Momente der Melancholie - so hieß ein Tee, den ich vor einer Woche bei
einer Freundin getrunken hatte. Ich kann den Geschmack nicht genau
wiedergeben, aber der Name war treffend. „Nein, er war nicht nur treffend,
er ist es noch. Er beschreibt haargenau und bis zur kleinsten Nuance
mein momentanes Lebensgefühl. Ist es die Jahreszeit? Ist es das Wetter?
Suche ich nach Gründen, nach Ausreden oder gar nach Ausf lüchten
– Fluchtmöglichkeiten? Ich weiß es nicht. Ich will es gar nicht wissen. Das
einzige, was ich gerade möchte ist schlafen. Keinen sehen, mit niemandem
reden, nur schlafen. Nichts machen, nichts denken, nichts träumen, einfach
nur schlafen. Schlafen, schlafen, schlafen…“
„Dieses gottverdammte, beschissene Telefon!“ Ich hatte vergessen
das Telefon auszustöpseln und jetzt riss mich dieser penetrante,
markdurchdringende Klingelton aus meinem wohlverdienten Schlaf.
Schlaftrunken schleppte ich das, was man für meinen Körper halten
konnte, zum Telefon, zögerte kurz und ging dann ran. Es war meine
Mutter. Sie machte sich Sorgen, da sie seit Wochen schon nichts mehr von
mir gehört hatte. „Ja, es geht mir gut.“ „Was ich zurzeit mache? So dies
und das, auf jeden Fall habe ich viel zu tun und bin fast nie zuhause.“ „Ja,
vielleicht sollte ich mir mal etwas Ruhe gönnen, da hast Du Recht. Hey, tut
mir leid, ich habe jetzt einen echt dringenden Termin und muss wirklich
los.“ „Wohin? Das erzähle ich dir später in Ruhe. Ich muss mich jetzt aber
wirklich so langsam auf den Weg machen.“ „Ja, ich melde mich.“ „Ja, ich
dich auch. Tschüss.“
12:23 Uhr, 12:37 Uhr, 12:56 Uhr – wie hypnotisiert starrte ich auf die
kleine, in mein Telefon eingelassene Digitaluhr. Freute mich darüber, wie
schön still mein Telefon doch war und mich einfach in Ruhe ließ.
Für Außenstehende mag sich das vielleicht komisch und etwas paradox
vorwort
drachenmädchen
anhören, aber ich genoss die Einsamkeit in vollen Zügen. Ich ließ mich
einen arbeitslosen Penner halten. Aber viele Leute traf ich sowieso nie
treiben wie ein Blatt vom Wind.
und was ist denn auch überhaupt abwertend daran, arbeitslos zu sein? Die
Blatt vom Wind.
überhaupt abwertend daran, arbeitslos zu sein? Die wenigsten a
Den einzigen realen Kontakt zur Außenwelt stellte mein alltäglicher Kioskwenigsten arbeitslosen Menschen haben sich ihr Schicksal ausgesucht. Und
Den einzigen realen Kontakt zur Außenwelt stellte mein alltäglicher KioskMenschen haben sich ihr Schicksal ausgesucht. Und dann soll m
Besuch dar. Aufgrund der Tatsache, dass ich nie vor 19:00 Uhr aus dem
dann soll mal jemand, der so große Töne spuckt von wegen „verwahrlostes,
Besuch dar. Aufgrund der Tatsache, dass ich nie vor 19:00 Uhr aus dem Bett
der so große Töne spuckt von wegen „verwahrlostes, arbeitssch
Bett kam und es auch nur notgedrungen verließ, um mir etwas zu Essen zu
arbeitsscheues Pack“ versuchen Tag ein, Tag aus ein Leben zu bestreiten,
kam und es auch nur notgedrungen verließ, um mir etwas zu Essen zu holen
versuchen Tag ein, Tag aus ein Leben zu bestreiten, das keine v
holen oder um auf die Toilette zu gehen, schaffte ich es nie meine Wohnung
das keine verpflichtende Tagesstruktur ausweist. Es ist egal, wann man
oder um auf die Toilette zu gehen, schaffte ich es nie meine Wohnung vor
Tagesstruktur ausweist. Es ist egal, wann man aufsteht und es i
vor 20:00 Uhr zu verlassen. Also musste ich, wenn ich denn etwas brauchte,
aufsteht und es ist egal, was man macht. Hauptsache der Tag geht irgendwie
20:00 Uhr zu verlassen. Also musste ich, wenn ich denn etwas brauchte, zum
macht. Hauptsache der Tag geht irgendwie vorüber. Um da nich
zum nächstgelegenen Kiosk laufen und es mir dort besorgen. Meine
vorüber. Um da nicht aus der Bahn geworfen zu werden, braucht man
nächstgelegenen Kiosk laufen und es mir dort besorgen. Meine Einkaufliste war
geworfen zu werden, braucht man schon verdammt viel Selbstd
Einkaufliste war eigentlich immer die gleiche – Wasser, Weißbrottoast,
schon verdammt viel Selbstdisziplin und am besten ein riesiges Spektrum
eigentlich immer die gleiche – Wasser, Weißbrottoast, Nutella, Tomatensoße,
besten ein riesiges Spektrum an Interessen und Hobbys. Da sin
Nutella, Tomatensoße, Nudeln und Schokolade. Die einzige Ausnahme
an Interessen und Hobbys. Da sind die Leute, die für ihre Arbeit und den
Nudeln und Schokolade. Die einzige Ausnahme bildete, wie ein Feiertag
für ihre Arbeit und den damit verbundenen Status gelebt haben
bildete, wie ein Feiertag im tristen Arbeitsleben, der unregelmäßige
damit verbundenen Status gelebt haben, aber verdammt schlecht dran…
im tristen Arbeitsleben, der unregelmäßige Einkauf von Zahnpasta und
schlecht dran… Naja, egal – ich bin ja arbeitslos mit Sinn, also
Einkauf von Zahnpasta und Toilettenpapier.
Naja, egal – ich bin ja arbeitslos mit Sinn, also Student sozusagen. Mein
Toilettenpapier.
sozusagen. Mein Leben ist so mehr oder weniger in eine Strukt
Das war die einzige Herausforderung, die ich annahm – möglichst lange
Leben ist so mehr oder weniger in eine Struktur eingebettet, die mir Halt
Das war die einzige Herausforderung, die ich annahm – möglichst lange
die mir Halt und Sinn geben kann, wenn ich es denn zulasse od
mit dem Toilettenpapier und der Zahnpastatube auszukommen. Früher
und Sinn geben kann, wenn ich es denn zulasse oder will.
mit dem Toilettenpapier und der Zahnpastatube auszukommen. Früher
In den heiligen Hallen „meines“ Kiosks angekommen fiel mir a
hatte ich mich noch über diese Spießer lustig gemacht, die Zahnpastatuben
In den heiligen Hallen „meines“ Kiosks angekommen fiel mir
hatte ich mich noch über diese Spießer lustig gemacht, die Zahnpastatuben
die Schlagzeile der Süddeutschen Zeitung (oder war es die FAZ
aufschnitten, um auch den Rest herauszubekommen, oder immer nur
augenblicklich die Schlagzeile der Süddeutschen Zeitung (oder war es
aufschnitten, um auch den Rest herauszubekommen, oder immer nur drei
- „Atomstreit mit Iran“. Das Mekka der fried- und freiheitsliebe
drei Blatt Toilettenpapier verwendeten – der Umwelt zur Liebe. Scheiß
die FAZ?) ins Auge - „Atomstreit mit Iran“. Das Mekka der fried- und
Blatt Toilettenpapier verwendeten – der Umwelt zur Liebe. Scheiß auf die
– die USA also – forderte die Internationale Atomenergiebehör
auf die Umwelt – dachte ich mir früher immer dabei und hoffte ihr mit
freiheitsliebenden Menschen – die USA also – forderte die Internationale
Umwelt – dachte ich mir früher immer dabei und hoffte ihr mit jedem meiner
gegen das böse, muslimische Land vorzugehen und iranische V
jedem meiner verschwenderischen Toilettengänge den Todesstoß zu
Atomenergiebehörde dazu auf gegen das böse, muslimische Land
verschwenderischen Toilettengänge den Todesstoß zu versetzen. Aber es klappte
den Atomwaffensperrvertrag an den Uno-Sicherheitsrat zu mel
versetzen. Aber es klappte nicht. Sie hatte den längeren Atem. Faulheit
vorzugehen und iranische Verstöße gegen den Atomwaffensperrvertrag
nicht. Sie hatte den längeren Atem. Faulheit und Bequemlichkeit machten
der Sicherheitsrat endlich wirtschaftliche Sanktionen gegen die
und Bequemlichkeit machten mich gezwungenermaßen zu einem
an den Uno-Sicherheitsrat zu melden. Damit der Sicherheitsrat endlich
mich gezwungenermaßen zu einem umweltbewussten Menschen – welch eine
Gotteskrieger verhängen könne. Diese Meldung beruhigte mich
umweltbewussten Menschen – welch eine Tragödie…
wirtschaftliche Sanktionen gegen diese ruchlosen Gotteskrieger verhängen
Tragödie…
nicht viel geändert in der Welt. Wir, d.h. der Westen, wir waren
Der Kühlschrank war leer, die Vorratskiste in der Küche auch - es war mal
könne. Diese Meldung beruhigte mich. Es hatte sich nicht viel geändert in
Der Kühlschrank war leer, die Vorratskiste in der Küche auch - es war mal
alle anderen die Bösen. Alles schön geordnet in schwarz und we
wieder „Kiosk-Zeit“. Ich fühlte mich immer ein bisschen wie Mort Rainey
der Welt. Wir, d.h. der Westen, wir waren die Guten und alle anderen die
wieder „Kiosk-Zeit“. Ich fühlte mich immer ein bisschen wie Mort Rainey in
alles schön simpel gehalten. Das war genau nach meinem Gesch
in „Das Geheime Fenster“, wenn ich schlaftrunken, mit Dreitage- bis
Bösen. Alles schön geordnet in schwarz und weiß unterteilt, alles schön
„Das Geheime Fenster“, wenn ich schlaftrunken, mit Dreitage- bis Dreiwochenals die Iraner ´45 das erste Mal „die“ Bombe einsetzten… Halt!
Dreiwochen-Bart und langen, fettigen, halb unter einer alten Wollmütze
simpel gehalten. Das war genau nach meinem Geschmack. „Damals als die
Bart und langen, fettigen, halb unter einer alten Wollmütze versteckten
noch mal? Was hatten die Iraner noch mal gemacht? Die Iran-C
versteckten Haaren das Haus verließ. Die Leute draußen mussten mich
Iraner ´45 das erste Mal „die“ Bombe einsetzten… Halt! Wie war das noch
Haaren das Haus verließ. Die Leute draußen mussten mich aufgrund meines
– was war das denn noch mal gewesen? Und „die“ Bombe – das
aufgrund meines „leicht“ heruntergekommenen Erscheinungsbildes für
mal? Was hatten die Iraner noch mal gemacht? Die Iran-Contra-Affäre
„leicht“ heruntergekommenen Erscheinungsbildes für einen arbeitslosen
USA. Aber wie ging das denn, die gehören doch zu den Guten…
Penner halten. Aber viele Leute traf ich sowieso nie und was ist denn auch
machte sich in meinem Kopf breit und aus Angst meine Scharz
drachenmädchen
vorwort
36
37
– was war das denn noch mal gewesen? Und „die“ Bombe – das waren
doch die USA. Aber wie ging das denn, die gehören doch zu den Guten…“
Verwirrung machte sich in meinem Kopf breit und aus Angst meine ScharzWeiß-Theorie ernsthaft in Gefahr zu bringen, wandte ich mich „meinem“
Kioskbesitzer zu – er war Iraner.
Da stand ich nun. Auge in Auge mit dem Feind. War er womöglich ein
Schläfer, der jeden Morgen anstelle des Unterhemdes einen Sprengstoffgurt
anzog und eine AK 47 unter der Ladentheke auf bewahrte? Fünf Jahre
kannte ich diesen Menschen nun schon und jetzt plötzlich realisierte ich es
erst – er war I-R-A-N-E-R. Ich hatte mir früher keine Gedanken darüber
Damit sollte meine zweite Lektion im Kiosk beginnen. Aadish blickte mich
nachdenklich an und sagte schließlich: „Probleme sind Probleme, mein
Freund! Und Leid ist Leid! Du wirst immer Menschen finden, denen es
schlechter geht als dir, aber das löst „deine“ Probleme auch nicht. Du musst
mit ihnen leben und eine Lösung für sie finden.“ Dies wiederum machte
mich nachdenklich. Brachte es vielleicht doch nichts, die eigenen Probleme
und das eigene Leid zu relativieren? Brauchte vielleicht doch jeder Mensch
seine eigene, persönliche Geschichte für seine Probleme und sein damit
verbundenes Leid? Ich erinnerte mich an die Geschichte von einem
englischen Fotojournalisten namens Paul Lowe.
Struktur und einen Kontext für unser Leben gibt. Ohne sind wir hilflos
und können die Dinge, die uns geschehen sind, nicht verarbeiten. Es wird
schwierig, gar unmöglich einen neuen Anknüpfungspunkt zu finden, um
das eigene Leben weiterzuleben.
gemacht, aber jetzt wusste ich ja nun endlich Dank den USA und der
Zeitungsschlagzeile was das bedeutete. Gehörte vielleicht auch er zu diesem
Terrornetzwerk namens Al-Quaida? Hatte er vielleicht Osama die letzten
Jahre über in seinem Lager zwischen staubigen Bierf laschen, Diät-Cola,
Zigaretten und Nacho-Chips versteckt? Unterstützte ich etwa mit jedem
Einkaufsgang meinerseits einen skrupellosen Terrornetzwerkaktivisten (wie
die Presse hierzulande es wohl ausdrücken würde)?
Der gesunde Menschenverstand gewann den Kampf in meinem Kopf und
ich entschied mich dafür, etwas grau in mein Leben zu lassen. Aadish, der
Kioskbesitzer, war Iraner und gehörte trotzdem zu den Guten – so wie
wahrscheinlich die paar anderen Millionen Iraner auch…
Da hatte ich heute ja mal was gelernt in „meinem“ Kiosk.
„Hallo, ich grüße dich mein Freund. Wie geht es dir?“, war Aadishs
normale, aber immer herzliche und überschwängliche Begrüßungsformel.
„Wie es mir geht? Eigentlich ganz gut. Also, wenn ich das so mit anderen
Menschen auf der Welt vergleiche, dann geht es mir eigentlich immer
gut. Ich plage mich mit kleinen Problemchen rum, während sie um ihre
Existenz und das nackte Überleben kämpfen…“
Lowe hatte mehr als ein Jahr im belagerten Sarajewo verbracht und stellte
Anfang 1994 die in der Zeit entstandenen Fotos in einer Kunstgalerie in
Sarajewo aus. Zu den Bildern aus Sarajewo stellte der Berufsfotograf noch
ein paar seiner Fotos aus, die er wenige Jahre zuvor in Somalia gemacht
hatte. Es waren zwei Komplexe seiner Arbeit auf die er stolz war und die
er für sinnvoll hielt. Die Menschen aus Sarajewo interessierten sich sehr
für die neuen Bilder von der Zerstörung ihrer Stadt, waren jedoch über die
Einbeziehung der Bilder aus Somalia mehr als empört. Ihre Leiden neben
die Leiden anderer zu stellen hieß vergleichen. Welche Hölle des Krieges
und der Gewalt war die schlimmere gewesen? Sarajewo wurde damit zu
einem Fall unter vielen. Das Schicksal der Menschen verlor damit seine
Einzigartigkeit.
Aber waren denn nicht alle Menschen im Leiden gleich? Bluteten wir
nicht alle das gleiche Blut? Und vergossen wir nicht alle die gleichen
Tränen? „Brauche ich die Einzigartigkeit meines Schicksals damit es
erträglicher wird? Damit ich nach Sinn suchen kann, wo ich niemals einen
finden werde?“ Ich glaube Aadish wollte mir versuchen zu sagen, dass
die Einzigartigkeit unserer Geschichte und unseres Schicksals uns eine
hatte ich mich die letzten beide Tage über Wasser gehalten. „Aber ich bin
gerade so müde und ich habe keine Lust mehr nachzudenken. Überhaupt zu
denken. Schlafen - das wäre jetzt genau das richtige. Ich kann ja auch noch
Morgen zum Kiosk gehen und Übermorgen… Und Übermorgen fange ich
wieder an, mein Leben zu leben. Mich meinen Problemen zu stellen. Mit
meinen Ängsten zu kämpfen. Ja, Übermorgen. Übermorgen ist es so weit.
Aber jetzt… Jetzt werde ich erstmal noch für ein paar Stunden die Augen
zumachen.“
vorwort
drachenmädchen
Das alles machte mich sehr nachdenklich. Ich denke noch immer viel
darüber nach. „Soll ich vielleicht nachher mal wieder zum Kiosk gehen
und das Gespräch mit Aadish fortsetzen?“ Etwas zu Essen könnte ich
durchaus gebrauchen, meine Vorräte sind nahezu aufgebraucht. Ich hatte
noch eine alte Packung mit Knäckebrot von Wasa gefunden und mit der
Herr Solke
drachenmädchen
vorwort
vorwort
ana anaconda
Zur falschen Zeit am rechten Ort
Den Desktophintergrund zum Horizont. Die
Sonne steigt und blendet. Dein schwindender
Blick auf eine völlig weiße Seite. Nur ein kleiner
Schritt zurück. Fort geht alles, was du hattest.
Dein kleines Stück vom Glück. Die Nacht und
die erfüllten Stunden. Und nun der kleine miese
Abgang. Aber wie du mir, so ich dir. Denn das
war es, was du wolltest.
Hinaus in die Stadt. Ein Gefühl. Gejagt von
zu Hause und endlich draußen. Am Ziel deiner
Träume. Im Einklang mit den Tönen, die du
hörst. Der Weg ist das Ziel. Denn so ist es immer
hier. Frag mich nicht was ich gemacht hab. Ganz
egal und noch drei Schritte. Denn darauf kommt
es gar nicht an. Geatmet? Gelebt? Das ist alles
was ich wollte. Denn das ist alles was es braucht.
Zumindest hier an diesem Ort. Ein Schwur.
Aber bitte nimm mich nicht zu ernst. „Von hier
geh ich nie mehr fort.“ Selbstbetrug? Nur zur
falschen Zeit am rechten Ort.
Du weißt was Atmosphäre ist. Denn du brauchst
nur das Gefühl. Das andere nicht empfinden.
Ohne welches keiner dich versteht. Vertraute
Fremde aller Orten. Es kommt nicht darauf
an, was du hier findest. Und bitte keine Fragen.
Projektion in lebensgroß. Jede Fassade ein
Gedanke. Glatt poliert, bequem und falsch.
Oberfläche in Perfektion. Aber bitte nicht
dran kratzen. Bis zum Tellerrand und ja nicht
weiter. Verdingst dich groß in Illusion. Hier ist
alles deins. Alles, das du zu kennen meinst. In
gänzlich neuem Licht. Ein Gefühl gejagt, dass
Großstadt heißt.
Fernbeziehung. Neues Date. Mit allem was es
ausmacht. Mit allem was du nicht verstehst.
Denn das ist nicht rational. Kopfsteinpflaster.
Straßenecken.
Leuchtreklamen.
Der
Leuchtturm, das kleine grüne Schild. Leuchtet
dir den Weg. Fünf Buchstaben for ever, ein
schwerer Kopf. Jetzt bloß keine Kompromisse.
Zuhause in jedem Heimathafen. Autopilot an
und Lenkrad los. Ferngesteuert durch die Stadt.
Vorbei an ihren schönsten Töchtern. Erkennst
mit sicherem Blick ein jedes Abenteuer. Dieser
Ort, das große Fass ohne Boden. Was dir zu
Hause noch verhasst, bekommt hier die volle
Punktzahl. Erklärungen, die du nie brauchtest.
Des Rätsels Lösung in Stein gemeißelt.
Der Blick in den Hof. Auf das, was früher einmal
lebte. Was still vergeht und neu entsteht. In der
Jugend schönster Blüte. 20 Meter verdammt
Wir schreiben einen Tag. Vielleicht wie
jeder andere. Vielleicht weht ein lauer
Wind. Vielleicht geht die Welt endlich unter.
Vielleicht kommt es zu Komplikationen; in
der Liebe, bei der Arbeit, Familie, Finanzen,
Freunde, Gesundheit, Aussichten, Zukunft,
Wünsche und Träume, Reisen, Bekannte.
Etcetera Pepe! Was auch immer das Horoskop
verspricht, die Sonne kann trotzdem versinken,
der Mond kann trotzdem bluten, der Hund kann
trotzdem schlafen. Vielleicht wacht er nicht
mehr auf. Wer weiß das schon am Morgen. Die
Zeit wird schon alles regeln denkt man sich
und vergisst die Autonomie. Wir sind frei, wir
können tun und lassen was wir wollen, denn:
wir müssen nur woll’n! Life is a rollercoaster,
as we know. Du wolltest das schon immer mal
machen? Warum dann lange zögern? Auf Frage
prallt Gegenfrage. Sie wirkt nicht so belehrend
wie ein einfacher Aussagesatz oder gar der
Gebrauch der Imperativs, der den Fragenden
immer gleich recht bedeppert dastehen lässt;
aus den Angeln gehoben, verdutzter Blick,
feuchte Hände‚ `was hab ich falsch gemacht’?‚
`was soll ich jetzt sagen’? Wie war doch
gleich die Ausgangsfrage? Den Faden nicht
wiedergefunden. Also muss ein neuer her.
In rot? Nein, zu Standart. Schwarz und weiß
sind keine Farben, und farbig sollte das Leben
doch schon sein; zumindest ein wenig. Sonst
kann man doch gleich zum Ausgangspunkt
zurück schwimmen. Wieder hinein, durch die
Kindheit, wird man wieder geschlagen, zurück
in den Leib der Zeugerin. Alles von vorn! Der
Schritt zurück scheint fehlgeschlagen, Haken
schlagen Richtung Hölle. Der Strick ist frisch
geknüpft. Fast zu frisch, er könnte reißen, da
drachenmädchen
Wie so oft bleibt alles gleich. Großes Herz und
prall gefüllt. Der Untergang, der naht. Wie
jedes Mal am letzten Tag. Einmal mehr fort von
hier. Fort von dir. Und fort von mir. Ein letzter
Blick zurück ins Glück. Die Räder, die die Welt
bedeuten. Warst zur falschen Zeit am rechten
Ort.
hoch hinaus. Stets über alle Zweifel erhaben. Die
Sonne brennt dir ins Gesicht.
Ab an den Strand. Du bist den ganzen Weg
gerannt. Der Wahrheit auf der Spur. Bitte sag
mir nicht, wenn du es erkannt hast. Alles was
ich weiß: der Teufel liegt im Detail, sowie im
Ganzen. Die Wahrheit rinnt dir durch die
Finger. Sowie jedes Körnchen dieses Strandes.
An vielen Orten und unendlich vielen Plätzen.
Im Sonnenlicht auf diesem Tisch. Die schönste
aller Perlen. Stolper und fall ihr in die Arme. Sie
fängt dich auf und lässt dich nie im Stich. Bist
noch immer sanft gelandet. Schließ die Augen
und du hörst jedes Meer der Welt.
100 Meter und 2 Welten. Verlass die Loge und
träum dich rüber. Stehplatz auf der Gegengerade.
Du wirst Realist und willst ganz schnell zurück.
Das ewig gleiche Brummen der Maschinen.
40 Fuß mal 40 Tonnen. Das ist Fernweh im
Quadrat. Aber leider nur für dich. Kisten, die die
Welt bedeuten, sinken krachend in die Luken.
Der Stoff für deine schönsten Träume. Drüben
wird’s zur Hölle. An Schlaf ist nicht zu denken.
Das Meer der Sehnsucht direkt vor deinen Füßen.
Realität mit Schützengraben. Ein Graben voller
Wasser. Nichts außer Lärm und viel Geschrei.
Für dich wird’s zur Musik. Die ganze Welt an
einem Ort. Danke an den Schützengraben. Du
glaubst du hast die Wahl: fort von hier und ja
nie mehr zurück. Wenn du nur wüsstest. Die
anderen würden gerne tauschen. Nur einmal
verweilen. Nur für den Tag. In 24 Stunden ist
alles gelaufen. Für Dich wird es niemals enden.
Du hältst es in deinen Händen. Auf Nachschub
ist verlass. Allzeit bereit.
er noch nicht weise genug ist seine Aufgabe
ganz zu begreifen. Vielleicht will er bloß
spielen und dann fällt man wieder gen Boden
auf die genverseuchte Erde zu den Füßen der
Menschheit. Und da liegt man dann; betreten,
schwach, dem Ende nah und doch zu weit
entfernt. Den Traum vor Augen, die Hand
vermag ihn nicht zu erreichen, doch das Herz,
er zerrt so sehr. Es verzerrt sich doch fast
selbst und man weiß es wird Zeit, und die
Vögel zieh`n schon so lange, doch man hat den
Anschluss verpasst. Du hast eindeutig nicht
genug Sport gemacht in deinem Leben! Und
dann lacht er wieder als gäb es kein Morgen
mehr, nie wieder. So wie er lacht dort unten
muss es recht amüsant sein. Die Sehnsucht
schlägt von Innen ihr Begehren; leidet
gegen Wände aus Trauer, Angst, Unvernunft,
Enttäuschung und dann die letzte dicke,
dicke Schicht: Resignation! Wann hast du das
letzte Mal geweint? Ich weiß es nicht! Müder
Blick schmiert ins Nichts den leeren Kopf. Die
Erinnerung verschwindet zu schnell und legt
sich schlafen mit dem Hund, dem Räudigen. Zu
ausgebrannt zum Gehen; nicht vor und nicht
zurück. Blick, Füße, Gedanken, Glaube, Gefühl;
ein beispielloser Brei an Lieblosigkeit und
zerlebtem Sinn. Sterbenende? Sterbewende?
Sterbende Hände! Stumme Wände! Hummeln,
die wenden! Wohin zum flennen? Wenig zu
nennen! So viel musst du kennen! Das Ziel zu
erkennen! Fällt dir nicht mehr schwer! Reflexion
– Realisation – Repression - Resignation
– Reduktion – Retroversion.
38
39
sailorman sucht die leuchttürme
40
[…]
Mein Name ist Sharkey. Ich bin Anführer einer
Jugendgang. Wir überfallen Zigarettenautomaten
und alte Omas, Apotheken und Arztpraxen, weil
wir den Stoff halt brauchen, Tankstellen um unsere
Feuerstühle zu heizen und wer uns quer kommt,
kriegt `n Brett. Ich bin elf Jahre alt. Glaubt mir
kein Mensch. Ist auch gelogen. Ich sitze in meinem
Zimmer und der Fernseher läuft. Die Dokumentation
über den vierten Weltkrieg ist gerade zuende.
Das Monitordisplay fragt, ob es mir noch einen
Wunsch erfüllen kann. Draussen gleiten zischend
die Schwebomaten durch den glatt laufenden
dreistöckigen Verkehr. Wenn jetzt nicht gleich das
Logofon angeht, hat sie mich wohl vergessen. Ich
streichele meinen Katzenhund und gebe ihm einen
von den Kaltfischen, die so komisch riechen, wenn
man sie nicht ordnungsgemäss lagert. Im Kühlfach.
Der Katzenhund schnurrt. Und schmatzt. Und kratzt
am Boden rum. Das ist alles Quatsch. Ich drehe seit
puffi hat ganz andere probleme
41
4 Stunden ohne Pause Bücher um, die auf einem
Fließband an mir vorbeitransportiert werden. Den
Buchrücken nach rechts. Nach meinem Arbeitsgang
schweisst ein grosser Automat die Bücher ein. Dann
werden sie auf einer Palette gestapelt, von einem
anderem Automatensklaven mit Gehirn, der zuhause
eine Familie hat vielleicht, die zu ernähren sein Job
ist. Seine Haare sind grau, waren wohl mal braun, den
Schnauzbart rasierte er sich besser bei Gelegenheit
mal ab. Jemand holt die Palette, endlich fertig, mit
dem Gabelstabler ab und stellt uns eine neue, leere,
frische hin, die wir wieder vollmachen sollen. Mit
dem Bildband. Über den schönen Landkreis. In dem
wir wohnen. Niemand weiss, wer den kaufen soll,
aber das macht nichts, weil ich werde für’s Umdrehen
bezahlt und nicht für’s Verkaufen. Deswegen habe
ich mit dem Projekt ja auch nichts zu tun. An und
für sich. Hand auf – Geld rein – Essen kaufen
– Zimmermiete bezahlen – weitermachen. Mir doch
alles egal. Ist sowieso alles gelogen. Also eigentlich
wollte ich erzählen wie das ist wenn man akustischen
Täuschungen unterliegt. Wenn man etwas gehört
hat, was gar nicht da war. Ein Telefonklingeln.
Ein bißchen Musik. Jemand vertrautes, der einen
anspricht, aber gar nicht da ist. Wie Opa gelacht hat,
als er noch lebte. Wenn Du das hast, denkst Du ganz
schnell, Du bist bekloppt, dabei ist das doch nur ein
Kurzschluß im Gehirn. Erinnerungen werden von
der Bio-Festplatte nochmal abgerufen, direkt ins Ohr
geleitet und gefaket. Das ist neudeutsch und bedeutet:
gefälscht, nachgeahmt. Die Experten könnten das
jetzt genauer erklären, es braucht wohl auch einen
Auslöser, ein Startschußsignal, you know, aber ich,
bin ich Psychologe oder was? Mein Name ist Pit,
ich bin Briefträger, mich gibt es auch als Klingelton
zu kaufen. Wenn Laura, meine schöne Kollegin aus
dem Weltraum zu Besuch kommt, trinken wir immer
Vanilletee, das ist gesund und entspannt; außerdem
ist das hier so üblich, um vier Uhr nachmittags einen
Tee zu trinken mit Amazonen in gelben GanzkörperAnzügen, sogenannt Overalls. Der Katzenhund
frisst auch ordinären Thunfisch aus der Dose, ranzig
drachenmädchen
oder frisch: egal. Hauptsache ist doch, dass wir nicht
direkt an der Autobahn wohnen, da würde man ja
verrückt bei dem Lärm. Nein, wir sind hier schön in
der Innenstadt, wo all die freundlichen Leute uns ins
Wohnzimmer gucken können, da sind wir dann auch
nicht so alleine, wenn wir mit uns selbst sprechen.
Da haben wir dann Publikum, wenn wir mit dem
Spazierstock auf und ab trotteln, tock, tock, tock,
quietsch, andere Richtung, tock, tock, tock, quietsch,
ja, damit kann man sich schonmal einen Nachmittag
lang beschäftigen, das ist noch was anderes, als bloss
vor Langeweile zu saufen. Das Logofon hat immer
noch nicht geklingelt. Komisch. Vor der Tür sind
ein paar 11jährige, ich glaube, die haben gerade einen
Slogan an meine Hauswand gesprüht, ich hoffe, sie
haben silber gewählt als Farbe und ich hoffe, sie
haben sich was einfallen lassen, nicht bloss ihren
Namen und dann: war hier oder so. „Nieder mit dem
Kapital!“ Oder: „Was soll das eigentlich alles?“ Aber
diese Frage stellt ja im allgemeinen keiner mehr. Da
drachenmädchen
macht man sich verdächtig und der Blockwart von
untendrunter meldet das der Geschmackspolizei,
weil denen für ihren Geschmack zu viel geschnüffelt
wird, wenn man so vor sich hin überlegt: häh? Und
diese Sinnkrise manifestiert sich jeden Tag aufs
Neue: wenn man mal drauf achtet, kann man das
hören. Bloss mal zur Tür rausgehen und warten.
Da kommen Menschen an einem vorbei, deren
Kopfgeklapper man hören kann, weil das lauter
ist als das eigene. Wenn man Glück hat, sehen die
einen an und lachen, weil man nicht so aussieht wie
die anderen, weil man keine Frisur hat, oder keine
Rasur, oder nicht mit Bravour der Mode zum Opfer
gefallen ist, weil man sowieso kein Geld dafür hat.
Aber Wärme haben die auch nicht in sich. Kein
Geld mehr gehabt; nach Abzug der Handyrechnung
nichts mehr am Start, was irgendwie Sinn machen
würde. Angefangen hat das so vor 20-30 Jahren,
da haben Menschen noch miteinander gesprochen.
Zum Glück gibt es heute diese Logofone, sogenannte
Logs. Ich bin elf Jahre alt und spiele in einer
Fussballmannschaft, die mich nicht will. Ich sitze
wie immer auf der Bank und der Trainer hat die
merkwürdige Idee, mich fünf Minuten vor Schluss
einzuwechseln. Was ich in diesem Moment noch
nicht weiss: Das macht er, weil er weiss, dass ich
nichts mehr kaputtspielen kann und weil er weiss,
dass ich zwar schnell laufen kann, aber nicht lange.
So hofft er, ich könne mich noch als Wunderwaffe
entpuppen. Als der geheimnisvolle Torjäger, den
man ganz am Ende noch aufs Spiel setzt, damit er
wie ein trojanisches Pferd den Deckel endgültig
draufmacht. Ist aber Quatsch. Pferde können gar
nicht Fussball spielen. Und ich schon gar nicht. Macht
ja nichts, sowieso alles gelogen, ich zieh jetzt meine
Folie aus und häng mich aus, ausserdem hat mein
Log geleuchtet, Gedankenübertragung, ich bin raus.
Bis dahin. Euer Puffi.
puffi
42
Heute.
Da ist also dieser Typ. Oder, vielmehr, ach, ich weiß nicht, wo ich anfangen
soll. Dieser Typ ist ja gar kein Typ, sondern ein Charakter. Ein Original, wie
man sagt. So jemand, den jeder kennt in der Stadt. Weil man ihn regelmässig
sieht. Geredet hat wahrscheinlich noch nie jemand mit dem. Ist ja auch kein
Wunder. Der ist nämlich ein bißchen unheimlich. Wenn man den sieht, dann
läuft er irgendwohin. Immer. Der hat aber nie eine Tüte dabei oder sowas.
So wie der Dicke mit der Pomade aus unserer Strasse, der immer nur zum
Billig-Supermarkt, entschuldigung, Discounter geht und wieder zurück und
nirgends anders hin, weil er vermutlich niemanden kennt und Mama ist auch
schon tot und die Geschwister bekloppt oder vielleicht können die auch
nicht richtig sprechen so wie er oder schlimmer oder so. Aber der, den ich
meine, der hat nie eine Tüte dabei. Oder Jutetasche. Beutel von mir aus. Der
trägt auch keinen Rucksack, der transportiert nichts. Nur sich selbst. Und
vielleicht noch diese Dunstglocke aus tagealtem getrockneten Schweiß, die,
man wundert sich, gar nicht so eklig ist, wie man sich das gerne vorstellen
möchte. Wenn der an einem vorbeigeht, dann denkt man gar nicht: „Iiihh
stinkt der nach Schweiß, der sollte sich mal waschen, sowas Widerliches“,
blablabla undsoweiter, daskenntmanja, sondern man denkt:“Oh. Schweiß.“
Das kennt man ja auch, von sich selbst. Sind ja nunmal alle Menschen. Oder
Säugetiere oder was weiß ich, auf jeden Fall: alle gleiche Sorte. Und dieser
Mann, der hat einen langen Bart. Der Bart sieht genauso aus wie seine
Haare: lang, glatt, splissig irgendwie vielleicht, und aschfahl. Also, blond
möchte man meinen, aber so graublond. Mal gewesen. Früher. Und die Hose,
die der anhat, ist ein bißchen zu kurz. Das war mal modern, dann wieder
nicht, und jetzt ist es das wieder, oder auch wieder nicht, oder auf jeden
Fall schonmal gewesen. Oder so. So eine Capri-Hose. So heißen die. Benannt
nach den berühmten Caprifischern und der Caprisonne, die –das fällt mir
ganz ehrlich jetzt zum ersten Mal auf- ja tatsächlich nach diesem Schlager
benannt sein muß: „Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt“ und
die Schlaumeier nennen ihr Zuckerwasser schön Caprisonne, weil, weiß ja
jeder, was der Durchschnittsdeutsche, vor allem der, der in den Fünfziger
Jahren des letzten Jahrhunderts in Deutschland aufgewachsen ist, also
von all diesem billigen Romantik- und Fernweh-Kitsch, der aber immerhin
funktioniert hat, und auch heute noch funktionieren würde, wenn die Leute
puffi ...
43
ersma drauf kämen, scheiß auf Mallorca, Italien ist wieder in, dann...häh?
Ach ja: Caprihose. Hat der an. Rot ist die. Glaube ich. Vielleicht auch grün
oder blau. Auf jeden Fall zu kurz. Oder auch absichtlich so geschneidert,
jedenfalls zeigt sie seine dünnen haarigen Beine, wenn der so rumläuft. In
der Stadt. Egal welches Viertel. Den siehst Du mal eine zeitlang gar nicht,
dann bist Du in einer Gegend, in die Du Dich bloß reinverfahren hast mit
dem geliehenen Auto, und dann hälst Du an der Ampel an und wer geht
über den Fußgängerüberweg? Der Typ. Also Mann. Der Mann. Den noch nie
einer sprechen gehört hat. Ich nicht, und die anderen, ich hab sie nicht
extra gefragt, aber ich glaube und werfe das jetzt mal hier einfach so in die
Runde: die anderen auch nicht. Der geht an Dir vorbei, grüßt nicht, wäre ja
auch doof, der kennt mich ja gar nicht, was hat der mich zu grüssen, und
dann triffst Du den wieder in der Mensa, in dieser Studentenkantine, wo
die jungen Erfolgreichen Coffee-to-Go trinken und die Langzeitstudenten
versager sich am Stammtisch treffen seit 10 Jahren oder so, statt arbeiten
zu gehen wie sich das gehört und andere das ja sehr wohl auch können,
und da trinkt der Kakao, aber immer alleine. Das alles könnte mir ja auch
fürchterlich egal sein. Aber heute ist was außergewöhnliches passiert. Ist
ja klar: kein Mensch versucht eine Geschichte zu schreiben, merkt dann
zwischendurch, dass er gar nicht in der Lage ist, sich was auszudenken, und
dann ist man noch immer so besessen von authentisch sein, das muss aber
immer alles authentisch sein, das ist so’n Überbleibsel von dem Punkgehabe,
andere sagen „Punkhabitus“, dass man meint, alles müsse immer
authentisch sein, aber dann versuch mal `ne Geschichte zu schreiben und
alles, was in Deinem Kopf ist, ist der Gang dieses Mannes, immer geradeaus,
unbeirrt, jeden Tag, egal welches Wetter, und so eine Geschichte braucht
natürlich einen Höhepunkt, eine Irritation, wie in einer Novelle, uraltes
Schema auch heute noch, und ja, was ist also passiert?
Heute hab ich den Mann, den Typen, in meiner Strasse gesehen. Der geht so
auf dem Bürgersteig, guckt so, als denke er an und für sich an nichts, geht mir
entgegen, vielleicht sogar auf mich zu, dann an mir vorbei, ich zähle: 1...2...
und bei drei hole ich Luft, es sind über dreißig Grad Celsius und da ist der
Geruch: „Oh. Schweiß.“ Und der Mann ohne Namen riecht viel besser als ich.
drachenmädchen
Leben im Konjunktiv
Und dann hat er gesagt: „Es gibt Situationen, die wirken wie verpasste
Gelegenheiten, sind aber keine.“ Ich war verblüfft. In meinem Kopf war das
alles ganz klar: Es gibt Gelegenheiten, und es gibt die Momente, in denen ich
aus Zögerlichkeit, aus Dummheit, aus Feigheit, gar aus falsch verstandener
Höflichkeit oder aus was-weiss-ich-was für überflüssigen und daher ekelhaften
Gründen die Gelegenheiten verpasse, während sie noch kalt lächelnd an mir
vorüberziehen. Ich ärgere mich dann über alle Maßen über mich selbst. „Hätte
ich doch bloss...“ und „wäre ich...“. Hätte ich bloss die Gelegenheit erkannt, und
wäre ich bloss souverän genug gewesen, wäre ich mit mir selbst genug im Reinen
gewesen, um die Situation zu überblicken und richtig einschätzen zu können,
ich könnte jetzt...was auch immer. Und es nervt mich bis ins Mark: Ich könnte
jetzt […] statt […], und […] wäre unglaublich viel besser gewesen als […]. Aber
ich musste ja unbedingt […], weil ich doof bin. Und jetzt hab ich es. Das.
Und es ist einfach nicht so gut, wie das, was ich mir vorstelle verpasst zu haben.
„Es gibt Situationen, die wirken wie verpasste Gelegenheiten, sind aber keine.“
Was soll das überhaupt heissen? Ich wünschte, es wäre Hippie-Gequatsche, dass
ich in gewohnt arroganter, herablassender Art und Weise einfach abtun könnte.
Aber mir schwant, dass da was ran ist. Mehr als mir lieb ist. Denn: Ich denke,
es war eine Gelegenheit, aber zu einer Gelegenheit gehören mehr Personen als
nur ich. Gelegenheiten werden geboren aus Kommunikation. Und sei es nur ein
Schild auf dem steht, dass ich irgendwas ganz Tolles für nur ganz erstaunlich
wenig Geld erwerben könnte; selbst das ist eine Form der Kommunikation. Und
hier komme ich langsam an den Punkt: an den Punkt des Missverständnisses.
Klar denke ich: Eine Gelegenheit ist eine Gelegenheit ist eine Gelegenheit.
Aber vielleicht habe ich auch nicht richtig aufgepasst. Es gibt keine zuverlässige
Instanz, die mir bestätigen kann, dass ich hier-jetzt-unbedingt reagieren,
zugreifen, am Start sein muss. Die einzige Instanz bin ich, und wer bin ich
schon, Dinge zu entscheiden, und das richtig? Eben. Und da stehe ich dann und
verliere mich im „wenn“ und „ob“, bin überzeugt, einen Riesenfehler gemacht
zu haben, weil ich den Schritt nach vorne rausgezögert habe, rausgezögert und
noch ein bisschen gezögert, bis die ‚Gelegenheit’ weg war. Fühle mich wie ein
Idiot, weil in meinem Kopf die Gelegeheit zu einer einzigen Einladung mutiert
ist, eine Einladung nur für mich, und plötzlich ist da so viel Ich in meinem
Kopf, dass ich gar nichts anderes mehr wahrnehmen kann. Als mich. Kurz
drachenmädchen
später bin ich echt sauer auf mich, weil ich, nur mit mir beschäftigt [„Was soll
ich jetzt machen? Was soll ich jetzt machen? Was soll ich...?], paralysiert bloss
dagestanden habe. Vielleicht gelächelt. Oder geblinzelt. Oder mich am Bart
gekratzt und gelächelt.
Aber: War das überhaupt eine Gelegenheit? War es ein Angebot? Hätte ich
wirklich einsteigen können in eine andere Zeitlinie, in eine Parallellrealität, und
wäre die wirklich besser gewesen? Quatsch mit Soose. Es ist, wie es ist, und, wie
er sicherlich meint: Das hat auch seinen Grund. Eine eindeutige Gelegenheit
wäre wohl fast zwangsläufig zu einer konkreten Situation geworden. Lose
Fäden liegen ja im Überfluss überall rum, es kommt nur auf Dich an, ob Du sie
aufnimmst oder nicht. Das ist das Ding. Ja oder Nein. Wenn nicht, dann nicht
und das war’s. No Remorse. Leben im Konjunktiv hat noch nie irgendjemanden
weitergebracht. Mich auch nicht, übrigens. Die Tagträume, die zu Alpträumen
werden, wenn Du sie nicht abschaltest, die Träume davon, was Du hättest
machen können, was Du hättest sein können, taugen allemal als Leitfaden, zur
Orientierung, aber sie erfüllen ihren Zweck nur, wenn Du Dich ihnen immer
mehr annäherst, ganz gleich, in welchem Tempo.
In seiner Logik bedeutet das alles: Wenn es wirklich eine echte Gelegenheit
war, die Du da gerade meinst, verpasst zu haben, dann kommt sie auch wieder,
weil die grundsätzlichen Gegebenheiten sich nicht so schnell ändern, wie Du
befürchtest. Morgen ist auch noch ein Tag. Andernfalls hast Du da was verpasst,
was gar keine Gelegenheit gewesen ist. Etwas, auf das Du keine Aktien hattest.
Von vornherein nicht. Vergiss es: es läuft, wie es läuft. Nicht so, wie es gelaufen
wäre, wenn...oder?
... hat recht.
Zwischen Kontakt und Rückzug, letztlich Isolation. Ma
Gequatsche: Du hast soziale Defizite. So ausgedrückt hö
ich Täter und nicht Opfer. Als hätte ich wieder mal versa
mich anzupassen. Aber ich will mich anpassen.
45 Nicht in
Heute habe ich endlich einen Brief an Oma fertig, an dem ich schon seit 3 Tagen
in der jede Krähe nach der anderen hackt. In der Offenh
rumgebastelt habe. Ich habe ihr geschrieben. Sie soll mich aus dem Kontakt,
Zwischen
Kontakt
unddass
Rückzug, letztlich
Isolation.
ihrem höher
PsychoFremdworte
sind.Marion
In der mit
Egoismus
bewertet wird
Normal. Ich warte ja auch nicht aufden
densie
Bus,
einen Kumpel
undheraushalten.
mitsondern
meinemauf
leiblichen
Vater hat,
Ich glaube
nicht,
Gequatsche:
Dumich
hastist
soziale
ausgedrückt
es sich
an alsMenschen
sei
einSo
lassen.
Oder inhört
der die
meisten
mindesten
somit habe ich Zeit noch etwas zuzuhören.
es mit ihm noch einen Weg der Verständigung geben
kann. Für
dieserDefizite.
ichwill
Täter
und
ichich,
wieder
mal nicht
versagt.
Als seiWenn
ich zuich
blöd
es bloß
zugeben.
die Wahl hätte
Zeitpunkt längst überschritten. Ich denke mal, ich
auch
garnicht
nichtOpfer.
mehr Als
mit hättewie
mich
anzupassen.
Aber
ichich
will mich
anpassen.
NichtLeben
in dieser
Gesellschaft
genug
sein, mein
ganz
alleine zu leben. Mir selbst
Heute habe ich endlich einen Brief an
fertig,
ankein
demStolz,
ich schon
seit 3diese
TagenHaltung
ihmOma
reden.
Es ist
der mich
einnehmen
lässt.
Aber
der jedeLeben
Krähegestrichen
nach der anderen
hackt.
der Offenheit
undfest
Ehrlichkeit
aus
mirInselbst
zu schöpfen,
in mir zu ruhen. Aber di
rumgebastelt habe. Ich habe ihr geschrieben.
Sie soll
ausgehabt,
dem Kontakt,
habe 35 Jahre
das mich
Gefühl
dass er mich ausinseinem
hat.
Fremdworte
sind. In der
höher
als das auf
einander
Ich
binbewertet
gefangenwird,
im System,
in etwas,
das jeder Mensch
den sie mit meinem leiblichen VaterUnd
hat, ich
heraushalten.
glaube
dass Keil zwischen
denke dieseIch
lange
Zeitnicht,
hat einen
uns getrieben,
derEgoismus
sich
ein lassen.
OderVerständigung
in der die meisten Menschen
mindestens
genauso
kaputt sind
Sozialverhalten
und soziale
Strukturen.
Wir werden dam
es mit ihm noch einen Weg der Verständigung
geben
kann.
Für mich ist
dieser
jetzt auch nicht
mehr
überbrücken
lässt.
Der Zeitpunkt
für eine
ich, es
bloß nichtausmacht,
zugeben. Wenn
die Wahl hätte
würde
gerneAhnen
stark mitgegeben
desich
Verhaltens,
das uns
von ich
unseren
Zeitpunkt längst überschritten. Ich ist
denke
mal, ich Obwohl
will auchich
garweiß
nichtdas
mehr
mit Teilwie
verstrichen.
er einen
meiner
Depression
genug Es
sein,
mein
Leben sein
ganz alleineeines
zu leben.
Mir
selbst
genug
zu sein,
Kraft
Rudels
und
sozial
an dieses
Rudel
gebunden. Man
ihm reden. Es ist kein Stolz, der mich
Haltung
einnehmen
lässt.
bindiese
ich heute
entschlossen
den
wegAber
ohneich
ihn zu gehen.
muss
möglich
aus mir selbst zu schöpfen, fest in mir
zu ruhen.
Aber diesegenommen.
Wahl habe Ich
ich wusste
nicht. nicht, woh
schon
in der Kindheit
habe 35 Jahre das Gefühl gehabt, dass
mich
ausohne
seinem
gestrichen hat.
daseralles
auch
ihnLeben
zu bewältigen.
Ich bin
gefangen
im System, in etwas,
dasheute
jeder nicht.
Mensch und jedes Tier hat, das
es bis
Und ich denke diese lange Zeit hat einen
zwischen
unsLKH
getrieben,
deranderer
sich Aspekt
Es ist Keil
das erste
mal im
ein ganz
meiner
Krankheit
Sozialverhalten
soziale Strukturen. Wir werden damit geboren. Es ist Teil
jetzt auch nicht mehr überbrücken lässt.
Der Zeitpunkt
fürDepression
eine Verständigung
angesprochen
worden.
mit Angst- und
Panikattackenund
ist schon
des eine
Verhaltens,
dasdie
uns
Ahnen
mitgegeben
Ich bin
Erzählerin
scheintwurde.
auch nicht
mitTeil
dem Bus fahren zu
ist verstrichen. Obwohl ich weiß dasrichtig.
er einen
Teildiese
meiner
Depression
ausmacht,
Aber
Depression
ist nur
eine Folge auf
Neurose,
ichvon
im unserenDie
eines
und sozial
an dieses Rudel
gebunden. Man hat mir diese Bindung
entspannt.
bin ich heute entschlossen den weg Laufe
ohne ihn
gehen.
Es muss
möglich
seinheißt, das
der zu
Zeit
entwickelt
habe.
Und das
dassRudels
Verhältnis
zwischen
derüberlegen,
Kindheit wie
genommen.
Ich wusste nicht, wohin ich gehöre und weiß
das alles auch ohne ihn zu bewältigen.
mir und meiner Umwelt nicht in Ordnung ist. Ichschon
muss in
mir
ich
es bis
heute nicht.sehe; wie ich
Edda hatte Silvia und Susanne erzählt, dass ich im LKH
Es ist das erste mal im LKH ein ganz
anderer
Aspekt meiner
Krankheit
anderen
Menschen
begegne;
wie ich mich in diesen
Begegnungen
ihnen erzählt, dass mich ihr Verhalten damals nach unse
angesprochen worden. Depression mit
Angstschonwie viel Bereitschaft zum Kontakt ich
andere
sehe;und
wiePanikattacken
viel Nähe ich ist
zulasse;
Die usw.
Erzählerin scheint auch nicht mit
dem Bus
Sie wirkt
verletzt
hat fahren
und ichzubiswollen.
heute nicht
darüber hinweg bin.
richtig. Aber diese Depression ist nur
eine Folge
auf eine Neurose,
die mir
ich im
ausstrahle;
Bereitschaft
etwas von
preiszugeben
entspannt.zusetzen. Neue
ihnen die Einladung, sie auf ein Wochenende zu besuch
Laufe der Zeit entwickelt habe. UndEs
dasistheißt,
das dass
zwischen
schwierig
sichVerhältnis
mit all meinen
Problemen auseinander
abgelehnt, weil die Verletzung noch so tief sitzt und ich
mir und meiner Umwelt nicht in Ordnung
ist. -Ich
muss
überlegen,
Wohnung
aber
mitmir
wem?
Rente – wie
gehtich
sie durch? Geld – wird es für das
Edda hatte
Silvia
Susanne erzählt,
dass ich im LKH
bin. Und
sie hatte
emotionsgeladene
Situation
begeben
wollte. Zum andere
anderen Menschen begegne; wie ichtägliche
mich inLeben
diesenreichen?
Begegnungen
wie ich Rechnungen.
All diesehe;
unbezahlten
Ganz
zuund
schweigen
ihnen erzählt,
dass mich
ihr Verhalten
unserer
sehrbehandelt werde.
erst,damals
als sie nach
wussten,
dassTrennung
ich stationär
andere sehe; wie viel Nähe ich zulasse;
viel Bereitschaft
Kontakt Keine
ich Beziehung,
vonwie
meinen
persönlichenzum
Problemen.
keine Freunde,
keinen
verletzt
undTherapie
ich bis heute nicht darüber
Plötzlich
kam vonGewissen geregt h
sich mit hinweg
diesem bin.
Wissen
ihr schlechtes
ausstrahle; Bereitschaft etwas von mir
preiszugeben
usw.
Halt.
Ich habe zumindest
erst mal entschieden, jetzt
nochhat
keine
ihnenDas
dieGefühl
Einladung,
sie auf ein Wochenende
zu besuchen.
Ich habe
das ausgesprochen w
und die Einladung
aus diesem
Grunde
Es ist schwierig sich mit all meinen anzufangen.
Problemen auseinander
zusetzen.
Erst muss ich
wissen,Neue
wo ich hingehöre.
haben,
abgelehnt,
weil die
Verletzung
nochso
solanger
tief sitzt
ich mich
nichtnoch
in diese
Zeitund
dieses
Angebot
annehmen? Ist es ni
Wohnung - aber mit wem? Rente – zuhause
geht sie durch?
wird esichfür
daseine Therapeutin
zu sein.Geld
Dann– suche
mir
in meiner
Nähe
und
emotionsgeladene
Situation
begebenlanger
wollte.
Zum
kam diese
Einladung
Zeit
eineanderen
Verständigung
nicht
mehr möglich ist? M
tägliche Leben reichen? All die unbezahlten
Rechnungen.
Ganz
schweigen
fange noch
mal an. Aber
was zu
fange
ich da an? Einneues
Leben? Ist es
der
erst,
als sie
wussten,
behandelt das
werde.
vermute
mal,
dass kann, das d
so verhärtet,
ich Ich
gar nicht
mehr
glauben
von meinen persönlichen Problemen.
Keine Beziehung,
keine
keinen
allerletzte
Versuch? Ist
das Freunde,
Leben darauf
reduziert
immer
wieder
von dass
vorneich stationär
mit diesem
Wissen
Gewissen
geregt hat
Person
gilt. Marion
sagt,und
ichdie
binEinladung
ich bin stolz und es ist m
Halt. Ich habe zumindest erst mal entschieden,
noch
keineden
Therapie
anzufangen?jetzt
Immer
wieder
Weg an der Krisesich
zu suchen?
Woher
soll ihr schlechtes
undImmer
die Einladung
aus diesem Grunde
ausgesprochen
wurde. KannHaltung
ich nachtreibet. Aber is
die mich
zu dieser ablehnenden
anzufangen. Erst muss ich wissen, wo
hingehöre.
Das
Gefühl
haben,
dieich
Kraft
kommen,
immer
wieder
neu zu beginnen?
wieder aufs
so langer
dieses Angebot noch Situationen
annehmen?gibt,
Ist esinnicht
so,persönliche
das nach soBeziehungen ause
denen
zuhause zu sein. Dann suche ich mirneue
eineden
Therapeutin
in zu
meiner
Nähe
und Anpassung
steilen Grat
suchen
zwischen
und Zeit
Individualität.
langer Zeit eine Verständigung nicht mehr möglich ist? Meine Front hat
fange noch mal an. Aber was fange ich da an? Einneues Leben? Ist es der
sich so verhärtet, das ich gar nicht mehr glauben kann, das diese Einladung
allerletzte Versuch? Ist das Leben darauf reduziert immer wieder von vorne
meiner Person gilt. Marion sagt, ich bin ich bin stolz und es ist meine verletzte
anzufangen? Immer wieder den Weg an der Krise zu suchen? Woher soll
Eitelkeit, die mich zu dieser ablehnenden Haltung treibet. Aber ist es nicht so,
die Kraft kommen, immer wieder neu zu beginnen? Immer wieder aufs
das es Situationen gibt, in denen persönliche Beziehungen auseinandergehen
neue den steilen Grat zu suchen zwischen Anpassung und Individualität.
Normal. Ich warte ja auch nicht auf den Bus, sondern auf einen Kumpel und
somit habe ich Zeit noch etwas zuzuhören.
44
Nicht ganz schmerzfrei
Eine Lache von Urin in der Bushaltestelle. Es ist heiß. Ich lausche den
Selbstgesprächen.
Gestern bin ich aus dem LKH entlassen worden. Kaum war ich bei Gisela etwas
zur Ruhe gekommen, rief Edda noch mal an. Oma hatte wieder einmal die halbe
Verwandtschaft verrückt gemacht. Im speziellen hat sie natürlich Inge verrückt
gemacht. Bevor ich eingeliefert wurde, hatte ich Oma und Inge bescheid gesagt,
dass ich ins LKH gehen würde. Ich hatte gesagt ich würde mich wieder melden.
Im LKH hatte ich mich dann dazu entschlossen, während der Therapie keinen
Kontakt zu Inge oder Oma halten zu wollen. Sie wollten mich im LKH besuchen
kommen. Aber alles in mir wehrte sich innerlich gegen diesen Besuch. Ich hätte
es nicht ertragen können. Omas Sorge um mich und Inges Hilflosigkeit.
Oma hat ins LKH geschrieben und auch Geld geschickt. Die Briefe sind nie bei
mir angekommen. Also hat Oma auch keine Rückmeldung von mir erhalten und
fing an, sich nun Sorgen zu machen. Schließlich hat Inge bei Edda angerufen
und sich nach mir erkundigt. Also musste ich gestern Abend noch mal raus zur
Telefonzelle.
Eigentlich wollte ich den Zeitpunkt selber bestimmen an dem ich den Kontakt
wieder aufnehme. Ich wollte selber bestimmen, wann ich die Kraft habe, mich
dieser Konfrontation auszusetzen. Aber ich wurde durch Zwang von außen
(Oma macht sich Sorgen) dazu gedrängt.
Oma war nicht zuhause, also rief ich Inge an. Das Gespräch wogte so eine Weile
hin und her und es kam wieder die alte Leier. Wenn wir damals gewusst hätten
was so los war, wären wir eingeschritten. Ich kann es bald nicht mehr hören.
Vom Nachtrauern kann das Versäumte auch nicht wieder aufgeholt werden
und es muss endlich einmal Schluss sein, ständig hinter der Vergangenheit
herzuhecheln. Auch will ich nicht, dass ständig in alten Schubladen rumgewühlt
wird. Ich bin heute soweit, dass ich die alten Geschichten erst einmal ruhen
lassen will. Zumindest innerhalb der Familie sollten sie kein Thema mehr
sein. Ich habe auch im Augenblick nicht die Kraft, mich mit diesem Thema
auseinander zusetzen.
Der Urin stammt von einem rüstigen Rentner, der auf den Bus wartete und
während des Monologes hinter das Bushäuschen pisste. Kein Iro, kein Hund.
vorwort
drachenmädchen
drachenmädchen
nicht ganz schmerzfrei
rosi
Mein Telefon klingelt. Wir treffen uns etwas später. In 10 Minuten wäre er aber
da. Bitte.
Erst fiel es mir schwer, mich zu bemühen und ein Zimmer in einer WG zu
suchen. Es ist das alte Lied gewesen: Aktivität aus eigenem Antrieb und
Veränderung. Am Samstag war ich völlig fertig, körperlich und mental. Aber
jetzt habe ich eine Nacht darüber geschlafen und in mir wächst der Drang, mich
nun zu verändern. Ich will jetzt mein eigenes Zimmer und das Gefühl, wieder
ein zuhause zu haben.
Wenn alles klappt habe ich zum 1.08. ein Zimmer. Es ist keine optimal
Raumaufteilung aber man kann was daraus machen. Das WC ist eine
Katastrophe. Jetzt muss nur noch der Hauswirt zustimmen. Die Lage ist zentral.
Aldi, K+K, Kitzig, Post, Videothek, alles in der Nähe. Allerdings dürfte es wohl
ziemlich laut werden. Die Hannoversche Strasse führt direkt daran vorbei. Am
Freitag gibt es den Mietvertrag und hoffentlich die Schlüssel. Umziehen kann
ich aber noch nicht, weil mein Krankengeld immer noch nicht da ist und ich so
kurzfristig auch keinen Termin beim Stadtmobil kriege. Jetzt hoffe ich, das ich
ein paar Tage bei Marion bleiben kann.
Mein Freund guckte nur komisch auf diese vor sich hin brabbelnde Dame und
schüttelte mit dem Kopf. Ich konnte allerdings etwas für mich mitnehmen.
Danke. <rosi>
Sie steht auf und läuft ein paar Schritte über den Gehweg. Sie erzählt leise etwas
das ich aber nicht verstehen kann und setzt sich dann wieder. Sie wirkt zufrieden.
drachenmädchen
drachenmädchen
für Bands und Dienstleister
www.starkton.de
Wir haben heute mit der N3 telefoniert, Claudia und Bernd sind wieder auf
der Station. In unserer gemeinsamen Zeit, die 7 Wochen dauerte, haben wir
uns gut verstanden. Wir mussten nicht großartig diskutieren. Es war eine
Seelenverwandtschaft da. Wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten, hätten wir
uns gemeinsam umgebracht. Es ist schon spät: 22.30 Uhr. Es ist nicht gut für
mich, an diese Sache zu denken. Sie wühlt mich auf und ich komme nicht zur
Ruhe.
Bärbel hat heute Abend angerufen. Sie will ihre Schlüssel wieder und den
Seidenschlafanzug, den sie mir für` s LKH geliehen hat. Sie machte mir
Vorwürfe, das ich mich nicht telefonisch oder schriftlich gemeldet habe. Aber
beim Schreiben habe ich im Augenblick eine Blockade. Außerdem fühle ich
mich durch diese Erwartungshaltung, die sie an mich hat, unter Druck gesetzt.
Und dann ist da noch ihr Doppelzüngigkeit. Mir erzählt sie, sie will mit mir
zusammenziehen, Gisela erzählt sie genau das Gegenteil. Dann hat sie Gisela
gefragt, ob ich von Edda Geld bekäme. Das ist eine Verletzung meiner Grenzen,
die ich ihr nie zugetraut hätte. Ich kann im Augenblick niemandem in meinem
Leben gebrauchen, der mir so die Energien abzieht wie Bärbel. Außerdem
strengt mich jedes Gespräch mit ihr an und ich habe nicht das Bedürfnis, ihr
mein Innenleben zu offenbaren. Ich vertraue ihr nicht mehr. Ich habe ihr bereits
am Telefon gesagt, das es zwischen uns eine Zeit des Abstandes geben wird.
Und aus heutiger Sicht denke ich, das es auch bei diesem Abstand bleiben wird.
Am Mittwoch hatte ich mit Bärbel eine Aussprache. Wir wollten uns treffen,
damit ich ihr die Schlüssel, die Karte für die Stadtbibliothek und den
Heute morgen habe ich endlich meinen Mietvertrag bekommen. Das Zimmer ist
hell, hat eine Schräge, die allerdings sehr hoch angesetzt ist. Es hat ein Fenster
mit Rundbogen und einen runden Erker. Die Decke ist kunststoffvertäfelt. Eine
Satellitenanlage für das ganze Haus gibt es auch. Ich brauche nur noch einen
Receiver kaufen. Mein Mitbewohner zieht in drei Monaten aus und ich kann mir
jemanden nach meinem Geschmack suchen.
Heute Nachmittag um 16.00 Uhr holt mich Marion ab. Endlich kann ich
dieser Spießigkeit und diesem asozialen Touch entfliehen und muss auch ihr
Doppelzüngigkeit nicht länger ertragen. Sie hat hinter meinem Rücken Bärbel
angerufen und erzählt, wann ich mich mit wem treffe, wann ich in der Eisdiele
bin, das ich 4 Kannen Kaffee am Tag trinke. Dabei hat sie so ganz nebenbei
vergessen zu erwähnen, das ich die ganzen 5 Wochen auch den Kaffee bezahlt
habe. Und das sowohl sie davon mittrinkt als auch ihre Nachbarin. Zu mir
hat sie die ganze Zeit gesagt, ich könne mindestens 6 Wochen bei ihr wohnen.
Bärbel wusste von Anfang an, das ich zum 1.08. bei ihr wieder würde ausziehen
müsse. Zwischendurch hat Gisela schon gefragt ob ich nicht wieder bei Edda
wohnen könnte. Am gleichen Tag am Telefon hat sie zu Bärbel gesagt, das ruhig
noch eine weitere Woche bei ihr wohnen könne. Davon wusste ich wiederum
nichts. Was für ein Kindergarten.
Dann hatte Gisela Bärbel soweit gebracht, das sie ohne mein Wissen zu Besuch
kommen wollte und zu zweit wollten sie mit mir ein klärendes Gespräch führen.
Dem habe ich mich wiedersetzt. Was ist denn das für eine Taktik. Ich lasse mich
nicht auf diese Art und Weise in eine Gruppendominanz hineinpressen.
Label • Verlag • Servicenetzwerk
Ich greife zum Telefon um meinen Freund zu bitten etwas später zu kommen.
Sie schaut mich direkt an und spricht noch etwas leiser.
Seidenschlafanzug zurückgeben konnte. Dabei erfuhr ich, was Gisela so alles
am Telefon erzählt hat. Das sie alleine fürs Wochenende eingekauft hat. Das
stimmt nicht. Ich hatte von meinen letzten 30 Euro Brot und Aufschnitt
gekauft. Und noch einige Sachen mehr. Auf jeden Fall zeugt die ganze
Angelegenheit von Giselas Charakter. Rein äußerlich fällt sie schon voll in das
Bild derjenigen Leute, die man immer auf dem Sozialamt sieht. Äußerlich und
innerlich gleicht sie einer asozialen Schlampe. Neugierig ohne Ende und auf der
anderen Seite dumm wie Bohnenstroh. Als sie Christine im Heim anmeldete
muss sie doch gewusst haben das dass Sozialamt alle Bezüge bis auf das Limit
kürzen würde. Nun jammert sie ganz Belm voll, wie dreckig ihr es doch geht.
Dann das Thema mit ihrem Gewicht. Sie behauptet, das kommt von den
Tabletten. Alles quatsch. Was die an Kuchen und Süßigkeiten in sich reinfrisst.
Bei jedem Bücken muß sie stöhnen, so fett ist sie. Das ist absolut abstoßend.
(ab Auflage 1, inkl. Mastering,
Drucksachen, Konfektionierung
und/oder Versandservice)
auch ohne das ein Streit vorgefallen ist? Könnte ich mich überhaupt noch
nach Greven begeben, in diese Wohnung, in diesen Garten, mit dem so viele
Erinnerungen verbunden sind? Jedes mal, wenn ich an Greven denke, hab ich
die Situationen vor Augen, die in meine und Eddas Trennungsphase fielen. Mir
ist gegenwärtig, wie beschissen ich mich gefühlt habe, weil ich damals bereits
ahnte, das Edda und Christa etwas miteinander hatten. Wenn ich heute nach
Greven ginge, würde ich diese schmerzhaften Gefühle noch einmal durchleben
müssen.
Professionelle CD Produktion
46
Pferdegebiss das die hat, da denkste doch nicht
an Liebe.“ Wen meinsten jetzt“, fragte Chris.
„Na die Hillu, die Alte vom Schröder. Wenn
die sich liften lässt, sieht die aus wie Michael
Jackson. Ha Ha.” “Hast Du gesehen, was der
Jackson für Pyjamahosen anhatte. Har har, das
war zu komisch, da hat der tausend Millionen
und läuft dann in so hässlichen Pyjamahosen
rum. Ha Ha.“ „Was machst Du dich denn so
lustig? Du mit deinen Baumwollhosen siehst
doch auch nicht besser aus.” „Das stimmt,
aber ich verdien ja auch nur 1800 im Monat,
ha ha.“ Danny nahm noch einen Schluck Bier.
„Scheiße, schon wieder alle. Willste auch noch
eins?“ Chris schaute auf sein Glas, nickte
und nahm einen großen Schluck. „Hey Chef,
bring uns noch mal zwei Bier!“ Mit Chef war
ich gemeint. Ich stand hinter dem Tresen und
zapfte Bier. Die beiden saßen an dem Tisch
direkt vor der Theke. Ich zapfte zwei weitere
Pils für die beiden und brachte sie ihnen an
den Tisch. „Das ging aber schnell, Chef. Auf
den prompten Service!“ rief Chris und prostete
dabei Danny zu.
Ich ging wieder hinter meine Tresen und
schaute dabei auf die Uhr. Erst halb elf. Bis
zum Kneipenschluss würden noch ein paar
Stunden ins Land ziehen.
An der Theke hatten es sich in der Zwischenzeit
zwei Studenten der örtlichen FH bequem
gemacht. Beide waren Anfang Zwanzig und wie
es sich für diese Stadt gehört, waren sie dem
neusten H&M Trend entsprechend gekleidet.
Der eine, der links saß, hatte schwarzgefärbtes
Haar, welches er eloquent zurück gegelt
hatte. Sein Kompagnon hatte blondes Haar.
Seine Frisur nannte man seit geraumer Zeit
Beckham- Iro. Wahrscheinlich wollte er wie
Robbie Williams aussehen, das wollen ja viele
zur Zeit, doch es reichte bei ihm bloß zu
Thorsten Fink. Ihr wisst schon, der ehemalige
Fußballer von Bayern München, der immer mit
vorwort
drachenmädchen
Stefan Effenberg und Olli Kahn in Münchens
Edeldiscos abstürzte. Aber so sahen jetzt ja
viele aus. Sie bestellten beide ein Cola- Bier.
„Und was hast Du so gemacht in den Ferien?“
„Ach, ich habe ein Praktikum gemacht, in einer
Werbeagentur in Frankfurt.“ „Cool Mann, das
ist ja echt der Hit? Was hasten da gemacht?“
„Och, nicht so viel. Ging auch nur einen
Monat. Die meiste Zeit habe ich mit Tom, so
heißt der eine Teilhaber, Kundenprofile erstellt.
So Marktforschung. Die versuchen immer die
neusten Trends aufzuspüren, damit deren
Werbekampagnen auch voll einschlagen.“ „Eh
echt, das ist ja cool. Und was ist der neuste
Trend?“ „Na ja, der hat noch keinen Namen.
Es muss halt jung und frisch rüberkommen,
aber trotzdem preiswert irgendwie. Die Leute
haben ja auch nicht mehr so viel Geld in der
Tasche. Mit den ganzen Arbeitslosen. Die
werden doch immer mehr, und da wächst
natürlich ein ganz neuer Markt heran. Früher,
als es der Wirtschaft noch gut ging und alle
Arbeit hatten und Geld und so, da konnte das
alles exklusiver sein und teuer. Aber jetzt, da ist
das echt schwierig. Die Leute kaufen ja weniger.
Die müssen jetzt genauer schauen, was sie mit
ihrem Geld machen. Da schauen die natürlich
viel genauer, was das alles kostet und kaufen
natürlich das, was am billigsten ist.“ „Ja stimmt
man, ist echt scheiße zur Zeit. Mein Alter hat
auch nicht mehr so viel Geld und hat mir jetzt
auch die Unterstützung gekürzt. Da muss ich
jetzt auch schauen, was billiger ist.“ „Siehste!
Aber du kaufst dir doch auch keinen Scheiß aus
dem 1,-Euro Laden. So billig darf es dann auch
nicht sein.“ „Genau!“ „Und das ist ja jetzt das
Problem der Werbeindustrie. Die müssen da
jetzt drauf eingehen, das die Leute nicht mehr so
viel Geld haben, nur so nen Türkenbillig Scheiß
will auch keiner haben. Gut aussehen muss es
trotzdem. Die Leute haben ja auch Ansprüche.
Die haben vorher viel mehr Geld gehabt und
Kneipengespräche
“Ha Ha, Jobgipfel. Körperschaftssteuer
runter, Unternehmenssteuer runter, aber die
Tabaksteuer erhöhen sie immer weiter. Mit
uns Rauchern kann man es ja machen.“ Zornig
griff er nach seinem Bier und trank hastig
einen großen Schluck. Hat sich dein Scheiß
BVB doch noch gerettet, Chris. Da steckt doch
die Mafia dahinter, das die noch ne Lizenz
kriegen. Da stecken doch die Jugos dahinter.“
„Ach Danny, halt doch das Maul. Du hast doch
keine Ahnung. Solltest nicht soviel Scheiße
erzählen, sonst ergeht es dir wie der Simonis.
Har Har. Das hat die voll verdient, die blöde
Sau.“ „Was hat denn die Alte mit dem BVB
zu tun? Aber gerecht geschieht ihr das schon.
Wie die schon aussieht. Die könntest Du mir
nackt auf den Bauch binden und ich würde
keinen hoch kriegen?“ Lachend klopfte er
sich auf den Oberschenkel. Chris, der gerade
einen Schluck Bier zu sich nahm, versuchte
das Lachen zu unterdrücken, schaffte es aber
nicht und prustete das Bier auf den Tisch. „Ha
ha, du Vollidiot. Nicht mal trinken kannst
du.” „Ha ha, Halst Maul! Die Simonis nackt,
Bäh!. Die ist ja fast so schlimm wie die Merkel.
Da geht einem doch alles ab. Deren Männer
sind bestimmt schwul.“ Danny fingerte eine
Zigarette aus der Schachtel, griff nach dem
Feuerzeug und steckte sich die Zigarette an.
Chris nahm noch einen Schluck Bier. „Aber sag
doch mal, das ist doch scheiße alles. Da sperren
die für den Bush ne ganze Stadt ab, das kostet
Millionen und bei Opel müssen die Leute
gehen. Aber für den Bush, das Arsch, da haben
sie die Kohle übrig. Da geht es ja ums deutschamerikanische Verhältnis. Das da Tausende
jetzt auf der Straße stehen, das juckt die in
Berlin doch nicht. Unser toller Herr Schröder
kauft sich einen Hund und adoptiert ein Kind.
Bringt es wohl nicht mehr, ha ha, der Saftsack.“
„ Na das musste doch aber verstehen. Bei dem
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drachenmädchen
vorwort
vorwort
drachenmädchen
der Typ heute morgen. Es hat natürlich mal
wieder länger gedauert auf dem Amt...“ „Wie
immer...“murmelte Danny. „...und ich dass da
acht Uhr morgens vor den Media Markt, wenn
es da an dem Tag keine Mehrwertsteuer gibt,
um sich einen neuen DVD- Player zu kaufen.
Director? Keine Ahnung, aber hört sich ganz
schön hochgestochen an. Aber doch schon
irgendwie besser als ‚Gas-Wasser-ScheißeInstallateur’, findest Du nicht“, fragte Danny
grinsend. „Da haste schon recht, Du Arsch!“
sagte Chris und musste lachen. „Office Chief
Producer Assistant hört sich schon besser
an, als ‘Gas-Wasser-Scheiße-Installateur’,
aber der ‚Gas-Wasser-Scheiße-Installateur’
fliegt mit Sandra und der Arbeitsamtkohle auf
die Malediven und macht den Rest schwarz,
während der Chief Producer Assistant auf die
neusten Sonderangebote bei Saturn wartet und
sich dabei umschulen lässt!“ Als er das gesagt
hatte, musste Chris losprusten und fing lauthals
zu lachen an. Danny tat es ihm gleich und fing
ebenfalls zu lachen an. „Mach mal zwei Klare
klar!“ rief mir Danny zu und musste dabei noch
mehr lachen.
Ich blickte auf die Uhr. Halb eins. „Noch eine
halbe Stunde“, dachte ich zufrieden, drehte
mich zum Schnapsregal um und griff nach dem
Doppelhäuser.
habe morgen um acht Vorlesung.“ „Um acht
Uhr schon Vorlesung? Man, das ist echt früh,
aber Du bist ja auch eher der Strebertyp.“ Er
grinste. „Hey Barkeeper, die Rechnung bitte.“
Sie bezahlten ihre Cola- Biere und verließen die
Kneipe.
„Hey Chef, bring uns noch mal zwei Bier“,
schallte es vom Tisch vor der Theke. Ich zapfte
zwei neue Pils und brachte sie Danny und Chris
an den Tisch.
„Chef, bist heute voll im Rekordzeitfieber, ey
echt.“ Dann wandte er sich wieder Danny zu.
Ich räumte die beiden leeren Gläser ab und
stellte mich wieder hintern den Tresen.
„Habe ich dir schon von dem Typen erzählt,
den ich heute morgen im Amt kennen gelernt
habe?“ „Nö“ antwortete Danny und fingerte
sich eine Zigarette aus der, auf dem Tisch
liegenden, Zigarettenschachtel. „Ist kein
Problem Danny, kannst dir ruhig eine Zigarette
nehmen. Brauchst nicht zu fragen. Nee, also,
kam, ist die Firma in der er gearbeitet hat, auch
pleite gegangen und er war natürlich arbeitslos.
Und jetzt findet er nichts, weil die Branche
voll am Boden ist. Der muss jetzt sogar eine
Umschulung machen.“ „Krass. Aber, der ist
doch voll das gute Beispiel. Der hat doch
früher bestimmt einen guten Lebensstil gehabt
und den will er jetzt doch nicht aufgeben. Das
wäre doch auch voll die Niederlage für den.“
Er nahm einen großen Schluck von seinem
Cola- Bier. Dann steckte er sich eine Gauloises
Legère an und sprach weiter: „So persönlich. Ist
bestimmt Top ausgebildet und so und echt fit in
seinem Metier und muss sich jetzt trotzdem in
der Schlange im Arbeitsamt, mit den ganzen
Pennern zusammen, anstellen. Der will doch
nicht zu den Verlierern gehören! Und das will
der doch nicht, daß das jemand sieht. Und
der ist jetzt ja ne ganz neue Zielgruppe. ‚Geiz
ist Geil’ und so, ist ja eher was für Friseusen
und Heizungsbauer. Die stellen sich da um
halt so rum und musste warten bis ich dran
bin und neben mir saß so ein junger Typ. Der
war so Mitte Zwanzig. Sah eigentlich ganz
gepflegt aus. So ein Geleckter halt. Der sah
aus wie so ein Möchtegern Robbie Williams.
So mit diesem Pseudo Irokesen. Mann, dem
hätte man früher echt das Fressbrett poliert
für diese Frisur. Aber ist ja alles nicht mehr so
wie es war. Ist ja alles hip jetzt.“ Dabei musste
er bitter lachen und trank noch einen Schluck
aus seinem Bierglas. „Jedenfalls“, fuhr er fort,
„kam ich irgendwann mit dem ins Gespräch.
Was er denn hier so macht, habe ich ihn gefragt.
Naja, arbeitslos, wäre er, hat er geantwortet.
Und so kamen wir ins Gespräch. Früher
hatte der mal bei einer IT- Firma gearbeitet
und voll die Kohle gescheffelt. Hat auch viel
mit Aktien gemacht damals, am neuen Markt.
Und als das dann alles den Bach runter ging,
machte halt seine Firma pleite und er wurde
entlassen. Seine Aktien waren natürlich auch
voll für´n Arsch, da er auch nur in so Start- Up
Klitschen investiert hatte und die sind ja alle
abgeschmiert wie die Fliegen...“ „Boah, hör
mir bloß auf damit, da kann ich dir was...“ „Um
dich geht’s jetzt doch gar nicht“, unterbrach
ihn Chris entrüstet. „ Na jedenfalls, ist der jetzt
arbeitslos und die ganze Kohle die er im Boom
gemacht hat, ist auch weg. Und jetzt hockt der
da auf dem Arbeitsamt mit irgendeinem Job,
den die auf dem Amt gar nicht kennen. Office
Director Assistant oder so, hieß dem seine
Tätigkeit und so was sucht ja niemand. Und
der findet auch nix. Und irgendwie schwarz
was nebenher verdienen könnte er damit auch
nicht, meinte er. Jetzt muss er eine Umschulung
machen. Arme Sau. Office Assistant Director.
Was soll das denn überhaupt sein?“ Danny
zuckte gelangweilt mit den Schultern, zog ein
letztes Mal an seiner Zigarette und drückte die
Zigarette dann im Aschenbecher aus und trank
einen großen Schluck Bier. „Assistant Office
Aber dein Kumpel will sich doch nicht mit
so nem Handwerker um einen DVD- Player
prügeln. Wollte ich auch nicht. Der will schon
was Exklusives. Der will unter sich bleiben.
Und das ist ein ganz neuer Markt für die
Werbung. Lifestyles kreieren, die zwar exklusiv
erscheinen und trotzdem bezahlbar sind, auch
für nen arbeitslosen IT- Fuzzi.“ „So wie H&M
oder was? Das sieht ja auch nicht so billig aus,
ist aber trotzdem bezahlbar. Da hat ja jetzt
auch der Lagerfeld Mode für entworfen.“
„Ja, so in der Art. Natürlich schon ein
bisschen anders, aber schon Lagerfeld für den
kleinen Geldbeutel. Das ist halt die Zukunft.
Machen doch alle. Selbst Mercedes baut jetzt
Kleinwagen.“ „Stimmt!“ Er schaute auf sein
leeres Glas, dann auf die Uhr auf seinem
Handy. „Lass mal bezahlen. Ist schon spät, ich
jetzt mit weniger in der Tasche, müssen die
natürlich die Ansprüche runterschrauben,
aber so aussehen, wie ein arbeitsloser Penner
will auch niemand. Auch wenn sie es sind.
Arbeitslos ist doch echt das Letzte. Da biste
voll marginalisiert.“ „Biste was? Margi... was?“
„Marginalisiert heißt das! Im Abseits stehen
halt.“ Er nippte an seinem Cola- Bier unf fuhr
fort: „Arbeitslos hat ja auch einen schlechten
Ruf. Das waren früher nur Penner, Alkis und
so, die arbeitslos waren, und die ganzen faulen
Schmarotzer, die nicht arbeiten wollten. Aber
jetzt sind das da auch gute Leute dabei. Denen
halt gekündigt wurde, weil es der Firma so
schlecht geht, und nicht weil die schlecht
gearbeitet haben.“ „Ja, stimmt. Ein Kumpel
von meinem Bruder, der hat früher in der ITBranche gearbeitet und als der Börsencrash
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drachenmädchen
vorwort
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Trolley-Koffer
Ich hasse Trolley-Koffer. Sie sind die Geißel der Menschheit, die Pest auf den
Bahnhöfen und Flughäfen dieser Welt. Gezogen von stupiden Menschen, die
nicht zu begreifen scheinen, daß der Kurvenradius ihrer rollenden Bomben
viel kleiner ist, als ihr eigener.
Ursprünglich waren Trolley-Koffer eine Koryphäe, die man eher den über
sechzig-Jährigen zugeordnet hätte. Sie waren meist schottisch kariert,
eckig und die Radgröße überstieg wohl häufig das polizeilich zugelassene.
Für das soziale Gefüge waren sie aber nicht weiter beachtenswert, da
ihre Aufgabe fast ausschließlich darin bestand, Schwarzbrote, Rothändle
Packungen und Corega Tabs-Familienpackungen von Tante Emma nach Hause
zu hieven.
Irgendwie haben diese an sich ja so harmlosen Dinger es aber dann
geschafft, sich in die „junge“ Generation einzuzecken. Jetzt gibt es
plötzlich Sporttaschen mit Rädern, Rucksäcke mit Rädern, Reisetaschen mit
Rädern und, davon gehe ich aus, wohl auch Schminkköfferchen mit Rädern.
Und warum? Sind wir alle so faul geworden, daß es die gute alte Jutetüte,
der klassische Rucksack oder Opas verstaubter Lederkoffer nicht mehr
bringen? Oder hat sich das Gewicht, daß wir im Durchschnitt mit uns
rumschleppen etwa erhöht? Wohl kaum, denn so weit ich mich erinnern
kann, habe ich noch nie einen Kiepenkerl mit Rollen an seinem Korb oder
einen Reinold Meßner mit Rädern an seinem Bergsteigerrucksack gesehen.
Sollte es also wirklich so sein, daß diese Dinger nur verkauft werden,
damit man seine Mitmenschen damit quälen kann? Sind sie eine geschickte
Erfindung der Kommunisten, um das kapitalistische Regime sich selbst
zerstören zu lassen? Oder werden darin etwa alte Brennstäbe aus diversen
Ostblockstaaten versteckt?
Ein Trolley-Koffer verlängert einen Menschen um das drei- bis vierfache
und erhöht damit natürlich auch das von ihm beanspruchte Platzvolumen.
Er bewegt sich in einer schmerzhaften Höhe von ca. 50 Zentimetern, was
ungefähr dem Bereich zwischen Fuß und Knie entspricht, grundsätzlich
im toten Winkel und verursacht Verletzungen wie überrollte Zehen,
abgeschürfte Schienbeine und geprellte Knie. Von seiner Eigenschaft als
Stolperfalle ganz zu schweigen, was den Verletzungsradius dann auch auf
ausgeschlagene Zähne, aufgeplatzte Schädeldecken oder gleich abgetrennte
timmi und die trolleypathen
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Gliedmaßen erweitert. Hinzu kommt die psychische Belastung durch den
Stress, dem man ausgesetzt ist, wenn man ständig wie ein Hürdenläufer
zwischen diesem Trolley-Terror hin- und herslalomt. Man hat auch schon
von Opfern gehört, deren Kiefer zerbarst, weil ein Ellenbogen, dessen
Besitzer gerade, wie beim Nachladen einer Pumpgun, den, wahrscheinlich
ergonomisch geformten Griff, nach oben herauszog und dabei genau
in‘s schwarze traf. Es versteht sich von selbst, daß ich da einfach mal
Bösartigkeit unterstelle.
Sollte man an Bahnhöfen und Flughäfen nicht Sonderbereiche (oder
besser „ausgesonderte“) Bereiche für Trolleykofferbenutzer einrichten?
Brauchen wir nicht wenigstens ein Verkehrsleitsystem was das unschuldige
Freiwild von diesen Raubtieren absondert? Können wir diese asozialen
Sicherheitsrisiken nicht einfach verbieten oder wenigstens die Todesstrafe
für die Benutzung verhängen?
Und ganz nebenbei: wer hat sich eigentlich diesen beschissenen Namen
ausgedacht? „Trolley“ ist so schmerzhaft nichtssagend. Wenn es wenigstens
„Rollikoffer“ geworden wäre, was einen potentiellen Käufer schon wegen des
„süßen“ Namens abschrecken würde. Oder „Trolli“ womit dieser Wahnsinn
dann als rosafarbenes Accessoire auf ewig in die Kinderzimmer dieser Welt
verbannt wäre.
Habe ich schon erwähnt, daß Trolleykoffer nebenbei auch noch total laut
sind und die Schmerzgrenze von 120 Dezibel ganz locker sprengen, wenn
man gezwungen ist, hinter, vor oder neben einem Trolleypathen laufen zu
müssen und nicht das Glück hat, einen glatten Untergrund belaufen zu
dürfen?
Ist eigentlich noch niemand auf die Idee gekommen, daß sich Trolleykoffer
hervorragend zum Verstauen von Bomben, Kettensägen und anderen
Utensilien eignen, die man heutzutage braucht, um als Sicherheitsrisiko zu
gelten? Anscheinend nicht, denn sonst wären die Tage, an denen öffentliche
Plätze mit ihren Anblick verschandelt würden, wohl bald gezählt...da läßt
sich doch bestimmt was machen.
drachenmädchen
Marco Schnell
Ich habe mich gerade rasiert und übergieße mich jetzt gerade in diesem
Moment mit Benzin. Wenn sie da rauskommt, weiß ich so ungefähr was vor
sich geht. Sie steht vorm Spiegel und ihre Angst isst mit. Sie kommt rein,
wie ein aufgeblähter Finnwal und nur ich bin ihr Atlantik. Ich weiß um so
einiges was sie betrifft, aber nichts angeht. Mein Appetit hält sich auch
länger schon in Grenzen. Weiß nicht wohin mit all dem Zeug. Sie stellt wohl
zu viele Fragen wie „Wann denn mal nicht?“ Ich war vermutlich nie lang
genug allein, um mal zu wissen, wie das wirklich ist. Aber das hält mich
ja auch von so einigem ab. Das weiß ihr dann doch wieder zu gefallen. Sie
bedient, sexy wie gewohnt und noch immer nicht erwartet, den Fernseher
und ich sitze bloß dumm rum. Mit einem Instrument auf meinem Schoß und
immer noch Füßen ohne Strümpfe. „Noch kurz zum Föhnen muss ich rein.“
„Wie lange noch bei Dir?“ Ich also rein irgendwann nach ein, zwei Liedern
und sechs Minuten TV. Ich weiß genau was sie jetzt macht. Sie zerstört ihre
Frisur, die bisher noch keine war und macht sich fertig. Sich und andere.
Sie wittert ein Verbrechen, das in ihren Haaren steckt und lässt nichts
unversucht. Was sie dabei erreichen will, habe selbst ich noch nie gesehen.
Interessieren würde es mich ja schon mal, aber das dauert mir wohl zu
lange. Jetzt wieder meine Angst. Esse Müsli mit Quark. Ich spüre den Brei
langsam hochsteigen und dann fällt alles von mir ab. Eine Last, gefolgt von
Befreiung. Ein Siegesrausch. Ein wirkliches Gefühl. Schaue auf mein Handy.
23:47 leuchtet es da leicht bläulich. Eigentlich ist es sogar ziemlich grell
und ungemütlich. Aber wer setzt sich schon freiwillig auf sein Handy. Ich
nicht, weil ich es noch brauche. Wir sitzen gleich im Auto und sind ganz
schön verliebt…
Ich hasse es, neben schönen Menschen Auto zu fahren. Der Airbag würde
bestenfalls mein Profil retten. Meine Knie pressen sich an die Heizung, die
nur Krach schlägt. Wird sie jemals unerwartet vor meiner Türe stehen und
mein Handy in Aufregung versetzen? Sie ist unzufrieden. Und ich kann das
nicht verstehen, schließlich ist sie ja gewissermaßen im selben Raum. Wie
kann so was überhaupt sein? Plötzlich erreicht mich eine Kälte. Pass´ auf,
wenn Du von mir ablässt! Du könntest bemerken, wie kalt es hier bei mir
ist. Und dieser Kälte entkommst Du nicht, indem Du die Heizung aufdrehst.
Neapel sehen und sterben…
marco schnell <schwalbenmö[email protected]>
marco schnell <schwalbenmö[email protected]>
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magdalena
wir befinden uns mitten in der stadt in der wir leben, laufen langsam
gemeinsam durch die unzähligen schluchten moderner architektur.
„und so jetzt?“ frage ich ihn an, und hoffe die schallwelle meiner stimme
wird sein gesicht eindrücken, verändern, es ihm nicht lassen. ihn gegen die
wand schleudern vor der wir stehen, ihm nicht die möglichkeit auch nur der
kleinsten bewegung gönnen. deformierte zähne, froschaugen, segelohren,
seine haare sollen wie von einem orkan ausgerissene bäume davonfliegen. ihn
als glatzköpfigen gnom zurücklassen.
kann mich selbst nicht ernst nehmen, höre die souffleuse aus ihrer in meinem
hinterkopf gegrabenen lücke „falscher text, falscher text“ flüstern, bis es
sich zu einem schrei des regisseurs ausweitet, licht, kulisse, komparsen,
alles okay, falscher text, unglaubwürdig, täuschend, trügerisch, wie zoos
zur artenerhaltung, sektpartys zum spendensammeln, krieg für frieden, sex
für die jungfräulichkeit, wie trauernde, denen die tränen vor lachen aus den
augen quellen, als wollten sie gleich mit raus, um den anblick ihrer eigenen
verlogenheit nicht mehr ertragen zu müssen.
es ist ein wunder das ich mich ohne rückgrat immer noch auf den beinen
halte, in seine augen starre und seine worte höre.
warum sollte ich zuhören? warum sollte ich etwas sagen?
schweigend guckt er mich an. wartend.
diskrepanz in den eigenen reihen.
„warten?“ worauf denn, dachte ich noch kurz, als ich seine hand losließ und
vorwort
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wegging. „wenns schimmelt wird’s gefährlich.“ kam mir auf einmal in den
sinn. ein satz den meine freundin heute zu mir gesagt hatte, als wir über
küchenhygiene sprachen.
ich muss aufräumen. wendete den kopf in die andere richtung und lief los.
kopfsteinpflaster. ziellos fliegen vögel über mir, während haare in meine
augen fallen. ein auto hinter mir, sein geruch in der nase.
schnelles laufen durch eine unbemerkte umgebung. tauben, autos, regen.
endlich zuhause, fenster öffnen. kaffee kochen, dann mal weiter schauen.
bringt nichts neues, immer noch dieselben vier wände mit tür die mich
umgeben. im radio sagt der sprecher, das auf der autobahn 4 ein kind auf der
fahrbahn spielt.
ich weiss noch nicht mal wo das ist und zum spielen hab ich auch keine lust.
der kaffee ist heiß, eine letzte tasse, bevor ich los muss. arbeiten.
die sonne steht knapp unter den giebeln der umliegenden häusern. ihre
strahlen beschreiben die konturen der gebäude, vor dem hintergrund der
aufziehenden regenwolken. ich laufe langsam. bleibe auf dem weg zur ubahn vor einem buchladen stehen und nehme ein buch aus der auslage.
„vegetarisch kochen – vollwertkost geniessen“. auf dem cover ist ein gericht
abgebildet das scheinbar nur aus salatblättern und körnerhäufchen besteht.
liebevoll garniert mit einer zur rose geschnitzten karotte.
ich hasse gesundheitsvegetarier.
In der u-bahn kaufe ich eine strassenzeitung von jemanden der schon an der
nächsten haltestelle wieder ausgestiegen war.
arbeiten. den lebensunterhalt verdienen. sich nützlich machend beteiligen.
beteiligen an dem grossen traum. wohlstand für alle. glücklich leben. den
drachenmädchen
teil vom kuchen ergattern. sich einreihen in die front der arbeiter. in die
gesellschaft. ihr ein nützliches glied sein. in talkshows sitzen und aufzeigen
wer vater staat und mutter land ruiniert. warum alles kaputt geht. ohne
zu erkennen das wir uns wie in einem schleudersitz unaufhaltsam einer
betonwand nähern, kein notausgangsschild, keine pfeile nach draussen,
keine ausstiegsluken, eingeschlagenen scheiben oder doppelte böden. sie
zeigen stattdessen wer die wahren mörder unserer eltern sind. wo sie sitzen.
auf parkbänken. auf anklagebänken. in arbeitsagenturwartezimmern und
auf bahnhofsvorplätzen. ein glied dieser gesellschaft die sich selber frisst.
die mehr neid versprüht als feuer funken. die kollektiv der lüge folgt. ihr
zustimmt, sie trägt. jede sekunde ihres lebens.
unmöglich geschlossen zurückzutreten. alle warten auf den ersten moment
schwäche, das zuckende augenlid, die erschlafende bewegung. ich wünschte
wir wären schneller, die wand nur millimeter entfernt, das ende wirklich
zum greifen nah. doch der pilot ist gerissen, reisst das steuer im letzten
augenblick nach rechts. nennt es freies europa. 25 statt 15. und alle wollen es
erleben. mehr arbeit für weniger geld trotz ausreichender güter. der pilot hält
am drive-in. kauft das maxi menü mit extra wurst, lässt sich einen aufschlag
geben. bedankt sich, hinterlässt einen guten eindruck. die frisur sitzt. mit
allen wassern gewaschen. ob spree, themse, po oder seine.
so in etwa sieht es aus, denke ich. dennoch ziehe ich waren über das
fliessband. monotones piepen. bestätigung der wahrnehmung. danke
technik. eine letzte untrügliche konstante. mein namensschild suggeriert die
überwindung der anonymität und ei rentner fragt mich wo die rosinen sind.
bei den müslizutaten sage ich und er glaubt es.
drachenmädchen
neonlicht wirft blasse schatten durch die lücken, die regale,
dosenbierpaletten, frischobstabteilungen, sonderangebotsstände und
wühltische von dem kahlen raum übrigliessen. 4 stunden lang sauge ich dieses
leben in mich auf. wie in einen abfluss muss alles in mich herein. wie in einem
betonmischer verschwinden die linien der eigenen grenzen. wie in einem fluss
aus mir selbst treibe ich entlang. ich bin nur die person die ware über das
fließband zieht und auf das piepen wartet. manchmal liebe ich es diese person
zu sein.
einheitskleidung und exakte aufgaben lassen mich verschwinden. lassen nur
das nötigste zurück. nur meine fahrkarte nach hause. meine fahrkarte in die
geborgenheit. in die mutmaßliche, gezwungene natürlichkeit der dinge. in den
sinn des lebens, der manchmal so einfach scheint das ich schreien möchte.
das ich die fahrkarte weder abstempeln, noch zurückgeben will. das ich sie
einfach nur behalte, niemals benutze, mit der hand berühre, wenn ich sie wie
nebensächlich in der tasche verstecke.
es ist dunkel. der heimweg gesäumt von schatten, die die strassenbeleuchtung
wie zur belustigung des asphalts, wie eine aufführung hinter einem
vorhang, wie eine schmierenkomödie unter wasser auf den nassen strassen
hinterlassen.
man sollte nachts leben. da ist die welt nicht so voll, ging mir durch den kopf
als ich nach hause fuhr. ich horchte in die stille und hörte nur die kälte.
heute ist schlussverkauf, sie haben noch nichts? nehmen sie mehr, mehr als
sie tragen können. als sie ertragen können. heute ist alles egal. die welt steht
kopf und wir gehen mit, auf armen laufend, reicht euch die füsse, bewohner
dieses wunderbar blauen planeten, kann man super sehen wenn man gerade
vorwort
56
mal nicht seine zeit auf dem boden der tatsachen totschlägt. ein sprung, ein
flug, ein gedanke, ein sturz.
aus unvorstellbarer höhe. mit unvorstellbarer geschwindigkeit, luft wird zu
wasser, wolken zu stein, regen zu glassplittern. mit beiden beinen auf dem
boden stehend schaut man hoch und fragt sich was man da oben nochmal
wollte, gemacht hat, wie man überhaupt da hingekommen ist. blackout,
filmriss, verlust der kontrolle, unzurechnungsfähigkeit, entschuldigung für
fast alles.
woran ich mich nicht erinner, ist nie passiert. fühlen genügt mir. hinten
anstellen in unserer polonaise die sich leben nennt. und wenn sie gerade
stehen, reichen sie mir bitte einen regenschirm, die tropfen beginnen
unangenehm zu werden, schlagen mir in die augen, machen mich blind. danke.
stop. fahrradschloss. türschloss. zu hause.
endlich eingeschlafen
„ich hab dich nicht vergessen. hab nur das gefühl losgelassen. oder es
verliess mich. ich bin froh das es so ist. mir geht es gut. dennoch sitze ich
mit dem rücken gegen das sofa gelehnt in meinem zimmer und höre deine
lieblingsplatte. wir kennen uns nicht besonders gut. vielleicht ist sie es
gar nicht. vielleicht magst du sie gar nicht mehr. ich glaube ich stehe der
melancholie einfach zu nahe als das ich dich nicht nutzen dürfte, in gedanken
zu versinken. jemand singt „i`m in love with my sadness“ und ich weiss was er
meint.“
du wirst diesen brief niemals erhalten.
regen trommelt gegen die scheibe. ich weiss nicht genau wie spät es ist. der
verkehr vor meinem fenster beruhigt sich. ich schätze sieben uhr. ich stehe
auf, drehe die musik lauter und setze mich wieder hin. die zigarette verglüht
im aschenbecher, während ich die anzeige der anlage beobachte. 2:54, 2:55,
2:56, 2:57. und ende. es ist ein popsong. radiokompatible länge. doch er
wird niemals dort gespielt werden. er ist einfach zu traurig. Niemadn möchte
traurig sein. es klingelt an der tür und ich öffne sie. meine beste freundin
betritt die wohnung. sie dreht die musik etwas leiser, nimmt die zigarette aus
vorwort
57
dem aschenbecher und setzt sich auf einen stuhl.
„du darfst dich jetzt nicht verstecken“, teilt sie mir mit und ohne es zu wissen
hinterlässt dieser satz die begierde einen wunsch zu stillen. ich will mich
nicht verstecken. ich will an die oberfläche. an die oberfläche der menschen.
weitergehen bis jemand ruft, „was machen sie da, sie haben da nichts
verloren“; als wenn er das wüsste.
falsche meinungen. falsche ansichten. meine falsche oberfläche umgibt mich.
beherrscht mich mit zu grosser verständlichkeit als das ich sie abstreifen
könnte, wie eine jacke die mir doch nicht gefällt, ein pulli der nicht zu mir
passt.
verfilmt wäre es sicherlich telegen. würde einen tollen streifen abgeben,
für ergriffene menschen die sich an meiner realität weiden. chips, cola und
knorpelfleisch in sich hineinstopfend die endgültigkeit ihres alltages, die
endgültigkeit ihrer wohnzimmereinrichtungen voller eichenholzmöbeln nicht
bemerken, nur das fenster in meine welt beobachten, anfangen zu weinen,
weil ihnen ihr schicksal als viel zu gewollt erscheint.
aus den gardinen quillt staubiges licht, beherrscht den raum, vernebelt ihn,
lässt die farbe weiss verschwinden, alle unschuld schon lange verloren, sitzen
sie auf ihren sesseln, ihren schaukelstühlen, zerschlagen fliegen auf ihren
blümchentapeten und machen aus voyeurismus anteilnahme.
„ihr seid nicht mehr zusammen, oder“, klingt wie die wahrgewordene vision.
doch kann ich mir soviel selbstbetrug gönnen, zu glauben, bedauern gehört
zu haben.
„komm, die anderen sind schon im chaplin.“, sagt sie und unsere blicke treffen
sich nur für einen kurzen moment. ich ziehe nervös an meiner zigarette,
unschlüssig. „okay“, höre ich mich sagen, nehme meine zigaretten, mein geld
und meine jacke, wir verlassen die wohnung, betreten den hausflur und tasten
uns nach draussen.
die schritte der besucher sind nicht zuhören in clubs. vermeintlich lautlos
bewegen sie sich. schütteln hände, kaufen getränke, lachen voller freude.
ich spüre die kälte des drinks in meiner hand, lasse mich von der atmosphäre
anstecken und beginne zu tanzen.
unglaublich. man schliesst nur für einen moment, eine kurze zeit seine augen,
öffnet sie und der markt ist da. bin ich zu ihm gekommen? gezielt? oder
war ich nur kurz weg, nicht anwesend, hab sein erscheinen verschlafen. wie
drachenmädchen
konnte ich ihn nur übersehen. schrill, bunt, grell und einheitlich präsentiert
sich meine umgebung. ein angebot jagd das nächste. ohne hast, es ist noch
früh. blond oder black pony? sind sie auf der suche nach der weiten hose,
die dieser schicke kleidungsdiscount im sonderangebot führte oder nach der
klassischen variante? tunnelblick mit röhrenschnitt.
ich nehme den flyer, der mir von der jungen dame herübergereicht wird.
schade, hab ich schon was vor. na ja vielleicht nächstes mal. ich werfe einen
kurzen blick auf ihre buttons.
schrift zu klein. labels zum selberbasteln. jeden abend eine neue identität.
„ja, genau, die mag ich.“ ich identifiziere mich. ein netter trend. zumindest
netter als feuerzeugkappen am hemdkragen. entschuldigung ihr scheitel
ist verrückt. ihr scheitelpunkt. ich muss jetzt umdrehen. mich wegdrehen.
ellenbogen in meinen seiten auf dem weg zur toilette.
ich betrete eine der weiß gekachelten kabinen. falle auf die knie und
übergebe mich. ohne würgen, ohne ekel. ich stehe auf. missachte die
dezentral dekorierten aufkleberverzierten wände und wasche mein gesicht mit
kaltem wasser. suche meine zigaretten. laufe zurück, finde sie neben dem klo
liegend und zünde eine an. der rauch schmeckt angenehm fremdartig durch
die vermischung der einzelnen substanzen in meinem mund.
wenig später stehe ich am rande der tanzfläche und blicke abwesend durch
den raum.
mir fällt auf, das ein junger mann mich beobachtet, ich schaue ihm
unverwandt in die augen. er empfindet es scheinbar anders als ich und beginnt
sich mir zu nähern. auf halber strecke zögert er, lehnt sich gegen eine wand
und nimmt einen schluck aus seiner flasche, ich beobachte ihn unbemerkt. er
holt eine zigarette aus seiner tasche. ein untrügliches zeichen. ich weiss das
ich noch einen augenblick zur entscheidung habe. genau eine zigarettenlänge.
bleibe ich stehen, setze ich mein zeichen unter unsere wortlose absprache.
auf einmal stößt er sich von der wand ab und kommt mit seiner zigarette in
der hand auf mich zu. überrascht gucke ich ihn an und er beugt sich hinüber.
wir kommen ins gespräch. reden über musik. irgendwann fragt er, was ich
so mache. ich antworte ihm, ich sei künstlerin. ich verschweige mein im
scheitern begriffenes studium, meinen job im supermarkt, all die zähen
stunden allein zu hause. dies hat alles nicht mit dem zu tun was ich mache. er
zeigt interesse, fragt welche art von kunst. ich sage ihm: „ich lebe“. fragend
drachenmädchen
blickt er zu mir hinunter.
„ich lebe, ich gehe nach wie vor nach draussen, treffe mich mit freunden,
kaufe ein und koche etwas zu essen. höre meine platten und telefoniere mit
meinen eltern. helfe den menschen die mir nahe stehen und versuche mich
selber nicht zu vergessen. versuche mein leben auf die reihe zu kriegen, ohne
mich einzureihen. versuche klarzukommen, wie man so sagt, ohne das etwas
klar ist. mein leben ist der ausdruck, es ist dasselbe wie wenn jemand ein bild
malt, einen song schreibt oder eine skulptur meißelt. es ist nur komplexer,
facettenreicher, man kann es weder erschliessen, noch erwerben oder
betrachten. nur erleben kann man es.“
er schaut mich an und ich glaube, er hat nicht die hälfte von dem verstanden
was ich gerade gesagt habe, vielleicht nur akustisch, egal, ich sage ihm das
ich mir kurz etwas zu trinken holen werde.
mit einem vollen glas in der hand lehne ich mich an die theke. jeder hat
halt seine art von humor. na ja, hat er wenigstens mit seinen freunden was
zu lachen. was hier für freaks rumlaufen. ich glaube nicht das ich ein freak
bin. ich glaube ich bin einfach ein schlechterer schauspieler als die meisten
anderen.
wenig später verlasse ich den club.
ich laufe los und trete in eine pfütze in der das licht der reklameschilder
bricht, ohne es zu merken.
ich möchte noch nicht nach hause.
die mond scheint, schwach, ohne zu stören. es ist ungewöhnlich warm für
diese jahreszeit.
der wind rauscht in den bäumen am rande meines weges.
ich zupfe ein blatt aus dem korbgeflecht eines stuhls. wie aussetzig steht er
mit seinem tisch abseits der anderen vor der gläsernen fassade des cafes.
Ich bedanke mich bei der bedienung die den lauwarmen kaffee gleich neben
den aschenbecher stellt. entzünde eine zigarette und beobachte wie der wind
die spitze verglühen lässt.
„im grunde geht es uns doch ganz gut.“ hat mir mal jemand gesagt. natürlich.
wenn du etwas vergleichen willst. etwas messen, einteilen, skalieren und
portionieren.
dann bin ich schon zufrieden. die portion ist gross genug.
die rückenlehne beginnt zu schmerzen. augenblicklich verlasse ich das cafe.
abel v. b.
christopher parkinson
drachenmädchen
herumknabbert, macht ihm Marie-Louise
folgenden Vorschlag, um wenigstens etwas Flair
in die Situation zu bringen: „Klaus, möchtest du,
dass wir ‚Geschichtenerfinden’ spielen, ja?“. Er
blickt sie uninteressiert an und beantwortet die
Frage wieder mit einem zaghaften Kopfnicken.
„Möchtest du anfangen?“, fragt sie ihn nahezu
flehentlich. Aber er will nicht und schüttelt
den Kopf. „Gut, dann fange ich an: Also…
Es war einmal ein kleiner Kobold…und der
hieß…Lazarus. Er war von Kopf bis Fuß gelb
und hatte riesige grüne Warzen am ganzen
Leib….“ – Klaus unterbricht sie quengelnd und
mit vollem Mund: „Nein, bitte keine Warzen!“
– „Meiner lieber Sohn, zuerst lassen wir uns
doch bitte gegenseitig ausreden. Wenn du mich
unterbrichst, habe ich das Gefühl, dass wir beide
uns nicht mehr gegenseitig respektieren. Und
dabei sind Respekt und Toleranz das Wichtigste
auf der Welt. Das findest du doch auch, oder?“,
Klaus nickt wieder. „Davon abgesehen hat mein
Kobold nun einmal gelbe Warzen. Wenn dein
Kobold anders aussehen soll, dann kannst du
die Geschichte ja dann verändern, sobald du
dran bist.“, versucht sie besänftigend auf ihn
einzureden. „Und wenn du möchtest, kannst du
jetzt auch weitermachen.“, ergänzt sie zickig.
Aber Klaus hat keine Lust mehr, weiter
Geschichtenerfinden zu spielen. Klaus muss
aufs Klo. Entschuldigung, er möchte aufs Klo,
und flüstert dieses Begehren leise in das rechte
Ohr von Marie-Luise. Infolgedessen zeigt
sie auf die sich schräg gegenüber befindende
Waggontoilette und weist ihn laut darauf
hin, dass er sich beim „Pischern“ über die
bakterienverseuchte Klobrille hocken soll. Der
ihnen gegenübersitzende junge Mann schaut
mit einem leicht verstörten Blick auf, verdreht
seine Augen ganz entrüstet und widmet sich
wieder seinem Buch.
Stets von Marie-Louises beschützenden Blicken
verfolgt, geht Klaus zur Toilette, öffnet die
Tür, betritt die Lokalität und schließt ab. Die
„Besetzt“-Lampe leuchtet auf. Zeitgleich
vergrößern sich ihre Pupillen auf das Doppelte.
Sie beginnt nervös herumzuwippen und führt
einen unüberhörbaren, verzweifelten Monolog:
„Oh nein, oh nein! Er hat abgeschlossen! Was
mache ich denn nun? Oh, verflixt. Hoffentlich
geht das gut. Ich habe ihm doch so oft schon
gesagt, dass er niemals abschließen soll.“ Nervös
holt sie aus ihrem Rucksack ein dickes, schweres
Zärtlichkeiten
In den einzelnen Abteilen machen sich geringe
Anzeichen von Unruhen breit. Manche
Fahrgäste wirken beim Aussteigen sehr gestresst,
andere wiederum unglaublich routiniert und
entspannt. Das Bild ist von einem regelmäßigen
Kommen und Gehen geprägt, dessen Intensität
von der jeweiligen Bedeutsamkeit
des Bahnhofs abhängig ist. GauAlgesheim scheint für die meisten
Menschen wohl keine allzu große
Bedeutung zu haben. Denn die
Zahl der ein- und aussteigenden
Passagiere ist ausnahmsweise mal
recht übersichtlich.
Von weitem kann man zwei Personen
beim Einsteigen beobachten. Die
eine Person ist klein, die andere
winzig. Auch wenn die Entfernung
keine allzu genaue Beschreibung
zulässt, stechen die knallbunten
Zipfelmützen, die beide auf ihren
zierlichen Köpfchen tragen, aus dem
gesamten Ambiente heraus. Leise
schweben sie durch den Gang; vorbei
an den aufgezehrt dreinblickenden
Geschäftsleuten und vorbei an den
ebenso erschöpft wirkenden Schülern.
Kurz bevor das Abteil endet, bleiben
sie vor zwei gegenüberliegenden
Sitzbänken stehen. Auf der einen
sitzt ein junger Mann, der gerade in
ein Buch vertieft zu sein scheint. Auf
der anderen sitzt ein jugendliches
Mädchen, das aus dem Fenster
guckt, um darin das Spiegelbild
des ihr gegenüber sitzenden Kerls
beobachten zu können.
„Würden sie sich bitte auf die andere
Bank setzen, damit wir nebeneinander
Platz finden können?“, fragt die
Größere der beiden Persönchen das
Mädchen und zeigt auf ihren kleinen
Gefährten. Während sie das sagt,
wirkt ihre Stimme nett und zugleich
bestimmend. Ohne etwas zu erwidern und
sichtlich von dieser Bitte überrascht, setzt sich
das Mädchen zu dem jungen Mann, der ebenso
verwundert aus seinem Buch zu dem seltsamen
Pärchen aufschaut.
Dem Anschein nach ist die Größere die
Mutter und der Kleinere ihr Junge. Wie
bereits erwähnt, trägt sie eine –rotfarbene–
Buch heraus, auf dessen Front in großen Lettern
das Wort „Zärtlichkeiten“ geschrieben steht.
Während sie es fest an sich drückt, atmet sie tief
durch die Nase ein, hält die Luft einen Moment
an um dann wieder kraftvoll auszuatmen. Diesen
Vorgang wiederholt sie viermal. Dann öffnet
sich die Toilettentür und ihr Sohn kommt mit
einem zufriedenen Grinsen und roten Bäckchen
ins Abteil gehüpft.
„Klaus! Ich habe dir schon so oft gesagt, dass
du, wenn du auf fremde Toiletten gehst, nicht
abschließen sollst. Ich passe doch auf, dass
niemand reinkommt und du kannst dich immer
auf mich verlassen. Immer! Das weißt du doch,
oder? Ach, ich bin so froh, dass noch mal alles
gut gegangen ist. Hast du dich auch nicht auf
die Brille gesetzt? Nicht dass du dir noch eine
Krankheit holst. Mh, möchtest du noch etwas
Süßes?“ Ganz von den vielen Fragen irritiert,
weiß Klaus gerade gar nicht, was er antworten
soll, nickt und bekommt noch eine Reißwaffel.
Die nächste Viertelstunde verläuft ohne weitere
Vorkommnisse. Klaus isst an seiner Waffel
und Marie-Louise blättert in ihrem Buch. Aus
den Boxen ertönt die Stimme des Zugführers:
„Nächster Halt: Trechtlingshausen. Der
Ausstieg befindet sich in Fahrtrichtung rechts.“
Marie-Louise beginnt die Tüten und ihre Decke
zusammenzuräumen. In diesem Moment betritt
der Schaffner das andere Ende des Abteils:
„Alle neu Zugestiegenen die Fahrkarten bitte.“
Plötzlich wird sie in ihrem Schneewitchengesicht
noch schneeweißer, greift panisch nach den
Tüten, zieht ihrem Sohn die Zipfelmütze tief
ins Gesicht und reißt an seinem Arm. „Komm,
Klaus, der Schaffner. Wir müssen hier schnell
raus und dürfen uns nicht von ihm erwischen
lassen. Der will unsere Fahrkarten, aber ich
habe gar keine gekauft, weißt du, mh?“ Klaus
will gerade zustimmend nicken als sie dermaßen
kräftig an seinem Arm zieht, dass er durch die
Luft wirbelt und seine Reiswaffel fallen lässt.
Schnell wie der Wind huschen die Zwei durch
den Gang. Der Zug wird allmählich langsamer
und bleibt stehen. Bevor der Schaffner sie
erreicht, springen sie auf den Bahnsteig und
flüchten in die Wallachhai. Verdutzt blickt er
ihnen nach, kann aber nur noch zwei im Wind
wehende Zipfelmützen erkennen. Er schüttelt
den Kopf, bläst in seine Pfeife und steigt wieder
ein.
Zipfelmütze. Unter dieser hängen ihre langen,
schwarzen zu zwei Zöpfen gebundenen Haare
an den Seiten heraus. Ihr schneeweißes Gesicht
wirkt kindlich, was durch das Rouge auf ihren
Backen noch verstärkt wird. Passend zu der
Mütze trägt sie einen roten Schal, einen roten
Mantel, einen roten Rock und rote Halbschuhe.
Selbst ihre Strumpfhose hat rote
Ringel. Nur der schwarze, bestickte
Bändelrucksack und die unzähligen
Einkaufstüten passen nicht so recht
in ihr gesamtes Erscheinungsbild.
Das etwa fünfjährige kleine
Früchtchen neben ihr am Fenster,
ist etwas pfiffiger gekleidet und trägt
auf eine braune Kordjeans einen
Streifenpulli, der in allen Farben
des Regenbogens leuchtet. Zudem
hat seine gelbe Mütze sogar an
ihrem Ende ein königliches, kleines
Glöckchen.
Nachdem Mutter und Sohn
die Sitzfläche mit einer kleinen
Schafsfelldecke ausgepolstert haben,
ziehen sie ihre Mäntelchen aus. Im
Anschluss greift der Junge in eine
der vielen Tüten und kramt darin
herum. „Klaus, möchtest du deine
Geschenke und die Süßigkeiten jetzt
oder erst zu hause haben?“, fragt das
junge Mütterchen besorgt.
„Jetzt möchte ich die bitte haben,
Marie-Louise.“
„Klaus, ich frage dich noch einmal:
Möchtest du deine Geschenke nicht
lieber erst dann auspacken, wenn
wir es uns zu hause schön gemütlich
gemacht haben und ich dir eine
Geschichte vorlese? Dabei kannst
du dann ja auch die Süßigkeiten
essen.“
„Nein, bitte, bitte jetzt, liebe MarieLouise, bitte jetzt. Ich kann es
nicht mehr abwarten, die Päckchen
auszupacken. Und ich mag den
Puffreis doch so gerne!“, antwortet der kleine
Klaus in einem brillanten Hochdeutsch und
macht dabei einen ganz traurigen Blick. „Na
komm, dann lass uns einen Kompromiss
finden. Du bekommst jetzt das Süße und zu
hause die Geschenke, ja?“ Der kleine Klaus
nickt enttäuscht.
Während er genüsslich an dem trockenen Reis
58
59
drachenmädchen
fährt bahn
60
Zwangsjackenpoesie
Gewissen ist Gedankensturm ohne Regen
Tausend dünne Flüsterstimmen zwingen mich ins Wortgefecht.
Mein Gegner schlimmer als jeder Feind, kennt mein Inneres zu genau.
Er zieht wohin er will durch und durch und
Durch meinen Körper - sein frierend kaltes Sinngewand.
Mein Gegner - das bin ich.
Zwiegespräch im Intro ist Seelenkampf ohne Kontur.
Zischeln und Züngeln erreichen mein Ohr von Innen.
Kein Ausschluss durch Verschluss mehr möglich.
„Go with the flow“ oder „Der Weg zum hohen C“
Es gibt Zeiten, da ist mein Leben kein Wunschkonzert, da kann ich, als Pfeife
erst recht keine großen Töne spucken. Für wahr dann ist alles scheußlich! Ja,
da geht gar nichts! Die Berge von To Do Listen bedeckt von Staub, der Spiegel
lacht dezent weiter, obwohl man sich schon lange weggedreht hat. Das „kleine
Senfkorn Hoffnung“ wurde in das Land der Ironie zwangsverwiesen. Kurzum:
Das Leben sagt: „You are dismissed!“
Jetzt heißt es, sich mit den kleinen Dingen zufrieden geben. Runterfahren und
auf Neustart gehen. Vergleiche nur nach unten hin anstellen. Notwendigenfalls
die eigene Mutter anrufen, die ist subjektiv genug, um auch die Niederlage ihrer
Früchte schön zu zeichnen.
Ich meine nicht auf Standby-Modus umschalten und sich über Berieselung zu
definieren, die man sonst nur zweitklassig ernst nimmt. Nicht die Glückseeligkeit
des längst vergangenen Daumennuckelns im Rückzug wieder zu entdecken.
Nein, nein, es geht um einen Schritt nach vorn, wenn auch im neuen Gewand der
Bescheidenheit. Das ist gar nicht so einfach, erst recht nicht, wenn das profilieren
den Jargon des Lebens mitbestimmt hat. Raus aus dem Porsche der Tagesformen,
ab in den Airbag gesicherten Golf.
Versteht mich nicht falsch, es geht nicht darum jetzt auch über schlechte Witze zu
lachen, oder sich nur noch Wasser, nicht aber das Meer vorzustellen. Wichtig ist
betty blue
61
die Richtung „Vorne“, abgesichert mit den Kissen der Erwartungslosigkeit. Der
Clou kommt also nicht im Passiv, nein Aktiv mit Erfolgsaussichten in Klammern,
das ist es worauf es jetzt ankommt!
Dafür ist: „Augen auf im Alltagsverkehr“ der korrekte Claim. Eine kleine
Investition, das Alltagsbewusstsein wieder von 60 auf 100 Prozent hochfahren. So
wird Dosenwerfen zur attraktiven Alternative der Play Station. Dann merke ich
nämlich doch wieder, dass die WG Toilette genau in dem Moment frei wird, wenn
ich für kleine Mädchen muss, dass die Ampel tatsächlich auf grün schaltet, bevor
ich ansonsten abbremse, ein Griff in den Rucksack und der Schlüssel liegt direkt
in meiner Hand! All das sind eben auch Geschichten, die das Glück erzählt...
denjenigen, die sie hören wollen. Bei Monopoly kriegt ja auch nur der Kohle, der
beim „Über Start gehen“ dran denkt sie einzukassieren.
Ich behaupte nicht, dass diese Alltagsverkitschung langzeitig umsetzbar ist (erst
recht schwierig für alle Zyniker unter uns, nun ja was in der Produktion von Glück
ist für eben diese leicht?), aber für die erste Selbsthilfe klappt es prima. Hat man
diese Taktik nur ein wenig ernst genommen und für kurze Zeit beherzt gelebt,
Schwupps zählt der Takt schon wieder ein neues Lied ein, vielleicht nicht das
Rockigste, aber immerhin tanzbar. A one, a two, a one two three four!
Selbst die grauen Herren von der Bank können einem (wenn gleich kapitalistisch
instrumentalisiert) erklären: „Wissen sie Frau Soundso, von nichts kommt nichts.“
Das Tolle ist, im Leben setzt Du Dir selber Deinen Zinssatz fürs Glück.
Das ist wie Fahrradfahren im dritten Gang, ein-, zweimal kräftig in die Pedale
getreten und zack, der Schwung ist wieder da! Es geht gleich ein bisschen
einfacher mit dem Vorankommen. Wie sehr ich diesen Dingen Beachtung
schenke, wie viel ich ihnen beimesse, das entscheidet darüber, wie viel Energiegewinn ich schließlich verbuchen kann. Fest steht, es geht. Die Macht ist mit Dir.
Vielleicht hilft es auch Euch, wenn ihr mal nicht mehr wisst, wo Euer Einsatz
Wunschkonzert in die Partitur geschrieben steht.
drachenmädchen
Untitled No.1
„Ich weiß nicht was ich tun soll, ich weiß nicht wohin. Es ist wieder mal
Freitag und da muß doch was passieren. Ich gehe in die Kneipe, es ist immer
die gleiche, wart auf irgendwas und besauf mich dabei.“
(Hans - a – Plast 1979)
Es ist schon irgendwie interessant, sich selbst und sein Verhalten zu
beobachten. Dabei geht es noch nicht einmal ums Reflektieren. Seit ein
paar Monaten bin ich 30. Laut dem Pyramidenmodell nach Maslow bin
ich jetzt in der Stufe, wo ich mein Leben geregelt habe, d.h., ich strebe
nach Anerkennung in der Gesellschaft, habe mein Berufsleben voll im
Griff und müsste mich gerade darum sorgen wie hoch den der Preis pro
Quadratmeter zum Bau eines Hauses ist. Ist mir aber alles egal, denn ich
bin immer noch Berufsjugendlicher, der einfach nicht einsehen will, dass
die besten 10 Jahre vorbei sind. Jahre in denen man viel erlebt hat, weil
man sich einfach die Freiheit nehmen konnte, das zu machen was man
wollte, ohne sich Gedanken an die Zukunft zu machen. Ist mir das wirklich
alles egal? Natürlich nicht! Irgendwann in diesen besten Jahren habe ich
eine Ausbildung abgeschlossen, sogar ein Studium begonnen, aber auch
wieder abgebrochen. Um meinen Lebensunterhalt bestreiten zu können,
muß ich arbeiten gehen, egal ob ich das gut finde oder nicht! Für mich ist
diese Arbeit nur ein Job, der gemacht werden muss. Und da sind wir auch
schon bei diesen faulen Kompromissen, die man irgendwann zwangsläufig
eingehen muss. Es ist nicht so, dass ich diesen Job hasse, aber ich denke
oft daran, dass es bestimmt etwas besseres gibt als das.
Trotzdem bin ich stolz auf mich und mein bisheriges Leben. Ich bin
zwar kein Atomphysiker geworden, kenne mich dafür aber im Bereich
des Punkrock/ Hardcore von 1976 bis heute recht gut aus. Das ist doch
auch was, finde ich. Nicht umsonst wurde ich immer Professor Doktor Hc
drachenmädchen
genannt. Außerdem höre ich den Dreck schon seit über 15 Jahren, hehe.
Wenn ich mir meinen Freundeskreis betrachte, dann fällt mir auf, dass sich
diese Tagediebe auch sehr gut durch das Leben schlagen. Man muß halt
nur bescheiden sein, keinen Wert auf Klamotten, Frisuren oder Gesundheit
legen, dann ist man auch mit 500 Euro im Monat ein reicher Mann. Sechs
Halbe für 2 Euronen, man muss auch nicht immer in die Kneipe gehen!
Meiner Meinung nach, haben sich diese 10 – 15 Leute miteinander gut
arrangiert. Sie machen Musik, bauen Bühnen zusammen, lassen sich
am ganzen Körper tattoowieren oder arbeiten, so wie ich. Das, was wir
machen, das machen wir gut!
Ich kann mich daran erinnern, dass vor ein paar Monaten noch gesagt
wurde, dass hier nichts mehr passiert und zwar deshalb, weil wir alle zu
kopflastig geworden sind. Das stimmt so nicht! Klar, es gibt immer eine
gewisse Struktur, in der man sich befindet und die mir sogar sehr gut tut,
aber selbstverständlich kann man die Rübe da oben auch ausschalten.
Zum Beispiel das Konzert in Rheine, Ende Mai, als sich ca. 10 Osnabrücker
Punx aufmachten, um die Bude zu stürmen. Bei der Ankunft wurde fleißig
gekotzt, anschließend in die Trinkhalle gewankt und weitergemacht.
Ende des Lieds: eine zerbrochene Brille, eine gebrochene Nase, eine
aufgeschnittene Hand und ein geschrotteter Walkman. Und das gute
Gefühl, von allen anderen Leuten im Laden gehasst worden zu sein. Auch
so kann man sein Selbstwertgefühl steigern, man hat halt immer etwas zu
erzählen. Wir freuen uns, auch bei deiner Party zu sein.
Letztendlich ist es wichtig, dass man Prioritäten setzt. Wie die dann
aussehen, ist jedem selbst überlassen. Meine Priorität ist, dass ich
regelmäßig schwimmen gehe, um etwas für meinen Körper zu tun. Ich bin
auf jeden Fall gespannt wie es weitergeht. Mit mir und meinem Umfeld.
Und jetzt ab ins Schwimmbad. Es gibt immer was zu tun!
vorwort
62
Grüß Gott, und gratuliere!
Liebes Drachenmädchen, jetzt hast du es doch auf die 10 gebracht, im
Herbst wirst du dann eingeschult. Und das auch noch vor unserem Jubiläum
beim Choke Fanzine. Das ist wieder mal typisch, die einen als Siegertypen
geboren, die anderen kommen - weil unterprivilegiert und dazu noch faul
- nicht aus der Startbox. Während das DRACHENMAEDCHEN die Verantwortung
der gesamten deutschsprachigen Fanzine Kultur tragen muss und mit
dieser Aufgabe auch noch relativ gut umgehen kann, sind wir bei einem
schwindelerregenden Release Plan von einer Ausgabe pro Jahr geblieben…
das heißt wenn Trends schon längst überholt sind, haben wir noch
nichtmal die CD dazu besprochen. Aber dennoch, das ist auch ein Weg mit
Modeerscheinungen umzugehen.
Müdigkeit / Verzweiflung / Resignation
Nach einem im Glücksfall nur acht Stunden langen Arbeitstag, auf dem
Weg nach hause, komme ich am Postkasten vorbei, entledige mich der
Reklamebroschüren, seufze bei Rechnungen und Ansichtskarten von
fernen Ländern und schüttle den Kopf bei den Luftpostertaschen. Diese
vorwort
63
Format C5 Luftpolstertaschen versprechen in der Regel nichts gutes,
nämlich „Promomaterial“ (wie soll bei dem Begriff auch etwas Erfreuliches
erwarten), also CDs (oder noch schlechter, CD-Rs), und einen Fetzen Papier
der vor übertriebenen Darstellungen der geradezu einzigartigen Genialität
der Musikanten nur so trieft. Wenn man den Ausführungen der für diese
ekelerregend-enthusiastischen Begleitschreiben verantwortlichen Tagedieben
glauben schenkt, kommt man nicht umhin zu meinen der Rock’n’Roll wird
ungefähr zweimal pro Tag neu erfunden. Man zuckt mit den Schultern, wirft
das Plastik in den Müll oder legt es in das Fach „Auf Ebay verkaufen“.
Leider ist es ab und zu mit der bloßen Zusendung nicht abgetan, man erhält
sogenannte „Reminder“ in denen die PR Beauftragten nur mal so kurz locker
flockig nachhaken was nun ist mit der Besprechung, obs eh ins Heft kommt
und ob sie das Heft dann ja auch sicher zugeschickt bekommen. Die meisten
kann man aber noch ganz gut abwimmeln, meistens reicht eine ehrliche
Besprechung der von ihnen geschickten Platte und man hört nie wieder was
von ihnen. Müde wird man nur wenn einige hartnäckige Gesellen nichtmal so
etwas kapieren. Da muss man dann schon deutlicher werden. Also, FICK DICH
drachenmädchen
INS KNIE, ANDREAS ZORBAS.
Ein schönes Bild friedlicher Koexistenz
Das Internet hat die Schleusen für den Musikmüll geöffnet. Natürlich hat es
den vorher auch schon gegeben, diesen Müll, Alben die keiner braucht, vor
denen sich einige Zeit sogar diejenigen schämen die sei verbrochen haben.
Es ist nur so, dass man kann sich wirklich nicht mehr wehren kann überall
diese mittelmäßig bis fürchterliche Musik, tausendfach gehört, alles gleich,
alles auf uns losgelassen, es fehlt nur noch die TÜV Plakette… die kommt
dann auf die CD wenn man alles richtig gemacht hat, die „richtigen“ Anzeige,
Slogans, Outfits, Artwork, Texte, Talkshows, … Es wäre schön wenn das alles
alten Gans, Album Artwork wird nun auf 12 x 12 Zentimeter präsentiert. Ein
weiterer „Vorteil“ der CD hat uns schon viele Minuten und Nerven geraubt,
nämlich die gegenüber LPs längere Spieldauer… so haben die Bands die
Möglichkeit uns eine Unmenge von schlechten Songs anzudrehen. Die MP3s
haben letztendlich alles verdreht, das Artwork ist völlig verschwunden, die
Qualität ist schlecht und noch dazu haben die Songs keine physikalische
Ausprägung mehr. Während man mit Platten noch vorsichtig handhaben sollte
(na ja, ein paar Spritzer Bier haben Gott sei Dank noch keine schlimmen
Auswirkungen), ist das bei den CDs schon liebloser geworden, und was
MP3s betrifft, pah, die kann man löschen und wieder runterladen sogar
bloß auf so leichte Ziele wie die von Majors gepushten Kleiderbügel wie
JULI, SILBERMOND, ihr kennt sie eh alle… zutreffen würde. Viel schlimmer
ist wen man – wie es mir heute passiert ist – zwei Veröffentlichungen nicht
mehr zuordnen kann, eine wurde mir von Proto Allegre, Brasilien geschickt,
eine aus Helsinki, Finnland. Einmal vertauscht, weiß man nicht mehr was von
wo, beides die selben 08/15 Songs, beide mit identischen Klamotten, beide
bedienen sich derselben glatten Produktion… Wo der Überblick fehlt, ist das
umbenennen oder beschneiden… tz tz tz, kein Wunder dass die Kids da
keinen Respekt mehr davor haben. Warum sollten die dann 99 Cent pro Song
bezahlen? Oder gar 17 Euro für eine stinknormale CD bei Müller? Musik rippen
und stehlen ist wohl nicht ganz rechtmäßig, ganz klar, aber ich glaube ich
kann nachvollziehen wieso die Kids denken das sie im Recht sind: Musik ist
überteuert und qualitätsmäßig im Arsch zu Hause. Da geh ich doch lieber
zu meinem Plattenspieler, hole die schöne Vinylscheibe umständlich aus der
Grauen nicht weit, und wenn schon die Kleinen sich so ähneln, tja, wieso
sollen sich dann die Bands die im Radio gespielt werden unterscheiden… ich
kenne mich da nicht mehr aus, hab zumindest zwei Stufen der Entwicklungen
verpasst. iTunes ist für mich ein komplettes Mysterium, und wenn man sich
über diese Sache Gedanken macht dann finde ich mich auf der eigentlich
unerfreulichen Seite der Diskussion Musikdownloads und Diebstahl wieder…
Weil ich so unendlich alt bin, denke ich immer noch in der Kategorie
Schallplatte, also ne A und ne B Seite. Compact Discs…pffft… die sehen
Scheiße aus und irgendwie hab ich mir schon immer gedacht dass damit was
nicht in Ordnung ist. CDs haben uns einen Haufen mieser Covers eingebrockt,
jahrzehntelangem künstlerischen Schaffen wurde Hals umgedreht wie einer
Hülle und leg sie behutsam auf den Plattenteller, und höre auch schon gleich
das knarzen und knacken, alleine das ist ja schon ein Genuss.
Rattenfänger, auf allen Seiten
Neulich durfte ich einer Diskussion auf einem Nachrichtenkanal beiwohnen,
an einem verregneten Julitag war das, und genauso mies war die Stimmung
der teilnehmenden Plaudertaschen, die sich hier mal wieder gegenseitig in die
Taschen logen und von einem Aufschwung der Musikindustrie im „Schatten“
von der wiedermal neuen deutschen Welle sprachen. Unter anderem wurde
auch darüber gesprochen wie man es innerhalb so kurzer Zeit geschafft habe
ein neues „Bewusstsein bei den Käufern“ (ich kotze gleich) zu schaffen. Ganz
einfach, man hörte einfach in den Markt hinein. Das war also das einfache
drachenmädchen
vorwort
64
65
Rezept. Mh. Ebenso wie ich verarbeitete die Katze die sich die Sendung mit mir
angeschaut hat diese Informationen mit stoischer Miene. Was soll das heißen,
„in den Markt hinein hören“??? Wie soll das gehen? Man fragt also ein, zwei
Sachen, und dann sollen die zukünftigen Kunden die Antwort auf etwas wissen,
dass es noch gar nicht gibt, und das sie demnach nicht kennen. Mir wird schon
wieder schwindelig. Das hieße dann, dass wir uns das alles so wie es auf uns
eingeprasselt kommt also großteils gewünscht haben. Tja, Musikkonsumenten,
zumindest die typischen, sind aber dumm, können daher gar nicht wissen
was sie wollen, und nehmen daher das was die anderen (Zeitungen, Freunde)
sagen was gut ist. Die ewige Suche nach etwas neuem, frischen, großartigem
Durchhalten, Schnaps trinken
Trotzdem bleibt Musik der rote Faden meiner Tagesgestaltung, vom Aufstehen
bis zum Schlafen gehen. Alternative Rockmusik Radiosender verstören
mich aber weitgehend, daher höre ich tagsüber lieber „Bailando, Bailando“
„When you’re looking like that“ als Foo Fighters oder Billy Corgan. Was
trotzdem bleibt ist die Sucht nach noch nicht gehörtem, die treibt einen
zwangsläufig man in die Arme von Plattenhändlern, Internetauktionen und
Raritätenkataloge. Und so sitze herum, höre Beach Boys und malträtiere
meine Augen mit ein paar Stunden Internet Recherche über eine Band Namens
„The Headaches“ die es (einen unglücklichen Revitalisierungsversuch vor
beginnt mit jedem Monat aufs Neue, wenn die Printmedien uns wieder ein paar
sonderbare Bandnamen (diesen Monats waren es zb THE RAKES, RÖYKSOPP oder
FIGURINES) vor den Latz knallen und uns einen Kaufbefehl erteilen. Das alles
soll uns erklären was gerade angesagt, also populär ist, doch Popularität ist
nicht alles, die Titanic war auch bekannt.
Kein Wunder dass Menschen wie ich, mittlerweile immun gegen
Werbekampagnen, Anzeigenschaltungen und dergleichen werden. Naja so ganz
ein paar Jahren ausgenommen) gerade mal auf eine Single Namens „Teenage
Sex“ gebracht haben. Gebt mal bitte die Wörter „headaches teenage sex“
bei Google ein. Fündig wird man, auch einige hilfreiche Tipps kann man
mitnehmen, jedoch nicht gerade was diese Band betrifft… egal, es geht um
alte Singles, neue Singles, Sachen die man noch nicht hat, und Sachen die
noch niemand hat, man ertappt sich dabei Sachen zu kaufen die man nur
der Vollständigkeit halber kauft, und da und dort (sic!) sind wohl auch ein
stimmt das nicht, immun ist man nicht, man liest die bunten Zeitschriften,
entdeckt da und dort die immergleichen Werbesujets von Bands die man nicht
kennt, weil man schließlich zwischen 8 und 18 Uhr etwas besseres zu tun hat
als die seltenen Musikvideos auf den Klingeltonkanälen wie MTV, Viva und
GoTV (eine besonders abartige, österreichische Variante des Musikversehens
fernsehens) ausfindig zu machen. Das endet zwangsläufig in einer totalen
Ablehnung sämtlicher Veröffentlichungen dieser Bands auf Jahrhunderte
hinaus, obwohl man noch nicht einmal eine einzigen Ton dieser Spacken
in Designerklamotten (die fast genauso aussehen wie die Fetzen die man
in amerikanischen Thriftstores der Heilsarmee um nen Dollar angeboten
bekommt) kennt.
paar Releases die man wenn’s gut geht einmal im Leben anhört. Ja, darf man
denn gar keine Fehler machen? Nicht das ihr jetzt einen falschen Eindruck
von mir gewinnt, ich bin keiner dieser geizigen, schnöseligen, pedantischen
Einzelgänger-Plattensammler! Seltenere Platten haben ist ja schön und gut,
aber das alleine macht mir noch keinen Spaß, der kommt erst wenn man die
Songs dann hört, wenn man die Platte letztendlich spielt.
vorwort
NOCH EIN SPOILER ZUM SCHLUSS
Rory hört mit dem College auf und Lorelay stellt Luke die nicht unbedeutende
Frage ob er sie heiraten möchte.
drachenmädchen
Wir jubilieren!
Herzlichen Glückwunsch! Das Drachenmädchen feiert Jubiläum. Aber was
heißt eigentlich Jubiläum? Ist ein Jubiläum nicht gleichzeitig ein Jahrestag, also
ein Geburtstag. So wie bei einem Menschen, der irgendwann geboren wurde
und dieser Tag Jahr für Jahr wieder gefeiert wird? Da aber ein Magazin oder
zum Beispiel auch ein Schützenverein kein Mensch ist und nicht geboren wurde,
obwohl der erste Erscheinungstermin oder auch der Tag der Vereinseintragung
als Geburtsurkundenersatz dienen könnte, wird das x-te Jubiläum seit Bestehen
gefeiert. Ich weiß noch, wie mir früher immer eine Mischung aus Ekel und
Anerkennung hochkam, als ich im heimatlichen Lokalblatt Meldungen las wie:
„Herr Ypsilon feiert heute seine 25-jährige Firmenzugehörigkeit. Wir gratulieren
und bedanken uns für seine langjährige zuverlässige Tätigkeit!“ Und Herr
Ypsilon tut so, als sei dies nichts Besonderes und das normalste der Welt, 25
Jahre bei ein und demselben Betrieb zu arbeiten und geht mit Blumenstrauß und
dem traditionellen Uhrensachgeschenk bewaffnet zurück an die Arbeit. Aber er
ist glücklich. Na ja, wahrscheinlich Alkoholiker, irgendwie frustriert und schon
auf den Ruhestand freuend- aber froh. Ist denn nicht irgendwie jeder glücklich,
wenn es ein Jubiläum oder einen Geburtstag zu feiern gibt? Jede Firma, jeder
Verein und auch jedes Magazin kann doch glücklich sein, dass ein, zwei oder
mehrere Personen es geschafft haben, ihre Idee am Leben zu erhalten. Und es
kommen ja auch immer mehr Jubiläen dazu. Weil ich Jubiläen mehr als eine Art
Jahrestag betrachte, häufen sich im Laufe eines Lebens so ziemlich viele Jubiläen
an. Angenommen, ich wäre Mitglied im Schützenverein Nortrup-Loxten,
gleichzeitig Kassenwart im Kegelclub KC „Die Holzköppe“ oder „Zur feuchten
Rinne“ und würde nebenbei noch bei einer Bank arbeiten, dann hätte ich schon
dreimal im Jahr etwas zu feiern. Dazu gibt’s dann noch etliche Geburtstage
der Vereins- und Arbeitskollegen und natürlich den Jahrestag, an dem ich mit
meiner Freundin zusammen gekommen bin. Also könnte ich schon fast in das
nächste Poesiealbum unter Hobbies „Jubiläen feiern“ schreiben. Damit möchte
ich keineswegs jeglichen Jubiläumsfeiern ihre Wichtigkeit abstreiten. Solange es
freudige Anlässe und nicht irgendwelche schwachsinnige Jubiläen sind, halte ich
Jubiläumsfeiern für lebensnotwendig. Schließlich erinnert man sich so jedes Jahr
wieder daran, dass man es schon wieder geschafft hat. Ist nicht auch irgendwie
jeder froh, der es schafft, seinen Geburtstag mit sich alleine oder im besten
Falle mehreren Männern und Frauen zusammen zu feiern? Ich hatte Ende April
drachenmädchen
Geburtstag und habe es geschafft, eine bunte Mischung aus Freunden und
Bekannten um mich zu scharen und Spaß zu haben. Irgendwie ändert sich in
jedem Jahr ein bisschen die Gästeliste- aber das halte ich für ein gutes Zeichen,
so lange jahrelange Stammgäste, die jetzt entweder noch zu Hause oder
irgendwo in der Welt verstreut leben, sich immer noch melden. Ich bin jetzt 29
Jahre alt, also ein Endzwanziger. Seit meinen letzten zwei bis drei persönlichen
Jubiläen kommt in mir immer so ein paar Tage nach der Feier die Lebens- und
Sinnfrage hoch. Bist du glücklich mit deinem Leben, mit deinem Job, mit deiner
Frau oder auch alleine und die ganze Sentimentalscheiße. Ist das normal? Ist
das die Endzwanziger-Crisis? Liegt es vielleicht auch an der Stadt, in der ich
lebe? Stellen sich diejenigen, mit denen ich aufgewachsen bin und die dort auch
geblieben sind, auch diese Fragen? Nicht zwingend ein paar Tage nach ihrem
Geburtstag, aber überhaupt irgendwann mal? Ich will jetzt nicht sagen, dass ich
unglücklich mit meiner Entscheidung bin, irgendwann zum Studieren und jetzt
zum Arbeiten in eine Großstadt gezogen zu sein. Gar nicht! Eigentlich fühle
ich mich ja auch wohl mit den ganzen Möglichkeiten, die einem eine liberale
Millionen- und Medienhauptstadt Deutschlands so bietet. Vielleicht täusche ich
mich ja auch jedes Mal, wenn ich Weihnachten, Ostern und zu anderen Jubiläen
in die Heimat fahre und alles wieder gut ist. Auch diejenigen, die in der Heimat
geblieben sind, freuen sich, weil ja endlich wieder (fast) alle da sind und richtig
was los ist. Und jedes Mal gibt es dann die Nachricht, dass der und der sich
gerade verheiratet hat oder wahlweise Vater wird. Ich möchte jetzt gar nicht die
„Was wäre wenn ich auch zu hause geblieben wäre, inklusive Ausbildung seit
zehn Jahren arbeite und mit meiner Freundin schon genauso lange zusammen
wäre“ - Frage stellen. Ich möchte mein Leben auch nicht mit dem Leben
anderer vergleichen oder bewerten. Ich habe damals in meiner ersten blöden
„Ich studiere in einer fremden Stadt-Euphorie“ einen guten Freund von mir zu
hause gefragt, warum er denn nicht auch studieren geht oder auch mal in einer
anderen Stadt leben möchte? Er hat mir nur geantwortet: „Wieso? Ich habe hier
alles, was ich brauche. Meine Familie, meinen Job, den ich machen möchte,
meine Freunde und meine Freundin.“ Und da war ich neidisch, weil er schon das
gefunden hatte, wonach manche lange suchen müssen. Und zwar das, was sie
wollen. Und das sollte jeden Tag mit einem Jubiläum gefiert werden!
TT aka Äktschn Eule
vorwort
66
„See the Dead End Streets“
Die Dunkelheit machte mir zu schaffen. Schon bei Tageslicht war meine Sehstärke
nicht sonderlich gut, bei Nacht allerdings schien mein Augenlicht nahezu
völlig zu versagen. Dunkelheit in Kombination mit Regen hatte eine gerade zu
tödliche Wirkung. Vor allem, wenn wie in diesem Moment die Scheibenwischer in
einen Sekunden-Streik getreten waren, der nur gewaltsam mit einem erneuten
ziehen am Scheibenwischerbetätigungshebel beendet werden konnte. „Jedes
Land bekommt das Wetter das es verdient …“ klingt es aus den Boxen und
wenn es danach gehen würde, müssten wir wohl auf Ewigkeiten in Regen und
Schneematsch versinken.
Die Ampellichter vor mir verschwommen langsam aber sicher immer mehr zu
riesigen Lichter-Ballons, die mal rot, mal gelb, mal grün oder manchmal alles auf
einmal leuchteten. Verflucht, wo befand ich eigentlich? Meine panischen Blicke
aus dem Inneren des alten roten Golfs nach draußen wanderten zumeist ins
Leere, tanzten eine Sekunde um eine Straßenlaterne, die mir die ihrige LichterZunge herausstreckte und kamen zurück ins Auto. Wo musste ich lang? Wo war
der verfluchte Bahnhof? Ich hatte das Gefühl, dass der Alkohol meinen Kopf über
die letzten Tage mürbe gemacht hatte. Das Leben glitt durch meine Finger wie
der schon oft beschworene heiße Sand am Strand. Ich konnte zwar zu sehen, es
aber nicht verhindern.
see the dead end streets
67
„Kung-Fu-Schule rechts!“ senden meine Augen als Bildinformation an meinen
Kopf. Mein Gehirn verarbeitet diese Massage und trifft innerhalb weniger
Sekundenbruchteile eine Entscheidung. Daraufhin befielt meine Gehirn meiner
linken Hand: „Bewegen und Hebel nach oben drücken!“
Das sind natürlich nur zwei kurze Meldungen und Vorgänge, die mein Körper beim
abbiegen bewältigt. Kritisch wird es erst, als ein Radfahrer rechts neben meiner
Beifahrertür auftaucht. Sein Gesichtsausdruck spiegelt das bloße Entsetzen
darüber wieder, dass ich auf einmal doch abbiegen möchte und dass dieses
Abbiegemanöver seinen geraden Weg auf dem Fahrradweg überraschenderweise
doch in einem Punkt schneiden würde. Mein Gehirn läuft auf Hochtouren. Hätte
ich doch weniger Alkohol intus. Was jetzt? Ein Zusammenprall, dann die Polizei,
Blut abnehmen, Führerschein weg, Job gekündigt, kein Geld mehr für die Miete
und Obdachlosigkeit. Teufelsspiralen drehen sich vor meinem inneren Auge, wo
sind bloß die alten Zeitungen?
Während meine Phantasie Achterbahn fährt, ein Bild nach dem nächsten
durch meine Gehirnwindungen bläst und es nicht in Ruhe lässt, hatten meine
Arme und Beine ein reges Eigenleben entwickelt. Fernab jeglicher Kontrolle
durch Kopf, Magen oder Herz hatten sie nahezu zeitgleich das Bremspedal in
Richtung Asphalt gekickt und das Lenkrad wie beim Glücksrad geschwungen.
Anstatt „Bankrott“ leuchtete „Extra-Dreh“ auf der Tankanzeige auf. Den
drachenmädchen
beinahe Aussetzer überstanden, einen glücklichen aber laut fluchenden und
schimpfenden Radfahrer zurücklassend, stand ich mit abgewürgtem Motor auf der
Kreuzung. Hinter mir begann ein einstimmiges Hubkonzert und ich startete den
Wagen wider des besseren Wissens erneut. Es waren nur noch wenige Meter.
Wie ich in diesem debil angeschlagenen Zustand mein Auto in eine Minilücke
lenken konnte, sollte für mich ein Rätsel bleiben. Aber eine gewisse Bestätigung
doch nicht zu besoffen zum Autofahren zu sein war es sicherlich schon. Die
letzten Meter gestalteten sich dann unspektakulär, da ich ja wieder zu Fuß
unterwegs war und den Bahnhof erreicht hatte. Ein Blick auf die überdimensional
große Bahnhofsuhr sagte mir, dass ich gut in der Zeit war. Viertel vor Acht!
Dein Zug kam um Acht, oder? Ich schaute schnell auf diese schwarz-weißen
Ankunftspläne und stellte fest, dass um acht Uhr kein Zug aus deiner Richtung
kam. Auch nicht kurz vor Acht oder kurz danach. Ich konnte mich plötzlich
auch nicht mehr daran erinnern, dass du etwas von Acht gesagt hattest. 18:48
war ein Zug angekommen, den du hättest nehmen können. Oder halt 20:48. Zu
viele Achten, für meinen Geschmack. Was sollte ich tun? Vielleicht wartetest du
schon seit knapp einer Stunde auf mich, ich Idiot. Schnell rannte ich Bahnsteig
Sieben hoch. Eine ganze Horde Passagiere drängelte sich gerade in den Zug in
Richtung Norden. Ich versuchte verzweifelt die Sitzgelegenheiten des Bahnsteigs
mit meinen Augen nach dir abzusuchen, doch vergeblich. Jedes mal wenn ich
freie Sicht erhaschte, erblickten meine Augen nur eine leere hölzerne Bank.
Kein Mensch weit und breit, der sich auf diesem Bahnsteig befand und nicht aus
einem Zug ausstieg oder einsteigen wollte. Außer mir!
Nach und nach schaute ich auf den anderen elf Gleisen nach, da ich plötzlich
nicht mehr wusste, warum ich ausgerechnet zu Gleis 7 gelaufen war, aber das
Bild glich sich überall. Wenn irgendwo Menschen saßen, sahen sie dir in den
meisten Fällen nicht einmal annähernd ähnlich. Nur einmal hatte ich deinen
Namen voller Begeisterung ausgerufen und war zu einer Bank gelaufen. Doch
als die Person sich umdrehte bemerkte ich, dass er nicht einmal das gleiche
Geschlecht hatte wie du. Und außerdem, obwohl die Länge der Haare hätten
übereinstimmen können, war die Farbe eine andere.
Mittlerweile war es zwanzig Minuten nach Acht, ich hatte den Bahnhofsvorplatz
abgesucht, den Hintereingang durchquert, dann einmal von dem Hintereingang
zum Vordereingang und andersrum. Du warst nicht da. Ich ließ eine Durchsage
durch den Bahnhof machen und erkundigte mich zeitgleich nach Dir. Doch auch
drachenmädchen
das verlief ohne Erfolg. Ich entschied mich am Kiosk ein Bier zu holen und
wartete darauf, dass du um 20:48 ankommen würdest. Ich nahm das Bier, begab
mich auf den Bahnsteig an dem der Zug einlaufen sollte und setzte mich auf
die hölzerne Bank. Das Bier floss gut, meine Kehle wurde wieder feucht und ich
ließ vor meinem inneren Auge die Situation ablaufen, wie wir uns in den Armen
liegen, wenn du aus dem Zug aussteigst.
Als ich wieder aufwachte huschte mein panischer Blick als aller erstes auf die
Bahnhofsuhr.
„Scheiße! Verfluchte Kacke, ich geh kaputt …!“ Ich sprang auf, das halbvolle
Bier in meiner Hand wurde voller Verachtung mir selbst gegenüber auf die
Schienen gedonnert und ein älterer Mann beobachtete mich argwöhnisch. Von
dir und deinem Zug fehlte mittlerweile jegliche Spur und in meiner Frustration
trat ich gegen die nächstbeste Werbetafel. Da das Loch in dieser wohl nicht
allzu lange unbemerkte bleiben würde und mir mein Fuß nun anfing höllisch zu
schmerzen, zu höllisch um mich auf eine Verfolgungsjagd mit einem Bahntypen
einzulassen, humpelte ich so schnell es ging von dannen.
Wenn du aus dem Zug ausgestiegen wärest, hättest du mich sehen müssen,
dachte ich während ich noch einmal durch den Bahnhof humpelte und dich
suchte. Ich musste mir was einfallen lassen, aber ersteinmal aus dem Bahnhof
raus, denn der Rentner vom Bahnsteig würde mich garantiert verpfeifen.
Als ich am Auto ankam stand ich nun vor zwei Riesenproblemen. Dabei war erst
mal ein kleines zu bewältigen, denn wo war der Autoschlüssel? Mein Gefluche
begann erneut, ich war kurz davor das Bier, welches mir auf der Flucht humpelnd
am Kiosk gekauft hatte, durch die Nacht zu werfen, konnte mich allerdings noch
zurückhalten. „Wo war denn der verfluchte … der muss doch hier irgendwo …
verdammt!“ Nachdem ich alle meine Hosen-, Jacken- und sonst wie Taschen
durchsucht hatte, zweimal, stand ich vor meinem Auto und dachte, der Tiefpunkt
wäre erreicht. Ein letzter Blick ins Innere des Autos, in die trockene Welt
des Volkswagens. Dem Licht der Laterne gebührte der Dank, dass ich meinen
Schlüssel im Auto blinken sah. Genau an der Stelle, wo ich ihn vor mehr als zwei
Stunden nach mehrmaligen Versuchen hereingesteckt hatte. In dem Zündschloss,
super. Demnach waren die Türen noch offen. Ich schleppte mich also ins Auto,
war froh, endlich sitzen zu können und öffnete mir auf den Schock erst einmal
ein neues Bier.
In Ruhe konnte ich mich jetzt den beiden größeren Problemen widmen. Erstens,
autoschlüssel?
68
wo sollte ich dich suchen und wo konntest du nur sein? Zweitens, wie sollte ich
hier jemals aus dieser verflucht engen Parklücke herauskommen?
Wenn man sich selber „nimm dich zusammen“ sagen hört und zeitgleich noch
selber gemeint ist, muss man aufpassen. In dem Moment befindet man sich an
mindestens einer Grenze. Ich war gleich an mehreren Grenzen. An der Grenze
endgültig rotzbesoffen zu sein, denn mein Alkoholpegelstand sendete SturmflutWarnungen an meinen Kopf und mein Gutelaunepegel war so tief gesunken, dass
ich eigentlich im Fußraum des Golfes sicherlich schon drauf getrampelt war. Egal,
ich musste dich finden, nur wo würdest du sein? Die Fragen hinterließen ein
Echo in meinem leeren, besoffenen Kopf, prallten wieder ab und wiederholten
sich. Aber, bevor ich mich auf die Suche machen konnte, musste ich aus dieser
zugeparkten Situation ausbrechen. Wie war ich hier bloß reingekommen?
Rückwärtsgang rein, Zündung an, ein Stück zurück, Lenker einschlagen, Stück
nach vorne, Lenkrad in die andere Richtung, sich eine Servolenkung wünschen,
fluchen, Rückwärtsfahren, Lenken, bzw. mittlerweile am Lenkrad herumreißen,
lauter fluchen, die Servolenkung, dessen Erfinder und alle seine Besitzenden
gleich mit verfluchen, Autoradio einschallten. Gasgeben, fluchen! „Scheiße!“
entfuhr es meinen Lippen, ich hatte vergessen den Vorwärtsgang einzulegen und
war mal locker auf meinen Hintermann drauf geknallt. Nicht hart, aber deutlich.
Schnell Vorwärtsgang eingelegt und nichts wie weg. Zu Hause könnte ich mir
den Schaden ja schließlich noch ansehen. Wo war eigentlich meine Bierflasche,
überlegte ich mir, als ich sie leer im Fußraum der Beifahrerseite herumrollen
hörte.
Zuerst wollte ich bei mir zu Hause sehen, ob du vielleicht zu Fuß zu mir gegangen
warst und wir uns nur knapp verfehlt hatten. Auf dem Weg hielt ich an einem
Kiosk, kaufte nochmals einen Sixpack, für uns beide bei mir, und stand dann vor
meiner Tür. Doch niemand war da. Weder du, noch einer meiner Mitbewohner,
noch war eine Nachricht zu finden. Ich öffnete eine Flasche Bier und setzte
mich in die Küche. Mmh, wo konntest du nur sein. Ein ausgedrückter Joint lag
im Aschenbecher und ich reanimierte ihn noch mal. Für einen Moment fühlte
ich mich schwerelos, bis dann die Erdkraft mich wieder voll erwischt, ich vom
Stuhl plumpste, mein Bier verschüttete und noch einmal laut fluchte. Schnell ein
neues geöffnet und dann wieder ins Auto, du musstest doch irgendwo hier sein.
Du wolltest doch kommen. Ich war mir sicher. Du hattest es gesagt.
Ich beschloss die Kneipen abzustottern, in denen wir öfter zusammen gesessen
mika fäll langsam vom hocker
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hatten. Blechtrommel, Fehlanzeige, Watusi Bar, Fehlanzeige, Doc Müllers
Raketencafé, Fehlanzeige. Kurzzeitig kam mir der Entschluss im Raketencafé zu
warten und ein Bier zu trinken. Du würdest mich ja auch suchen, also, vielleicht
würdest du ja in die Kneipe kommen. Nichts geschah. Es kamen zwar etliche
Leute in die Kneipe und jedes Mal horchte ich auf, aber du warst nie dabei. Auch
zwei Bier später nicht. Also wieder ins Auto.
Ich brauchte ca. drei Minuten bis ich es endlich geöffnet hatte und bis ich
angeschnallt und der Motor am Laufen war, vergingen bestimmt weitere fünf. So
konnte es nichts mehr werden. Ich war zu besoffen, stellte ich fest. Andererseits
war meine Kehle wieder trocken und im Auto lagen noch vier kleine Freunde. Und
eins ging immer noch, schließlich musste ich noch überlegen, wo du warst.
Irgendwann bin ich dann bei Butt’s Bierstube am Bahnhof angekommen.
Das Ende aller Reisen. Mein Auto parkte auf dem Gleisparkplatz direkt am
Parkscheinautomaten, Spötter würden behaupten fast im Parkscheinautomaten
und ich schleppte mich zum Tresen. „Ein großes Bier bitte!“ doch die Bedienung
verstand mich nicht auf Anhieb. Ich versuchte mich noch einmal deutlicher zu
artikulieren, doch es gelang mir nicht wirklich. Ich zeigte auf das große Bier
meines Nebenmannes und machte mit dem Daumen eine Gastwirtschafts-Eins.
Ich bekam gerade mein Bier auf einen Bierdeckel vor mein Gesicht gestellt, als
mein anderer Nebenmann mich von der Seite ansprach. „Mensch, was machst du
denn hier? Siehst ja fertig aus, was’n los?“
Ich drehte mich um. Kannte ich diese Person? Ich wusste es nicht, aber die
Stimme kam mir bekannt vor. Trotzdem war ich froh, dass er zumindest mich zu
kennen schien. Ich erzählte ihm von meiner Odyssee, dass ich doch nur meine
Freundin vom Bahnhof abholen wollte. Dann kam es über mich und ich erzählte
den Tränennahe, wie beschissen die letzten Tag gewesen wären. Er schien mir
zuzuhören, er war also ein Freund. Doch zwischen all den Worten die sich über
mich vergossen, stellte er mehrmals die Frage, ob ich eine Neue hätte.
Irgendwann hakte ich nach, „Eine Neue was?“ Er schaute mich überrascht an.
„Eine neue Freundin?“. Wie, was, warum? „Häh?“, donnerte es in meinem Kopf,
wieso denn eine Neue? „Hast du nicht gesagt, sie hätte letzten Samstag mit dir
Schluss gemacht?“. Was war letzte Woche gewesen? Langsam dämmerte es bei
mir, bevor ich vom Hocker fiel und einschlief!
drachenmädchen
I’ve got the dungeon master’s guide.
Speaking of Leichen im Keller. Rollenspiele. Darf ja wohl nicht wahr sein.
Und doch: Sag’ mir, welchen Charakter du damals gespielt hast, und ich sage
dir, was für ein Mensch du bist. Wenn du dich jetzt angesprochen fühlst, darf
ich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass du ein Mann bist.
Zumindest soviel muss sicher sein, sonst verlieren wir hier noch alle den Boden
unter den Füßen.
Nun gut – was durfte es denn sein: Shadowrun, Schwarzes Auge, oder vielleicht
sogar MERS (wer die Abkürzung ohne Internet-Recherche entschlüsseln kann,
gewinnt einen 20-seitigen Würfel)? Ich war ja eher für ersteres, weil man dort
prima jene Schusswaffen-Neurose ausleben konnte, die man als Kind aus
einem politisch korrekten Haushalt ebenso sicher wie andere schwerwiegende
Persönlichkeitsstörungen mit sich herumtragen durfte bzw. auch gerne noch
darf. Ich sag’ nur: Knarren-Surrogate aus Duplo-Steinen. Oh Mann. Nicht
auszudenken, was ohne den ‚Straßensamurai-Katalog’ aus mir geworden wäre.
Gespielt habe ich trotzdem eher Schwarzes Auge, weil ich da in eine Spielgruppe
geraten war, die ziemlich konstant Treffen abhielt. Man frage bloß nicht, wie ich
da hineingeraten bin; ein Kontext, in dem sowohl ‚evangelische Kinder- und
Jugendbibliothek’ als auch ‚ehrenamtliche Mitarbeit’ eine Rolle spielen, sollte
dem interessierten Leser als Anregung für biographische Mutmaßungen genügen.
Man wird halt nicht als Punk geboren…
drachenmädchen
Das geht nämlich so: Doppelhändige Streitaxt, Saraszener-Dolch, Kettenpanzer,
Uzi, automatische Schrotflinte, Kevlar-Panzer, AC/DC, Metallica, No Fx, Sonic
Youth, Hüsker Dü, Flannel-Hemd. Und fertig ist der Jungmann.
Sollte sich eine spätere Zivilisation gen-modifizierter Supermenschen
Houllenbequ’scher Prägung bemüßigt fühlen, nachzuforschen, wie das denn
damals eigentlich alles so schief gehen konnte, empfehle ich Recherche nicht nur
auf altbekannten Baustellen wie z.B. Serienmörder, Diktatoren oder Kindersoldaten
in Afrika zu betreiben. Vielmehr sollten auch Aufzeichnungen hitziger RollenspielSessions begutachtet werden, innerhalb derer die adoleszenten Komplexbündel ihre
angestauten Aggressionen und sozialen Unzulänglichkeiten mit einer nur noch in
Megatonnen zu messender Sprengkraft detonieren lassen. Ja, Spiegel und Focus
haben recht: Alles kleine Monster. Pubertärer Scheiß, unterbewusst angetrieben
durch sexuelle Frustration und klebrigen Hormon-Überschuss. Also richtig eklig.
Und gerade darum: toll.
Ja, liebe Mädchen, das haben die komischen Jungs damals in ihren Kellern und
Kinderzimmern so getrieben. Manchmal packt mich zu allem Überfluss das Gefühl,
dass sich eigentlich soviel gar nicht geändert hat. Sitze ich jetzt vorm Green-HellKatalog, muss ich an damals denken, als der Fantasy-Productions-Katalog einen
Hauptteil meiner Zeit beanspruchte. Ist ja klar: Luftschlösser bzw. –schutzbunker
bauen. Ja, ganz richtig: Streuner. Eher der poetische Typ, so. Mit ner fetten AK-47
in der Hinterhand. So watch out while you’re playing your tricks.
the mighty hans
vorwort
drachenmädchen
besser verdient habt. Vor mir sitzen zwei
13-14-jährige Jüngelchen, schön auf Ghetto
gestylt. „Mann war das ein harter Schultag
Alta, isch bin platt, isch schwör ey“. Ok Jungs,
ihr seid auch heiße Kandidaten. Was wisst ihr
schon vom harten Leben ihr Wichser. Schön
bei Mutti wohnen, immer Essen parat, die
Wäsche wird gemacht, usw.. Geht kacken, hart
wird es für euch erst wenn ihr Angestellte
der Agentur für Arbeit seid, eure „Kumpels“
euch nicht mehr kennen wenn sie im Benz
an euch vorbeifahren und die neue deutsche
Welle einleiten. Vielleicht geben sie euch
noch ein Bier aus und man schwafelt über
alte Zeiten, wie man damals geil die Penne
geschwänzt hat. Tja, leider hatten eure Alten
keine Kohle, also auch keine Nachhilfe, keinen
Job, egal, war auf jeden Fall ne geile Zeit,
würden Juli wahrscheinlich sagen. 15:29, an
der Haltestelle Herzlia-Allee steigt ein Typ mit
Blaumann ein. Er setzt sich gegenüber von
meiner Reisebegleitung und mir, diese packt
die Gelegenheit sofort beim Schopfe und
rückt mir noch ein bissken mehr auf den Pelz.
Blaumann, ca.40, mit Schnäuzer zieht erstmal
eine BILD aus der Zollstocktasche. „Urlaub
im Puff “ prangt in BILDtypischen Lettern auf
der Titelseite. Daneben ein unscharfes Bild auf
welchem man die Umrisse eines grauhaarigen
Mannes erahnen kann. Der Unterschlagzeile
entnehme ich dass wieder einmal ein
Untermensch, ähhh, Sozialhilfeempfänger
sich auf unsere Kosten ein Superleben leistet.
Na logo, is doch alles so easy. Blaumann
blättert weiter, schlägt die Seiten um und
schon der nächste Reißer, „…und SIE lacht
auch noch..“. SIE ist wieder auf einer völlig
unscharfen Aufnahme als ca. 15-16jähriges
dunkelhaariges Mädchen zu „erkennen“. SIE
hat ihr Neugeborenes heimlich entbunden
und elendig verrecken lassen. Ok, ist nicht so
wirklich prickelnd, aber ich kann mir nicht
vorstellen dass das Mädel dies aus Spaß an der
Freud gemacht hat. Aber die wahren Gründe
interessieren BILD einen Dreck, lieber ein
armes Mädel als gewissenloses Monster
darstellen, das garantiert wenigstens eine hohe
Auflage, und überhaupt, was zählt schon ein
Menschenleben? Stand nicht auch schon in
der Bibel Auge um Auge…? God bless US
all. Das Mädel auf Seite eins heißt diesmal
übrigens Carla, sie spielt Golf, ist geschickt
weil sie hofft, es sei er. Doch sie nimmt niemals
ab, sie macht niemals auf. Sie sitzt einfach
da und ihre Augen werden feucht. Sie sitzt
einfach da und ihre Hände fangen an zu zittern.
Meistens ist es nach ein paar Minuten wieder
vorbei, manchmal aber auch nicht. Manchmal
dauert es die ganze Nacht, manchmal noch
länger. Ihre Periode ist ausgeblieben. Aber das
heißt nicht das eine. Sie hat nur seit Wochen
fast gar nichts mehr gegessen und das, was sie
gegessen hat, hat sie meistens nicht bei sich
behalten können. Sie hat abgenommen, mehr
als auch nur annähernd gesund wäre. Ihre Haut
hat jegliche Farbe verloren. Ihre Augenringe
sind größer als ihre Augen. Sie hat wieder mit
dem Rauchen angefangen. Sie weiß, dass es
falsch ist, aber sie weiß halt auch, dass es egal
ist und es lenkt sie wenigstens einen Moment
ab, wenn sie die Zigaretten auf ihren Armen
ausdrückt. Sie geht auch nur noch selten ins
Büro. Ihr Chef fragt sie schon nicht mehr nach
einem Kankenschein. Keiner traut sich sie
anzusprechen. Sie ist wie ein Gespenst. Aber
Gespenster sind doch rastlose Seelen, die noch
irgendwas zu erledigen haben auf der Welt, auf
die noch etwas wartet. Auf sie wartet nichts
mehr, nur noch der Tod und was, noch schlimmer
ist, die Einsamkeit. Vielleicht ist sie schon tot,
vielleicht wäre es wirklich besser, wenn sie es
wäre. Sie spürt den kalten Stahl zwischen ihren
Fingern. Die Rasierklingen hat sie schon vor
einer Woche gekauft. Nur für den Fall. Heute hat
sie sie ausgepackt. Sie sind so klein, so leicht
und so zerbrechlich. Und doch so tödlich, wenn
man nur mit ihnen umzugehen weiß. Zwei kleine
Schnitte und jeder noch so schnelle Arzt käme
zu spät. Der Stahl fühlt sich kalt an auf der Haut
ihres Unterarms. Morgen ist auch noch ein Tag.
Vielleicht.
keine Nacht wirklich durchgeschlafen. Mehr
als einmal hat sie gar kein Auge zu bekommen.
Im Büro starrt sie dann manchmal eine Stunde
auf den Bildschirm ohne auch nur eine Taste
zu berühren. Sie starrt auf den Schirm bis ihre
Augen brennen. Sie starrt auf den Schirm und
sie sieht sein Gesicht. Er lächelt. Er lacht. Er
ist glücklich. Glücklich mit ihr. Nicht nur das.
Er ist glücklich ohne sie. Ohne sie! Und was
ist mit ihr? Ist sie ihm denn total egal? Für sie
bricht eine Welt zusammen, ihre Welt, seine
und ihre. Die Welt, die sie sich zusammen so
mühsam aufgebaut haben, und er trampelt
einfach darauf herum, reißt alles ein, lässt alles
stehen und liegen und verschwindet. Sie hatten
doch eine Zukunft. Sie hatten doch Träume.
Sie hatten doch Pläne! Sie hatten doch alles,
was sie brauchten, denn sie hatten sich. Reicht
ihm das jetzt nicht mehr? Bedeutet ihm all das
denn gar nichts mehr? Hat es ihm überhaupt je
etwas bedeutet? Wie kann er das alles einfach
so vergessen? Wieso will er das alles einfach
so vergessen? Sie kann es nicht vergessen und
sie will es eigentlich auch gar nicht, und selbst
wenn sie es wollte, sie könnte es nicht. Überall
wo sie hinsieht, sieht sie ihn. Das Regal, das
sie zusammen angeschraubt haben. Die Vase,
die er ihr geschenkt hat. Das Sofa, auf dem
sie gelegen haben. Das Bett, das sie geteilt
haben. All das ist noch da, doch es wirkt alles
so falsch ohne ihn. Es ist alles nicht komplett
ohne ihn. Er fehlt. Er fehlt an allen Ecken und
Enden, und vor allem fehlt er ihr. Sie fühlt sich
so alleine. Sie fühlt sich so leer. Sie will auch
ihre Freunde nicht mehr sehen, denn in jedem
Gesicht erblickt sie ihn. Jedes Paar Augen hat
doch auch ihn schon mal erblickt, und in ihnen
ist noch immer sein schwaches Spiegelbild zu
erkennen. Zumindest sieht sie es. Jedesmal
wenn das Telefon klingelt, rutscht ihr Herz in
Urlaub im Puff und SIE lacht auch noch!!
Knallhart, ungeschönt, ungeschminkt, von
Onkelchen
Ein Freitag im Juli. 15:17, Bushaltestelle am
Krankenhaus, ca.38Grad. 15:19, der SB25
kommt, die Türen öffnen sich, drückende
Luft versucht sich aus ihrem fahrbaren
Gefängnis zu befreien. 15:20, die nach 4711
(echt kölnisch Wasser) riechende Omma,
hat es endlich auf die Kette bekommen und
ihr Hinterteil in einen Sitz gefläzt. Immer
noch 15:20, meine Adleraugen haben einen
freien Platz erspäht und ich setze mich neben
eine mollige Mitdreißigerin mit blonden,
halblangen Haaren und Riesenbrüsten. Sie
fährt öfters mit mir im Bus, diesmal scheint
sie in ein Deutschwörterbuch vertieft, mir
kommt es allerdings so vor dass sie versucht
sich an mir zu reiben. 15:22, ich stecke
die Ohrstöpsel meines MP3-Players in die
Lauscher, es erklingt ALL, ich schließe die
Augen, versuche die verschiedenen Gerüche
zu differenzieren und ein wenig Heia zu
machen. 15:24, heute ist nicht mein Tag, die
Batterien des MP3-Players verweigern ihren
Dienst. Ok, also das alte Lied, wer fährt
heute im SB25 und verdient sich den finalen
Rettungsschuss? Die beiden Mädels rechts
neben mir, ich schätze sie auf höchstens
20, sind schon heiße Kandidatinnen. Ihrem
Gesülze entnehme ich dass sie schon auf
ein Eigenheim sparen, für ihre Rente mit
einem Bausparvertrag vorsorgen und dass
beide auch dieses Jahr noch heiraten wollen.
Nachdem Altersvorsorge und Lebenslauf
bis zur Beerdigung abgeschlossen sind,
zerreißt man sich nun das Maul über Alexa,
die blöde Schlampe. Alexa kifft, hat einen
Iro, trinkt Bier im Park und hat schon mal
mit zwei Männern gleichzeitig Sex gehabt.
Ich bezweifle zwar dass Ihr das lest, ich
meine euch männliche Flachpfeifen die ihr
demnächst in den Hafen der Ehe einfahren
werdet, aber trotzdem. Geht lieber mit Alexa
in den Park, raucht Einen, trinkt Bier und
kopuliert was das Zeug hält mit Alexa. Ist
vielleicht nur für einige Monate aber besser
als sich jahrelang auf eine Tussi zu legen, die
sich beim Akt Gedanken über den Lohnsteu
erjahresausgleich, eine neue Tapete, oder das
Mittagessen für den nächsten Tag machen.
Allerdings denke ich dass Ihr es auch nicht
die Hose, weil sie hofft, es sei er. Jedesmal
wenn es an der Tür läutet, hält sie den Atem an,
Seit er weg ist, ist sie völlig durch den
Wind. In den vergangenen drei Wochen hat sie
70
71
drachenmädchen
vorwort
im Umgang mit Bällen und Hauptsache
das Grün ist immer gut gestutzt, zwinker
zwinker. 15:32, Marl-Mitte ist erreicht, ich
muss umsteigen in den SB26, die mollige
Mitdreißigerin ebenfalls, leider haben wir ihn
um eine Minute verpasst und somit eine halbe
Stunde Aufenthalt. 15:34, ich habe mir gerade
am ZOB-Büdchen ein eiskaltes Traugott
Simon gegönnt und in zwei Zügen geleert.
15:37, Mist, warum bin ich nicht so cool und
lasse den Dingen freien Lauf? Stattdessen
unterdrücke ich einen der besten Rülpser
seit der Grundschule. 15:39, kaum habe ich
meinen Tabak ans Sonnenlicht befördert,
kommt schon der erste Passivraucher an. Ein
MegaMöchtegernHipHopStar, ca.15. Ich habe
heute meinen sozialen Tag und halte ihm den
Beutel hin. Er kann leider nicht drehen, ob ich
nicht so nett sein könnte. Sagte ich schon dass
ich heute meinen Sozialen habe? Ok, deswegen
bleibt die 7mm Walter heute auch im Holster,
die Kniescheibe bleibt folglich an ihrem
rechten Platz und ich säusel ihm zärtlich ein
„verpiss dich“ ins picklige Angesicht. 15:45,
mit hartem, russischem Akzent fragt mich
eine weibliche Stimme nach Feuer. Es ist die
mollige Mitdreißigerin mit den Riesenbrüsten.
Während ich ihr die Flamme hinhalte sehe
ich dass sie einen schwarzen BH anhat. Sie
hat mich in ihren Fängen, eine wahre Flut an
Informationen prasselt wie ein Regenschauer
auf mich ein. Sie heißt Julia, ist 36(ich kann
schätzen wa?), kommt aus Kasachstan und
wohnt seit 2 Monaten in Dorsten. Ich fühle
mich ein wenig kontrolliert als sie mich fragt
ob ich Arzt bin, der kalte Krieg ist doch
schon lange passeé denke ich noch. Vielleicht
war sie früher mal beim KGB, oder was
wahrscheinlicher ist, sie möchte ein Kind
mit mir zu machen und verfolgt mich auf
Schritt und Tritt. Kurz überlege ich ob ich ihr
erzählen soll dass ich Oberarzt bin, entscheide
mich dann allerdings für den alten, aber
immer guten, Witz dass ich Krankenschwester
bin. Hahaha, sie lacht, tja, ich bin schon ein
Gigolo, scheiße wie werd ich die wieder los?
16:01, endlich, der SB26 trifft ein. Gemeinsam
steigen wir ein, ganz zufällig fällt ihr Ticket
auf den Boden. Ihr gewaltiger Hintern zwingt
mich förmlich zu einer Berührung mit meiner
Nase, ich drehe den Kopf leicht seitlich um
dies zu vermeiden. Nicht dass ich sie jetzt
besonders unattraktiv finden würde, aber
irgendwie, ich weiß nicht so recht, da hilft
auch ihr schwarzer String nicht. 16:28, wir
erreichen die Haltestelle Wulfener Markt,
Julia muss aussteigen. Dankend lehne ich ihr
Angebot, einen Kaffee mit ihr zu trinken,
ab. 16:31, Haltestelle Fritz-Eggeling-Allee,
nun habe auch ich mein Ziel erreicht, endlich
Wochenende.
Ein paar Wochen später. Montagmorgen,
5:38, Haltestelle am Krankenhaus, ich steige
aus, drehe noch ein Kippchen, die Luft
ist angenehm, noch ein Zug, ich betrete
das Krankenhaus. 5:47, ganz in weiß,
ohne Blumenstrauß, komme ich auf meine
Station, die gute Nachtschwester Monika hat
selbstverständlich den Kaffee fertig. 6:07,
mittlerweile sind alle Kollegen anwesend,
Übergabe, ich hatte sechs Tage frei, es sind
einige Neuaufnahmen gekommen. 6:45,
schnell noch den letzten Schluck Kaffee
getrunken dann geht´s los. 7:18, ich betrete
Zimmer 7-08, das Gesicht kenne ich doch, ich
überlege kurz, Julia, meine Busbekanntschaft.
7:43, ich lese Julias Krankenakte, Julia hat
Condylomata acuminata. 7:47, durch einen
Blick in den Pschyrembel erfahre ich dass es
sich hierbei um eine durch Geschlechtsverkehr
übertragene Virusinfektion handelt. 7:51,
weiter steht in Julias Krankenakte dass sich die
Condylome sowohl vaginal als auch peri anal
befinden.
Da nicht alle so einen 7ten Sinn wie das
liebe Onkelchen haben, geb´ ich Euch die
Dermatologenweisheit mit auf den Weg.
Drum prüfe wer sich ewig bindet, ob sich ne
Effloreszenz am Arsch befindet.
72
vorwort
drachenmädchen
74
75
LUX.BE.NE – Reise durch Nachbarstaaten
die Luxemburger zeichnen nach wie vor alles in ihrer prä-Euro-Währung aus
und ein Bier kostet dann „700“. Drei Euro ist da schon konkreter, also zwei
und geniessen den kühlen Schlaf. Als ich aufwache ist die Sonne um die Ecke
der Baumreihe gebogen und knallt mir erbarmungslos in die Fresse. Der linke
nur selten so unerwartet erlebt. Kein Reiseführer = große Überraschungen.
Der Fahrtwind hatte bestimmt 35 Grad. Zur Abkühlung hielten wir an einem
01. LUX
Luxemburg ist die langweiligste Stadt, die ich kenne. Stimmt nicht ganz,
Holzwickede ist langweiliger, ist aber schließlich auch keine Hauptstadt. Als
wir gegen 23 Uhr im Herzen Luxemburg-Stadts direkt einen gebührenfreien
Parkplatz gefunden haben, hätte uns das eigentlich schon komisch
vorkommen müssen, aber wir waren euphorisiert und begierig.
Bier. Und schon kommen die Russinnen, für jeden eine. Flank hat wegen
mangelnder Fremdsprachenkenntnisse und hohem Ignoranzfaktor bald Ruhe,
aber ich, mit meinen fünf Jahren Französisch als zweiter Fremdsprache und
der Unfähigkeit, damit nicht beeindrucken zu wollen, führe Konversation
mit Ines aus Moskau. Ich frage sie, wie Luxemburg denn so am Tag sei. Ines
aber kennt von Luxemburg nur die Bar, ihre Wohnung und den Weg zwischen
beiden. Und sie habe noch nie was von den zwei Hügel gehört, auf denen
Luxemburg steht und die mit ein paar tollen Brücken verbunden sind. Ich
glaube ihr nicht, aber sie streichelt trotzdem meine Hände, guckt mir tief in
die Augen, aber irgendwann hat auch Ines begriffen, dass bei mir nichts zu
holen ist und ist weg. Wir dann auch, zum zentral gebührenfrei geparkten
Auto, raus aus Luxemburg.
Teil meiner Unterlippe ist geschwollen. Schlimmer als die Schwellung an sich
ist die Vorstellung, wie sie entstanden ist: wie irgendwas auf meiner Lippe
rum krabbelt, während ich schlafe und dann sticht oder beisst es mich.
Stausee. Ich pinkel in das luxemburgische Trinkwasser und lasse mich dabei
auf meinem geborgten Body-Board an den Badenden vorbeitreiben und
merke zu spät, dass meine Brustwarzen durch intensives Body-Boarding
mehr als sensibilisiert sind. Jeder Luftzug ist Pein, jede Berührung mit Stoff
lässt einen unbekannten Schmerz aufblühen.
Die beiden Straßen-Cafés neben unserem Parkplatz sind gut besucht und
die Menschen auf der Straße wirken, als seien sie auf dem Weg in ihr
luxemburgisches Nachtleben. Und genau da wollen wir auch hin. Wir lassen
die Cafés liegen und gehen erst mal ein bisschen durchs Viertel. Als wir nach
einer halben Stunden von unserer ersten Schleife zurückkommen, sind die
Cafés zu und die Menschen verschwunden. Was noch offen ist, sind Bars,
a.k.a. Nights-Clubs. So viele, dass wir nicht glauben konnten, das man da
nicht einfach rein und ein Bier trinken kann, ohne eine 19-jährige Russin auf
dem Schoss zu haben. Nach ein paar weiteren erfolgslosen Schleifen durch
die verödete luxemburgische Innenstadt gehen wir also rein, in die Bar.
Bier bestellt, vorher noch schnell gefragt, wie teuer das Bier komme, denn
unterwegs
Flank fährt und fährt, auf der Suche nach einem entspannten Platz zum
Pennen und als ich auf dem Beifahrersitz mit Nackenschmerzen aufwache,
liegt er im Gras, neben einer Schnellstraße, im ersten Sonnenschein. So geht
das nicht, also fahre ich weiter, nur ein paar Meter, links in den Waldweg. Im
Schatten der Tannen legen wir uns auf die Isomatten und unter die Decken
drachenmädchen
Ich weiß nicht, warum wir noch mal nach Luxemburg reinfahren, vielleicht,
um mal Menschen auf den Strassen zu sehen. Wir trinken einen Kaffee. Mit
meiner Lippe muss ich aufpassen, nicht zu schlabbern. Flank liest aus der
Zeitung vor, dass die Mücken dieses Jahr wegen der Hitze keinen feuchten
Platz zum Legen ihrer Eier finden. Beiläufig drücke ich auf meiner Unterlippe
rum, um zu checken, ob´s schon kribbelt und wann die Mückenlarven
schlüpfen. Pro forma gehen wir einmal durch die Stadt, schlendern in der
Bruthitze über die schönen Brücken, sehen Menschen und fragen nicht, wo
sie gestern Abend alle waren. Zum Abschied tritt Flank noch mal vor den
Cola-Automaten, der gestern Nacht weder Erfrischung raus noch Geld zurück
gegeben hat.
Ich frage mich, warum ich mir Luxemburg und Belgien so flach wie die
Niederlande vorgestellt habe. So was Zerklüftetes wie Luxemburg habe ich
drachenmädchen
02. BE
Wenn man von Deutschland nach Holland fährt, muss man auf 30
Stundenkilometer runter. Man spürt sozusagen durchs Bremspedal die
Grenz-Erfahrung. Von Luxemburg nach Belgien darf man und mit 120 kmh
einreisen und schnell sind wir bei Brüssel. Zwei Ausfahrten vorher fahren
wir ab, auf einen Campingplatz mit 90%iger Dauer-Camper-Kundschaft, eine
überwältigende Mehrheit Profi-Camper. Alle haben aufgeschaut, gebellt und
ein paar sind sogar aufgestanden und sind an ihren Zaun gekommen. Wir
haben alle freundlich angelächelt. Während ich die Dusche checke, baut
Flank das Zelt auf. Kurzes Entspannen. Dann schnell nach Brüssel. Peripher
geparkt, weil uns nicht der Sinn nach belgischem Spät-Feierabend-Verkehr
steht. Mit der U-Bahn ins Zentrum.
bei den nachbarn
76
Brüssel ist voll und das wird sich in dieser Nacht nicht mehr ändern. Bis drei
Uhr nachts sind Menschen auf den Strassen, ich vermute, dass ein großer
Teil davon Luxemburger sind. Wir lassen uns durch die Stadt treiben und
ich summe permanent ein Lied der New Yorker Band Bowery Electric mit
dem Titel „Floating World“, in dem „a sea of people“ durch die Strassen
„floatet“ und die melancholische Sängerin fragt „how can you sleep?“.
Darauf habe ich in Brüssel keine Antwort, wir floaten mit, entschädigen
uns für Luxemburg-City. Wir feiern in Flanks Geburtstag rein und sitzen auf
einer Bank auf dem Platz mit dem Denkmal für die belgische Jeanne d´Arc.
Ich freue mich für ihn. Wir machen uns locker, sitzen in Cafés und gucken
Brüssel zu. Ich freue mich auch für mich.
Die Temperaturen sind um diese Zeit erträglich, und die Stadt strahlt.
Kurz nach unsere Ankunft, nach dem Aufstieg aus der Brüsseler Metro,
setzen wir uns zwischen die Gruppen auf dem Platz zwischen Historischem
Rathaus und noch historischerer Kathedrale und können unser Timing kaum
fassen. Das Licht geht aus und für einen Augenblick ist der ganze große
Platz einfach nur dunkel, aber ein erwartungsvolles Raunen geht durch die
Menge und lässt auf Absicht hoffen. Klassische Musik beginnt. Wir gucken
uns an und der Turm der Kathedrale beginnt von innen rot zu leuchten. In
den nächsten Minuten strahlt die Kathedrale von innen heraus, wird vom
gegenüberliegenden Rathaus angestrahlt, wirft Schatten und verändert
sich andauernd. Fünf Minuten lang sitzen wir regungslos und gebannt und
gucken mit allen anderen auf das, was passiert. Dann geht das Licht an
und der Platz kommt in Bewegung. Wir floaten weiter, gehen in Kneipen
und schauen Frauen entgegen und hinterher und können es kaum fassen.
Ohne es auszusprechen entscheiden wir uns zu Fuß zur Peripherie zu
lux.be.ne
77
gehen, wo das Auto parkt. Wir orientieren uns an den Stadtplänen, die in
Leuchtkästen hängen und gehen zweieinhalb Stunden durch ein Brüssel, das
langsam leerer, aber immer monumentaler wird. Überall Paläste, Fontänen
und Reiterstandbilder, Quadrigas und Tore und was zur Verherrlichung der
belgischen Nation noch alles so an den Start gebracht worden ist. Paris ist
in seiner nationalen Selbstbestätigung wohl unübertroffen, aber mir fällt
spontan gerade keine andere Stadt ein, die dem näher kommt als Brüssel.
Wieder mal zu Hause nehme ich mir vor, meine Mutter zu fragen, warum ich
nie in Brüssel war und den Unterschied zu Luxemburg nicht kannte. Meine
Mutter wird mir antworten, dass ich sehr wohl schon in Brüssel war, vor 29
Jahren und mich fragen, ob ich mich da etwa auch nicht mehr dran erinnern
kann. Was soll ich sagen, ich war Zweieinhalb. Und außerdem dürfe ich seit
14 Jahren selber Auto fahre, wird sie sagen und fragen, wie oft ich seitdem
in Brüssel war. Recht hat sie. Aber jetzt war ich da, keinen Tag zu spät.
Wir canceln Brüssel bei Tag, fahren direkt zum Atomium, wo ich immer schon
mal rein wollte. Als ich in der obersten Kugel stehe und rausblicke, danke
ich uns für die Entscheidung, nicht nach Barcelona, sondern nach Benelux
zu fahren. Ich stelle mir mich in dieser Kugel vor, in der Spitze dieses zigMilliardenfach vergrößerten Eisen-Kristalls, wie ich raus lächle und den
Augenblick geniesse. Nebenan, weiter unten, ist ein Mini-Europa, alles im
Maßstab 1 zu 580.000.000. Aber im Vergleich zum Größen-Verhältnis von
Atomium zu Atom ist Mini-Europa wohl fast maßstabsgetreu. Eisenbahnen
fahren durch die Alpen, Vierjährige gucken auf den Eifelturm runter und
Eltern machen Fotos. Flank ist schon auf den Rolltreppen auf dem Weg nach
unten und ich folge ihm.
drachenmädchen
Wieder im Auto will Flank weiter nach Antwerpen und es ist sein Geburtstag,
deswegen sage ich nichts. Aber eigentlich will ich sofort an die Küste,
denn ich möchte, dass er heute noch das Meer sieht. Von einem ganz
besonderen Platz aus: Bloemendaal. Den Tipp habe ich vor drei Monaten
auf einer Geburtstagsparty in Amersfort bekommen. Direkt am nächsten Tag
war ich damals da und begeistert. Aber jetzt erstmal Antwerpen und wie
in Brüssel bin ich auch hier mehr als angenehm überracht. Ich weiß nicht,
an was ich beim Namen Antwerpen immer gedacht habe, aber an das hier
bestimmt nicht. Alles ganz alt und gut erhalten und unglaublich unzerstört.
So was kennt man in Deutschland nur aus Wolfenbüttel. Wahrscheinlich
verhält es sich hier wie in Münster: die Tages-Besucher sind begeistert,
einigen Einwohnern aber kommt bei so viel alter Bausubstanz, Harmonie
und renovierter Fassade das Kotzen. Gut, dass wir Tages-Touristen sind und
ich nicht mehr in Münster wohne. Wir verheddern uns im Rotlichtbezirk,
sehen Frauen hinter Scheiben sitzen und ich traue mich kaum hinzugucken,
aber was ich sehe, sind auch sehr schöne Frauen. Wir finden wieder raus,
verlaufen uns, aber eigentlich können wir uns ja gar nicht verlaufen. Wir
schreiben Karten, die bis heute nicht angekommen sind. Flank spendiert ein
Eis von Häagen Dasz für 5 Euro pro Becher, mit denen wir beide nicht fertig
werden. Zu spät kommen wir hier raus und als wir den besonderen Platz am
drachenmädchen
Meer suchen, finden wir ihn nicht und fahren nach Zandfort. Wir sehen auch
hier den Sonnenuntergang und Flank weiß ja nicht, was er verpasst, aber
Bloemendaal ist nur 500 Meter weiter nördlich, was wir nicht wussten, aber
eine andere Welt.
03. NE
Der Geburtstag geht seinem Ende zu und wir fahren in die leerstehende
Wohnung eines von Flanks holländischen Verwandten, der auch heute
Geburtstag hat und auch nicht zu Hause ist. Scheint in der Familie eine
Masche zu sein. Wir parken, gehen in den ersten Stock und ich komme,
glaube ich, zum ersten Mal in die Wohnung eines wirklichen Holländers.
Der Druck lässt nach, die Tür wird zugezogen und ich falle in komatösen
Schlaf. Elf Stunden später werde ich in meinen staubigen Chucks wach
und überlege, ob ich die jetzt noch ausziehen soll, denn es geht ja gleich
weiter. Aber ich will mir die Dusche nicht entgehen lassen, also Schuhe aus.
Ich freue mich auf Bloemendaal, denn heute werden wir es finden, ganz
bestimmt.
Flank hat als Kind seine kompletten Ferien in Voorschooten verbracht und
kennt jede Ecke. Wir gehen rum, ich kaufe runtergesetzte Pistazien, Flank
reise durch nachbarstaaten
78
ein Drei-Mann-Zelt. Wir fahren an den Heimatstrand. Bevor ich mit dem
Body-Board in die stürmische See tauche, klebe ich Pflaster auf meine
sensiblen Brustwarzen. No more pain. Die Wellen sind zu stark für meine
Unsportlichkeit. Bevor ich resigniere, gehe ich freiwillig und lege mich in
die Gluthitze, aber es stürmt. Alle anderen hier sind Strand-Profis und haben
Windschütze. Schnell weiter. Flank ist nicht davon abzubringen schnell noch
in einen Süßwassersee zu springen, in dem er einen beachtlichen Teil seiner
Jugend verbracht hat. Dann aber Bloemendaal. Unterwegs frage ich mich, ob
ich nicht zu viel versprochen habe. Wir gucken und ich habe nicht. Für die
nächsten Stunden hört die Mobilitätsfrage auf, denn wir wollen einfach nur
bleiben.
Und das tun wir auch bis Mitternacht und ich traue mich nicht, zu
beschreiben, wie es war. So wie ich selten genauso tanzen kann, wie ich
mich fühle. Es war unbeschreiblich, nur Fränkie und ich wissen, wie es uns
da ging. Und es ging uns gut. Nachdem wir bis zum Ende durchgechillt
haben, sind wir nach Amsterdam gefahren. Ist praktisch um die Ecke.
Wie in Luxemburg und Brüssel sind wir auch hier stundenlang durch die
Stadt gelaufen, haben an Plätzen angehalten, auf beleuchtete Stadtpläne
geguckt und wieder kam er, mein Bowery Electric Ohrwurm: Floating World.
sascha wundes · 0162/4003311 · [email protected]
79
Irgendwann stehen wir vor dem Auto und steigen ein, stellen die Sitze nach
hinten und ruhen ein Stündchen. Mein Pilot bringt uns nach Bloemendaal
und wir sitzen um acht auf Liegestühlen, hinter Windschützen und schlafen
in der Sonne. Bis die ´Republik Bloemendaal` wieder erwacht und den Strand
für das heutige Volleyball-Turnier herrichtet. Alle, die aufbauen, sehen so
aus, als würden sie ihre eigene Party organisieren. Ein Mädchen setzt sich
auf den Liegestuhl neben mich. Flank hat sich zum Glück verpisst, um noch
einen Kaffee zu trinken, so dass ich ihre Anwesenheit alleine geniessen
kann. Ich höre dem Meer zu, rauche eine Zigarette und gucke ab und zu
rüber, um zu sehen, ob auch sie ab und zu rüberguckt.
Der Sommertag fängt gegen zehn an, wir liegen auf einer mit schwarzem
Segel-Stoff bezogenen Matratze, unter einem Baldachin und geniessen
den Ausblick. Vom Meer trennen uns nur die Leute, die vor uns die Sonne
geniessen. Bloemendaal ist mit seiner loungigen Drum&Bass-Atmosphäre
angenehm anders als die Strandkaffees, die man sonst so kennt. Draussen
nur Kännchen und dann ab hinter den Windschutz. Auch schön. Aber gut,
dass es auch anders geht. Als wir gleichzeitig zu dem Schluss kommen, dass
es nicht schöner werden kann, packen wir unsere Sachen und machen uns
auf den Weg.
drachenmädchen
Die Idee war gut, doch unser Auto noch nicht bereit
An jenem Montag verließen wir unser Barrio. Hamburg. Eimsbüttel.
Ellenbogen. Hasta la vista, Baby! Und was sollte schon schief gehen? Wir
waren bestens präpariert, die Idee war längst zu einem ausgefeilten Plan
gereift. Flugtickets, Reisepässe, abdruckfähige Finger und ein smartes
„How are you“-Grinsen für den Zwischenstopp in Miami, die Kopfhörer für
das Hollywood im Flugzeug, frische Unterhosen für Guatemala City und
die Modest Mouse Best-Of-Compilation für die Autofahrt zum Flughafen
Köln-Bonn. Alles dabei!
Unser Gefährt – ein Golf Zwei, Baujahr 1991, mit etlichen technischen
Geilheiten wie Hubraum 12, PS 200, km/h 122 sticht – sah blendend aus.
Im edlen weiß gehalten, geschrubbt und gewachst, so ganz unschuldig
glänzte er in der Hamburger Nachmittagssonne. Man könnte fast meinen,
dass wir die zweite Geburt dieses Autos miterlebten. Doch nicht nur das
schmucke Äußere ließ uns entzücken, auch das extravagante Interieur.
Vorfreude bereiteten uns jetzt schon die vielen kleinen Überraschungen,
die das Handschuhfach – Marke Zauberhut mit Hasen – auf dieser Fahrt
für uns bereithalten sollten. Bei diversen Handschuhfachausgrabun
gen wurden nicht selten schon wahre Jugendschätze freigelegt. Von
verschollen geglaubten Drei Fragezeichen-Hörspielen (zum Wachbleiben
und Mitsprechen) über amüsante und nervenaufreibende Zeitvertreiber
wie Jojos oder Reise-Vier-Gewinnt (für die Raststätte) zu nützlichen
Dingen wie einer Deutschlandkarte von 1962 oder Programmheften von
drachenmädchen
Heavy-Metal-Festivals der Neunziger – man kann nie wissen, ob man nicht
irgendwann einmal in die Bredouille kommt, auf einer Tankstelle zwischen
Zewen und Dortmund einem wildgewordenen, Accept-Aufnäher auf
Jeanskutte tragenden Typen, die exakte Running-Order vom 95er WackenFestival aufzusagen. You better be prepared, Dude! Und der Respekt, den
du erntest, ist enorm...
Wir cruisten die A1 vom feinsten: Linke Spur, Lichthupe, Ellenbogen
lässig aus dem Fenster, rechte Hand am Steuer, überdimensionierte
Sonnenbrillen im Gesicht, offenes Verdeck und abwechselnd „Highway to
Hell“ und 50 Cents „In da Club“ aus der getunten Kenwood-Bassboxxxx.
Naja, so ähnlich jedenfalls. Hamburg, Elbtunnel, Veddel, Bremen,
Dortmund, Deutschland. Wir waren dabei, alles hinter uns zu lassen
und auf der anderen Seite der Welt ein neues Leben zu beginnen. Doch
schon in Wuppertal drohten alle Träume zu zerplatzen. Mit einem
Getriebeschaden waren wir gezwungen die Standspur anzusteuern,
auch wenn ich durchaus dafür war bis Köln-Bonn so weiterzufahren.
Die Vernunft sollte siegen, dieses Mal. Vor unserem geistigen Auge hob
das Flugzeug mit zwei freien Plätzen, zwei nicht gegessenen leckeren
Vegetarian-Meals, unendlich viel Spass im Multimediaprogramm und
etlichem von uns nicht konsumierbaren British-Airways-Merchandise
in Richtung Zentralamerika ab. Gefesselt an die Leitplanken einer
deutschen Autobahn – Worst Case Scenario, Alter! – in den Klauen dieses
Landes. Sollte dies das Ende sein? Mit den vielleicht letzten Atemzügen
rafften wir uns auf, nicht bereit ohne Gegenwehr dahinzusiechen. Wir
vorwort
80
führten Telefongespräche mit Versicherungen, Abschleppdiensten,
Flughafenmitarbeitern und Pizzalieferanten. Als uns das Wasser ausging,
die tonnenschweren LKWs über uns hinwegfegten, das Kassettendeck
nur noch Bandsalat produzierte und uns so schummrig wurde, dass
wir anfingen, den Löwenzahn, der auf der Grünfläche zwischen den
Leitplanken der Autobahn wuchs, zu kauen und über die kulturelle
Relevanz von steppenden Gürteltieren zu debattieren, nahte die Rettung
am Horizont. Ein gelber Blitz näherte sich uns in sekundenschnelle, der
ADAC hatte uns gefunden. Der vermeintliche Retter sah die Tristesse
in unseren Augen, holte etwas aus seiner Hosentasche seines gelben
Overalls und hielt es uns hin: „Das wird euch aufmuntern“. Ich war
zwar etwas skeptisch, ob der Tatsache, dass ein ADAC-Mitarbeiter die
A1 abfährt, um gestrandeten Autofahrern gelbe Pillen zur Verköstigung
und Aufmunterung zu verabreichen, griff aber trotzdem zu. Die Lage war
definitiv beschissen und konnte sich durch gelbe Pillen eines komplett in
gelb gekleideten ADAC-Mitarbeiters, der zuvor einem gelben Cadillac mit
der Aufschrift „Gelber Engel“ entstiegen war. Zum Runterspülen sei die
gelbe Brause mit der Aufschrift „Gelbe Brause“ bestens geeignet...
Danach müssen Jahre vergangen sein. Oder Minuten. Ich weiß es nicht
mehr. Der gelbe Engel verabschiedete sich, überreichte uns noch jegliche
ADAC-Gimmicks, gelbe Socken, Zahnbürste, Buttons und zwei Freikarten
für „das fröhliche Miteinander heute Abend im Bierzelt Wuppertal-West
mit der hauseigenen AD/AC-Kapelle. AD/AC. AD/AC.“ Während er AD/AC
mehrmals wiederholte, grinste er und zwinkerte uns zu, weil er wusste,
vorwort
81
dass wir das Wortspiel verstanden hatten. Wir waren seine Leute! „Viel
Glück!“, rief er noch und ich fragte mich, wie denn dieses Glück aussehen
sollte, als der gelbe Engel in der Nacht verschwand. Eigentlich empfand
ich es durchaus als glücklichen Umstand, dass jener gelbe ADAC-Engel
uns zwischen Löwenzahn und Leitplanke halluzinierend entdeckt hatte.
Doch eine Lösung des Problems hatte er nicht parat. Wahrscheinlich
war der ADAC längst in anderen Geschäftszeigen aktiv und war als
Subunternehmung nur noch ein Konglomerat an gelben Engeln, die hier
und da mal vorbeihuschten.
Die sechs Indianer, die in sicherer Entfernung die Zusammenkunft mit
dem gelben Engel beobachtet hatten, näherten sich nun behäbig. Mit
jedem Meter, den sie sich auf uns zubewegten, änderten sie ihren Gang
und ihr Äußeres. Schließlich standen sechs Typen mit Bob MarleyShirts und Allianz- Baseballcaps vor uns. Endlich, dachte ich. Die
Versicherung hatten wir doch schon letzte Woche angerufen... So schien
es jedenfalls. Der einzige, der einen Mustache und einen Cowboyhut mit
dem Slogan „Erst die Prüfung, dann geht’s los!“ trug, entpuppte sich
als Wortführer und Kopf der mobilen Versicherungseinsatzgruppe. Beim
näheren Hingucken fiel mir noch seine „Mein Land, meine Heimat, mein
Stolz“-Tätowierung auf. „Könnten Sie hier bitte unterschreiben?“. Die
Kombination aus Bob Marley-Shirt und der debilen Tätowierung bereitete
mir zwar Kopfzerbrechen, mittlerweile war mir aber alles egal. Egal war
das Auto, der Löwenzahn, das Flugzeug, die Reise. Nur schnell abkanzeln
drachenmädchen
die Sechser-Crew, damit der gelbe Engel noch mal rumgeflogen kommt,
und ein paar von seinen gelben Minifreunden mitbringt dachte ich
mir, während ich versuchte Worte zu einem Satz zu formen: „Aber der
Mietwagen ist doch umsonst, oder?“. Das Gelächter war bei ihnen. „Bei
uns ist nichts umsonst, Sie müssen den Mietwagen natürlich nicht zahlen,
er ist im Versicherungspaket enthalten.“ Er hielt kurz inne, dann tönte
er: „Es sei denn, Ihr Auto stellt einen wirtschaftlichen Totalschaden dar.“
Alles klärchen, ein wirtschaftlicher Totalschaden war nicht auszumachen
und neue Getriebe stehen ja auf Autobahnen rum wie volle Astra-Knollen
auf guten Parties. Und das Gelachter war zwar bei ihnen, ok, aber der
Mietwagen mit Klimaanlage bei uns.
Etwas zu schaffen, machte mir mein geistiger Zustand, aber hey, eine
Pille war ja noch übrig. Mein Blick wanderte vom Beifahrersitz des Autos,
wo ich das letzte gelbe Freundchen vermutete, aber nicht finden konnte,
zurück zu der Sechser-Crew, die keine Anstalten machte, uns mit unserem
Schicksal alleine zu lassen oder endlich mal den verdammten Mietwagen
zu organisieren. Wie kam ich nur darauf, dass alle sechs Bob Marley-Shirts
trugen? Erst jetzt erkannte ich, obwohl ich arge Mühe hatte mich wach
zu halten und ich mein Umfeld nur noch schemenhaft wahrnahm, dass
vor mir der Landser-Fanclub-Bottrop stand, Warsteiner-Pils trinkend und
lachend unser Unglück besiegeln wollte. Dann skandierte irgendjemand
irgendwas, Worte kamen aus den Mündern, meine Augen fielen zu und ich
konnte nur noch erahnen, was als Parole ausgegeben wurde. Als Feind
schien man uns und das Auto auserkoren zu haben. Die letzten Worte
drachenmädchen
waren: „Hier hast du deinen Totalschaden, Drecksau!“ Sechs Typen fielen
mit Gummiknüppeln und Taschenmessern über das Auto her, zerbeulten
es, zerkratzten es und zelebrierten irgendeine Art Stammesritual um das
Objekt der Zerstörung...
Ich erwachte – Homer-Simspon-Like – mit einem Kaugummi auf der linken
Backe und Brotkrümeln im Bart. Meine Augenlider klebten aneinander,
ich nahm Geräusche wahr und versuchte, mit meiner linken Hand meine
Umgebung zu ertasten. Dann plötzlich Worte, Sätze, Geräusche, Lärm.
Heißes Essen landete auf meinem Schoss, „No Woman, no cry“ in einer
beruhigenden Instrumentalversion mit Panflöte und Marimba über
die Lautsprecherboxen und ich kurz vorm kollabieren. Plötzlich stößt
mich jemand von der Seite an, ich ziehe meine verklebten Augenlider
auseinander, blicke in das aufgesetzte 24-Stunden-Lächeln einer
Stewardess, die mich fragt: „Möchten Sie etwas zum Lesen? Wir haben
das ‚British-Airways Magazine’, ‚Die Bunte’ oder ‚GQ’.“ Ich gebe ihr zu
verstehen, dass ich nicht lesen kann, greife in die Tasche unter meinem
Sitz und schlage die ersten Seiten der Drachenmädchen-JubiläumsAusgabe auf.
vorwort
vorwort
drachenmädchen
drachenmädchen
herzlichst,
ihr kleiner kulinarischer führer,
frollein schön
knoblauchsoße oder diese chinakohlsachen. hätte ich früher nie für möglich gehalten. und nie
bestellt. wahnsinn. ich verliere den verstand.
ich durchdenke meine 10 besten ausserhalb-essen aller zeiten: zum beispiel den krautsalat beim
griechen, einer meiner ersten restaurantbesuche. das muss so 1988 gewesen sein. da ist gerade die
bug von dinosaur jr. rausgekommen ...
damals hat mich wohl der krautsalat mehr interessiert. ich verfalle in einen komatös-wabbeligen
zustand, krautsalat und oliven kämpfen gegen gefüllte nudeln, garniert mit etwas, das nicht ganz
durch ist. freak scene.
blicke an die irgendwie wischi-waschi-goldig verspiegelte decke und sehe nicht mich sondern
sternchen. ich hab noch nie so einen hunger gehabt. die killertomaten greifen an.
aber da kommt in letzter sekunde der salat. unbedingt ohne eier bestellen, sonst riecht das ganze
ding wie ne stinkbombe und man kann sich auf die anderen beilagen nicht mehr konzentrieren.
der clou ist nämlich, dass die erdnusssoße WARM ist. warme soße auf salat. es sind erdnüsse drin.
und alles, was sich gemischter salat nennt. und sojasprossen. dazu werden krabbenchips gereicht.
die schmecken so wahnsinnig gut, dass ich sie nicht stehenlassen kann. ich lege sie auf meine
zunge und sie fressen sich in kleinsten explosionen einfach rein.
ob da wirklich krabben drin sind, weiss ich nicht. wenn ja, muss es ein aufwändiges verfahren
geben, das ihre körperteile nahezu unsichtbar macht ohne dem geschmack zu schaden. oder ist
ein krabbenchip gar eine ganze krabbe?
aufgeschäumt oder explodiert wie ein maiskorn im heissen topf?
jetzt geht alles ganz schnell. die heizkiste aus metall mit teelicht, danke, heisser teller drauf, danke, an der kippe nur drei mal gezogen und schon ist sie da. diese heisse fettige schweinerei, wasser
läuft in meinem mund zusammen und vermengt sich mit erdnusssoßerückständen. schnell einen
schluck wasser trinken. reis im töpfchen, kellnerwünsche, die ich nicht verstehe. er sagt so oft
danke, dass ich versucht bin, bitte zu sagen. aber wofür? dafür, dass er mich hier bedienen darf?
ich frage mich, ob ich bei meiner observierung seines psychischen und körperlichen befindens
nicht aufmerksam genug war ...
reis auf meinem teller, tofustückchen, chinesische pilze, nicht diese gallertartige masse, die
quietscht, wenn man sie zerkaut, sondern pilze mit format. möhrchen mag ich eigentlich nicht,
schon garnicht warm, aber der soja-reisweingeschmack der soße ist so stark, dass ich sie kaum
schmecke.
diese soße ist eine solche gaumenfreude, ich wäre auch ohne den ganzen anderen schnickschnack
höchst entzückt.
tofu hab ich auch schon unbehandelter gegessen, dieser hier ist immerhin kurz angebraten. ich
frage mich, ob die portion zu klein ist. aber meistens reicht es doch. auch heute. ich experimentiere gern mit den fläschchen und streuern die auf
dem tisch stehen, noch etwas rotes scharfes hier und überhaupt noch viel mehr sojasoße überall.
reis ist noch über, der präsentierteller ist leer, ich hab ihn heimlich abgeschleckt. hat niemand
gesehen. nur die leute, die draussen am fenster vorbeigehen. haben angewidert geguckt, aber was
glotzen sie auch auf anderer menschen teller. selbst schuld. ich bin satt und noch viel mehr. ein
dessert passt nun selbst in meinen
dessertmagen nicht mehr rein. nur noch das pflaumenschnäpschen ...
und das kommt mit der rechnung. rülps.
nachts träume ich von einer riesigen bratwurst und wache davon auf, dass ich auf meiner bettdecke herumkaue. das liegt bestimmt am mononatriumglutamat.
heiß und fettig. heute ins bali.
draussen ist es sommer-nieselig wie so oft. da macht drinnen sein ja besonders spaß. und wenn
sich dazu noch ein ausgeprägter hunger gesellt, können und sollten vor allem vegetarier schon
mal den weg ins bali finden, weil das fleischlos-angebot mit einer din a 4-seite weltweit nahezu
einzigartig ist.
wo war ich? im bali, neubrückenstrasse. so eben noch einen der begehrten plätze am fenster erwischt. der eifrigste kellner von allen eilt sofort mit einem obligatorischen pflaumenschnäpschen
herbei und begrüsst mich wie immer hochmotiviert. was möchte ich trinken? was zu trinken
beim chinesen. achtung! vor längerer zeit habe ich eine reportage gesehen, deren inhalt mich in
diesen sekunden noch immer daran erinnert, dass es jetzt um leben und tod geht: niemals!! darf!!
man!! beim!! chinesen!! COLA!!! zum!! essen!! bestellen!! hier die medizinischen hintergründe
für alle unwissenden: da gibts diesen geschmacksverstärker, mononatriumglutamat oder so. der
löst in verbindung mit inhaltsstoffen aus cola einen bronchialen krampf aus und kann in schlimmen fällen zu tod durch ersticken führen. Besonders asthmatiker sollten hier vorsichtig sein.
„ich hätte gern ein wasser, bitte.“ „danke.“
ich stürze den pflaumenschnaps herunter und spüre sofort seine wirkung. mein magen scheint
wirklich wirklich leer zu sein. an dieser stelle frage ich mich, ob die angestellten hier gut behandelt werden. ich versuche, heimlich so intensiv wie möglich in ihren freundlichen gesichtern nach
spuren der misshandlung, demütigung, der schlechten ernährung oder der mangelnden medizinischen versorgung zu suchen. nichts. wirklich. hier herrscht friede, freude, eierkuchen.
entspannt lehne ich mich zurück und studiere die karte. Gleich auf der ersten seite steht: wir nehmen auch essensgutscheine (die vom sozialamt). herrlich, hier ist der kleine mann noch was wert.
ich bestelle den gemischten salat mit erdnusssoße ohne eier und als hauptgang tofu mit chinesischen pilzen und möhren, nippe an meinem wasser und halte es kaum noch aus. ich denke nur
noch ans essen. war meine entscheidung richtig? wahnsinnig gut sind ja auch die auberginen in
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frolleinschönfrauschön hat noch nie soviel hunger gehabt.
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ROCK’N’ROLL IS DEAD?
So’n Quatsch - Runden drehen mit el Commandante
Schlaue Köpfe werden es schon gemerkt haben. Der etwas langsame, nein,
gemütlichere Leser mag sich grad am Kopf kratzen und fragen: wo sind denn
die Reviews? Tja, diesmal eher ohne, ein paar Empfehlungen soll es aber an
dieser Stelle dennoch geben, is ja schließlich auch ein Musikmagazin. Wer mehr
will: www.myruin.de, da gibt es auch ne Ecke mit Besprechungen. So, jetzt aber
rein ins Vergnügen - da sind so einige Platten dabei, die im virtuellen Boxring
der Künste, den Nick Hornby in „The Polysyllabic Spree“ entwirft, bestimmt das
ein oder andere Buch oder Theaterstück oder den ein oder anderen Film auf die
Bretter schicken würden...
Super neue Alben erschienen ja beispielsweise von KETTCAR, ADAM
GREEN und Redaktionsliebling MONEYBROTHER. (Moment mal, Adam
Green? Nee, Commander, ich hasse den Typ. Ich hab sogar ein echt prima
Haßreview für Amazon geschrieben. Ist aber leider nie veröffentlicht worden.
Komisch. - Jan95) Da aber von den Tagesthemen über Spiegel, Bildzeitung
und Woman Magazin bis hin zu Obernervensäge Sarah Kuttner wirklich
alle was dazu zu sagen hatten, spare ich mir das hier mal und lege euch
stattdessen CARTRIDGE ans Herz. Mit den vier Songs, tanzbar und Franz
F. und Konsorten teilweise nicht ganz unähnlich, schaffen es die jungen
Dänen trotzdem einen eigenen, coolen Sound zu kreieren. Erschienen auf
dem neuen Hamburger Label RECORDS & ME, bislang allerdings leider nicht
als 7“. Macht mal! Auf jeden Fall im Auge behalten. Bevor ich es vergesse:
reviews
85
eines meiner Lieblingsalben gibt es mittlerweile auch als LP! Die Rede
ist von TIGER LOU und seinem Debüt „is my head still on“. Dank geht an
RIPTIDE, dass dieses Meisterwerk jetzt auch auf Vinyl erhältlich ist. Und
weil die Braunschweiger so geile Typen sind, haben sie auch gleich noch
die „green street“ von THE 101 rausgebracht. Ein Feuerwerk aus Ideen und
Melodien, Hit reiht sich an Hit. Im Vergleich mit dieser neuen Band von Eric
Richter (ehemals Kopf von Christie Front Drive) können (fast) alle anderen
Emo-/Poppunk Bands mal lang kacken gehen, um mit Lui zu sprechen...
Und sonst so? FAVEZ haben ein neues Album ( „old and strong in modern
times“, STICKMAN) und das rockt - trotz des melancholischen Titels - wieder
mal so einiges in Grund und Boden. So gut wie Schokolade, Chapuisat und
Zurbriggen. Und HOT HOT HEAT? Die Latte mit “make up the breakdown”
zu hoch gelegt? Keinesfalls. „Elevator“ hält allen Unkenrufen zum Trotz die
hohe Qualität des letzten Albums – mindestens - und lässt sich auch durch
die große Riege neuer englischer Top-Bands nicht aus der Spitze der DiscoWave-Soul-Punk-weiß-ich-was-Bands verdrängen. Essentiell nennt man das
wohl. Wo wir uns schon auf der Tanzfläche befinden: da fühlen sich auch
die EPOXIES und „stop the future“ (Fat Wreck) pudelwohl. „Plüsch-ElektroPunk“ oder so ähnlich bezeichnete Pastorensohn, Chief Torwart und 3 Chords
Redakteur Horch das Ganze. Im Gegensatz zu ihm kann ich damit ganz gut.
So, Zeit für ein Highlight: THE ROBOCOP KRAUS. Ich gestehe: Deren neues
Album (erschienen auf LADO/Epitaph) löste bei mir zunächst Enttäuschung
aus. Schien doch das gewisse Etwas zu fehlen. Aber weit gefehlt: nach
drachenmädchen
mehrmaligem bis unzähligem Hören muss ich sagen: Killer, ein Meisterwerk.
Für mich eine Platte, bei der man – wie Nagel es mal so schön formulierte
– im Laufe der Zeit acht bis zehn verschiedene Lieblingssongs haben wird.
Minimum. Da macht es auch nichts, dass man im Pro Sieben Teletext als
Robocop Klaus besprochen wird... Von Nürnberg aus geht’s direkt ins
Softeisparadies nach Ankum. Da hat’s jetzt also auch eine Turbojugend.
Ach du Scheiße. Mit dem neuen, nicht nur von den Jüngern heißersehntem
Album (Burning Heart), schaffen es die Denim Boys von TURBONEGRO nach
dem Ausrutscher in den UEFA Cup wieder direkt in die Königsklasse, um mal
unseren Lieblingsfachjargon zu bemühen. Eine bunte Tüte, gefüllt mit Hits,
die wie eine Mischung aus den letzten drei Alben klingen. Und gleich noch
mal Burning Heart: Frauenschwarm Dennis Lyxzens Projekt LOST PATROL
BAND hat sich zur richtigen Band entwickelt und die neue Scheibe eignet
sich hervorragend zum einkaufen, rumhängen und wohlfühlen oder feiern.
Gute Laune ist also angesagt, weg vom Singer/Songwriter Kram. Apropos
Powerpop: ALIEN SNATCH hat das neue FEVERS Album veröffentlicht und
das hellt mir sogar an Sommertagen wie diesem, an denen es 24 Stunden
lang pisst, die Miene auf. Auf einer Reise durch die Geschichte des Pops
packen sie sich ihren Sack randvoll, um daraus dann zurück in der Gegenwart
zwölf neue, eigene Perlen zu basteln. Hihi... Eher minimalistisch geht es
bei den Labelkollegen THE MOJOMATICS zu. Da fallen einem schon mal
die White Stripes oder auch die Ghetto Ways als Referenz ein. Wie immer
bei Alien Snatch alles mit geilem Artwork und vergleichsweise günstig,
da kann man eigentlich immer blind zuschlagen... Genau wie bei SOUNDS
OF SUBTERRANIA: die COLUMBIAN NECKTIES geben auf „takeaway“ mal
wieder Vollgas und treten nach der erneuten Abschiedstour der New Bomb
Turks jetzt vielleicht endgültig deren Erbe an. Dahingegen passen die
STEREOTYPES eher in die SOS Ecke mit den Bad Apples, Rachael Gordon
oder The Carnation. Garage Pop? Gibt’s das? Auf jeden Fall auch so’n
Sonnenscheinding. Zum guten Schluss hätten wir noch ein paar Re-Releases
von FLIGHT13: von den SPERMBIRDS gibt es die total geile „common
thread“ jetzt ebenso als CD wie die meiner Meinung nach nicht ganz so
starke „eating glass“ sowie die WALTER ELF.
Ach, auch fast vergessen: Redaktionsfreund Basti findet die neue
HELLACOPTERS („rock’n’roll is dead“) unglaublich super. Mir gefällt sie
drachenmädchen
auch, wieder einmal geil abgeliefert. Aber der Anfang is soo hart bei Chuck
Berry geklaut, ihr wisst schon, aus „Zurück in die Zukunft“, „Enchantment
under the Sea“ und so... Für alle Fans solcher Rockmusik (also Schweinerock,
nicht Chuck Berry), also auch Turbojugend Vögel oder Zeke Jünger: hört
euch mal die GRANNIES an! Könnte was für euch sein... Produziert von Jack
Endino übrigens.
Grad kommt noch die neue BAYSIDE reingeschneit, schon drauf gefreut.
Super, endlich, hör ich mir jetzt mal an und tschüss. Immer dran denken: Tut
nichts, was ich nicht auch tun würde. Aloha.
Okay, Herr Solke muss ja irgendwie rechtfertigen das er weiterhin Promos kriegt
und ich muss die Seiten vollkriegen:
COMEBACK KID – Wake The Dead (Victory Records)
Heilige Scheiße!!! Ich glaube ich halte hier gerade das Hardcore-Album des
Jahres in den Händen. Haben sich noch viele gefragt wie COMEBACK KID ihr
exzellentes Debüt-Album „Turn It Around“ noch überhaupt Toppen wollen,
so belehren uns die Kanadier mit „Wake The Dead“ sofort eines besseren. Es
gibt weiterhin schnellen HC, mit tausenden von Chören und fetten Moshparts,
doch diesmal mit wesentlich mehr Melodie. Dieses Album ist so abwechselungsreich und hitverdächtig, da kann es einem schon mal die Sprache
verschlagen. Der Titelsong „Wake The Dead“ jedenfalls wird direkt in meine
Hitliste der besten HC-Hymnen aufgenommen. Produziert wurde das ganze
übrigens von Bill Stevenson (All/ Descendents/Only Crime), gemastered von
Alan Douches und Guest Vocals gibt es von Mr. Good Riddance/Only Crime
Russ Rankin. Hammer-Album!!! <AS>
THE LETTERS ORGANIZE – Dead Rhythm Machine (Nitro Records)
THE BRONX bekommen ernstzunehmende Konkurrenz aus Atlanta, nur treten
THE LETTERS ORGANIZE das Gaspedal die ganze Zeit bis zum Anschlag durch.
Fans vom Schweden-Sound, der durch REFUSED, ABHINANDA und SEPERATION
geprägt wurde, werden Tränen in den Augen haben bei der Spielfreude und
Energie, die diese Band versprüht. Noch ein bisschen JR EWING dazu und fertig ist eine der explosivsten Mischungen des Jahres. „Dead Rhythm Machine“
rockt so dermaßen, dass es schon seit Stunden bei mir in einer Repeat-Schleife
läuft und ich meinen Nacken wohl morgen nicht mehr bewegen werden kann.
reviews
86
87
IMPRESSUM
Eine Platte, die in keiner guten Punk/HC-Sammlung fehlen sollte. <AS>
THE BLACK MARIA - Lead Us To Reason (Victory Records)
Bei THE BLACK MARIA wird der eine oder andere wohl voreilig einen TAKING
BACK SUNDAY/ THURSDAY-Vergleich heranziehen, womit er ganz so falsch
auch nicht liegt, aber... hinter THE BLACK MARIA stehen zwei Menschen, die
mit ihren Bands Vorreiter dieser ganzen Musik-Sparte waren: Chris Gray und
Kyle Bishop. Kyle Bishop, der unter anderem auch bei der Hardcore-Ikone
THE SWARM gespielt hat, hat mit seiner letzten Band GRADE einen wahren
Meilenstein von einer Band geschaffen. Im Gegensatz zu GRADE übernimmt
er jedoch nicht die Lead-Vocals, sondern spielt Gitarre und singt die zweite
Stimme. Die Vocals übernimmt Chris Gray, der schon bei NEW DAY RISING
und ZYON für einen äußerst charismatischen Gesang gesorgt hat. Von ZYON
sind auch der Schlagzeuger Derek Petrella und der Gitarrist Alan Nacinovc
mit von der Partie. Komplettiert wird THE BLACK MARIA von Mike De Eyre am
Bass und am Keyboard. Musikalisch servieren uns THE BLACK MARIA rockigen,
sehr hymnischen Emo-Core, getragenen von Chris Gray �s kraftvoller Stimme,
garniert mit dem einen oder anderen Schrei-Part, der wohl Kyle Bishop zu
verdanken ist. Besonders begeistert bin ich von der Idee gewesen, dass die
Jungs bei Songs wie „Our Commitment �s A Sickness“ oder „Ash“ auch nicht
davor zurückschrecken mal eine Doublebass-Attacke einzubauen. Weitere
Anspieltips sind der Opener „The Memento“, der Ohrwurm schlechthin namens
„Mirrors And Cameras“ (die Gesanglinie habe ich Tage lang nicht mehr aus dem
Kopf und aus den Ohren bekommen) und der krönende Abschluss der Platte in
reviews
Form des Rockers „Rats In The Prison“. Respekt, so eine Platte wie „Lead Us
To Reason“ nenne ich mal ein fulminantes Debüt und bin sehr darauf gespannt
THE BLACK MARIA mal live erleben zu dürfen. <AS>
BELLE & SEBASTIAN – push barman to open old wounds (Jeepster)
Compilation aller Singles der Briten aus den Jahren 1997-2001, die auf
Jeepster erschienen sind. Logischwerweise gibt es einen Haufen Hits sowie
gute B-Seiten, eine gute Gelegenheit die Band entweder kennen zu lernen
oder Sammlungen zu vervollständigen. Für die-hard Sammler fürs Auto. Oder
zum Joggen. <KP>
THE FORECAST – late night conversations (Victory)
Da kenn ich nix: Emo Schublade auf, Forecast rein. Soweit, so gut. Und das
soll jetzt nicht als Kritik gemeint sein. Vergleiche mit Bands wie JeJune
oder Rainer Maria zeigen schon, dass es sich hier um eine starke Platte
handelt, die vor allem durch den wechselnden männlichen und weiblichen
Gesang auszeichnet. Für Fans des Genres allemal lohnenswert! <KP>
TOCOTRONIC – pure Vernunft darf niemals siegen (LADO)
Tocotronic? War ich ja nie Fan von, ging irgendwie an mir vorbei. Jetzt also
ein neues Album. Keine Spur mehr von den ungestümen Songs der Vergangenheit (oder waren das nur die Hits, die ich kannte?), hier regiert eher der
Gitarrenpop. Poetische Texte und zwei Gitarren. Gefällt mir ganz gut.
Keine Champions League, aber mit der Leistung kann man international
dabei sein. <KP>
drachenmädchen
Das war wieder schön. Anstrengend auch und der Optiker wurde endlich den
Ladenhüter los. Flimmern. Nach neuesten Erkenntnissen trocknet Kaffee den
Körper gar nicht aus. Das bedeutet, das ich nun nicht mehr auf 2 Kannen
Kaffe auch 2 Liter Flüssigkeit mehr trinken muss. Das gab selbst in meinem
Singlehaushalt ein ganz schönes Schlangestehen vor der Toilette. Meine Oma
hat früher den Boden des Kaffeefilters einmal umgeschlagen bevor sie ihn
in die Maschine fummelte. Sie war der Meinung, das dass Aroma sich dann
intensiver entfalten könnte, außerdem würde sie Kaffee sparen. Beim Drachenmädchen Magazin ist es auch ähnlich, Seite umschlagen damit sich das
Aroma entfalten kann. Hmm. Andere Leute einladen damit wir nicht selbst
soviel Arbeit damit haben. Clever.
Für diese Ausgabe wäre ich leer, ausgebrannt. Selbst mein Horoskop bestätigt mir seit Tagen, das ich das Recht habe, nichts zu tun. Ich wäre in
meinen Gedanken sehr mit mir beschäftigt und das wäre gut so. ok. Ich bin
nicht mal wirklich in der Lage an einem Gespräch teilzunehmen. Wie heißt
du? Ich heiße Helga, gefällt dir mein Name? Nein, deine Brüste gefallen mir
besser. Dialog aus Schulmädchenreport von 1970, genau mein Niveau. Da
halte ich lieber meinen Mund, mache nichts kaputt und sage einfach jedem
ich wäre total entspannt und alles ist cool. Have Fun or Fuck off. Die Antwort ist klar. Wie gehabt ist das Erscheinen der nächsten Ausgabe ungewiss,
der günstigste und schnellste Weg die heißen Infos zu erhalten: Ihr meldet
euch kurz per E-Mail. Dann halten wir Euch auf dem Laufenden und sagen:
Willkommen in der Gang, ey. Immer Rocker bleiben.
drachenmädchen
Verlag: My Ruin Verlag
Anschri ft: Drachenmädchen Magazin | Postfach 3107 | 49021 Osnabrück
Fon: 0541-7608077
Fax: 0541-7608653
Mail: [email protected]
Web: www.myruin.de
Herausgeber: My Ruin/ Rosi
Redaktion: Herr Solke, Dr. Nolte, Herr Neumann & Commander Positive_3D
Grafik & Layout: Jan95
Mitarbeiter # 10: The Gimp, Lennart Bohne, Mika, Busy Beatman,
C.Parkinson, Mathias Hamich, Sascha Wundes, Nils Damage, Bölla, Sir Charles
Monsen, Falk, Onkelchen, Mathias Ahrberg, Sailorman, Marco Schnell, Ärol,
Wiesmann, Turbo Take, Betty Blue, Kevin, Frau Schön, Andreas, Timmi, Anna
Anaconda & Frauke.
Danke: Du, Oiro, Anzeigenkunden und die ganzen Zechpreller. Wir sehen uns.
Vertrieb: Eigenvertrieb
Auflage # 10: 500 Stck.
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My Ruin, Postbank Hamburg
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Dies ist keine Veröffentlichung im Sinne des Presserechts. Es wird kein
Gewinn erwirtschaftet. Die Beiträge gefallen der Redaktion, verantwortlich
ist jeder für sich selbst und sein geschriebenes Wort. Danke für den Erwerb
dieser Ausgabe. Es geht immer weiter.
gruß aus dem Beau Rivage