Meisterwerke im J. Paul Getty Museum: Gemälde
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Meisterwerke im J. Paul Getty Museum: Gemälde
Meisterwerke im J. Paul Getty Museum GEMÄLDE Meisterwerke im J. Paul Getty Museum GEMÄLDE Los Angeles THE J, PAUL GETTY MUSEUM Frontispiz: NICOLAS POUSSIN Frankreich, 1594-1665 Die Heilige Familie [Detail] ,1651 Öl auf Leinwand 81.PA.43 (vgl. N r . 42) A m J. Paul Getty Museum: Christopher Hudson, Herausgeber Mark Greenberg, Chefredakteur Mollie Holtman, Redakteurin Suzanne Watson Petraiii, Herstellungskoordinatorin Lou Meluso und Jack Ross, Fotografen Texte von Burton Fredericksen, David Jaffé, Dawson Carr, Denise Allen, Jennifer Helvey und Perrin Stein Gestaltung und Produktion: Thames and Hudson, London, in Zusammenarbeit mit dem J. Paul Getty Museum Übersetzung aus dem Englischen von Birgit Bruder im Auftrag von Christiane D i Mattéo Translations © 1997 The J. Paul Getty Museum 1200 Getty Center Drive Suite 1000 Los Angeles, California 90049-1687 ISBN 0-89236-434-3 Farbreproduktionen von C L G Fotolito, Verona, Italien Gedruckt und gebunden in Singapur von C S . Graphics INHALT G E L E I T W O R T DES D I R E K T O R S 7 ITALIENISCHE SCHULE 8 HOLLÄNDISCHE UND FLÄMISCHE SCHULEN 42 FRANZÖSISCHE SCHULE 74 ANDERE SCHULEN V E R Z E I C H N I S DER K Ü N S T L E R 112 128 This page intentionally left blank GELEITWORT DES DIREKTORS Das Blättern i n diesem B u c h erfüllt uns, die w i r i m G e t t y M u s e u m arbeiten, m i t großer Freude. Seit 1983 besteht unsere schwierigste u n d kostspieligste Aufgabe darin, eine bedeutende Sammlung europäischer G e m ä l d e zu einer Z e i t des i m m e r geringeren Angebots aufzubauen. A n diesem Ü b e r b l i c k über die wertvollsten G e m ä l d e i m Besitz des Museums läßt sich unser Erfolg ablesen, denn der m i t Zugangsnummern vertraute Leser w i r d entdecken, wie viele der Werke i n den letzten vierzehn Jahren erworben wurden. J. Paul Gettys Einstellung zu G e m ä l d e n erscheint rätselhaft, er erwarb sie n u r m i t mäßiger Begeisterung. Erst nach seinem Tode, als das M u s e u m i n den G e n u ß seines großzügigen Nachlasses k a m , konnte die G e m ä l d e s a m m l u n g erheblich ausgebaut werden. D u r c h B u r t o n Fredericksen, Kurator für Malerei der Jahre 1965 bis 1984, erlebten die Sammeltätigkeit, die Ausstellungen sowie das Publizieren einen ungekannten Grad an Professionalität. Seine A r b e i t erstreckt sich auf mehrere Epochen, v o n der bescheidenen Sammlung i n H e r r n Gettys H e i m i n den 1960ern, über den Bau des heutigen G e b ä u d e s , einer rekonstruierten römischen V i l l a , i n den Jahren 1968 - 1 9 7 4 , bis i n die heutige Epoche der Diversifikation des Getty Trusts u n d des Wachstums des Museums. Sein A m t als Kurator für Malerei ü b e r n a h m M y r o n Laskin, der das A m t v o n 1984 bis 1989 bekleidete, u n d anschließend George Goldner, der das A m t v o n 1989 bis 1993 ausübte. Jeder v o n ihnen fügte bedeutende Bilder h i n z u u n d drückte der Sammlung seinen eigenen Stempel auf. Seit 1994 ist D a v i d J a f f é unser Kurator. M i t seiner Energie hat er die A b t e i l u n g neu belebt, u n d sein scharfes Urteilsvermögen hat zu vielen wichtigen Anschaffungen geführt. Ungefähr die Hälfte der Beiträge zu diesem Buch stammen v o n B u r t o n Fredericksen, die übrigen Beiträge w u r d e n v o n D a v i d Jaffé, Dawson Carr, Denise A l l e n , Jennifer Helvey u n d Perrin Stein geliefert. I c h danke allen A u t o r e n recht herzlich. Dieses Buch erscheint i n der Zeit, i n der die G e m ä l d e i n ein neues M u s e u m umziehen, das sich i m G e t t y Center i n den H ü g e l n v o n Santa M o n i c a (Los Angeles) befindet. I n den ansprechenden Ausstellungsräumen u n d bei Tageslicht w i r d die Sammlung den Besuchern sicherlich noch mehr Freude bereiten als bisher. JOHN WALSH Direktor G E L E I T W O R T DES D I R E K T O R S 7 1 SIMONE MARTINI Das Siena des 14. Jahrhunderts war eine H o c h b u r g des Konservativismus, u n d v o n Italien, ca. 1 2 8 4 - 1 3 4 4 daher n i c h t sofort empfänglich für die progressiven S t r ö m u n g e n , die zu Beginn der Der Heilige Lukas, ca. 1330 Renaissance nach Florenz u n d Teile Norditaliens kamen. Das Festhalten an einer Tempera auf Holz orthodoxeren u n d d a m i t weniger experimentierfreudigen Anschauung erlaubte den 67,5 x 48,3 cm 82.PB.72 ortsansässigen Künstlern, besonders hohe M a ß s t ä b e v o n handwerklichem K ö n n e n aufrechtzuerhalten u n d weiter zu perfektionieren. W ä h r e n d der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts begannen jedoch einige Sieneser Künstler, die Strenge des lokalen, byzantinisch beeinflußten Stils aufzulockern. Simone M a r t i n i war vielleicht der fähigste Künstler dieser Gruppe. Er schuf elegantere u n d anmutigere Figuren, u n d i n seinen Werken ist, i n A b k e h r v o n den fest etablierten Stilisierungen seiner Vorgänger, ein stärkeres Bewußtsein für die menschliche Gestalt u n d i h r Schönheitspotential festzustellen. Simone arbeitete oft für Auftraggeber i n Städten, die ziemlich weit v o n seinem Geburtsort entfernt lagen, wie z.B. A v i g n o n i n Frankreich. D i e Gedichte, die Petrarca als H o m m a g e auf Simone verfaßte, machten seinen N a m e n u n d den der Sieneser Schule weit über die Grenzen Italiens hinaus bekannt. A u f der i m Museum ausgestellten Tafel ist der Heilige Lukas dargestellt, wie aus der Inschrift S.LVC[A]EVL TA S (Heiliger Lukas der Evangelist) zu ersehen ist. E i n geflügelter Ochse, das Symbol für den Heiligen, hält das Tintenfaß, während Lukas sein Evangelium schreibt. Dieses G e m ä l d e ist i n nahezu perfektem Zustand erhalten u n d besitzt noch den Originalrahmen. Es war wahrscheinlich die rechte Tafel eines fünfteiligen, tragbaren Polyptychon oder Flügelaltars. D i e anderen vier Tafeln (drei davon sind i m Metropolitan M u s e u m o f A r t i n N e w York ausgestellt, die vierte befindet sich i n einer Privatsammlung i n N e w York) stellen die M u t t e r Gottes (Mittelteil) u n d drei weitere Heilige dar. D i e Tafeln waren wahrscheinlich m i t Lederriemen so miteinander verbunden, daß der Altaraufsatz zusammengeklappt u n d transportiert werden konnte. Löcher i m oberen Rand des Rahmens lassen vermuten, daß dort früher abnehmbare Pinakel angebracht waren, vielleicht m i t Engeln. Der Altar m u ß ganz aufgeklappt mehr als zwei Meter breit gewesen sein. Nach einer kürzlich vorgebrachten These wurde das A l t a r b i l d ursprünglich für die Kapelle i m Palazzo Pubblico i n Siena gemalt. Einige der Tafeln w u r d e n z u m Teil v o n den M i t a r b e i t e r n des Künstlers gemalt, die Tafel i m Getty-Museum jedoch stammt vollständig aus der H a n d Simones. D i e Raffinesse i m Entwurf, die außerordentliche Eleganz der H a n d , die leicht gestreckte Figur u n d die Intensität des Ausdrucks sind unverkennbare M e r k m a l e seiner Arbeitsweise. 8 ITALIENISCHE SCHULE BF 2 BERNARDO DADDI Dieses sehr schön konservierte T r i p t y c h o n entstand i n Florenz, etwa zur selben Zeit, Italien, ca. 1280-1348 als Simone M a r t i n i i m nahegelegenen Siena den Heiligen Lukas (Nr.1) malte. D a d d i Die Jungfrau Maria mit den Heiligen Thomas von Aquin Paulus, ca. 1330 Tempera und Blattgold auf Holz Mittlere Tafel: 120,7 x 55,9 cm Linke Tafel: 105,5 x 28 cm Rechte Tafel: 105,5 x 27,6 cm 93.PB.16 modelliert seine Personen jedoch m i t feinen Nuancen v o n L i c h t u n d Schatten u n d und verleiht ihnen so mehr Masse u n d Körperlichkeit. D i e räumliche W i r k u n g dieser Figuren rief die Bewunderung vieler Zeitgenossen hervor. Ihre Natürlichkeit u n d ihre menschliche Qualität spiegeln das revolutionäre Beispiel, das G i o t t o erst kurz zuvor gegeben hatte, wider u n d k ü n d e n v o n dem H e r a u f d ä m m e r n der Renaissance i n Florenz. Diese Künstler machten die Beobachtung der N a t u r z u m M a ß s t a b , der für die nachfolgenden Jahrhunderte das künstlerische Streben i n Europa beherrschen sollte. Einige Details, wie z u m Beispiel die m a n d e l f ö r m i g e n Augen, das m i t prächtigen M u s t e r n g e s c h m ü c k t e K l e i d der Heiligen Jungfrau u n d der hervorragend gearbeitete G o l d h i n t e r g r u n d machen deutlich, daß die byzantinische Abstraktion noch n i c h t ganz ü b e r w u n d e n war. D i e Darstellung der M a d o n n a i m Brustbild zwischen stehenden Heiligen als G a n z p o r t r ä t wurde zu einer sehr p o p u l ä r e n Darstellungsform i n der religiösen M e t a p h o r i k . D i e W a h l v o n Thomas v o n A q u i n u n d Paulus ist wahrscheinlich auf die besondere Bedeutung dieser Heiligen für den ursprünglichen Besitzer zurückzuführen. Vielleicht geben sie Aufschluß über seinen N a m e n . I n einem Dreiblatt (Kleeblatt) über den Figuren erteilt Jesus Christus seinen Segen. D i e G r ö ß e des Triptychons - es ist zu groß für eine Verwendung als tragbares A l t a r b i l d , andererseits zu klein für einen Kirchenaltar - läßt darauf schließen, daß es wahrscheinlich für eine kleine Kapelle bestimmt war. D i e Vergoldung des Untergrunds sollte den E i n d r u c k erwecken, daß Massivgold verwendet wurde, u n d war als H u l d i g u n g an die dargestellten Heiligenfiguren gedacht. Der U n t e r g r u n d erfüllt auch eine räumliche F u n k t i o n , i n d e m er eine A r t v o n goldenem E m p y r e u m schafft, der die Figuren aus der irdischen W e l t heraushebt u n d i n das himmlische Reich entrückt. Andererseits w i r d Daddis Jungfrau M a r i a geradezu i n unseren R a u m gestoßen: Ihre H a n d reicht über die M a r m o r b r ü s t u n g , w o d u r c h ihre Menschlichkeit u m so w i r k l i c h e r w i r d . W ä h r e n d sie das Magnifikat (Lukas 1,46-48) liest, deutet sie a u f etwas außerhalb des Bildes, einen A l t a r oder ein Grab, was unterhalb des Bildes liegt. A u f diese A r t feiert D a d d i Marias Rolle als die stärkste Fürsprecherin, als ruhige u n d mitfühlende V e r m i t t l e r i n zwischen unserer W e l t u n d dem Reich Gottes. 10 ITALIENISCHE SCHULE DC 3 GENTILE DA FABRIANO Die Krönung der Jungfrau Maria ist eines der wenigen noch erhaltenen Exemplare Italien, ca. 1370-1427 einer Prozessionsstandarte, die dazu bestimmt waren, an einem Ständer befestigt, auf Die Krönung der Jungfrau religiösen U m z ü g e n mitgeführt zu werden. Das B i l d wurde i n leuchtenden Farben auf Maria, ca. 1420 Tempera auf Holz 87,5 x 64 cm 77.PB.92 einer Blattgoldschicht gemalt. Früher besaß die Standarte auch noch eine Darstellung von Gottvater i n einem T y m p a n o n , die i n einem gesonderten Abschnitt über dem B i l d angebracht war. Dieser Teil ist verloren gegangen. D i e Standarte war außerdem ursprünglich beidseitig bemalt, u n d wurde zu einem n i c h t näher zu bestimmenden Z e i t p u n k t vor 1827 i n zwei Teile zersägt. D i e Rückseite, Die Stigmatisation des Heiligen Franziskus, befindet sich gegenwärtig i n der Magnani-Rocca-Sammlung i n Reggio Emilia, N o r d i t a l i e n . Aus der M o t i v w a h l u n d vorhandenen D o k u m e n t e n läßt sich schließen, daß die Standarte für die Franziskanermönche v o n Fabriano gemalt wurde u n d i n der Kirche San Francesco aufbewahrt wurde. Das G e m ä l d e wechselte während der darauffolgenden vierhundert Jahre infolge v o n Abrissen u n d U m b a u t e n v o n Kirchen einige M a l e seinen Standort, wurde jedoch i n Fabriano noch verehrt, als schon lange keine solchen G e m ä l d e mehr angefertigt w u r d e n , da es Gentile, dem berühmtesten Sohn der Stadt zugeschrieben wurde. I n den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts waren solche Überreste aus dem Spätmittelalter u n d der Renaissance äußerst begehrt, u n d ein englischer Sammler konnte Die Krönung erwerben. M a n n i m m t an, daß Gentile die Standarte w ä h r e n d eines Besuchs i n seiner Heimatstadt i m Frühjahr 1420 malte, also zu einem relativ späten Z e i t p u n k t seiner glanzvollen Karriere. Z u dieser Z e i t war er i n ganz Italien als größter Künstler seiner Generation zu R u h m u n d Ehre gekommen. O b w o h l n u r wenige seiner Bilder erhalten sind, hatte sein W e r k großen Einfluß auf seine Zeitgenossen (teilweise aufgrund seines ausgeprägten Sinns für R a u m u n d F o r m ) . Die auf dieser Tafel dargestellte Szene hat der Künstler m i t H i l f e v o n mehreren prächtigen Stoffen m i t großen, bunten M u s t e r n k o m p o n i e r t , weshalb er die räumlichen Aspekte des G e m ä l d e s n i c h t i m üblichen M a ß e entwickeln konnte. Christus segnet u n d krönt gleichzeitig die Jungfrau Maria, ein für diese Z e i t eher ungewöhnliches Detail, während zu beiden Seiten die Engel Lieder singen, die auf Papierrollen geschrieben sind. Das B i l d vermittelt einen Gesamteindruck v o n P r u n k u n d Verschwendung, der einer Tafel angemessen ist, die einst zu den meistverehrten kirchlichen Kunstschätzen der Stadt Fabriano gehörte. BF ITALIENISCHE SCHULE 13 4 MASACCIO Masaccios kurze, aber einmalige Karriere ist v o n einigen wenigen Hauptwerken geprägt, (Tommaso d i Giovanni Guidi) zu denen ein A l t a r b i l d für die Kirche Santa M a r i a del Carmine i n Pisa, ein Freskenzyklus Italien, 1401-1428 (?) für die Brancacci-Kapelle i n der Florentiner Kirche Santa M a r i a del Carmine u n d ein Der Heilige Andreas, 1426 Tempera auf Holz 52,4 x 32,7 cm 79.PB.61 Fresko m i t der Darstellung der Dreieinigkeit i n der Kirche Santa M a r i a Novella i n Florenz gehören. A l l diese Bilder entstanden i n einem Z e i t r a u m v o n etwa vier Jahren, die einzige zeitlich ausreichend dokumentierte Arbeit ist jedoch das A l t a r b i l d für Pisa, ein epochales W e r k , das sofort b e r ü h m t wurde. Z u diesem A l t a r b i l d gehörte die Tafel, die hier ausgestellt ist. D e r Florentiner Masaccio begann das A l t a r b i l d für Pisa i m Februar 1426, u n d er m u ß einen Großteil der Z e i t bis zu seiner Fertigstellung am ersten Weihnachtsfeiertag i n Pisa verbracht haben. D i e Kapelle, i n der es aufgestellt werden sollte, war i m Jahr zuvor i m Auftrag v o n Ser G i u l i a n o d i C o l i n o degli Scarsi, einem wohlhabenden N o t a r i n Pisa, gebaut worden. Dessen Aufzeichnungen ist zu entnehmen, daß Masaccio m i t zwei Helfern arbeitete, seinem jüngeren Bruder G i o v a n n i u n d Andrea d i Giusto, die später beide m i t eigenen Werken künstlerische A n e r k e n n u n g erlangten. A u f dem M i t t e l b i l d des Altars, das sich gegenwärtig i n der N a t i o n a l Gallery i n L o n d o n befindet, ist die Jungfrau M a r i a m i t i h r e m K i n d , umgeben v o n singenden u n d musizierenden Engeln dargestellt. A u f den beiden seitlichen Tafeln waren die Heiligen Petrus, Johannes der Täufer, Julian u n d Nikolaus abgebildet (man n i m m t an, daß sie verloren gegangen sind). A u f der Predella, dem Sockel des Altarbildes, waren Szenen aus d e m Leben der genannten Heiligen u n d Die Anbetung der Könige dargestellt (sie befinden sich gegenwärtig i n ihrer Gesamtheit i m Besitz der Staatlichen Museen Preussischer Kulturbesitz, Berlin). Ü b e r der Marienfigur befand sich Die Kreuzigung (höchstwahrscheinlich das G e m ä l d e , das sich derzeit i m Museo e Gallerie Nazionali d i Capodimonte i n Neapel befindet), u n d auf beiden Seiten waren i n oberen Registern noch viele andere Heilige dargestellt. M a n n i m m t an, daß die Tafel v o m Heiligen Andreas, die sich i m Besitz v o n Getty befindet, eines dieser Heiligenbilder ist. Das ganze A l t a r b i l d war etwa 4,60 m hoch, eine große u n d beeindruckende K o n s t r u k t i o n . D e r besondere W e r t v o n Masaccios W e r k besteht i n der innovativen Wiedergabe der Figur u n d i n seinem originellen Verständnis v o n F o r m u n d V o l u m e n . Diesem Künstler w i r d das Verdienst zugeschrieben, einen neuen Abschnitt i n der Geschichte der Malerei eingeleitet zu haben, u n d der erste Künstler seit der A n t i k e gewesen zu sein, der a u f der Grundlage einer rationalen O r d n u n g auf eine zweidimensionale Oberfläche eine Illusion v o n räumlicher Weite projizierte. M e h r als jedes andere G e m ä l d e markiert dieser Altaraufsatz den Beginn der Renaissance i n der Toskana des 15. Jahrhunderts. BF ITALIENISCHE SCHULE 15 5 ERCOLE DE' ROBERTI W ä h r e n d seiner vierjährigen Pilgerfahrt i n die ägyptische W ü s t e läuterte der Heilige Italien, ca. 1450/56-1496 H i e r o n y m u s ( 3 4 2 - 4 2 0 ) seinen Geist durch körperliches Leiden. I m Schutze eines Der Heilige verfallenen Gewölbes, das an eine Kirche denken läßt, betrachtet der ausgemergelte Hieronymus, ca. 1470 Tempera auf Holz 34 x 22 cm 96.PB.14 Heilige ein Kruzifix, wobei er m i t der anderen H a n d einen Stein u m k l a m m e r t , m i t dem er sogleich seine Brust kasteien w i r d . D i e Intensität des Blickes des Heiligen H i e r o n y m u s auf das Kruzifix deutet auf seine religöse Inbrunst u n d sein intellektuelles Streben h i n . O b e n am Scheitelpunkt des Bauwerks befinden sich die eindeutigen A t t r i b u t e des Hieronymus: ein Buch, das auf seine Ubersetzung der Bibel ins Lateinische hinweist, u n d eine Kardinalsmütze, die auf seine Z e i t i n den Diensten des Papstes Damaskus I . (Amtszeit 3 6 6 - 3 8 4 ) i n R o m anspielt. Der kleine L ö w e , eine Tiergattung, die dem Künstler offensichtlich nur v o n einer Buchillustration her bekannt war, bezieht sich auf eine beliebte Fabel, nach der Hieronymus einen Stachel aus der Pranke eines L ö w e n zog, w o d u r c h er dessen zutiefst ergebene Freundschaft gewann. Ercole de' Roberti arbeitete hauptsächlich i n Ferrara, einem der glanzvollsten Stadtstaaten i m N o r d i t a l i e n der Renaissance, w o er den klassischen Stil m i t prägte, für den die Stadt so b e r ü h m t ist. Ercole leistete einen unvergleichbaren Beitrag m i t seinen äußerst präzisen Werken, die sich m i t dem T h e m a der drückenden inneren Einkehr befassen, wie auch hier b e i m Heiligen Hieronymus. I n den langgestreckten Formen, den straffen, linearen R h y t h m e n , verhaltenen Farben u n d minitiösen, goldbesprenkelten Details zeigt sich das stilistische K ö n n e n , das v o n Ercoles Auftraggebern am Hofe v o n Ferrara so hoch geschätzt wurde. D e r dezente, elegante Klassizismus seines Werkes, ein S t ü c k weit d u r c h das S t u d i u m der Werke Mantegnas inspiriert, k o m m t hier i n den überaus ausdrucksvollen, geschmeidigen Gliedern u n d H ä n d e n der Figur z u m Ausdruck. D i e Begeisterung des Künstlers für die Schichttechnik zur Gestaltung v o n Formen zeigt sich hier i n den aufrechten Holzpfählen unterhalb des Heiligen sowie i n dem i n feinen Schichten gewachsenen Felsen. Dieses K l e i n o d der Devotionalienmalerei verlangt dem Betrachter vollkommene A n d a c h t ab, i n der die Anstrengungen, welche Hieronymus auf sich nahm, u m G o t t näher zu sein, ihren Wiederhall 16 ITALIENISCHE SCHULE finden. JH 6 VITTORE CARPACCIO Carpaccio war einer der ersten Renaissance-Maler, der i n seinen Werken Szenen aus Italien, 1460/65-1525/26 dem A l l t a g abbildete. Diese Ansicht seiner Heimatstadt Venedig zeigt Kormoranjäger Jagd auf der Lagune, auf einer Lagune. D i e Jagdgesellschaft benutzt n i c h t Pfeil u n d Bogen, sondern Kugeln ca. 1 4 9 0 - 9 5 Öl auf Holz 75,4 x 63,8 cm 79.PB.72 aus getrocknetem L e h m , w o h l u m die V ö g e l zu betäuben, ohne i h r Fleisch oder Gefieder zu beschädigen. I n einem frühen Beispiel v o n bildlich eingefangener Bewegung sieht m a n eines dieser Kügelchen, das gerade eben v o m rechten B o o t aus abgefeuert wurde, m i t t e n i n der Luft, kurz vor dem Auftreffen auf den K o r m o r a n i m Vordergrund. Diese Tafel stellt den oberen Teil einer K o m p o s i t i o n dar, die ursprünglich viel länger war, wie die abgeschnittene Lilie i n der l i n k e n unteren Ecke vermuten läßt. Sie diente als H i n t e r g r u n d für eine Szene m i t zwei Frauen, die a u f einem Balkon m i t Blick auf die Lagune sitzen. Dieses G e m ä l d e befindet sich heute i m Museo Correr i n Venedig. A u f diesem G e m ä l d e ist auf einem Geländer eine Vase m i t einem Stiel abgebildet, der die Blüte auf dem B i l d i n Getty-Besitz ergänzt. Kürzlich durchgeführte Untersuchungen an beiden Tafeln bestätigten die These, daß sie früher zu ein u n d demselben B i l d gehörten. D i e Holzmaserung ist identisch, u n d Holzmaserungen sind ebenso wie Fingerabdrücke einmalig. Leider wurden sie w o h l irgendwann aus kommerziellen G r ü n d e n auseinandergesägt. A u f der Rückseite des i n diesem M u s e u m befindlichen G e m ä l d e s ist ein außergewöhnliches B i l d erhalten. D e r illusionistische Briefhalter, dessen Briefe aus dem B i l d heraus i n den R a u m des Betrachters zu ragen scheinen, ist das erste trompel'oeil ( T ä u s c h u n g des Auges) i n der italienischen Malerei. Rillen für Scharniere u n d ein Riegel deuten darauf h i n , daß die zweiseitige Tafel als Schmuck-Fensterladen oder als Schranktüre diente. Dies legt den Schluß nahe, daß n o c h ein anderer, dazu passender Laden oder eine andere T ü r als G e g e n s t ü c k existierte, v o n denen heute nichts bekannt ist. Sollte die Tafel als Fensterladen gedient haben, dann hätte der geschlossene Laden beim Betrachter den E i n d r u c k erweckt, daß das Fenster m i t Blick a u f die Lagune geöffnet sei, was den an sich schon bemerkenswerten Illusionismus noch verstärkt hätte. 18 ITALIENISCHE SCHULE DC 7 ANDREA MANTEGNA D i e Renaissance ist d u r c h ein intensives Wiederaufleben des Interesses an Kunst Italien, ca. 1 4 3 1 - 1 5 0 6 u n d K u l t u r der A n t i k e charakterisiert. W ä h r e n d des 15. Jahrhunderts w u r d e n Die Anbetung der Heiligen i n Norditalien, vor allem i n Padua u n d M a n t u a , einige der offenkundigsten Drei Könige, ca. 1495-1505 Temperafarben auf Leinwand 54,6 x 69,2 cm 85.PA.417 Nachahmungen des "klassischen" Stils geschaffen. Dies ist vor allem auf den Einfluß Andrea Mantegnas zurückzuführen, der i n beiden Städten arbeitete u n d einen Großteil seiner künstlerischen Laufbahn am H o f der Gonzaga zu M a n t u a verbrachte. Mantegna hatte zwar wahrscheinlich keine klassischen G e m ä l d e für Studienzwecke zur Verfügung, er hatte jedoch Zugang zu einigen Statuen u n d zu kürzlich ausgegrabenen Fragmenten v o n römischen Figuren u n d Reliefs. Sowohl i n seinen religiösen Bildern, als auch i n seinen Werken zu T h e m e n aus der Klassik u n d der M y t h o l o g i e ist klar zu erkennen, daß seine Vorlagen z u m Großteil Skulpturen waren. Sein Stil w i r d durch eine scharfe D e f i n i t i o n v o n Figuren u n d Objekten i n V e r b i n d u n g m i t klarem r ä u m l i c h e m Ausdruck charakterisiert. Einige seiner Bilder sind i n Grisaille ausgeführt, d.h. nur i n G r a u t ö n e n , so als ob er Reliefs imitierte. Sie v e r m i t t e l n den Eindruck, als ob sie m i t großer Sorgfalt u n d bis i n feinste Einzelheiten gemeißelt seien. Das hier ausgestellten G e m ä l d e wurde wahrscheinlich i n M a n t u a angefertigt, m i t ziemlicher Sicherheit für Francesco I L Gonzaga. D e r H i n t e r g r u n d ist völlig neutral gehalten, ohne auch nur ansatzweise einen Schauplatz andeuten zu wollen. V o r der Heiligen Familie k n i e n die drei K ö n i g e : der kahlköpfige Kaspar, M e l c h i o r u n d der M o h r Balthasar. D i e H ü t e , die M e l c h i o r u n d Balthasar tragen, sind ziemlich genaue Abbilder orientalischer oder levantinischer Kopfbedeckungen. Kaspar überreicht eine blau-weiße Schale aus feinstem chinesischen Porzellan (eine der frühesten Darstellungen fernöstlichen Porzellans i n der westlichen Kunst). M e l c h i o r hält ein Rauchfaß, das als türkisches T o m b a k identifiziert wurde, u n d Balthasar b r i n g t eine sehr schöne Achatvase dar. Derartige G e g e n s t ä n d e waren i n Italien selten, o b w o h l einige Details der K l e i d u n g i n Venedig, das rege Handelsbeziehungen m i t dem O r i e n t pflegte, vielleicht schon zu sehen waren. Es ist m ö g l i c h , daß es sich bei ihnen u m Stücke aus Gonzagas Sammlungen v o n Gastgeschenken ausländischer Staatsmänner handelte. D i e i m M u s e u m ausgestellte Anbetung ist eines der wenigen italienischen G e m ä l d e , die auf L e i n w a n d anstatt auf H o l z ausgeführt wurden. Solche Bilder w u r d e n ursprünglich n i c h t gefirnißt, da sie m i t Temperafarben anstatt m i t Ö l gemalt w u r d e n . Z u einem späteren Z e i t p u n k t aufgetragener Firnis hat die L e i n w a n d verdunkelt, ohne jedoch die S c h ö n h e i t der Gestalten u n d die Detailfülle i n nennenswertem M a ß e zu beeinträchtigen. 20 I T A L I E N I S C H E S C H U L E BF 8 FRA BARTOLOMMEO (Baccio della Porta) Italien, 1472-1517 Die Rast auf der Flucht nach Ägypten mit dem Heiligen Johannes dem Täufer, ca. 1509 Öl auf Holz 129,5 x 106,6 cm 96.PB.15 Fra Bartolommeo malte dieses W e r k i m Jahre 1509, gleich nach seiner R ü c k k e h r nach Florenz v o n seiner Reise nach Venedig. Die Rast auf der Flucht versinnbildlicht eine neuartige A n t w o r t des Künstlers auf den M o n u m e n t a l s t i l der Florentiner Hochrenaissance, der auf Leonardo, Michelangelo u n d Raphael zurückgeht. I n diesem w u n d e r v o l l orchestrierten D i a l o g v o n Gestik u n d Blick läßt sich die Heilige Familie, nachdem sie aus Bethlehem u n d dem v o n K ö n i g Herodes befohlenen Massaker an den Neugeborenen e n t k o m m e n ist, i m Schutze einer Dattelpalme nieder. D e r kleine Johannes der T ä u f e r begrüßt das Jesuskind, das nach dem Schilfkreuz des Johannes greift. D i e Anwesenheit des Täufers verweist darauf, daß das höhere Z i e l der Rettung des Kindes letztendlich dessen O p f e r t o d am Kreuze ist. Fra Bartolommeo verleiht dem B i l d weiteren Pathos i m Zeichen des Granatapfels, einer Frucht, die ein Vorbote des Todes C h r i s t i ist, sowie der schattenspendenden Palme, deren Wedel dem Erlöser bei dessen letztem Einzug nach Jerusalem den W e g ebnen werden. D e r zerfallene Bogen spielt a u f den Niedergang der heidnischen W e l t o r d n u n g u n d auf den Aufstieg der Kirche C h r i s t i an, die d u r c h M a r i a personifiziert w i r d . Fra Bartolommeo fängt das Florentiner Schönheitsideal m i t der anmutigen Pose der M a d o n n a ein. D i e Begeisterung des Malers für die N a t u r zeigt sich an seinem meisterhaften U m g a n g m i t dem diffusen Licht, der detaillierten Darstellung der Palme u n d dem behende gemalten Gefieder der V ö g e l . DJ ITALIENISCHE SCHULE 23 9 GIULIO ROMANO (Giulio Pippi) Italien, vor 1499-1546 Die Heilige Familie, ca. 1 5 2 0 - 2 3 O l (möglicherweise m i t Tempera gemischt) auf Holz 77,8 x 61,9 cm 95.PB.64 G i u l i o Romano war Raffaels bedeutendster Protege. N a c h Raffaels T o d i m Jahr 1520 ü b e r n a h m G i u l i o die L e i t u n g der römischen Werkstatt seines Meisters. Diese Stellung hatte er bis 1524 inne, als er seine Geburtsstadt verließ u n d als Hofmaler an den H o f des Herzogs v o n M a n t u a ging. A u f g r u n d der äußerst engen Zusammenarbeit zwischen den beiden Künstlern gibt die Z u o r d n u n g zu Raffaels oder Giulios W e r k i m m e r wieder A n l a ß zu hitzigen Debatten. Diese Heilige Familie jedoch ist voller Manierismen, die m i t Sicherheit Giulios späteren, eigenständigen Werken zugeschrieben werden k ö n n e n , vor allem die metallischen Farben, die groben Gesichtszüge u n d eine ausgiebige Beschäftigung m i t Oberflächenornamenten. A u f dieser Tafel entwickelt G i u l i o das vertraute T h e m a der Heiligen Familie. D i e A n k u n f t der Frau m i t den Tauben der L ä u t e r u n g kennzeichnet die Szene als den M o m e n t , i n dem das C h r i s t k i n d u n d der Heilige Johannes der T ä u f e r einander z u m ersten M a l begegnen. Sowohl Josef als auch M a r i a schauen fürsorglich auf die beiden frühreifen Leser hinunter, u n d vervollständigen so die gekonnt komponierte, fest z u s a m m e n g e f ü g t e Gruppe. G i u l i o setzte dem B i l d typischerweise lebendige Details hinzu, wie z u m Beispiel den H u n d , der links aus der T ü r läuft, u n d die herrlich ausgeführte Landschaft all'antica zur Rechten. D i e Tafel ist zeitlich wahrscheinlich i n die Periode zwischen Raffaels letztem W e r k , Die Verklärung (1520) u n d Giulios Martirium des Heiligen Stefanus (1523) einzuordnen. A u f i h r zeigt sich G i u l i o i n seiner A r b e i t als Erbe Raffaels, der zwar dieselbe stilistische Sprache weiterbenutzt, jedoch auch seine eigenen Entwurfsvorstellungen stärker umsetzt. 24 ITALIENISCHE SCHULE DJ 10 CORREGGIO (Antonio Allegri) Italien, ca. 1489/94-1534 Das Haupt Christi, ca. 1 5 2 5 - 3 0 Öl auf Holz 28,6 x 23 cm 94.PB.74 A n t o n i o Allegri, nach seinem Geburtsort auch Correggio genannt, war der führende Künstler der Hochrenaissance i n der Gegend v o n E m i l i a i m N o r d e n Mittelitaliens. M i t dem G e m ä l d e Das Haupt Christi kreiert Correggio einen neuen Typus religiöser Bildsprache. Das M o t i v stammt aus der Legende der Heiligen Veronika. Als Christus auf d e m W e g zur Kreuzigung fiel, k a m i h m Veronika zu H i l f e u n d trocknete i h m das Gesicht m i t i h r e m Schleier, auf dem sich auf wunderbare Weise sein A n t l i t z einprägte. Anstelle der traditionellen ikonischen K o m p o s i t i o n , bei der die Reliquie des Schleiers m i t dem darauf eingeprägten Gesicht des Erlösers dargestellt w i r d , porträtiert Correggio einen eindrucksvoll naturalistischen Christus, der sich dem Betrachter zuwendet u n d seine L i p p e n öffnet, so als ob er sprechen wollte. Veronikas Schleier ist das gefaltete weiße T u c h i m H i n t e r g r u n d , das u m Jesu Schultern geschlungen ist u n d i n einigen weichen weißen Fransen rechts unten endet. D i e t i e f religiöse W i r k u n g , die das B i l d besitzt, ist a u f einen k ü h n e n Einfall Correggios zurückzuführen: Christus w i r d i m Augenblick vor dem W u n d e r i n den Schleier gehüllt dargestellt. D e r Künstler erweckt den E i n d r u c k , daß sich das lebendige A n t l i t z C h r i s t i dem Betrachter zuwende. Correggios Neuinterpretation eines traditionellen Bildes, das der K o n t e m p l a t i o n u n d dem einsamen Gebet dienen sollte, k ö n n t e z u m Wiederaufleben eines neuen Sinns für F r ö m m i g k e i t i n Beziehung gesetzt werden, sowie m i t der R ü c k k e h r v o n Veronikas Schleier i n den Petersdom i m Jahre 1527, zusammen m i t anderen wichtigen Reliquien der Christenheit, die bei der P l ü n d e r u n g Roms 1527 entwendet w o r d e n waren. Zahlreiche K o p i e n v o m Haupt Christi belegen, welch großen Erfolg diese neuartige B i l d k o m p o s i t i o n hatte u n d i n welch h o h e m Ansehen dieser Maler stand. DA ITALIENISCHE SCHULE 25 11 D O S S O D O S S I (Giovanni de' Luteri) Italien, ca. 1490-1542 Szene aus der Mythologie, ca. 1524 O l auf Leinwand 163,8x145,4 cm 83.PA.15 W ä h r e n d des frühen 16. Jahrhunderts versammelten die H e r z ö g e v o n Ferrara einige der originellsten u n d brillantesten Maler, Schriftsteller u n d Musiker der Z e i t an i h r e m H o f . Herzog Alfonso I . d'Este ( 1 5 0 5 - 1 5 3 4 ) brachte Maler wie Raffael aus R o m u n d Giovanni Bellini u n d T i z i a n aus Venedig zusammen. D i e G e m ä l d e s a m m l u n g des Herzogs bestand hauptsächlich aus Werken zweier lokaler Künstler, der Brüder Dosso u n d Battista Dossi. D i e brillanten Farben u n d die poetische Mysteriosität des venezianischen Stils durchdringen das W e r k der beiden Brüder. Es zeigt sich jedoch auch ein H a n g zu klassischen M o t i v e n u n d anscheinend v o n römischen Vorbildern abgeleitete Figurenposen. Viele v o n Dossos besten Bildern verschließen sich aufgrund ihrer exzentrischen allegorischen Inhalte i m m e r noch einer genauen D e u t u n g . Dieses G e m ä l d e w i r d allgemein als mythologisch angesehen, da der griechische G o t t Pan auf der rechten Seite erscheint. E i n Deutungsvorschlag ist, daß die herrliche Nackte i m Vordergrund die N y m p h e Echo sein könnte, die Pan liebte; die ältere Frau k ö n n t e Terra sein, Echos Beschützerin. Dosso übermalte die Frau m i t dem aufgebauschten roten Cape i n der l i n k e n Bildhälfte m i t einer Landschaft, die später wieder abgeschabt wurde. Z u irgendeinem Z e i t p u n k t w u r d e n außerdem links v o m G e m ä l d e ca. 15 c m abgeschnitten, so daß die Figuren die K o m p o s i t i o n ursprünglich weniger stark dominierten als heute. Trotz der Veränderungen, wegen derer w i r das G e m ä l d e nicht genau i n der Weise betrachten können, wie es die I n t e n t i o n des Künstlers war, k a n n m a n es doch als eines der sinnlichsten u n d ehrgeizigsten v o n Dossos Werken bezeichnen. D i e wunderbar detaillierten B l u m e n i m Vordergrund, der farbenprächtige Z i t r o n e n b a u m u n d die phantastische Landschaft vermitteln eine überschwengliche Individualität. BF ITALIENISCHE SCHULE 27 12 DOSSO DOSSl Dieses erst kürzlich entdeckte G e m ä l d e wurde v o n Dosso mindestens zehn Jahre nach (Giovanni de' Luteri) der auf der vorherigen Seite dargestellten Szene aus der Mythologie gemalt. W ä h r e n d Italien, ca. 1 4 9 0 - 1 5 4 2 sich i n den leuchtenden, poetischen Farben u n d der A t m o s p h ä r e des früheren Werks Allegorie der Fortuna, ca. 1530 Öl auf Leinwand 178 x 216,5 cm 89.PA.32 der Einfluß der zeitgenössischen venezianischen Malerei widerspiegelt, zeigt sich i n Allegorie der Fortuna, wie sich sein Schaffen danach zu einem eher römischen, figurbetonten Stil h i n entwickelte. Tatsächlich sind die Figuren der Allegorie m i t ihren heroischen Proportionen u n d Posen sehr stark v o n Vorbildern aus Michelangelos D e c k e n g e m ä l d e i n der Sixtinischen Kapelle inspiriert. D i e Frau verkörpert Fortuna, die G ö t t i n des G l ü c k s , die gleichgültige Kraft, die das Schicksal bestimmt. Sie ist nackt, hält ein Füllhorn u n d stellt so die ü p p i g e n Gaben zur Schau, die sie bringen könnte. I h r einzelner Schuh deutet an, daß sie n i c h t n u r G l ü c k , sondern auch U n g l ü c k bringen kann. W ä h r e n d diese Merkmale den traditionellen Darstellungen Fortunas entsprechen, ist Dosso i m U m g a n g m i t ihren sonstigen A t t r i b u t e n sehr kreativ. Fortuna wurde oft m i t einem Segel dargestellt, u m anzudeuten, daß sie so u n b e s t ä n d i g wie der W i n d ist, aber Dosso verwendet eine kunstvolle A u s s c h m ü c k u n g m i t wallenden Stoffen. Ebenso wurde Fortuna oft auf einer E r d oder H i m m e l s k u g e l balancierend dargestellt, u m ihre Einflußsphäre zu verdeutlichen, aber m i t dem i h m eigenen W i t z malt Dosso sie auf einer Blase sitzend, dem Symbol der Vergänglichkeit, u m zu betonen, daß ihre Gunst oft wechselhaft ist. D e r M a n n kann als Personifizierung des Zufalls interpretiert werden, eher i m Sinne v o n G l ü c k (sorte) als v o n M ö g l i c h k e i t (occasio). Er blickt sehnsüchtig zu Fortuna h i n u n d ist dabei, Papierstreifen oder Lotterielose i n eine goldene U r n e zu werfen. D i e Lose sind k e i n traditionelles A t t r i b u t , sondern eher eine zeitgemäße Anspielung auf die Lotterien, die kurz zuvor i n Italien aufgekommen waren. D i e Papierlose weckten i n der Gesellschaft, i n der Dosso arbeitete, noch eine andere Assoziation. Sie w u r d e n als ein Wahrzeichen Isabellas d'Este, der Marquise v o n M a n t u a gedeutet. Einer ihrer gelehrten Ratgeber sagte, daß sie dieses B i l d als Versinnbildlichung ihrer persönlichen Erfahrung m i t dem wechselhaften Schicksal wählte. M ö g l i c h e r w e i s e schuf Dosso dieses G e m ä l d e für Isabella u n d bezieht sich auf die Wechselfälle ihres Schicksals am H o f v o n M a n t u a . U n a b h ä n g i g davon, ob dies jemals m i t Sicherheit belegt werden k a n n oder nicht, lädt die eindringliche u n d schwermütige S t i m m u n g des G e m ä l d e s jedoch den heutigen Betrachter zu einer Reflexion darüber ein, i n welchem A u s m a ß das Leben doch Spielball der Launen der G l ü c k s g ö t t i n ist. 28 ITALIENISCHE SCHULE DC 13 S E B A S T I A N O D E L PIOMBO (Sebastiano Luciani) Italien, ca. 1 4 8 5 - 1 5 4 7 Papst Klemens VII., ca. 1531 O l auf Schiefer 105,5 x 87,5 cm 92.PC.25 Dieses Porträt stellt G i u l i o de M e d i c i ( 1 4 7 8 - 1 5 3 4 ) dar, der ab 1523 als Papst Klemens V I I . regierte. Klemens ist vor allem als einer der größten Förderer der Kunst der Renaissance i n die Geschichte eingegangen. Er gab unter anderem Raphaels Transfiguration ( R o m , Pinacoteca Vaticana), u n d Michelangelos Kapelle der M e d i c i u n d Laurentinische Bibliothek (Florenz, San Lorenzo) i n Auftrag, sowie Das Jüngste Gericht i n der Sixtinischen Kapelle ( R o m , Vatikan). Klemens war auch Sebastianos größter Förderer. Er beauftragte i h n unter anderem 1517 m i t der Auferweckung des Lazarus ( L o n d o n , N a t i o n a l Gallery) u n d bestellte i h n 1531 i n das H o h e A m t des H ü t e r s des Päpstlichen Siegels. Sebastianos Porträtstil w o h n t eine eigene, monumentale Grandeur inne. D e r Papst sitzt i n einem Sessel schräg zur Bildebene. Das erste eigenständige Papstporträt, das m i t diesem Format des Dreiviertelbildes arbeitete, war Raphaels Porträt Julius' II. ( L o n d o n , N a t i o n a l Gallery) aus den Jahren 1 5 1 1 - 1 5 1 2 . Sebastianos Porträts v o n Klemens V I I . machen diese K o m p o s i t i o n zur N o r m für offizielle Porträts des Pontifex M a x i m u s . V o n jenem Z e i t p u n k t an wurde diese Standardformel bis z u m heutigen Tag nahezu ausnahmslos v o n den Porträtmalern u n d Fotografen des Papstes beibehalten. Es handelt sich hier wahrscheinlich u m das Porträt, das Sebastiano i n seinem Brief an Michelangelo v o m 22. Juli 1531 erwähnt. D a Sebastiano seine Werke für die Ewigkeit schaffen wollte, begann er u m 1530 m i t Steinmalerei zu experimentieren. Schiefer war bis zu dem Z e i t p u n k t n u r selten als Bildträger verwendet worden, aber Sebastiano benutzte i h n m i t der Z e i t gerne für besonders wichtige Aufträge. Anscheinend war auch der Papst u m die Langlebigkeit besorgt, da er selbst Stein als Träger für sein Porträt bestellte. Sie wußten beide, daß H o l z u n d L e i n w a n d verrotten, Schiefer jedoch ganz besonders haltbar ist, solange m a n i h n n i c h t fallen läßt. 30 ITALIENISCHE SCHULE DC 14 PONTORMO (Jacopo Carucci) Italien, 1494-1557 Porträt eines Hellebardiers (Francesco Guardi?), 1528-30 Öl auf Holz, auf Leinwand übertragen 92 x 72 cm 89.PA.49 Jacopo Pontormo, Hofmaler bei Herzog Cosimo de' M e d i c i u n d einer der Begründer der Manieristischen Schule i n Florenz, war ein hervorragender Porträtmaler. D e r Hellebardier ist sein gelungenstes Werk. V i e l ist über die Person des Porträtierten geschrieben worden. I m Jahr 1568 merkte der Künstlerbiograph, Giorgio Vasari, an, daß Pontormo während der Belagerung v o n Florenz i n den Jahren 1528 - 3 0 "ein ganz besonders schönes G e m ä l d e " , ein Porträt v o n Francesco Guardi als Soldat, geschaffen habe. W i r wissen nichts über das Außere Francesco Guardis, aber aufgrund seines Geburtsjahres 1514 dürfte sich sein Alter m i t dem Alter des jugendlichen Modells ungefähr decken. D e r Name eines weiteren m ö g l i c h e n Modells, Cosimo de' M e d i c i , w i r d lediglich d u r c h ein Florentiner Inventar aus dem Jahre 1612 untermauert. Pontormo stellt seinen Hellebardier vor eine Festung, so als ob er die Stadt verteidige. Das selbstbewußte Auftreten, das i n seiner forschen Pose z u m Ausdruck k o m m t , erweckt den Anschein v o n Selbstsicherheit, dem seine bange M i m i k jedoch widerspricht. Diese ambivalente Botschaft w i r d auch d u r c h seine K l e i d u n g unterstrichen. Seine leger getragene, modische rote Kappe ziert eine Anstecknadel, die eine der Heldentaten des Herkules darstellt. Unser unbefleckter K ä m p f e r starrt ins Ungewisse, u n d sein Gesichtsausdruck verrät, daß er sich soeben erst des M y t h o s v o n der Unsterblichkeit der Jugend bewußt geworden ist. Laut Vasari hat dieses "besonders schöne" Porträt v o n Francesco Guardi ein A b b i l d i n Pygmalion und Galatea (Florenz, Palazzo Vecchio), das v o n Pontormos talentiertem Schüler Bronzino gemalt wurde. D i e außergewöhnliche Q u a l i t ä t des Getty-Porträts verdient sicherlich Vasaris Beinamen. Pontormos brillanter U m g a n g m i t Farbe u n d seine nervöse W i e d e r h o l u n g v o n Formen lassen eine lebendige Person entstehen, die so beeindruckend ist wie die Tat des Pygmalions, der Steine z u m Leben erweckte. ITALIENISCHE SCHULE DJ 31 15 TIZIAN D e r venezianische Maler T i z i a n verdankte seine beherrschende Stellung i n der (Tiziano Vecellio) internationalen Kunstwelt seiner Z e i t seinem K ö n n e n als Porträtmaler u n d als Italien, ca. 1480-1576 Illustrator der klassischen M y t h o l o g i e . Venus und Adonis war eine seiner berühmtesten Venus und Adonis, ca. 1560-1570 O l auf Leinwand 160 x 196,5 cm 92.PA.42 mythologischen Kompositionen. D i e E r z ä h l u n g aus Ovids Metamorphosen beschreibt, wie die G ö t t i n der Liebe den Jäger n i c h t davon überzeugen kann, bei i h r zu bleiben, u n d er stattdessen i n seinen T o d läuft. D e r schlummernde C u p i d o m i t unnützen, noch i m K ö c h e r steckenden Liebespfeilen, u n d das Rebhuhn, das allein neben dem umgekippten W e i n k r u g steht, deuten an, daß Venus' letzter leidenschaftlicher B l i c k n i c h t ausreichen w i r d , u m den J ä g e r zurückzuhalten. D i e Szene war ursprünglich für P h i l i p p I L , K ö n i g v o n Spanien, bestimmt, einen der G ö n n e r Tizians. Das hier abgebildete G e m ä l d e ist jedoch eine der vielen Varianten für einen bis heute nicht näher bestimmbaren Bewunderer. Tizian schrieb an Philipp, daß sein Adonis Venus v o n hinten zeigen sollte, als G e g e n s t ü c k zu seinem früheren G e m ä l d e , a u f dem die nackte Venus v o n vorne zu sehen ist. M a n mag leicht auf die Interpretation verfallen, nach der solche G e m ä l d e die weibliche Nacktheit ausbeuten, wie es einige seiner Zeitgenossen auch taten. T i z i a n sah es als Herausforderung an, den antiken M y t h o s auf glaubwürdige u n d verführerische A r t u n d Weise darzustellen. W i e Raffael u n d Correggio vor i h m , wurde T i z i a n durch ein antikes Basrelief zu diesem G e m ä l d e angeregt. E i n derartiges Z i t a t einer römischen E r f i n d u n g entspricht i m engsten Sinne unserem Verständnis der Renaissance als der Wiedergeburt der antiken Kunst, u n d T i z i a n wählte sie, u m seiner K o m p o s i t i o n Authentizität zu verleihen. Aber er läßt i n seinem B i l d eine Reihe v o n Zentrifugalkräften w i r k e n : Adonis ist i n dem Augenblick dargestellt, als er sich aus Venus' U m a r m u n g löst, während einer seiner Jagdhunde sich gerade umdreht. Tizians M a l s t i l ist besonders i n den Schlaglichtern zu erkennen, die auf die Kleiderfalten fallen u n d den Stoff i n scharfen Zickzackmustern beleben, fast, als ob es statisch aufgeladen sei, i n der fast unmerklichen M o d e l l i e r u n g des Fleisches, den blitzenden Haarlocken u n d der Inszenierung v o n Adonis' U m h a n g , der vor den unheilvollen Bergen schimmert. D i e venezianischen Künstler waren b e r ü h m t dafür, daß sie der malerischen Darstellung v o n Lichteffekten auf Oberflächen große Aufmerksamkeit w i d m e t e n , wobei sie diese m i t Farben u n d n i c h t nur m i t L i n i e n umsetzten. T i z i a n setzte diese Effekte a u f geniale A r t u n d Weise ein. Tizians Aufgabe bestand darin, eine irreale W e l t der Vorstellung sowohl glaubhaft als auch wünschenswert zu machen, u n d er hat sie gemeistert, i n d e m er uns seine übermenschlichen Hauptpersonen lebendig darstellt u n d uns ihre tragische Liebesgeschichte a u f überzeugende Weise darlegt. D i e Zentralfiguren w u r d e n i n Varianten dieses Werks wiederverwendet, die heute i m Palazzo Barberini u n d der N a t i o n a l Gallery i n L o n d o n ausgestellt sind. 32 ITALIENISCHE SCHULE DJ 16 V E R O N E S E D i e auf diesem beeindruckenden Porträt dargestellte Person lehnt an einem großen (Paolo Caliari) Sockel, bzw. einem Säulenfuß, auf dem sich kannelierte Säulen erheben. Diese Säulen Italien, 1528-1588 stehen rechts u n d links v o n einer Nische m i t einer M a r m o r s k u l p t u r einer bekleideten Porträt eines Mannes, ca. 1 5 7 6 - 7 8 Öl auf Leinwand 192,2 x 134 cm 71.PA.17 Figur, v o n der nur der untere Teil sichtbar ist. D i e Sockelseiten sind m i t gemeißelten Reliefs g e s c h m ü c k t , deren M o t i v e n i c h t genau zu erkennen sind. D e r M a n n steht auf einem Steinfußboden m i t Einlegearbeiten, u n d linker H a n d ist i n der Ferne die markante Silhouette des venezianischen Markusdoms zu erkennen. D i e Kirche ist unverständlicherweise v o n B ä u m e n umgeben, so als ob sie i n einem W a l d stünde, statt, wie i n W i r k l i c h k e i t , i n einer städtischen Umgebung. Alle diese Anhaltspunkte sollen anscheinend Aufschluß über Beruf oder Identität der porträtierten Person zu geben. Vielleicht stand er irgendwie i n Verbindung z u m M a r k u s d o m ; das würde jedoch n i c h t erklären, w a r u m die Basilika i n dieser ungewöhnlichen U m g e b u n g dargestellt ist. Der M a n n k ö n n t e A r c h i t e k t oder sogar Bildhauer gewesen sein, aber dies w i r d weder durch seine K l e i d u n g noch durch sein Erscheinungsbild bestätigt. Andererseits deutet die Tatsache, daß er ein Schwert trägt, darauf h i n , daß er ein Adeliger gewesen sein könnte. I n bisherigen Deutungsversuchen ist m a n davon ausgegangen, daß sich der Künstler selbst dargestellt hat, aber diese Interpretation kann n i c h t belegt werden. Es gibt G r ü n d e für die A n n a h m e , daß Veronese einen Bart trug, u n d er hatte anscheinend eine hohe Stirn, aber sein genaues Erscheinungsbild ist n i c h t bekannt. A u ß e r d e m ist es ziemlich unwahrscheinlich, daß er sich selbst i n eleganter K l e i d u n g m i t umgeschnalltem Schwert vor einer Reihe v o n Säulen dargestellt hätte, u n d er hatte keine besondere Beziehung z u m M a r k u s d o m . Veronese ging i m allgemeinen Porträtaufträgen aus dem Wege, da sie zu den weniger einträglichen Arbeiten zählten u n d er i n Venedig sehr viele Aufträge für umfangreiche dekorative Z y k l e n erhielt. Seine Zeitgenossen T i n t o r e t t o u n d Tizian sind eher für Porträts b e r ü h m t . Er war zwar n i c h t auf einen guten R u f als Porträtmaler angewiesen, war aber dennoch sehr fähig, u n d sowohl die M a ß e als auch die Schönheit des vorliegenden G e m ä l d e s - eines der eindrucksvollsten Porträts v o n den wenigen, die er schuf - deuten darauf h i n , daß der Auftrag für i h n sehr w i c h t i g gewesen sein m u ß . Das G e m ä l d e ist m i t dem malerischen Elan u n d der Freizügigkeit i n der Gestaltung ausgeführt, die das gesamte W e r k des Künstlers auszeichnen. BF ITALIENISCHE SCHULE 35 17 DOMENICHINO (Domenico Zampieri) Italien, 1581-1641 Der Weg zum Kalvarienberg, ca. 1610 Öl auf Kupfer 53,7 x 68,3 cm 83.PC.373 D o m e n i c h i n o , ein prominenter Vertreter einer künstlerischen Bewegung, die v o n der Familie Carracci begründet wurde, reiste 1602 nach R o m . Er arbeitete eng m i t Annibale Carracci zusammen u n d war w ä h r e n d der darauffolgenden vierzig Jahre einer seiner treuesten Anhänger. Domenichinos Laufbahn wurde durch eine Reihe wichtiger Fresken-Projekte geprägt, er schuf jedoch auch eine Anzahl religiöser G e m ä l d e für Privatmäzene. W ä h r e n d der ersten zehn Jahre seines Aufenthalts i n R o m malte er einige davon auf Kupfer, ein Material, das als T r ä g e r m e d i u m für kleine Kompositionen, die eine sehr sorgfältige Ausarbeitung erforderten, beliebt war. Das Kupferbild i m Besitz des Museums gehört zu den Meisterwerken dieser frühen Periode. Es entstand wahrscheinlich u m das Jahr 1610 u n d zeigt besonders schön, m i t welcher Sorgfalt der Künstler seine Arbeiten ausführte. D o m e n i c h i n o legte großen W e r t auf eine sorgfältige Planung der Gesamtkomposition u n d der einzelnen Figuren u n d auf gewissenhafte Ausführung. Ebenso wie Caracci befand er sich i m Widerspruch zur "realistischen" Bewegung Carvaggios u n d seiner Anhänger. Er vertrat die Ansicht, daß die N a t u r anstelle einer realistischen Darstellung geordnet u n d verbessert werden m ü s s e . Der Weg zum Kalvarienbergbetont trotz der Brutalität des Themas nicht das Leiden des Erlösers. D o m e n i c h i n o verlieh seinen Figuren Eindringlichkeit, vermied jedoch dramatische Ü b e r t r e i b u n g . D i e k o m p r i m i e r t e Darstellung der Gestalten an den R ä n d e r n dieser K o m p o s i t i o n k ö n n t e Absicht gewesen sein, kann aber auch darauf zurückzuführen sein, daß die Kupfertafel nach ihrer Bemalung noch einmal verkleinert wurde. 36 ITALIENISCHE SCHULE BF 18 P I E R F R A N C E S C O M O L A Italien, 1612-1666 Die Vision des Heiligen Bruno, ca. 1660 Öl auf Leinwand 194 x 137 cm 89.PA.4 Der Heilige B r u n o war der G r ü n d e r des Karthäuserordens, einer Klostergemeinschaft, die durch ständige M e d i t a t i o n i n der Abgeschiedenheit die Vereinigung m i t G o t t sucht. D i e Karthäuser leben isoliert u n d versammeln sich nur einmal wöchentlich., Molas W e r k illustriert dieses G r u n d p r i n z i p der Karthäuser, i n d e m es den G r ü n d e r i n dem M o m e n t darstellt, i n dem er durch eine himmlische V i s i o n aus seiner Andacht gerissen w i r d . Sie schreckt i h n nicht, er streckt sich vielmehr verlangend danach aus. W i e viele römische Künstler seiner Zeit fand M o l a i n den Landschaftsbildern venezianischer Maler des vorausgegangenen Jahrhunderts Inspiration. Dies zeigt sich unter anderem i n der großen Vielfalt der Braun- u n d O c k e r t ö n e , zu denen ein ultra marinblauer H i m m e l voller W o l k e n i n Kontrast gesetzt wurde. E i n weiteres M e r k m a l der venezianischen Schule ist die A r t u n d Weise, i n der die Landschaft die Figur nachahmt u n d so einen Kontrapunkt setzt, i n dem die Verzückung ein Echo findet. DC ITALIENISCHE SCHULE 37 19 BERNARDO BELLOTTO Bellottos Talent wurde i m Atelier seines Onkels, Canaletto, gefördert. Schon u m 1735 Italien, 1721-1780 arbeitete der Jugendliche m i t Canaletto an den idealisierten Stadtansichten v o n Venedig, Ansicht des Canale Grande: durch die der ältere Künstler b e r ü h m t geworden war. Eines v o n Bellottos frühesten Santa Maria della Salute und die Dogana vom Campo Santa Maria Zobenigo, ca. 1740 Öl auf Leinwand 135,5 x 232,5 cm 91.PA.73 Meisterwerken, die Ansicht des Canale Grande, läßt bereits die M o n u m e n t a l i t ä t , die leuchtenden Kontraste u n d den abwechselnd zähen u n d flüssigen Farbauftrag erkennen, ein M e r k m a l v o n Bellottos Spätwerk. M i t seiner Beobachtungsgabe für Begebenheiten u n d D e t a i l belebt Bellotto diese Stadtansicht u n d fängt zugleich die verfallende Pracht der Stadt u n d die flüchtige Qualität des täglichen Lebens darin ein. Links i m Vordergrund bildet die Fassade des Palazzo Pisani-Gritti eine elegante Kulisse für das weltliche Treiben am Campo-Ufer. Das überschwengliche Barockdesign der v o n Baldassare Longhenas gebauten Kirche Santa M a r i a della Salute beherrscht das gegenüberliegende Ufer des Canale. Rechts erhebt sich die sonnengebadete Fassade der A b t e i San Gregorio über einer schattigen Häuserreihe. A m anderen Ende der Salute stehen das Seminario Patriarcale u n d die Dogana. D i e M ü n d u n g des Kanals gibt den Blick i n die Ferne frei. V o n w e i t e m ist die Riva degli Schiavoni hinter dem regen Treiben der Bacino di San Marco zu erkennen. Ü b e r den M a u e r n der Dogana sieht m a n den blassen G l o c k e n t u r m u n d die K u p p e l v o n San Giorgio Maggiore. D i e Ansicht des Canale Grande ist die erste Version einer K o m p o s i t i o n , die i n Canalettos Atelier i n mindestens vierzehn Versionen wiederholt wurde. D i e Zuschreibung zu Bellotto stützt sich auf eine Feder-Tusche-Zeichnung v o n i h m i m Hessischen Landesmuseum, Darmstadt, die m i t der K o m p o s i t i o n dieses G e m ä l d e s sehr eng verwandt ist. D i e Ansicht der Piazza San Marco mit Blick nach Südwesten des Cleveland M u s e u m o f A r t , die lange Z e i t als Pendant des i m Besitz des Getty-Museums befindlichen Canale Grande galt, wurde erst kürzlich Bellotto zugeschrieben. 38 ITALIENISCHE SCHULE DJ 20 G I O V A N N I BATTISTA Das W e r k wurde auf sechs großen Bogen Aquarellpapier ausgeführt. Dieser Blick über LUSIERI die Westküste v o n Neapel ist Lusieris größte u n d ausdrucksvollste Arbeit. O b w o h l die Italien, ca. 1 7 5 5 - 1 8 2 1 Blick über die Bucht von Neapel, 1791 Federzeichnung, Gouache und Aquarell auf Papier Kundschaft für seine Landschaftsbilder vor allem englische Aristokraten auf der G r a n d Tour waren, wurde dieses außergewöhnliche B i l d nicht für den Touristenmarkt gefertigt. Es entstand v o n einem Fenster des Palazzo Sessa, der neapolitanischen Residenz v o n Sir W i l l i a m H a m i l t o n , der sich als der britische Gesandte v o n 1764 bis 1799 dort aufhielt. 102 x 272 cm A m 5. Juli 1791 schrieb Lusieri an H a m i l t o n , daß er die Verladung des "großen A m unteren Rand i n der Mitte signiert G e m ä l d e s " auf ein Schiff überwacht habe. Es ist wahrscheinlich, daß es sich hierbei und datiert G.B. Lusier 1791 85.GC.281 u m dieses W e r k handelt, möglicherweise v o n H a m i l t o n i n Auftrag gegeben, damit er nach seiner R ü c k k e h r i n sein tristes H e i m a t l a n d weiterhin den sonnigen Ausblick Bildausschnitt auf der folgenden Doppelseite v o n seinem Haus i n Neapel genießen konnte. O b w o h l Neapel heute wesentlich mehr Einwohner zählt, ist dank Lusieris bemerkenswerter Genauigkeit i m m e r noch vieles wiederzuerkennen. Zeitgenossen erwähnten seine damals unübliche Arbeitsweise, vor O r t zu zeichnen u n d zu kolorieren. Lusieris fast fanatische Präzision läßt darauf schließen, daß er ein mechanisches H i l f s m i t t e l benutzt hat, wie beispielsweise eine Camera Obscura, die ein Kopieren v o n Umrissen ermöglichte. Es ist klar, daß er sich dem Trend zur romantischen Landschaft entschlossen widersetzte u n d sich stets b e m ü h t e , die N a t u r getreu nachzuahmen. Leider kann Lusieris G e m ä l d e nur selten u n d auch dann nur bei sehr schwacher Beleuchtung ausgestellt werden. D i e Aquarellfarben sind ein flüchtiges M e d i u m , u n d jeder K o n t a k t m i t dem L i c h t läßt die Farben weiter verblassen. D a die Pigmente unterschiedlich schnell ausbleichen, ist es bemerkenswert, daß Lusieris bekannte Farbausgewogenheit i n diesem W e r k so wunderbar erhalten geblieben ist. I n d e m w i r es nur zeitweise ausstellen, hoffen wir, dieses großartige Zeugnis zu erhalten. DC ITALIENISCHE SCHULE 39 Die Verkündigung gehört zu einer Serie v o n fünf Bildern, die ursprünglich ein 21 D I E R I C B O U T S Flandern, ca. 1 4 1 5 - 1 4 7 5 Die Verkündigung, ca. 1 4 5 0 - 5 5 Polyptychon bildeten - einen Flügelaltar, der offensichtlich aus einem senkrechten Mittelstück m i t jeweils zwei übereinander h ä n g e n d e n Bildern auf beiden Seiten Tempera auf Leinwand bestand. D i e anderen Szenen aus dieser Serie waren Die Anbetung 90 x 74,5 cm (Privatsammlung), Die Grablegung (National Gallery, L o n d o n ) , Die 85.PA.24 der Könige Auferstehung ( N o r t o n S i m o n A r t Foundation, Pasadena) u n d wahrscheinlich Die Kreuzigung i n der M i t t e (eventuell das G e m ä l d e , das sich jetzt i n den M u s é e s Royaux d ' A r t et d'Histoire, Brüssel) befindet. D a das hier ausgestellte G e m ä l d e die frühste Szene aus dem Leben v o n Christus darstellte, befand es sich wahrscheinlich i n der oberen l i n k e n Ecke des Altarsgemäldes. D i e r i c k Bouts arbeitete w ä h r e n d seiner reifen Jahre i n L ö w e n ( i m heutigen Belgien). Er war der bekannteste unter den Künstlern, die i n die Fußstapfen v o n Jan van Eyck (aktiv 1 4 2 2 - g e s t o r b e n 1441) u n d Rogier van der Weyden ( 1 3 9 9 / 1 4 0 0 1464) traten, o b w o h l über sein Leben viel weniger bekannt ist u n d nur eine relativ kleine Z a h l seiner G e m ä l d e erhalten geblieben ist. Sein Stil war insgesamt strenger als der seiner Zeitgenossen, u n d sein W e r k strahlt durchweg eine gewisse Z u r ü c k h a l t u n g aus. Charakteristisch für sein W e r k ist auch eine große Präzision. M i t dem B i l d Die Verkündigung vermittelt der Künstler ein für i h n typisches, überzeugendes Gefühl v o n R ä u m l i c h k e i t u n d geht viel weiter als seine Vorgänger darin, uns das Wesen v o n Marias privater K a m m e r spüren zu lassen. Es ist ein verhältnismäßig farbloser Raum, ähnlich den Zellen, die v o n den M ö n c h e n u n d N o n n e n bewohnt wurden, die solche Altargemälde gewöhnlich i n Auftrag gaben u n d die m i t ihnen lebten. D i e einzige Ausnahme i n dieser kargen K a m m e r bildet das leuchtend rote Baldachin über der Bank hinter M a r i a . A u f die symbolische Lilie, die normalerweise auf Darstellungen dieser Szene zu finden ist, wurde verzichtet, u n d die traditionell bunten Bodenfliesen w u r d e n eher gedeckt gehalten. D i e Jungfrau trägt ein gräuliches Gewand statt des üblichen blauen Gewands, u n d Gabriel ist i n Weiß gekleidet anstatt des reich geschmückten Gewands, welches Erzengel üblicherweise tragen. Solche Details w u r d e n oftmals i m voraus v o n den Klerikern festgelegt, die ein W e r k i n A u f t r a g gaben. I n dieser A b k e h r v o n der T r a d i t i o n liegt wahrscheinlich eine Botschaft, die eine besondere Bedeutung für die I n s t i t u t i o n hatte, i n der das A l t a r g e m ä l d e seinen Platz finden sollte. Die Verkündigung wurde, wie auch die anderen Teile des Altargemäldes, auf Leinen anstatt auf H o l z gemalt. Diesen U n t e r g r u n d wählte m a n manchmal, u m ein G e m ä l d e leichter transportabel zu machen, was jedoch für ein Polyptychon v o n dieser G r ö ß e höchst ungewöhnlich ist. 42 HOLLÄNDISCHE U N D FLÄMISCHE SCHULEN BF 22 W e r k s t a t t v o n Diese Tafel zeigt Papst Sergius, wie er träumt, ein Engel übergebe i h m die M i t r a u n d ROGIER V A N DER den Krummstab des Heiligen Lambert (Bischof v o n Maastricht bis zu seiner E r m o r d u n g WEYDEN u m 708) u n d weihe den Heiligen H u b e r t z u m Bischof dieser wichtigen Diözese. D i e Flandern, aktiv M i t t e des 15. Jahrhunderts Der Traum von Papst Sergius, ca. 1440 päpstliche Gewalt der Ämtervergabe w i r d typologisch durch das Steinrondell über i h m unterstützt, das Christus bei der Weihe des ersten Papstes, dem Heiligen Petrus, darstellt. D r a u ß e n k n i e n innerhalb einer Backsteineinfassung ein Jurist oder ein Adliger u n d ein Franziskanermönch neben dem päpstlichen Gefolge u n d übergeben Sergius Bittschriften, Öl auf Holz 89 x 80 cm 72.PB.20 m i t denen sie u m seine Gunst oder u m Ablaß nachsuchen. I n der Zeit, i n der dieses G e m ä l d e entstand, wurde das päpstliche Recht der Vergabe v o n B i s t ü m e r n u n d Kirchenämtern offen v o n dem französischen K ö n i g u n d dem K o n z i l v o n Basel i n Frage gestellt. Bei diesem G e m ä l d e haben w i r möglicherweise eine visuelle Bekräftigung der gottgewollten päpstlichen Autorität vor uns, während der Franziskaner auf die Glaubensgemeinschaft des Spenders hindeuten könnte. B e i m H i n t e r g r u n d wurde phantasievoll versucht, eine zutreffende Darstellung des mittelalterlichen Roms zu schaffen. D i e runde F o r m der Engelsburg wurde überzeugend am Ufer des Tibers m i t dem Petersdom i m H i n t e r g r u n d dargestellt. D e r Obelisk neben der Basilika hilft, die traditionellen Symbole für Roms Wahrzeichen i n einen kohärenten Stadtplan einzuordnen, w o d u r c h eine sehr frühe Ansicht einer italienischen Stadt aus der H a n d eines N o r d e u r o p ä e r s entsteht. D i e Fähigkeit, Objekte m i n u t i ö s darzustellen u n d eine i n sich stimmige räumliche U m g e b u n g zu schaffen, gehört zu den wichtigsten Leistungen der flämischen Malerei des 15. Jahrhunderts. Der Traum von Papst Sergius u n d sein Pendant, Die Exhumierung des Heiligen Hubert ( L o n d o n , N a t i o n a l Gallery), waren v e r m u t l i c h Flügel eines verlorenen gegangenen Flügelaltars, der i n der Kapelle des Heiligen H u b e r t i n der Kirche v o n Saint Gudule, Brüssel, stand. D i e Kapelle wurde u m 1440 genutzt, i n der Zeit, als Rogier Stadtmaler der Stadt Brüssel (er wurde vor 1 4 3 5 - 3 6 bestellt) war. Dendrochronische Analysen der Eichentafel weisen ebenfalls auf ein D a t u m u m 1440 h i n . Besonderheiten bezüglich der Qualität u n d der räumlichen Gestaltung lassen nicht auf eine direkte M i t w i r k u n g Rogiers schließen, u n d die Tafel gilt allgemein als ein W e r k aus dem Atelier des Meisters. DJ HOLLÄNDISCHE U N D FLÄMISCHE SCHULEN 45 23 J A N B R U E G H E L DER ÄLTERE Flandern, 1568-1625 Der Einzug der Tiere auf Noahs Arche, 1613 Öl auf Holz 54,6 x 83,8 cm Unten rechts signiert BRUEGHEL 92.PB.82 FEG 1613 Bei A n b r u c h der Moderne herrschte i n Europa ein großes Interesse an der präzisen A b b i l d u n g der Natur, wie die Landschaften u n d Stilleben v o n Jan Brueghel beweisen. Der Künstler bevorzugte kleinformatige Bilder, die an Miniaturmalerei erinnern. D i e Tonalität seiner Landschaften ist durchaus schöpferisch. Das B i l d zeigt einen Waldschauplatz i n leuchtenden Farben, die den E i n d r u c k v o n üppiger N a t u r vermitteln. Ebenso hatte der Künstler ein besonderes Talent für die Darstellung v o n Tieren. D i e Geschichte v o n Noahs Arche (Genesis 6 - 8 ) war ein Thema, das Brueghels Fähigkeiten sehr entgegenkam. Neben dem schmalen Strom, der die nahende Sintflut ankündigt, beobachtet eine Gruppe Neugieriger verwundert wie N o a h die Kreaturen auf die Arche treibt. Diese Tafel diente als Prototyp für Brueghels sogenannte Paradies landschaften, m i t denen der Künstler die S c h ö n h e i t u n d Vielfalt der S c h ö p f u n g preist. Brueghels Ernennung z u m Hofmaler des Erzherzogs Albert u n d der Infantin Isabella Clara Eugenia i m Jahre 1609 erlaubte i h m , exotische Tiere lebendig i n der Menagerie des Erzherzogs i n Brüssel zu studieren. D i e Vorlagen für die Darstellung der L ö w e n , des Pferdes u n d der Leoparden fand er allerdings i n den Arbeiten seines großen Freundes Peter Paul Rubens. D i e L ö w e n sind auf Daniel in der Höhle des Löwens (Washington, D . C . , N a t i o n a l Gallery o f A r t ) abgebildet, das Pferd erscheint auf mehreren Reiterporträts aus Rubens spanischer u n d italienischer Periode; u n d die Leoparden auf Leoparden, Satyre und Nymphen 46 H O L L Ä N D I S C H E U N D FLÄMISCHE SCHULEN (Montreal M u s e u m o f Fine Arts). DC 24 J O A C H I M W T E W A E L Niederlande, 1566-1638 Mars und Venus werden von Vulcanus überrascht, 1 6 0 6 - 1 0 Öl auf Kupfer 20,25 x 15,5 cm Unten rechts signiert JOACHIMWTEN/WAEL FECIT 83.PC.274 Dieses bezaubernde G e m ä l d e auf Kupfer, eines der kleinsten u n d kostbarsten G e m ä l d e des Museums, stellt eine Episode aus Ovids Metamorphosen dar, i n der Vulcanus Venus überrascht, die m i t Mars i m Bett liegt. Vulcanus, rechts, entfernt das Bronzenetz, das er geschmiedet hatte, u m das ehebrecherische Paar zu fangen, w ä h r e n d C u p i d o u n d A p o l l o darüber schweben u n d den Vorhang zurückziehen. M e r k u r , der i n der N ä h e v o n Vulcanus steht, schaut vergnügt zu Diana hinüber, w ä h r e n d Saturn, der a u f einer W o l k e sitzt, verstohlen lächelnd auf den gehörnten Gatten herunterblickt. Jupiter, i m H i m m e l , scheint gerade erst gekommen zu sein. D u r c h eine Ö f f n u n g i m Bettvorhang ist Vulcanus ein zweites M a l zu sehen, wie er sein Netz schmiedet. Mythologische T h e m e n dieser A r t waren besonders w ä h r e n d des 16. Jahrhunderts beliebt, als das Interesse an der klassischen W e l t seinen H ö h e p u n k t erreichte. Diese Darstellung ist ein Beispiel dafür, welch große Faszination das menschliche Fehlverhalten, insbesondere Szenen lüsternder Fehltritte, auf die H o l l ä n d e r a u s ü b t e . Wtewael n i m m t hier den derben H u m o r des späten 17. Jahrhunderts vorweg. Kupfer als G e m ä l d e g r u n d war während des späten 16. u n d des frühen 17. Jahrhunderts besonders beliebt. D i e harte polierte Oberfläche eignete sich für kleine, äußerst detailreiche Bilder. Kupfer ermöglicht eine feinere Farbabstufung u n d größere Farbintensität als ein Leinenuntergrund. Glücklicherweise ist das G e m ä l d e i n einem v o l l k o m m e n e n Zustand. Möglicherweise wurde es aufgrund seines erotischen Sujets viele Jahre versteckt u n d somit geschützt. Das G e m ä l d e i m Besitz des Museums ist v e r m u t l i c h das G e m ä l d e , das fur Joan van Weely, einem Amsterdamer Juwelier, i n Auftrag gegeben wurde. 48 HOLLÄNDISCHE U N D FLÄMISCHE SCHULEN BF 25 A M B R O S I U S B O S S C H A E R T DER ÄLTERE Niederlande, 1573-1621 Blumenstilleben, 1614 Öl auf Kupfer 28,6 x 38,1 cm Unten links signiert .AB. 1614. 83.PC.386 Florale Stilleben kamen sowohl i n den Niederlanden als auch i n Deutschland kurz vor Ende des 16. Jahrhunderts auf u n d standen i m Zusammenhang m i t dem zunehmenden Interesse an Botanik. A u ß e r d e m entwickelte sich das Sammeln verschiedener Blumenarten - für viele H o l l ä n d e r bereits eine Leidenschaft - i m Laufe des 17. Jahrhunderts praktisch zu einem nationalen Zeitvertreib (vgl. N r . 38). M i d d e l b u r g , ein wichtiger Seehafen u n d ein bedeutendes Handelszentrum sowie Hauptstadt der Provinz Zeeland, war das Z e n t r u m der Produktion. Der Begründer der Middelburger Schule war Ambrosius Bosschaert, der sein gesamtes Schaffen der Stillebenmalerei widmete. Stilleben hatten oft symbolische oder religiöse Konnotationen, u n d die B l u m e n w u r d e n manchmal zur Darstellung der Vergänglichkeit des Lebens benutzt oder als Hinweis auf Rettung u n d E r l ö s u n g . Das auf Kupfer gemalte Stilleben (vgl. N r . 24) i m Besitz des Getty-Museums zeigt einen B l u m e n k o r b m i t Insekten, darunter eine Libelle, die sich unweit v o m K o r b auf dem Tisch ausruht, u n d ein Schmetterling, der auf einem Tulpenstiel sitzt. W e n n die Komposition für den Betrachter früher einmal eine besondere Bedeutung hatte, so ist uns diese n i c h t mehr bekannt. Uns bleibt jedoch die Freude an der Frische der B l u m e n u n d der feinen Wiedergabe der Details. W i e so oft enthält das B i l d eine Reihe v o n B l u m e n , die nicht zur selben Jahreszeit geblüht haben können: Rosen, Vergißmeinnicht, Maiglöckchen, ein Alpenveilchen, ein Veilchen, eine Hyazinthe u n d natürlich Tulpen. Alle B l u m e n sind klar u n d einfach arrangiert, der K o r b steht i n der M i t t e u n d die einzelnen Blüten sind parallel zur Bildebene angeordnet. BF H O L L Ä N D I S C H E U N D F L Ä M I S C H E S C H U L E N 49 26 PETER PAUL RUBENS D a er als der größte Maler seiner Zeiten galt, erhielt Rubens aus ganz Europa Aufträge Flandern, 1577-1640 u n d schuf tiefgründige, ursprüngliche Aussagen zu fast jedem erdenklichen Thema. Die Grablegung, ca. 1612 U n t e r seinen wichtigsten Beiträgen zur Barockkunst sind seine religiösen G e m ä l d e , Öl auf Leinwand die E m o t i o n e n m i t einer unübertroffenen Intensität ausdrücken. 131 x 130,2 cm 93.PA.9 Dieses eindrucksvolle G e m ä l d e wurde sorgfältig k o m p o n i e r t , u m die A n d a c h t der G l ä u b i g e n auf das Opfer u n d Leiden Jesu C h r i s t i zu lenken. Der schöne Leichnam w i r d ehrfürchtig v o n jenen gestützt, die i h m zu Lebzeiten am nächsten standen. Links steht Johannes der Evangelist. M a r i a Magdalena w e i n t i m H i n t e r g r u n d , w ä h r e n d ihre ständige Begleiterin, M a r i a , die M u t t e r des Jakobus dem J ü n g e r e n u n d Josephs, rechts die verwundete H a n d v o n Jesus betrachtet. Der Betrachter kann sich dem Wehklagen der Trauernden n i c h t entziehen u n d sein Schmerz w i r d auf die Jungfrau M a r i a gelenkt, die i m M i t t e l p u n k t der Gruppe weinend den H i m m e l anfleht. Rubens war ein frommer K a t h o l i k u n d seine G e m ä l d e verleihen den Hauptanliegen seiner Religion Gestalt. U m die religiöse Erfahrung für den einzelnen greifbarer zu gestalten, folgte die Kunst der zeitgenössischen christlichen Lehre, die die G l ä u b i g e n ermunterte, sich die körperlichen Qualen bei der Kreuzigung C h r i s t i zu verbildlichen. H i e r ist der K o p f v o n Christus, versteinert durch die Q u a l des Todes, dem Betrachter direkt zugewandt. Rubens zwingt uns auch, die klaffende W u n d e an C h r i s t i Seite zu betrachten, i n d e m er sie genau i n den M i t t e l p u n k t der Leinwand stellt. D i e Komposition insgesamt sowie die Z e i c h n u n g der heroischen M u s k u l a t u r vermitteln die Hilflosigkeit des Subjekts. D i e Greueltat der Kreuzigung w i r d nicht heruntergespielt, sondern i n höchster V o l l e n d u n g behandelt. So w i r d das aus der W u n d e quellende B l u t durch einen beredten Pinselduktus geschaffen, der liebevoll unter sparsamster Verwendung der M i t t e l aufgetragen wurde. D e r Künstler fügt dieser häufig anzutreffenden Darstellung des Wehklagens u m den Leichnam C h r i s t i einige symbolische Elemente h i n z u . Diese E r g ä n z u n g e n spiegeln die theologischen u n d politischen Anliegen der Gegenreformation A n f a n g des 17. Jahrhunderts wider. So erinnert die Felsplatte, auf die der Leichnam gelegt wurde, an einen Altar, während das Büschel Weizenhalme auf das Brot der Eucharistie, den Stellvertreter für den Leib C h r i s t i i n der Messe, anspielt. Z u jener Z e i t verteidigte die R ö m i s c h e Kirche das M y s t e r i u m der W a n d l u n g , also den Glauben an das tatsächliche Vorhandensein des Leib C h r i s t i i n der eucharistischen Gabe, gegen die protestantische K r i t i k . D i e Anspielung auf den Altar u n d die eucharistische Bedeutung k ö n n t e n darauf hindeuten, daß dieses W e r k geschaffen wurde, u m als A l t a r g e m ä l d e i n einer kleinen Kapelle, vielleicht i n einer, die der Verehrung der Eucharistie gewidmet war, aufgehängt zu werden. 50 HOLLÄNDISCHE U N D FLÄMISCHE SCHULEN DC 27 A N T O N V A N D Y C K Flandern, 1599-1641 Agostino Pallavicini, ca. 1621 O l auf Leinwand 216 x 141 cm Oben rechts, nahe der Stuhllehne, signiert AnT US 68.PA.2 Van Dyck fecit. Van Dycks R u f als Künstler breitete sich bereits i n ganz Europa aus, als er 1621 nach Italien reiste. Zuerst begab er sich nach Genua, w o h i n die Flamen bereits seit zwei Jahrhunderten Kontakte hatten, was vor allem darauf zurückzuführen ist, daß die Genueser enge Handelsbeziehungen zu A n t w e r p e n , van Dycks H e i m a t , unterhielten. Er blieb fünf Jahre i n Italien, reiste d u r c h das L a n d , u m große Privatsammlungen italienischer Malerei zu besichtigen, u n d wurde w ä h r e n d dieser Z e i t oft als Porträtmaler engagiert. Es war aber Genua, w o van D y c k seinen größten Erfolg verbuchen konnte u n d einige seiner berühmtesten u n d eindrucksvollsten Bilder schuf. Das hier ausgestellte Porträt zeigt ein M i t g l i e d eines Genueser Zweigs der Familie Pallavicini, deren Wappen links hinter dem Porträtierten auf dem Vorhang zu sehen ist. D e r Porträtierte w i r d i n einer fließenden roten Robe dargestellt, die geradezu i m M i t t e l p u n k t des G e m ä l d e s steht. I n seiner rechten H a n d hält er einen Brief, der i h n früher wahrscheinlich einmal ausgewiesen hat, heute aber n i c h t mehr lesbar ist. A u f g r u n d anderer dokumentierter Porträts läßt sich jedoch sagen, daß es sich hier u m Agostino Pallavicini ( 1 5 7 7 - 1 6 4 9 ) handelt. Der Schriftsteller G i o v a n n i Pietro Bellori, der 1672 van Dycks Aufenthalt i n Genua beschrieb, berichtet, daß der Künstler "Seine Durchlaucht, den D o g e n Pallavicini i n der Tracht des Botschafters am Heiligen Stuhl malte". Pallavicini wurde erst 1637 z u m D o g e n (gewähltes Staatsoberhaupt der Republik Genua) ernannt, aber er wurde schon 1621 nach R o m gesandt, u m dem neugewählten Papst Gregor X V . seine A u f w a r t u n g zu machen, u n d i n dieser Eigenschaft sehen w i r i h n hier vor uns. D a m i t ist das G e m ä l d e i m Besitz des GettyMuseums eines der ersten, die van D y c k nach seiner A n k u n f t i n Italien anfertigte. Unsere heutigen Vorstellungen über den Genueser A d e l des 17. Jahrhunderts verdanken wir, mehr als jedem anderen Künstler, vor allem van D y c k , u n d dieses G e m ä l d e ist ein typisches Beispiel für die Großartigkeit u n d Erhabenheit seiner Porträts. Es handelt sich meistens u m lebensgroße G a n z p o r t r ä t s vor einem H i n t e r g r u n d aus Säulen u n d wallenden, luxuriösen Vorhängen. Z u jener Z e i t konnte k e i n anderer Künstler i n Italien denselben großartigen Effekt erzielen, u n d das Ergebnis faszinierte den europäischen A d e l so sehr, daß van Dycks Stil allmählich den M a ß s t a b für die Porträtmalerei i n Italien, England u n d Flandern setzte. 52 HOLLÄNDISCHE U N D FLÄMISCHE SCHULEN BF 28 A N T O N V A N D Y C K Flandern, 1 5 9 9 - 1 6 4 1 Thomas Howard, Der Graf von Arundel, ca. 1 6 2 0 - 2 1 Öl auf Leinwand 102,8 x 79,4 cm 86.PA.532 Thomas H o w a r d , zweiter G r a f v o n A r u n d e l ( 1 5 8 5 - 1 6 4 6 ) , war zu A n f a n g des 17. Jahrhunderts einer der großen englischen Kunstsammler u n d Förderer der Kunst. D a auch K ö n i g Charles I . sein Interesse teilte, gelang es dem Grafen, das Ansehen seines i n jüngster Z e i t i n Ungnade gefallenen Hauses wiederherzustellen. Dieses Porträt zeugt v o n Arundels begnadeter Kennerschaft. Anscheinend hatte er van Dycks Talent vor den meisten seiner Zeitgenossen erkannt u n d gab das W e r k zwischen 1620 u n d 1 6 2 1 , w ä h r e n d eines kurzen Englandaufenthalts des Künstlers i n Auftrag. Dies ist eines der drei noch erhaltenen G e m ä l d e aus der Z e i t dieses Besuchs. A r u n d e l w i r d als M i t g l i e d des Hosenbandordens dargestellt. Er hält das goldene M e d a i l l o n des Heiligen Georg (der sogenannte Georg, der Geringere), eines der Embleme, das die vierundzwanzig Ritter trugen, die die wichtigsten u n d adligsten M ä n n e r u m den K ö n i g waren. A m rechten Rand hat van D y c k freimütig m i t ein paar breiten Strichen eine Landschaft angedeutet, die sowohl Arundels als auch seiner eigenen Bewunderung der venezianischen Malerei, insbesondere Tizians Spätwerk, huldigt. V a n Dycks Fähigkeit, seinen M o d e l l e n eine feinsinnige Erhabenheit zu verleihen, machte i h n z u m berühmtesten flämischen Porträtmaler i n Europa. Dieses W e r k k ü n d e t bereits v o n dem Genie, das später i n den 1630er Jahren den H o f der Stuarts verewigen sollte. 54 HOLLÄNDISCHE U N D FLÄMISCHE SCHULEN DJ 29 PIETER JANSZ. SAENREDAM Niederlande, 1597-1665 Innenansicht der Kirche von Sankt Bavo, Haarlem, 1628 Öl auf Holz 38,5 x 47,5 cm Unten rechts signiert P. SAENREDAM F. AD 1628 85.PB.225 N a c h d e m die Architekturmalerei zunächst i m 16. Jahrhundert i n Flandern praktiziert wurde, wurde sie v o n einer Reihe niederländischer Maler zu einer hochspezialisierten Kunstgattung erhoben. Sie konzentrierten sich auf die A b b i l d u n g jener schmucklosen Kirchen, die n i c h t n u r i m H i n b l i c k auf die Religion, sondern auch auf das Lebens an sich, einen strengen Denkansatz erkennen ließen. Saenredam w i r d als B e g r ü n d e r dieser Tradition i n den Niederlanden angesehen. D i e früheren flämischen Architekturansichten waren vor allem Ü b u n g e n i n der neuerdings perfektionierten Technik des perspektivischen Zeichnens u n d die dargestellten G e b ä u d e meist Phantasiegebilde. Saenredam machte eine A u s b i l d u n g als Bauzeichner, u n d das G e m ä l d e i m Besitz des Museums, das auf 1628 datiert ist, ist das frühste Beispiel für Saenredams Arbeiten. Es ist das erste aus einer Serie v o n G e m ä l d e n u n d Zeichnungen der Kirche Sankt Bavo i n Haarlem. Anstatt v o m Mittelschiff aus zu skizzieren, wählte Saenredam oft mehr seitlich gelegene Punkte. Er zeichnete einen vollständigen Entwurf, den er direkt auf eine vorbereitete Holztafel übertrug. Er n a h m oft noch Veränderungen an der K o m p o s i t i o n vor. Eine der beiden Vorzeichnungen für dies G e m ä l d e zeigt, daß der Künstler sich entschied, drei T ü r e n am rückwärtigen Querschiff wegzunehmen u n d durch ein Altargemälde zu ersetzen. Er rundete auch die seitlichen gothischen Bogen ab u n d fügte Glasfenster hinzu. Trotz dieser Abweichungen vermitteln die feine, fast monochromatische Farbgebung u n d die S t i m m u n g des Bildes einen genauen E i n d r u c k der A t m o s p h ä r e i n einer holländischen Kirche. H O L L Ä N D I S C H E U N D FLÄMISCHE SCHULEN BF 55 30 REMBRANDT I n den Metamorphosen HARMENSZ. V A N RIJN Stier verkleidet, die Prinzessin Europa v o n ihren Begleiterinnen weglockt u n d sie über Niederlande, 1606-1669 das Meer trägt. Rembrandt setzt den Inhalt u n d die L y r i k der klassischen E r z ä h l u n g Die Entführung der Europa, 1632 Öl auf Holz 62,2 x 77 cm A u f dem braunen Stein unter der ( 2 : 8 3 3 - 875)erzählt der D i c h t e r O v i d , wie Jupiter, als weißer u m , i n der es über Europa heißt, "angstvoll bemerkt es die Jungfrau, sie schaut zurück nach der K ü s t e ; hält m i t der Rechten u m k l a m m e r t ein H o r n . . . e s flattert das K l e i d u n d bauscht sich i m W i n d e " . Rembrandt bereichert außerdem Ovids E r z ä h l u n g durch stehenden Frau unten rechts signiert seine eigene lebhafte Charakterisierung der Gefühle. Europa, überrascht über ihre RHL van Ryn. 1632. Entführung, wendet sich ihren Begleiterinnen zu. D i e jüngere w i r f t vor Entsetzen die 95.PB.7 A r m e i n die Luft u n d läßt die Blumengirlande fallen, die noch wenige M o m e n t zuvor für den Hals des Stieres gedacht war. I h r plötzlicher Schreck steht i m Widerspruch zu dem gefaßten K u m m e r ihrer älteren Gefährtin, die sorgenvoll ihre H ä n d e verschränkt, als sie sich aufrichtet, u m einen letzten Blick auf die Prinzessin zu werfen. Sie allein versteht das Schicksal der Europa, u n d deshalb ist sie es, der die Prinzessin einen letzten Blick zuwirft. Rembrandts Sinn für das Komische n i m m t dem D r a m a die Schärfe. Jupiter bringt, d u r c h seine Verkleidung gehemmt, den T r i u m p h nach A r t der Stiere z u m Ausdruck, i n d e m er aufgeregt den Schwanz emporhebt, als er ins Wasser springt. Jupiters Reaktion steht i n einem scharfen Gegensatz zu den passiven, seelenlosen Pferden, die vor den grandiosen u n d regungslosen Wagen gespannt sind. Scheinbar zu groß für die Straße u n d m i t dem i m Schatten u n n ü t z aufgespannten Sonnenschirm, kontrastiert die Kutsche m i t dem behenden weißen Stier, der Europa i n das L i c h t i n R i c h t u n g des neuen Kontinents trägt, der einst ihren N a m e n tragen w i r d . Eine leuchtende Landschaft ist ein weiterer Protagonist dieses Dramas. D i e dunkle Baumgruppe dient als Kontrast für die lichtdurchbrochenen rosa u n d blauen Flächen des Meeres u n d des H i m m e l s . D e r niedrige H o r i z o n t schafft einen weiten Ausblick, i n dem W o l k e n , Ufer u n d Meer sanft aufeinander zurollen. Entlang des Horizonts liegt, i n Nebel gehüllt, Tyros, die v o n Europa verlassene Stadt. D i e glitzernden, goldenen Glanzpunkte der Kutsche u n d die abwechslungsreichen Texturen der luxuriösen G e w ä n d e r zeigen, daß Rembrandt hier i n seinem meisterhaften Talent für visuelle Effekte schwelgte, u n d laden zudem den Betrachter ein, sich an seiner Liebe z u m D e t a i l zu ergötzen. D i e schimmernden Reflexionen des Meeres, die aufspritzende Gischt u m den Schuh der v o r n e h m gekleideten Prinzessin, der das Wasser durchpflügt, u n d i h r sanfter G r i f f i n das weiche Fleisch des Stiernackens nehmen das Auge gefangen u n d prägen sich dem Betrachter ein. Das G e m ä l d e legt ein Zeugnis über den jungen Künstler ab, der i m Jahre 1632 nach seiner A n k u n f t i n Amsterdam auf der H ö h e seiner Schaffenskraft arbeitete. DA H O L L Ä N D I S C H E U N D F L Ä M I S C H E S C H U L E N 57 31 R E M B R A N D T H A R M E N S Z . V A N RIJN Niederlande, 1606-1669 Daniel und Cyrus vor dem Götzenbild Bel, 1633 Öl auf Holz 23,4 x 30,1 cm A u f dem Podest unten rechts signiert Rembrant f. 1633. 95.PB.15 Rembrandt stellt eine Episode aus dem apokryphen Buch Daniel dar, die schildert, wie D a n i e l die Götzenverehrung am babylonischen H o f entlarvt, w o er ein Vertrauter des Perserkönigs Cyrus geworden ist. Als Cyrus i h n fragt, w a r u m er nicht den G o t t Bel verehre, antwortet Daniel, daß er einen lebendigen G o t t verehre, nicht ein B i l d . H i e r beharrt der K ö n i g darauf, daß Bel ein lebendiger G o t t sei, u n d deutet auf die großzügigen Opfergaben guter Speisen u n d Weine. Daniel erwidert sanft, daß Bronzestandbilder nicht essen. W ä h r e n d Cyrus für einen M o m e n t v e r w i r r t ist, bestätigt das besorgte Gesicht des Priesters i m H i n t e r g r u n d , daß Daniel etwas i m Schilde führt. Rembrandt beschwört des M y s t e r i u m eines heidnischen Kults herauf, i n d e m er n u r einen Ausschnitt des monumentalen G ö t z e n i m flackernden Lampenlicht auftauchen läßt. E i n Lichtstrahl lenkt die Aufmerksamkeit auf die Begegnung i m M i t t e l p u n k t der Erzählung. Rembrandt fängt Cyrus' V e r w i r r u n g i n höchster Vollendung ein. Das Gesicht Daniels sehen w i r nicht. Der beeindruckendste Aspekt v o n Rembrandts Interpretation ist die ironische Gegenüberstellung des mächtigen K ö n i g s m i t dem kleinen, d e m ü t i g e n Knaben, der v o n G o t t gesandt wurde. Rembrandt schuf dieses G e m ä l d e ein Jahr nach der Entführung der Europa (siehe vorangehenden Beitrag). Beide Werke beweisen seine Begabung als Geschichtenerzähler. D i e E n t w i c k l u n g einer prägnanten, dramatisch inszenierten K o m p o s i t i o n u n d der breite, freie Pinselduktus sind wesentliche Kennzeichen seines reifen Stils. DC H O L L Ä N D I S C H E U N D F L Ä M I S C H E S C H U L E N 59 32 REMBRANDT Dieses G e m ä l d e ist eines aus einer Reihe v o n Apostelbildern, die auf 1661 datiert HARMENSZ. V A N RIJN sind. D i e Porträts waren offensichtlich n i c h t für einen gemeinsamen Ausstellungsort Niederlande, 1 6 0 6 - 1 6 6 9 bestimmt, da sie v o n unterschiedlicher G r ö ß e sind u n d zudem n i c h t anzunehmen Der Heilige Bartholomäus, 1661 Öl auf Leinwand 86,5 x 75,5 cm Unten rechts signiert Rembrandt/f. 1661 71.PA.15 ist, daß der Künstler jemals alle zwölf J ü n g e r Jesu abgebildet hat. D i e Existenz dieser Bilderserie läßt vermuten, daß Rembrandt sich zu jener Zeit, n u r acht Jahre vor seinem T o d , vielleicht persönlich m i t der Bedeutung der Apostel beschäftigte. Jedes der bekannten Porträts erweckt den E i n d r u c k , daß es nach einem M o d e l l gemalt wurde, wahrscheinlich ein Freund oder Nachbar, was für Rembrandt eine durchaus normale Arbeitsweise war. D i e Idee, daß ein Mensch wie d u u n d i c h m i t einer biblischen Figur identifiziert werden konnte u n d dadurch der Lehre C h r i s t i eine noch größere Unmittelbarkeit verlieh, entspräche durchaus dem religiösen K l i m a i m Amsterdam der damaligen Zeit. D e r Heilige B a r t h o l o m ä u s w i r d m i t einem Schnurrbart u n d einem breiten, leicht ratlosen Gesicht dargestellt. D i e unbeirrbaren, nachdenklich anmutenden Menschen, Menschen ohne besondere gesellschaftliche Stellung, die Rembrandt oft als Modelle für solche G e m ä l d e wählte, wären n i c h t eindeutig als der jeweilige Heilige erkennbar, w e n n sie n i c h t bestimmte G e g e n s t ä n d e i n den H ä n d e n hielten - i n diesem Fall ein Messer, ein traditionelles A t t r i b u t , das sich auf den U m s t a n d bezieht, daß B a r t h o l o m ä u s bei lebendigem Leibe die H a u t abgezogen wurde. Ihre Kleidung, deren Schlichtheit an biblische Zeiten erinnern soll, hatte nichts m i t den steifen Kragen u n d A n z ü g e n gemeinsam, die v o n der holländischen Oberschicht des 17. Jahrhunderts getragen w u r d e n . Der Heilige Bartholomäus w i r d i n dem breiteren, freieren Stil der letzten reifen Schaffensperiode des Künstlers dargestellt. Er benutzte Palettenmesser u n d den stumpfen Stiel seiner Pinsel u n d seine Technik ist wesentlich geradliniger als die seiner Zeitgenossen. D i e Auslegungsgeschichte dieses G e m ä l d e s ist durchaus interessant. I m 18. Jahrhundert ging m a n davon aus, daß hier Rembrandts K o c h abgebildet sei, was durchaus den M o t i v e n aus dem täglichen Leben - insbesondere Dienstboten u n d einfache, arbeitende Leute - entspräche, die für die damalige französische Kunst charakteristisch sind. I m 19. Jahrhundert, einer Ära, die eine Vorliebe für tragische oder dramatische T h e m e n empfand, hielt m a n den Heiligen für einen M ö r d e r , ein Verständnis, zu dem das Messer u n d der bohrende Blick des Mannes zweifellos beitrugen. 60 HOLLÄNDISCHE U N D FLÄMISCHE SCHULEN BF 33 J A N V A N D E C A P P E L L E Niederlande, 1625/26-1679 Schiffe in der Windstille vor Vlissingen, eine generalstaatliche Yacht schießt Salut, 1649 Öl auf Holz 69,7 x 92,2 cm 96.PB.7 U m die M i t t e des 17. Jahrhunderts hatte die H o l l ä n d i s c h e Republik den H ö h e p u n k t ihrer M a c h t als weltweites Handelsimperium erreicht, u n d ihre Herrschaft über die Meere fand i n der aufkommenden Seemalerei ihren Ausdruck. I m Jahre 1649 wiesen Jan van de Capelle u n d S i m o n de Vlieger der holländischen Seemalerei eine neue Richtung, i n d e m sie neue G a t t u n g der "Parade"-Bilder begründeten. Dabei handelt es sich u m G e m ä l d e , auf denen sich grandiose Schiffe aus einem besonderen Anlaß unter zumeist hochaufgetürmten Wolkengebilden versammeln. A u f dem G e m ä l d e Schiffe in der Windstille schießt eine staatliche Yacht Salut, u m die A n k u n f t eines Würdenträgers anzukündigen, der rechts m i t einer Barkasse z u m Ufer übergesetzt w i r d . Offensichtlich v o n dem G e r ä u s c h unbeirrt ziehen ein paar T ü m m l e r friedlich durch das ruhige Gewässer. Diese waren durchaus häufiger i n Vlissingen anzutreffen, dem geschäftigen Hafen, den die holländische OstindienKompagnie benutzte u n d der oft auf den G e m ä l d e n v o n van de Capelle dargestellt ist. A u c h dieses Werk, das zu den frühesten signierten u n d datierten Werken gehört, zeugt v o n van de Cappelles hochentwickeltem Stil u n d seiner bemerkenswerten technischen Virtuosität. Der Maler stellt sein vollendetes grafisches u n d formales K ö n n e n an den detailreichen Schiffen, der Takelung u n d den Segeln, sowie seine Beherrschung der atmosphärischen u n d optischen Effekte durch die Reflexionen auf dem Wasser unter Beweis. Dieses dramatische Spalier der Schiffe, die den weiten Blick über das Wasser einrahmen, u n d ihre nahe u n d dominierende Betrachtungsweise sind bahnbrechende Beiträge z u m Genre des Seegemäldes. AFK H O L L Ä N D I S C H E U N D F L Ä M I S C H E S C H U L E N 63 34 J A C O B V A N R U I S D A E L Niederlande, Zwei 1628/29-1682 Wassermühlen und eine geöffnete Schleuse, 1653 O l auf Leinwand 66 x 84,5 cm Unten links signiert JVR [als Monogramm] 1653 82.PA.18 Seit dem 17. Jahrhundert gilt Jacob van Ruisdael als der wichtigste Landschaftsmaler der Niederlande. Der Wandel der traditionellen Landschaftsmalerei zur Naturstudie w i r d i h m zugeschrieben. Zwei Wassermühlen und eine geöffnete Schleuse, das er i m Alter v o n knapp fünfundzwanzig Jahren anfertigte, ist ein aussagekräftiger Beweis für das frühe Reifen seines Stils. U m 1650 unternahm Ruisdael eine Reise nach Westfalen u n d unterwegs sah er offensichtlich einige Wassermühlen i n Singraven, einer Stadt i n der holländischen Provinz Overijssel. Er malte einige Ansichten dieser M ü h l e n . Das B i l d i m Besitz des Museums ist eine v o n sechs bekannten Variationen u n d die einzige, die datiert wurde. E i n Vergleich der sechs Variationen zeigt, daß der Künstler sich n i c h t scheute, den Schauplatz u n d einige Feinheiten der M ü h l e n neu zu arrangieren, u m seine K o m p o s i t i o n zu verbessern. W ä h r e n d das Aussehen der bäuerlichen G e b ä u d e sich insgesamt n i c h t änderte, n a h m Ruisdael sich die Freiheit, seitlich kleine Schuppen hinzuzufügen oder die F o r m des Daches zu verändern u n d i h m ein anderes Profil zu geben. Ebenso versetzte er B ä u m e u n d fügte H ü g e l h i n z u , u m die Landschaft abwechslungsreicher zu gestalten. O b w o h l seine Ansichten i n vielerlei H i n s i c h t topografisch zutreffend sind u n d v o n einem genauen S t u d i u m der N a t u r zeugen, sah er sich n i c h t verpflichtet, jedes Element einer Landschaft so abzubilden, wie es vor O r t aussah. I m fortgeschrittenen Alter h a l f er m i t , die große Nachfrage nach exotischeren Landschaften zu befriedigen, i n d e m er Ansichten v o n Wasserfällen malte, w o z u i h n offenbar G e m ä l d e u n d Zeichnungen aus Skandinavien inspirierten. Diese Werke lebten stärker v o n der Vorstellungsgabe des Künstlers. Das G e m ä l d e i m Besitz des Museums ist eine A b b i l d u n g einer der w o h l wenigen O r t e , an denen Ruisdael tatsächlich w i l d rauschendes Wasser gesehen hat. 64 HOLLÄNDISCHE U N D FLÄMISCHE SCHULEN BF 35 PAULUS POTTER Niederlande, 1 6 2 5 - 1 6 5 4 Der Schecke, 1 6 5 0 - 5 4 O l auf Leinwand 49,5 x 45 cm Unten links signiert Paulus Potter f. 88.PA.87 Paulus Potter war der innovativste u n d einflußreichste holländische Tiermaler. Unter seinen H ä n d e n w u r d e n K ü h e u n d Pferde z u m M i t t e l p u n k t eines G e m ä l d e s , statt reiner Staffage i n einer größeren Szene. H i e r steht ein gefleckter Hengst majestätisch auf einer leichten A n h ö h e u n d d o m i n i e r t eine weitläufige Landschaft. D u r c h den niedrigen H o r i z o n t verlieh Potter dem großartigen R o ß eine fast heroische M o n u m e n t a l i t ä t . D e r K o p f w i r d i m vollen Profil dargestellt u n d hebt sich dramatisch v o n den aufgetürmten Wolkenformationen ab. I n der B i l d m i t t e kehrt ein vornehmer Reiter, begleitet v o n H u n d e n u n d einem Stallknecht, i n seinen Landsitz am rechten Rand zurück. Potters Darstellung des Tieres ist so fein beobachtet, daß es sich u m ein Porträt eines preisgekrönten Tieres dieses Landbesitzers handeln dürfte. V o n Potter w i r d gesagt, er sei m i t dem Skizzenbuch i n der H a n d i n H o l l a n d über das L a n d gezogen, u m seine M o t i v e zu studieren. Seinen letztendlichen Erfolg verdankt er seiner innigen Liebe zu den v o n i h m dargestellten Tieren. Er n i m m t nicht nur die außerordentliche S c h ö n h e i t ihrer glänzenden Felle u n d M ä h n e n wahr, sondern es gelingt i h m auch, Charakter u n d emotionale K o m p l e x i t ä t aus seinen Bildern sprechen zu lassen. A u f diesem B i l d scheint das Pferd empfindsam u n d wachsam zu sein, als ob es auf die fernen J a g d g e r ä u s c h e höre. Potter zeigt dem Betrachter, daß w i r solche Tiere zwar z ä h m e n u n d lenken k ö n n e n , deren eigene W e l t aber nie völlig verstehen werden. I n seinem Buch der Maler aus dem Jahre 1604 schreibt der Kunsttheoretiker Karel van Mander, daß der größte Maler der A n t i k e , Apelles, Pferde so realistisch darstellte, daß echte Pferde bei deren A n b l i c k wieherten. M i t Werken wie Der Schecke m u ß Potter versucht haben, zu seinem antiken Vorgänger i n Konkurrenz zu treten. Seine V i s i o n u n d sein handwerkliches K ö n n e n sind u m so bemerkenswerter, w e n n m a n bedenkt, daß er bereits i m Alter v o n neunundzwanzig an Tuberkulose starb. Er hat die Tierdarstellung i n der westlichen Kunst tiefereifend beeinflußt. DC H O L L Ä N D I S C H E U N D F L Ä M I S C H E S C H U L E N 65 36 J A N S T E E N Niederlande, 1626-1679 Die Zeichenstunde, ca. 1665 Öl auf Holz 49,3 x 41 cm Unten links signiert JStein [die ersten beiden Buchstaben monogrammiert und die letzten drei Buchstaben ungeklärt] 83.PB.388 A u f dem G e m ä l d e Die Zeichenstunde b r i n g t ein Künstler einem kleinen Jungen u n d einer Jugendlichen das Zeichnen bei. Das G e m ä l d e zeigt eine ungewöhnlich detailreiche Ansicht eines Künstler ateliers. A u f dem Tisch liegen Pinsel u n d Stifte u n d ein Holzschnitt des holländischen Künstlers Jan Lievens, der den K o p f eines alten Mannes zeigt u n d u m 1640-55 entstand. Neben dem Zeichenpult steht ein G i p s a b g u ß einer m ä n n l i c h e n Statue u n d an der W a n d , am Regal u n d der Decke h ä n g e n einige weitere G i p s a b g ü s s e . A u f dem Regal steht eine Skulptur eines Ochsen, das Symbol des Heiligen Lukas, dem Schutzheiligen der Maler (vgl. N r . 1). I m H i n t e r g r u n d finden sich eine Staffelei m i t einem G e m ä l d e darauf u n d an der W a n d eine Geige. I m Vordergrund sind weitere G e g e n s t ä n d e zu sehen, die für ein Stilleben benutzt werden k ö n n e n . Einige der Objekte i m Vordergrund - ein Lorbeerkranz, ein Totenschädel, W e i n stehen i n V e r b i n d u n g m i t dem traditionellen Vanitas-Thema (d.h. der Vergänglichkeit u n d der Unsicherheit des Lebens), das oft i n holländischen Stilleben anzutreffen ist. Steen malte keine Stilleben als solche, u n d die A n s a m m l u n g so vieler dieser G e g e n s t ä n d e legt den Schluß nahe, daß ihre Anwesenheit kein reiner Zufall ist. Tatsächlich wurde Steen am berühmtesten durch seine Darstellungen menschlicher Eigenheiten u n d Fehler. O f t porträtierte er sich selbst u n d andere als Säufer oder als prahlerische Narren. Er verzichtete selten darauf, die Torheit dieses Tuns herauszustellen. D i e H ä u f u n g so vieler traditioneller Symbole weltlicher Eitelkeit i n Die Zeichenstunde deutet darauf h i n , daß Steen die Rolle des Künstlers als die eines Gesellschaftskritikers empfand. Das G e m ä l d e w i r d zu einer Allegorie seines eigenen Berufes. Die Zeichenstunde ist i n einem bemerkenswert guten Zustand erhalten. N u r selten entgeht ein H o l z g e m ä l d e drastischen S ä u b e r u n g e n , u n d die Details u n d die Feinheiten dieser K o m p o s i t i o n , die a u f diesem G e m ä l d e i n einer für den Maler seltenen A u s p r ä g u n g zu sehen sind, sind alle noch sehr gut erhalten. 66 HOLLÄNDISCHE U N D FLÄMISCHE SCHULEN BF 37 P H I L I P S K O N I N C K Niederlande, 1619-1688 Panoramalandschaft, Öl auf Leinwand 138,4 x 167 cm Unten rechts signiert P Köninck 1665 85.PA.32 1665 W ä h r e n d des 17. Jahrhunderts spezialisierten sich die niederländischen Künstler i n einem unvorhergesehenen A u s m a ß , u n d die meisten v o n ihnen b e m ü h t e n sich u m die Perfektionierung v o n einem oder höchstens zwei M o t i v e n . M e h r Maler w i d m e t e n sich der Kunst der Landschaftsmalerei als jeder anderen Kunstgattung, u n d innerhalb dieses Genres hatte jeder Künstler seine eigene Spezialität - beispielsweise Waldszenen, Stadtansichten oder italienische Ansichten. D i e vielleicht ungewöhnlichste A r t der Landschaftsgemälde war die Panoramaansicht. W ä h r e n d die holländische Kunst gemeinhin für ihre Liebe zur N a t u r u n d die genaue Beobachtung naturalistischer Details bekannt ist, w i r d bei der Panoramaansicht i n der Regel ein B l i c k w i n k e l hoch über der Erde eingenommen, als ob der Künstler auf der Spitze eines Berges stehe, v o n dem aus er die ansonsten flache, sich bis z u m H o r i z o n t erstreckende Landschaft überblicken kann. D a es für den Künstler i n H o l l a n d keine solchen Aussichtspunkte gab ( m i t der gelegentlichen Ausnahme v o n K i r c h t ü r m e n u n d Schiffsmasten), war er gezwungen, sich die gesamte Szene vorzustellen. D i e W o l k e n k o n n t e n selbstverständlich vor O r t gemalt werden, aber selbst die W o l k e n sind auf solchen Ansichten eher pittoresk u n d w o h l das Ergebnis einer ausgeprägten Phantasie. Panoramalandschaften w u r d e n auch i m 16. Jahrhundert, allerdings nicht besonders zahlreich, gemalt. D i e Idee wurde v o n dem holländischen Maler Hercules Seghers ( 1 5 8 9 / 9 0 - c a . 1638) wiederbelebt, u n d selbst Rembrandt malte einige G e m ä l d e dieser A r t . Diese Landschaften zählen zu den einfallsreichsten u n d individuellsten Werken beider Künstler. Es war jedoch Philips Köninck, wahrscheinlich ein Schüler Rembrandts, der das Genre am weitesten entwickelte u n d es zu seinem eigenen Spezialgebiet machte. D e r dicke Pinselstrich u n d die starken Kontraste zwischen den L i c h t - u n d Schattenbereichen a u f dem G e m ä l d e i m Besitz des Museums - eines v o n Konincks Meisterstücken - erinnern sehr an Rembrandt. D e r Naturalismus, der sich i n der Behandlung des H i m m e l s zeigt, ist jedoch v o n der Arbeit des älteren Künstlerkollegen sehr verschieden. D i e ästhetischen Fragen, die durch ein B i l d dieser A r t aufgeworfen werden, sind überaus provokativ. N u r wenige andere Künstler wagten es, die Leinwand durch eine einzige, gerade, ununterbrochene H o r i z o n t l i n i e beinahe exakt i n zwei Hälften zu teilen. Das Problem, die beiden Hälften wirkungsvoll zu verbinden, ist eines, das K o n i n c k sich absichtlich gestellt hat, u n d seine L ö s u n g verleiht dem M o t i v eine D r a m a t i k , die n u r wenige andere Landschaftsgemälde besitzen. BF H O L L Ä N D I S C H E U N D F L Ä M I S C H E S C H U L E N 69 38 J A N V A N H U Y S U M Vielleicht mehr als jeder andere Künstler spiegelt Jan van H u y s u m die Faszination Niederlande, 1682-1749 wider, die die H o l l ä n d e r für die N a t u r u n d ihre M y r i a d e n v o n Details empfanden. Blumenvase, 1722 Er arbeitete zu einer Zeit, i n der die holländische Republik i h r sogenanntes Goldenes Öl auf Holz Zeitalter bereits hinter sich gelassen u n d den vornehmen Geschmack u n d die Vorliebe 79,5 x 61 cm für D e k o r ü b e r n o m m e n hatte, die w i r m i t der Rokokoperiode i n Frankreich verbinden. A u f dem Gesims signiert JAN VAN HUYSUM 82.PB.70 FECIT 1722 Van Huysums W e r k reflektiert diesen Wandel des Geschmacks, w ä h r e n d es gleichzeitig die Treue z u m M o t i v bewahrte, die fester Bestandteil der etablierten holländischen T r a d i t i o n war. Van H u y s u m n a h m i m m e r viele verschiedene Blumenarten i n seine G e m ä l d e auf. O f t handelte es sich u m N e u z ü c h t u n g e n oder neu erworbene A r t e n , die i h m von Amsterdams passionierten Blumensammlern gebracht w u r d e n . Damals gab m a n enorme Summen für B l u m e n aus, u n d der Kreis v o n Kennern u m van H u y s u m wußte seine Fähigkeit, diese so präzise abzubilden, durchaus zu schätzen. D i e Feinheiten seiner so vollendeten Technik waren ein streng gehütetes Geheimnis. D i e K o m p o s i t i o n der Blumenvase ist einfach. D i e Vase wurde i n der M i t t e plaziert, i m H i n t e r g r u n d nichts als einen schrägen Lichtstrahl, der den Strauß hervortreten läßt. I n der Sammlung des Museums befindet sich ein weiteres G e m ä l d e v o n van H u y s u m , auf dem sowohl B l u m e n als auch Früchte dargestellt werden, das ebenfalls aus dem Jahre 1722 stammt u n d ein Pendant zu dem ersten B i l d sein k ö n n t e . Das zweite B i l d wurde allerdings asymmetrisch angeordnet. Früchte quellen über das Gesims, Früchte, 1722 Öl auf Holz 79,5 x 61 cm 82.PB.71 auf das sie gelegt w u r d e n , einige der Trauben u n d Granatäpfel sind bereits überreif u n d platzen auf. O b w o h l diese Eigenheiten einfach n u r dazu bestimmt sein k ö n n t e n , den E i n d r u c k von einem luxuriösen Lebensstandard zu vermitteln, k ö n n t e n sie auch als Kontrast zu der unverdorbenen Q u a l i t ä t der Blumenvase gedacht sein. 70 HOLLÄNDISCHE U N D FLÄMISCHE SCHULEN BF 39 V I N C E N T V A N G O G H Niederlande, 1853-1890 D i e Episode der Selbstverstümmelung u n d die Krankenhausaufenthalte, die auf seinen Streit m i t Paul Gauguin folgten, bewegten van G o g h schließlich, sich i m M a i 1889 Iris, 1889 i n die Heilanstalt Saint-Paul-de-Mausole i m französischen Saint-Remy de Provence O l auf Leinwand einweisen zu lassen. Trotz gelegentlicher, besorgniserregender Rückfälle schuf van G o g h 71 x 93 cm Unten rechts signiert Vincent 90.PA.20 fast 130 G e m ä l d e w ä h r e n d seines einjährigen Heilaufenthalts i n Saint-Rémy. O b w o h l er die Anlage w ä h r e n d des ersten Monats n i c h t verlassen durfte, bot der ü p p i g e u n d leicht verwilderte Garten der Anstalt viel Stoff für seine G e m ä l d e , die er, wie es seine Gewohnheit war, i n der N a t u r schuf. I n der ersten Woche berichtete van G o g h seinem Bruder Theo, er habe begonnen, an "einigen violetten Iris" zu arbeiten. D a ß van G o g h tief v o n den regenerativen Kräften der N a t u r beeindruckt war, k o m m t selbst i n dieser begrenzten Ansicht z u m Ausdruck. D i e blauvioletten Blüten auf ihren kräftigen Stielen besitzen eine gewisse Muskulosität. D i e Blüten stehen i n m i t t e n sich wiegender spitzer Blätter, die sich fast gewaltsam ihren Weg durch die rote Erde bahnen. Selbst der zeitgenössische K r i t i k e r Felix F é n é o n beschreibt die Iris m i t anthropomorphischen W o r t e n , o b w o h l er eher Z e r s t ö r u n g als Erneuerung i n diesem B i l d sah: " D i e 'Iris' sind brutal i n lange Streifen zerfetzt, ihre violetten Blütenblätter auf schwertartigen Blättern". I n d e m er seine Erfahrungen aus dem S t u d i u m der pointillistischen Farbtheorie, der impressionistischen T h e m e n u n d der japanischen Holzschnittdrucker einbringt, destilliert van G o g h den Gartenfleck i n gemusterte Flächen lebhafter Farben. D i e K o m p o s i t i o n , deren Impasto-Farbauftrag intakt u n d unverblichen ist, w i r d waagerecht durch schwankende Büschel kühler, grüner Blätter i n zwei Bereiche geteilt. O b e n stehen die verschiedenförmigen Tupfer violetter Blütenblätter (nur durch eine einzelne weiße Iris ausgeglichen) i m Kontrast zu dem grünen, warmen G r u n d der fernen, sonnenbeschienenen Wiese. U n t e n werden dieselben Violettöne neben dem Rotbraun des provenzalischen Bodens gespiegelt, der m i t geriefelten, parallelen Pinselstrichen aufgebaut wurde. Es war m i t ziemlicher Sicherheit der kleine Bildausschnitt dieser K o m p o s i t i o n , der van G o g h dazu bewegte, die Getty-Leinwand i n einem Brief an seinen Bruder als eine Naturstudie, u n d nicht als ein fertiges G e m ä l d e , zu bezeichnen. D e n n o c h wählte Theo aus den e l f L e i n w ä n d e n , die er i m Juli erhielt, n u r die Iris aus, u m dieses G e m ä l d e zusammen m i t dem bereits früher entstandenen B i l d Sternennacht ( N e w York, M u s e u m o f M o d e r n A r t ) als van Goghs Beitrag z u m Salon des Indépendants i m September 1889 einzureichen. PS H O L L Ä N D I S C H E U N D F L Ä M I S C H E S C H U L E N 73 40 GEORGES D E L A T O U R Das M o t i v des G e m ä l d e s Der Streit der Bettler ist der Streit zweier älterer Frankreich, 1 5 9 3 - 1 6 5 2 Wandermusikanten. D e r M a n n links m i t einer Drehleier über der Schulter verteidigt Der Streit der Bettler, sich m i t einem Messer u n d der Kurbel seines Instruments. Er w i r d v o n einem anderen ca. 1 6 2 5 - 3 0 O l auf Leinwand 85,7 x 141 cm 72.PA.28 M a n n bedroht, der i h n m i t einer Schalmei, einer A r t Oboe, schlägt u n d ein ähnliches Instrument am Gürtel trägt. D e r zweite Bettler spritzt seinem Gegner Zitronensaft i n die Augen, entweder, u m zu prüfen, ob der M a n n m i t der Drehleier w i r k l i c h b l i n d ist, oder vielleicht auch nur, u m i h n noch weiter zu erzürnen. A m l i n k e n Rand scheint eine alte Frau jemanden u m H i l f e anzuflehen. Rechts amüsieren sich zwei weitere Bettler, einer m i t einer Geige u n d einer m i t einem Dudelsack, über den Kampf. Bei dem M o t i v handelt es sich u m ein seltenes Thema. Viele Maler des 17. Jahrhunderts malten Landarbeiter oder Musikanten, aber selten findet m a n die Darstellung eines Streits. Eines der wenigen Beispiele ist ein D r u c k des französischen Künstlers Jacques Bellange, der die Anregung zu dem G e m ä l d e i m Besitz des Museums geliefert haben k ö n n t e . La Tour verwandte auch bei anderen Gelegenheiten M o t i v e aus Beilanges D r u c k e n u n d bewunderte i h n offensichtlich. La Tour verbrachte sein Leben i m ostfranzösischen Lothringen u n d es ist nicht bekannt, daß er v o n dort weit gereist wäre. U n d so überrascht es nicht, daß Drucke eine wesentliche Quelle seiner Inspiration waren. Der Geigenspieler rechts auf dem G e m ä l d e des Museums könnte sogar v o n einem D r u c k des holländischen Künstlers H e n d r i c k ter Brugghen stammen, der einen grinsenden M a n n i n einem gestreiften M a n t e l m i t einer Geige i n der H a n d u n d einer federgeschmückten M ü t z e darstellt. Der D r u c k , wie auch La Tours G e m ä l d e , entstanden vermutlich M i t t e bis Ende der 1620er Jahre. La Tours W e r k läßt sich i n die realistische T r a d i t i o n einordnen, die über Europa, infolge der revolutionären Malerei Caravaggios i n Italien, hinwegfegte. Es ist zweifelhaft, ob La Tour jemals ein O r i g i n a l g e m ä l d e v o n Caravaggio sah, aber der W u n s c h nach einer Erneuerung des Naturalismus i n der Malerei war so stark, daß er schnell allerorts A n h ä n g e r fand. BF F R A N Z Ö S I S C H E SCHULE 75 41 SIMON VOUET I n der E r z ä h l u n g v o n Venus u n d Adonis (Metamorphosen 1 0 : 5 3 2 - 7 0 9 ) beschreibt O v i d Frankreich, 1590-1649 sowohl die M a c h t als auch die Grenzen der Liebe. Venus, erfüllt v o n Leidenschaft für Venus und Adonis, ca. 1640 den schönen Jäger, verzichtet auf die A n n e h m l i c h k e i t e n des H i m m e l s u n d streift " m i t Öl auf Leinwand dem K l e i d bis z u m K n i e geschürzt" durch den W a l d , u m Adonis nahe sein zu k ö n n e n . 130 x 94,5 cm 71.PA.19 Sie fürchtet die Gefahren der Jagd, warnt i h n , "gegen K ü h n e ist K ü h n h e i t gefährlich." Aber die Liebe, die Venus selbst verwandelt hat, vermag n i c h t Adonis zu ändern. Er entsagt i h r u m seiner größeren Leidenschaft, der Jagd, w i l l e n , nur u m dann, wie v o n Venus vorhergesehen, u m z u k o m m e n . W i e bei anderen Meistern des Barocks verdanken Vouets frühere Behandlungen dieses Themas sehr viel Tizian, dessen Venus und Adonis (Nr. 15) den J ä g e r zeigt, der aus der verzweifelten U m a r m u n g der G ö t t i n flieht. I n seinem Spätwerk schildert Vouet den ergreifenden, davorliegenden M o m e n t , i n dem die Liebe für einen kurzen M o m e n t gewonnen wurde. A u f dem G e m ä l d e , wie auch i n dem Text, lehnt sich die erschöpfte G ö t t i n unter einer Pappel zurück. Bald w i r d sie Adonis an sich ziehen, u m unter Tränen sowohl ihre Liebe als auch ihre Ä n g s t e zu gestehen. Das Z i e l ihrer Zusammenkunft w i r d sachte durch die nistenden Tauben u n d durch die geflügelten Putten angedeutet, die sich anschicken, über dem Paar zu schweben u n d B l u m e n zu streuen. Vouet war einer der Begründer des französischen Barocks. D i e erste Hälfte seines Arbeitslebens verbrachte er vorwiegend i n R o m ( 1 6 1 2 - 2 7 ) , w o er der einzige Ausländer war, dem Ehren zuteil w u r d e n , die normalerweise den italienischen Künstlern vorbehalten waren. Nachdem er v o n L u d w i g X I I I . nach Frankreich zurückgerufen wurde, ersetzte Vouet seinen kraftvollen, dramatischen, caravaggistischen Stil durch einen sinnlichen Klassizismus, der den streng intellektuellen Ansatz seines Zeitgenossen Poussin ergänzt. Bei Venus und Adonis lassen die rhythmischen L i n i e n , die sonnigen Farbharmonien u n d der beschwingte flüssige Pinselstrich die lyrischen Kadenzen des O v i d erklingen. Vouets Interpretation gefiel dem gebildeten P u b l i k u m , das die ergreifende Darstellung der subtilen moralischen D i m e n s i o n der E r z ä h l u n g schätzte. D i e Bildunterschrift des Drucks (1643), der nach diesem W e r k entstand, lautet, " D u bist erstaunt, Adonis, D i c h i n den A r m e n v o n Venus wiederzufinden; u n d D u siehst nicht, wie nahe die F ä n g e des w i l d e n Ebers sind." 76 F R A N Z Ö S I S C H E SCHULE DA 42 N I C O L A S P O U S S I N Unter den vielen ausländischen Künstlern, die i n R o m arbeiteten, war Poussin Frankreich, 1594-1665 wahrscheinlich der berühmteste. Schon zu seinen Lebzeiten wurde er als Meister Die Heilige Familie, 1651 verehrt. W i e auch Valentin vor i h m , verbrachte Poussin fast sein gesamtes Leben O l auf Leinwand i n der päpstlichen Stadt. D e r zeitgenössische italienische Biograph Bellori schrieb: 96,5 x 133 cm "Frankreich war seine liebende M u t t e r , u n d Italien sein Lehrer u n d sein zweites 81.PA.43 I m gemeinsamen Besitz m i t der Vaterland." D e r Künstler n a h m seine Inspiration aus seiner römischen U m g e b u n g Norton Simon A r t Foundation, u n d wurde zur Quelle der klassischen T r a d i t i o n i m Italien des 17. Jahrhunderts, so daß Pasadena er n i c h t n u r die Kunst i n seiner Wahlheimat, sondern i n ganz Europa weitreichend beeinflußte. I n späteren Jahren malte Poussin zahlreiche religiöse T h e m e n , insbesondere mehrere Darstellungen der Heiligen Familie. Das G e m ä l d e i m Besitz des Museums, w o h l das schönste u n d ehrgeizigste dieser Werke, zeigt Jesus, M a r i a u n d Joseph sowie den kleinen Johannes u n d dessen M u t t e r Elisabeth. I m M i t t e l p u n k t des Geschehens steht die U m a r m u n g v o n Johannes u n d Jesus. Der K r u g , das H a n d t u c h u n d das Wasserbecken, die v o n einer Gruppe v o n Putten (Knabenengeln) am rechten Rand gehalten werden, k ö n n t e n eine Anspielung auf das Baden des Kindes oder auf die spätere Taufe Jesu durch Johannes sein. Das G e m ä l d e wurde m i t einer ausgesprochen klassizistischen S t i m m u n g k o m p o n i e r t u n d ist ein gutes Beispiel für Poussins überaus rationalistische Neigung. Er plazierte oft Figuren vor einer so sorgfältig k o m p o n i e r t e n Kulisse, daß diese einen geometrischen U n t e r g r u n d zu haben schien. I m Gegensatz zu dem "Realismus" der Caravaggisten, deren Beliebtheit bis zu diesem Z e i t p u n k t nachgelassen hatte, benutzte Poussin normalerweise ziemlich kräftige Farben u n d plazierte seine M o t i v e vor einem idyllischen, lichtdurchfluteten H i n t e r g r u n d . D i e Figuren gehen zurück auf die v o n Raphael ( 1 4 8 0 - 1 5 2 0 ) , V o r b i l d der meisten klassizistischen Künstler späterer Jahrhunderte, u n d die Landschaft ist abgeleitet v o n der venezianischen Tradition v o n Giorgione (ca. 1 4 7 6 - 1 5 1 0 ) u n d Tizian (ca. 1 4 8 0 - 1 5 7 6 ) . Das G e m ä l d e i m Besitz des Museums wurde 1651 v o n Charles I I I . de Blanchefort, dem Duc de C r é q u i , i n Auftrag gegeben, einem der vielen wohlhabenden M ä z e n e , die u m Poussins G e m ä l d e wetteiferten. D e r Großvater des Herzogs war unter L u d w i g X I I I . der französische Botschafter i n R o m u n d der erste Franzose, der ein W e r k v o n Poussin erwarb u n d so eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des Rufes des Künstlers i n Frankreich spielte. D e r Duc de C r é q u i , der selbst unter L u d w i g X I V . ebenfalls z u m Botschafter i n R o m ernannt wurde, setzte diese Tradition fort u n d wurde zu einem der wichtigsten Sammler v o n Poussins Werken. BF F R A N Z Ö S I S C H E S C H U L E 79 43 JEAN-FRANCOIS DE TROY Frankreich, 1 6 7 9 - 1 7 5 2 Vor dem Ball, 1735 O l auf Leinwand 81,8 x 65 cm Unten rechts signiert De Troy 1735 84.PA.668 D e Troy war einer der vielseitigsten Künstler i m Frankreich des 18. Jahrhunderts. Als Sohn eines bekannten Porträtisten leistete er n i c h t n u r auf diesem Gebiet Hervorragendes, sondern auch bei G e m ä l d e n m i t historischen, mythologischen u n d religiösen Sujets. Er arbeitete erfolgreich m i t kleinen u n d großen Formaten, u n d seine Werke, wie auch die v o n Watteau ( 1 6 4 8 - 1 7 2 1 ) , vermitteln a u f lebendige Weise die Eleganz u n d Kultiviertheit der schicken Pariser Gesellschaft der damaligen Zeit. Das hier gezeigte G e m ä l d e wurde zusammen m i t seinem G e g e n s t ü c k , Die Rückkehr vom Ball (verschollen, aber durch einen Stich bekannt), u m 1735 für Germain-Louis de Chauvelin, den Außenminister u n d Siegelverwahrer unter L u d w i g X V . , gemalt. Als de Troy sie i m Salon des Jahres 1737 ausstellte, w u r d e das G e m ä l d e p a a r als das besten W e r k des Künstlers bezeichnet. Vor dem Ball ist ein Beispiel für de Troys Tableaux de Mode, Darstellungen der Aristokratie zu Hause u n d bei Vergnügungen. Diese G e m ä l d e gelten heute als die bedeutendsten Werke des Künstlers. A u f dem G e m ä l d e i m Besitz des Museums legt eine Zofe, unter den Blicken der Umstehenden, letzte H a n d an die Frisur ihrer H e r r i n . D i e Zuschauenden sind bereits i n U m h ä n g e gehüllt u n d halten i n erwartungsvoller Vorfreude auf die abendlichen Festlichkeiten Masken i n der H a n d . Damals verurteilten die K r i t i k e r den Lebensstil, der m i t solchen G e m ä l d e n gefeiert wurde, aber de Troy bewegte sich offensichtlich ungezwungen i n den eleganten Kreisen u n d scheint keine moralischen Bedenken gehabt zu haben. I m Gegenteil, er scheint i h n genossen u n d seine Nuancen u n d K o n v e n t i o n e n gut gekannt zu haben. Es ist i h m gelungen, das leicht spannungsgeladene u n d sogar erotische K l i m a der H a n d l u n g einzufangen, u n d i n seiner Beobachtung liegt ein gewisser Realismus, der ein klares u n d äußerst scharfes Auge verrät. 80 F R A N Z Ö S I S C H E SCHULE BF 44 J E A N - B A P T I S T E G R E U Z E Frankreich, 1725-1805 Die Wäscherin, 1761 Öl auf Leinwand 40,6 x 32,4 cm 83.PA.387 W ä h r e n d der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts war Greuze der bekannteste u n d erfolgreichste Vertreter der Genremalerei i n Frankreich. Er wählte T h e m e n m i t moralistischen Untertönen, deren Parallelen i m zeitgenössischen Theater, u n d nicht i n den Werken seiner Malerkollegen, zu finden waren. Z u einer Zeit, i n der die Akademien die Historienmalerei als die höchste F o r m der Kunst priesen, versuchte Greuze, seinen weltlicheren M o t i v e n ein vergleichbares M a ß an Beachtung zu verschaffen. Greuze wurde inspiriert durch das S t u d i u m der holländischen u n d flämischen G e m ä l d e aus dem 17. Jahrhundert, die i m Frankreich des 18. Jahrhunderts gesammelt u n d bewundert w u r d e n . Viele seiner M o t i v e entstammen direkt den Werken holländischer u n d flämischer Künstler, die sich als erste m i t der Darstellung der Arbeitenden beschäftigten. I n den 1730er Jahren hatte der französische Künstler C h a r d i n eine ähnliche Wäscherin gemalt, u n d Greuze kannte dieses B i l d zweifellos. C h a r d i n betonte die Bescheidenheit u n d stille W ü r d e seines M o t i v s , aber Greuze gab seiner Wäscherin einen provokativen Blick u n d eine unordentliche Erscheinung. D u r c h das Entblößen ihrer Fessel u n d des Fußes läßt der Künstler die junge Frau leicht unzüchtig w i r k e n . M i t weiteren Details ihrer K l e i d u n g u n d durch den unaufgeräumten H i n t e r g r u n d - Details, die v o n seinen Zeitgenossen zielsicher interpretiert w u r d e n warnt er vor dem verführerischen Blick des M ä d c h e n s . Die Wäscherin wurde i m Salon v o n 1761 ausgestellt. Denis D i d e r o t , einer der prominentesten Bewunderer des Künstlers, beschrieb das M ä d c h e n a u f dem G e m ä l d e als "bezaubernd, aber... eine Schurkin, der ich kein S t ü c k trauen würde." Bald nach der ersten Ausstellung wurde dieses G e m ä l d e v o n dem Sammler Ange Laurent de La Live de Jully, dem wichtigsten Förderer des Künstlers i n jener Zeit, erworben. F R A N Z Ö S I S C H E SCHULE BF 81 45 MAURICE-QUENTIN M a u r i c e - Q u e n t i n de La T o u r war der gefragteste Porträtmaler seiner Tage. Er arbeitete DE LA T O U R ausschließlich m i t Pastellfarben u n d fertigte Bildnisse des Adels u n d der wohlhabenden Frankreich, 1704-1788 Mittelschicht, die sowohl wegen ihrer technischen Meisterschaft als auch wegen ihrer Gabriel Bernard de Rieux, ca. 1 7 3 9 - 4 1 Pastell und Gouache auf Papier auf Leinwand aufgezogen Ungerahmt: 200 x 150 cm Gerahmt: 317,5 x 223,5 cm 94.PC.39 brillanten Realistik gefeiert w u r d e n . N a c h d e m er Gabriel Bernard de Rieux i m Salon v o n 1741 gesehen hatte, schrieb ein Betrachter, "Es ist ein wundersames W e r k , es ist wie ein S t ü c k Dresdener Porzellan, es k a n n n i c h t einfach n u r ein Pastellgemälde sein." Dieses monumentale Ganzkörperporträt - z u s a m m e n g e f ü g t aus einzelnen Papierbogen, die auf L e i n w a n d gezogen w u r d e n , u n d noch i n seinem ursprünglichen massigen G o l d r a h m e n - durchbricht die vertrauten Grenzen des Pastellmediums. W ä h r e n d seines langen Arbeitslebens schuf La T o u r nur ein weiteres G e m ä l d e dieser A r t , das Porträt der Madame de Pompadour, das sich heute i m Louvre befindet. Das Porträt des Getty-Museums zeigt eine feine Abstufung unterschiedlicher Strukturen, das Spiel des Lichts auf reflektierenden Oberflächen u n d insgesamt einen hohen Grad an feinster Ausgestaltung, der i n den zarten Pastellfarben außerordentlich schwierig zu erreichen ist. Dieses W e r k galt unter den Zeitgenossen La Tours als dessen größter technischer Erfolg, das Porträts i n dem angeseheneren M e d i u m O l i n nichts nachstand. Gabriel Bernard de Rieux ( 1 6 8 7 - 1 7 4 5 ) w i r d i n seiner Amtstracht als Präsident des zweiten Untersuchungsausschusses des Parlaments v o n Paris dargestellt. Er verdankte seinen Status als Angehöriger der Großbourgeoisie, einer sehr wohlhabenden Klasse, seinem Vater, einem überaus erfolgreichen Finanzier, der auch den Adelstitel des C o m t e de Rieux i m Jahre 1702 erwarb. Gabriel Bernard erbte das V e r m ö g e n seines Vaters 1739, i n dem Jahr, als dieses W e r k begonnen wurde. D i e bewußt altmodisch gewählte M ö b l i e r u n g u n d Gabriel Bernards selbstsicherer Stolz verleihen i h m eine A u r a einer wohlhabenden A b s t a m m u n g u n d Status, eine F i k t i o n , die auf bezaubernde Weise durch die Messingpracht dieses Porträts entlarvt w i r d . I n diesem W e r k decken sich die ehrgeizigen A m b i t i o n e n eines Auftraggebers u n d eines Künstlers, v o n dem es hieß, er schaffe jedes Jahr ein neues W u n d e r w e r k der V o l l k o m m e n h e i t . DA F R A N Z Ö S I S C H E SCHULE 83 46 T H E O D O R E G É R I C A U L T Frankreich, 1791-1824 Das Rennen der reiterlosen Pferde, 1817 Öl auf Papier, auf Leinwand aufgezogen 19,9 x 29,1 cm 85.PC.406 I m Jahre 1817 erlebte Géricault das alljährliche Rennen der Barberi-Pferde i n der V i a del Corso, einer der großen Prachtstraßen Roms. Géricault war fasziniert v o n den künstlerischen Möglichkeiten, die das Ereignis bot, so unter anderem der A n b l i c k der Stallburschen, die die Tiere i n einer w i l d e n Stampede d u r c h die Menschenmenge die Straße hinuntertrieben. Seine Olskizzen zeigen, daß er sich eine zeitgenössische Szene herausgriff u n d die H a n d l u n g nach u n d nach mythologisierte, so daß aus den Stallburschen an der Startlinie nackte A t h l e t e n w u r d e n , die vor einem klassischen Portiko a u f den Startschuß warten. Gelehrte hatten schon lange nachzuweisen versucht, inwieweit moderne Feste u n d Spiele Überlieferungen der antiken r ö m i s c h e n Sitten u n d G e b r ä u c h e waren. Géricault allerdings rang darum, die Spannung des Rennens i n eine klassische Bildsprache umzusetzen, die für den Pariser Salon geeignet war. Géricault hatte sich bereits als brillanter Maler v o n Pferden i n Bewegung etabliert, u n d hier steht n u n das dramatische Ringen zwischen Mensch u n d Tier i m M i t t e l p u n k t dieser Ölskizze. D i e grobe Skizzierung der Formen u n d die fast monochromatische Farbwahl lassen vermuten, daß Géricaults Hauptanliegen i n der Farbausgewogenheit der K o m p o s i t i o n bestand. Er hat sein bevorzugtes M e d i u m der Federzeichnung u n d Lavierung i n dicke Farbstrudel übersetzt, als ob er eine der antiken Basrelief-Skulpturen meißeln wollte, die i h n so sehr beeinflußten. Virtuose Vorskizzen i n Ö l gehörten zu der akademischen Künstlerausbildung, aber leider entwickelte Géricault aus dieser lebendigen Szene nie ein großartiges G e m ä l d e für den Salon. 84 FRANZÖSISCHE SCHULE DJ 47 T H E O D O R E G É R I C A U L T Frankreich, 1 7 9 1 - 1 8 2 4 Drei Liebende, ca. 1 8 1 7 - 2 0 Öl auf Leinwand 22,5 x 29,8 cm 95.PA.72 I n dieser bemerkenswerten Studie hat Géricault sein M o t i v m i t moderner Unverblümtheit dargestellt, u n d die Energie menschlichen Handelns u n d seine u n w i l l k o m m e n e Intensität auf eine Weise festgehalten, die sich v o l l k o m m e n v o n den idealisierenden Konventionen seiner Ä r a unterscheiden. D i e Frau, die auf dem S c h o ß ihres Liebhabers sitzt, trägt ein Alltagskleid u n d i h r Haar ist nach der letzten M o d e frisiert. I h r einzelner, heruntergerutschter S t r u m p f ist ebenfalls ein zeitgenössisches Detail. I h r provokativ entblößtes, gebeugtes Bein, das k a u m die Kante des Podests berührt, lenkt die Aufmerksamkeit des Betrachters auf ihre unbequeme, gewundene H a l t u n g . Das Paar scheint n u r v o n der gebündelten Energie seiner engen U m a r m u n g u n d seinem leidenschaftlichen Blickkontakt getragen zu werden. Linkerhand beobachtet die ermattete Gefährtin r u h i g den M o m e n t flüchtiger Zweisamkeit. Ihre Nacktheit u n d Pose erinnern an die A r t , wie i n der klassischen Tradition die Ruhe nach dem Liebesakt dargestellt wurde; i h r Torso ergänzt auf kunstvolle Weise die darüber befindliche Statue der Venus. D i e Skulptur, der vorgezogene Vorhang, das helle L i c h t u n d die räumliche Aufteilung ergeben einen theatralischen Schauplatz für diese Darstellung der Leidenschaft. D i e Drei Liebenden ist eine eigenständige, vollständig ausgeführte Skizze v o n kleinem Format, die für die nahe, i n t i m e Betrachtung bestimmt ist. D i e Skizzentechnik vereint die emotionale D i r e k t h e i t des M o t i v s m i t der dramatischen Spontaneität des D u k t u s . Géricault schwelgt i n der straffen Zeichenkunst seines Pinsels, u n d beschreibt einen ausgestreckten Finger oder eine Haarsträhne ebenso sicher u n d geschickt wie die hängenden Stoffalten. O b w o h l der Künstler solche Sujets oft zeichnete, ist dies das einzige erotische G e m ä l d e , das v o n i h m bekannt ist. DJ F R A N Z Ö S I S C H E SCHULE 85 48 T H E O D O R E G É R I C A U L T Porträts nahmen einen verhältnismäßig kleinen R a u m i n Géricaults Schaffen ein, Frankreich, 1791-1824 u n d er ist vor allem als Maler heroischer u n d historischer T h e m e n bekannt. Dieses Porträtstudie, ca. 1 8 1 8 - 1 9 G e m ä l d e zeigt jedoch eindeutig, daß er fähig war, das Wesen seines Modells m i t großer O l auf Leinwand Sympathie u n d Spontaneität einzufangen. Es scheint eine Studie eines Modells zu sein, 46,7 x 38 cm u n d keine Auftragsarbeit, u n d Géricault wählte diese Person v e r m u t l i c h aufgrund ihres 85.PA.407 außergewöhnlichen Gesichts. D e r Künstler sympathisierte bekanntermaßen m i t der Sache des Abolitionismus u n d n a h m oftmals Afrikaner i n seine G e m ä l d e auf, manchmal i n heroischen Rollen. Seine Bewunderung wurde teilweise durch die Erzählungen über die Kriege genährt, die die französische Armee gegen die schwarzen Aufständischen i n H a i t i i n den ersten Jahren des Jahrhunderts geführt hatte. Er dürfte auch Menschen aus Nordafrika gekannt haben u n d die v o n exotischen K u l t u r e n ausgehende Faszination geteilt haben, die das W e r k zahlreicher französischer Künstler des 19. Jahrhunderts kennzeichnet. Géricault u n d viele seiner Zeitgenossen sahen den Afrikaner i n einem romantischen L i c h t u n d schrieben i h m eine unverdorbene Vornehmheit zu, die für den "zivilisierten" Europäer unerreichbar war. Es w i r d allgemein angenommen, daß das M o d e l l auf diesem Porträt ein M a n n namens Joseph war - sein Familienname wurde n i c h t überliefert - der aus dem karibischen Santo D o m i n g o k a m u n d i n Frankreich zunächst als A k r o b a t u n d später als M o d e l l arbeitete. Er wurde i n Paris aufgrund seines begnadeten Körpers, seiner breiten Schultern u n d seines schlanken Torsos ziemlich berühmt. Géricault benutzte Joseph für zahlreiche Studien, zumeist Zeichnungen, u n d als Hauptfigur seines berühmtesten Werks Floß der Meduse (1819; M u s é e d u Louvre, Paris). Das M o d e l l auf dem G e m ä l d e i m Besitz des Museums w i r k t allerdings ein wenig zu alt, u m für eine so dramatische Pose eingesetzt zu werden, u n d es k ö n n t e sich daher u m ein anderes M o d e l l handeln. D i e vielen Studien des Joseph, die ganz eindeutig m i t der Endversion i n Floß der Meduse i n V e r b i n d u n g gebracht werden können, weisen nie den Schnurrbart u n d die etwas traurigen Z ü g e dieses Porträts auf. D e n n o c h ist davon auszugehen, daß dieses Porträt aus der Z e i t v o n 1818 bis 1819 stammt, i n der Géricault sich vor allem dem Floß der Meduse widmete. BF F R A N Z Ö S I S C H E SCHULE 87 49 J A C Q U E S - L O U I S D A V I D Als prominentester Maler des revolutionären Paris u n d später als Lieblingsmaler Frankreich, 1 7 4 8 - 1 8 2 5 v o n Napoleon blieb D a v i d k a u m etwas anderes übrig, als nach der Restauration der Der Abschied von Telemachus französischen Monarchie i m Jahre 1815 das L a n d zu verlassen. Das letzte Jahrzehnt und Eucharis, 1818 seines Lebens i m selbstgewählten E x i l i n Brüssel, war gekennzeichnet v o n einem Öl auf Leinwand Wandel seines Stils u n d seiner M o t i v w a h l . U n t e r seinen Arbeitsergebnissen aus dieser 87,2 x 103 cm A u f dem Köcher signiert Z e i t finden sich H a l b p o r t r ä t s , oftmals v o n anderen Exilanten (wie i n dem Fall des DAVID und auf dem H o r n datiert BRUX 87.PA.27 1818 zweiten G e m ä l d e s v o n diesem Künstler, das sich i m Besitz des Museums befindet, Die Schwestern Zénaïde und Charlotte Bonaparte, N r . 50), sowie eine innovative Serie mythologischer G e m ä l d e , v o n denen mehrere (einschließlich des abgebildeten Werks) T h e m e n aus dem Bereich der erotischen Verstrickungen behandeln. D i e Anregung z u m Abschied von Telemachus und Eucharis entstammt wahrscheinlich Fenelons moralisierender Romanze Les Aventures de Télémaque (1699), deren Charaktere w i e d e r u m Homers Odyssee entstammen. Telemachus, der Sohn des Odysseus u n d der Penelope, liebt Eucharis, eine v o n Calypsos N y m p h e n , auf leidenschaftliche, aber keusche Weise. D e n n o c h d i k t i e r t die Sohnespflicht den Abschied der jungen Leute. D a v i d wählt eine abgeschiedene Grotte als Schauplatz für diesen i n t i m e n Abschied. Trotz des antiken Ursprungs des Sujets machen die halbbekleideten Figuren es dem Betrachter durch das H a l b p o r t r ä t f o r m a t u n d die Detailgenauigkeit ihrer Z ü g e leicht, einen direkten Zugang zu ihnen zu finden. Insbesondere die Darstellung des Telemachus läßt an ein Porträt denken. Sein verträumter, adoleszenter Ausdruck scheint schon auf sein Weggehen konzentriert zu sein, während seine H a n d noch den Schenkel der N y m p h e hält. Eucharis dagegen legt resigniert ihre Wange a u f die Schulter des Telemachus, ihre A r m e umfassen seinen Hals i n s t u m m e m Protest gegen den unvermeidlichen Abschied. D e r Gegensatz männlichen Pflichtbewußtseins zu weiblicher Emotionalitat zieht sich durch das gesamte CEuvre Davids. Der ausgezeichnete Zustand, i n dem sich diese glatte Leinwand befindet, läßt die feinen Farbharmonien erkennen, die für Davids letzte Periode charakteristisch waren. Telemachus wurde v o n G r a f E r w i n v o n S c h ö n b o r n i n Auftrag gegeben, dem Vizepräsidenten des bayrischen Parlaments. Später, noch i m selben Jahr, bestellte er bei Davids ergebenstem Schüler, Antoine-Jean Gros, ein Pendant. O h n e die T h e m e n der Pflichterfüllung u n d Keuschheit des Telemachus, facht Baron Gros' Bacchus und Ariadne (Phoenix A r t Museum) die erotische G l u t noch an u n d entfernt sich v o n der sorgsam herausgearbeiteten Linearität des neoklassizistischen Stils, die D a v i d perfektioniert hatte. PS 88 FRANZÖSISCHE SCHULE 50 J A C Q U E S - L O U I S D A V I D D a v i d war der Künstler, der der Regierung Napoleons v o n ihrer A m t s e i n f ü h r u n g Frankreich, 1748-1825 an am nächsten stand, u n d er wurde m i t dem M a l e n der wichtigsten Ereignisse Die Schwestern Zénaide beauftragt. Sein enthusiastisches Eintreten für eine Kunst, die auf antike Vorlagen und Charlotte Bonaparte, 1821 Öl auf Leinwand römischen Zivilisation u n d Prinzipien. Beide M ä n n e r spielten eine wichtige Rolle 129,5 x 100 cm Unten rechts signiert L . DAVID./BRVX. 86.PA.740 zurückging, entsprach Napoleons Streben nach einer Nachahmung der griechisch 1821 i n der E n t w i c k l u n g des Neoklassizismus, u n d der d a m i t geschaffene Stil beherrschte Europa noch nahezu ein halbes Jahrhundert nach dem Untergang des napoleonischen Reichs. Z u der Zeit, als dieses G e m ä l d e gemalt wurde, war die französische Monarchie allerdings bereits wiedereingesetzt worden. O b w o h l D a v i d nach Frankreich hätte zurückkehren k ö n n e n , entschloß er sich, i m E x i l zu bleiben u n d lebte weiterhin i n Brüssel. D i e Modelle dieses D o p p e l p o r t r ä t sind die T ö c h t e r v o n Napoleons älterem Bruder, Joseph Bonaparte ( 1 7 6 8 - 1 8 4 4 ) . Als eine der Schlüsselfiguren der napoleonischen Ä r a wurde Joseph auf dem H ö h e p u n k t Frankreichs aggressiver Expansion z u m K ö n i g v o n Neapel u n d Spanien gekrönt. N a c h Napoleons endgültiger A b d a n k u n g i m Jahre 1815 ging Joseph ins E x i l i n die Vereinigten Staaten u n d ließ sich i n Bordentown, N e w Jersey, n i c h t weit v o n Philadelphia nieder. Seine Familie blieb jedoch i n Europa u n d lebte eine Weile i n Brüssel. Links auf dem B i l d ist die neunzehnjährige Charlotte, i n graublaue Seide gekleidet, zu sehen. Sie wollte gerne Künstlerin werden u n d erhielt v o n D a v i d , zu dem sie ein freundschaftliches Verhältnis hatte, Zeichenstunden. Rechts, i n dunkelblauen Samt gekleidet, sitzt Z é n a i d e Julie, hier i m Alter v o n zwanzig Jahren, die später als Schriftstellerin u n d Übersetzerin der Werke Schillers, dem deutschen Dichter u n d Dramatiker, bekannt wurde. D i e Schwestern w u r d e n m i t Diademen auf dem K o p f abgebildet u n d sitzen a u f einer Couch, die v o n Bienen, dem Familienwahrzeichen der Bonapartes, geziert w i r d . D i e Schwestern haben den A r m umeinander gelegt, u n d Z é n a i d e hält einen B r i e f ihres Vaters i n der H a n d , auf dem ein paar W o r t e u n d der Absender i n Philadelphia entziffert werden k ö n n e n . Das Porträt weist einige der Besonderheiten der imperialen M o d e auf, insbesondere die r ö m i s c h anmutende C o u c h u n d die hohe Taille der Kleider. D e n n o c h ist es nicht so ernst u n d so feierlich wie viele frühere Werke des Künstlers, u n d das B i l d vermittelt W ä r m e u n d Lässigkeit, was vielleicht ein I n d i z für das A b k ü h l e n v o n Davids früherem idealistischer Eifer ist. D i e Stoffe w u r d e n m i t großem Feingefühl dargestellt, u n d das Porträt, das zweifelsohne v o n dem i m E x i l lebenden Joseph Bonaparte i n Auftrag gegeben wurde, strahlt einen sympathischen Charme aus, der den D a m e n offensichtlich trotz der mißlichen Lage der Familie geblieben war. BF F R A N Z Ö S I S C H E SCHULE 91 51 JEAN-FRANCOIS MILLET Vor seinem internationalen Erfolg als Maler ländlicher Szenen machte Jean-Francois Frankreich, 1814-1875 M i l l e t eine A u s b i l d u n g als Porträtmaler u n d lebte davon. W ä h r e n d der zwei Jahre, die Louise-Antoinette M i l l e t i n Cherbourg i n der N o r m a n d i e lebte ( 1 8 4 0 - 4 2 ) , schuf er über dreißig Porträts Feuardent, 1841 v o n B ü r g e r n der Mittelschicht. Z u seinen besten u n d bewegendsten Darstellungen Öl auf Leinwand zählen die seiner Verwandten u n d Freunde, so wie die hier porträtierte junge Frau. 73,3 x 60,6 cm Signiert unten links 95.PA.67 MILLET Louise-Antoinette Feuardent war die Frau v o n Millets lebenslangem Freund FélixB i e n a i m éFeuardent, ein Angestellter einer B i b l i o t h e k i n Cherbourg. Einer ihrer S ö h n e heiratete die Tochter des Künstlers, M a r i e . M i l l e t stellt Louise-Antoinette bewußt i n schlichter Weise dar. D e r einfache H i n t e r g r u n d , das unprätentiöse K l e i d u n d die verhalten stille S t i m m u n g erinnern an Bilder holländischer Bürger des 17. Jahrhunderts. D u r c h das Aufgreifen früherer Porträtkonventionen beschreibt M i l l e t die bescheidene Tugend einer modernen Frau aus der Provinz. Er liefert außerdem eine herausfordernde Alternative zu den bunten, scharfkantigen Gesellschaftsporträts, die sein älterer Zeitgenosse Ingres entwickelt hatte. D i e W i r k u n g des Porträts hängt v o n der harmonischen Balance zwischen den m o n o chromatischen T ö n e n (von M i l l e t als das "Abwägen der Tonalität" bezeichnet) u n d zwischen einem flüssigen Pinselstrich u n d einer genau kontrollierten Linienführung ab. Millets L ö s u n g formaler Gegensätze ist ein M i t t e l z u m Ausdruck der Selbstgenügsamkeit der Porträtierten, ihrer wachsamen Schüchternheit, ihrer aufmerksamen H a l t u n g . Louise-Antoinette Feuardent scheint wie eine A n t w o r t auf Baudelaire, der sagte, " E i n Porträt! Was ist einfacher oder komplizierter, offensichtlicher u n d tiefgründiger? Dieses Genre, so bescheiden es auch erscheint, verlangt eine ungeheuere Intelligenz. Zweifellos m u ß der Künstler sich seinem W e r k weitestgehend unterwerfen, aber ebenso sollte er auch über großes Einfühlungsvermögen verfügen." DA FRANZÖSISCHE SCHULE 93 52 J E A N - F R A N C O I S M I L L E T D i e französischen Revolutionen v o n 1830 u n d 1848 ließen zahlreiche liberale Frankreich, 1 8 1 4 - 1 8 7 5 Bewegungen entstehen, die sich z u m Z i e l gesetzt hatten, gesellschaftliche Ü b e l zu Mann mit einer Hacke, 1860 - 62 berichtigen, u n d es herrschte unter den Reformern die weitverbreitete Auffassung, daß O l auf Leinwand 80 x 99 cm Unten rechts signiert J . F . M I L L E T 85.PA.114 die Malerei diese Anliegen wiedergeben sollte, anstatt sich Porträtfiguren m i t klassischen Assoziationen zu w i d m e n . O b w o h l M i l l e t kein Sozialreformer war, bewegten i h n seine persönlichen Überzeugungen dazu, sich den Reformern anzuschließen. Als religiöser Fatalist glaubte M i l l e t , daß der Mensch dazu verdammt sei, seine B ü r d e m i t wenig H o f f n u n g auf Erleichterung zu tragen. Er wollte die Vornehmheit der A r b e i t durch sein W e r k z u m Ausdruck bringen, u n d daher standen Bauersleute u n d Landarbeiter i m M i t t e l p u n k t seines Interesses. D i e industrielle Revolution hatte zu einer steten E n t v ö l k e r u n g der Bauernhöfe geführt, u n d G e m ä l d e wie Mann mit einer Hacke sollten die Beharrlichkeit des Bauers angesichts der unaufhörlichen Plackerei veranschaulichen. I n der Ferne w i r d ein i n voller Frucht stehendes Feld bearbeitet, aber die äußerst m ü h s a m e Aufgabe, den steinigen, disteldurchsetzten Boden zu pflügen, geht dieser A r b e i t voraus. Millets G e m ä l d e wurde wegen des besonders animalisch aussehenden Bauern kritisiert. U n t e r allen Arbeitern, die M i l l e t darstellte, ist dieser Bauer der elendste. Seine A r b e i t hat i h n verrohen lassen, u n d sein A b b i l d erschreckte verständlicherweise die Pariser Bourgeoisie. M i l l e t k ö n n t e auf die Christus-Passion angespielt haben, da Disteln damals allgemein m i t der Dornenkrone i n V e r b i n d u n g gebracht w u r d e n . Das Gesicht des Bauern entsprach allerdings nicht der damals gängigen Vorstellung v o n Christus. Der Mann mit einer Hacke galt jedenfalls über viele Jahre hinweg als ein Symbol für die Arbeiterklasse u n d wurde 1899 v o n dem sozialistischen D i c h t e r E d w i n M a r k h a m i n einem Gedicht m i t demselben T i t e l verewigt, i n dem er rhetorisch fragt, "Wessen A t e m hat das L i c h t i n diesem H i r n ausgeblasen?" W ä h r e n d u n d nach der öffentlichen Ausstellung i m Salon v o n 1863 wurde mit einer Hacke v o n den K r i t i k e r n wegen des darin wahrgenommenen Mann Radikalismus angegriffen, u n d M i l l e t wurde zu der E r k l ä r u n g gezwungen, daß er weder Sozialist noch ein Agitator sei. O b w o h l seine H a l t u n g weder den Reformern noch dem Establishment gefiel, erwiesen sich seine G e m ä l d e als überaus beliebt, insbesondere i n den Vereinigten Staaten. Mann mit einer Hacke, eines seiner berühmtesten Bilder, wurde v o n einem Sammler i n San Francisco zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts erworben. 94 F R A N Z Ö S I S C H E SCHULE BF 53 CLAUDE MONET D i e impressionistische Bewegung b e m ü h t e sich vor allem u m A t m o s p h ä r e u n d Frankreich, 1 8 4 0 - 1 9 2 6 L i c h t u n d deren W i r k u n g auf die W a h r n e h m u n g v o n Farbe u n d F o r m . Ihre Stilleben mit Blumen und A n h ä n g e r scheuten i n der Regel gesellschaftliche T h e m e n , die oft v o n Courbet Früchten, 1869 O l auf Leinwand 100 x 80,7 cm Oben rechts signiert Claude Monet 83.PA.215 u n d anderen französischen Künstlern aufgenommen w u r d e n , welche u m die M i t t e des 19. Jahrhunderts arbeiteten (vgl. N r . 52). A u c h w e n n M o n e t u n d Courbet die Werke des anderen kannten u n d bewunderten, waren sie dennoch ganz klar Produkte unterschiedlicher Generationen. Monets Stil führte vielleicht zu Kontroversen, seine M o t i v e lösten diese jedoch sicher nie aus. Das Stilleben mit Blumen und Früchten i m Besitz des Museums, entstand 1869 i n der Stadt Bougival vor den Toren v o n Paris. M o n e t verbrachte den Sommer u n d den Herbst dieses Jahres i n diesem freundlichen Städtchen, das für die zahlreichen Künstler bekannt war, die es anzog. W ä h r e n d seines dortigen Aufenthalts hatte er ständigen K o n t a k t zu Pissarro u n d Renoir (vgl. N r . 54 u n d 57). M o n e t u n d Renoir malten oft gemeinsam u n d schufen eine ganze Reihe v o n Bildern zu denselben T h e m e n . Ihre berühmtesten Ansichten v o n La Grenouillère, einem beliebten schwimmenden Restaurant auf der Seine, entstanden w ä h r e n d dieser Zeit. Renoir malte ebenfalls das Arrangement v o n B l u m e n u n d Obst, das a u f dem hier abgebildeten G e m ä l d e zu sehen ist. D i e beiden Künstler arbeiteten wahrscheinlich Seite an Seite, vielleicht i n Monets Atelier. Renoirs G e m ä l d e (heute i m M u s e u m o f Fine Arts i n Boston) ist etwas kleiner u n d weniger komplex als das v o n M o n e t . M i t seiner sorgfältigen Strukturierung u n d K o m p o s i t i o n schafft Monets B i l d einen gewissen leeren Raum, der der Szene Tiefe verleiht. Das L i c h t ist gedämpft, aber die Farben sind es nicht, w o d u r c h eines seiner ausdrucksstärksten Stilleben entsteht. D i e Farbe wurde m i t dicken Strichen aufgetragen, u n d die Oberfläche läßt umfangreiche Nacharbeiten erkennen, was darauf schließen läßt, daß der Künstler mehr Z e i t als gewöhnlich auf seine Fertigstellung verwandte. D i e Prinzipien des Impressionismus kamen am besten i n Bildern v o n den Feldern, Flüssen u n d Städten i n der unmittelbaren U m g e b u n g v o n Paris z u m Ausdruck, u n d die A n h ä n g e r der Bewegung neigten n i c h t zur A r b e i t i m abgeschlossenen Atelier. Folglich malten M o n e t u n d die anderen Impressionisten verhältnismäßig wenige Stilleben. Künstler wie Cezanne (vgl. N r . 60) u n d G a u g u i n sollten diese Sujets kurze Z e i t später wieder eingehender behandeln, u n d Monets Schaffen auf diesem Gebiet beeinflußte die E n t w i c k l u n g ihres Malstils. 96 F R A N Z Ö S I S C H E SCHULE BF 54 PIERRE-AUGUSTE Renoir war neunundzwanzig, als er den Spaziergang malte, u n d M i t g l i e d einer eng m i t RENOIR einander verbundenen Gruppe junger Avantgarde-Künstler, die bald durch Frankreichs Frankreich, 1841-1919 Der Spaziergang, 1870 Öl auf Leinwand 81,3x65 Unten links signiert A. Renoir. 70. Kriegserklärung an Deutschland auseinandergerissen werden sollte. Nachdem er den vorangehenden Sommer i n La Grenouillère an Monets Seite m i t Freilichtmalerei verbracht hatte, zeigt Renoir i n Der Spaziergang eine Verlagerung zur leuchtenden Palette, die so charakteristisch für den erst kürzlich geprägten impressionistischen Stil 89.PA.41 war. I n diesem wichtigen Meilenstein des frühen Impressionismus empfindet Renoir Bildausschnitt auf der folgenden die N a t u r n i c h t mehr als einen H i n t e r g r u n d , sondern er integriert die Figuren i n den Doppelseite saftgrünen Schauplatz. M i t größter Wahrscheinlichkeit hat er en plein air gearbeitet, er erzielt seinen Effekt durch eine spontane Pinselführung u n d über das B i l d versprengte Lichtpunkte. T h e m e n wie T ä n d e l e i u n d M ü ß i g g a n g ziehen sich wie ein roter Faden durch Renoirs CEuvre. I m Gegensatz zu Monets Ansichten häuslicher Szenen i n blühenden G ä r t e n gilt die N a t u r bei Renoir sowohl als ein Schauplatz für die Verführung als auch eine Metapher für sinnliches Vergnügen. Das Stelldichein des Pärchens auf dem GettyG e m ä l d e ist sowohl sehr m o d e r n - u n d läßt zugleich an die neue Pariser Mittelschicht denken, die sich an Wochenenden i n den Parks u n d Vororten versammelte - als auch ein Vertreter eines althergebrachten Kunstmotivs, das sich zu Watteaus Liebespärchen der Fetes galantes zurückverfolgen läßt, bei denen das M ä d c h e n a u f eine abgelegene L i c h t u n g gelockt w i r d , u m d o r t später verführt zu werden. M i t seiner charakteristischen fedrigen Pinselführung schafft Renoir i n Spaziergang den gestreuten Einfall des Sonnenlichts, das durch das Laub gefiltert w i r d . Dieser Effekt sollte z u m Erkennungsmerkmal vieler seiner wichtigsten Arbeiten aus den 1870er u n d 1880er Jahren werden. Tiefer i m W a l d u n d teilweise v o m Schatten umfangen erscheint die männliche Figur etwas grobschlächtig gegen die elegante Begleiterin, die sich zurückwendet, u m i h r durchsichtiges weißes K l e i d aus dem Unterholz freizumachen. D i e Frau wurde wiederholt als Rapha, die Geliebte v o n Renoirs Freund E d m o n d Maître, u n d als Lise Tréhot, Renoirs eigene Geliebte, bezeichnet. Letztere M ö g l i c h k e i t k ö n n t e bedeuten, daß es sich bei der schattigen Figur, die die Frau voranzieht, u m den Künstler selbst handelt, dessen Rolle auf dem B i l d vielleicht als Analogie zu der des Malers gedacht ist, der den Betrachter i n den illusionistischen Raum der Leinwand zieht. Renoir wendet sich 1883 dieser K o m p o s i t i o n erneut zu, als er eine Zeichnung anfertigte, die i m Magazin La Vie Moderne (29. Dezember) erschien. A u f dieser Z e i c h n u n g ist das Verhältnis v o n M a n n u n d Frau umgekehrt, sowohl i n räumlicher H i n s i c h t als auch bezüglich der Initiative. PS F R A N Z Ö S I S C H E SCHULE 99 55 EDOUARD MANET O b w o h l sein Einfluß auf die Impressionisten stark zu spüren war, schloß sich M a n e t Frankreich, 1 8 3 2 - 1 8 8 3 ihnen nie offiziell an. Er teilte aber m i t ihnen das Ideal, das der D i c h t e r u n d K r i t i k e r Die Rue Mosnier mit Flaggen, Charles Baudelaire z u m Ausdruck gebracht hatte: das Engagement für die Darstellung 1878 O l auf Leinwand 65,5 x 81 cm Unten links signiert Manet 1878 89.PA.71 des modernen Paris. Das G e t t y - G e m ä l d e stellt die Rue Mosnier (heutzutage Rue de Berne) v o n Manets Atelierfenster i m zweiten Stock aus gesehen am N a c h m i t t a g des 30. Juni 1878, einem Nationalfeiertag, dar. M i t dem ersten offiziellen Begehen dieses Feiertages, der Fete de la Paix, der v o n der D r i t t e n Republik eingerichtet worden war, sollte sowohl der Erfolg der kürzlich abgehaltenen Weltausstellung gefeiert werden als auch Frankreichs E r h o l u n g v o n den katastrophalen Preußenkriegen v o n 1 8 7 0 - 7 1 u n d der darauffolgenden blutigen K o m m u n e gedacht werden. I n dem oberen Teil der Leinwand halten schicke Kutschen am Straßenrand, u m ihre eleganten Fahrgäste ein- u n d aussteigen zu lassen. Der Künstler verwendet die kühleren Farben des neu erbauten, wohlhabend wirkenden Straßenzugs als blassen H i n t e r g r u n d für die funkelnden Tupfen roter, weißer u n d blauer Farbe. Das Stakkato der französischen Tricolore an einem strahlenden, b ö i g e n Tag läßt patriotische Leidenschaft erspüren, die durch Manets kraftvolle u n d flüssige Pinselführung unterstützt w i r d . Als Gegengewicht zu diesem fernen, glitzernden Treiben w i r d die Leere der Straße i m Vordergrund nur durch zwei einsame Figuren gestört, die beide n i c h t an den Feiern teilnehmen. E i n Arbeiter, der eine Leiter trägt, w i r d am unteren Rand der K o m p o s i t i o n radikal abgeschnitten. Weiter h i n t e n trägt ein Amputierter, vielleicht ein Kriegsveteran, das blaue H e m d u n d die Casquette der Pariser Arbeiter; sein R ü c k e n ist dem Betrachter zugewandt, diese g e k r ü m m t e Figur k o m m t auf ihren K r ü c k e n n u r langsam voran. E i n schäbiger Z a u n a u f der l i n k e n Seite versucht eine Bauschutthalde zu verdecken, die durch die nahegelegene Eisenbahnbaustelle entstanden ist. Insgesamt betrachtet bietet Die Rue Mosnier einen A n b l i c k nationalen Stolzes u n d frisch erlangten Wohlstands, der g e d ä m p f t w i r d durch das G e s p ü r für die damit verbundenen Kosten u n d Opfer. Möglicherweise etwas früher am selben Tag stellte M a n e t dieselbe Szene i n einer skizzenhafteren, weniger ausgearbeiteten Version dar (Zürich, Sammlung Bührle). Claude M o n e t malte am 30. Juni ebenfalls zwei Straßenszenen, eine der Rue M o n t o r g u e u i l (Paris, M u s é e d'Orsay) u n d eine der Rue Saint-Denis (Rouen, M u s é e des Beaux-Arts). I m Gegensatz zu Manets eher ironischer Betrachtungsweise der v o n staatlicher Seite organisierten Feierlichkeiten läßt Monets farbenprächtige, großflächige, gebrochene Pinselführung eher ein patriotisches Spektakel entstehen, das zugleich euphorisch u n d auch unpersönlich w i r k t . 102 F R A N Z Ö S I S C H E S C H U L E PS 56 W I L L I A M A D O L P H E Als M i t g l i e d der Academie Francaise u n d als Vertreter eines höchst vollendeten u n d BOUGUEREAU sinnlichen Klassizismus galt Bouguereau als Erbe der großen Tradition der europäischen Frankreich, 1825-1905 Meister. Er war einer der am meisten verehrten Maler der Periode. Seine idyllischen Ein junges Mädchen wehrt sich gegen Eros, ca. 1880 Öl auf Leinwand 79,5 x 55 cm Unten i n der Mitte auf dem Steinquader signiert W.BOVGVEREAV 70.PA.3 M y t h o l o g i e n , so wie Ein junges Mädchen wehrt sich gegen Eros, gefielen dem P u b l i k u m , das die jährlichen Ausstellungen des Pariser Salon besuchte, ungemein. F ü r diese Leute boten die kurzen Einblicke i n die perfekte Illusion Arkadien ein E n t k o m m e n aus dem komplexen u n d reglementierten Chaos des modernen Stadtlebens. Bouguereau stellte eine große Version v o n Ein Mädchen wehrt sich gegen Eros (Universität N o r t h Carolina, W i l m i n g t o n ) i m Salon v o n 1880 aus. Das G e m ä l d e wurde als eine der besten " M y t h o l o g i e n " des Künstlers gepriesen, u n d sein Erfolg veranlaßte Bouguereau, eigenhändig die kleinere Replik für den privaten M a r k t , die sich heute i m G e t t y - M u s e u m befindet, anzufertigen. D i e sprühende Unmittelbarkeit des G e m ä l d e s folgt aus Bouguereaus freier Neuerfindung der klassischen Vergangenheit. D a es für das M o t i v keine antike literarische Quelle gibt, lädt es den Betrachter ein, die Erzählung aus seiner eigenen Phantasie entstehen zu lassen. W i r d der Widerstand des M ä d c h e n s obsiegen, oder w i r d der Pfeil der Liebe an sein Z i e l gelangen? Das G e m ä l d e fängt die theatralische Ausstattung Bouguereaus Atelier ein, läßt die dunkle, waldige Schönheit seines Lieblingsmodells zu dem lächelnden M ä d c h e n erstarren u n d stattet den wichtigsten G o t t der Liebe m i t einen Paar Taubenflügeln als Requisite aus. Der Schauplatz u n d die Vegetation sind eindeutig französischer Natur. Selbst das weiche weiße L i c h t k ö n n t e den W i n t e r h i m m e l imitieren, der durch das Fenster des Ateliers des Künstlers zu sehen war, w o er i n einem Brief an seine Tochter schrieb, er habe m i t der K o m p o s i t i o n am 1. Dezember 1879 begonnen. U m die Wende des 20. Jahrhunderts wurde Bouguereaus Arbeit v o n den Amerikanern ebenso geschätzt wie v o n seinen Zeitgenossen. Als eine v o n J. Paul Gettys frühen Erwerbungen blieb Ein junges Mädchen wehrt sich gegen Eros v o n 1941 bis 1970 i n seiner Sammlung i m englischen Surrey, bis er das G e m ä l d e dem M u s e u m stiftete. DA F R A N Z Ö S I S C H E S C H U L E 105 57 P I E R R E - A U G U S T E RENOIR Frankreich, 1841-1919 Albert Cahen d'Anvers, 1881 O l auf Leinwand 79,8 x 63,7 cm Unten rechts signiert Renoir/Wargemont. 9. Sbre 81. 88.PA.133 N a c h zwanzig Jahren künstlerischen Schaffens hatte Renoir das Interesse am Impressionismus so sehr verloren, daß er die Bewegung eine "Sackgasse" nannte. Er änderte seinen Stil, harmonisierte das Malerische seiner frühen Werke, wie Spaziergang (Nr. 54) m i t den festen K o n t u r e n u n d ü p p i g e n Formen, die an die Renaissance-Malerei erinnern. So erwarb Renoir die Gunst der wohlhabenden Pariser, die bei i h m Porträts bestellten. Diese Werke fanden bei den offiziellen Salons großen A n k l a n g , u n d u m 1880 schwor sich Renoir, seine Porträts nur noch d o r t auszustellen. E i n Beispiel für den neuen Ansatz des Künstlers ist dieses Porträt des Komponisten A l b e r t Cahen d'Anvers. Albert, der jüngere Bruder des Finanziers Louis Cahen d'Anvers, w i r d dargestellt, wie er nonchalant eine Zigarette i m Salon i n Wargemont, dem H e i m v o n Renoirs großem M ä z e n Paul Bérard, raucht. Renoir reproduziert das überschwengliche D e k o r des Raums u n d setzt sein hellblaues Muster i n Kontrast zu den lebhaften Farben des jungen Mannes. D i e Nebeneinanderstellung ähnlicher Formen wahrt die Einheit v o n M o d e l l u n d Umgebung. Alberts lockiger Schnauzer n i m m t die Wellen der Blumentapete auf, sein gewelltes Haar findet W i d e r h a l l i n den gefiederten roten Blättern der Topfpflanze. D i e K o m p o s i t i o n schafft eine S t i m m u n g gelassener Eleganz, pointiert v o n Cahen d'Anvers' i n die Ferne gerichtetem, wachsam funkelnden Blick. Der abwesende Eindruck, den der K o m p o n i s t auf den Betrachter macht, gepaart m i t dem A t t r i b u t der Zigarette, deutet möglicherweise auf seinen kreativen Beruf h i n . 106 F R A N Z Ö S I S C H E S C H U L E DA 58 E D G A R DEGAS Frankreich, 1 8 3 4 - 1 9 1 7 Warten, ca. 1882 Pastell auf Papier 48,2 x 61 cm Oben links signiert Degas 83.GG.219 I m gemeinsamen Besitz m i t der Norton Simon A r t Foundation, Pasadena Degas konzentrierte sich, wie so viele französische Künstler i n der M i t t e des 19. Jahrhunderts, auf die A b b i l d u n g der vielfältigen Facetten des Pariser Lebens. Er behandelte sowohl profane als auch m o n d ä n e T h e m e n , v o n waschenden u n d b ü g e l n d e n Frauen bis zur T ä t i g k e i t der Musiker u n d Jockeys. Das T h e m a jedoch, das bei Degas am häufigsten v o r k o m m t , war das Ballett. Der Tanz sei nur "ein V o r w a n d für das M a l e n hübscher K o s t ü m e u n d für die Darstellung v o n Bewegung." Seine A r b e i t widerlegt diese Bemerkung. D i e amerikanische Sammlerin Louisine Havemeyer - i n deren Besitz sich dieses G e m ä l d e zuvor befand - soll den Künstler gefragt haben, w a r u m er so viele T ä n z e r i n n e n malte. Er antwortete, das Ballett sei "alles, was uns v o n allen künstlerischen Bewegungen der Griechen erhalten geblieben ist." Jedoch zeigte er seine T ä n z e r i n n e n zumeist bei den Proben oder b e i m Ausruhen. A u f dem Pastellgemälde, das v e r m u t l i c h u m 1882 ausgeführt wurde, sieht m a n eine T ä n z e r i n u n d eine ältere, schwarz gekleidete Frau. D e r Uberlieferung nach handelt es sich u m eine junge T ä n z e r i n aus der Provinz, die m i t ihrer M u t t e r auf ein Vortanzen wartet. Degas n a h m manchmal Lehrer oder Musiker i n seine Werke auf, die als H i n t e r g r u n d für die farbenprächtigeren T ä n z e r i n n e n dienten. H i e r ist eine streng wirkende ältere Frau neben einer jungen T ä n z e r i n plaziert u n d die junge Frau reibt sich den schmerzenden K n ö c h e l . Dieser Gegensatz betont auch die Diskrepanz zwischen dem Glanz u n d Raffinement des Bühnenlebens u n d der Eintönigkeit des Alltags. BF F R A N Z Ö S I S C H E S C H U L E 107 59 C L A U D E M O N E T I m Herbst 1890 begann M o n e t , der gefeierte Meister der impressionistischen Landschaft, Frankreich, 1 8 4 0 - 1 9 2 6 m i t der A r b e i t an seiner ersten Serie. Sein M o t i v waren die Heuschober auf einem Feld Heuschober, Schnee, Morgen, direkt vor seinem Garten i n Giverny. M i t leuchtend hellen, rhythmisch aufgetragenen 1891 O l auf Leinwand 65 x 100 cm Unten links signiert und datiert Pigmenten schuf M o n e t dreißig Leinwände, die das einfingen, was er sein "Erlebnis" der Heuschober nannte, die durch die Permutationen der N a t u r einem Wandel unterworfen waren. Er sagte, " F ü r m i c h existiert eine Landschaft k a u m als eine Claude Monet '91 Landschaft, weil i h r Aussehen sich ständig ändert, vielmehr lebt sie kraft ihrer 95.PA.63 U m g e b u n g - L u f t u n d L i c h t - die sich ständig ändert." I m M a i 1891 löste Monets Ausstellung v o n fünfzehn der H e u s c h o b e r - G e m ä l d e i n der Galerie Durand-Ruel, Paris, eine Sensation aus. Monets Freund, d e m K r i t i k e r Gustave Geffroy, schien es als ob der Künstler die "sich wandelnden Gesichter der N a t u r " entlarvt u n d ihre ureigene S t i m m u n g eingefangen habe. F ü r Geffroy standen die winterlichen, unter dem Schnee gefrorenen Heuhaufen für "die weiße Stille des Raums." Aber die Stille wurde unter der H a n d des Künstlers gebrochen, die "Schnee . . . i n rosiges L i c h t getaucht, das v o n reinen, blauen Schatten zerrissen w i r d " u n d "den geheimnisvollen Zauber der Natur, Zauberformeln der F o r m u n d Farbe [ m u r m e l n d ] " auf die L e i n w a n d bannte. M o n e t stellte Heuschober, Schnee, Morgen i m Februar 1891 fertig u n d verkaufte es vier Monate vor der berühmten Ausstellung. Es ist eines der am klarsten strukturierten G e m ä l d e dieser Serie. D i e abgerundeten Formen der Schober setzen sich ab gegen die feste, horizontale Geometrie der rückwärtigen Felder, H ü g e l u n d des H i m m e l s . F o r m u n d Farbe erhalten dieselbe visuelle Substanz, da die soliden roten Heuhaufen i n eine kompositorische Balance zu dem intensiven Blau der v o n ihnen geworfenen Schatten gesetzt werden. Abwechslungsreiche Pinselstriche bewirken unterschiedliche Lichteffekte, so wie die zarten Pastellnuancen i n d e m ruhigen W i n t e r h i m m e l , oder die hell leuchtenden Reflexionen auf den Heuhaufen. D i e d i c h t bearbeitete, komplexe Oberfläche des G e m ä l d e s zeugt v o n Monets langen, intensiven B e m ü h u n g e n i n seinem Atelier, d u r c h die er einen besonderen M o m e n t festzuhalten versuchte, v o n d e m er selbst sagte, daß er nie wiederkehren w ü r d e . 108 F R A N Z Ö S I S C H E S C H U L E DA 60 PAUL CEZANNE Das Stilleben faszinierte Cezanne w ä h r e n d seines gesamten künstlerischen Schaffens. Frankreich, 1 8 3 9 - 1 9 0 6 V o n ca. 1880 bis z u m Ende seines Lebens malte er wiederholt dieselben Objekte - eine Stilleben mit Äpfeln, 1893-94 grüne Vase, eine Rumflasche, einen blauen Ingwertopf u n d Äpfel. D i e Bewegungslosigkeit O l auf Leinwand u n d Langlebigkeit der abgebildeten G e g e n s t ä n d e gewährten i h m die erforderliche 65,5 x 81,5 cm 96.PA.8 Z e i t u n d die Kontrolle über seine Objekte, u m seine wißbegierigen Analysen des Verhältnisses v o n R a u m u n d Objekt, v o n visueller Erfahrung u n d bildlicher Darstellung voranzutreiben. Stilleben mit Äpfeln, ein W e r k aus seiner reifen u n d einflußreichsten Epoche, ist eine beeindruckende Darstellung alltäglicher Objekte. D i e anmutigen R h y t h m e n , die d u r c h die geschwungenen schwarzen Arabesken a u f dem blauen Tuch, dem verschlungenen Geflecht, die anschwellenden Kurven der Gefäße u n d Früchte u n d die aufgebauschten Falten des weißen Tuches entstehen, setzen sich v o n den starken Horizontalen u n d Vertikalen der K o m p o s i t i o n ab. Cezanne integriert diese Objekte wohlüberlegt i n solcher Weise, daß die K o m p o s i t i o n i n sich geschlossen ist: eine schwarze Arabeske entwindet sich scheinbar dem blauen Tuch, u m sich u m einen Apfel i n der B i l d m i t t e zu legen. D i e geschmeidigen K u r v e n des Weidengeflechts u m den blauen I n g w e r t o p f s t i m m e n i n den Rhythmus ihrer Pendants an der Flasche ein. D e r Künstler schuf eine sorgfältige Ausgewogenheit v o n Farben u n d Strukturen: vor den schimmernden B l a u t ö n e n des Hintergrunds u n d des Tuchs steht eine derbe Vase i m perfekten Kontrast zu den lichtbesprenkelten roten u n d gelben Äpfeln. Cezanne verleiht den Objekten durch das konstruktive Nebeneinander farbiger Pinselstriche F o r m u n d Substanz. Er setzt jeden Pinselstrich geradezu liebevoll, streichelt Äpfel, Gefäße u n d T u c h gleichermaßen m i t Bestimmtheit. I m Jahre 1907 verglich der deutsche D i c h t e r Rainer M a r i a Rilke, beeindruckt v o n der verführerischen Q u a l i t ä t der Farbe u n d des Pinselauftrags dieses G e m ä l d e s m i t seinen Schattierungen u n d den roten, i n das blaue T u c h gebetteten Äpfeln der " B e r ü h r u n g zweier Nackter Rodins." Cézannes Orchestrierung v o n K o m p o s i t i o n , Farbe u n d D u k t u s ergibt ein B i l d v o n einer ausdrucksvollen u n d unvergänglichen Ausgewogenheit. D i e erklärte Absicht des Künstlers, "man m ü ß t e Poussin nach der N a t u r malen" u n d den Impressionismus "zu etwas Gediegenem u n d Beständigem" machen, w i r d m i t diesem klassischen u n d zeitlosen W e r k erfolgreich umgesetzt. 110 F R A N Z Ö S I S C H E S C H U L E JH 61 J E A N - É T I E N N E L I O T A R D Schweiz, 1 7 0 2 - 1 7 8 9 Maria Frederike van ReedeAthlone im Alter von sieben Jahren, 1755-56 Pastell auf Velinpapier 57,2 x 43 cm Oben rechts signiert peint par/JE Liotard11755 & 1756 83.PC.273 D i e Porträtmalerei erreichte ihren vollendetsten Stand während des 18. Jahrhunderts. D i e Z a h l der Künstler, die sich hauptsächlich dem M a l e n v o n Bildnissen w i d m e t e n , n a h m zu, u n d unter ihren M o t i v e n waren n u n auch A n g e h ö r i g e der aufblühenden Mittelklasse sowie Auftraggeber königlicher oder adliger Abstammung. L i o t a r d wurde i n G e n f geboren u n d erhielt seine A u s b i l d u n g i n Paris. Er lebte einige Z e i t i n R o m , reiste m i t englischen Freunden nach Konstantinopel u n d verbrachte Arbeitsaufenthalte i n W i e n , L o n d o n , H o l l a n d , Paris u n d Lyons, v o n w o aus er jeweils wieder i n die Schweiz zurückkehrte. Als seine Popularität zunahm kamen seine Modelle auch oft zu i h m , aber er bleibt dennoch eine der weitgereisten Persönlichkeiten seiner Zeit. L i o t a r d war ein Künstler, dessen persönliche Gewohnheiten u n d Kleidungsstil unorthodox waren, manchmal ließ er sich einen langen Bart stehen u n d t r u g eine türkische Tracht. Sein Lebensstil spiegelt sich i n seinem W e r k wider u n d unterscheidet i h n v o n dem seiner Zeitgenossen. I n seinen Schriften beharrte L i o t a r d darauf, daß die Malerei sich strikt an das halten solle, was m i t dem Auge wahrgenommen werden k ö n n e . D i e meisten seiner adeligen Modelle sind ohne kunstvolle A t t r i b u t e dargestellt. Der H i n t e r g r u n d ist einfach, u n d die Porträtierten schauen oft weg, so als ob sie n i c h t M o d e l l säßen. Das Porträt v o n M a r i a Frederike van Reede-Athlone wurde i n Pastell, Liotards bevorzugtem M e d i u m , i n den Jahren 1755 u n d 1756 gemalt, als der Künstler i n den Niederlanden arbeitete. Z u n ä c h s t hatte er ein Porträt der M u t t e r des M ä d c h e n s angefertigt, der Baronin van Reede, die anschließend ein Porträt ihrer Tochter i n Auftrag gab. M a r i a Frederike, damals gerade erst sieben Jahre alt, w i r d i n ein Cape aus blauem Samt u n d H e r m e l i n eingehüllt dargestellt. Sie hält ein schwarzes S c h o ß h ü n d c h e n , das den Betrachter anstarrt. G u t zu erkennen ist hier auch die Vielfalt u n d Spontaneität Liotards i m U m g a n g m i t Pastellfarben. 112 A N D E R E S C H U L E N BF 62 THOMAS GAINSBOROUGH England, 1727-1788 James Christie, 1778 O l auf Leinwand 126 x 102 cm 70.PA.16 I m 18. Jahrhundert war L o n d o n , wie auch heute, das Z e n t r u m des internationalen Kunsthandels. D i e Engländer waren die eifrigsten Sammler v o n G e m ä l d e n aller großen Schulen: Italien, Frankreich, H o l l a n d , Flandern u n d Spanien. Öffentliche Museen gab es zu jener Z e i t noch nicht, u n d m i t Ausnahme v o n ein paar Privatsammlungen waren es die Auktionshäuser, i n denen Kunstwerken besichtigt werden konnten. D i e Rolle des Auktionators i n der Londoner Kunstszene ist v o n daher n i c h t zu unterschätzen. James Christie ( 1 7 3 0 - 1 8 0 3 ) war der G r ü n d e r des Auktionshauses, das i m m e r noch seinen N a m e n trägt. Er begann seine Laufbahn 1762, u n d innerhalb v o n n u r wenigen Jahren stieg sein Haus zu dem erfolgreichsten Unternehmen i n Europa auf. Christies A u k t i o n s r ä u m e befanden sich direkt neben dem Atelier seines Freundes Thomas Gainsborough, damals einer der berühmtesten Porträt- u n d Landschaftsmaler i n England. Christie dürfte Gainsborough i m Jahre 1778 gebeten haben, sein Porträt zu malen, i n dem Jahr, i n dem es i n der Royal Academy ausgestellt wurde. Es h i n g i n den Verkäufsräumen des Auktionshauses bis ins 20. Jahrhundert. D e r großgewachsene u n d Porträtierte, eine eindrucksvolle Persönlichkeit, w i r d auf ein Landschafts-gemälde gestützt dargestellt, das eindeutig die stilistische Handschrift Gainsboroughs trägt. Er hält ein Blatt Papier i n seiner Rechten, möglicherweise eine Liste der zu versteigernden Objekte. Flüssige Pinselarbeit u n d Leichtigkeit der Pose, die dem Porträtierten stets schmeicheln, sind für Gainsboroughs Porträts charakteristisch. BF A N D E R E S C H U L E N 113 63 F R A N C I S C O JOSE D E D i e weitreichende Zensur u n d U n t e r d r ü c k u n g , für die Ferdinand V I I . nach seiner GOYA Y LUCIENTES Wiedereinsetzung als K ö n i g i m Jahre 1823 verantwortlich war, bewegte viele Liberale Spanien, 1 7 4 6 - 1 8 2 8 Stierkampf, Suerte de Varas, 1824 O l auf Leinwand 52 x 62 cm 93.PA.1 dazu, Spanien freiwillig zu verlassen u n d ins E x i l zu gehen. Francisco de Goya, der größte spanische Maler der damaligen Periode, ging i m Alter v o n achtundsiebzig Jahren nach Frankreich. Eine Inschrift auf der Rückseite der O r i g i n a l l e i n w a n d weist das hier abgebildete Werk, das Goya i m Sommer jenes Jahres i n Paris malte, als ein Geschenk an seinen Freund u n d ebenfalls i m E x i l lebenden Landsmann Joaquin M a r i a Ferrer aus. D e r Stierkampf als K u n s t m o t i v wurde durch Goya p o p u l ä r u n d taucht i n seinem Lebenswerk i m m e r wieder auf. Sein Leben lang war er ein A n h ä n g e r des Stierkampfs, kleidete sich manchmal sogar selbst wie ein Matador. Goyas erste ernsthafte Behandlung dieses Themas, eine Gruppe v o n Schrankbemalungen aus den Jahren 1793 bis 1794, benutzte eine für das Rokoko typische Farbpalette für die Beschreibung der aufwendig gekleideten Stierkämpfer u n d der eleganten Zuschauertribünen. Bis 1816, als Goya die dreiunddreißig Radierungen m i t Stierkampfszenen m i t dem T i t e l Tauromaquia veröffentlichte, hatte sich viel getan. O b w o h l der Stierkampf nach einem vorübergehenden Verbot wieder erlaubt war, wurde i h m v o n vielen Seiten der Niedergang nachgesagt. Goya teilte offensichtlich die E i n w ä n d e der Öffentlichkeit gegen die neuen, unfairen Taktiken. D i e D r u c k e der Tauromaquia isolieren die zentralen Personen des Dramas u n d betonen Grausamkeit u n d T o d . D e m Stierkampf im Besitz des Getty-Museums k o m m t große Bedeutung zu, da es sich hierbei u m die letzte gemalte Bearbeitung dieses Themas durch Goya handelt. W i e das grafische Werk, das i n seinen letzten Jahren einen Großteil v o n Goyas Z e i t i n A n s p r u c h nahm, stellt Suerte de Varas eine technische Freiheit u n d eine Ausdruckskraft zur Schau, die für den reifen Stil des Künstlers kennzeichnend sind. Goyas Schaffen i n Frankreich n a h m vor allem frühere T h e m e n wieder auf. Er verlieh diesen T h e m e n neue Kraft, i n d e m er die Grenzen der experimentellen Technik erweiterte. D i e K o m p o s i t i o n des Stierkampfberuht Bildserie Tauromaquia, i n gewisser Weise a u f N u m m e r 2 7 der a u f dem der gefeierte Picador Fernando del Toro auf einem Pferd m i t verbundenen Augen sitzt u n d seine Lanze auf den wartenden Stier richtet. I n der G e m ä l d e v e r s i o n sind dem Pferd n i c h t die Augen verbunden, u n d die Gesichter der Stierkämpfer werden zu anonymen Trägern v o n Angst u n d Z o r n . D i e überfüllten Tribünen i m H i n t e r g r u n d werden nur leicht i n G r a u t ö n e n angedeutet. Eine sparsame Palette aus Schwarz, Weiß, H e l l r o t , Ocker u n d T ü r k i s , oft i n grober Impasto-Technik, betont i m Kontrast der glitzernden U n i f o r m e n der Picadors u n d glänzenden W u n d e n der durchbohrten u n d sterbenden Tiere das D r a m a i m Vordergrund. 114 A N D E R E S C H U L E N PS 64 CASPAR D A V I D Friedrich war eine der zentralen Persönlichkeiten der deutschen Romantik, seine FRIEDRICH zutiefst persönliche u n d nach i n n e n gekehrte V i s i o n behandelte christliche T h e m e n Deutschland, 1774-1840 durch Analogien, die auf dem Kreislauf der N a t u r gründeten. O b w o h l sein W e r k Spaziergang in der Dämmerung, ca. 1832-35 O l auf Leinwand 33,3 x 43,7 cm 93.PA.14 zunächst viele A n h ä n g e r fand, verbrachte er seine letzten Jahren aufgrund des gewandelten Geschmacks des Publikums u n d seiner Gönnerschaft i n A r m u t . Vor seinem schwächenden Schlaganfall, den er i m Jahre 1835 erlitt, hatte Friedrich gerade noch eine kleine Gruppe v o n Werken fertiggestellt, unter denen sich auch in der Dämmerung Spaziergang befand. Dieses W e r k verkörpert sowohl die Melancholie dieser Periode als auch den Trost, den er i m christlichen Glauben fand. Anders als seine Zeitgenossen scheute Friedrich die Reise nach Italien u n d n a h m seine Inspiration statt dessen aus den weiten, offenen Flächen i n seiner H e i m a t Pommern. A u f dem hier abgebildeten W e r k betrachtet eine einsame Person - vielleicht der Künstler selbst - ein Megalithgrab m i t seiner impliziten Botschaft des Todes als letztes Z i e l des Menschen, ein Gefühl, das v o n den ö d e n Formen der beiden kahlen B ä u m e wiedergegeben w i r d , die wie Zuschauer hinter dem M a n n u n d dem Grab aufragen. Als Gegengewicht dazu w i r d eine zweite Botschaft der H o f f n u n g u n d E r l ö s u n g durch den grünen H a i n i n der Ferne u n d den zunehmenden Sichelmond übermittelt, der für Friedrich ein Symbol göttlichen Lichts u n d das Versprechen der Wiedergeburt C h r i s t i war. D i e F o r m a t i o n der Felsblöcke, die i n Spaziergang in der Dämmerung zu sehen ist, ähnelt einer Z e i c h n u n g eines tatsächlich existierenden Grabes, die Friedrich 1802 i n der N ä h e v o n G ü t z k o w südlich v o n Greifswald, dem Geburtsort v o n Friedrich, anfertigte ( u n d die sich heute i m W a l l r a f Richartz M u s e u m i n K ö l n befindet). Er scheint dieselbe Studie für ein früheres G e m ä l d e , Megalithgrab im Schnee (Dresden, Gemäldegalerie), benutzt zu haben, die das Grab aus einer größeren Entfernung darstellt, unter pulverigem Schnee u n d umgeben v o n einer Gruppe v o n einst eindrucksvollen, kolossalen Eichen, die hier jetzt tot u n d abgebrochen sind. A u f dem B i l d i m Besitz des Getty-Museums wurde der Landschaft eine Figur hinzugesetzt, n i c h t als M o t i v i m traditionellen Sinne, sondern eher als eine visuelle Begleiterscheinung zu dem besinnlichen G e m ü t s z u s t a n d , den der Künstler bei dem Betrachter auslösen wollte. Das M o t i v des Megalithgrabs taucht i n Friedrichs GEuvre i m m e r wieder auf. W i e alle seine H a u p t m o t i v e w u r d e n sie z u m Element der persönlichen Bildsprache des Künstlers u n d entsprechend seiner inneren V i s i o n nach seinem Ermessen i m m e r wieder neu zusammengeführt. PS A N D E R E S C H U L E N 117 65 J O S E P H M A L L O R D Das W e r k Turners überrascht durch ein harmonisches Nebeneinander seiner Verehrung WILLIAM TURNER für die großen Meister der Vergangenheit u n d experimenteller M a l t e c h n i k . Dieses England, 1 7 7 5 - 1 8 5 1 G e m ä l d e stellt zusammen m i t den anderen Seegemälden, die Turner 1844 i n seinem Van Tromp, wie er wendet, um seine Meister zufriedenzustellen, Schiffe auf See, die eine ordentliche Dusche abbekommen, 1844 Öl auf Leinwand siebzigsten Lebensjahr ausstellte, die letzte H u l d i g u n g des Künstlers an die holländische T r a d i t i o n dar. Das Seegemälde besaß für Turner u n d seine Zeitgenossen eine große Bedeutung, einerseits als ein Ausdruck des Erhabenen i n der N a t u r u n d andererseits als symbolische Arena des britischen Einflusses i m H a n d e l u n d i m ausgedehnten Empire. Das i m Besitz des Getty-Museums befindliche Van Tromp ist das letzte 91,4 x 121,9 cm G e m ä l d e aus einer Serie v o n vier L e i n w ä n d e n , i n der anscheinend A d m i r a l Maarten 93.PA.32 H a r p e r t s z o o n T r o m p ( 1 5 9 8 - 1 6 5 3 ) u n d sein Sohn Cornelis ( 1 6 2 9 - 1 6 9 1 ) zu einer Person verschmelzen. Das "van" war ein fälschlicher Zusatz, der i m England des 18. Jahrhunderts weite Verbreitung fand. Beide M ä n n e r machten sich einen N a m e n durch ihre Siege i n den Seekriegen gegen die britische u n d spanische Flotte i n einer Zeit, i n der die holländische Seemacht i m Aufstieg begriffen war. D i e genaue historische Begebenheit, die auf Van Tromp dargestellt w i r d , entzieht sich trotz des langen Titels, den der Künstler selbst für den Ausstellungskatalog der Royal Academy i m Jahre 1844 angegeben hat, unserer Kenntnis. D e r vorwiegend vertretenen Expertenmeinung zufolge dürfte es sich bei dem hier dargestellten van T r o m p u m den Sohn, Cornelis, handeln, der 1666 aus der M a r i n e entlassen wurde, weil er sich lieber auf seine eigenen Strategien verließ u n d einen Befehl n i c h t ausgeführt hatte. 1673 wurde er wieder i n die M a r i n e aufgenommen u n d söhnte sich m i t seinen Vorgesetzten aus. Vielleicht als symbolische Overtüre, die seinen Gehorsam gegenüber der Autorität signalisiert, w i r d T r o m p dargestellt, wie er "seine Meister zufriedenstellt." Er führt das M a n ö v e r gekonnt aus u n d steht gegen die schwere Gischt der sich brechenden Wellen gestemmt, herausfordernd a u f dem Vorderdeck seines Schiffes, leuchtend, i n seiner (nicht historischen) weißen U n i f o r m . D i e zweite Auffassung hält den Vater, Maarten T r o m p , für den Protagonisten, der w ä h r e n d des anglo-holländischen Kriegs i m Jahre 1652 dreihundert holländische Handelsschiffe durch den englischen Kanal u n d sicher zurück i n holländische Gewässer geführt hat. T r o m p soll einen Besen an den Mast gebunden haben (der auf dem G e m ä l d e erkennbar ist), als Zeichen, daß er die Briten "vom Meer fegen" werde. M i t der Darstellung solcher historischer Begebenheiten (ob sie n u n zutreffend sein m ö g e n oder nicht) erhebt Turner das Seegemälde auf den Gipfel des Prestige, ein Platz, der zuvor historischen G e m ä l d e n vorbehalten war. I n Van Tromp b r i n g t Turner die erhabene M a c h t der N a t u r z u m Ausdruck wie ein romantischer Maler sie durch den Filter des holländischen Seegemäldes sah. 118 A N D E R E S C H U L E N PS 66 J A M E S E N S O R Karikatur u n d Gesellschaftskritik werden i n diesem G e m ä l d e zu einer hohen Kunst. Belgien, 1860-1949 James Ensors monumentales Manifest über den Zustand der belgischen Gesellschaft Der Einzug Christi in Brüssel u n d der modernen Kunst gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Der Einzug im Jahre 1889, 1888 O l auf Leinwand 252,5 x 430,5 cm Rechts signiert J. ENSOR/1888 87.PA.96 Siehe Bildausschnitt auf der folgenden Doppelseite Christi in Brüssel im Jahre 1889 wurde 1888 gemalt u n d datiert somit das zweite K o m m e n C h r i s t i i n der belgischen Hauptstadt auf das darauffolgende Jahr. Ensors Auffassung v o n Kunst war aggressiv engstirnig. Er malte den Einzug Christi teils als A n t w o r t auf die Begeisterung, m i t der die K r i t i k e r Georges Seurats Sonntagnachmittag auf der Insel Grande Jatte aufgenommen hatten, als es i n Brüssel i m Jahr zuvor ausgestellt w o r d e n war. Ensor ärgerte sich ebenso über den kühlen, beherrschten Pointiiiismus, dessen Vorreiter Seurat war, wie über die Vorstellung des Franzosen v o n einer heiteren, klassenlosen Gesellschaft, die seichten V e r g n ü g u n g e n am Ufer der Seine nachging. I m Gegensatz dazu porträtiert Ensor die zeitgenössische Gesellschaft als einen m i ß t ö n e n d e n , lüsternen M o b . W i e i n einem A l p t r a u m verschmelzen Elemente des Karnevals u n d der politischen D e m o n s t r a t i o n m i t der Christus-Prozession. D i e Menge s t r ö m t i n den steilen, w e i t w i n k e l i g dargestellten Vordergrund, d r o h t dabei den Betrachter zu zermalmen. Vorne führt Emile Littré, der atheistisch sozialistische Reformer, den Ensor i n ein Bischofsgewand gehüllt hat, die Festlichkeiten an. D e r Bürgermeister steht rechts auf der B ü h n e u n d erscheint auf seinem P o d i u m , v o n Clowns u m r i n g t , zwergenhaft klein. Christus reitet wie b e n o m m e n auf seinem Esel i n der B i l d m i t t e . Er ist eher ein O b j e k t der Neugierde als der Verehrung. N a c h nordischer T r a d i t i o n eines Bosch oder Brueghel lehnt sich ein Zuschauer oben links über eine B r ü s t u n g , u m sich auf einem Banner zu übergeben, das die Insignien v o n Les XX (Les Vingt) zieren, der belgischen Vereinigung der Avantgarde-Künstler, die dieses G e m ä l d e daraufhin n i c h t zur alljährlichen Ausstellung zulassen sollte, o b w o h l Ensor zu ihren G r ü n d u n g s m i t g l i e d e r n gehörte. I n d e m er Jesus seine eigenen Z ü g e verlieh, projizierte Ensor sein eigenes Leiden u n d Sehnen auf die Passion Christi. A u f diesem B i l d , u n d i m m e r wieder i n seinem W e r k , findet Ensor M i t t e l , u m sein Entsetzen über die menschliche Verderbtheit u n d das B ö s e m i t den Bildsymbolen der Skelette u n d Karnevalsmasken z u m Ausdruck zu bringen. Als Vorlage hierfür dienten i h m diejenigen, die jedes Jahr aufs Neue den Souvenirladen seiner M u t t e r i m Badeort Ostende füllten. Neben den Masken u n d Skeletten treffen w i r i n dieser unheimlichen Prozession Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, historische u n d allegorische Figuren, unter die sich auch Mitglieder des engsten Freundes- u n d Familienkreises des Künstlers mischen. M i t seinem aggressiven u n d malerischen Stil, seiner engen Verflechtung des Öffentlichen m i t dem zutiefst Persönlichen, gilt Der Einzug als ein Vorbote des Expressionismus des 20. Jahrhunderts. 120 A N D E R E S C H U L E N Christi PS Image Not Available for Publication Image Not Available for Publication Image Not Available for Publication 67 L A W R E N C E A L M A Sir Lawrence A l m a Tadema war einer der beliebtesten u n d erfolgreichsten Maler seiner TADEMA Zeit. O b w o h l sein R u f unter dem Wandel des Geschmacks l i t t , der erst Courbet u n d Niederlande/England, später die Impressionisten (vgl. N r . 5 3 - 5 5 u n d 5 7 - 6 0 ) bevorzugte, übt sein W e r k 1836-1912 dank seiner außergewöhnlich feinen Technik i m m e r noch eine spürbare Faszination Frühling, 1894 auf uns auf. O l auf Leinwand D e r Stil des Künstler hat seinen U r s p r u n g i n der holländischen M a l t r a d i t i o n des 17. 178,4 x 80 cm Jahrhunderts, die vor allem gerne Alltagsszenen darstellte, der Großteil seines Schaffens Unten links signiert L . ALMA 72.PA.3 TADEMA OP CCCXXVI jedoch war griechischen oder römischen M o t i v e n gewidmet. Bei den T h e m e n seiner Werke handelt es sich allerdings n i c h t u m heroische oder literarische Stoffe, sondern es sind gewöhnlich ganz einfache - für das Auge des modernen Betrachters zuweilen sogar banale - T h e m e n , die das tägliche Leben i n vorchristlichen Zeiten veranschaulichen sollen. Sie spiegeln außerdem viktorianische Empfindsamkeiten bezüglich des gesellschaftlichen Benehmens wider. I n m i t t e n der ungeheuren wirtschaftlichen U m w ä l z u n g e n u n d des gesellschaftlichen Unfriedens, den die industrielle Revolution nach England gebracht hatte, richtete ein Teil der Oberschicht, der auch A l m a Tadema angehörte, weiterhin den Blick zurück auf die klassische Vergangenheit, i n der m a n eine einfachere, idealisierte Epoche sah. Seine Generation war w o h l die letzte, die dies m i t so aufrichtiger Bewunderung tat. Das hier gezeigte G e m ä l d e ist eines der größten G e m ä l d e v o n A l m a Tadema. Es ist bekannt, daß er vier Jahre daran gearbeitet hat, bevor er es 1894, rechtzeitig zur Winterausstellung der Royal Academy v o n 1895, fertigstellte. Dargestellt w i r d das römische Fest Cerealia, das Ceres, der G ö t t i n des Korns, geweiht war. O b w o h l das abgebildete G e b ä u d e i m wesentlichen ein Produkt der Phantasie des Künstlers ist, sind darin auch Teile n i c h t mehr erhaltener, römischer G e b ä u d e auszumachen. D i e Inschriften u n d Reliefs lassen sich zu i h r e m antiken U r s p r u n g zurückverfolgen, woran das große Interesse des Künstlers an der klassischen Zivilisation u n d an architektonischen Details abzulesen ist. Das G e m ä l d e befindet sich noch i n seinem Originalrahmen, der m i t einem Gedicht v o n A l m a Tademas Freund A l g e r n o n Charles Swinburne beschriftet ist. Aus dem Gedicht spricht eine besonders idyllische Sichtweise des alten Roms: " I n einem L a n d klarer Farben u n d Geschichten / I n einer Region schattenloser Stunden / w o die Erde ein K l e i d des Ruhms t r ä g t / u n d ein M u r m e l n musikalischer Blumen." Frühling war ein enormer Publikumserfolg, u n d sein R u h m wurde durch kommerzielle D r u c k e u n d Reproduktionen i n eine breite Öffentlichkeit getragen. BF ANDERE SCHULEN 125 68 EDVARD M U N C H Edvard M u n c h m u ß zwischen den romantischen M a l e r n des frühen 19. Jahrhunderts Norwegen, 1 8 6 3 - 1 9 4 4 u n d den Expressionisten des frühen 20. Jahrhunderts eingeordnet werden. Sein W e r k Sternennacht, 1893 erinnert an die brütende A t m o s p h ä r e u n d psychologische Isolation, die für den Geist O l auf Leinwand der R o m a n t i k kennzeichnend sind, verbindet diese jedoch m i t einer rein sachlichen, 135 x 140 cm Unten links signiert EMunch 84.PA.681 nahezu p r i m i t i v e n D i r e k t h e i t bei der Ausführung, die den vergleichsweise hemmungslosen Individualismus unseres Jahrhunderts v o r w e g n i m m t . Sternennacht, eine Darstellung eines Ortes an der Küste, ist eine der wenigen reinen Landschaftsgemälde, die der Künstler i n den 1890er Jahren malte. Es entstand 1893 in sgardstrand, einem kleinen Badeort i n der N ä h e v o n Oslo. M u n c h verbrachte d o r t gewöhnlich den Sommer u n d bezog oft eines oder mehrere der bekannten Wahrzeichen der Stadt i n seine Bilder ein. O b w o h l dies ein O r t der E r h o l u n g u n d des Vergnügens war, sprechen aus M u n c h s Bildern v o n diesem O r t oft persönliche Ä n g s t e u n d manchmal sogar Entsetzen. D a auf dem hier gezeigten G e m ä l d e keine Figuren oder der Pier der Stadt - der sich unmittelbar links angeschlossen hätte - zu sehen sind, besitzt es eine abstraktere Q u a l i t ä t als andere Bilder sowie einen unklaren M a ß s t a b . Es ist ein Versuch, die v o n der N a c h t entfesselten E m o t i o n e n einzufangen, anstatt n u r deren pittoreske Eigenschaften abzubilden. D e r H ü g e l auf der rechten Seite besteht aus drei B ä u m e n . D i e vage definierte F o r m auf dem Z a u n i m Vordergrund dürfte ein Schatten sein, wahrscheinlich der eines Liebespaares, das auf einer Lithographie aus dem Jahre 1896 i n derselben U m g e b u n g sitzt. D i e weiße L i n i e vor der Baumgruppe, die eine Parallele zu den Reflexionen der Sterne auf dem Meer bildet, k ö n n t e ein Fahnenmast sein, w i r k t jedoch mehr wie ein N a t u r p h ä n o m e n , wie z u m Beispiel ein aufblitzendes L i c h t . M u n c h s Sternennacht wurde auf einer Reihe v o n Ausstellungen gezeigt, die zwischen 1894 u n d 1902 stattfanden. Bei diesen Ausstellungen wurde das B i l d jeweils unter einem anderen T i t e l vorgestellt. Gelegentlich wurde es als Mystizismus oder Mystizismus einer Sternennacht betitelt u n d war Teil einer Reihe, die als Studien für eine Reihe v o n Stimmungsbildern bezeichnet w u r d e n : "Liebe." Später scheint das B i l d i n der Berliner Ausstellung des Künstlers i m Jahre 1902 als Teil derselben Serie ausgestellt w o r d e n zu sein, jetzt t r u g es den N a m e n Fries des Lebens. Diese Gruppe v o n G e m ä l d e n war ein sehr persönlicher, philosophischer K o m m e n t a r über die Menschheit u n d i h r Schicksal, der v o n religiösen U n t e r t ö n e n begleitet wurde. 126 A N D E R E S C H U L E N BF Image Not Available for Publication VERZEICHNIS DER KÜNSTLER Die Zahlenangaben verweisen auf die Seite Alma Tadema, Lawrence 125 Gainsborough, Thomas 113 Pontormo 31 Géricault, Theodore 84, 85, 87 Potter, Paulus 65 Bartolommeo, Fra 23 Gogh, Vincent van 73 Poussin, Nicolas 79 Bellotto, Bernardo 38 Goya y Lucientes, Francisco Jose de 114 Bosschaert, Ambrosius, d.Ä. 49 Greuze, Jean-Baptiste 81 Rembrandt Harmensz. van Rijn Huysum, Jan van 70 Renoir, Pierre-Auguste 99, 106 Bouguereau, William Adolphe 105 Bouts, Dieric 42 57, 59, 60 Brueghel, Jan, d.Ä. 46 Roberti, Ercole de' 16 Koninck, Philips 69 Cappelle, Jan van de 63 Romano, Giulio 24 Rubens, Peter Paul 50 Carpaccio, Vittore 18 La Tour, Georges de 75 Cezanne, Paul 110 La Tour, Maurice-Quentin de 83 Correggio 25 Liotard, Jean-Etienne 112 Saenredam, Pieter Jansz. 55 Lusieri, Giovanni Battista 39 Steen, Jan 66 David, Jacques-Louis 88, 91 Manet, Edouard 102 Tizian 32 Degas, Edgar 107 Mantegna, Andrea 20 Troy, Jean-Francois de 80 Domenichino 36 Martini, Simone 8 Turner, Joseph Mallord William 118 Dossi, Dosso 27, 28 Masaccio 15 Ruisdael, Jacob van 64 Daddi, Bernardo 10 Dyck, Anton van 52, 54 Ensor, James 120 Millet, Jean-Francois 93, 94 Veronese 35 Mola, Pier Francesco 37 Vouet, Simon 76 Monet, Claude 96, 108 Munch, Edvard 126 Weyden, Rogier van der, Piombo, Sebastiano del 30 Wtewael, Joachim 48 Fabriano, Gentile da 13 Friedrich, Caspar David 117 128 V E R Z E I C H N I S D E R K Ü N S T L E R Werkstatt von 45