Sonderdruck

Transcription

Sonderdruck
ý, t..:., t
ý.
ý -ý-
s,:,.,,..., L..
.. _.
ý.
ý
-ý-ýý..
ý
Q. S_
Von Fakten und Fiktionen
Mittelalterliche
Geschichtsdarstellungen
ihre kritische Aufarbeitung
Herausgegeben
von
Johannes Laudage
Sonderdruck
-
im Buchhandel nicht erhältlich
(0
2003
BÖHLAU
VERLAG
KÖLN
WEIMAR
WIEN
und
fiI,
DER ÜBERLIEFERUNG
BEI DER ERFORSCHUNG NARRATIVER
QUELLEN DES MITTELALTERS
ZUR DIMENSION
von
RUDOLF SCHIEFFER
Vor Jahrzehnten hat der klassischePhilologe Ludwig Bieler auf den erden
Literaturgeschichte"
Seiten
seiner weit verbreiteten Römischen
sten
Gegenstand,also die lateinische Literatur der Antike, in seinem Erscheides
dem
Art
nach
nungsbild mit einem Trümmerfeld" verglichen', aus
Forum Romanum da und dort ein intakt gebliebenes,entsprechend bedie
imposanten
Ruinen
daneben
hervorragt,
Monument
manche
rühmtes
lassen,
Bruchim
übrigen
Konturen
aber unzählige
noch ahnen
einstigen
des
AuVerlorenen
das
Ausmaß
vor
unwiederbringlich
stücke vor allem
führen.
gen
Der Mediävist von heute, der an seinen Quellenvorrat denkt, findet
den
daß
kaum
Nicht
diesem
in
Bild
aus
wieder.
nur,
sich gemeinhin
Jahrhunderten von 500 bis 1500 unvergleichlich viel mehr überliefert ist
jeder
in
Ledem
Altertum
von
uns
seiner
als aus
- mehr vermutlich als
bensspanne überhaupt zur Kenntnis nehmen kann -, das Erhaltene
bloß
den
Eindruck,
der
in
Praxis
noch
zumeist auch nicht
macht auf uns
der kümmerliche Überrest von einst weit größeren Textmengen zu sein.
Nur so ist es zu verstehen, daß die laufend erscheinendeFachliteratur ist
Formulierundarauf
von
voll
achtet
wenn man einmal genau genug
hätte
beruhen,
der
die
Voraussetzung
es
nie
auf
unausgesprochenen
gen,
daß
feststellt,
in
Speyer
die
\Ver
Quellen
gegebenals
uns geläufigen.
mehr
die Ottonen noch nicht in Erscheinung traten, daß die politisch gedachte
Gein
dem
Italiens
Boden
Sammelbezeichnung
auf
zuerst
Deutsche"
brauch kam oder daß die Vita Heinrici IV eine ganz singuläre Form des
haletzten
Recht
Endes
darstellt,
Herrscherlobs
wird
mittelalterlichen
ben, müßte streng genommen aber jedes Mal den Vorbehalt machen,
' Ludwig BIELER, Geschichte der römischen Literatur
11.
1 (Sammlung Göschen 52,21965) S.
64
RudoySchieffer
des
Maßgabe
Einsicht
gelte nur nach
verfügseine e negativo gewonnene
baren Quellenbestandes,der nicht von vornherein so schmal wie heute
durch
Neufunde,
braucht
im
Prinzip
aber auch
sich
gewesenzu sein
und
Umdatierungen oder gewandelte Zuschreibungen jederzeit verändern
könnte. Das ist nicht so trivial, wie es zunächst klingen mag, denn für
Behauptungen
bestimmten
Quellen
abgeleitete
sowohl
unmittelbar aus
über die Ereignis- wie über die Bewußtseinsgeschichtebraucht man diedaß
der
Karl
Große im
Einschränkung
etwa
selbe
nicht zu machen:
Herbst 800 nach Italien gezogenist, daß die Polenpolitik Heinrichs II. in
SachsenentschiedeneGegner hatte oder daß Otto von Freising nur unbloß
Nicht
die
das
Bescheid
Konkordat
Wormser
über
wußte.
genau
Reichweite, auch die Verbindlichkeit unserer Einsichten wird eben beÜberdas
die
konkrete
des
den
Fensters,
Abmessungen
uns
stimmt von
lieferung auf dasMittelalter eröffnet, und daher mag es nicht unnütz sein,
kritischen
der
Aufarbeitung
die
Tagung,
mittelalterlicher
sich
auf einer
Geschichtsschreibungwidmet, ein wenig auch über die in dieser Hinsicht
Erkenntnis
Grenzen
zu reflektieren.
unserer
vorgegebenen
Nur in scheinbaremGegensatzzu unserer eben erwähnten praktischen
Selbstgenügsamkeitmit dem nun einmal vorhandenen Material steht die
Gepflogenheit, am Beginn einer Abhandlung in geradezu topischen
Wendungen die für das jeweilige Thema unzureichende Quellenlage zu
beklagen. Dabei geht es genau genommen um zweierlei: neben Zeugnisdie
früheren
in
ihrer
Existenz
verbürgt oder wenigstens gut vorstellsen,
bar sind, sich aber leider nicht erhalten haben, also verlorenen Quellen,
Widerhall
die
Anfang
in
Sachverhalte,
an
ohne
von
um
schriftlicher
auch
Form geblieben sein dürften, also nie vorhanden geweseneQuellen. Geder
letzten
Jahrzehnte
die
für
Aufmerksamkeit
das
Mitgesteigerte
rade
hat
Kulturwelt
den
Blick dafür
geprägte
telalter als weithin mündlich
damaligen
Lebens
die
daß
für
Bereiche
Quellen
weite
geschärft,
nicht
etwa sämtlich zugrunde gegangen,sondern gar nicht erst entstanden,
Das
sind.
gilt nicht nur auf elemengenauergesagt:aufgezeichnetworden
tarer Ebene wie z. B. beim bäuerlichen Alltag zur Karolingerzeit außerhalb großer Grundherrschaften, wovon sich so gut wie keine schriftlifür
haben,
Spuren
verbreitete Ausdruckssondern auch
erhalten
chen
.
formen von historischem Bewußtsein. Die prekären Überlieferungsbe-
Zur Dimension der Überlieferung
65
dingungen von volkssprachigen Denkmälern wie dem Ludwigslied, dasin
das
dem
Annolied,
Aufzeichnung
wir nur aus
einmaliger
vorliegt'', oder
die
komplexe
lassen
kennen',
Druck
ebenso wie
einem neuzeitlichen
Informationsbasis nicht weniger lateinischer Kreuzzugschroniken4 ab
im
Normalfall
mündlich und sound zu wenigstens ermessen,was alles
begrenzten
Horizonts
jenseits
Vermittlung
mit
unseresvon schriftlicher
blieb, obgleich davon das einstige Denken und Handeln nicht unwesentlich bestimmt worden sein wird.
Wenn wir uns im Folgenden auf solche Quellen konzentrieren, die
(und
dem
haben
Inhalt
Gestalt
nach als
tatsächlich einmal
angenommen
betont
können),
werden,
so muß gleich
narrativ gekennzeichnet werden
daß auch unser Forum Romanum - um im Bilde desEingangs zu bleiben
die
Trümmergrundstücke
Blessuren
aufweist,
und sogar veritable
- seine
bewußt
hinreichender
in
Klarheit
immer
mawir uns vermutlich nicht
der
der
den
jahrhundertelangen
Reduktionsprozeß,
Auf
erst von
chen.
Erfindung des Buchdrucks abgebremstwurde, hat eine ganze Reihe von
Faktoren eingewirkt und nach Räumen und Zeiten, Inhalten und Gatdie
Schon
Einbußen
gezeitigt'.
allgemeinen
tungen sehr unterschiedliche
Gefährdungen, denen Handgeschriebenesimmer und überall ausgesetzt
ist, wie Feuersbrunst und Wasserschaden,Plünderung und Schädlingsbefall betrafen potentiell am massivstenÜberlieferungen, die ihrem Wesen
2 Vgl. Wiebke FREYTAG,Ludwigslied, in: VI. 5 (1985)Sp.1036-1039.
3Vgl. Eberhard NEI MM N, Annolied, in: VI. 1 (1978)Sp. 366-371.
.
4 Exemplarisch: Susan B. EDGINGTON, Albert of Aachen Reappraised, in: From Clermont
to Jerusalem. The Crusades and Crusader Societies 1095-1500. Selected Proceedings of the
International Medieval Congress, University of Leeds 10-13 July 1995, hg. von Alan V.
MURRAY (International Medieval Research 3,1998) S. 55-67, über die Grundlagen des
nicht auf Augenzeugenschaft beruhenden Werkes.
$ Vgl. Karl LANGOSCH u. a., Geschichte der Textüberlieferung 2: ÜberlieferungsgeschichÜberlieferungs-Chance
Über(1964);
ESCH,
der
Literatur
Arnold
und
te
mittelalterlichen
lieferungs-Zufall als methodisches Problem des Historikers, HZ 240 (1985) S. 529-570
(auch in: DERS., Zeitalter und Menschenalter. Der Historiker und die Erfahrung vergandes
Der
Umgang
Historikers mit seinen QuelS.
DERS.,
Gegenwart
[1994]
39-69);
gener
len, in: Quelleneditionen und kein Ende? Symposium der Monumenta Germaniae Histoder
bei
der
Bayerischen
der
Akademie
WissenKommission
Historischen
rica und
schaften, 21/23. Mai 1998, hgg. von Lothar GALL/Rudolf SCHIEFFER(HZ Beih. N. F. 28,
1999) S. 129-147.
66
Rudolf Sdiieffer
dem
lokal
beschränkt
Urkundenarchiv
einer
nach
waren; zusammen mit
Kirche konnten allzu leicht auch die Lebensbeschreibungdes Hauptheilidie
hauseigenen
die
Darstellung
der
AnGründungsgeschichte
oder
gen,
für
nalen ein
alle Mal ausgelöschtwerden, wenn es zu einem Unglück
Überfall
kam. Weitverbreiteten Weltchroniken oder vielgelesenen
oder
Exempelsammlungen vermochten dagegen derartige punktuelle Mißgeschicke weit weniger anzuhaben. Vorsätzliche, inhaltlich begründete
Beseitigung historiographischer Werke dürfte nur selten vorgekommen
für
häretisch
fällt
dort
sein und
als
aber einschneidend,
geallenfalls,
brandmarktes Schrifttum ins Gewicht, soweit wir es der Geschichtsdürfen.
der
Der um 1225
Theologie
zuordnen
schreibung und nicht allein
des
frühes
Jahres
der
Katharer-Konzil
Bericht
1167,
über
entstandene
ein
in einen Druck von 1660 gelangt istb, gehört zu den spärlichen Ausnahdie
die
Materials
der
bestätigen.
Regel
Vernichtung
solchen
men,
zeitigen
Aufs ganze gesehen,sind es somit Unachtsamkeit und Geringschätzung
der Nachgeborenen mehr als alles andere gewesen,die im Mittelalter und
fixierter
den
Erinnerung
deziFundus
noch
schriftlich
auch
später
an
haben.
jüngere
Neubearbeitung
die
Heiligenviten,
miert
eine
erfahren
hatten, ebenso wie ältere Annalenwerke, die von späteren nach deren
Maßstäben ausgeschlachtetworden waren, verloren schnell ihren Wert
für die Lebenspraxis und teilten dann das Schicksal
Memoüberholter"
des
der
Gefahr
Veraltens und der
Selbst
Weltchroniken
rialbücher.
waren
Mißachtung ausgesetzt,sofern sie nicht aktualisierende, also verlängernde
Bearbeiter fanden, und für die kontinuierliche Bewahrung der historiÜberlieferung
schen
einzelner Klöster und Stifte stand nicht bloß bei
äußeren Katastrophen, sondern auch beim Wechsel des Konvents oder
der Ordenszugehörigkeit allerhand auf dem Spiel. Zusätzlich haben der
Wandel des literarischen Geschmacks,die Verdrängung eines Heiligenkults durch einen anderen oder schlicht dasmit wachsendemZeitabstand
beschriebenen
Begebenheiten immer
Interesse
schwindende
an vordem
bewirkt,
daß man bestimmte Texte nicht länger aufbewahrte, ja
wieder
6 Vgl. Bernard HAMILTON, The Cathar Council of Saint-Felix Reconsidered, Archivum
Fratrum Praedicatorum 48 (1978) S. 23-53 (auch in: DERS., Monastic Reform, Catharism
and the Crusades 900-1300 [1979] Nr. IX); Gerhard ROTI'ENwOHRER, Der Katharismus
1/1: Quellen zum Katharismus (1982) S. 46.
Zur Dimension der Überlieferung
67
ihnen buchstäblich Gewalt antat, indem man das Pergament zu Makulatur verarbeitete, bekanntlich hin und wieder dem Ausgangspunkt ungeÜberlieferung
wollter weiterer
wenigstensin Fragmenten.
Die Vielfalt der destruktiven Impulse und die Regellosigkeit ihres
Wirkens legen den bereits angedeuteten Schluß nahe, daß wir nicht mit
gleichmäßig verteilten Verlusten, sondern einer ziemlich gemischten
Bilanz zu rechnen haben. Daraus ergibt sich die Frage, für wie repräsentativ wir das heute noch Vorliegende im Hinblick auf die gesamte histoder
jeweiligen
Produktion
Entstehungszeit und Herkunftsriographische
region ansehen dürfen. Die Antwort wird nicht anders als spekulativ
können,
lohnt
doch
in
ausfallen
wohl zumindest
aber
großen Zügen das
Nachdenken. So besteht kaum Grund zu der Vorstellung, daß neben den
berühmten Geschichtswerken der Spätzeit Ottos des Großen, also Widukind, Liutprand, Continuatio Reginonis, Ruotger und Hrotsvith, noch
denselben
in
Jahren entstanden sind.
allerhand andere, aber verlorene
Auch die Flaute der Chronistik in der ausgehenden Merowingerzeit oder
das völlige Fehlen nennenswerter Berichte aus der frühen Ottonenzeit
Überlieferung
besonderen
der
Ungunst
wird man schwerlich einer
anladaß
dafür,
Dagegen
Paulus Diaconus am Ende der
sten.
spricht manches
langobardischen Geschichte literarische Vorläufer in Italien gehabt hat,
die sein Werk dann verdrängte', und auch das weite Feld der karolingilückenlos
dürfte
beileibe
Annalistik
schen
nicht
vor Augen steheng.
uns
Daß gerade dort, wo sich viel erhalten hat, noch mehr einst zu Pergadürfte,
legt
die
Beschäftigung mit der
gebracht
ment
worden sein
auch
den
Hagiographie',
Vitae und Gesta episcoporum der
merowingischen
mit
Ottonen- und Salierzeit1D, mit den Klosterfundationen
des Hochmit' Vgl. Ken GARDINIER, Paul the Deacon and Secundus of Trento, in: History
and Historians in Late Antiquity, hgg. von Brain CROKE/A. Maitland EM METT(1983) S. 147-153.
t Vgl. Matthew INNNES/Rosamond
MCKrrrERICK, The writing of history, in: Carolingian
culture: Emulation and Innovation, hg. von Rosamond MCKrrrERICK (1994)S. 193-220.
9 Vgl. Paul FOURACRE/Richard A. GERBERDII`G, Late Merovingian France. History
and
Hagiography 640-720 (1996) S. 26 ff.
io Vgl. Reinhold KAISER, Die Gesta episcoporum als Genus der Geschichtsschreibung, in:
Historiographie im frühen Mittelalter, hgg. von Anton SCHARER/Georg SCHEIBELREITER
(Veröffentlichungen
des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 32,1994) S.
459-480, bes. S. 472 f.
68
Rudolf Schieffer
telalters" oder mit genealogischen Aufzeichnungen aller Art12 nahe.
Überall haben
Umfangs
Defizite
einzukalkuabschätzbaren
schwer
wir
lieren, während umgekehrt die Abfolge der einander im Volumen überbietenden Weltchroniken des 12./13. Jahrhunderts eher den Eindruck
haben".
Wenn
Werke
einzelne
nur
vermittelt, sich vollzählig erhalten zu
Überlieferung
dies
dürfte
primär am gewaltigen
eine schmale
aufweisen,
Aufwand für eine vollständige Abschrift liegen.
Nicht allein über Sein oder Nichtsein jedes einzelnen Werkes hat die
handschriftliche Tradition entschieden, sondern auch über sein faßbares
Erscheinungsbild nach Wortlaut, Sprachgestaltund Umfang. Einen undie
im
Unterschied
bieten
Autographen,
Anblick
sich
verstellten
einzig
dann
dem
immerhin
Geschichtsschreibung
und wann aus
zur antiken
Mittelalter erhalten haben". Die kostbare Reihe setzt, was Werke von
den
der
HistoJahrtausendwende
kurz
Umfang
mit
vor
einigem
angeht,
Urschrift
Bamberg
deren
Richers
Reims
gelangte
seit
nach
rien
von
ein,
folgen
in
kurzen
Es
im
Wochen
Faksimile
relativ
vorliegt15.
wenigen
Abständen die Chronik des 1018 gestorbenen Thietmar von Merseburg
in der bis 1945 lesbar gebliebenen Dresdner Handschrift16, die bis 1082
lebenden
Iren
Marianus
des
in
Mainz
Scotus,
Weltchronik
abgeschlossene
deren Niederschrift in Rom liegt17,ferner die Weltchronik Bernolds von
" Vgl. Ludwig HOLZFURTNER,Gründung und Gründungsüberlieferung. Quellenkritider
Klöster
der
Agilolfingerzeit und
Bayerischen
Studien
Gründungsgeschichte
sche
zur
ihrer hochmittelalterlichen Überlieferung (Münchener Historische Studien. Abteilung
Bayerische Geschichte 11,1984).
i2 Vgl. Leopold GENICOT, Les genealogies (Typologie des sources du moyen age occidental 15,1975).
(Typologie des sources du moyen
" Vgl. Karl Heinrich KROGER, Die Universalchroniken
age occidental 16,1976).
hgg. von Paolo
" Vgl. Gli autografi medievali. Problemi paleografici e filologici,
CHIESA/Lucia PINELLI (Quaderni di cultura mediolatina 5,1994).
" Richer von Saint-Remi, Historiae, ed. Hartmut HOFFMANN (MGH SS 38,2000); vgl.
DERS.,Die Historien Richers von Saint-Remi, DA 54 (1998)S. 445-532.
' Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg und ihre Korveier Überarbeitung,
ed. Robert HOLMANN (MGH SS rer. Germ. N. S. 9,1935); vgl. Helmut BEUMIANN,
Thietmar, Bischof von Merseburg, VL 9 (1995)Sp. 795-801.
" Mariani Scotti Chronicon, ed. Georg WA tz (NIGH SS5,1844) S. 481-564;vgl. AnnaDorothee VON DENBRINCREN,Marianus Scottus als Universalhistoriker iuxta veritatem
Zur Dimension der Überlieferung
69
St. Blasien (t 1100) in einem Codex der Bayerischen Staatsbibliothek in
München18sowie die in Jena aufbewahrte Chronik Frutolfs vom Bamberger Michelsberg". In solchen Fällen, die im späteren Mittelalter zahldes
bloß
können
authentischen Wortlauts gereicher werden,
wir nicht
bei
dem
der
Autor
Endredaktion
wiß sein, sondern zumeist sogar noch
über die Schulter schauen,wie er letzte Einschübe macht, stilistische Verbesserungenanbringt oder auch inhaltliche Korrekturen vornimmt.
Für gewöhnlich haben wir uns jedoch damit abzufinden, daß eine
Quelle nur in kopialer Form zugänglich ist, also außer banalen Mißverder
beim
Veränderungen
Abschreiben
verschiedensten Art
ständnissen
haben
kann.
braucht
Man
nicht gleich überall gezielte Inerfahren
fest,
der
Täuschung
Nachwelt
zu wittern, aber es steht
terpolationen zur
daß beispielsweiseso gut wie alle merowingerzeitlichen Texte im Zuge
ihrer Vermittlung durch Kopisten der Karolingerzeit eine sprachliche
Glättung im klassizistischen Sinne erfahren haben, die das ursprüngliche
Erscheinungsbild fühlbar veränderte20,daß es kaum zwei textidentische
Annalen Exemplare gibt, weil dieseForm der Stoffdarbietung regelmäßig
daß
Straffung
Anreicherung
einlud",
oder
zur
zur
auch geebenso wie
im
Instabilität
Aufzeichnungen
eine
merkliche
nealogisch ausgerichtete
Überlieferungsprozeß an den Tag legen. Angesichts solcher Deformaihrerseits
die
sind,
manchen Auftionen,
natürlich, sobald sie erkannt
Evangelii, in: Die Iren und Europa im frühen Mittelalter 2, hg. von Heinz LÖWE(1982)S.
970-1009.
ISBernoldi Chronicon, cd. Georg Heinrich PERIL (MGH SS5,1844) S. 385-467;vgl. Ian
S. ROBINSON,Bernold von St. Blasien, VL 1 (1978)Sp. 795-798.Eine Neuausgabebei den
MGH ist in Vorbereitung.
" Ekkehardi Uraugiensis Chronica, ed. Georg WAITZ (MGH SS 6,1844) S. 1-265; vgl.
FranzJosef SCt-MALE,Frutolf von Michelsberg, VL 2 (1980)Sp. 993-998.Eine Neuausgabe bei den MGH ist in Vorbereitung.
b Vgl. Michel BANNIARD,Viva voce. Communication ecrite et communication orale du
IV` au IX` sieeleen Occident latin (1992)S. 49 ff., 254 If.
21Vgl. Michael MCCORASICK,
Les annalesdu haut moyen age (Typologie des sources du
moyen ageoccidental 14,1975) S. 27 ff., 41 ff.
22Exemplarisch: Otto Gerhard OEXLE, Walfische Memoria. Zugleich ein Beitrag über
in:
die
ihrer
Erforschung,
Die
Welfen
ihr
Kriterien
Hausüberlieferung
und
und
adlige
Braunschweiger Hof im hohen Mittelalter, hg. von Bernd SCHNEDMÜLLER(Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 7,1995) S. 61-94.
70
Rudo4rSdVeffer
bereit
halten,
helfen
jeher
Bemühungen
Handsubtile
um
schluß
seit
schriftenvergleich, Stilkritik und Vorlagenanalyse, wie sie sich üblicherweise in kritischen Ausgaben der Texte niederschlagen.Aber alle Editidaß
der
kann
letztlich
Welt
schaffen,
uns Notkers
onskunst
nicht aus
bald nach 883 verfaßte GestaKaroli Magni nur aus Abschriften seit dem
12. Jahrhundert bekannt sind', daß Brunos Buch vom Sachsenkriegaus
dem Jahre 1082 erst vom 15. Jahrhundert an in vollem Umfang faßbar
den
Gorzer
Quellen
Miranda
daß
wie
wird24 und
von nicht unwichtigen
dem
dem
de
bello
Ligurinus
Gorgonii,
Saxonico
Carmen
oder
uns übers.
haupt nur noch vor Augen steht, was Herausgeber von Drucken des 16.
haben'.
beim
Man
daraus
Jahrhunderts
17.
gewinnt
oder gar
gemacht
Studium der auf solche Texte gestützten Literatur nicht immer den Eindruck, daß dies gebührend bedacht wird.
Neben der Bestimmung desjeweiligen Abstandes zum Urtext dient die
der
der
Sichtung
Ergründung von
Handschriftenlage
sorgsame
stets auch
Verbreitung und Resonanz eines «Werkes.Auf der breiten Skala der rein
bewegen
Unterschiede
quantitativen
sich am einen Ende unverwüstliche
Klassiker wie Einhards Vita Karoli mit weit über 10026oder die Chronik
Ottos von Freising mit mehreren Dutzend erhaltenen Textzeugen aus
dem Mittelalter27, aber mit einem ähnlichen Grad an Beachtung auch ein
historiae
dürftiges
der
Liber
FranErzeugnis
so
wie
spätmerowingische
finden
Rang
Ende
zu
corum28,während am anderen
nicht weniges von
' Notker der Stammler, Taten Kaiser Karls des Großen, ed. Hans F. RAFFELE(MGH SS
in:
(1987)
St.
Gallen,
VL
DERS.,
Notker
L
Sp. 1187Germ.
6
N.
S.
12,1959);
von
rer.
vgl.
1210,bes. 1198ff.
' Brunos Buch vom Sachsenkrieg,neu bearb. von Hans-Eberhard LOHMANN (MGH Dt.
MA 2,1937); vgl. FranzJosef SCi-i'.tALE,Bruno von Magdeburg (Merseburg), VL 1 (1978)
Sp. 1071-1073.
2sMiracula sancti Gorgonii, ed. Georg Heinrich PERTZ (MGH SS 4,1841) S. 238-247;
(MGH SSrer. Germ. [17], 1889);
Carmen de bello Saxonico, ed. Oswald HOLDER-EGGER
Gunther der Dichter, Ligurinus, ed. Erwin ASSMANN(MGH SSrer. Germ. 63,1987).
26 Vgl. Matthias M. TISCHLER, Einharts Vita Karoli.
rung und Rezeption 1-2 (MGH Schriften 48,2001)-
Studien zu Entstehung,
Überliefe-
" Vgl. Ottonis episcopi Frisingeasis Chronica sive Historia de duabus civitatibus, ed.
(MGH SSrer. Germ. [45], 1912)S. XXIII ff. Adolf HOFMEISTER
" Vgl. Liber historiae Francorum, ed. Bruno KRUSCH(MGH SS rer. Merov. 2,1888) S.
215-328,bes.220 ff.
Zur Dimension der Überlieferung
71
ist, das am seidenenFaden einer singulären Überlieferung hängt wie das
des
die
Karls
Großen mit Papst
Begegnung
Paderborner
Epos
über
sog.
das
de
Carmen
Leo M. -, wie Wipos GestaChuonradiSO
oder
gestisFrederidie
Gerade
imperatoris
in
Lombardia31.
textkritisch optimale Erhaltung
ci
für
durch
Geringschätzung
die
Indiz
Autograph
überwiegend
als
als
muß
Mit- und Nachwelt gelten, ist doch unter den vorhin hervorgehobenen
Beispielen bei Richer, Bernold und im Grunde auch Frutolf die Urschrift
das einzige uns bekannte Exemplar geblieben. Unter den Faktoren, die
Verbreitung und Überleben einer Quelle begünstigten, standen sichtlich
die
der
für
Originalität
literarider
Informationsgehalt
oder
uns
nicht
für
die
das
Funktionalität
Stelle,
Leben
Form
schon
eher
schen
an erster
die
für
den
Universalität
der
Schulbetrieb,
InGemeinschaft
oder
einer
halte oder auch deren Erbaulichkeit. Im übrigen sollte man bei der Frage
Überlieferung weder das Walten des
der
der
jeweiligen
Quantität
nach
Zufalls wegzudisputieren versuchen noch die Vorstellung hegen, jeder
darauf
Quellenautor
aus gewesen,unbedingt überall
sei
mittelalterliche
hindurch
Jahrhunderte
gelesenzu werden.
und
Fruchtbarer erscheint die Differenzierung der erhaltenen wie der bloß
inhaltlichen
ihrer
bezeugten
Anlage
ihrer
Handschriften
nach
und
noch
Verteilung in Raum und Zeit. Gewiß ist es beachtlich, wenn ein so anbis
heute
Ottos
Freising
die
in
Chronik
Werk
46
von
wie
spruchsvolles
Manuskripten vorliegt, doch tritt der Befund in andere Beleuchtung,
daß
der
den
EinzugsbeBlick
sich
wird,
gewahr
man
auf
zweiten
wenn
die
bis
in
Steiermark
beElsaß
Süddeutschland
vom
reich völlig auf
dem
der
der
Teil
Exemplare
überwiegende
erst
späteren 15.
schränkt und
Silvio
Enea
Piccolomini
dem
Jahrhundert
16.
von
als
entstammt,
sowie
diesem
Text
humanistisches
Interesse
geweckt worden
an
ein neues,
" Vgl. Wilhelm HENIZE (Hg.), De Karolo rege et Leone papa. Der Bericht über die
Zusammenkunft Karls des Großen mit Papst Leo III. in Paderborn 799 in einem Epos für
Karl den Kaiser (Studien und Quellen zur westfälischenGeschichte 36,1999)11Vgl. Die Werke Wipos, cd. Harry BRESSLAU(MMGHSS rer. Germ. [61], 31915) S.
XLIX f.
" Vgl. Carmen de gestisFrederici I. imperatoris in Lombardia, cd. Irene SCHMALE-OTT
(AMGHSSrer. Germ. [61-],1965)S. VII ff.
72
Rudolf Schieffer
war". Natürlich ändert eine solche Erkenntnis nichts an Intention und
Zuschnitt des ursprünglichen Werkes, das Otto am Vorabend des Zweiten Kreuzzugs konzipierte, aber sie bestimmt doch wesentlich das Bild
vom, wie man sieht, begrenzten Erfolg seines Bemühens und von seinem
Einfluß auf die weitere Entwicklung der Gattung. Funktionsänderungen
in späterer Zeit, die der Autor schwerlich hat voraussehen oder gar wollen können, lassen sich auch sonst mitunter an der Streuung der Überlieferungen ablesen. So verdanken wir den seit dem 13. Jahrhundert erst
greifbaren Liber gestorum recentium Arnulfs von Mailand aus den 1070er
Jahren zum guten Teil der Tatsache, daß das eigentlich vom Selbstbehauptungswillen der Mailänder Kirche veranlaßte Werk den Nachgeborenen als frühes Echo der Mailänder Bürgerfreiheit erschienen ist". Nicht
so sehr um ihrer selbst willen, sondern als vermeintliche Fortsetzungen
berühmter
haben
Einhards
Karlsvita
von
nach Ausweis nahezu aller
Handschriften die beiden Prosaviten Ludwigs des Frommen, also die
Werke Thegans und des sog. Astronomus, die Zeiten überdauert und ihre
Leser gefunden". Die vom Astronomus verfaßte Vita geriet dabei auf die
Dauer überhaupt nur noch zum Baustein eines weit höher aufgetürmten
Gebäudes, worin man während des 12. und 13. Jahrhunderts im Kloster
Saint-Denis Quellen der verschiedensten Individualität zu einem großen
fränkisch-französischer Königsgeschichte verband". Ohne
Kontinuum
Frage ist damit zu rechnen, daß die konsequentere Beachtung des kodikologischen Kontexts noch manche weitere Einsicht über die Deutungen
Überleben
das
der
denen
erbringen wird, auf
einzelnen Quellen beruht.
72 Vgl. Brigitte SCHORMANN, Die Rezeption der Werke Ottos von Freising im 15.
und
frühen 16. Jahrhundert (Historische Forschungen 12,1986).
" Arnulf von Mailand, Liber gestorum recentium, ed. Claudia ZEY (MGH SS
rer. Germ.
67,1994); vgl. Jörg W. BUSCH, Die Mailänder Geschichtsschreibung zwischen Arnulf und
Galvaneus Flamma. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit im Umfeld einer oberitalienischen Kommune vom späten 11. bis zum frühen 14. Jahrhundert (Münstersche Mittelalter-Schriften 72,1997) S. 122 ff.
34 Vgl. Thegan, Die Taten Kaiser Ludwigs, Astronomus, Das Leben Kaiser Ludwigs,
ed.
und übers. von Ernst TREMP (MGH SS rer. Germ. 64,1995) S. 30 f. und S. 123.
'S Vgl. Ernst TREMP,Die Überlieferung der Vita Hludowici imperatoris des Astronomus
(MGH Studien und Texte 1,1991) S. 37 ff.
Zur Dimension der Überlieferung
73
Wie die Archäologen auf dem Forum Romanum haben sich auch die
bloß
den
immer
Quellenforscher
mit
vorgefundenicht
mediävistischen
die
Rekonstruktion
des
begnügen
Bruchstücken
an
sich
mögen und
nen
der
in
Zeit,
in
Es
Untergegangenen
gab
eine
zumal
gewagt.
an sich
Deutschland die scharfsinnige Rückgewinnung einer verlorenen Quelle
Meisterschaft
dem
Gipfel
Mittelalter
zünftiger
galt. Beaus
geradezu als
Übernahdie
der
der
bei
Erforschung
Annalistik,
von zahllosen
sonders
dementsprechenden
Filiationsketten
jeweils
XVerken
älteren
und
men aus
über weite Zeiträume bestimmt wird, hat dies neben Hypothesen, um die
dauerhaften
ist,
Erfolgen
Weile
zu
geworden
nach
einer
wieder
still
es
ihre
daß
die
Voraussetzungen
längst
wir
uns
geführt,
uns
so geläufig sind,
kaum noch bewußt machen. So haben die Annales Hildesheimenses
maioder
bis
überliefert
1043
oder
gedruckt,
zu
nirgends
res,
reichend, obzwar
Quelle" zu sein,
Einschätzung gelangen können,
vorzügliche
ganz
eine
die sich indes allein aus ihren diversen, konkret faßbaren Ableitungen
speistJ6.Die von 794 bis 1144 reichenden, verlorenen Annales Patherbrunnenses,die vielleicht auch aus Corvey stammen, kann man seit 130
Jahren sogar in einer Textausgabenachschlagen,die aus nichts als einer
Zusammenschau der davon abhängigen jüngeren Quellen besteht". Zu
besonderer Berühmtheit sind naturgemäß Fälle gelangt, in denen eine
Überliefebloß
Quelle
später auch als tatsächliche
zunächst
postulierte
die
Karl
Hampe
in
ist.
1895
Ich
von
an
zutage
getreten
erinnere
rung
Durham als Abschrift des 12. Jahrhunderts entdeckten Annales Mettenses
die
Altahenses,
die
bis
Annales
80538
1073
priores von
oder an
reichenden
dann
durch
1867
EdWilhelm
Giesebrecht
erst von
rekonstruiert und
des
Oefele
Kopie
Aventinus aufgefunden worden sind39.
von
als
mund
Wenn es seit längerem um derartige Forschungen ziemlich still geworden
x Vgl. Robert HOL'IZ uNN, Das Reich und Sachsen,in: Wilhelm WArrENBACH/Robert
HoLTZUANN, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Deutsche Kaiserzeit "1
(1938)S. 42 (Zitat); Klaus NASS,Die Reichschronik des Annalista Saxo und die sächsische
Geschichtsschreibungim 12.Jahrhundert (MGH Schriften 41,1996) S. 86 ff.
" Paul SCHES
BOiCHORST, Annales Patherbrunnenses. Eine verlorene Quellenschrift
des zwölften Jahrhunderts aus Bruchstücken wiederhergestellt (1870); vgl. NASS, Reichschronik (wie Anm. 36) S. 209 ff.
(MGH SSrer. Germ. [10), 1905).
Annales Mettensespriores, cd. Bernhard VONSI MSON
)s Annales Altahenses maiores, ed. Edmund VON OEFELE(MGH SSrer. Germ. [4], 21891).
74
Rudolf Schiefer
ist, so wird das daran liegen, daß die wirklich lohnenden Chancen von
den Altvorderen längst genutzt sind und die Unbeweisbarkeit mancher
Überlegung
hat.
Grundsätzkühner
gewirkt
anderer
eher entmutigend
lich bleiben aber die dabei gewonnenen methodischen Erfahrungen ein
darf.
das
Faches,
Kapital
gehen
nicht verloren
wertvolles
unseres
Es wäre sinnlos, sich Quellen gewissermaßenzurückzuwünschen, die,
hat
Sinn,
immer,
Ursachen
aber
es
sind,
aus welchen
auch
untergegangen
besonderem
in
darauf
Maße
Gedanken
einige
was
uns
zu verwenden,
fehlt, nicht im Rahmen der hauptsächlichen Textgattungen, die trotz
bieten,
Gesamtbild
Verluste
überschaubares
sondern
mancher
ein relativ
Überliefebegünstigenden
deren
das
die
Konventionelle
Rändern,
an
wo
dies
Um
zu verdeutlichen, möchte
rungschancena priori geringer waren.
ich im letzten Teil meines Referatesauf drei nicht ganz unbekannte nardie
im
kommen,
Mittelalter
BeachQuellen
so
wenig
rative
zu sprechen
tung fanden, daß ihre Vermittlung an die neuzeitlichen Historiker als
purer Zufall bezeichnet werden muß.
Ich meine erstens die allein in einer Abschrift des 10. Jahrhunderts aus
Soissons überkommenen Historien Nithards, jenes natürlichen Enkels
Karls des Großen, der im Mai 841 von Karl dem Kahlen, einem der Rivalen des damaligen Bruderkampfes, den Auftrag empfing, die
Geschehnisfestzuhalten`.
der
(res
Gegenwart"
se
vestris temporibus gestas)schriftlich
Er wählte nicht den Weg der individuellen Fortschreibung eines vorhandenen Annalenwerkes, sondern disponierte seinen Erzählstoff gleichsam
der
deren
in
Büchern,
zum Verständnis wemonographisch
erstes
vier
dem
die
Frommen
Ludwig
Vorgeschichte
gilt, während
sentlichen
unter
dem
Detailfreude
Einschub von Doweiteren mit ungewöhnlicher
und
kumenten wie dem Text der Straßburger Eide den Gang der politischmilitärischen Verwicklungen seit Sommer 840 nachzeichnen. Das geschieht eindeutig aus der Sicht Karls und zur Rechtfertigung seines Handelns, aber auch als Reflex unmittelbaren Erlebens und eigener Beteilidaß
gung, so
man von einer Verschränkung von öffentlicher"
und pri-
'0 Nithard, Histoire des fils de Louis le Pieux, hg. und übers, von Philippe LAUER (I.es
classiquesde l'histoire de France au moyen age7,1926), Zitat S. 2.
Zur Dimension der Überlieferung
75
können".
hat
Geschichtsbetrachtung
Nithards innere
sprechen
vater"
Anteilnahme drückt sich zu Beginn des 3. Buches in der Bemerkung aus,
er habe seinen Bericht eigentlich beenden wollen, weil nur noch Mißlifortfahren,
doch
um wahrheitswidrigen
ches auszubreiten sei, wolle aber
Darstellungen von anderer Seite zuvorzukommen. Bezeichnenderweise
hat man darüber streiten können, ob der Abschluß des 4. Buches im
März 843, einige Monate vor dem Teilungsvertrag von Verdun, dem
Willen des Autors entspricht oder seinem Tod bereits im Jahre 845, wenn
ist42.
der
Defekt
Handschrift
anzulasten
nicht gar einem
Mein zweites Beispiel ist die Relatio de legatione Constantinopolitana
Liutprands von Cremona aus dem Jahre 969, deren heutige Kenntnis
fußt''.
Exklusiv
Druck
1600
und weithin in den
einzig auf einem
von
Details nicht nachprüfbar schildert der Verfasser seine Eindrücke auf der
des
im
Großen
GesandtschaftsAuftrag
Ottos
unternommenen
eben erst
den
den
Erfolg
die
Bosporus,
gewünschten
geblieben war.
reise an
ohne
Im (kaum ganz ernst gemeinten) Gewande eines diplomatischen Berichts
verarbeitet Liutprand seine Enttäuschung einerseits zu Hohn und Spott
über die Griechen, andererseits zur Rechtfertigung des eigenen Auftretens. Das führt ihn zu kulturgeschichtlich wertvollen Beobachtungen, die
bekannten
des
östlichen wie westlichen
Horizonts
außerhalb
aller sonst
Quellen der Epoche liegen', während andererseits die politischen Hintergründe und Voraussetzungen seines Scheiterns ziemlich im Dunkeln
bleiben, was kaum hinreichend mit entsprechender Vorkenntnis des
des
kann.
Hofes
Adressaten
erklärt
werden
ottonischen
als
unmittelbaren
11Vgl. Janet L. NasoN, Public Histories and Private History in the Work of Nithard,
Speculum 60 (1985) S. 251-293 (auch in: DIES., Politics and Ritual in Early Medieval
Europe [1986] S. 195-237).
' Vgl. Max MANrrius, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters 1: Von
Justinian bis zur Mitte des zehnten Jahrhunderts (Handbuch der Altertumswissenschaft
IX 2/1,1911) S. 658.
" Liudprandi Cremonensis Relatio de legatione Constantinopolitana, in: Liudprandi
Cremonensis Opera omnia, ed. und bearb. von Paolo CHIESA(CC Cont. med. 156,1998)
S. 185-218;vgl. DERS.,Per um storia del testo delle opere di Liutprando di Cremona net
medioevo, Filologia mediolatina 2 (1995)S. 165-191,bes.S. 166.
" Vgl. Johannes KODEI/Thomas
WEBER, Liutprand von Cremona in Konstantinopel.
Untersuchungen zum griechischen Sprachschatz und zu realienkundlichen
Aussagen in
seinen Werken (Byzantina Vindobonensia 13,1980).
76
RudolfSchieffer
Das subjektive Erleben steht dermaßen im Vordergrund, daß funktionale
Deutungen des Werkes, etwa als Propagandaschrift zur Begründung des
die
in
Süditalien'S,
Kampfes
Byzantiner
auf prinzipielle
weiteren
gegen
Schwierigkeiten stoßen, zumal auch noch der Schluß des Berichts fehlt,
entweder weil er verloren ging oder nie geschriebenwurde.
Drittens sei auf die anonyme Aufzeichnung in einem Codex des Klode
Lotharii
die
in regem
Narratio
Göttweig
electione
als
sters
verwiesen,
Romanorum bekannt ist46.Der Autor, möglicherweise der Göttweiger
Abt Chadaloh, beschreibt mit geringem zeitlichen Abstand und offenbar
die
die
die
Königswahl
Lothars
III.,
Vorgänge
Augenzeuge
sich
als
um
über etwa neun Tage Ende August/Anfang September 1125 hingezogen
hatten47.Dabei haftet der Blick auf den äußeren, zeremoniellen Prozedu(bis
GewährsRede),
Wiedergabe
wohingegen
ren
unser
zur
wörtlicher
der
im
den
Großen
Verhandlungen
mann von
eigentlich politischen
Vorfeld und Hintergrund des Geschehensnichts zu berichten weiß, weil
daran
die
des
Das
Beurteilung
er
augenscheinlich unbeteiligt war.
macht
allein von ihm wiedergegebenenWahlversprechens Lothars gegenüber
der Kirche so schwierig, wenn nicht unmöglich. Undeutlich ist auch die
Erzählabsicht des Verfassers, der im ersten Satz ohne Widmung oder
Anrede lediglich äußert,
Erinnerung Würdiges" (quid dignum memoder
(brevifiterit)
in
dem
Kürze
Pergament
zu
wollen
anvertrauen
ria gestum
Überder
Studie
Verfasser
Der
ter cartaemandavimus).
maßgeblichen
zur
lieferung des Textes spricht denn auch von einem
unter
Fremdling ...
den GeschichtsquellendesdeutschenMittelalters`.
In der Tat erschöpfen sich die Gemeinsamkeiten unter den drei vorgeführten narrativen Denkmälern nicht darin, singulär überliefert, nirgends
I' So Martin LINTZEL, Studien über Liudprand von Cremona (Historische Studien 233,
1933)S. 35 ff. (auch in: DERS.,Ausgewählte Schriften 2 [1961] S. 370ff.).
46 Narratio de electione Lotharii in regem Romanorum, ed. Wilhelm WATTENBACH
(MGH SS 12,1856) S. 509-512.
" Vgl. Die Regesten des Kaiserreiches unter Lothar M. und Konrad III. 1: Lothar III.
1125(1075)-1137,neubearb. von Wolfgang PETKE(RegestaImperii IV 1/1,1994) S. 52 if.
Nr. 92.
' Vgl. Hermann KALBFUSS,
de electione Lotharii", MIÖG
Zur Entstehung der
Narratio
31 (1910)S. 538-557,Zitat S. 538.
Zur Dimension der Überlieferung
77
im Mittelalter erwähnt oder zitiert, mithin völlig isoliert zu sein. Es ist
die
daß
Zuordnung
bemerkenswert,
in
Fällen
allen
ebenso
zu einer bedie
formalen
besser
Bestimmung
Gattung,
Vorbileines
gesagt:
stimmten
des schwer fällt. Gegenüber vorgegebenen Konventionen dominiert weit
die
Gestaltungswille,
der
individuelle
Prägung durch
mehr
spontane und
in
die
Erleben
Ausrichtung
außergewöhnlicher, zeitlich
und
auf eigenes
begrenzter Situation, die den Darstellungen des Geschehenen memoirenhafte Züge verleiht. Ganz ungezwungen fließen Elemente ein, die gefremd
dieser
Zeit
der
die
dopGeschichtsschreibung
sind,
wie
meinhin
bei
Nithard,
Eide
230 griechische TerStraßburger
pelt volkssprachigen
bei
das
Pactum
in
der
irgendwie
Liutprand,
Narramißverstandene
mini
tio. Dabei kann gewiß keine Rede davon sein, daß sich die jüngeren Auhandelt
hätten;
den
älteren
toren an
vielmehr
es sich um völlig
orientiert
bis
Mitteilungen,
die
autobiographische
eigenständige zeitgeschichtliche
blieben,
können,
daß
der
Resonanz
aber
zeigen
uns
zwar ohne sichtbare
Spielraum historiographischer Artikulation
aus aktueller Veranlassung
fühlbar breiter war, als es die große Masse unseres Quellenbestandes ahTexte
ließe.
die
ja
Wären
untergegangen,
wozu
nen
genannten
nicht viel
keines
die
Historikers
hätte,
Phantasie
ausreichen, sie
gefehlt
würde wohl
besonders
die
Insofern
Verengung
gut
geeignet,
zu vermissen.
sind sie
uns
des Blickwinkels bewußt zu machen, die die Überlieferung bewirkt hat.