Leseprobe - Wilhelm Fink Verlag
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Judith Ellenbürger Fun Works vita activa Herausgegeben von Claudia Lillge und Thorsten Unger Wissenschaftlicher Beirat Franz-Josef Deiters Bernd Stiegler Isabella von Treskow Judith Ellenbürger Fun Works Arbeit in der Filmkomödie von den Lumières bis Chaplin Wilhelm Fink Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein Umschlagabbildung: Charlie Chaplin, Szene aus dem Film Modern Times, USA 1936 © ullstein bild Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. © 2015 Wilhelm Fink, Paderborn (Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Internet: www.fink.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Printed in Germany Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn ISBN 978-3-7705-5919-0 5 17:40 INHALT 7 1. Einleitung 9 12 16 21 1.1 Die Ursprünge der (Slapstick-)Komödie 1.2 Industrialisierung, Rationalisierung und Film 1.3 Zur Komödie um Arbeit: Die Agenda 2. Ein Klavier, eine lange Treppe und zwei Sisyphosse: Komiktheorie ‚rauf und runter‘ mit Stan Laurels und Oliver Hardys The Music Box 22 25 30 34 37 40 43 45 51 54 2.1 Die Inkongruenz Stans und Ollies 2.2 Die Repetition: Bergson und das Leid der Sisyphosse 2.3 Die Verzahnung von Mensch und Maschine 2.4 Die Aufwandsdifferenz: Freud zu Bewegung und Geist 2.5 Der Springteufel: Die Tücke des Klaviers 2.6 Der Schneeball: Die unaufhaltsame Katastrophe 2.7 Karneval: Bachtin und die Narren vom Dienst 2.8 Zur sozialen Funktion des Lachens 2.9 Wieder die Repetition: Nun zum Glück der Sisyphosse 2.10 Komiktheorie: Ein Überblick 59 3. Der Drang in die Höhe: Zum amerikanischen (Alb-)Traum vom sozialen Aufstieg. Harold Lloyds Safety Last! 62 67 71 76 79 83 87 3.1 American Dream Machine: Zur Mechanik der Traumerfüllung 3.2 Großstädte, Großprojekte, Größenwahn: Safety Last! und The Crowd 3.3 Wann ist ein Mann ein Mann? ‚Der Junge‘ und die Gender-Falle 3.4 Position und Potenz: Zur Verwechslungskomik im Arbeitsraum 3.5 Architektur der Attraktionen: Der Wolkenkratzer in der thrill comedy 3.6 Die Kunst des Kletterns: De Certeau, Tarzan und die human flies 3.7 Aufstieg und Absturz: Vidor, Lloyd und die Große Depression 93 4. Vom ersten zum letzten Mann: Die alten Angestellten in Friedrich Wilhelm Murnaus Der letzte Mann 96 99 103 109 112 116 120 Dissertation_V_1_0.indd 5 4.1 Spieglein, Spieglein...: Bergson und die Berufseitelkeit 4.2 Alt versus jung: Kracauer, Murnau und die Moderne 4.3 Gewalttätig, grausam, grotesk: Die Kündigung mit Kayser und Bachtin 4.4 Macht und Ohnmacht: Zu den Ängsten und Träumen eines Besessenen 4.5 Uniform-Fetisch: Identität und Männlichkeit bei Murnau und Keaton 4.6 Abgründe der Arbeitsgesellschaft: Der letzte Mann und Lohnbuchhalter Kremke 4.7 Das Happy End, oder: Die Emanzipation von der Arbeit 01.04.2015 20:38:10 6 INHALT 123 5. Work Hard – Play Hard: Spielarten des Handwerks in Buster Keatons The General 126 5.1 Zu Keatons „Gag-Maschinen“: Eine Liebesgeschichte 130 5.2 Die Ankunft des Zuges: Der Stummfilm und die Eisenbahn 1325.3 Stoneface oder Sturkopf? Zu den Automatismen des Clowns 136 5.4 Die Schärfung des Blicks: Perspektivwechsel und sight gags 140 5.5 Der Geist in der Maschine: Zur Animation der Technik 145 5.6 Handwerk und Kopfarbeit: Sennett, Freud und die Praxis 149 5.7 Zwei Spielende: Einer bei der Arbeit, der andere auf der Flucht 153 6. Maid in Hollywood: Die Frau und das Filmbusiness. King Vidors Show People 155 159 164 175 180 188 6.1 Training nach Taylor: Zur Stereotypisierung der Schauspielkunst 6.2 Willkommen im Studio! Der Eintritt in die Sphäre des Symbolischen 6.3 Davies, Moore und andere working girls: Frauen in der Slapstick-Komödie 6.4 „Tears – please!“ Stanislawski, Kuleschow und die Mechanik des Schauspiels 6.5 A Star Is Born: Dramen, Diven und Dyers Startheorie 6.6 Pastiche damals wie heute: Show People und The Artist 193 7. Zwischen Reglement und Amüsement: Gefängnis- und Erwerbsarbeit in René Clairs À nous la liberté 196 7.1 „...überall liegt er in Ketten“: Rousseau und die Gefängnisse der Gesellschaft 201 7.2 Verrückt nach Liebe: Bergsons Romantiker bei der Arbeit 204 7.3 Abkehr vom Organischen: Clair, Ozu und die Komik des Regelapparats 210 7.4 Komik, Macht, Anarchie: Das befreiende Lachen mit Bachtin und Freud 2147.5 Menschen am Sonntag – Menschen am Werktag: Freizeitgeschichten 221 7.6 Arbeit versus Freiheit: Clair, Vigo, Renoir 227 8. Lacher am laufenden Band: Zur Komik der Fabrikarbeit in Charlie Chaplins Modern Times 230 233 236 241 249 254 8.1 „I would prefer not to“: Der Tramp als Arbeitsverweigerer 8.2 Charlie – ein Parasit? Ein Vergleich mit Tartüff 8.3 Der (un-)flexible Tramp: Sennett, Chaplin und die Berufskomik 8.4 Working like a Machine: Modern Times und Metropolis 8.5 Amok-Tanzen: Ballett mit Bergson und Bachtin 8.6 Ventil für Gesellschaftskritik: Zum Potenzial des Stummfilms 261 9. Fazit 271 303 309 313 321 Dissertation_V_1_0.indd 6 Literaturverzeichnis Filmverzeichnis Abbildungsverzeichnis Register Danksagung 01.04.2015 20:38:10 1. EINLEITUNG Comedy is one of the most important ways a culture talks to itself about itself. Andrew Horton und Joanna E. Rapf: A Companion to Film Comedy (2013) Am Anfang war ein Gärtner. Er ist gerade dabei, seine Grünflächen zu gießen, als ein Junge auf seinen Wasserschlauch tritt und den Fluss zum Stoppen bringt. Verdutzt examiniert der Gärtner das Arbeitsmittel, bis der wieder aufkommende Strahl ihm mitten ins Gesicht spritzt. Dann rennt er dem Übeltäter hinterher und versohlt ihm den Hintern. Le jardinier et le petit espiègle (1895) bzw. sein heute bekannteres erstes Remake L’arroseur arrosé (1896) von den Brüdern Auguste und Louis Lumière ist nicht einmal eine Minute lang, inspirierte aber ein gesamtes Genre: die Slapstick-Komödie. Obwohl die Menschen sich damals nicht in erster Linie von der Originalität des Gags, sondern von dem neuartigen technischen Apparat der bewegten Bilder, dem von Tom Gunning lancierten „cinema of attractions“,1 begeistert zeigten, gilt der Kurzfilm, wie Siegfried Kracauer konstatiert, als „Keimzelle und Urbild aller späteren Filmlustspiele“.2 Im Kleinformat setzt er die mittlerweile charakteristischen Komödien-Elemente – den Streich, das Missgeschick, die Verfolgungsjagd sowie die Rangelei – ein und wartet mit Überraschungs-, Verkehrungs- wie Pointierungsmomenten auf, die zum Lachen anregen.3 1Tom Gunning: „The Cinema of Attractions: Early Film, Its Spectator and the Avant-Garde“, in: Thomas Elsaesser (Hg.): Early Cinema: Space, Frame, Narrative, London: British Film Institute 1990, S. 56-62. 2Siegfried Kracauer: Theorie des Films: Die Errettung der äußeren Wirklichkeit, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1964 (1960), S. 57. 3Vgl. zur Bedeutung dieser vermeintlich ersten Komödie in der Filmgeschichte unter anderem Tom Gunning: „Crazy Machines in the Garden of Forking Paths: Mischief Gags and the Origins of American Film Comedy“, in: Kristine Brunovska Karnick und Henry Jenkins (Hg.): Classical Hollywood Comedy, New York und London: Routledge 1995, S. 87-105, hier: S. 87-93, Frank Scheide: „The Mark of the Ridiculous and Silent Celluloid: Some Trends in American and European Film Comedy from 1894 to 1929“, in: Andrew Horton und Joanna E. Rapf (Hg.): A Companion to Film Comedy, Malden, Oxford und Chichester: Wiley-Blackwell 2013, S. 15-38, hier: S. 16-17, John Mundy und Glyn White: Laughing Matters: Understanding Film, Television and Radio Comedy, Manchester und New York: Manchester University Press 2012, S. 25-26, Geoff King: Film Comedy, London und New York: Wallflower Press 2006 (2002), S. 22-23, Lisa Gotto: „Komödie“, in: Markus Kuhn, Irina Scheidgen und Nicola Valeska Weber (Hg.): Filmwissenschaftliche Genreanalyse: Eine Einführung, Berlin und Boston: De Gruyter 2013, S. 67-85, hier: S. 68 oder Josef Lederle: „Befreiendes Lachen, lächerliche Befreiung“, in: Ernst Karpf, Doron Kiesel und Karsten Visarius (Hg.): „Ins Kino gegangen, gelacht“: Filmische Konditionen eines populären Affekts, Marburg: Schüren 1997, S. 17-25, hier: S. 17-18. Dissertation_V_1_0.indd 7 01.04.2015 20:38:10 8 EINLEITUNG Mit Blick auf die anschließenden Produktionen spezifiziert Gunning die auf L’arroseur arrosé zurückgehende Komödie genauer, indem er die für sie typischen Gags als mischief gags4 bestimmt, in denen es klassischerweise einen Schurken, ein Opfer und ein den Schaden anzurichten fähiges Objekt gibt. Mindestens ebenso interessant aus dieser Perspektive ist, dass neben der Personenkonstellation und der Beschaffenheit der Dinge auch der Rahmen, das Sujet übernommen wurde: In der großen Mehrheit der Slapstick-Komödien werden – was bisher kaum wahrgenommen, geschweige denn erforscht wurde – Arbeitsvorgänge abgebildet und ad absurdum geführt. Die Grundidee in diesem vermutlich ersten fiktionalen Film ist die gewaltsame Störung eines weitgehend festgelegten Arbeitsablaufs. Ob der Gärtner als Erwerbstätiger oder als Privatperson, für andere oder sich selbst aktiv wird,5 ist unklar, aber auch unwichtig, geht es doch primär darum, dass die zielgerichtete Tätigkeit nicht – so wie es seit der Industrialisierung zunehmend an Bedeutung gewinnt – effektiv zu Ende geführt werden kann. Und tatsächlich begegnen wir dieser Idee, dieser Inszenierung von Komik im Arbeitsraum in mannigfaltigen und weitaus komplexeren Variationen in unzähligen Stummfilmkomödien von den USA über Europa bis nach Japan: Mack Sennetts Keystone Cops lösen im Kampf mit Arbeitsmitteln Explosionen aus, Buster Keaton spielt lustvoll mit den Gemeinsamkeiten von Mensch und Maschine, Harold Lloyd ironisiert den amerikanischen Traum vom sozialen Aufstieg und Charlie Chaplin6 karikiert die maschinell gesteuerte Arbeit am Fließband. Auch Stan Laurel und Oliver Hardy, die jeglichen Arbeitsraum in heilloser Zerstörung hinterlassen, King Vidor, der die Produktion in der Filmindustrie parodiert, oder René Clair, der Parallelen zwischen der Arbeit und dem Gefängnis persifliert, widmen sich dieser ‚Urthematik‘. Selbiges gilt nicht zuletzt für das Werk Friedrich Wilhelm Murnaus, in dem die Verschmelzung von Arbeit und Identität als grotesk dargestellt wird, oder jenes Yasujirō Ozus, in dem komische Abweichungen vom Regelsystem inszeniert werden. Die Aufzählung ließe sich noch lange fortführen. Gerade in Anbetracht der von der Forschung apostrophierten Absenz der Arbeit im kommerziellen (Ton-)Film,7 drängt sich die Frage auf, 4Gunning: „Crazy Machines in the Garden of Forking Paths“, S. 89. 5Vgl. die diversen genauen Definitionen des Arbeitsbegriffs bei Angelika Krebs: Arbeit und Liebe: Die philosophischen Grundlagen sozialer Gerechtigkeit, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2002, S. 23-51. 6Die Idee zu dieser Arbeit ergab sich ursprünglich aus meiner im Jahr 2010 verfassten Diplomarbeit Working like a Machine: Charlie Chaplin und die Arbeit. Eine komiktheoretische Betrachtung, da das darin beleuchtete Phänomen, nämlich dass ‚Arbeit‘ eine entscheidende, ja essenzielle Rolle in den Komödien des Künstlers spielt, aus einer größeren Perspektive heraus in Bezug auf die gesamte Stummfilmkomik Gültigkeit besitzt. 7Vgl. Nicolas Hatzfeld, Alain P. Michel und Gwenaële Rot: „Représentations filmiques du travail à la chaîne: Derrière la variété des genres, une variation de regards (1920-2000)“, in: Corine Eyraud und Guy Lambert (Hg.): Filmer le travail: Films et travail. Cinéma et sciences sociales, Aix-en-Provence: Publications de l’Université de Provence 2009, S. 131-135, hier: S. 131 oder Georg Seeßlen: „Überall, wo wir nicht sind“, S. 32-36, hier: S. 32 sowie Bärbel Fickinger und Stefanie Schulte Strathaus: „Auftakt“, S. 15-18, hier: S. 15-16, beide in: Freunde der Deutschen Dissertation_V_1_0.indd 8 01.04.2015 20:38:10 EINLEITUNG 9 warum das Thema bis Mitte der 1930er Jahre derart exzessiv verfolgt wurde. Aus welchen Gründen kann es attraktiv für die Stummfilmästhetik gewesen sein? Zeigt sich hier ein spezieller Zusammenhang von Arbeit und Komik? Worin könnte ein solcher bestehen, und welche Aufschlüsse diesbezüglich liefert die Komiktheorie bzw. welche Erklärungen dafür lassen sich aus detaillierten Filmanalysen ziehen? 1.1 Die Ursprünge der (Slapstick-)Komödie Tragweite gewinnen diese Fragen dadurch, dass die Komödie – gemäß René Clairs Sentenz „Die Komik ist das eigentliche Element des Films“8 – eines der, ja wahrscheinlich sogar das gewichtigste Genre zur Stummfilmzeit war. Bei dem frühen fiktionalen Kino, welches den Fokus mehr auf Schauwerte denn auf Narration richtete, handelte es sich überwiegend, genauer: bis ins Jahr 1908 zu 70 Prozent um ein komisches Kino.9 Zudem war die Stummfilmkomödie nicht nur die damals erfolgreichste Filmform; auch stammen die heutzutage ikonischsten Bilder jener Ära aus diesem Genre10 – allen voran das Still von Harold Lloyd, wie er an der Uhr eines Wolkenkratzers hängt, oder jenes von Charlie Chaplin, wie er im Innern einer Riesenmaschinerie über deren einzelne Räder gedreht wird. Die Slapstick-Komödie, die den Großteil der Stummfilmkomödien ausmacht,11 steht in der Tradition der populären Bühnenkünste, wie der italienischen commedia dell’arte oder den britischen music halls, und ist begrifflich auf einen am Ende zweigeteilten Schlagstock zurückzuführen, der ein lautes, klatschendes Geräusch verursacht, wenn man ihn gegen eine Person anwendet. Damit ist sie ein durch Körperkomik, Aggression und Anarchie, sprich: durch Verfolgungsjagden, Prügeleien, TortenKinemathek (Hg.): Work in Progress: Kinematografien der Arbeit, Berlin: b_books 2007. Letztere beispielsweise konstatieren: „Da, wo Film kommerziell verwertbar sein muss, ist Arbeit wenig bis gar nicht sichtbar, und wenn, dann nur als narratives Element, das einer größeren Geschichte zuarbeitet. Filme, die Arbeit abbilden und sie zum Gegenstand machen, sind häufig eher dokumentarisch oder experimentell, sie brauchen eine eigene Sprache jenseits der Regeln des Verkaufswerts von Filmen, um ihrem Thema gerecht zu werden“. (Ebd.: S. 15-16.) In der Stummfilmkomödie scheint diese eigene Sprache – die Inszenierung von rein physischer Bewegung, von Körpern in Aktion, Clowns bei der Arbeit – mit den Regeln des Verkaufswerts zusammenzulaufen. 8René Clair: Kino: Vom Stummfilm zum Tonfilm. Kritische Notizen zur Entwicklungsgeschichte des Films 1920-1950, Zürich: Diogenes 1995 (1951), S. 45. 9Vgl. Jörn Glasenapp und Claudia Lillge: „Einleitung“, in: dies. (Hg.): Die Filmkomödie der Gegenwart, Paderborn: Wilhelm Fink 2008, S. 7-12, hier: S. 7. 10Vgl. Peter Kobel und die Library of Congress: Silent Movies: The Birth of Film and the Triumph of Movie Culture, New York, Boston und London: Little, Brown and Company 2007, S. 55, William K. Everson: American Silent Film, New York: Da Capo Press 1998 (1978), S. 260 oder Irmbert Schenk: Kino und Modernisierung: Von der Avantgarde zum Videoclip, Marburg: Schüren 2008, S. 29 und 37. 11Im Grunde war die Slapstick-Komödie die erste Komödienform; darauf folgten die Screwball-Komödie, die romantische Komödie und die Parodie. (Siehe zu den jeweiligen Ausformungen Gotto: „Komödie“). Dissertation_V_1_0.indd 9 01.04.2015 20:38:10 10 EINLEITUNG schlachten und Explosionen geprägtes Genre.12 Die Slapstick-Komödie zeichnet sich zudem dadurch aus, dass sie Personen und Objekte eins werden lässt – einerseits, wie Béla Balázs ausführt, über deren geteilte Stummheit,13 andererseits über Motive der Verdinglichung, der Mechanisierung und der Humanisierung.14 Dass bis zum Ende eines Films nicht selten alle Requisiten zerstört werden sowie sämtliche Akteure zu Fall kommen, hat Prinzip: „Was darin alles am Boden landet, ins Rutschen kommt und hinfällig wird, ist nicht weniger als der Stand der Dinge und die Normalität und Würde des aufrechten menschlichen Gangs.“15 Filmhistorisch ist die Slapstick-Komödie prinzipiell auf Mack Sennett zurückzuführen, der anfänglich eng mit dem Begründer des Erzählkinos, D. W. Griffith, zusammenarbeitete und ab 1912 mit seiner eigenen Filmgesellschaft, den Keystone Studios, und seinen Repertoire-Truppen, den Keystone Cops sowie den Bathing Beauties, einen Markt für die Komödie schuf.16 Er begründete die Karrieren zahlreicher Größen wie unter anderem Roscoe „Fatty“ Arbuckle, Buster Keaton, Harold Lloyd oder Charlie Chaplin und brachte bereits 1914 den ersten komödiantischen Langfilm Tillie’s Punctured Romance (mit Charles Bennett) heraus. Als zweiter wegweisender Produzent der Slapstick-Komödie gilt Hal Roach, der 1919 ein eigenes Studio eröffnete und jahrelang mit Harry Langdon, Laurel und Hardy wie auch Harold Lloyd drehte. Im Gegensatz zu Sennett stand bei ihm weniger das Tempo (der Attraktionswert, die Technik, das Chaos) als vielmehr das Timing (die Wiederholung und Steigerung) im Mittelpunkt.17 Die besten Künstler aus den beiden Teams aber formten das Genre auf ihre Art: Chaplin ist das Menschliche, Romantische, Feinsinnige im harten Slapstick zu verdanken, Keaton brachte sich mit dadaistischen und surrealistischen Elementen ein, und Lloyd gestaltete kraft seiner Wolkenkratzerakrobatik maßgeblich das Subgenre der thrill comedy.18 Dies 12Vgl. Hans Jürgen Wulff: „Slapstick“, in: Lexikon der Filmbegriffe (20.12.2012), http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=340: [Zuletzt aufgerufen am 6.1.2014]. 13Vgl. Béla Balázs: Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001 (1924), S. 31-32. 14Vgl. Heinz-B. Heller und Matthias Steinle: „Einleitung“, in: dies. (Hg.): Filmgenres: Komödie, Stuttgart: Reclam 2005, S. 11-23, hier: S. 17. 15Karsten Visarius: „Ohne Sinn und Verstand? Annäherungen an die Lachkultur“, in: Karpf/Kiesel/Visarius: „Ins Kino gegangen, gelacht“, S. 9-15, hier: S. 10. 16Vgl. Everson: American Silent Film, S. 260-265. 17Vgl. Thomas Brandlmeier: Filmkomiker: Die Errettung des Grotesken, Frankfurt am Main: Fischer 1983, S. 35-36. 18Vgl. zu Einfluss, Leben und Werk der diversen Stummfilmkomiker ausgewählte Studien und Sammelbände von den 1950ern bis heute: John Montgomery: Comedy Films: 1894-1954, London: Allen & Unwin 1968 (1954), Donald W. McCaffrey: 4 Great Comedians: Chaplin, Lloyd, Keaton, Langdon, New York: A Zwemmer Limited und A. S. Barnes & Co 1968, David Robinson: The Great Funnies: A History of Film Comedy, London und New York: Studio Vista und Dutton Pictureback 1969, Frank Manchel: Yesterday’s Clowns: The Rise of Film Comedy, New York: Frank Watts 1973, Gerald Mast: The Comic Mind: Comedy and the Movies, London: New English Library 1974, Walter Kerr: The Silent Clowns, New York und Toronto: Random House 1975, Georg Seeßlen: Klassiker der Filmkomik: Geschichte und Mythologie des komischen Films, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1982, Brandlmeier: Filmkomiker, Tony Staveacre: Slapstick! The Illustrated Dissertation_V_1_0.indd 10 01.04.2015 20:38:10 EINLEITUNG 11 in Rechnung gestellt, lässt es sich kaum abstreiten, dass die Slapstick-Komödie – ohne die ethnischen Einflüsse der in die USA emigrierten Künstler in Abrede stellen zu wollen – ein hauptsächlich amerikanisches Produkt ist. Der Grundstein jedoch, das gesteht Sennett, wurde anderswo gelegt: „I have been posing for many years as the inventor of slapstick motion-picture comedy and it is about time I confessed the truth! It was those frenchmen who invented slapstick and I imitated them“.19 Tatsächlich war die ‚Grande Nation‘ weit über den einen Film L’arroseur arrosé hinaus Vorreiter im Genre der Komödie. Neben den Brüdern Lumière arbeitete der Illusionskünstler Georges Méliès in seinen fantastischen Produktionen mit humoristischen Effekten, zumeist hervorgerufen durch technische Innovationen, dem Stopptrick-Verfahren, der Mehrfachbelichtung oder dem Rückwärts-Abspielen. Auch stammten die ersten internationalen Komiker-Stars, Max Linder, André Deed oder, weniger bekannt, Ferdinand Guillaume, aus Frankreich.20 Linder verkörperte den Dandy mit Stock und Zylinder und war der Lehrmeister bzw. – nach Eigenaussage – „Professor“21 von Chaplin; Deed erschuf mit dem Boireau (bei Pathé Frères) bzw. Cretinetti (bei Itala) eine wegweisende Figur, die ihre Mitmenschen durch ihre zerstörerische Ungeschicklichkeit in den Wahnsinn trieb.22 Story of Knockabout Comedy, North Ryde und London: Angus & Robertson 1987, Rolf Giesen: Lachbomben: Die großen Filmkomiker. Vom Stummfilm bis zu den 40er Jahren, München: Wilhelm Heyne 1991, Richard Dyer MacCann: The Silent Comedians, Metuchen, New Jersey und London: The Scarecrow Press 1993, Glenn Mitchell: A-Z of Silent Film Comedy, London: Batsford 1998, Alan Dale: Comedy Is a Man in Trouble: Slapstick in American Movies, Minneapolis und London: University of Minnesota Press 2000, Knut Hickethier (Hg.): Komiker, Komödianten, Komödienspieler: Schauspielkunst im Film, Remscheid: Gardez! 2005, Frank Krutnik: Hollywood Comedians: The Film Reader, London und New York: Routledge 2003, Paul Merton: Silent Comedy, London: Random House 2007, Tom Paulus und Rob King (Hg.): Slapstick Comedy, New York und London: Routledge 2010, Anthony Balducci: Eighteen Comedians of Silent Film: The Pioneers, the Gremlins, the Acrobats, the Characters, and the Ladies, North Charleston: Create Space Independent Publishing Platform 2012, Alan Bilton: Silent Film Comedy and American Culture, New York: Palgrave Macmillan 2013. 19Zitiert nach Thomas Brandlmeier: „Das Groteske im Kino“, in: Dietmar Kamper und Christoph Wulf (Hg.): Lachen – Gelächter – Lächeln: Reflexionen in drei Spiegeln, Frankfurt am Main: Syndikat 1986, S. 232-252, hier: S. 235. Vgl. zu den filmhistorischen Entwicklungen in Frankreich und den USA auch Raymond Durgnat: The Crazy Mirror: Hollywood Comedy and the American Image, London: Faber und Faber 1969, S. 67-68. 20Guillaume allerdings trat mit seinen Figuren Tontolini und Polidor in italienischen Filmen auf, und auch Deed war für zwei Jahre im Nachbarland engagiert. 21Zitiert nach Brandlmeier: „Das Groteske im Kino“, S. 242. 22Vgl. zu diesen ersten Hauptfiguren in der Filmgeschichte auch Sabine Lenk: „Stars der ersten Stunde: Eine Studie zur Frühzeit des Kinos“, in: montage/av, Jg. 7 (1998), H. 1, S. 11-32. Der deutsche Einfluss auf die Slapstick-Komödie ist allenfalls als marginal zu bezeichnen, war sie doch hierzulande nie eine dominante Erscheinung. Zwar sorgten Künstler wie unter anderem Max Skladanowsky, Karl Valentin, Ernst Lubitsch oder Hans Moser ebenfalls für heitere Stunden im Kino; spätestens mit der Neuen Sachlichkeit jedoch wurden die Groteskkomiker verdrängt. (Vgl. Brandlmeier: „Das Groteske im Kino“, S. 236.) Getreu der deutschen Mentalität bzw. dem Motto „Spaß muss sein“, so Thomas Koebner, musste das Lachen, nachdem die Figuren eine Weile aus der Norm getreten sind, nachdem sie sich ein bisschen ‚daneben‘ benommen, ein Dissertation_V_1_0.indd 11 01.04.2015 20:38:10 12 EINLEITUNG Obwohl die Ära der Stummfilmkomödie aus heutiger Sicht weit zurück liegt, wäre es falsch, ihre Kunst ad acta zu legen. Das zeigen einerseits die in den 1980er Jahren durch Filmwissenschaftler und -historiker wie Eileen Bowser, Tom Gunning, André Gaudreault, Donald Crafton oder Charles Musser angestoßenen und noch lange nicht abgeschlossenen Forschungen, andererseits die Erfolge von aktuellen Filmen wie Martin Scorseses Hommage an Georges Méliès Hugo Cabret (2011) sowie Michel Hazanavicius’ tragikomisches Stummfilm-Remake The Artist (2011). Beide haben zahlreiche internationale Preise gewonnen, darunter jeweils fünf Oscars. Die spezifische Komik und Ästhetik hat ihren Reiz nicht verloren, denn, so betont Gilberto Perez, „[p]hysical comedy was the one dramatic mode that thrived in silence [...]. The comedians seem at home in silence, maybe because a long tradition of silent clowns existed before them on the stage but also, one might argue, because the necessary unreality of silent acting is better suited to the artificiality of a comic mode.“23 1.2 Industrialisierung, Rationalisierung und Film Formal betrachtet ist das Medium des Films seit seiner Geburtsstunde Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Thema Arbeit, wie es in der Literatur heißt, „heimlich verbunden“.24 Genau genommen bezieht sich diese Verbundenheit auf die damals revolutionären, aber auch umstrittenen Arbeitsformen, die sich infolge der fortschreitenden Industrialisierung im 19. Jahrhundert durchsetzten: den Taylorismus und Fordismus bzw. die damit einhergehende Rationalisierung. Nachdem die Arbeit in der Moderne25 als „wertschöpfende Ressource“, als „Produktionsfaktor“26 in das Bewusstsein der Menschen gelang, trafen die neuartigen Methoden – Frederick bisschen getäuscht, betrogen und gefobbt haben, auch wieder ein Ende finden. Die Ordnung der Welt wird durch dieses Zwischenspiel freilich nicht infrage gestellt (vgl. Thomas Koebner: „Lachen ohne Grenzen? Kulturelle Eigenarten des Kinohumors“, in: ders.: Lehrjahre im Kino, St. Augustin: Gardez! 1997, S. 329-348, hier: S. 332-335). 23Gilberto Perez: The Material Ghost: Films and Their Medium, Baltimore: Johns Hopkins University Press 2000 (1998), S. 157. 24Ramón Reichert: „Schöne neue Arbeit: Ästhetik, Politische Ökonomie und Kino“, in: ders. (Hg.): Schöne neue Arbeit: 2. Internationale Filmtage Politischer Film, Wien und Linz: Filmhaus Kino 2000, S. 2-17, hier: S. 5. Vgl. ebenfalls Ryan Bishop: Comedy and Cultural Critique in American Film, Edinburgh: Edinburgh University Press 2013, S. 23. 25Da der Begriff der Moderne extrem vielschichtig und kontrovers ist, muss an dieser Stelle auf eine hinreichende Erörterung zum klassischen soziologischen Diskurs unter anderem um Karl Marx, Max Weber, Émile Durkheim und Georg Simmel bzw. später Niklas Luhmann, Michel Foucault und Pierre Bourdieu, zum Verhältnis von modernen und traditionalen Gesellschaften, zu Kapitalismus, Rationalisierung und Differenzierung verzichtet werden. (Vgl. weiterführend zum Thema: Thorsten Bonacker und Andreas Reckwitz [Hg.]: Kulturen der Moderne: Soziologische Perspektiven der Gegenwart, Frankfurt am Main und New York: Campus 2007, Ditmar Brock: Die klassische Moderne: Moderne Gesellschaften, Wiesbaden: VS Verlag 2011 oder Nina Degele und Christian Dries: Modernisierungstheorie: Eine Einführung, München: Wilhelm Fink 2005). 26Manfred Füllsack: Arbeit, Wien: Facultas Verlags- und Buchhandels AG 2009, S. 49. Dissertation_V_1_0.indd 12 01.04.2015 20:38:10 EINLEITUNG 13 Winslow Taylors Studien zur wissenschaftlichen Betriebsführung sowie deren Umsetzung mittels des Fließbands in den Automobilfabriken Henry Fords27 – den Nerv der Zeit. Dabei wurden die Prozesse mit dem Ziel der Gewinnmaximierung in kleine Einheiten zerlegt, sodass jede einzelne Aufgabe gemäß dem Prinzip des „one best way“ von der Ausführung bis hin zu Ort und Tempo standardisiert und kontrolliert werden konnte. Der Film nun ist nicht allein rein technisch ein Produkt der Moderne, sondern, wie die Beiträge des im Jahr 2000 erschienenen Bands Schöne neue Arbeit von Ramón Reichert eindringlich darlegen, auch in mehrerlei Hinsicht nur zusammen mit den neuen Arbeitsmethoden zu denken. Zum einen teilt er mit der Rationalisierung das Interesse, Bewegungen, Funktionen und Konstellationen sichtbar und objektivierbar werden zu lassen.28 Aufgrund dieser Eigenschaften wurde er häufig als Mittel der Beobachtung vom Militär, von Medizinern, Pädagogen und auch der Arbeitswissenschaft (zuerst durch Hugo Münsterberg sowie Frank Bunker und Lillian Evelyn Gilbreth) instrumentalisiert.29 Dadurch, dass mit der Kamera – was als einer der ersten Henri Bergson festhielt – jede Bewegung konserviert, beliebig oft wiederholt sowie in beliebig viele einzelne Einheiten zerlegt werden kann,30 bildet der Film „wichtige Elemente der tayloristischen Zurichtung des Körpers in seiner eigenen Struktur ab“.31 Zum anderen erhielten die tayloristischen Methoden vor allem in Amerika und Deutschland bereits mit der Einführung des Studiosystems Einzug in den gesamten Produktionsprozess – den technischen als auch den künstlerischen.32 Da der Film wie kaum eine weitere Kunst seit seiner Geburtsstunde durch eine weltweite Nachfrage bestimmt bzw. durch kommerzielle Interessen geprägt ist, wurde früh von einer handwerklichen zu einer industriellen Arbeitsweise mit Arbeitsteilung, Spezialisierung und Hierarchisierung, kurz: mit mehr Tempo und einem höheren 27Vgl. zu den Details der Produktionsformen Frederick Winslow Taylor: The Principles of Scientific Management, Mineola: Dover Publications 1998 (1911) und Henry Ford: My Life and Work, New York: Arno Press 1973 (1922). 28Vgl. Reichert: „Schöne neue Arbeit“, S. 5. 29Vgl. Lars Nowak: „Taylorismus, Fordismus und Film: Ein Überblick“, in: Reichert: Schöne neue Arbeit, S. 18-25, hier: S. 20. 30Vgl. Henri Bergson: Denken und schöpferisches Werden: Aufsätze und Vorträge, Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 1993 (1946), S. 29-31. Für den Gebrauch des Films in den diversen Wissenschaften ist das oben Genannte sicher zutreffend. Im Hinblick auf das Kino aber setzt Gilles Deleuze dem entgegen, dass das einzelne Bild nicht sichtbar sei und damit auch nicht wirksam werde. (Vgl. Gilles Deleuze: Das Bewegungs-Bild: Kino 1, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997 [1983], S. 13-15.) In Auseinandersetzung mit dem Philosophen erklärt Lorenz Engell das Leinwandbild als ein „bewegtes, dynamisches: Nicht das Einzelbild des Filmstreifens, sondern die kontinuierliche, in sich unabgrenzbare fließende Einstellung, das fortlaufende Bildstück zwischen zwei Schnitten ist das Bild des Films.“ (Lorenz Engell: Playtime: Münchener Film-Vorlesungen, Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2010, S. 121). 31Nowak: „Taylorismus, Fordismus und Film“, S. 20. 32Vgl. zum Beispiel Janet Staiger: „Dividing Labor for Production Control: Thomas Ince and the Rise of the Studio System“, in: Cinema Journal, Jg. 18 (1979), H. 2, S. 16-25 oder Susan Currell: American Culture in the 1920s, Edinburgh: Edinburgh University Press 2009, S. 105-109. Dissertation_V_1_0.indd 13 01.04.2015 20:38:11 14 EINLEITUNG Ausstoß, übergegangen.33 Im Gros der frühen seriell produzierten Filme sind daher auch auf der narrativen, ästhetischen und ideologischen Ebene zahlreiche Muster und Formeln zu erkennen: Erfolgreiche Konzepte – wie die Stereotypen des hero, des good girl, villain oder vamp, die attraktionalen Elemente Action, Gags, Pathos, Massenszenen und Musikeinlagen sowie die je nach Erzählmodus psychologisch motivierten Individuen oder klaren Personifizierungen von Gut und Böse34 – wurden standardisiert und in Folge immer wieder aufs Neue variiert und reproduziert. Kritiker sprachen daher um 1930, wie in der Forschung pointiert zusammengefasst wird, „vom Kino als einer Traumfabrik (Ilja Ehrenburg), einer Phantasiemaschine (René Fülöp-Miller) oder von der Standardisierung (z. B. Siegfried Kracauer) und Taylorisierung (Willy Haas) des Films, ja vom Konfektionsfilm (Rudolf Arnheim).“35 Nicht zuletzt wurde die Rationalisierung und darüber hinaus die Erwerbsarbeit in der Moderne extensiv – so breit wie zu keiner anderen Zeit – im Film thematisiert.36 Das wahrscheinlich erste Werk der Brüder Lumière La sortie des usines Lumières (1895) etwa zeigt, wie eine circa hundertköpfige Belegschaft eine Fabrik zu den zwei vertikalen Seiten des Bildes verlässt. Diese Aufnahmen sind Ausgangs- wie Bezugspunkt für zahlreiche weitere Arbeiterfilme, für Industriefilme, Dokumentationen, Propaganda- und Spielfilme. Trotz der natürlich unterschiedlichen Auslegungen und Akzentuierungen je nach Produktionsland, Genre und Interessen, rücken bestimmte Motive dabei wiederholt in den Fokus: In Amerika und England beispielsweise entstanden viele Filme, die ähnlich wie jene der Brüder Lumière alltägliche Arbeitsroutinen teilweise mit dramaturgischen Höhepunkten darstellten. Neben den etlichen Werken von Mitchell und Kenyon (1899-1907) zählen dazu Mr. Edison at Work in His Chemical Laboratory (James H. White, 1897), Life of an American Fireman (George S. Fleming und Edwin S. Porter, 1903), Westinghouse Works (Mutoscope & Biograph, 1904) oder Girls Winding Armatures (Mutoscope & Biograph, 1904). Ein paar Jahre später entstanden die ersten Dramen über Arbeitsunfälle (Le carrier [Pathé Frères, 1908]), Erwerbslosigkeit (Hard Times [Percy Stow, 1909]) und Klassenunterschiede (The Fatal Ball; or, The Miner’s Daughter [Gaston Méliès, 1909] oder bekannter A Corner in Wheat [D. W. Griffith, 1909]). Schwerpunktmäßig 33Vgl. Nowak: „Taylorismus, Fordismus und Film“, S. 21. 34Dennoch sei angemerkt, dass die Erzählweisen des Stummfilmkinos in Gänze betrachtet als in sich konträr und hybrid zu bezeichnen sind. Vor allem im Vergleich mit dem nachfolgenden classical cinema erweisen sie sich als weitaus vielfältiger. (Vgl. dazu die Studie von Claus Tieber: Stummfilmdramaturgie: Erzählweisen des amerikanischen Feature Films. 1917-1927, Münster: Lit-Verlag 2011). 35Jörg Schweinitz: Film und Stereotyp: Eine Herausforderung für das Kino und die Filmtheorie, Berlin: Akademie-Verlag 2006, S. XI. 36Vgl. dazu auch Steven J. Ross: Working-Class Hollywood: Silent Film and the Shaping of Class in America, Princeton: Princeton University Press 1998, S. 42-47, Doyle Greene: The American Worker on Film: A Critical History. 1909-1999, Jefferson und London: McFarland & Company 2010, S. 21 sowie die Studie von Martha Banta: Taylored Lives: Narrative Productions in the Age of Taylor, Veblen, and Ford, Chicago und London: University of Chicago Press 1993. Dissertation_V_1_0.indd 14 01.04.2015 20:38:11 EINLEITUNG 15 im deutschen, russischen wie österreichischen Kino wurden in Dokumentationen und, teilweise propagandistischen, proletarischen Filmen die Missstände der Arbeitsbedingungen und das Elend der Arbeitslosigkeit abgebildet – zu nennen wären hier Die freudlose Gasse (Georg Wilhelm Pabst, 1925), Streik (Sergei Eisenstein, 1925), Mutter Krausens Fahrt ins Glück (Phil Jutzi, 1929), Hunger in Waldenburg (Phil Jutzi, 1929), Lohnbuchhalter Kremke (Marie Harder, 1930), Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt? (Slatan Dudow, 1932) wie auch die Agitationsfilme Vierzig Herzen (Lew Kuleschow, 1931) sowie Der Rückstand (Lew Kuleschow, 1931). Ein weiteres Motiv, welches im Arbeitskontext von Bedeutung ist und einerseits im Genre des Science-Fiction-Films, andererseits in jenem der Komödie von Russland bis nach Amerika häufig zur Anwendung kommt, ist die Verschränkung und Verkehrung von Mensch und Maschine. Das prominenteste deutsche Exempel dazu ist Fritz Langs Mammutfilm Metropolis (1927), die Russen tragen mit Aleksandr Andrijewskis aufwendig inszeniertem Der Untergang der Sensation (1935) bei, auf französischer Seite sind René Clairs opus magnum À nous la liberté (1931) oder André Deeds allerdings in Italien produzierter L’uomo meccanico (1921) zu nennen, und in Amerika finden wir Charlie Chaplins Industriesatire Modern Times (1936) oder Buster Keatons Liebeserklärung an die Lokomotive The General (mit Clyde Bruckman, 1926). Eng einher damit gehen die Werke, in denen nicht notwendigerweise mechanische Arbeitsmittel ein Eigenleben entwickeln, wie in den amüsanten Animationsfilmen Der Schreckliche Wawila und Tante Arina (Nikolai Chodatajew, 1928) und The Office Boy (Ub Iwerks, 1932) oder etwas subtiler in Laurels und Hardys The Music Box (James Parrott, 1932) sowie Charlie Chaplins The Pawnshop (1916). Den wahrscheinlich größten Korpus an Filmen, die das Sujet der Arbeit behandeln, aber bilden jene Komödien, in denen ein Arbeitsplatz oder im übertragenen Sinne die Vorstellung eines Arbeitsraums – oftmals je strukturierter, hierarchisierter, mechanisierter, umso gewaltiger und lustvoller – zerstört wird. Neben den Keystone Cops, Laurel und Hardy, Charlie Chaplin und vielen weiteren Slapstick-Komikern, die sich in der großen Mehrheit ihrer Filme einer beruflichen Tätigkeit widmen und dabei ihre gesamte Umgebung ins Chaos stürzen (nur stellvertretend seien hier Fatty Joins the Force [George Nichols, 1913], Big Business [James W. Horne und Leo McCarey, 1929] und Work [Charlie Chaplin, 1915] genannt), tut sich auch Karl Valentin mehrheitlich als Proletarier, Handwerker oder Kleinhändler hervor, der sich wie in Der neue Schreibtisch (1913), Der verhexte Scheinwerfer (Carl Lamac, 1934) oder Mysterien eines Frisiersalons (Bertolt Brecht und Erich Engel, 1923) bevorzugt an seinen Arbeitsmöbeln bzw. in Letzterem auch an seinen Kunden austobt, sie demoliert und demontiert. Einzelne Filme dieser Art wurden auch von Fred und Joe Evans (Pimple Becomes an Acrobat, Pimple as a Cinema Actor, beide von 1912), Max Linder (Amoureux de la femme à bar- Dissertation_V_1_0.indd 15 01.04.2015 20:38:11 16 EINLEITUNG be, 1909) oder André Deed (Boireau magistrat, 1912) gedreht.37 Zudem stiften Keatons, Lloyds und Ozus (frühe) Protagonisten häufig Unordnung in der Arbeitswelt; sie versuchen aber stets, sich zu einem gewissen Grad in die Gemeinschaft einzugliedern, wenn nicht sogar, über sie und sich hinauszuwachsen. 1.3 Zur Komödie um Arbeit: Die Agenda Dass Arbeit dermaßen häufig Eingang in den Film fand, ist sicherlich zu guten Teilen auf die ökonomische Situation der Zeit, auf die fundamentalen Veränderungen in Industrie und Handwerk, die verstanden bzw. verarbeitet werden wollten, zurückzuführen. Nicht umsonst wurde das Kino Anfang des 20. Jahrhunderts als „‚academy of the working man,‘ the ,poor man’s amusement,‘ the ‚Workingman’s Theater,‘ and a medium supported by ‚the nickels of the working class‘“38 bezeichnet. Einer Manhattaner Studie aus dem Jahr 1910 zufolge bestand das Publikum zu 72 Prozent aus Fabrikarbeitern, zu 25 Prozent aus Büroangestellten und nur zu 3 Prozent aus der Oberklasse. Die Gründe für eine solche Verteilung sind leicht nachvollziehbar: Das Filmtheater war billig, allgemein verständlich, gut in den Alltag zu integrieren und vor allem eine willkommene Ablenkung sowie ein großer Spaß.39 Hinzu kommt, dass viele Stars wie Chaplin, Keaton, Sennett oder Mary Pickford selbst der Arbeiterklasse entstammten, mit dem Sujet also ein ihnen nahestehendes wählten.40 Warum aber wurden gerade die Komödien, wurde speziell dieses Genre mit dem Arbeitsnarrativ zumindest in Hollywood so erfolgreich? Warum galten die Komiker als die „classic movie showmen of these early years“?41 Liegt es wirklich allein – so ein Erklärungsansatz – daran, dass Sennett und Co. aufgrund des generellen Desinteresses der Zensurbehörden an dem als vulgär, anarchisch und niveaulos geltenden ergo nicht ernst zu nehmenden Genre alle Freiheiten hatten und ein „purer cinema“42 entwickeln konnten? In der Wissenschaft wird immer wieder betont, dass das Metier des Komischen eines der schwersten überhaupt sei – schwer, es gut zu machen und sichere Lacher zu erzielen sowie 37 Die working-class comedy, die sich durch Stars wie Leslie Fuller, Ernie Lotinga oder Sydney Howard um 1930 in England entwickelte, handelte gleichsam von Hauptcharakteren aus der Arbeiterklasse; die Geschichten aber trugen sich häufig außerhalb des Arbeitsraumes, teilweise gar auf exotischen Reisen im Nahen Osten (Why Sailors Leave Home [Monty Banks, 1930]) oder in Indien (Kiss Me Sergeant [Monty Banks, 1932]) zu. (Vgl. zu dieser Ära David Sutton: A Chorus of Raspberries: British Film Comedy 1929-1939, Exeter: University of Exeter Press 2000, S. 103-155 und Lawrence Napper: „‚No Limit‘: British Class and Comedy of the 1930s“, in: I. Q. Hunter und Laraine Porter [Hg.]: British Comedy Cinema, London und New York: Routledge 2012, S. 38-50). 38 Ross: Working-Class Hollywood, S. 19. 39Vgl. ebd.: S. 19-20. 40Vgl. ebd.: S. 20. 41Peter Stead: Film and the Working Class: The Feature Film in British and American Society, London und New York: Routledge 1989, S. 31. 42Ebd. Dissertation_V_1_0.indd 16 01.04.2015 20:38:11 EINLEITUNG 17 schwer es zu verstehen, es restlos zu erklären. Es sei ein kaum zu erfassendes ‚weites Feld‘ mit massenhaften theoretischen Ansätzen und praktischen Ausprägungen.43 „Alles kann [...]“, so heißt es, „zum Sujet von Filmkomödien werden“.44 So sehr das prinzipiell stimmt, so sehr verwundert es indes, dass sich die bedeutendsten Stummfilmkomödien trotz der Bandbreite an möglichen Motiven wiederholt am Thema Arbeit abarbeiteten. Es liegt daher der Schluss nahe, dass dieser Gegenstand sich in besonderem Maße für den Slapstick eignete bzw. die außergewöhnliche Tauglichkeit vice versa ein Grund für den Erfolg der Stars und der Komödie gegenüber den anderen damaligen Genres war. Arbeit und Komik hängen womöglich – so lautet die Leitthese dieser Studie – auf eine Art und Weise zusammen, die ein außergewöhnliches Potenzial für die Stummfilmkomödie darstellte. In Bezug auf die Filmwissenschaft ist dieses Thema der ‚Komödie um Arbeit‘ ein veritables Forschungsdesiderat. Es existiert eine in Teilen einschlägige, aber durchgängig relevante Publikation – Machine-Age Comedy von Michael North (2008) –, in der unter anderem die These aufgestellt wird, dass sich mit der Moderne, der Industrialisierung und Rationalisierung, der comic mode in Literatur, Film, Cartoons und weiteren Medien verändert habe. In seinen Betrachtungen einzelner Künstler von Walt Disney über Rube Goldberg bis hin zu Chaplin spürt North den Zusammenhang zwischen mechanischen Praktiken und komischen Effekten auf.45 Insofern ist das Werk hier nicht nur hinsichtlich der Fabrikarbeit überaus spannend. Eine geistesverwandte Denkrichtung schlägt Tom Gunning ein, dessen Aufsätze „Crazy Machines in the Garden of Forking Paths: Mischief Gags and the Origins of American Film Comedy“ und „Mechanisms of Laughter: The Devices of Slapstick“46 weitere gewichtige Thesen zu Komödie und Mechanisierung liefern. Daneben gibt es einige Monografien, die sich allgemein mit Arbeit und Film auseinandersetzen,47 von denen sich aber nur eine dezidiert dem Stummfilm widmet, und zwar Steven J. Ross’ weitreichendes Buch Working-Class Hollywood: Silent Film and the Shaping of Class in America (1998), das Klassenkonflikte und Arbeiterbewegungen als charakteristisches Merkmal im Kino vor den 1920ern aufdeckt.48 Eine gesonderte Untersuchung der Komödie liegt hierin indes nicht vor. Erste komiktheoretische Hinweise auf diesen Zusammenhang liefert die zur Zeit des Stummfilms im Jahr 1900 publizierte und noch immer bahnbrechende 43Vgl. Heller/Steinle: „Einleitung“, S. 11 oder Everson: American Silent Film, S. 261. 44Heller/Steinle: „Einleitung“, S. 13. 45Vgl. Michael North: Machine-Age Comedy, Oxford (u. a.): Oxford University Press 2009 (2008). 46Vgl. Gunning: „Crazy Machines in the Garden of Forking Paths“, ders.: „Mechanisms of Laughter: The Devices of Slapstick“, in: Paulus/King: Slapstick Comedy, S. 137-151. 47 Vgl. zum Beispiel Stead: Film and the Working Class, Greene: The American Worker on Film, Tom Nissley: Intimate and Authentic Economies: The American Self-Made Man from Douglass to Chaplin, New York und London: Routledge 2003 oder John E. Bodnar: Blue-Collar Hollywood: Liberalism, Democracy, and Working People in American Film, Baltimore: Hopkins University Press 2003. Speziell zum Industriefilm siehe Vinzenz Hediger und Patrick Vonderau (Hg.): Films That Work: Industrial Film and the Productivity of Media, Amsterdam: Amsterdam University Press 2009. 48Vgl. Ross: Working-Class Hollywood. Dissertation_V_1_0.indd 17 01.04.2015 20:38:11 18 EINLEITUNG Abhandlung Das Lachen von Henri Bergson. Der französische Philosoph geht mit seinem Axiom „Mechanisches als Kruste über Lebendigem“49 davon aus, dass jegliche Vermischung von Menschlichem und Automatischem, das mit der modernen Mechanisierung trefflich zugenommen, sich aber bereits vorher in Unaufmerksamkeiten, Gewohnheiten oder Routinen gezeigt hat, komisch wirkt. Auch seine ausdifferenzierten Thesen zu Repetition, Inversion und, ganz konkret, zur Berufsverstocktheit sowie Berufseitelkeit schlagen eine erste gedankliche Ausrichtung vor. Ferner legen die Schriften Michail Bachtins, Rabelais und seine Welt: Volkskultur als Gegenkultur (1965),50 oder Sigmund Freuds, Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten (1905),51 nahe, dass Komik sich in Anwesenheit stark ausgeprägter Konventionen, sprich: Hierarchieverhältnisse, Rollenanforderungen, Strukturvorgaben oder Kleiderordnungen, entfaltet. Auffallend ist – mit Blick auf die kurz angesprochenen als auch viele weitere Komik- und Humortheorien –, dass fast kein Autor seine Überlegungen direkt auf den Arbeitsraum bezieht, in vielen Fällen aber genau dort die evidentesten Beispiele zu finden wären. Da es also kaum grundlegende Erkenntnisse zu dem Themenkomplex Arbeit und Komödie gibt, möchte ich mich ihm phänomenologisch nähern. Dazu sollen – ohne das Ziel, dem Anspruch auf Vollständigkeit gerecht zu werden – sieben filmhistorisch bedeutende wie auch akademisch vernachlässigte, in jedem Fall aber enorm feinsinnige und daher aufschlussreiche Komödien in den Fokus gerückt werden, in denen klar einer Erwerbsarbeit nachgegangen, die Komik indes stets aus unterschiedlichen Aspekten der Arbeit gewonnen wird. Unter ihnen befinden sich ebenfalls frühe Tonfilme, die der Stummfilmästhetik jedoch durch beispielsweise Zwischentitel, wortlose Kommunikation oder Slapstick-Einlagen weitgehend treu bleiben. Um die anhand der Untersuchungsgegenstände herausgearbeiteten Thesen zu untermauern, dient neben der filmwissenschaftlichen Forschungsliteratur ein Korpus aus zahlreichen Komiktheorien von der Antike bis in die Gegenwart, aus Arbeitstheorien zur vita activa in der Moderne sowie aus filmischen Werken von Amerika bis Japan, von Anbeginn der Kinematografie bis in die Mitte der 1930er Jahre. Dadurch ist die Arbeit zum einen stark interdisziplinär ausgerichtet und zum anderen von ihrem Radius her national offen, wobei der gesellschaftliche, soziale und politische Kontext in den einzelnen Analysen entsprechend berücksichtigt werden soll. Während im ersten Abschnitt zu Laurels und Hardys Sisyphosfilm The Music Box noch die Vorstellung der für die Studie wichtigen Komiktheorien im Vordergrund steht, widmen sich die weiteren Kapitel schwerpunktmäßig den jeweiligen Arbeitsthematiken. Diese reichen von dem jungen Aufsteiger in Harold Lloyds Safety Last! (Fred C. Newmeyer und Sam Taylor, 1923) bis zum degradierten Alten in F. W. Murnaus Der letzte Mann (1924), vom schillernden Job 49Henri Bergson: Das Lachen, Meisenheim am Glan: Westkulturverlag Anton Hain 1948 (1900), S. 26. 50Vgl. Michail Bachtin: Rabelais und seine Welt: Volkskultur als Gegenkultur, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1995 (1965). 51Vgl. Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten (1905), in: ders.: Psychologische Schriften, Studienausgabe Band 4, Frankfurt am Main: Fischer 1997, S. 9-219. Dissertation_V_1_0.indd 18 01.04.2015 20:38:11 EINLEITUNG 19 des Starlets in King Vidors Show People (1928) bis zur tristen Gefängnisarbeit in René Clairs À nous la liberté (1932), vom manuellen Handwerk in Buster Keatons The General bis zur maschinellen Fabrikarbeit in Charlie Chaplins Modern Times. Dissertation_V_1_0.indd 19 01.04.2015 20:38:11 Dissertation_V_1_0.indd 20 01.04.2015 20:38:11 2. EIN KLAVIER, EINE LANGE TREPPE UND ZWEI SISYPHOSSE Komiktheorie ‚rauf und runter‘ mit Stan Laurels und Oliver Hardys The Music Box Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen. Albert Camus: Der Mythos des Sisyphos (1942) Ein Klavier zu transportieren, ist zuweilen keine einfache Sache, besonders, wenn es einen Berg, genauer: eine schmale, steile, scheinbar endlose Treppe hinaufgehievt werden muss und dabei stetig von der Gravitationskraft wieder heruntergezogen wird. Es ist offensichtlich die aus der griechischen Mythologie bekannte Sisyphosarbeit, an der Stan Laurel und Oliver Hardy1 sich in dem Film The Music Box abmühen – eine Arbeit, welche die Götter ursprünglich, da sie so unnütz und aussichtslos ist, als die grausamste aller Strafen für den durchtriebensten aller Menschen erdachten, für Sisyphos, der mit Lust und List durchs Leben zog, die Pläne Zeus’ verriet und sogar Thanatos, den Tod, hinterging.2 Daher erleben wir, um die Worte Albert Camus’ aufzugreifen, wie die angespannten Körper sich anstrengen, die gewaltige Kiste anzuheben, sie hinaufzutragen und mit ihr wieder und wieder die Stufen zu erklimmen; wir sehen die verzerrten Gesichter, die Wangen, die sich an das Holz pressen, sehen, wie eine Schulter das Gewicht abstützt, wie ein Fuß sich gegen das Klavier stemmt. Schließlich ist nach dieser langen Anstrengung das Ziel erreicht. Und nun sehen die Sisyphosse, wie das Klavier innerhalb weniger Augenblicke in jene niedere Welt hinabrutscht, aus der sie es erneut hoch auf den Gipfel bringen müssen. Sie gehen die Ebene hinunter.3 Diese äußerste, kaum zu ertragen anmutende Qual aber scheint so entsetzlich nicht zu sein, verlieren Stan und Ollie dabei doch weder ihren Sinn für Humor 1 2 3 Da Stan Laurel und Oliver Hardy, ähnlich wie Charlie Chaplin oder Buster Keaton, in ihren Filmen zumeist dieselben oder keine explizit anderen Namen tragen, soll zukünftig immer der Vorname für die Leinwandfigur und der Nachname für die realen Künstler verwendet werden. Vgl. dazu beispielsweise Albert Camus: Der Mythos des Sisyphos, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1999 (1942), S. 155 oder Erich Wilisch: „Sisyphos“, in: Wilhelm Heinrich Roscher (Hg.): Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Band 4, Leipzig: B. G. Teubner 1915, S. 958-972 sowie diverse kurze Texte aus der Antike – von Homer, Pherekydes, Alkaios, Ovid, Cicero, Seneca usw. –, versammelt in Bernd Seidensticker und Antje Wessels (Hg.): Mythos Sisyphos: Texte von Homer bis Günter Kunert, Leipzig: Reclam 2001, S. 16-44. Vgl. die Formulierung bei ebd.: S. 156-157. Dissertation_V_1_0.indd 21 01.04.2015 20:38:11 22 EIN KLAVIER, EINE LANGE TREPPE UND ZWEI SISYPHOSSE noch ihre Fähigkeit, das Publikum zum Lachen zu bringen. Im Gegenteil: The Music Box war ein großer Erfolg im Kino und gewann im Jahr der Uraufführung direkt den gerade eingeführten Academy Award für die beste Kurzfilmkomödie.4 Dass dieser Oscar absolut berechtigt ist und Laurel und Hardy entgegen der landläufigen Meinung bzw. der deutschen Bezeichnung mehr als nur Dick und Doof sind, zeigt eine genaue Analyse des Films, der auf beeindruckende Art und Weise beinahe sämtliche komische Elemente vereint, die vonseiten der Philosophie, Psychologie und Kulturwissenschaft erschlossen wurden. Damit erweist er sich, obgleich er im Detail nicht an die Komplexität oder Perfektion bedeutender Werke eines Murnau, Chaplin, Keaton, Clair oder Vidor heranreicht, als extrem vielschichtig, sprich: als der perfekte Ausgangspunkt für eine grundlegende Diskussion diverser wichtiger Komiktheorien. Es sollen also im Folgenden anhand von The Music Box elementare Thesen Henri Bergsons, Sigmund Freuds, Michail Bachtins, Helmut Plessners, Thomas Hobbes’, Immanuel Kants und anderen besprochen werden, sodass am Ende des Kapitels nicht nur die theoretische Grundlage für diese Arbeit geschaffen ist, sondern zudem ein erster Schritt in Richtung Berufskomik getan respektive eine Antwort auf die Frage gefunden wurde, warum und inwiefern wir in der zermürbenden Arbeit des Sisyphos Komik wahrnehmen. 2.1 Die Inkongruenz Stans und Ollies Gleich der erste Blick auf das Duo führt uns zu den prominentesten aller Komiktheorien, den Inkongruenztheorien, die zusammen mit den Entlastungs- und Überlegenheitstheorien die drei traditionellen Ansätze zur Erklärung komischer Phänomene bilden: Nach der Eröffnungsszene, in der eine elegant gekleidete Frau in einem Musikladen ein Klavier in Bestellung gibt und ein sehr seriös wirkender Verkäufer ihr die sofortige Lieferung garantiert, folgt ein Schnitt auf das Transportunternehmen Stans und Ollies bzw. auf die beiden Männer in einer kleinen Kutsche. „Da ist Stan. Er ist zu klein, und alles an ihm ist dementsprechend zu groß, die Jacke, der Hut, sogar die Fliege, eine sonderbare Alternative zum Schlips. Wenn er lächelt, lächelt er für andere. Meist vergebens ist sein Versuch, sie zu gewinnen. […] Und da ist Ollie. Er ist zu dick, und alles an ihm geht in die Breite. Er macht seinen Hut, seine Jacke, sogar seinen Schlips breit. Wenn er lächelt, lächelt er für sich, so, als habe er schon gewonnen. Seinem Triumph folgt fast immer die Niederlage.“5 Deutlicher könnten die Gegensätze der Figuren selbst sowie zwischen 4Vgl. Christian Blees: Laurel & Hardy: Ihr Leben, ihre Filme, Berlin: Trescher 2002, S. 160. Vgl. zur Rezeption des Films in Deutschland Norbert Aping: Das Dick-und-Doof-Buch: Die Geschichte von Laurel und Hardy in Deutschland, Marburg: Schüren 2007 (2004), S. 74-79. 5Georg Seeßlen: „A Fine Mess: Arthur Stanley Jefferson & Oliver Norvell Hardy“, in: epd Film (1988), H. 8, S. 14-21, hier: S. 17. Vgl. zur Charakterisierung der beiden als Filmfiguren wie als Darsteller auch Wolf Lepenies: „L & H“, in: Cinema: Non-Fiction. Über Dokumentarfilme, Jg. 39 (1993), S. 105-111 und John McCabe: Mr. Laurel & Mr. Hardy: An Affectionate Biography, New York und Scarborough: New American Library 1985 (1961). Dissertation_V_1_0.indd 22 01.04.2015 20:38:11 EIN KLAVIER, EINE LANGE TREPPE UND ZWEI SISYPHOSSE 23 den Freunden und auch Geschäftspartnern kaum sein. Wie im klassischen Fall von Komik durch Inkongruenz werden hier Elemente in Relation zueinander gesetzt, die normalerweise unvereinbar sind, sich vielleicht gegenseitig abstoßen oder ausschließen, auf jeden Fall aber üblicherweise nicht in ein und demselben Kontext vorkommen.6 Da sich hinter diesem Begriff ein Konglomerat verschiedener einzelner Theorien verbirgt, ja prinzipiell beinahe „jeder komische Effekt auf ein Moment der Inkongruenz zurückgeführt werden kann“,7 gibt es ebenfalls allerlei Explikationsversuche zur Evokation des Lachens, die sich von Plötzlichkeit oder Überraschung über logische Unmöglichkeit bis hin zu Absurdität und Irrelevanz erstrecken. Der einflussreichste stammt von Immanuel Kant, der davon ausgeht, dass das Lachen „ein Affekt aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts“8 sei, dass die Inkongruenz also zwischen der Situation entstehe, die vermutet, befürchtet, angenommen oder gar in Vorfreude erwartet werde und jener unbedeutenden, leeren, nichtigen, irrelevanten, die stattdessen eintrete. Da der Begriff seit den Überlegungen Kants oftmals mit der frustrated expectation gleichgesetzt bzw. (negativ) reduziert wird,9 sei zudem auf Arthur Schopenhauers breiteren Ansatz hingewiesen, dem zufolge die komische Inkongruenz zwischen dem „Abstrakten und dem Anschaulichen“,10 mit anderen Worten: zwischen dem Erdachten, Vorgestellten und dem Wirklichen, Realen bestehe und deshalb Vergnügen bereite, weil sie die strenge Rationalität ihrer Unzulänglichkeit und Mangelhaftigkeit überführe.11 In The Music Box besteht dieser Antagonismus in dem Bild, das 6Vgl. Beate Müller: „Komik und Komiktheorien“, in: Ansgar Nünning (Hg.): Metzler Lexikon: Literatur- und Kulturtheorie, Stuttgart: J. B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung 2004, S. 331-332, hier: S. 331. 7Ebd. Vgl. zur Tragweite der Kontrast oder Inkongruenztheorien im Komikdiskurs ferner Arthur Asa Berger: An Anatomy of Humor, New Brunswick und London: Transaction Publishers 1998 (1993), S. 3, Klaus Heinrich: „‚Theorie‘ des Lachens“, in: Klaus Herding und Gunter Otto (Hg.): Karikaturen: „Nervöse Auffassungen des inneren und äußeren Lebens“, Giessen: Anabas-Verlag 1980, S. 12-30, hier: S. 20, Manfred Frank: „Vom Lachen: Über Komik, Witz und Ironie. Überlegungen im Ausgang von der Frühromantik“, in: Thomas Vogel (Hg.): Vom Lachen: Einem Phänomen auf der Spur, Tübingen: Attempo 1992, S. 211-231, hier: S. 212-216 oder Helmut Bachmaier: „Nachwort“, in: ders. (Hg.): Texte zur Theorie der Komik, Stuttgart: Reclam 2005, S. 121-134, hier: S. 124-125. 8Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, Akademie-Ausgabe Band 5, Berlin: Georg Reimer 1913 (1790), S. 332. 9Vgl. dazu beispielsweise die Lexikonartikel folgender Enzyklopädien: Jerrold Levinson: „Humor“, in: Edward Craig (Hg.): Routledge Encyclopedia of Philosophy, London und New York: Routledge 1998, S. 562-567 und David Hector Monro: „Humor“, in: Paul Edwards (Hg.): The Encyclopedia of Philosophy, Band 3, London und New York: Macmillan 1967, S. 90-93. 10Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung, Band 2, Sämtliche Werke Band 3, Leipzig: F. A. Brockhaus 1938 (1819/1844), S. 99. Er spezifiziert: „Je größer und unerwarteter, in der Auffassung des Lachenden, diese Inkongruenz ist, desto heftiger wird sein Lachen ausfallen.“ (Ebd.: S. 99-100). 11Da eine Vielzahl an komiktheoretischen Ansätzen auf das Moment einer Inkongruenz, eines Kontrastes oder Kippphänomens zurückgeht, seien hier noch einige weitere, ebenfalls historisch Dissertation_V_1_0.indd 23 01.04.2015 20:38:11 24 EIN KLAVIER, EINE LANGE TREPPE UND ZWEI SISYPHOSSE der Verkäufer durch sein eigenes Auftreten sowie seine klaren, definitiven Aussagen zur Lieferung und damit zum Lieferunternehmen hervorruft – schnell, effektiv, zuverlässig – und der tatsächlichen Erscheinung Stans und Ollies, welche nicht nur, beide für sich betrachtet, wie Verkörperungen von Inkompetenz anmuten, sondern auch gemeinsam so gegensätzlich wirken, dass sich eine produktive Zusammenarbeit kaum ausdenken lässt.12 Derart wird bereits in den ersten Minuten das Motto des Unternehmens, das bei der Einführung der Charaktere mit abfotografiert wird – „Tall Oaks From Little Acors Grow“ –, ad absurdum geführt. Die Forschungsliteratur attestiert dem Duo mithin eine „Haltung der Unterlegenheit“, die gemäß der Theorien der Überlegenheit, die auf Thomas Hobbes und seinen Ansatz zum Lachen als „plötzlichem Gefühl der eigenen Überlegenheit angesichts fremder Fehler“13 zurückgehen, als maßgeblich für ihren Erfolg angesehen werden bedeutsame genannt: Alexander Gerard: An Essay on Taste, New York: Garland Publishing 1970 (1759), S. 63-70, James Beattie: „On Laughter, and Ludicrous Composition“ (1764), in: ders.: Essays: On Poetry and Music, London: Routledge und Thoemmes Press 1996 (1779), S. 297-450, besonders ab S. 318, Joseph Priestley: A Course of Lectures on Oratory and Criticism, London: J. Johnson 1777, S. 200, Friedrich Theodor Vischer: Über das Erhabene und Komische und andere Texte zur Ästhetik, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1967 (1837), S. 160-183, William Norman Guthrie: „A Theory of the Comic“, in: International Quarterly (1903), H. 7, S. 254-264, hier: S. 257-259, Stephen Leacock: Humour: Its Theory and Technique, London: John Lane 1935, S. 17, John M. Willmann: „An Analysis of Humor and Laughter“, in: The American Journal of Psychology, Jg. 53 (1940), H. 1, S. 70-85, James Black Baillie: Studies in Human Nature, London: G. Bell and Sons 1922 (1921), S. 254-293, Wolfgang Iser: „Das Komische: Ein Kipp-Phänomen“, in: Wolfgang Preisendanz und Rainer Warning (Hg.): Das Komische, München: Wilhelm Fink 1976, S. 399-401. 12Auch Luigi Pirandello schreibt, dass das Komische im „Beobachten des Gegenteils“ liege. Er geht allerdings noch einen Schritt weiter und argumentiert, dass dieses Beobachten des Gegenteils an einer Person oder einer Personengruppe eine Reflexionsarbeit in Gang setze, die wiederum die „Empfindung des Gegenteils“ zur Folge habe, was lediglich bedeutet, dass sich das Lachen über die Person in Mitleid für dieselbige wandele. (Luigi Pirandello: Der Humor: Essay, Mindelheim: Sachon 1986 [1908], S. 160-162). 13Thomas Hobbes: Vom Menschen, vom Bürger, Hamburg: Meiner 1959 (1658), S. 33. Weitere wichtige Theoretiker, die ein Gefühl von Überlegenheit (in diversen Varianten: Triumph über einen anderen, über seine Hässlichkeit oder Dummheit, über seine Benachteiligung, auch sein Unglück oder gar im [Wett-]Kampf mit ihm) als zentral für das Lachen betrachten, sind Platon, Cicero, Carus, Stanley, Beerbohm, Wallis, Dunlap, Jünger oder Leacock (Platon: Philebos [verfasst zwischen 360 und 347 v. Chr], in: ders.: Sämtliche Dialoge, Band 4: Theätet, Parmenides, Philebos, Hamburg: Meiner 1988 [1922/1923], 3. inneres Buch, S. 35-156, hier: S. 99-104, Marcus Tullius Cicero: De Oratore, Über den Redner, Stuttgart: Reclam 1986 [55 v. Chr.], S. 359-361, Paul Carus: „On the Philosophy of Laughing“, in: The Monist, Jg. 8 [1898], H. 2, S. 250-272, hier: S. 261, Hiram M. Stanley: „Remarks on Tickling and Laughing“, in: American Journal of Psychology, Jg. 9 [1898], H. 2, S. 235-240, hier: S. 239, Max Beerbohm: „Laughter“, in: North American Review [1921], H. 214, S. 39-49, hier: S. 42-43, Wilson D. Wallis: „Why Do We Laugh?“, in: Scientific Monthly, Jg. 15 [1922], H. 4, S. 343-347, hier: S. 346, Knight Dunlap: Old and New Viewpoints in Psychology, St. Louis: C. V. Mosby 1925, S. 115-120, Friedrich Georg Jünger: Über das Komische, Frankfurt am Main: Klostermann 1948 [1936], S. 13-25, Stephen Leacock: Humor and Humanity: An Introduction to the Study of Humor, New York: H. Holt and Company 1938 [1937], S. 15.) Aristoteles sieht das Komische ebenfalls in der Abweichung Dissertation_V_1_0.indd 24 01.04.2015 20:38:11 EIN KLAVIER, EINE LANGE TREPPE UND ZWEI SISYPHOSSE 25 Abb. 1 kann. Analog konstatiert William K. Everson: „Wir sind jederzeit bereit, jemanden in unser Herz zu schließen, in dem wir uns selbst wiedererkennen, vor allem dann, wenn wir uns in aller Redlichkeit zugestehen können, daß wir doch ein bißchen schlauer sind als dieser Bruder im Geiste.“14 2.2 Die Repetition: Bergson und das Leid der Sisyphosse Die Handlung kommt ins Rollen, als die Protagonisten sich bei einem Postboten nach der Lieferadresse, der 1127 Walnut Avenue, erkundigen, und dieser antwortet, dass es sich dabei um das Haus ganz am Ende der Treppe handle (Abb. 1). Damit ist der Startschuss für die Sisyphosarbeit gefallen. In der nächsten Viertelstunde sehen wir den beiden dabei zu, wie sie das Klavier die Stufen hochhieven, es ihnen aber immer wieder aufgrund verschiedener Zwischenfälle aus den Händen gleitet und die Stufen herunterrauscht. Als erstes möchte eine Frau mit ihrem Kinderwagen an Stan und Ollie vorbei, doch ist die Treppe zu schmal, und als alle drei wild an dem Gefährt rütteln, schubst Stan das Klavier aus Versehen an und gibt ihm von der Regel, im Verhältnis vom Schönen zum Hässlichen, vom Richtigen oder Guten zum Schlechten, doch ist bei ihm nicht die Rede von so etwas wie einem Überlegenheitsgefühl. (Vgl. Aristoteles: Poetik, Werkausgabe Band 5, Berlin: Akademie-Verlag 2008 [335 v. Chr.], S. 8). 14William K. Everson: Laurel und Hardy und ihre Filme, München: Goldmann 1980, S. 25. Dissertation_V_1_0.indd 25 01.04.2015 20:38:12 26 EIN KLAVIER, EINE LANGE TREPPE UND ZWEI SISYPHOSSE damit den entscheidenden Stoß bergabwärts. Danach ruft ein Polizist die beiden nach unten. Einer nach dem anderen gehorchen sie seinem Befehl, und auch das Klavier bleibt nicht auf dem Plateau auf halber Höhe stehen, sondern rutscht ab, seinen Trägern hinterher. Zuletzt kommt der europäische Professor Theodore von Schwarzenhoffen mit seinen zahlreichen Titeln (M.D., A.D., D.D.S., F.L.D., F.F.F. und F.) die Treppe heruntergeschritten, bleibt direkt vor unseren Helden stehen bzw. wartet darauf, dass sie ihm den Weg freigeben, und während Stan und Ollie dieses Mal keinen Schritt vom Piano weichen, dem Aristokraten stattdessen seinen Hut vom Kopf schlagen, lassen sie es doch, ganz oben angekommen, als sie an der Haustür klingeln, aus den Augen, sodass es wieder den Abhang hinabrollt. Seine Pointe erreicht der Film, als der Postbote dem Duo, nachdem es das Klavier abermals hochgetragen hat, eröffnet, dass es auch eine Straße zum Haus hätte nehmen können, und Stan und Ollie das Musikinstrument daraufhin heruntertragen, um es ordnungsgemäß mit dem Lieferwagen heraufzufahren. Wir haben es hier also nicht nur mit einem, wie für Laurel und Hardy-Filme so typischen, Gag zu tun, der bis zum Exzess ausgereizt wird – nebenbei sogar über einzelne Filme hinaus, ist doch der Treppenwitz bereits Herzstück des verschollenen Zweiakters Hats off (Hal Yates, 1927)15 –, sondern auch mit einer an und für sich immer gleichen Aktionsfolge. Es scheint sich vor unseren Augen ein starres Handlungsmodell oder -muster zu entwickeln, das kaum Vitalität, kaum Variabilität, Spontaneität oder Kreativität zulässt. Mit Henri Bergsons Worten legt sich vor unseren Augen etwas Mechanisches als Kruste über das Lebendige.16 Der französische Philosoph geht in seiner Abhandlung Das Lachen davon aus, dass das wahrhaft Lebendige beweglich, gelenkig, elastisch, flexibel, flüssig sei und sich niemals wiederhole oder gar erstarre. Passiere das dennoch, sei es aus Trägheit, Unachtsamkeit oder Widerspenstigkeit, bekomme das Lebendige einen ganz unlebendigen Zug, wirke automatisch oder mechanisch und dadurch komisch. Bergson spannt also ein Gegensatzpaar auf und weist jede Vermischung und Verschmelzung der beiden Gegensätze als lächerlich aus: „Das Starre, Stereotype, Mechanische im Gegensatz zum Geschmeidigen, immerfort Wechselnden, Lebendigen, die Zerstreutheit im Gegensatz zur Gespanntheit, kurz der Automatismus im Gegensatz zur bewußten Aktivität, das ist es schließlich, was durch das Lachen unterstrichen […] wird.“17 Auch diese Theorie basiert damit auf einer Idee von Inkongruenz, von der naturgemäßen Unvereinbarkeit oder Unverträglichkeit von Lebendigem und Mechanischem.18 Vor diesem Hintergrund kommen uns zuallererst erneut die Figuren komisch vor, scheinen sie doch unter anderem aufgrund 15Eine Rekonstruktion des Films aus einzelnen Bildern und Zwischentiteln ist auf Youtube zu sehen: http://www.youtube.com/watch?v=nAwoprgQ3ZQ: [Zuletzt aufgerufen am 6.7.2012]. Vgl. zudem die Ausführungen Christian Blees’ zu Hats off in: ders.: Laurel & Hardy, S. 64. 16Vgl. Bergson: Das Lachen, S. 26. 17Ebd.: S. 72-73. 18Dennoch wird Bergsons Komiktheorie gemeinhin seltener zu den Inkongruenz- als zu den Überlegenheitstheorien gezählt, was hauptsächlich mit der Art des Lachens, dem Verlachen, zu tun hat. Auf die Funktion der Äußerungsform wird an späterer Stelle noch genauer eingegangen. Dissertation_V_1_0.indd 26 01.04.2015 20:38:12 EIN KLAVIER, EINE LANGE TREPPE UND ZWEI SISYPHOSSE 27 ihrer weiß geschminkten und dadurch reichlich flachen und leeren Gesichter, nicht so sehr wandlungs- oder entwicklungsfähige Subjekte als Stereotype zu sein, eben Dick und Doof (wie die deutsche Bezeichnung explizit deutlich macht), die sich in ihren Fehlern selbst wiederholen, sich oftmals geben, als würden sie automatisch (dys-)funktionieren. Mit ihren ‚fertigen‘ Charakteren entsprechen sie nach Bergson den typischen Protagonisten einer Komödie, da diese Gattung oder dieses Genre sich im Gegensatz zu der Tragödie weniger mit inneren Konflikten, mit tiefliegenden individuellen Seelenzuständen, als vielmehr mit allgemeinen Zügen, mit Äußerlichkeiten des Lebens oder Eigenarten der Menschheit beschäftige, die sich ebenfalls wie ein Raster über das Lebendige lege.19 Diese Eigenarten, in The Music Box hauptsächlich die Un- bzw. Pseudoreflektiertheit, die durch das Duo verkörpert wird, führen dazu, dass die gesamte Handlungsstruktur, das mehrmalige Herauftragen und Herunterfallen des Klaviers, die scheinbar periodisch wiederkehrenden Konflikte mit den Passanten, komisch wirken, denn vom Lebendigen, vom Menschen, aber auch vom ganzen Dasein erwarten wir, dass es sich entfaltet oder ausbildet, dass es Fortschritte macht und nicht an ein und demselben Punkt rotiert oder stagniert.20 Mit dem Motiv der Repetition, mit dem Bergson en passant genau im Gegensatz steht zu Theoretikern wie Kant, Schopenhauer oder auch Hobbes, für die der zeitlich ingressive Charakter, die Plötzlichkeit, eine notwendige Bedingung für Komik darstellt,21 arbeitet der Film im Großen wie im Kleinen; das heißt, nicht nur die Rahmenhandlung ist nach der Art dieses Mechanismus entworfen, sondern auch einzelne Gags – die beiden wiederholen sich gegenseitig (als die Frau mit dem Kinderwagen vorbei möchte, zuckelt erst Ollie an dem Gefährt herum, dann Stan; als der Polizist sie zu sich ruft, läuft erst Stan die Stufen herunter, dann Ollie; danach legt sich erst Ollie mit dem Polizisten an und kassiert einen Tritt in 19Vgl. ebd.: S. 82-94. Trotzdem erleben wir ab und zu, wie Stan und Ollie das klassische Typen-Muster durchbrechen, wodurch sie unberechenbar bzw. interessant bleiben: „[E]s gibt immer wieder einen Rest, eine unerwartbare Reaktion inmitten des Bekannten der Serie und der Konsistenz der Figur, wie im wirklichen Leben auch.“ (Sven Hanuschek: Laurel & Hardy: Eine Revision, Wien: Paul Zsolnay 2010, S. 84). 20Vgl. Bergson: Das Lachen, S. 51-52. 21Weitere Verfechter des Überraschungs-, Verwunderungs- oder Schockmomentes als wichtige Voraussetzung für das Lachen wären Marcus Fabius Quintilianus: Ausbildung des Redners, Buch 1-6, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1972 (verfasst im Jahr 95 n. Chr.), S. 715-761, René Descartes: Die Leidenschaften der Seele, Hamburg: Meiner 1996 (1649), S. 187-193, David Hartley: Observations on Man: His Frame, His Duty, and His Expectations, London: Thomas Segg and Son 1834 (1749), S. 274, Gerard: An Essay on Taste, S. 63, Priestley: A Course of Lectures on Oratory and Criticism, S. 201, Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren, Frankfurt am Main: Eichborn 2000 (1872), S. 218-219, Victor Courdaveaux: Le rire dans la vie et dans l’art: Études sur le comique, Paris: Libraire Académique 1875, S. 158-163, James Sully: An Essay on Laughter: Its Forms, Its Causes, Its Development and Its Value, London und Bombay: Longmans, Green, and Co. 1902, S. 64, Ransom Carpenter: „Laughter, a Glory in Sanity“, in: American Journal of Psychology, Jg. 33 (1922), H. 3, S. 419-422, hier: S. 420, Willmann: „An Analysis of Humor and Laughter“, S. 70. Dissertation_V_1_0.indd 27 01.04.2015 20:38:12 28 EIN KLAVIER, EINE LANGE TREPPE UND ZWEI SISYPHOSSE den Hintern, dann Stan, der Kopfnuss und Bauchhieb bekommt), sie wiederholen sich zusammen (unter der Last des Klaviers drehen sie sich gleich zweimal um ihre eigene Achse; wenn Wasser in der Umgebung ist, werden sie beide notorisch nass), und sie haben auch ihre ganz eigenen Gewohnheiten oder Automatismen, die sich über die einzelnen Filme hinweg gar zu running gags auswachsen (Ollie artikuliert unaufhörlich seine ‚Folge-mir-Geste‘; Stan verwechselt gerne die Hüte, was nebenbei der insgesamt am häufigsten wiederkehrende Gag ist). Da viele dieser Repetitionen genau dreimal passieren, ist in Bezug auf die Gag-Struktur in Laurel und Hardy-Filmen von triple gags die Rede.22 Ebenfalls wichtig in diesem Zusammenhang ist der für Hardy typische stumme, aber direkte Blick in die Kamera: „In Augenblicken tiefer Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, besonders wenn er zum Zeugen einer besonders gräßlichen Dummheit Laurels geworden ist, wendet er sein rundes Gesicht zur Kamera, zuckt resigniert mit den Schultern, die Augen in Fassungslosigkeit und Zorn weit geöffnet, und mit dem Seufzen der gemarterten Kreatur fleht er das Publikum an, ihm Beistand in seinen Heimsuchungen zu gewähren. Zugleich sagt dieser Blick dem Zuschauer, daß er Laurel schon so oft durch diesen ganzen Schlamassel begleitet hat, daß er sich inzwischen wohl auch schon fatalistisch in das Geschick ergeben hat, mit dem Unheil zu leben.“23 Zu guter Letzt zeigen sich die repetitiven Momente in The Music Box trefflich auch auf der Bildebene, in den oftmals wiederkehrenden Aufnahmen von der Treppe, von oben wie von unten, wobei allerdings bemerkt sei, dass das Herauf- und Heruntertragen, obwohl es sich dabei um die Essenz des ‚Basis-Gags‘ handelt, rein zeitlich betrachtet verhältnismäßig kurz oder knapp gezeigt wird, was uns zu den Details des komiktheoretischen Elements führt: All diese Wiederholungen wären nicht halb so amüsant, wenn sie tatsächlich genaue, stupide Wiederholungen wären ohne Variation, ohne Modifikation. Nun trägt natürlich jede Repetition immer schon ihre vorangegangene/n Version/en, also ein selbstreflexives Moment in sich und ist daher auf alle Fälle komplexer und dadurch komischer als die ursprüngliche Sache oder Situation.24 Dennoch wird Komik zusätzlich verstärkt, wenn sie sich immer leicht andersartig ergo lebendig vollzieht, denn, so Bergson, „ein beliebiger komischer Effekt, der aus einer beliebigen Ursache herrührt, ist für uns umso komischer, je natürlicher uns dieser sein Ursprung erscheint.“25 Auch andere betonen, dass die Handlung „sich gut entfalten und leicht entwirren [muss]“, dass sie nur derart fortschreiten soll, „wie die Vernunft sie leitet“.26 Indem das Zusammentreffen mit den weiteren Akteuren zufällig wirkt, ihre Handlungen motiviert und zuweilen verknüpft sind und Stan und Ollie die Kontrolle über das Klavier immer 22Vgl. Scott Allen Nollen: The Boys: The Cinematic World of Laurel and Hardy, Jefferson, North Carolina und London: McFarland & Company 1989, S. 20. 23Everson: Laurel und Hardy und ihre Filme, S. 28. 24Vgl. hierzu auch das Kapitel „Wiederholung als Figur“ in Hanuschek: Laurel & Hardy, S. 169171. 25Bergson: Das Lachen, S. 12. 26Nicolas Boileau-Despréaux zitiert nach Bachmaier: Texte zur Theorie der Komik, S. 20. Dissertation_V_1_0.indd 28 01.04.2015 20:38:12 EIN KLAVIER, EINE LANGE TREPPE UND ZWEI SISYPHOSSE 29 Abb. 2 bis 5 auf andere, teilweise durchaus nachvollziehbare Arten und Weisen verlieren, wird die für die Komik notwendige Spannung zwischen den Gegensatzpolen, dem Lebendigen und dem Mechanischen, aufrechterhalten. Da jede Episode, so Everson anerkennend, ihren eigenen Flair habe, stelle The Music Box „in seinem Ablauf wie in seinem visuellen Konzept [...] fast so etwas wie das komische Äquivalent zu der berühmten Sequenz der Odessa-Treppe in Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin dar.“27 (Abb. 2 bis 5) Es ist diese Spannung, welche die Sisyphosarbeit, um einen ersten komischen Aspekt derselben zu unterstreichen, lächerlich macht: Nicht nur, dass stets die gleichen Arbeitsvorgänge vom Menschen wiederholt werden; sie führen zudem immer zum selben Ziel und scheitern immer am selben Problem. Die Tätigkeit, die eigentlich unternommen wird, um Fortschritt zu erwirken, einen Zustand zu verbessern, Ressourcen zu gewinnen, bleibende Werte zu erzeugen, um die Welt, ja das ganze Dasein zu gestalten, um dem allen einen Sinn zu geben,28 wird ununterbrochen und unaufhörlich verspottet. Von dem, was die menschliche Arbeit kennzeichnet, sprich: von einem „zielgerichteten, intendierten und in der Regel auch geplanten Prozess“,29 bei dem einerseits die Realisierbarkeit des Ziels überprüft sowie eventuelle Störfaktoren erwogen werden und andererseits, im Falle des Misserfolgs, aus 27Everson: Laurel und Hardy und ihre Filme, S. 123. 28Vgl. Füllsack: Arbeit, S. 8. 29Ebd.: S. 9. Dissertation_V_1_0.indd 29 01.04.2015 20:38:14 30 EIN KLAVIER, EINE LANGE TREPPE UND ZWEI SISYPHOSSE den Fehlern gelernt wird, kann bei Sisyphos nicht die Rede sein. Seine Unternehmungen wirken unreflektiert, eher mechanisch als menschlich und dadurch im Sinne Bergsons komisch. Interessant ist, dass die Sisyphosarbeit dem Ausführenden, durch die Unmöglichkeit der Bewältigung und den stupiden kräftezehrenden Vorgang, jegliche Lebenskräfte, jegliche Lebendigkeit raubt. Sie bringt ihn nie weiter an ein übergeordnetes Ziel heran, immer nur näher an sein Ende, oder anders gewendet: Der Einzige, der die Sisyphosarbeit tatsächlich ewig fortsetzen kann, ist der ‚wahre‘ Sisyphos, der Held aus der griechischen Mythologie, da er sich bereits im Totenreich befindet. In Anbetracht dieser letzten Konsequenz muss es für die Komödienhelden Stan und Ollie natürlich einen Ausweg geben. Sie schaffen es nach mehreren Stunden in das Haus 1127 Walnut Avenue, doch, soviel sei bereits gesagt, auch darin haben sie wieder mit einer Treppe zu kämpfen. 2.3 Die Verzahnung von Mensch und Maschine Über die allumfassenden Wiederholungsstrukturen hinaus, wohnt den einzelnen Performances Stans und Ollies erhebliches komisches Potenzial inne. Zur Komik der Bewegung schreibt Bergson unter Rekurs auf sein Leitmotiv: „Stellungen, Gebärden und Bewegungen des menschlichen Körpers sind in dem Maße komisch, als uns dieser Körper dabei an einen bloßen Mechanismus erinnert.“30 Die Erklärung für die komische Urszene, in der eine Frau/ein Mann auf einer Bananenschale ausrutscht oder über einen Stein stolpert, läge nach dem Philosophen also in der mechanischen Starrheit, mit der das Individuum weiter geradeaus geht, obwohl es das Hindernis hätte bemerken und umgehen müssen, oder allgemeingültiger: mit der es seine frühere, gewohnheitsmäßige Bewegungstätigkeit fortsetzt, obwohl veränderte Umstände ein anderes Verhalten erfordert hätten.31 Dass dieses Beispiel nur eine Spielart der Komik der Bewegung anschaulich macht und es zahlreiche weitere Varianten gibt, wird in The Music Box ersichtlich. Zunächst inszeniert Stan seinen Körper derart, dass er selbst wie eine Maschine anmutet, zum Beispiel, wenn er sein Bein, das plötzlich nicht mehr Schritt hält, wiederholt mit den Händen nachziehen muss. Diese Aktion erweckt den Eindruck, seine Extremitäten seien Prothesen oder sonstige maschinelle Ersatzteile, die entweder nicht mit ausreichend Algorith30Bergson: Das Lachen, S. 21. Vgl. zur kritischen Auseinandersetzung speziell mit dieser These: Patrick Hutchings: „Bergson’s Laughter: A Master-Code?“, in: Pavel Petr, David Roberts und Philip Thomson (Hg.): Comic Relations: Studies in the Comic, Satire, and Parody, Frankfurt am Main, Bern und New York: Peter Lang 1985, S. 51-56. 31Vgl. Bergson: Das Lachen, S. 11. Charles Baudelaire sieht in dem Lachen über die komische Urszene „einen gewissen unbewußten Stolz. Dies ist der Punkt, von dem man ausgehen muß: ich, ich falle nicht; ich, ich gehe aufrecht; ich, ich stehe fest und sicher auf meinen Füßen. Nicht ich bin es, der die Dummheit begänge, eine Unterbrechung des Gehsteigs oder einen Pflasterstein, der den Weg versperrt, nicht zu sehen.“ (Charles Baudelaire: „Über das Wesen des Lachens und das Komische in der Plastischen Kunst im allgemeinen“ [1857], in: ders.: Intime Tagebücher und Essays, München: Wilhelm Heyne 1978, S. 77-98, hier: S. 83). Dissertation_V_1_0.indd 30 01.04.2015 20:38:14