Meisterwerke im J. Paul Getty Museum: Gemälde

Transcription

Meisterwerke im J. Paul Getty Museum: Gemälde
Meisterwerke
im J. Paul Getty Museum
GEMÄLDE
Meisterwerke
im J. Paul Getty Museum
GEMÄLDE
Los Angeles
THE J, PAUL GETTY MUSEUM
Frontispiz:
NICOLAS POUSSIN
Frankreich, 1594-1665
Die Heilige Familie [Detail] ,1651
Öl auf Leinwand
81.PA.43 (vgl. N r . 42)
A m J. Paul Getty Museum:
Christopher Hudson, Herausgeber
Mark Greenberg, Chefredakteur
Mollie Holtman, Redakteurin
Suzanne Watson Petraiii, Herstellungskoordinatorin
Lou Meluso und Jack Ross, Fotografen
Texte von Burton Fredericksen, David Jaffé,
Dawson Carr, Denise Allen, Jennifer Helvey und Perrin Stein
Gestaltung und Produktion: Thames and Hudson, London,
in Zusammenarbeit mit dem J. Paul Getty Museum
Übersetzung aus dem Englischen von Birgit Bruder
im Auftrag von Christiane D i Mattéo Translations
© 1997 The J. Paul Getty Museum
1200 Getty Center Drive
Suite 1000
Los Angeles, California 90049-1687
ISBN 0-89236-434-3
Farbreproduktionen von C L G Fotolito, Verona, Italien
Gedruckt und gebunden in Singapur von C S . Graphics
INHALT
G E L E I T W O R T DES D I R E K T O R S
7
ITALIENISCHE SCHULE
8
HOLLÄNDISCHE UND FLÄMISCHE SCHULEN
42
FRANZÖSISCHE SCHULE
74
ANDERE SCHULEN
V E R Z E I C H N I S DER K Ü N S T L E R
112
128
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GELEITWORT DES DIREKTORS
Das Blättern i n diesem B u c h erfüllt uns, die w i r i m G e t t y M u s e u m arbeiten, m i t großer
Freude. Seit 1983 besteht unsere schwierigste u n d kostspieligste Aufgabe darin, eine
bedeutende Sammlung europäischer G e m ä l d e zu einer Z e i t des i m m e r geringeren
Angebots aufzubauen. A n diesem Ü b e r b l i c k über die wertvollsten G e m ä l d e i m Besitz
des Museums läßt sich unser Erfolg ablesen, denn der m i t Zugangsnummern vertraute
Leser w i r d entdecken, wie viele der Werke i n den letzten vierzehn Jahren erworben
wurden.
J. Paul Gettys Einstellung zu G e m ä l d e n erscheint rätselhaft, er erwarb sie n u r m i t
mäßiger Begeisterung. Erst nach seinem Tode, als das M u s e u m i n den G e n u ß seines
großzügigen Nachlasses k a m , konnte die G e m ä l d e s a m m l u n g erheblich ausgebaut
werden. D u r c h B u r t o n Fredericksen, Kurator für Malerei der Jahre 1965 bis 1984,
erlebten die Sammeltätigkeit, die Ausstellungen sowie das Publizieren einen
ungekannten Grad an Professionalität. Seine A r b e i t erstreckt sich auf mehrere Epochen,
v o n der bescheidenen Sammlung i n H e r r n Gettys H e i m i n den 1960ern, über den Bau
des heutigen G e b ä u d e s , einer rekonstruierten römischen V i l l a , i n den Jahren
1968 - 1 9 7 4 , bis i n die heutige Epoche der Diversifikation des Getty Trusts u n d des
Wachstums des Museums. Sein A m t als Kurator für Malerei ü b e r n a h m M y r o n Laskin,
der das A m t v o n 1984 bis 1989 bekleidete, u n d anschließend George Goldner, der das
A m t v o n 1989 bis 1993 ausübte. Jeder v o n ihnen fügte bedeutende Bilder h i n z u u n d
drückte der Sammlung seinen eigenen Stempel auf. Seit 1994 ist D a v i d J a f f é unser
Kurator. M i t seiner Energie hat er die A b t e i l u n g neu belebt, u n d sein scharfes
Urteilsvermögen hat zu vielen wichtigen Anschaffungen geführt. Ungefähr die Hälfte
der Beiträge zu diesem Buch stammen v o n B u r t o n Fredericksen, die übrigen Beiträge
w u r d e n v o n D a v i d Jaffé, Dawson Carr, Denise A l l e n , Jennifer Helvey u n d Perrin Stein
geliefert. I c h danke allen A u t o r e n recht herzlich.
Dieses Buch erscheint i n der Zeit, i n der die G e m ä l d e i n ein neues M u s e u m
umziehen, das sich i m G e t t y Center i n den H ü g e l n v o n Santa M o n i c a (Los Angeles)
befindet. I n den ansprechenden Ausstellungsräumen u n d bei Tageslicht w i r d die
Sammlung den Besuchern sicherlich noch mehr Freude bereiten als bisher.
JOHN WALSH
Direktor
G E L E I T W O R T DES D I R E K T O R S 7
1 SIMONE MARTINI
Das Siena des 14. Jahrhunderts war eine H o c h b u r g des Konservativismus, u n d v o n
Italien, ca. 1 2 8 4 - 1 3 4 4
daher n i c h t sofort empfänglich für die progressiven S t r ö m u n g e n , die zu Beginn der
Der Heilige Lukas, ca. 1330
Renaissance nach Florenz u n d Teile Norditaliens kamen. Das Festhalten an einer
Tempera auf Holz
orthodoxeren u n d d a m i t weniger experimentierfreudigen Anschauung erlaubte den
67,5 x 48,3 cm
82.PB.72
ortsansässigen Künstlern, besonders hohe M a ß s t ä b e v o n handwerklichem K ö n n e n
aufrechtzuerhalten u n d weiter zu perfektionieren. W ä h r e n d der ersten Hälfte des
14. Jahrhunderts begannen jedoch einige Sieneser Künstler, die Strenge des lokalen,
byzantinisch beeinflußten Stils aufzulockern. Simone M a r t i n i war vielleicht der
fähigste Künstler dieser Gruppe. Er schuf elegantere u n d anmutigere Figuren, u n d i n
seinen Werken ist, i n A b k e h r v o n den fest etablierten Stilisierungen seiner Vorgänger,
ein stärkeres Bewußtsein für die menschliche Gestalt u n d i h r Schönheitspotential
festzustellen. Simone arbeitete oft für Auftraggeber i n Städten, die ziemlich weit v o n
seinem Geburtsort entfernt lagen, wie z.B. A v i g n o n i n Frankreich. D i e Gedichte, die
Petrarca als H o m m a g e auf Simone verfaßte, machten seinen N a m e n u n d den der
Sieneser Schule weit über die Grenzen Italiens hinaus bekannt.
A u f der i m Museum ausgestellten Tafel ist der Heilige Lukas dargestellt, wie aus der
Inschrift
S.LVC[A]EVL TA
S
(Heiliger Lukas der Evangelist) zu ersehen ist. E i n geflügelter
Ochse, das Symbol für den Heiligen, hält das Tintenfaß, während Lukas sein Evangelium
schreibt. Dieses G e m ä l d e ist i n nahezu perfektem Zustand erhalten u n d besitzt noch
den Originalrahmen. Es war wahrscheinlich die rechte Tafel eines fünfteiligen, tragbaren
Polyptychon oder Flügelaltars. D i e anderen vier Tafeln (drei davon sind i m Metropolitan
M u s e u m o f A r t i n N e w York ausgestellt, die vierte befindet sich i n einer Privatsammlung
i n N e w York) stellen die M u t t e r Gottes (Mittelteil) u n d drei weitere Heilige dar. D i e
Tafeln waren wahrscheinlich m i t Lederriemen so miteinander verbunden, daß der
Altaraufsatz zusammengeklappt u n d transportiert werden konnte. Löcher i m oberen
Rand des Rahmens lassen vermuten, daß dort früher abnehmbare Pinakel angebracht
waren, vielleicht m i t Engeln. Der Altar m u ß ganz aufgeklappt mehr als zwei Meter breit
gewesen sein. Nach einer kürzlich vorgebrachten These wurde das A l t a r b i l d ursprünglich
für die Kapelle i m Palazzo Pubblico i n Siena gemalt.
Einige der Tafeln w u r d e n z u m Teil v o n den M i t a r b e i t e r n des Künstlers gemalt,
die Tafel i m Getty-Museum jedoch stammt vollständig aus der H a n d Simones. D i e
Raffinesse i m Entwurf, die außerordentliche Eleganz der H a n d , die leicht gestreckte
Figur u n d die Intensität des Ausdrucks sind unverkennbare M e r k m a l e seiner
Arbeitsweise.
8
ITALIENISCHE SCHULE
BF
2 BERNARDO DADDI
Dieses sehr schön konservierte T r i p t y c h o n entstand i n Florenz, etwa zur selben Zeit,
Italien, ca. 1280-1348
als Simone M a r t i n i i m nahegelegenen Siena den Heiligen Lukas (Nr.1) malte. D a d d i
Die Jungfrau Maria mit den
Heiligen Thomas von Aquin
Paulus, ca. 1330
Tempera und Blattgold auf Holz
Mittlere Tafel: 120,7 x 55,9 cm
Linke Tafel: 105,5 x 28 cm
Rechte Tafel: 105,5 x 27,6 cm
93.PB.16
modelliert seine Personen jedoch m i t feinen Nuancen v o n L i c h t u n d Schatten u n d
und
verleiht ihnen so mehr Masse u n d Körperlichkeit. D i e räumliche W i r k u n g dieser
Figuren rief die Bewunderung vieler Zeitgenossen hervor. Ihre Natürlichkeit u n d
ihre menschliche Qualität spiegeln das revolutionäre Beispiel, das G i o t t o erst kurz
zuvor gegeben hatte, wider u n d k ü n d e n v o n dem H e r a u f d ä m m e r n der Renaissance i n
Florenz. Diese Künstler machten die Beobachtung der N a t u r z u m M a ß s t a b , der für die
nachfolgenden Jahrhunderte das künstlerische Streben i n Europa beherrschen sollte.
Einige Details, wie z u m Beispiel die m a n d e l f ö r m i g e n Augen, das m i t prächtigen
M u s t e r n g e s c h m ü c k t e K l e i d der Heiligen Jungfrau u n d der hervorragend gearbeitete
G o l d h i n t e r g r u n d machen deutlich, daß die byzantinische Abstraktion noch n i c h t ganz
ü b e r w u n d e n war.
D i e Darstellung der M a d o n n a i m Brustbild zwischen stehenden Heiligen als
G a n z p o r t r ä t wurde zu einer sehr p o p u l ä r e n Darstellungsform i n der religiösen
M e t a p h o r i k . D i e W a h l v o n Thomas v o n A q u i n u n d Paulus ist wahrscheinlich auf die
besondere Bedeutung dieser Heiligen für den ursprünglichen Besitzer zurückzuführen.
Vielleicht geben sie Aufschluß über seinen N a m e n . I n einem Dreiblatt (Kleeblatt) über
den Figuren erteilt Jesus Christus seinen Segen. D i e G r ö ß e des Triptychons - es ist
zu groß für eine Verwendung als tragbares A l t a r b i l d , andererseits zu klein für einen
Kirchenaltar - läßt darauf schließen, daß es wahrscheinlich für eine kleine Kapelle
bestimmt war.
D i e Vergoldung des Untergrunds sollte den E i n d r u c k erwecken, daß Massivgold
verwendet wurde, u n d war als H u l d i g u n g an die dargestellten Heiligenfiguren gedacht.
Der U n t e r g r u n d erfüllt auch eine räumliche F u n k t i o n , i n d e m er eine A r t v o n goldenem
E m p y r e u m schafft, der die Figuren aus der irdischen W e l t heraushebt u n d i n das
himmlische Reich entrückt.
Andererseits w i r d Daddis Jungfrau M a r i a geradezu i n unseren R a u m gestoßen: Ihre
H a n d reicht über die M a r m o r b r ü s t u n g , w o d u r c h ihre Menschlichkeit u m so w i r k l i c h e r
w i r d . W ä h r e n d sie das Magnifikat (Lukas 1,46-48) liest, deutet sie a u f etwas außerhalb
des Bildes, einen A l t a r oder ein Grab, was unterhalb des Bildes liegt. A u f diese A r t feiert
D a d d i Marias Rolle als die stärkste Fürsprecherin, als ruhige u n d mitfühlende
V e r m i t t l e r i n zwischen unserer W e l t u n d dem Reich Gottes.
10
ITALIENISCHE SCHULE
DC
3 GENTILE DA FABRIANO
Die Krönung der Jungfrau Maria
ist eines der wenigen noch erhaltenen Exemplare
Italien, ca. 1370-1427
einer Prozessionsstandarte, die dazu bestimmt waren, an einem Ständer befestigt, auf
Die Krönung der Jungfrau
religiösen U m z ü g e n mitgeführt zu werden. Das B i l d wurde i n leuchtenden Farben auf
Maria, ca. 1420
Tempera auf Holz
87,5 x 64 cm
77.PB.92
einer Blattgoldschicht gemalt. Früher besaß die Standarte auch noch eine Darstellung
von Gottvater i n einem T y m p a n o n , die i n einem gesonderten Abschnitt über dem
B i l d angebracht war. Dieser Teil ist verloren gegangen. D i e Standarte war außerdem
ursprünglich beidseitig bemalt, u n d wurde zu einem n i c h t näher zu bestimmenden
Z e i t p u n k t vor 1827 i n zwei Teile zersägt. D i e Rückseite, Die Stigmatisation des
Heiligen Franziskus,
befindet sich gegenwärtig i n der Magnani-Rocca-Sammlung
i n Reggio Emilia, N o r d i t a l i e n .
Aus der M o t i v w a h l u n d vorhandenen D o k u m e n t e n läßt sich schließen, daß die
Standarte für die Franziskanermönche v o n Fabriano gemalt wurde u n d i n der Kirche
San Francesco aufbewahrt wurde. Das G e m ä l d e wechselte während der darauffolgenden
vierhundert Jahre infolge v o n Abrissen u n d U m b a u t e n v o n Kirchen einige M a l e seinen
Standort, wurde jedoch i n Fabriano noch verehrt, als schon lange keine solchen
G e m ä l d e mehr angefertigt w u r d e n , da es Gentile, dem berühmtesten Sohn der
Stadt zugeschrieben wurde. I n den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts waren
solche Überreste aus dem Spätmittelalter u n d der Renaissance äußerst begehrt,
u n d ein englischer Sammler konnte Die Krönung erwerben.
M a n n i m m t an, daß Gentile die Standarte w ä h r e n d eines Besuchs i n seiner
Heimatstadt i m Frühjahr 1420 malte, also zu einem relativ späten Z e i t p u n k t seiner
glanzvollen Karriere. Z u dieser Z e i t war er i n ganz Italien als größter Künstler seiner
Generation zu R u h m u n d Ehre gekommen. O b w o h l n u r wenige seiner Bilder erhalten
sind, hatte sein W e r k großen Einfluß auf seine Zeitgenossen (teilweise aufgrund seines
ausgeprägten Sinns für R a u m u n d F o r m ) .
Die auf dieser Tafel dargestellte Szene hat der Künstler m i t H i l f e v o n mehreren
prächtigen Stoffen m i t großen, bunten M u s t e r n k o m p o n i e r t , weshalb er die räumlichen
Aspekte des G e m ä l d e s n i c h t i m üblichen M a ß e entwickeln konnte. Christus segnet u n d
krönt gleichzeitig die Jungfrau Maria, ein für diese Z e i t eher ungewöhnliches Detail,
während zu beiden Seiten die Engel Lieder singen, die auf Papierrollen geschrieben
sind. Das B i l d vermittelt einen Gesamteindruck v o n P r u n k u n d Verschwendung, der
einer Tafel angemessen ist, die einst zu den meistverehrten kirchlichen Kunstschätzen
der Stadt Fabriano gehörte.
BF
ITALIENISCHE SCHULE
13
4 MASACCIO
Masaccios kurze, aber einmalige Karriere ist v o n einigen wenigen Hauptwerken geprägt,
(Tommaso d i Giovanni Guidi)
zu denen ein A l t a r b i l d für die Kirche Santa M a r i a del Carmine i n Pisa, ein Freskenzyklus
Italien, 1401-1428 (?)
für die Brancacci-Kapelle i n der Florentiner Kirche Santa M a r i a del Carmine u n d ein
Der Heilige Andreas, 1426
Tempera auf Holz
52,4 x 32,7 cm
79.PB.61
Fresko m i t der Darstellung der Dreieinigkeit i n der Kirche Santa M a r i a Novella i n
Florenz gehören. A l l diese Bilder entstanden i n einem Z e i t r a u m v o n etwa vier Jahren,
die einzige zeitlich ausreichend dokumentierte Arbeit ist jedoch das A l t a r b i l d für Pisa,
ein epochales W e r k , das sofort b e r ü h m t wurde. Z u diesem A l t a r b i l d gehörte die Tafel,
die hier ausgestellt ist.
D e r Florentiner Masaccio begann das A l t a r b i l d für Pisa i m Februar 1426, u n d er
m u ß einen Großteil der Z e i t bis zu seiner Fertigstellung am ersten Weihnachtsfeiertag
i n Pisa verbracht haben. D i e Kapelle, i n der es aufgestellt werden sollte, war i m Jahr
zuvor i m Auftrag v o n Ser G i u l i a n o d i C o l i n o degli Scarsi, einem wohlhabenden N o t a r
i n Pisa, gebaut worden. Dessen Aufzeichnungen ist zu entnehmen, daß Masaccio m i t
zwei Helfern arbeitete, seinem jüngeren Bruder G i o v a n n i u n d Andrea d i Giusto, die
später beide m i t eigenen Werken künstlerische A n e r k e n n u n g erlangten.
A u f dem M i t t e l b i l d des Altars, das sich gegenwärtig i n der N a t i o n a l Gallery i n
L o n d o n befindet, ist die Jungfrau M a r i a m i t i h r e m K i n d , umgeben v o n singenden u n d
musizierenden Engeln dargestellt. A u f den beiden seitlichen Tafeln waren die Heiligen
Petrus, Johannes der Täufer, Julian u n d Nikolaus abgebildet (man n i m m t an, daß sie
verloren gegangen sind). A u f der Predella, dem Sockel des Altarbildes, waren Szenen
aus d e m Leben der genannten Heiligen u n d Die Anbetung der Könige dargestellt
(sie befinden sich gegenwärtig i n ihrer Gesamtheit i m Besitz der Staatlichen Museen
Preussischer Kulturbesitz, Berlin). Ü b e r der Marienfigur befand sich Die
Kreuzigung
(höchstwahrscheinlich das G e m ä l d e , das sich derzeit i m Museo e Gallerie Nazionali d i
Capodimonte i n Neapel befindet), u n d auf beiden Seiten waren i n oberen Registern
noch viele andere Heilige dargestellt. M a n n i m m t an, daß die Tafel v o m Heiligen
Andreas, die sich i m Besitz v o n Getty befindet, eines dieser Heiligenbilder ist. Das
ganze A l t a r b i l d war etwa 4,60 m hoch, eine große u n d beeindruckende K o n s t r u k t i o n .
D e r besondere W e r t v o n Masaccios W e r k besteht i n der innovativen Wiedergabe
der Figur u n d i n seinem originellen Verständnis v o n F o r m u n d V o l u m e n . Diesem
Künstler w i r d das Verdienst zugeschrieben, einen neuen Abschnitt i n der Geschichte
der Malerei eingeleitet zu haben, u n d der erste Künstler seit der A n t i k e gewesen zu sein,
der a u f der Grundlage einer rationalen O r d n u n g auf eine zweidimensionale Oberfläche
eine Illusion v o n räumlicher Weite projizierte. M e h r als jedes andere G e m ä l d e markiert
dieser Altaraufsatz den Beginn der Renaissance i n der Toskana des 15. Jahrhunderts.
BF
ITALIENISCHE SCHULE
15
5 ERCOLE DE' ROBERTI
W ä h r e n d seiner vierjährigen Pilgerfahrt i n die ägyptische W ü s t e läuterte der Heilige
Italien, ca. 1450/56-1496
H i e r o n y m u s ( 3 4 2 - 4 2 0 ) seinen Geist durch körperliches Leiden. I m Schutze eines
Der Heilige
verfallenen Gewölbes, das an eine Kirche denken läßt, betrachtet der ausgemergelte
Hieronymus,
ca. 1470
Tempera auf Holz
34 x 22 cm
96.PB.14
Heilige ein Kruzifix, wobei er m i t der anderen H a n d einen Stein u m k l a m m e r t , m i t
dem er sogleich seine Brust kasteien w i r d . D i e Intensität des Blickes des Heiligen
H i e r o n y m u s auf das Kruzifix deutet auf seine religöse Inbrunst u n d sein intellektuelles
Streben h i n . O b e n am Scheitelpunkt des Bauwerks befinden sich die eindeutigen
A t t r i b u t e des Hieronymus: ein Buch, das auf seine Ubersetzung der Bibel ins
Lateinische hinweist, u n d eine Kardinalsmütze, die auf seine Z e i t i n den Diensten
des Papstes Damaskus I . (Amtszeit 3 6 6 - 3 8 4 ) i n R o m anspielt. Der kleine L ö w e ,
eine Tiergattung, die dem Künstler offensichtlich nur v o n einer Buchillustration her
bekannt war, bezieht sich auf eine beliebte Fabel, nach der Hieronymus einen Stachel
aus der Pranke eines L ö w e n zog, w o d u r c h er dessen zutiefst ergebene Freundschaft
gewann.
Ercole de' Roberti arbeitete hauptsächlich i n Ferrara, einem der glanzvollsten
Stadtstaaten i m N o r d i t a l i e n der Renaissance, w o er den klassischen Stil m i t prägte, für
den die Stadt so b e r ü h m t ist. Ercole leistete einen unvergleichbaren Beitrag m i t seinen
äußerst präzisen Werken, die sich m i t dem T h e m a der drückenden inneren Einkehr
befassen, wie auch hier b e i m Heiligen
Hieronymus.
I n den langgestreckten Formen, den straffen, linearen R h y t h m e n , verhaltenen
Farben u n d minitiösen, goldbesprenkelten Details zeigt sich das stilistische K ö n n e n , das
v o n Ercoles Auftraggebern am Hofe v o n Ferrara so hoch geschätzt wurde. D e r dezente,
elegante Klassizismus seines Werkes, ein S t ü c k weit d u r c h das S t u d i u m der Werke
Mantegnas inspiriert, k o m m t hier i n den überaus ausdrucksvollen, geschmeidigen
Gliedern u n d H ä n d e n der Figur z u m Ausdruck. D i e Begeisterung des Künstlers
für die Schichttechnik zur Gestaltung v o n Formen zeigt sich hier i n den aufrechten
Holzpfählen unterhalb des Heiligen sowie i n dem i n feinen Schichten gewachsenen
Felsen. Dieses K l e i n o d der Devotionalienmalerei verlangt dem Betrachter vollkommene
A n d a c h t ab, i n der die Anstrengungen, welche Hieronymus auf sich nahm, u m G o t t
näher zu sein, ihren Wiederhall
16
ITALIENISCHE SCHULE
finden.
JH
6 VITTORE CARPACCIO
Carpaccio war einer der ersten Renaissance-Maler, der i n seinen Werken Szenen aus
Italien, 1460/65-1525/26
dem A l l t a g abbildete. Diese Ansicht seiner Heimatstadt Venedig zeigt Kormoranjäger
Jagd auf der Lagune,
auf einer Lagune. D i e Jagdgesellschaft benutzt n i c h t Pfeil u n d Bogen, sondern Kugeln
ca. 1 4 9 0 - 9 5
Öl auf Holz
75,4 x 63,8 cm
79.PB.72
aus getrocknetem L e h m , w o h l u m die V ö g e l zu betäuben, ohne i h r Fleisch oder Gefieder
zu beschädigen. I n einem frühen Beispiel v o n bildlich eingefangener Bewegung sieht
m a n eines dieser Kügelchen, das gerade eben v o m rechten B o o t aus abgefeuert wurde,
m i t t e n i n der Luft, kurz vor dem Auftreffen auf den K o r m o r a n i m Vordergrund.
Diese Tafel stellt den oberen Teil einer K o m p o s i t i o n dar, die ursprünglich viel länger
war, wie die abgeschnittene Lilie i n der l i n k e n unteren Ecke vermuten läßt. Sie diente
als H i n t e r g r u n d für eine Szene m i t zwei Frauen, die a u f einem Balkon m i t Blick auf die
Lagune sitzen. Dieses G e m ä l d e befindet sich heute i m Museo Correr i n Venedig. A u f
diesem G e m ä l d e ist auf einem Geländer eine Vase m i t einem Stiel abgebildet, der die
Blüte auf dem B i l d i n Getty-Besitz ergänzt. Kürzlich durchgeführte Untersuchungen
an beiden Tafeln bestätigten die These,
daß sie früher zu ein u n d demselben
B i l d gehörten. D i e Holzmaserung ist
identisch, u n d Holzmaserungen sind
ebenso wie Fingerabdrücke einmalig.
Leider wurden sie w o h l irgendwann
aus kommerziellen G r ü n d e n
auseinandergesägt. A u f der Rückseite
des i n diesem M u s e u m befindlichen
G e m ä l d e s ist ein außergewöhnliches
B i l d erhalten. D e r illusionistische
Briefhalter, dessen Briefe aus dem B i l d
heraus i n den R a u m des Betrachters zu
ragen scheinen, ist das erste trompel'oeil ( T ä u s c h u n g des Auges) i n der
italienischen Malerei. Rillen für
Scharniere u n d ein Riegel deuten
darauf h i n , daß die zweiseitige Tafel
als Schmuck-Fensterladen oder als
Schranktüre diente. Dies legt den
Schluß nahe, daß n o c h ein anderer,
dazu passender Laden oder eine andere
T ü r als G e g e n s t ü c k existierte, v o n
denen heute nichts bekannt ist.
Sollte die Tafel als Fensterladen gedient haben, dann hätte der geschlossene Laden
beim Betrachter den E i n d r u c k erweckt, daß das Fenster m i t Blick a u f die Lagune
geöffnet sei, was den an sich schon bemerkenswerten Illusionismus noch verstärkt
hätte.
18
ITALIENISCHE SCHULE
DC
7 ANDREA MANTEGNA
D i e Renaissance ist d u r c h ein intensives Wiederaufleben des Interesses an Kunst
Italien, ca. 1 4 3 1 - 1 5 0 6
u n d K u l t u r der A n t i k e charakterisiert. W ä h r e n d des 15. Jahrhunderts w u r d e n
Die Anbetung der Heiligen
i n Norditalien, vor allem i n Padua u n d M a n t u a , einige der offenkundigsten
Drei Könige, ca. 1495-1505
Temperafarben auf Leinwand
54,6 x 69,2 cm
85.PA.417
Nachahmungen des "klassischen" Stils geschaffen. Dies ist vor allem auf den
Einfluß Andrea Mantegnas zurückzuführen, der i n beiden Städten arbeitete u n d einen
Großteil seiner künstlerischen Laufbahn am H o f der Gonzaga zu M a n t u a verbrachte.
Mantegna hatte zwar wahrscheinlich keine klassischen G e m ä l d e für Studienzwecke
zur Verfügung, er hatte jedoch Zugang zu einigen Statuen u n d zu kürzlich
ausgegrabenen Fragmenten v o n römischen Figuren u n d Reliefs. Sowohl i n seinen
religiösen Bildern, als auch i n seinen Werken zu T h e m e n aus der Klassik u n d der
M y t h o l o g i e ist klar zu erkennen, daß seine Vorlagen z u m Großteil Skulpturen waren.
Sein Stil w i r d durch eine scharfe D e f i n i t i o n v o n Figuren u n d Objekten i n V e r b i n d u n g
m i t klarem r ä u m l i c h e m Ausdruck charakterisiert. Einige seiner Bilder sind i n Grisaille
ausgeführt, d.h. nur i n G r a u t ö n e n , so als ob er Reliefs imitierte. Sie v e r m i t t e l n den
Eindruck, als ob sie m i t großer Sorgfalt u n d bis i n feinste Einzelheiten gemeißelt seien.
Das hier ausgestellten G e m ä l d e wurde wahrscheinlich i n M a n t u a angefertigt, m i t
ziemlicher Sicherheit für Francesco I L Gonzaga. D e r H i n t e r g r u n d ist völlig neutral
gehalten, ohne auch nur ansatzweise einen Schauplatz andeuten zu wollen. V o r der
Heiligen Familie k n i e n die drei K ö n i g e : der kahlköpfige Kaspar, M e l c h i o r u n d der
M o h r Balthasar. D i e H ü t e , die M e l c h i o r u n d Balthasar tragen, sind ziemlich genaue
Abbilder orientalischer oder levantinischer Kopfbedeckungen. Kaspar überreicht eine
blau-weiße Schale aus feinstem chinesischen Porzellan (eine der frühesten Darstellungen
fernöstlichen Porzellans i n der westlichen Kunst). M e l c h i o r hält ein Rauchfaß, das
als türkisches T o m b a k identifiziert wurde, u n d Balthasar b r i n g t eine sehr schöne
Achatvase dar. Derartige G e g e n s t ä n d e waren i n Italien selten, o b w o h l einige Details
der K l e i d u n g i n Venedig, das rege Handelsbeziehungen m i t dem O r i e n t pflegte,
vielleicht schon zu sehen waren. Es ist m ö g l i c h , daß es sich bei ihnen u m Stücke aus
Gonzagas Sammlungen v o n Gastgeschenken ausländischer Staatsmänner handelte.
D i e i m M u s e u m ausgestellte Anbetung
ist eines der wenigen italienischen
G e m ä l d e , die auf L e i n w a n d anstatt auf H o l z ausgeführt wurden. Solche Bilder w u r d e n
ursprünglich n i c h t gefirnißt, da sie m i t Temperafarben anstatt m i t Ö l gemalt w u r d e n .
Z u einem späteren Z e i t p u n k t aufgetragener Firnis hat die L e i n w a n d verdunkelt, ohne
jedoch die S c h ö n h e i t der Gestalten u n d die Detailfülle i n nennenswertem M a ß e zu
beeinträchtigen.
20 I T A L I E N I S C H E S C H U L E
BF
8 FRA BARTOLOMMEO
(Baccio della Porta)
Italien, 1472-1517
Die Rast auf der Flucht nach Ägypten
mit dem Heiligen Johannes dem Täufer, ca. 1509
Öl auf Holz
129,5 x 106,6 cm
96.PB.15
Fra Bartolommeo malte dieses W e r k i m Jahre 1509, gleich nach seiner R ü c k k e h r
nach Florenz v o n seiner Reise nach Venedig. Die Rast auf der Flucht versinnbildlicht
eine neuartige A n t w o r t des Künstlers auf den M o n u m e n t a l s t i l der Florentiner
Hochrenaissance, der auf Leonardo, Michelangelo u n d Raphael zurückgeht.
I n diesem w u n d e r v o l l orchestrierten D i a l o g v o n Gestik u n d Blick läßt sich die
Heilige Familie, nachdem sie aus Bethlehem u n d dem v o n K ö n i g Herodes befohlenen
Massaker an den Neugeborenen e n t k o m m e n ist, i m Schutze einer Dattelpalme nieder.
D e r kleine Johannes der T ä u f e r begrüßt das Jesuskind, das nach dem Schilfkreuz des
Johannes greift. D i e Anwesenheit des Täufers verweist darauf, daß das höhere Z i e l
der Rettung des Kindes letztendlich dessen O p f e r t o d am Kreuze ist. Fra Bartolommeo
verleiht dem B i l d weiteren Pathos i m Zeichen des Granatapfels, einer Frucht, die ein
Vorbote des Todes C h r i s t i ist, sowie der schattenspendenden Palme, deren Wedel
dem Erlöser bei dessen letztem Einzug nach Jerusalem den W e g ebnen werden. D e r
zerfallene Bogen spielt a u f den Niedergang der heidnischen W e l t o r d n u n g u n d auf
den Aufstieg der Kirche C h r i s t i an, die d u r c h M a r i a personifiziert w i r d .
Fra Bartolommeo fängt das Florentiner Schönheitsideal m i t der anmutigen Pose
der M a d o n n a ein. D i e Begeisterung des Malers für die N a t u r zeigt sich an seinem
meisterhaften U m g a n g m i t dem diffusen Licht, der detaillierten Darstellung der
Palme u n d dem behende gemalten Gefieder der V ö g e l .
DJ
ITALIENISCHE SCHULE
23
9 GIULIO ROMANO
(Giulio Pippi)
Italien, vor 1499-1546
Die Heilige
Familie,
ca. 1 5 2 0 - 2 3
O l (möglicherweise m i t Tempera
gemischt) auf Holz
77,8 x 61,9 cm
95.PB.64
G i u l i o Romano war Raffaels bedeutendster Protege. N a c h Raffaels T o d i m Jahr 1520
ü b e r n a h m G i u l i o die L e i t u n g der römischen Werkstatt seines Meisters. Diese Stellung
hatte er bis 1524 inne, als er seine Geburtsstadt verließ u n d als Hofmaler an den H o f
des Herzogs v o n M a n t u a ging. A u f g r u n d der äußerst engen Zusammenarbeit zwischen
den beiden Künstlern gibt die Z u o r d n u n g zu Raffaels oder Giulios W e r k i m m e r wieder
A n l a ß zu hitzigen Debatten. Diese Heilige Familie jedoch ist voller Manierismen, die
m i t Sicherheit Giulios späteren, eigenständigen Werken zugeschrieben werden k ö n n e n ,
vor allem die metallischen Farben, die groben Gesichtszüge u n d eine ausgiebige
Beschäftigung m i t Oberflächenornamenten.
A u f dieser Tafel entwickelt G i u l i o das vertraute T h e m a der Heiligen Familie.
D i e A n k u n f t der Frau m i t den Tauben der L ä u t e r u n g kennzeichnet die Szene als den
M o m e n t , i n dem das C h r i s t k i n d u n d der Heilige Johannes der T ä u f e r einander z u m
ersten M a l begegnen. Sowohl Josef als auch M a r i a schauen fürsorglich auf die beiden
frühreifen Leser hinunter, u n d vervollständigen so die gekonnt komponierte, fest
z u s a m m e n g e f ü g t e Gruppe. G i u l i o setzte dem B i l d typischerweise lebendige Details
hinzu, wie z u m Beispiel den H u n d , der links aus der T ü r läuft, u n d die herrlich
ausgeführte Landschaft all'antica zur Rechten.
D i e Tafel ist zeitlich wahrscheinlich i n die Periode zwischen Raffaels letztem W e r k ,
Die Verklärung (1520) u n d Giulios Martirium
des Heiligen Stefanus (1523) einzuordnen.
A u f i h r zeigt sich G i u l i o i n seiner A r b e i t als Erbe Raffaels, der zwar dieselbe stilistische
Sprache weiterbenutzt, jedoch auch seine eigenen Entwurfsvorstellungen stärker
umsetzt.
24
ITALIENISCHE SCHULE
DJ
10 CORREGGIO
(Antonio Allegri)
Italien, ca. 1489/94-1534
Das Haupt Christi, ca. 1 5 2 5 - 3 0
Öl auf Holz
28,6 x 23 cm
94.PB.74
A n t o n i o Allegri, nach seinem Geburtsort auch Correggio genannt, war der führende
Künstler der Hochrenaissance i n der Gegend v o n E m i l i a i m N o r d e n Mittelitaliens.
M i t dem G e m ä l d e Das Haupt Christi kreiert Correggio einen neuen Typus religiöser
Bildsprache. Das M o t i v stammt aus der Legende der Heiligen Veronika. Als Christus
auf d e m W e g zur Kreuzigung fiel, k a m i h m Veronika zu H i l f e u n d trocknete i h m das
Gesicht m i t i h r e m Schleier, auf dem sich auf wunderbare Weise sein A n t l i t z einprägte.
Anstelle der traditionellen ikonischen K o m p o s i t i o n , bei der die Reliquie des Schleiers
m i t dem darauf eingeprägten Gesicht des Erlösers dargestellt w i r d , porträtiert
Correggio einen eindrucksvoll naturalistischen Christus, der sich dem Betrachter
zuwendet u n d seine L i p p e n öffnet, so als ob er sprechen wollte. Veronikas Schleier ist
das gefaltete weiße T u c h i m H i n t e r g r u n d , das u m Jesu Schultern geschlungen ist u n d
i n einigen weichen weißen Fransen rechts unten endet. D i e t i e f religiöse W i r k u n g ,
die das B i l d besitzt, ist a u f einen k ü h n e n Einfall Correggios zurückzuführen: Christus
w i r d i m Augenblick vor dem W u n d e r i n den Schleier gehüllt dargestellt. D e r Künstler
erweckt den E i n d r u c k , daß sich das lebendige A n t l i t z C h r i s t i dem Betrachter zuwende.
Correggios Neuinterpretation eines traditionellen Bildes, das der K o n t e m p l a t i o n
u n d dem einsamen Gebet dienen sollte, k ö n n t e z u m Wiederaufleben eines neuen Sinns
für F r ö m m i g k e i t i n Beziehung gesetzt werden, sowie m i t der R ü c k k e h r v o n Veronikas
Schleier i n den Petersdom i m Jahre 1527, zusammen m i t anderen wichtigen Reliquien
der Christenheit, die bei der P l ü n d e r u n g Roms 1527 entwendet w o r d e n waren.
Zahlreiche K o p i e n v o m Haupt Christi belegen, welch großen Erfolg diese neuartige
B i l d k o m p o s i t i o n hatte u n d i n welch h o h e m Ansehen dieser Maler stand.
DA
ITALIENISCHE SCHULE
25
11 D O S S O D O S S I
(Giovanni de' Luteri)
Italien, ca. 1490-1542
Szene aus der Mythologie,
ca. 1524
O l auf Leinwand
163,8x145,4 cm
83.PA.15
W ä h r e n d des frühen 16. Jahrhunderts versammelten die H e r z ö g e v o n Ferrara einige
der originellsten u n d brillantesten Maler, Schriftsteller u n d Musiker der Z e i t an i h r e m
H o f . Herzog Alfonso I . d'Este ( 1 5 0 5 - 1 5 3 4 ) brachte Maler wie Raffael aus R o m u n d
Giovanni Bellini u n d T i z i a n aus Venedig zusammen. D i e G e m ä l d e s a m m l u n g des
Herzogs bestand hauptsächlich aus Werken zweier lokaler Künstler, der Brüder
Dosso u n d Battista Dossi. D i e brillanten Farben u n d die poetische Mysteriosität des
venezianischen Stils durchdringen das W e r k der beiden Brüder. Es zeigt sich jedoch
auch ein H a n g zu klassischen M o t i v e n u n d anscheinend v o n römischen Vorbildern
abgeleitete Figurenposen. Viele v o n Dossos besten Bildern verschließen sich aufgrund
ihrer exzentrischen allegorischen Inhalte i m m e r noch einer genauen D e u t u n g . Dieses
G e m ä l d e w i r d allgemein als mythologisch angesehen, da der griechische G o t t Pan auf
der rechten Seite erscheint. E i n Deutungsvorschlag ist, daß die herrliche Nackte i m
Vordergrund die N y m p h e Echo sein könnte, die Pan liebte; die ältere Frau k ö n n t e
Terra sein, Echos Beschützerin.
Dosso übermalte die Frau m i t dem aufgebauschten roten Cape i n der l i n k e n
Bildhälfte m i t einer Landschaft, die später wieder abgeschabt wurde. Z u irgendeinem
Z e i t p u n k t w u r d e n außerdem links v o m G e m ä l d e ca. 15 c m abgeschnitten, so daß die
Figuren die K o m p o s i t i o n ursprünglich weniger stark dominierten als heute.
Trotz der Veränderungen, wegen derer w i r das G e m ä l d e nicht genau i n der Weise
betrachten können, wie es die I n t e n t i o n des Künstlers war, k a n n m a n es doch als eines
der sinnlichsten u n d ehrgeizigsten v o n Dossos Werken bezeichnen. D i e wunderbar
detaillierten B l u m e n i m Vordergrund, der farbenprächtige Z i t r o n e n b a u m u n d die
phantastische Landschaft vermitteln eine überschwengliche Individualität.
BF
ITALIENISCHE SCHULE
27
12 DOSSO
DOSSl
Dieses erst kürzlich entdeckte G e m ä l d e wurde v o n Dosso mindestens zehn Jahre nach
(Giovanni de' Luteri)
der auf der vorherigen Seite dargestellten Szene aus der Mythologie gemalt. W ä h r e n d
Italien, ca. 1 4 9 0 - 1 5 4 2
sich i n den leuchtenden, poetischen Farben u n d der A t m o s p h ä r e des früheren Werks
Allegorie der Fortuna, ca. 1530
Öl auf Leinwand
178 x 216,5 cm
89.PA.32
der Einfluß der zeitgenössischen venezianischen Malerei widerspiegelt, zeigt sich
i n Allegorie der Fortuna, wie sich sein Schaffen danach zu einem eher römischen,
figurbetonten
Stil h i n entwickelte. Tatsächlich sind die Figuren der Allegorie m i t ihren
heroischen Proportionen u n d Posen sehr stark v o n Vorbildern aus Michelangelos
D e c k e n g e m ä l d e i n der Sixtinischen Kapelle inspiriert.
D i e Frau verkörpert Fortuna, die G ö t t i n des G l ü c k s , die gleichgültige Kraft, die das
Schicksal bestimmt. Sie ist nackt, hält ein Füllhorn u n d stellt so die ü p p i g e n Gaben zur
Schau, die sie bringen könnte. I h r einzelner Schuh deutet an, daß sie n i c h t n u r G l ü c k ,
sondern auch U n g l ü c k bringen kann. W ä h r e n d diese Merkmale den traditionellen
Darstellungen Fortunas entsprechen, ist Dosso i m U m g a n g m i t ihren sonstigen
A t t r i b u t e n sehr kreativ. Fortuna wurde oft m i t einem Segel dargestellt, u m anzudeuten,
daß sie so u n b e s t ä n d i g wie der W i n d ist, aber Dosso verwendet eine kunstvolle
A u s s c h m ü c k u n g m i t wallenden Stoffen. Ebenso wurde Fortuna oft auf einer E r d ­
oder H i m m e l s k u g e l balancierend dargestellt, u m ihre Einflußsphäre zu verdeutlichen,
aber m i t dem i h m eigenen W i t z malt Dosso sie auf einer Blase sitzend, dem Symbol
der Vergänglichkeit, u m zu betonen, daß ihre Gunst oft wechselhaft ist.
D e r M a n n kann als Personifizierung des Zufalls interpretiert werden, eher i m Sinne
v o n G l ü c k (sorte) als v o n M ö g l i c h k e i t (occasio). Er blickt sehnsüchtig zu Fortuna h i n
u n d ist dabei, Papierstreifen oder Lotterielose i n eine goldene U r n e zu werfen. D i e
Lose sind k e i n traditionelles A t t r i b u t , sondern eher eine zeitgemäße Anspielung auf
die Lotterien, die kurz zuvor i n Italien aufgekommen waren.
D i e Papierlose weckten i n der Gesellschaft, i n der Dosso arbeitete, noch eine andere
Assoziation. Sie w u r d e n als ein Wahrzeichen Isabellas d'Este, der Marquise v o n M a n t u a
gedeutet. Einer ihrer gelehrten Ratgeber sagte, daß sie dieses B i l d als Versinnbildlichung
ihrer persönlichen Erfahrung m i t dem wechselhaften Schicksal wählte. M ö g l i c h e r w e i s e
schuf Dosso dieses G e m ä l d e für Isabella u n d bezieht sich auf die Wechselfälle ihres
Schicksals am H o f v o n M a n t u a . U n a b h ä n g i g davon, ob dies jemals m i t Sicherheit
belegt werden k a n n oder nicht, lädt die eindringliche u n d schwermütige S t i m m u n g
des G e m ä l d e s jedoch den heutigen Betrachter zu einer Reflexion darüber ein, i n
welchem A u s m a ß das Leben doch Spielball der Launen der G l ü c k s g ö t t i n ist.
28
ITALIENISCHE SCHULE
DC
13 S E B A S T I A N O D E L
PIOMBO
(Sebastiano Luciani)
Italien, ca. 1 4 8 5 - 1 5 4 7
Papst Klemens VII., ca. 1531
O l auf Schiefer
105,5 x 87,5 cm
92.PC.25
Dieses Porträt stellt G i u l i o de M e d i c i ( 1 4 7 8 - 1 5 3 4 ) dar, der ab 1523 als Papst
Klemens V I I . regierte. Klemens ist vor allem als einer der größten Förderer der
Kunst der Renaissance i n die Geschichte eingegangen. Er gab unter anderem Raphaels
Transfiguration
( R o m , Pinacoteca Vaticana), u n d Michelangelos Kapelle der M e d i c i u n d
Laurentinische Bibliothek (Florenz, San Lorenzo) i n Auftrag, sowie Das Jüngste
Gericht
i n der Sixtinischen Kapelle ( R o m , Vatikan). Klemens war auch Sebastianos größter
Förderer. Er beauftragte i h n unter anderem 1517 m i t der Auferweckung
des Lazarus
( L o n d o n , N a t i o n a l Gallery) u n d bestellte i h n 1531 i n das H o h e A m t des H ü t e r s des
Päpstlichen Siegels.
Sebastianos Porträtstil w o h n t eine eigene, monumentale Grandeur inne. D e r Papst
sitzt i n einem Sessel schräg zur Bildebene. Das erste eigenständige Papstporträt, das
m i t diesem Format des Dreiviertelbildes arbeitete, war Raphaels Porträt Julius'
II.
( L o n d o n , N a t i o n a l Gallery) aus den Jahren 1 5 1 1 - 1 5 1 2 . Sebastianos Porträts v o n
Klemens V I I . machen diese K o m p o s i t i o n zur N o r m für offizielle Porträts des Pontifex
M a x i m u s . V o n jenem Z e i t p u n k t an wurde diese Standardformel bis z u m heutigen Tag
nahezu ausnahmslos v o n den Porträtmalern u n d Fotografen des Papstes beibehalten.
Es handelt sich hier wahrscheinlich u m das Porträt, das Sebastiano i n seinem
Brief an Michelangelo v o m 22. Juli 1531 erwähnt. D a Sebastiano seine Werke für
die Ewigkeit schaffen wollte, begann er u m 1530 m i t Steinmalerei zu experimentieren.
Schiefer war bis zu dem Z e i t p u n k t n u r selten als Bildträger verwendet worden,
aber Sebastiano benutzte i h n m i t der Z e i t gerne für besonders wichtige Aufträge.
Anscheinend war auch der Papst u m die Langlebigkeit besorgt, da er selbst Stein als
Träger für sein Porträt bestellte. Sie wußten beide, daß H o l z u n d L e i n w a n d verrotten,
Schiefer jedoch ganz besonders haltbar ist, solange m a n i h n n i c h t fallen läßt.
30
ITALIENISCHE SCHULE
DC
14
PONTORMO
(Jacopo Carucci)
Italien, 1494-1557
Porträt eines Hellebardiers
(Francesco Guardi?),
1528-30
Öl auf Holz, auf Leinwand übertragen
92 x 72 cm
89.PA.49
Jacopo Pontormo, Hofmaler bei Herzog Cosimo de' M e d i c i u n d einer der Begründer
der Manieristischen Schule i n Florenz, war ein hervorragender Porträtmaler. D e r
Hellebardier
ist sein gelungenstes Werk. V i e l ist über die Person des Porträtierten
geschrieben worden. I m Jahr 1568 merkte der Künstlerbiograph, Giorgio Vasari, an,
daß Pontormo während der Belagerung v o n Florenz i n den Jahren 1528 - 3 0 "ein ganz
besonders schönes G e m ä l d e " , ein Porträt v o n Francesco Guardi als Soldat, geschaffen
habe. W i r wissen nichts über das Außere Francesco Guardis, aber aufgrund seines
Geburtsjahres 1514 dürfte sich sein Alter m i t dem Alter des jugendlichen Modells
ungefähr decken. D e r Name eines weiteren m ö g l i c h e n Modells, Cosimo de' M e d i c i ,
w i r d lediglich d u r c h ein Florentiner Inventar aus dem Jahre 1612 untermauert.
Pontormo stellt seinen Hellebardier vor eine Festung, so als ob er die Stadt verteidige.
Das selbstbewußte Auftreten, das i n seiner forschen Pose z u m Ausdruck k o m m t ,
erweckt den Anschein v o n Selbstsicherheit, dem seine bange M i m i k jedoch widerspricht.
Diese ambivalente Botschaft w i r d auch d u r c h seine K l e i d u n g unterstrichen. Seine leger
getragene, modische rote Kappe ziert eine Anstecknadel, die eine der Heldentaten
des Herkules darstellt. Unser unbefleckter K ä m p f e r starrt ins Ungewisse, u n d sein
Gesichtsausdruck verrät, daß er sich soeben erst des M y t h o s v o n der Unsterblichkeit
der Jugend bewußt geworden ist.
Laut Vasari hat dieses "besonders schöne" Porträt v o n Francesco Guardi ein A b b i l d
i n Pygmalion und Galatea (Florenz, Palazzo Vecchio), das v o n Pontormos talentiertem
Schüler Bronzino gemalt wurde. D i e außergewöhnliche Q u a l i t ä t des Getty-Porträts
verdient sicherlich Vasaris Beinamen. Pontormos brillanter U m g a n g m i t Farbe u n d
seine nervöse W i e d e r h o l u n g v o n Formen lassen eine lebendige Person entstehen, die
so beeindruckend ist wie die Tat des Pygmalions, der Steine z u m Leben erweckte.
ITALIENISCHE SCHULE
DJ
31
15
TIZIAN
D e r venezianische Maler T i z i a n verdankte seine beherrschende Stellung i n der
(Tiziano Vecellio)
internationalen Kunstwelt seiner Z e i t seinem K ö n n e n als Porträtmaler u n d als
Italien, ca. 1480-1576
Illustrator der klassischen M y t h o l o g i e . Venus und Adonis war eine seiner berühmtesten
Venus und Adonis,
ca. 1560-1570
O l auf Leinwand
160 x 196,5 cm
92.PA.42
mythologischen Kompositionen. D i e E r z ä h l u n g aus Ovids Metamorphosen
beschreibt,
wie die G ö t t i n der Liebe den Jäger n i c h t davon überzeugen kann, bei i h r zu bleiben,
u n d er stattdessen i n seinen T o d läuft. D e r schlummernde C u p i d o m i t unnützen,
noch i m K ö c h e r steckenden Liebespfeilen, u n d das Rebhuhn, das allein neben dem
umgekippten W e i n k r u g steht, deuten an, daß Venus' letzter leidenschaftlicher B l i c k
n i c h t ausreichen w i r d , u m den J ä g e r zurückzuhalten. D i e Szene war ursprünglich
für P h i l i p p I L , K ö n i g v o n Spanien, bestimmt, einen der G ö n n e r Tizians. Das hier
abgebildete G e m ä l d e ist jedoch eine der vielen Varianten für einen bis heute nicht
näher bestimmbaren Bewunderer. Tizian schrieb an Philipp, daß sein Adonis Venus v o n
hinten zeigen sollte, als G e g e n s t ü c k zu seinem früheren G e m ä l d e , a u f dem die nackte
Venus v o n vorne zu sehen ist. M a n mag leicht auf die Interpretation verfallen, nach der
solche G e m ä l d e die weibliche Nacktheit ausbeuten, wie es einige seiner Zeitgenossen
auch taten. T i z i a n sah es als Herausforderung an, den antiken M y t h o s auf glaubwürdige
u n d verführerische A r t u n d Weise darzustellen. W i e Raffael u n d Correggio vor i h m ,
wurde T i z i a n durch ein antikes Basrelief zu diesem G e m ä l d e angeregt. E i n derartiges
Z i t a t einer römischen E r f i n d u n g entspricht i m engsten Sinne unserem Verständnis der
Renaissance als der Wiedergeburt der antiken Kunst, u n d T i z i a n wählte sie, u m seiner
K o m p o s i t i o n Authentizität zu verleihen. Aber er läßt i n seinem B i l d eine Reihe v o n
Zentrifugalkräften w i r k e n : Adonis ist i n dem Augenblick dargestellt, als er sich aus
Venus' U m a r m u n g löst, während einer seiner Jagdhunde sich gerade umdreht. Tizians
M a l s t i l ist besonders i n den Schlaglichtern zu erkennen, die auf die Kleiderfalten fallen
u n d den Stoff i n scharfen Zickzackmustern beleben, fast, als ob es statisch aufgeladen
sei, i n der fast unmerklichen M o d e l l i e r u n g des Fleisches, den blitzenden Haarlocken
u n d der Inszenierung v o n Adonis' U m h a n g , der vor den unheilvollen Bergen
schimmert. D i e venezianischen Künstler waren b e r ü h m t dafür, daß sie der malerischen
Darstellung v o n Lichteffekten auf Oberflächen große Aufmerksamkeit w i d m e t e n ,
wobei sie diese m i t Farben u n d n i c h t nur m i t L i n i e n umsetzten. T i z i a n setzte diese
Effekte a u f geniale A r t u n d Weise ein. Tizians Aufgabe bestand darin, eine irreale W e l t
der Vorstellung sowohl glaubhaft als auch wünschenswert zu machen, u n d er hat sie
gemeistert, i n d e m er uns seine übermenschlichen Hauptpersonen lebendig darstellt
u n d uns ihre tragische Liebesgeschichte a u f überzeugende Weise darlegt.
D i e Zentralfiguren w u r d e n i n Varianten dieses Werks wiederverwendet, die heute
i m Palazzo Barberini u n d der N a t i o n a l Gallery i n L o n d o n ausgestellt sind.
32
ITALIENISCHE SCHULE
DJ
16 V E R O N E S E
D i e auf diesem beeindruckenden Porträt dargestellte Person lehnt an einem großen
(Paolo Caliari)
Sockel, bzw. einem Säulenfuß, auf dem sich kannelierte Säulen erheben. Diese Säulen
Italien, 1528-1588
stehen rechts u n d links v o n einer Nische m i t einer M a r m o r s k u l p t u r einer bekleideten
Porträt eines Mannes,
ca. 1 5 7 6 - 7 8
Öl auf Leinwand
192,2 x 134 cm
71.PA.17
Figur, v o n der nur der untere Teil sichtbar ist. D i e Sockelseiten sind m i t gemeißelten
Reliefs g e s c h m ü c k t , deren M o t i v e n i c h t genau zu erkennen sind. D e r M a n n steht
auf einem Steinfußboden m i t Einlegearbeiten, u n d linker H a n d ist i n der Ferne die
markante Silhouette des venezianischen Markusdoms zu erkennen. D i e Kirche ist
unverständlicherweise v o n B ä u m e n umgeben, so als ob sie i n einem W a l d stünde, statt,
wie i n W i r k l i c h k e i t , i n einer städtischen Umgebung. Alle diese Anhaltspunkte sollen
anscheinend Aufschluß über Beruf oder Identität der porträtierten Person zu geben.
Vielleicht stand er irgendwie i n Verbindung z u m M a r k u s d o m ; das würde jedoch n i c h t
erklären, w a r u m die Basilika i n dieser ungewöhnlichen U m g e b u n g dargestellt ist. Der
M a n n k ö n n t e A r c h i t e k t oder sogar Bildhauer gewesen sein, aber dies w i r d weder durch
seine K l e i d u n g noch durch sein Erscheinungsbild bestätigt. Andererseits deutet die
Tatsache, daß er ein Schwert trägt, darauf h i n , daß er ein Adeliger gewesen sein könnte.
I n bisherigen Deutungsversuchen ist m a n davon ausgegangen, daß sich der Künstler
selbst dargestellt hat, aber diese Interpretation kann n i c h t belegt werden. Es gibt
G r ü n d e für die A n n a h m e , daß Veronese einen Bart trug, u n d er hatte anscheinend
eine hohe Stirn, aber sein genaues Erscheinungsbild ist n i c h t bekannt. A u ß e r d e m ist es
ziemlich unwahrscheinlich, daß er sich selbst i n eleganter K l e i d u n g m i t umgeschnalltem
Schwert vor einer Reihe v o n Säulen dargestellt hätte, u n d er hatte keine besondere
Beziehung z u m M a r k u s d o m .
Veronese ging i m allgemeinen Porträtaufträgen aus dem Wege, da sie zu den
weniger einträglichen Arbeiten zählten u n d er i n Venedig sehr viele Aufträge für
umfangreiche dekorative Z y k l e n erhielt. Seine Zeitgenossen T i n t o r e t t o u n d Tizian
sind eher für Porträts b e r ü h m t . Er war zwar n i c h t auf einen guten R u f als Porträtmaler
angewiesen, war aber dennoch sehr fähig, u n d sowohl die M a ß e als auch die Schönheit
des vorliegenden G e m ä l d e s - eines der eindrucksvollsten Porträts v o n den wenigen, die
er schuf - deuten darauf h i n , daß der Auftrag für i h n sehr w i c h t i g gewesen sein m u ß .
Das G e m ä l d e ist m i t dem malerischen Elan u n d der Freizügigkeit i n der Gestaltung
ausgeführt, die das gesamte W e r k des Künstlers auszeichnen.
BF
ITALIENISCHE SCHULE
35
17
DOMENICHINO
(Domenico Zampieri)
Italien, 1581-1641
Der Weg zum
Kalvarienberg,
ca. 1610
Öl auf Kupfer
53,7 x 68,3 cm
83.PC.373
D o m e n i c h i n o , ein prominenter Vertreter einer künstlerischen Bewegung, die v o n der
Familie Carracci begründet wurde, reiste 1602 nach R o m . Er arbeitete eng m i t Annibale
Carracci zusammen u n d war w ä h r e n d der darauffolgenden vierzig Jahre einer seiner
treuesten Anhänger.
Domenichinos Laufbahn wurde durch eine Reihe wichtiger Fresken-Projekte geprägt,
er schuf jedoch auch eine Anzahl religiöser G e m ä l d e für Privatmäzene. W ä h r e n d der
ersten zehn Jahre seines Aufenthalts i n R o m malte er einige davon auf Kupfer, ein
Material, das als T r ä g e r m e d i u m für kleine Kompositionen, die eine sehr sorgfältige
Ausarbeitung erforderten, beliebt war. Das Kupferbild i m Besitz des Museums gehört zu
den Meisterwerken dieser frühen Periode. Es entstand wahrscheinlich u m das Jahr 1610
u n d zeigt besonders schön, m i t welcher Sorgfalt der Künstler seine Arbeiten ausführte.
D o m e n i c h i n o legte großen W e r t auf eine sorgfältige Planung der Gesamtkomposition
u n d der einzelnen Figuren u n d auf gewissenhafte Ausführung. Ebenso wie Caracci
befand er sich i m Widerspruch zur "realistischen" Bewegung Carvaggios u n d seiner
Anhänger. Er vertrat die Ansicht, daß die N a t u r anstelle einer realistischen Darstellung
geordnet u n d verbessert werden m ü s s e . Der Weg zum Kalvarienbergbetont
trotz
der Brutalität des Themas nicht das Leiden des Erlösers. D o m e n i c h i n o verlieh seinen
Figuren Eindringlichkeit, vermied jedoch dramatische Ü b e r t r e i b u n g . D i e k o m p r i m i e r t e
Darstellung der Gestalten an den R ä n d e r n dieser K o m p o s i t i o n k ö n n t e Absicht gewesen
sein, kann aber auch darauf zurückzuführen sein, daß die Kupfertafel nach ihrer
Bemalung noch einmal verkleinert wurde.
36
ITALIENISCHE SCHULE
BF
18 P I E R F R A N C E S C O M O L A
Italien, 1612-1666
Die Vision des Heiligen Bruno,
ca. 1660
Öl auf Leinwand
194 x 137 cm
89.PA.4
Der Heilige B r u n o war der G r ü n d e r des Karthäuserordens, einer Klostergemeinschaft,
die durch ständige M e d i t a t i o n i n der Abgeschiedenheit die Vereinigung m i t G o t t
sucht. D i e Karthäuser leben isoliert u n d versammeln sich nur einmal wöchentlich.,
Molas W e r k illustriert dieses G r u n d p r i n z i p der Karthäuser, i n d e m es den G r ü n d e r i n
dem M o m e n t darstellt, i n dem er durch eine himmlische V i s i o n aus seiner Andacht
gerissen w i r d . Sie schreckt i h n nicht, er streckt sich vielmehr verlangend danach aus.
W i e viele römische Künstler seiner Zeit fand M o l a i n den Landschaftsbildern
venezianischer Maler des vorausgegangenen Jahrhunderts Inspiration. Dies zeigt sich
unter anderem i n der großen Vielfalt der Braun- u n d O c k e r t ö n e , zu denen ein ultra­
marinblauer H i m m e l voller W o l k e n i n Kontrast gesetzt wurde. E i n weiteres M e r k m a l
der venezianischen Schule ist die A r t u n d Weise, i n der die Landschaft die Figur nachahmt
u n d so einen Kontrapunkt setzt, i n dem die Verzückung ein Echo
findet.
DC
ITALIENISCHE SCHULE
37
19
BERNARDO BELLOTTO
Bellottos Talent wurde i m Atelier seines Onkels, Canaletto, gefördert. Schon u m 1735
Italien, 1721-1780
arbeitete der Jugendliche m i t Canaletto an den idealisierten Stadtansichten v o n Venedig,
Ansicht des Canale Grande:
durch die der ältere Künstler b e r ü h m t geworden war. Eines v o n Bellottos frühesten
Santa Maria della Salute und
die Dogana vom Campo Santa
Maria Zobenigo, ca. 1740
Öl auf Leinwand
135,5 x 232,5 cm
91.PA.73
Meisterwerken, die Ansicht des Canale Grande, läßt bereits die M o n u m e n t a l i t ä t ,
die leuchtenden Kontraste u n d den abwechselnd zähen u n d flüssigen Farbauftrag
erkennen, ein M e r k m a l v o n Bellottos Spätwerk. M i t seiner Beobachtungsgabe für
Begebenheiten u n d D e t a i l belebt Bellotto diese Stadtansicht u n d fängt zugleich die
verfallende Pracht der Stadt u n d die flüchtige Qualität des täglichen Lebens darin ein.
Links i m Vordergrund bildet die Fassade des Palazzo Pisani-Gritti eine elegante
Kulisse für das weltliche Treiben am Campo-Ufer.
Das überschwengliche Barockdesign
der v o n Baldassare Longhenas gebauten Kirche Santa M a r i a della Salute beherrscht das
gegenüberliegende Ufer des Canale. Rechts erhebt sich die sonnengebadete Fassade der
A b t e i San Gregorio über einer schattigen Häuserreihe. A m anderen Ende der Salute
stehen das Seminario Patriarcale u n d die Dogana. D i e M ü n d u n g des Kanals gibt
den Blick i n die Ferne frei. V o n w e i t e m ist die Riva degli Schiavoni hinter dem regen
Treiben der Bacino di San Marco zu erkennen. Ü b e r den M a u e r n der Dogana sieht
m a n den blassen G l o c k e n t u r m u n d die K u p p e l v o n San Giorgio Maggiore.
D i e Ansicht des Canale Grande ist die erste Version einer K o m p o s i t i o n , die i n
Canalettos Atelier i n mindestens vierzehn Versionen wiederholt wurde. D i e Zuschreibung
zu Bellotto stützt sich auf eine Feder-Tusche-Zeichnung v o n i h m i m Hessischen
Landesmuseum, Darmstadt, die m i t der K o m p o s i t i o n dieses G e m ä l d e s sehr eng
verwandt ist. D i e Ansicht der Piazza San Marco mit Blick nach Südwesten des Cleveland
M u s e u m o f A r t , die lange Z e i t als Pendant des i m Besitz des
Getty-Museums
befindlichen Canale Grande galt, wurde erst kürzlich Bellotto zugeschrieben.
38
ITALIENISCHE SCHULE
DJ
20
G I O V A N N I BATTISTA
Das W e r k wurde auf sechs großen Bogen Aquarellpapier ausgeführt. Dieser Blick über
LUSIERI
die Westküste v o n Neapel ist Lusieris größte u n d ausdrucksvollste Arbeit. O b w o h l die
Italien, ca. 1 7 5 5 - 1 8 2 1
Blick über die Bucht von Neapel,
1791
Federzeichnung, Gouache und
Aquarell auf Papier
Kundschaft für seine Landschaftsbilder vor allem englische Aristokraten auf der G r a n d
Tour waren, wurde dieses außergewöhnliche B i l d nicht für den Touristenmarkt gefertigt.
Es entstand v o n einem Fenster des Palazzo Sessa, der neapolitanischen Residenz v o n Sir
W i l l i a m H a m i l t o n , der sich als der britische Gesandte v o n 1764 bis 1799 dort aufhielt.
102 x 272 cm
A m 5. Juli 1791 schrieb Lusieri an H a m i l t o n , daß er die Verladung des "großen
A m unteren Rand i n der Mitte signiert
G e m ä l d e s " auf ein Schiff überwacht habe. Es ist wahrscheinlich, daß es sich hierbei
und datiert G.B. Lusier 1791
85.GC.281
u m dieses W e r k handelt, möglicherweise v o n H a m i l t o n i n Auftrag gegeben, damit er
nach seiner R ü c k k e h r i n sein tristes H e i m a t l a n d weiterhin den sonnigen Ausblick
Bildausschnitt auf der folgenden
Doppelseite
v o n seinem Haus i n Neapel genießen konnte.
O b w o h l Neapel heute wesentlich mehr Einwohner zählt, ist dank Lusieris
bemerkenswerter Genauigkeit i m m e r noch vieles wiederzuerkennen. Zeitgenossen
erwähnten seine damals unübliche Arbeitsweise, vor O r t zu zeichnen u n d zu kolorieren.
Lusieris fast fanatische Präzision läßt darauf schließen, daß er ein mechanisches
H i l f s m i t t e l benutzt hat, wie beispielsweise eine Camera Obscura, die ein Kopieren v o n
Umrissen ermöglichte. Es ist klar, daß er sich dem Trend zur romantischen Landschaft
entschlossen widersetzte u n d sich stets b e m ü h t e , die N a t u r getreu nachzuahmen.
Leider kann Lusieris G e m ä l d e nur selten u n d auch dann nur bei sehr schwacher
Beleuchtung ausgestellt werden. D i e Aquarellfarben sind ein flüchtiges M e d i u m ,
u n d jeder K o n t a k t m i t dem L i c h t läßt die Farben weiter verblassen. D a die Pigmente
unterschiedlich schnell ausbleichen, ist es bemerkenswert, daß Lusieris bekannte
Farbausgewogenheit i n diesem W e r k so wunderbar erhalten geblieben ist. I n d e m w i r
es nur zeitweise ausstellen, hoffen wir, dieses großartige Zeugnis zu erhalten.
DC
ITALIENISCHE SCHULE
39
Die Verkündigung gehört zu einer Serie v o n fünf Bildern, die ursprünglich ein
21 D I E R I C B O U T S
Flandern, ca. 1 4 1 5 - 1 4 7 5
Die Verkündigung,
ca. 1 4 5 0 - 5 5
Polyptychon bildeten - einen Flügelaltar, der offensichtlich aus einem senkrechten
Mittelstück m i t jeweils zwei übereinander h ä n g e n d e n Bildern auf beiden Seiten
Tempera auf Leinwand
bestand. D i e anderen Szenen aus dieser Serie waren Die Anbetung
90 x 74,5 cm
(Privatsammlung), Die Grablegung (National Gallery, L o n d o n ) , Die
85.PA.24
der Könige
Auferstehung
( N o r t o n S i m o n A r t Foundation, Pasadena) u n d wahrscheinlich Die Kreuzigung i n
der M i t t e (eventuell das G e m ä l d e , das sich jetzt i n den M u s é e s Royaux d ' A r t et
d'Histoire, Brüssel) befindet. D a das hier ausgestellte G e m ä l d e die frühste Szene
aus dem Leben v o n Christus darstellte, befand es sich wahrscheinlich i n der oberen
l i n k e n Ecke des Altarsgemäldes.
D i e r i c k Bouts arbeitete w ä h r e n d seiner reifen Jahre i n L ö w e n ( i m heutigen
Belgien). Er war der bekannteste unter den Künstlern, die i n die Fußstapfen v o n Jan
van Eyck (aktiv 1 4 2 2 - g e s t o r b e n 1441) u n d Rogier van der Weyden ( 1 3 9 9 / 1 4 0 0 1464) traten, o b w o h l über sein Leben viel weniger bekannt ist u n d nur eine relativ
kleine Z a h l seiner G e m ä l d e erhalten geblieben ist. Sein Stil war insgesamt strenger als
der seiner Zeitgenossen, u n d sein W e r k strahlt durchweg eine gewisse Z u r ü c k h a l t u n g
aus. Charakteristisch für sein W e r k ist auch eine große Präzision.
M i t dem B i l d Die Verkündigung vermittelt der Künstler ein für i h n typisches,
überzeugendes Gefühl v o n R ä u m l i c h k e i t u n d geht viel weiter als seine Vorgänger darin,
uns das Wesen v o n Marias privater K a m m e r spüren zu lassen. Es ist ein verhältnismäßig
farbloser Raum, ähnlich den Zellen, die v o n den M ö n c h e n u n d N o n n e n bewohnt
wurden, die solche Altargemälde gewöhnlich i n Auftrag gaben u n d die m i t ihnen
lebten. D i e einzige Ausnahme i n dieser kargen K a m m e r bildet das leuchtend rote
Baldachin über der Bank hinter M a r i a . A u f die symbolische Lilie, die normalerweise auf
Darstellungen dieser Szene zu finden ist, wurde verzichtet, u n d die traditionell bunten
Bodenfliesen w u r d e n eher gedeckt gehalten. D i e Jungfrau trägt ein gräuliches Gewand
statt des üblichen blauen Gewands, u n d Gabriel ist i n Weiß gekleidet anstatt des reich
geschmückten Gewands, welches Erzengel üblicherweise tragen. Solche Details w u r d e n
oftmals i m voraus v o n den Klerikern festgelegt, die ein W e r k i n A u f t r a g gaben. I n dieser
A b k e h r v o n der T r a d i t i o n liegt wahrscheinlich eine Botschaft, die eine besondere
Bedeutung für die I n s t i t u t i o n hatte, i n der das A l t a r g e m ä l d e seinen Platz finden sollte.
Die Verkündigung wurde, wie auch die anderen Teile des Altargemäldes, auf Leinen
anstatt auf H o l z gemalt. Diesen U n t e r g r u n d wählte m a n manchmal, u m ein G e m ä l d e
leichter transportabel zu machen, was jedoch für ein Polyptychon v o n dieser G r ö ß e
höchst ungewöhnlich ist.
42
HOLLÄNDISCHE U N D FLÄMISCHE SCHULEN
BF
22 W e r k s t a t t v o n
Diese Tafel zeigt Papst Sergius, wie er träumt, ein Engel übergebe i h m die M i t r a u n d
ROGIER V A N DER
den Krummstab des Heiligen Lambert (Bischof v o n Maastricht bis zu seiner E r m o r d u n g
WEYDEN
u m 708) u n d weihe den Heiligen H u b e r t z u m Bischof dieser wichtigen Diözese. D i e
Flandern,
aktiv M i t t e des 15. Jahrhunderts
Der Traum von Papst Sergius,
ca. 1440
päpstliche Gewalt der Ämtervergabe w i r d typologisch durch das Steinrondell über i h m
unterstützt, das Christus bei der Weihe des ersten Papstes, dem Heiligen Petrus, darstellt.
D r a u ß e n k n i e n innerhalb einer Backsteineinfassung ein Jurist oder ein Adliger u n d ein
Franziskanermönch neben dem päpstlichen Gefolge u n d übergeben Sergius Bittschriften,
Öl auf Holz
89 x 80 cm
72.PB.20
m i t denen sie u m seine Gunst oder u m Ablaß nachsuchen. I n der Zeit, i n der dieses
G e m ä l d e entstand, wurde das päpstliche Recht der Vergabe v o n B i s t ü m e r n u n d
Kirchenämtern offen v o n dem französischen K ö n i g u n d dem K o n z i l v o n Basel i n Frage
gestellt. Bei diesem G e m ä l d e haben w i r möglicherweise eine visuelle Bekräftigung der
gottgewollten päpstlichen Autorität vor uns, während der Franziskaner auf die
Glaubensgemeinschaft
des Spenders hindeuten könnte.
B e i m H i n t e r g r u n d wurde phantasievoll versucht, eine zutreffende Darstellung des
mittelalterlichen Roms zu schaffen. D i e runde F o r m der Engelsburg wurde überzeugend
am Ufer des Tibers m i t dem Petersdom i m H i n t e r g r u n d dargestellt. D e r Obelisk neben
der Basilika hilft, die traditionellen Symbole für Roms Wahrzeichen i n einen kohärenten
Stadtplan einzuordnen, w o d u r c h eine sehr frühe Ansicht einer italienischen Stadt aus
der H a n d eines N o r d e u r o p ä e r s entsteht. D i e Fähigkeit, Objekte m i n u t i ö s darzustellen
u n d eine i n sich stimmige räumliche U m g e b u n g zu schaffen, gehört zu den wichtigsten
Leistungen der flämischen Malerei des 15. Jahrhunderts.
Der Traum von Papst Sergius u n d sein Pendant, Die Exhumierung
des Heiligen
Hubert ( L o n d o n , N a t i o n a l Gallery), waren v e r m u t l i c h Flügel eines verlorenen
gegangenen Flügelaltars, der i n der Kapelle des Heiligen H u b e r t i n der Kirche
v o n Saint Gudule, Brüssel, stand. D i e Kapelle wurde u m 1440 genutzt, i n der
Zeit, als Rogier Stadtmaler der Stadt Brüssel (er wurde vor 1 4 3 5 - 3 6 bestellt) war.
Dendrochronische Analysen der Eichentafel weisen ebenfalls auf ein D a t u m u m 1440
h i n . Besonderheiten bezüglich der Qualität u n d der räumlichen Gestaltung lassen nicht
auf eine direkte M i t w i r k u n g Rogiers schließen, u n d die Tafel gilt allgemein als ein W e r k
aus dem Atelier des Meisters.
DJ
HOLLÄNDISCHE U N D FLÄMISCHE SCHULEN
45
23 J A N B R U E G H E L
DER ÄLTERE
Flandern, 1568-1625
Der Einzug der Tiere
auf Noahs Arche, 1613
Öl auf Holz
54,6 x 83,8 cm
Unten rechts signiert
BRUEGHEL
92.PB.82
FEG 1613
Bei A n b r u c h der Moderne herrschte i n Europa ein großes Interesse an der präzisen
A b b i l d u n g der Natur, wie die Landschaften u n d Stilleben v o n Jan Brueghel beweisen.
Der Künstler bevorzugte kleinformatige Bilder, die an Miniaturmalerei erinnern.
D i e Tonalität seiner Landschaften ist durchaus schöpferisch. Das B i l d zeigt einen
Waldschauplatz i n leuchtenden Farben, die den E i n d r u c k v o n üppiger N a t u r vermitteln.
Ebenso hatte der Künstler ein besonderes Talent für die Darstellung v o n Tieren.
D i e Geschichte v o n Noahs Arche (Genesis 6 - 8 ) war ein Thema, das Brueghels
Fähigkeiten sehr entgegenkam. Neben dem schmalen Strom, der die nahende Sintflut
ankündigt, beobachtet eine Gruppe Neugieriger verwundert wie N o a h die Kreaturen
auf die Arche treibt. Diese Tafel diente als Prototyp für Brueghels sogenannte Paradies­
landschaften, m i t denen der Künstler die S c h ö n h e i t u n d Vielfalt der S c h ö p f u n g preist.
Brueghels Ernennung z u m Hofmaler des Erzherzogs Albert u n d der Infantin Isabella
Clara Eugenia i m Jahre 1609 erlaubte i h m , exotische Tiere lebendig i n der Menagerie
des Erzherzogs i n Brüssel zu studieren. D i e Vorlagen für die Darstellung der L ö w e n ,
des Pferdes u n d der Leoparden fand er allerdings i n den Arbeiten seines großen
Freundes Peter Paul Rubens. D i e L ö w e n sind auf Daniel in der Höhle des Löwens
(Washington, D . C . , N a t i o n a l Gallery o f A r t ) abgebildet, das Pferd erscheint auf
mehreren Reiterporträts aus Rubens spanischer u n d italienischer Periode; u n d die
Leoparden auf Leoparden, Satyre und Nymphen
46
H O L L Ä N D I S C H E U N D FLÄMISCHE SCHULEN
(Montreal M u s e u m o f Fine Arts).
DC
24 J O A C H I M W T E W A E L
Niederlande, 1566-1638
Mars und Venus werden von
Vulcanus überrascht, 1 6 0 6 - 1 0
Öl auf Kupfer
20,25 x 15,5 cm
Unten rechts signiert
JOACHIMWTEN/WAEL
FECIT
83.PC.274
Dieses bezaubernde G e m ä l d e auf Kupfer, eines der kleinsten u n d kostbarsten G e m ä l d e
des Museums, stellt eine Episode aus Ovids Metamorphosen
dar, i n der Vulcanus Venus
überrascht, die m i t Mars i m Bett liegt. Vulcanus, rechts, entfernt das Bronzenetz, das
er geschmiedet hatte, u m das ehebrecherische Paar zu fangen, w ä h r e n d C u p i d o u n d
A p o l l o darüber schweben u n d den Vorhang zurückziehen. M e r k u r , der i n der N ä h e
v o n Vulcanus steht, schaut vergnügt zu Diana hinüber, w ä h r e n d Saturn, der a u f einer
W o l k e sitzt, verstohlen lächelnd auf den gehörnten Gatten herunterblickt. Jupiter, i m
H i m m e l , scheint gerade erst gekommen zu sein. D u r c h eine Ö f f n u n g i m Bettvorhang
ist Vulcanus ein zweites M a l zu sehen, wie er sein Netz schmiedet.
Mythologische T h e m e n dieser A r t waren besonders w ä h r e n d des 16. Jahrhunderts
beliebt, als das Interesse an der klassischen W e l t seinen H ö h e p u n k t erreichte.
Diese Darstellung ist ein Beispiel dafür, welch große Faszination das menschliche
Fehlverhalten, insbesondere Szenen lüsternder Fehltritte, auf die H o l l ä n d e r a u s ü b t e .
Wtewael n i m m t hier den derben H u m o r des späten 17. Jahrhunderts vorweg.
Kupfer als G e m ä l d e g r u n d war während des späten 16. u n d des frühen 17.
Jahrhunderts besonders beliebt. D i e harte polierte Oberfläche eignete sich für kleine,
äußerst detailreiche Bilder. Kupfer ermöglicht eine feinere Farbabstufung u n d größere
Farbintensität als ein Leinenuntergrund. Glücklicherweise ist das G e m ä l d e i n einem
v o l l k o m m e n e n Zustand. Möglicherweise wurde es aufgrund seines erotischen Sujets
viele Jahre versteckt u n d somit geschützt. Das G e m ä l d e i m Besitz des Museums ist
v e r m u t l i c h das G e m ä l d e , das fur Joan van Weely, einem Amsterdamer Juwelier, i n
Auftrag gegeben wurde.
48
HOLLÄNDISCHE U N D FLÄMISCHE SCHULEN
BF
25 A M B R O S I U S B O S S C H A E R T
DER
ÄLTERE
Niederlande, 1573-1621
Blumenstilleben,
1614
Öl auf Kupfer
28,6 x 38,1 cm
Unten links signiert .AB. 1614.
83.PC.386
Florale Stilleben kamen sowohl i n den Niederlanden als auch i n Deutschland kurz
vor Ende des 16. Jahrhunderts auf u n d standen i m Zusammenhang m i t dem
zunehmenden Interesse an Botanik. A u ß e r d e m entwickelte sich das Sammeln
verschiedener Blumenarten - für viele H o l l ä n d e r bereits eine Leidenschaft - i m
Laufe des 17. Jahrhunderts praktisch zu einem nationalen Zeitvertreib (vgl. N r . 38).
M i d d e l b u r g , ein wichtiger Seehafen u n d ein bedeutendes Handelszentrum sowie
Hauptstadt der Provinz Zeeland, war das Z e n t r u m der Produktion. Der Begründer
der Middelburger Schule war Ambrosius Bosschaert, der sein gesamtes Schaffen der
Stillebenmalerei widmete.
Stilleben hatten oft symbolische oder religiöse Konnotationen, u n d die B l u m e n
w u r d e n manchmal zur Darstellung der Vergänglichkeit des Lebens benutzt oder als
Hinweis auf Rettung u n d E r l ö s u n g . Das auf Kupfer gemalte Stilleben (vgl. N r . 24) i m
Besitz des Getty-Museums zeigt einen B l u m e n k o r b m i t Insekten, darunter eine Libelle,
die sich unweit v o m K o r b auf dem Tisch ausruht, u n d ein Schmetterling, der auf einem
Tulpenstiel sitzt. W e n n die Komposition für den Betrachter früher einmal eine besondere
Bedeutung hatte, so ist uns diese n i c h t mehr bekannt. Uns bleibt jedoch die Freude
an der Frische der B l u m e n u n d der feinen Wiedergabe der Details. W i e so oft enthält
das B i l d eine Reihe v o n B l u m e n , die nicht zur selben Jahreszeit geblüht haben können:
Rosen, Vergißmeinnicht, Maiglöckchen, ein Alpenveilchen, ein Veilchen, eine Hyazinthe
u n d natürlich Tulpen. Alle B l u m e n sind klar u n d einfach arrangiert, der K o r b steht i n
der M i t t e u n d die einzelnen Blüten sind parallel zur Bildebene angeordnet.
BF
H O L L Ä N D I S C H E U N D F L Ä M I S C H E S C H U L E N 49
26
PETER PAUL RUBENS
D a er als der größte Maler seiner Zeiten galt, erhielt Rubens aus ganz Europa Aufträge
Flandern, 1577-1640
u n d schuf tiefgründige, ursprüngliche Aussagen zu fast jedem erdenklichen Thema.
Die Grablegung, ca. 1612
U n t e r seinen wichtigsten Beiträgen zur Barockkunst sind seine religiösen G e m ä l d e ,
Öl auf Leinwand
die E m o t i o n e n m i t einer unübertroffenen Intensität ausdrücken.
131 x 130,2 cm
93.PA.9
Dieses eindrucksvolle G e m ä l d e wurde sorgfältig k o m p o n i e r t , u m die A n d a c h t der
G l ä u b i g e n auf das Opfer u n d Leiden Jesu C h r i s t i zu lenken. Der schöne Leichnam
w i r d ehrfürchtig v o n jenen gestützt, die i h m zu Lebzeiten am nächsten standen. Links
steht Johannes der Evangelist. M a r i a Magdalena w e i n t i m H i n t e r g r u n d , w ä h r e n d ihre
ständige Begleiterin, M a r i a , die M u t t e r des Jakobus dem J ü n g e r e n u n d Josephs, rechts
die verwundete H a n d v o n Jesus betrachtet. Der Betrachter kann sich dem Wehklagen
der Trauernden n i c h t entziehen u n d sein Schmerz w i r d auf die Jungfrau M a r i a gelenkt,
die i m M i t t e l p u n k t der Gruppe weinend den H i m m e l anfleht.
Rubens war ein frommer K a t h o l i k u n d seine G e m ä l d e verleihen den Hauptanliegen
seiner Religion Gestalt. U m die religiöse Erfahrung für den einzelnen greifbarer zu
gestalten, folgte die Kunst der zeitgenössischen christlichen Lehre, die die G l ä u b i g e n
ermunterte, sich die körperlichen Qualen bei der Kreuzigung C h r i s t i zu verbildlichen.
H i e r ist der K o p f v o n Christus, versteinert durch die Q u a l des Todes, dem Betrachter
direkt zugewandt. Rubens zwingt uns auch, die klaffende W u n d e an C h r i s t i Seite zu
betrachten, i n d e m er sie genau i n den M i t t e l p u n k t der Leinwand stellt. D i e Komposition
insgesamt sowie die Z e i c h n u n g der heroischen M u s k u l a t u r vermitteln die Hilflosigkeit
des Subjekts. D i e Greueltat der Kreuzigung w i r d nicht heruntergespielt, sondern i n
höchster V o l l e n d u n g behandelt. So w i r d das aus der W u n d e quellende B l u t durch
einen beredten Pinselduktus geschaffen, der liebevoll unter sparsamster Verwendung
der M i t t e l aufgetragen wurde.
D e r Künstler fügt dieser häufig anzutreffenden Darstellung des Wehklagens u m
den Leichnam C h r i s t i einige symbolische Elemente h i n z u . Diese E r g ä n z u n g e n spiegeln
die theologischen u n d politischen Anliegen der Gegenreformation A n f a n g des 17.
Jahrhunderts wider. So erinnert die Felsplatte, auf die der Leichnam gelegt wurde,
an einen Altar, während das Büschel Weizenhalme auf das Brot der Eucharistie, den
Stellvertreter für den Leib C h r i s t i i n der Messe, anspielt. Z u jener Z e i t verteidigte die
R ö m i s c h e Kirche das M y s t e r i u m der W a n d l u n g , also den Glauben an das tatsächliche
Vorhandensein des Leib C h r i s t i i n der eucharistischen Gabe, gegen die protestantische
K r i t i k . D i e Anspielung auf den Altar u n d die eucharistische Bedeutung k ö n n t e n darauf
hindeuten, daß dieses W e r k geschaffen wurde, u m als A l t a r g e m ä l d e i n einer kleinen
Kapelle, vielleicht i n einer, die der Verehrung der Eucharistie gewidmet war, aufgehängt
zu werden.
50
HOLLÄNDISCHE U N D FLÄMISCHE SCHULEN
DC
27 A N T O N V A N D Y C K
Flandern, 1599-1641
Agostino Pallavicini,
ca. 1621
O l auf Leinwand
216 x 141 cm
Oben rechts, nahe der Stuhllehne,
signiert AnT
US
68.PA.2
Van Dyck fecit.
Van Dycks R u f als Künstler breitete sich bereits i n ganz Europa aus, als er 1621
nach Italien reiste. Zuerst begab er sich nach Genua, w o h i n die Flamen bereits seit
zwei Jahrhunderten Kontakte hatten, was vor allem darauf zurückzuführen ist, daß die
Genueser enge Handelsbeziehungen zu A n t w e r p e n , van Dycks H e i m a t , unterhielten.
Er blieb fünf Jahre i n Italien, reiste d u r c h das L a n d , u m große Privatsammlungen
italienischer Malerei zu besichtigen, u n d wurde w ä h r e n d dieser Z e i t oft als Porträtmaler
engagiert. Es war aber Genua, w o van D y c k seinen größten Erfolg verbuchen konnte
u n d einige seiner berühmtesten u n d eindrucksvollsten Bilder schuf.
Das hier ausgestellte Porträt zeigt ein M i t g l i e d eines Genueser Zweigs der Familie
Pallavicini, deren Wappen links hinter dem Porträtierten auf dem Vorhang zu sehen
ist. D e r Porträtierte w i r d i n einer fließenden roten Robe dargestellt, die geradezu
i m M i t t e l p u n k t des G e m ä l d e s steht. I n seiner rechten H a n d hält er einen Brief, der
i h n früher wahrscheinlich einmal ausgewiesen hat, heute aber n i c h t mehr lesbar ist.
A u f g r u n d anderer dokumentierter Porträts läßt sich jedoch sagen, daß es sich hier u m
Agostino Pallavicini ( 1 5 7 7 - 1 6 4 9 ) handelt. Der Schriftsteller G i o v a n n i Pietro Bellori,
der 1672 van Dycks Aufenthalt i n Genua beschrieb, berichtet, daß der Künstler "Seine
Durchlaucht, den D o g e n Pallavicini i n der Tracht des Botschafters am Heiligen Stuhl
malte". Pallavicini wurde erst 1637 z u m D o g e n (gewähltes Staatsoberhaupt der
Republik Genua) ernannt, aber er wurde schon 1621 nach R o m gesandt, u m
dem neugewählten Papst Gregor X V . seine A u f w a r t u n g zu machen, u n d i n dieser
Eigenschaft sehen w i r i h n hier vor uns. D a m i t ist das G e m ä l d e i m Besitz des GettyMuseums eines der ersten, die van D y c k nach seiner A n k u n f t i n Italien anfertigte.
Unsere heutigen Vorstellungen über den Genueser A d e l des 17. Jahrhunderts
verdanken wir, mehr als jedem anderen Künstler, vor allem van D y c k , u n d dieses
G e m ä l d e ist ein typisches Beispiel für die Großartigkeit u n d Erhabenheit seiner
Porträts. Es handelt sich meistens u m lebensgroße G a n z p o r t r ä t s vor einem H i n t e r g r u n d
aus Säulen u n d wallenden, luxuriösen Vorhängen. Z u jener Z e i t konnte k e i n anderer
Künstler i n Italien denselben großartigen Effekt erzielen, u n d das Ergebnis faszinierte
den europäischen A d e l so sehr, daß van Dycks Stil allmählich den M a ß s t a b für die
Porträtmalerei i n Italien, England u n d Flandern setzte.
52
HOLLÄNDISCHE U N D FLÄMISCHE SCHULEN
BF
28 A N T O N V A N D Y C K
Flandern, 1 5 9 9 - 1 6 4 1
Thomas Howard,
Der Graf von Arundel,
ca. 1 6 2 0 - 2 1
Öl auf Leinwand
102,8 x 79,4 cm
86.PA.532
Thomas H o w a r d , zweiter G r a f v o n A r u n d e l ( 1 5 8 5 - 1 6 4 6 ) , war zu A n f a n g des 17.
Jahrhunderts einer der großen englischen Kunstsammler u n d Förderer der Kunst. D a
auch K ö n i g Charles I . sein Interesse teilte, gelang es dem Grafen, das Ansehen seines
i n jüngster Z e i t i n Ungnade gefallenen Hauses wiederherzustellen. Dieses Porträt zeugt
v o n Arundels begnadeter Kennerschaft. Anscheinend hatte er van Dycks Talent vor
den meisten seiner Zeitgenossen erkannt u n d gab das W e r k zwischen 1620 u n d 1 6 2 1 ,
w ä h r e n d eines kurzen Englandaufenthalts des Künstlers i n Auftrag. Dies ist eines der
drei noch erhaltenen G e m ä l d e aus der Z e i t dieses Besuchs.
A r u n d e l w i r d als M i t g l i e d des Hosenbandordens dargestellt. Er hält das goldene
M e d a i l l o n des Heiligen Georg (der sogenannte Georg, der Geringere), eines der
Embleme, das die vierundzwanzig Ritter trugen, die die wichtigsten u n d adligsten
M ä n n e r u m den K ö n i g waren. A m rechten Rand hat van D y c k freimütig m i t ein
paar breiten Strichen eine Landschaft angedeutet, die sowohl Arundels als auch seiner
eigenen Bewunderung der venezianischen Malerei, insbesondere Tizians Spätwerk,
huldigt. V a n Dycks Fähigkeit, seinen M o d e l l e n eine feinsinnige Erhabenheit zu
verleihen, machte i h n z u m berühmtesten flämischen Porträtmaler i n Europa. Dieses
W e r k k ü n d e t bereits v o n dem Genie, das später i n den 1630er Jahren den H o f der
Stuarts verewigen sollte.
54
HOLLÄNDISCHE U N D FLÄMISCHE SCHULEN
DJ
29
PIETER JANSZ.
SAENREDAM
Niederlande, 1597-1665
Innenansicht der Kirche
von Sankt Bavo, Haarlem, 1628
Öl auf Holz
38,5 x 47,5 cm
Unten rechts signiert
P. SAENREDAM F. AD 1628
85.PB.225
N a c h d e m die Architekturmalerei zunächst i m 16. Jahrhundert i n Flandern praktiziert
wurde, wurde sie v o n einer Reihe niederländischer Maler zu einer hochspezialisierten
Kunstgattung erhoben. Sie konzentrierten sich auf die A b b i l d u n g jener schmucklosen
Kirchen, die n i c h t n u r i m H i n b l i c k auf die Religion, sondern auch auf das Lebens an
sich, einen strengen Denkansatz erkennen ließen.
Saenredam w i r d als B e g r ü n d e r dieser Tradition i n den Niederlanden angesehen. D i e
früheren flämischen Architekturansichten waren vor allem Ü b u n g e n i n der neuerdings
perfektionierten Technik des perspektivischen Zeichnens u n d die dargestellten G e b ä u d e
meist Phantasiegebilde. Saenredam machte eine A u s b i l d u n g als Bauzeichner, u n d das
G e m ä l d e i m Besitz des Museums, das auf 1628 datiert ist, ist das frühste Beispiel für
Saenredams Arbeiten. Es ist das erste aus einer Serie v o n G e m ä l d e n u n d Zeichnungen
der Kirche Sankt Bavo i n Haarlem.
Anstatt v o m Mittelschiff aus zu skizzieren, wählte Saenredam oft mehr seitlich
gelegene Punkte. Er zeichnete einen vollständigen Entwurf, den er direkt auf eine
vorbereitete Holztafel übertrug. Er n a h m oft noch Veränderungen an der K o m p o s i t i o n
vor. Eine der beiden Vorzeichnungen für dies G e m ä l d e zeigt, daß der Künstler sich
entschied, drei T ü r e n am rückwärtigen Querschiff wegzunehmen u n d durch ein
Altargemälde zu ersetzen. Er rundete auch die seitlichen gothischen Bogen ab
u n d fügte Glasfenster hinzu. Trotz dieser Abweichungen vermitteln die feine, fast
monochromatische Farbgebung u n d die S t i m m u n g des Bildes einen genauen E i n d r u c k
der A t m o s p h ä r e i n einer holländischen Kirche.
H O L L Ä N D I S C H E U N D FLÄMISCHE SCHULEN
BF
55
30
REMBRANDT
I n den Metamorphosen
HARMENSZ. V A N RIJN
Stier verkleidet, die Prinzessin Europa v o n ihren Begleiterinnen weglockt u n d sie über
Niederlande, 1606-1669
das Meer trägt. Rembrandt setzt den Inhalt u n d die L y r i k der klassischen E r z ä h l u n g
Die Entführung der Europa,
1632
Öl auf Holz
62,2 x 77 cm
A u f dem braunen Stein unter der
( 2 : 8 3 3 - 875)erzählt der D i c h t e r O v i d , wie Jupiter, als weißer
u m , i n der es über Europa heißt, "angstvoll bemerkt es die Jungfrau, sie schaut zurück
nach der K ü s t e ; hält m i t der Rechten u m k l a m m e r t ein H o r n . . . e s flattert das K l e i d
u n d bauscht sich i m W i n d e " . Rembrandt bereichert außerdem Ovids E r z ä h l u n g durch
stehenden Frau unten rechts signiert
seine eigene lebhafte Charakterisierung der Gefühle. Europa, überrascht über ihre
RHL van Ryn. 1632.
Entführung, wendet sich ihren Begleiterinnen zu. D i e jüngere w i r f t vor Entsetzen die
95.PB.7
A r m e i n die Luft u n d läßt die Blumengirlande fallen, die noch wenige M o m e n t zuvor
für den Hals des Stieres gedacht war. I h r plötzlicher Schreck steht i m Widerspruch zu
dem gefaßten K u m m e r ihrer älteren Gefährtin, die sorgenvoll ihre H ä n d e verschränkt,
als sie sich aufrichtet, u m einen letzten Blick auf die Prinzessin zu werfen. Sie allein
versteht das Schicksal der Europa, u n d deshalb ist sie es, der die Prinzessin einen
letzten Blick zuwirft.
Rembrandts Sinn für das Komische n i m m t dem D r a m a die Schärfe. Jupiter bringt,
d u r c h seine Verkleidung gehemmt, den T r i u m p h nach A r t der Stiere z u m Ausdruck,
i n d e m er aufgeregt den Schwanz emporhebt, als er ins Wasser springt. Jupiters Reaktion
steht i n einem scharfen Gegensatz zu den passiven, seelenlosen Pferden, die vor den
grandiosen u n d regungslosen Wagen gespannt sind. Scheinbar zu groß für die Straße
u n d m i t dem i m Schatten u n n ü t z aufgespannten Sonnenschirm, kontrastiert die
Kutsche m i t dem behenden weißen Stier, der Europa i n das L i c h t i n R i c h t u n g des
neuen Kontinents trägt, der einst ihren N a m e n tragen w i r d .
Eine leuchtende Landschaft ist ein weiterer Protagonist dieses Dramas. D i e dunkle
Baumgruppe dient als Kontrast für die lichtdurchbrochenen rosa u n d blauen Flächen
des Meeres u n d des H i m m e l s . D e r niedrige H o r i z o n t schafft einen weiten Ausblick, i n
dem W o l k e n , Ufer u n d Meer sanft aufeinander zurollen. Entlang des Horizonts liegt,
i n Nebel gehüllt, Tyros, die v o n Europa verlassene Stadt.
D i e glitzernden, goldenen Glanzpunkte der Kutsche u n d die abwechslungsreichen
Texturen der luxuriösen G e w ä n d e r zeigen, daß Rembrandt hier i n seinem
meisterhaften Talent für visuelle Effekte schwelgte, u n d laden zudem den Betrachter
ein, sich an seiner Liebe z u m D e t a i l zu ergötzen. D i e schimmernden Reflexionen des
Meeres, die aufspritzende Gischt u m den Schuh der v o r n e h m gekleideten Prinzessin,
der das Wasser durchpflügt, u n d i h r sanfter G r i f f i n das weiche Fleisch des Stiernackens
nehmen das Auge gefangen u n d prägen sich dem Betrachter ein. Das G e m ä l d e legt
ein Zeugnis über den jungen Künstler ab, der i m Jahre 1632 nach seiner A n k u n f t i n
Amsterdam auf der H ö h e seiner Schaffenskraft arbeitete.
DA
H O L L Ä N D I S C H E U N D F L Ä M I S C H E S C H U L E N 57
31
R E M B R A N D T H A R M E N S Z . V A N RIJN
Niederlande, 1606-1669
Daniel und Cyrus vor dem Götzenbild Bel, 1633
Öl auf Holz
23,4 x 30,1 cm
A u f dem Podest unten rechts signiert
Rembrant f.
1633.
95.PB.15
Rembrandt stellt eine Episode aus dem apokryphen Buch Daniel dar, die schildert,
wie D a n i e l die Götzenverehrung am babylonischen H o f entlarvt, w o er ein
Vertrauter des Perserkönigs Cyrus geworden ist. Als Cyrus i h n fragt, w a r u m er nicht
den G o t t Bel verehre, antwortet Daniel, daß er einen lebendigen G o t t verehre, nicht
ein B i l d . H i e r beharrt der K ö n i g darauf, daß Bel ein lebendiger G o t t sei, u n d deutet
auf die großzügigen Opfergaben guter Speisen u n d Weine. Daniel erwidert sanft, daß
Bronzestandbilder nicht essen. W ä h r e n d Cyrus für einen M o m e n t v e r w i r r t ist, bestätigt
das besorgte Gesicht des Priesters i m H i n t e r g r u n d , daß Daniel etwas i m Schilde führt.
Rembrandt beschwört des M y s t e r i u m eines heidnischen Kults herauf, i n d e m er n u r
einen Ausschnitt des monumentalen G ö t z e n i m flackernden Lampenlicht auftauchen
läßt. E i n Lichtstrahl lenkt die Aufmerksamkeit auf die Begegnung i m M i t t e l p u n k t der
Erzählung. Rembrandt fängt Cyrus' V e r w i r r u n g i n höchster Vollendung ein. Das
Gesicht Daniels sehen w i r nicht. Der beeindruckendste Aspekt v o n Rembrandts
Interpretation ist die ironische Gegenüberstellung des mächtigen K ö n i g s m i t dem
kleinen, d e m ü t i g e n Knaben, der v o n G o t t gesandt wurde.
Rembrandt schuf dieses G e m ä l d e ein Jahr nach der Entführung
der Europa (siehe
vorangehenden Beitrag). Beide Werke beweisen seine Begabung als Geschichtenerzähler.
D i e E n t w i c k l u n g einer prägnanten, dramatisch inszenierten K o m p o s i t i o n u n d der
breite, freie Pinselduktus sind wesentliche Kennzeichen seines reifen Stils.
DC
H O L L Ä N D I S C H E U N D F L Ä M I S C H E S C H U L E N 59
32
REMBRANDT
Dieses G e m ä l d e ist eines aus einer Reihe v o n Apostelbildern, die auf 1661 datiert
HARMENSZ. V A N RIJN
sind. D i e Porträts waren offensichtlich n i c h t für einen gemeinsamen Ausstellungsort
Niederlande, 1 6 0 6 - 1 6 6 9
bestimmt, da sie v o n unterschiedlicher G r ö ß e sind u n d zudem n i c h t anzunehmen
Der Heilige Bartholomäus, 1661
Öl auf Leinwand
86,5 x 75,5 cm
Unten rechts signiert
Rembrandt/f. 1661
71.PA.15
ist, daß der Künstler jemals alle zwölf J ü n g e r Jesu abgebildet hat. D i e Existenz dieser
Bilderserie läßt vermuten, daß Rembrandt sich zu jener Zeit, n u r acht Jahre vor
seinem T o d , vielleicht persönlich m i t der Bedeutung der Apostel beschäftigte.
Jedes der bekannten Porträts erweckt den E i n d r u c k , daß es nach einem M o d e l l
gemalt wurde, wahrscheinlich ein Freund oder Nachbar, was für Rembrandt eine
durchaus normale Arbeitsweise war. D i e Idee, daß ein Mensch wie d u u n d i c h m i t
einer biblischen Figur identifiziert werden konnte u n d dadurch der Lehre C h r i s t i eine
noch größere Unmittelbarkeit verlieh, entspräche durchaus dem religiösen K l i m a i m
Amsterdam der damaligen Zeit. D e r Heilige B a r t h o l o m ä u s w i r d m i t einem Schnurrbart
u n d einem breiten, leicht ratlosen Gesicht dargestellt. D i e unbeirrbaren, nachdenklich
anmutenden Menschen, Menschen ohne besondere gesellschaftliche Stellung, die
Rembrandt oft als Modelle für solche G e m ä l d e wählte, wären n i c h t eindeutig als
der jeweilige Heilige erkennbar, w e n n sie n i c h t bestimmte G e g e n s t ä n d e i n den
H ä n d e n hielten - i n diesem Fall ein Messer, ein traditionelles A t t r i b u t , das sich auf
den U m s t a n d bezieht, daß B a r t h o l o m ä u s bei lebendigem Leibe die H a u t abgezogen
wurde. Ihre Kleidung, deren Schlichtheit an biblische Zeiten erinnern soll, hatte
nichts m i t den steifen Kragen u n d A n z ü g e n gemeinsam, die v o n der holländischen
Oberschicht des 17. Jahrhunderts getragen w u r d e n .
Der Heilige Bartholomäus w i r d i n dem breiteren, freieren Stil der letzten reifen
Schaffensperiode des Künstlers dargestellt. Er benutzte Palettenmesser u n d den
stumpfen Stiel seiner Pinsel u n d seine Technik ist wesentlich geradliniger als die
seiner Zeitgenossen.
D i e Auslegungsgeschichte dieses G e m ä l d e s ist durchaus interessant. I m 18.
Jahrhundert ging m a n davon aus, daß hier Rembrandts K o c h abgebildet sei, was
durchaus den M o t i v e n aus dem täglichen Leben - insbesondere Dienstboten u n d
einfache, arbeitende Leute - entspräche, die für die damalige französische Kunst
charakteristisch sind. I m 19. Jahrhundert, einer Ära, die eine Vorliebe für tragische
oder dramatische T h e m e n empfand, hielt m a n den Heiligen für einen M ö r d e r , ein
Verständnis, zu dem das Messer u n d der bohrende Blick des Mannes zweifellos
beitrugen.
60
HOLLÄNDISCHE U N D FLÄMISCHE SCHULEN
BF
33 J A N V A N D E C A P P E L L E
Niederlande,
1625/26-1679
Schiffe in der Windstille vor
Vlissingen, eine generalstaatliche
Yacht schießt Salut, 1649
Öl auf Holz
69,7 x 92,2 cm
96.PB.7
U m die M i t t e des 17. Jahrhunderts hatte die H o l l ä n d i s c h e Republik den H ö h e p u n k t
ihrer M a c h t als weltweites Handelsimperium erreicht, u n d ihre Herrschaft über die
Meere fand i n der aufkommenden Seemalerei ihren Ausdruck. I m Jahre 1649 wiesen
Jan van de Capelle u n d S i m o n de Vlieger der holländischen Seemalerei eine neue
Richtung, i n d e m sie neue G a t t u n g der "Parade"-Bilder begründeten. Dabei handelt
es sich u m G e m ä l d e , auf denen sich grandiose Schiffe aus einem besonderen Anlaß
unter zumeist hochaufgetürmten Wolkengebilden versammeln.
A u f dem G e m ä l d e Schiffe in der Windstille schießt eine staatliche Yacht Salut, u m
die A n k u n f t eines Würdenträgers anzukündigen, der rechts m i t einer Barkasse z u m
Ufer übergesetzt w i r d . Offensichtlich v o n dem G e r ä u s c h unbeirrt ziehen ein paar
T ü m m l e r friedlich durch das ruhige Gewässer. Diese waren durchaus häufiger i n
Vlissingen anzutreffen, dem geschäftigen Hafen, den die holländische OstindienKompagnie benutzte u n d der oft auf den G e m ä l d e n v o n van de Capelle dargestellt ist.
A u c h dieses Werk, das zu den frühesten signierten u n d datierten Werken gehört,
zeugt v o n van de Cappelles hochentwickeltem Stil u n d seiner bemerkenswerten
technischen Virtuosität. Der Maler stellt sein vollendetes grafisches u n d formales
K ö n n e n an den detailreichen Schiffen, der Takelung u n d den Segeln, sowie seine
Beherrschung der atmosphärischen u n d optischen Effekte durch die Reflexionen
auf dem Wasser unter Beweis. Dieses dramatische Spalier der Schiffe, die den weiten
Blick über das Wasser einrahmen, u n d ihre nahe u n d dominierende Betrachtungsweise
sind bahnbrechende Beiträge z u m Genre des Seegemäldes.
AFK
H O L L Ä N D I S C H E U N D F L Ä M I S C H E S C H U L E N 63
34 J A C O B V A N R U I S D A E L
Niederlande,
Zwei
1628/29-1682
Wassermühlen
und eine geöffnete Schleuse, 1653
O l auf Leinwand
66 x 84,5 cm
Unten links signiert
JVR [als Monogramm] 1653
82.PA.18
Seit dem 17. Jahrhundert gilt Jacob van Ruisdael als der wichtigste Landschaftsmaler
der Niederlande. Der Wandel der traditionellen Landschaftsmalerei zur Naturstudie
w i r d i h m zugeschrieben. Zwei Wassermühlen und eine geöffnete Schleuse, das er i m Alter
v o n knapp fünfundzwanzig Jahren anfertigte, ist ein aussagekräftiger Beweis für das
frühe Reifen seines Stils.
U m 1650 unternahm Ruisdael eine Reise nach Westfalen u n d unterwegs sah er
offensichtlich einige Wassermühlen i n Singraven, einer Stadt i n der holländischen
Provinz Overijssel. Er malte einige Ansichten dieser M ü h l e n . Das B i l d i m Besitz
des Museums ist eine v o n sechs bekannten Variationen u n d die einzige, die datiert
wurde. E i n Vergleich der sechs Variationen zeigt, daß der Künstler sich n i c h t scheute,
den Schauplatz u n d einige Feinheiten der M ü h l e n neu zu arrangieren, u m seine
K o m p o s i t i o n zu verbessern. W ä h r e n d das Aussehen der bäuerlichen G e b ä u d e sich
insgesamt n i c h t änderte, n a h m Ruisdael sich die Freiheit, seitlich kleine Schuppen
hinzuzufügen oder die F o r m des Daches zu verändern u n d i h m ein anderes Profil
zu geben. Ebenso versetzte er B ä u m e u n d fügte H ü g e l h i n z u , u m die Landschaft
abwechslungsreicher zu gestalten. O b w o h l seine Ansichten i n vielerlei H i n s i c h t
topografisch zutreffend sind u n d v o n einem genauen S t u d i u m der N a t u r zeugen,
sah er sich n i c h t verpflichtet, jedes Element einer Landschaft so abzubilden, wie
es vor O r t aussah.
I m fortgeschrittenen Alter h a l f er m i t , die große Nachfrage nach exotischeren
Landschaften zu befriedigen, i n d e m er Ansichten v o n Wasserfällen malte, w o z u i h n
offenbar G e m ä l d e u n d Zeichnungen aus Skandinavien inspirierten. Diese Werke lebten
stärker v o n der Vorstellungsgabe des Künstlers. Das G e m ä l d e i m Besitz des Museums
ist eine A b b i l d u n g einer der w o h l wenigen O r t e , an denen Ruisdael tatsächlich w i l d
rauschendes Wasser gesehen hat.
64
HOLLÄNDISCHE U N D FLÄMISCHE SCHULEN
BF
35
PAULUS POTTER
Niederlande, 1 6 2 5 - 1 6 5 4
Der Schecke, 1 6 5 0 - 5 4
O l auf Leinwand
49,5 x 45 cm
Unten links signiert Paulus Potter f.
88.PA.87
Paulus Potter war der innovativste u n d einflußreichste holländische Tiermaler. Unter
seinen H ä n d e n w u r d e n K ü h e u n d Pferde z u m M i t t e l p u n k t eines G e m ä l d e s , statt reiner
Staffage i n einer größeren Szene. H i e r steht ein gefleckter Hengst majestätisch auf einer
leichten A n h ö h e u n d d o m i n i e r t eine weitläufige Landschaft. D u r c h den niedrigen
H o r i z o n t verlieh Potter dem großartigen R o ß eine fast heroische M o n u m e n t a l i t ä t .
D e r K o p f w i r d i m vollen Profil dargestellt u n d hebt sich dramatisch v o n den
aufgetürmten Wolkenformationen ab. I n der B i l d m i t t e kehrt ein vornehmer Reiter,
begleitet v o n H u n d e n u n d einem Stallknecht, i n seinen Landsitz am rechten Rand
zurück. Potters Darstellung des Tieres ist so fein beobachtet, daß es sich u m ein
Porträt eines preisgekrönten Tieres dieses Landbesitzers handeln dürfte.
V o n Potter w i r d gesagt, er sei m i t dem Skizzenbuch i n der H a n d i n H o l l a n d über
das L a n d gezogen, u m seine M o t i v e zu studieren. Seinen letztendlichen Erfolg verdankt
er seiner innigen Liebe zu den v o n i h m dargestellten Tieren. Er n i m m t nicht nur die
außerordentliche S c h ö n h e i t ihrer glänzenden Felle u n d M ä h n e n wahr, sondern es
gelingt i h m auch, Charakter u n d emotionale K o m p l e x i t ä t aus seinen Bildern sprechen
zu lassen. A u f diesem B i l d scheint das Pferd empfindsam u n d wachsam zu sein, als ob
es auf die fernen J a g d g e r ä u s c h e höre. Potter zeigt dem Betrachter, daß w i r solche Tiere
zwar z ä h m e n u n d lenken k ö n n e n , deren eigene W e l t aber nie völlig verstehen werden.
I n seinem Buch der Maler aus dem Jahre 1604 schreibt der Kunsttheoretiker Karel
van Mander, daß der größte Maler der A n t i k e , Apelles, Pferde so realistisch darstellte,
daß echte Pferde bei deren A n b l i c k wieherten. M i t Werken wie Der Schecke m u ß Potter
versucht haben, zu seinem antiken Vorgänger i n Konkurrenz zu treten. Seine V i s i o n u n d
sein handwerkliches K ö n n e n sind u m so bemerkenswerter, w e n n m a n bedenkt, daß er
bereits i m Alter v o n neunundzwanzig an Tuberkulose starb. Er hat die Tierdarstellung
i n der westlichen Kunst tiefereifend beeinflußt.
DC
H O L L Ä N D I S C H E U N D F L Ä M I S C H E S C H U L E N 65
36 J A N S T E E N
Niederlande, 1626-1679
Die Zeichenstunde, ca. 1665
Öl auf Holz
49,3 x 41 cm
Unten links signiert JStein
[die ersten beiden Buchstaben
monogrammiert und die letzten drei
Buchstaben ungeklärt]
83.PB.388
A u f dem G e m ä l d e Die Zeichenstunde
b r i n g t ein Künstler einem kleinen Jungen
u n d einer Jugendlichen das Zeichnen bei. Das G e m ä l d e zeigt eine ungewöhnlich
detailreiche Ansicht eines Künstler ateliers. A u f dem Tisch liegen Pinsel u n d Stifte
u n d ein Holzschnitt des holländischen Künstlers Jan Lievens, der den K o p f eines alten
Mannes zeigt u n d u m 1640-55 entstand. Neben dem Zeichenpult steht ein G i p s a b g u ß
einer m ä n n l i c h e n Statue u n d an der W a n d , am Regal u n d der Decke h ä n g e n einige
weitere G i p s a b g ü s s e . A u f dem Regal steht eine Skulptur eines Ochsen, das Symbol des
Heiligen Lukas, dem Schutzheiligen der Maler (vgl. N r . 1). I m H i n t e r g r u n d finden sich
eine Staffelei m i t einem G e m ä l d e darauf u n d an der W a n d eine Geige. I m Vordergrund
sind weitere G e g e n s t ä n d e zu sehen, die für ein Stilleben benutzt werden k ö n n e n .
Einige der Objekte i m Vordergrund - ein Lorbeerkranz, ein Totenschädel, W e i n stehen i n V e r b i n d u n g m i t dem traditionellen Vanitas-Thema (d.h. der Vergänglichkeit
u n d der Unsicherheit des Lebens), das oft i n holländischen Stilleben anzutreffen ist.
Steen malte keine Stilleben als solche, u n d die A n s a m m l u n g so vieler dieser G e g e n s t ä n d e
legt den Schluß nahe, daß ihre Anwesenheit kein reiner Zufall ist. Tatsächlich wurde
Steen am berühmtesten durch seine Darstellungen menschlicher Eigenheiten u n d
Fehler. O f t porträtierte er sich selbst u n d andere als Säufer oder als prahlerische
Narren. Er verzichtete selten darauf, die Torheit dieses Tuns herauszustellen. D i e
H ä u f u n g so vieler traditioneller Symbole weltlicher Eitelkeit i n Die
Zeichenstunde
deutet darauf h i n , daß Steen die Rolle des Künstlers als die eines Gesellschaftskritikers
empfand. Das G e m ä l d e w i r d zu einer Allegorie seines eigenen Berufes.
Die Zeichenstunde
ist i n einem bemerkenswert guten Zustand erhalten. N u r
selten entgeht ein H o l z g e m ä l d e drastischen S ä u b e r u n g e n , u n d die Details u n d
die Feinheiten dieser K o m p o s i t i o n , die a u f diesem G e m ä l d e i n einer für den
Maler seltenen A u s p r ä g u n g zu sehen sind, sind alle noch sehr gut erhalten.
66
HOLLÄNDISCHE U N D FLÄMISCHE SCHULEN
BF
37 P H I L I P S K O N I N C K
Niederlande, 1619-1688
Panoramalandschaft,
Öl auf Leinwand
138,4 x 167 cm
Unten rechts signiert
P Köninck 1665
85.PA.32
1665
W ä h r e n d des 17. Jahrhunderts spezialisierten sich die niederländischen Künstler i n
einem unvorhergesehenen A u s m a ß , u n d die meisten v o n ihnen b e m ü h t e n sich u m
die Perfektionierung v o n einem oder höchstens zwei M o t i v e n . M e h r Maler w i d m e t e n
sich der Kunst der Landschaftsmalerei als jeder anderen Kunstgattung, u n d innerhalb
dieses Genres hatte jeder Künstler seine eigene Spezialität - beispielsweise Waldszenen,
Stadtansichten oder italienische Ansichten.
D i e vielleicht ungewöhnlichste A r t der Landschaftsgemälde war die Panoramaansicht.
W ä h r e n d die holländische Kunst gemeinhin für ihre Liebe zur N a t u r u n d die genaue
Beobachtung naturalistischer Details bekannt ist, w i r d bei der Panoramaansicht i n der
Regel ein B l i c k w i n k e l hoch über der Erde eingenommen, als ob der Künstler auf der
Spitze eines Berges stehe, v o n dem aus er die ansonsten flache, sich bis z u m H o r i z o n t
erstreckende Landschaft überblicken kann. D a es für den Künstler i n H o l l a n d keine
solchen Aussichtspunkte gab ( m i t der gelegentlichen Ausnahme v o n K i r c h t ü r m e n u n d
Schiffsmasten), war er gezwungen, sich die gesamte Szene vorzustellen. D i e W o l k e n
k o n n t e n selbstverständlich vor O r t gemalt werden, aber selbst die W o l k e n sind auf
solchen Ansichten eher pittoresk u n d w o h l das Ergebnis einer ausgeprägten Phantasie.
Panoramalandschaften w u r d e n auch i m 16. Jahrhundert, allerdings nicht besonders
zahlreich, gemalt. D i e Idee wurde v o n dem holländischen Maler Hercules Seghers
( 1 5 8 9 / 9 0 - c a . 1638) wiederbelebt, u n d selbst Rembrandt malte einige G e m ä l d e dieser
A r t . Diese Landschaften zählen zu den einfallsreichsten u n d individuellsten Werken
beider Künstler. Es war jedoch Philips Köninck, wahrscheinlich ein Schüler Rembrandts,
der das Genre am weitesten entwickelte u n d es zu seinem eigenen Spezialgebiet
machte. D e r dicke Pinselstrich u n d die starken Kontraste zwischen den L i c h t - u n d
Schattenbereichen a u f dem G e m ä l d e i m Besitz des Museums - eines v o n Konincks
Meisterstücken - erinnern sehr an Rembrandt. D e r Naturalismus, der sich i n der
Behandlung des H i m m e l s zeigt, ist jedoch v o n der Arbeit des älteren Künstlerkollegen
sehr verschieden.
D i e ästhetischen Fragen, die durch ein B i l d dieser A r t aufgeworfen werden, sind
überaus provokativ. N u r wenige andere Künstler wagten es, die Leinwand durch eine
einzige, gerade, ununterbrochene H o r i z o n t l i n i e beinahe exakt i n zwei Hälften zu teilen.
Das Problem, die beiden Hälften wirkungsvoll zu verbinden, ist eines, das K o n i n c k sich
absichtlich gestellt hat, u n d seine L ö s u n g verleiht dem M o t i v eine D r a m a t i k , die n u r
wenige andere Landschaftsgemälde besitzen.
BF
H O L L Ä N D I S C H E U N D F L Ä M I S C H E S C H U L E N 69
38 J A N V A N H U Y S U M
Vielleicht mehr als jeder andere Künstler spiegelt Jan van H u y s u m die Faszination
Niederlande, 1682-1749
wider, die die H o l l ä n d e r für die N a t u r u n d ihre M y r i a d e n v o n Details empfanden.
Blumenvase, 1722
Er arbeitete zu einer Zeit, i n der die holländische Republik i h r sogenanntes Goldenes
Öl auf Holz
Zeitalter bereits hinter sich gelassen u n d den vornehmen Geschmack u n d die Vorliebe
79,5 x 61 cm
für D e k o r ü b e r n o m m e n hatte, die w i r m i t der Rokokoperiode i n Frankreich verbinden.
A u f dem Gesims signiert
JAN
VAN HUYSUM
82.PB.70
FECIT
1722
Van Huysums W e r k reflektiert diesen Wandel des Geschmacks, w ä h r e n d es gleichzeitig
die Treue z u m M o t i v bewahrte, die fester Bestandteil der etablierten holländischen
T r a d i t i o n war.
Van H u y s u m n a h m i m m e r viele verschiedene Blumenarten i n seine G e m ä l d e
auf. O f t handelte es sich u m N e u z ü c h t u n g e n oder neu erworbene A r t e n , die i h m
von Amsterdams passionierten Blumensammlern gebracht w u r d e n . Damals gab m a n
enorme Summen für B l u m e n aus, u n d der Kreis v o n Kennern u m van H u y s u m wußte
seine Fähigkeit, diese so präzise abzubilden, durchaus zu schätzen. D i e Feinheiten
seiner so vollendeten Technik waren ein streng gehütetes Geheimnis.
D i e K o m p o s i t i o n der Blumenvase ist einfach. D i e Vase wurde i n der M i t t e plaziert,
i m H i n t e r g r u n d nichts als einen schrägen Lichtstrahl, der den Strauß hervortreten läßt.
I n der Sammlung des Museums befindet sich ein weiteres G e m ä l d e v o n van H u y s u m ,
auf dem sowohl B l u m e n als auch Früchte dargestellt werden, das ebenfalls aus dem
Jahre 1722 stammt u n d ein Pendant zu dem ersten B i l d sein k ö n n t e . Das zweite
B i l d wurde allerdings asymmetrisch angeordnet. Früchte quellen über das Gesims,
Früchte, 1722
Öl auf Holz
79,5 x 61 cm
82.PB.71
auf das sie gelegt w u r d e n ,
einige der Trauben u n d
Granatäpfel sind bereits
überreif u n d platzen
auf. O b w o h l diese
Eigenheiten einfach
n u r dazu bestimmt sein
k ö n n t e n , den E i n d r u c k
von einem luxuriösen
Lebensstandard zu
vermitteln, k ö n n t e n sie
auch als Kontrast zu der
unverdorbenen Q u a l i t ä t
der Blumenvase gedacht
sein.
70
HOLLÄNDISCHE U N D FLÄMISCHE SCHULEN
BF
39 V I N C E N T V A N G O G H
Niederlande,
1853-1890
D i e Episode der Selbstverstümmelung u n d die Krankenhausaufenthalte,
die auf seinen
Streit m i t Paul Gauguin folgten, bewegten van G o g h schließlich, sich i m M a i 1889
Iris, 1889
i n die Heilanstalt Saint-Paul-de-Mausole i m französischen Saint-Remy de Provence
O l auf Leinwand
einweisen zu lassen. Trotz gelegentlicher, besorgniserregender Rückfälle schuf van G o g h
71 x 93 cm
Unten rechts signiert Vincent
90.PA.20
fast 130 G e m ä l d e w ä h r e n d seines einjährigen Heilaufenthalts i n Saint-Rémy. O b w o h l
er die Anlage w ä h r e n d des ersten Monats n i c h t verlassen durfte, bot der ü p p i g e u n d
leicht verwilderte Garten der Anstalt viel Stoff für seine G e m ä l d e , die er, wie es seine
Gewohnheit war, i n der N a t u r schuf. I n der ersten Woche berichtete van G o g h seinem
Bruder Theo, er habe begonnen, an "einigen violetten Iris" zu arbeiten.
D a ß van G o g h tief v o n den regenerativen Kräften der N a t u r beeindruckt war,
k o m m t selbst i n dieser begrenzten Ansicht z u m Ausdruck. D i e blauvioletten Blüten
auf ihren kräftigen Stielen besitzen eine gewisse Muskulosität. D i e Blüten stehen
i n m i t t e n sich wiegender spitzer Blätter, die sich fast gewaltsam ihren Weg durch die
rote Erde bahnen. Selbst der zeitgenössische K r i t i k e r Felix F é n é o n beschreibt die Iris
m i t anthropomorphischen W o r t e n , o b w o h l er eher Z e r s t ö r u n g als Erneuerung i n
diesem B i l d sah: " D i e 'Iris' sind brutal i n lange Streifen zerfetzt, ihre violetten
Blütenblätter auf schwertartigen Blättern".
I n d e m er seine Erfahrungen aus dem S t u d i u m der pointillistischen Farbtheorie,
der impressionistischen T h e m e n u n d der japanischen Holzschnittdrucker einbringt,
destilliert van G o g h den Gartenfleck i n gemusterte Flächen lebhafter Farben.
D i e K o m p o s i t i o n , deren Impasto-Farbauftrag intakt u n d unverblichen ist, w i r d
waagerecht durch schwankende Büschel kühler, grüner Blätter i n zwei Bereiche geteilt.
O b e n stehen die verschiedenförmigen Tupfer violetter Blütenblätter (nur durch eine
einzelne weiße Iris ausgeglichen) i m Kontrast zu dem grünen, warmen G r u n d der
fernen, sonnenbeschienenen Wiese. U n t e n werden dieselben Violettöne neben dem
Rotbraun des provenzalischen Bodens gespiegelt, der m i t geriefelten, parallelen
Pinselstrichen aufgebaut wurde.
Es war m i t ziemlicher Sicherheit der kleine Bildausschnitt dieser K o m p o s i t i o n ,
der van G o g h dazu bewegte, die Getty-Leinwand i n einem Brief an seinen Bruder als
eine Naturstudie, u n d nicht als ein fertiges G e m ä l d e , zu bezeichnen. D e n n o c h wählte
Theo aus den e l f L e i n w ä n d e n , die er i m Juli erhielt, n u r die Iris aus, u m dieses G e m ä l d e
zusammen m i t dem bereits früher entstandenen B i l d Sternennacht
( N e w York, M u s e u m
o f M o d e r n A r t ) als van Goghs Beitrag z u m Salon des Indépendants i m September 1889
einzureichen.
PS
H O L L Ä N D I S C H E U N D F L Ä M I S C H E S C H U L E N 73
40
GEORGES D E L A T O U R
Das M o t i v des G e m ä l d e s Der Streit der Bettler ist der Streit zweier älterer
Frankreich, 1 5 9 3 - 1 6 5 2
Wandermusikanten. D e r M a n n links m i t einer Drehleier über der Schulter verteidigt
Der Streit der Bettler,
sich m i t einem Messer u n d der Kurbel seines Instruments. Er w i r d v o n einem anderen
ca. 1 6 2 5 - 3 0
O l auf Leinwand
85,7 x 141 cm
72.PA.28
M a n n bedroht, der i h n m i t einer Schalmei, einer A r t Oboe, schlägt u n d ein ähnliches
Instrument am Gürtel trägt. D e r zweite Bettler spritzt seinem Gegner Zitronensaft i n
die Augen, entweder, u m zu prüfen, ob der M a n n m i t der Drehleier w i r k l i c h b l i n d ist,
oder vielleicht auch nur, u m i h n noch weiter zu erzürnen. A m l i n k e n Rand scheint eine
alte Frau jemanden u m H i l f e anzuflehen. Rechts amüsieren sich zwei weitere Bettler,
einer m i t einer Geige u n d einer m i t einem Dudelsack, über den Kampf.
Bei dem M o t i v handelt es sich u m ein seltenes Thema. Viele Maler des 17.
Jahrhunderts malten Landarbeiter oder Musikanten, aber selten findet m a n die
Darstellung eines Streits. Eines der wenigen Beispiele ist ein D r u c k des französischen
Künstlers Jacques Bellange, der die Anregung zu dem G e m ä l d e i m Besitz des Museums
geliefert haben k ö n n t e . La Tour verwandte auch bei anderen Gelegenheiten M o t i v e
aus Beilanges D r u c k e n u n d bewunderte i h n offensichtlich.
La Tour verbrachte sein Leben i m ostfranzösischen Lothringen u n d es ist nicht
bekannt, daß er v o n dort weit gereist wäre. U n d so überrascht es nicht, daß Drucke eine
wesentliche Quelle seiner Inspiration waren. Der Geigenspieler rechts auf dem G e m ä l d e
des Museums könnte sogar v o n einem D r u c k des holländischen Künstlers H e n d r i c k
ter Brugghen stammen, der einen grinsenden M a n n i n einem gestreiften M a n t e l m i t
einer Geige i n der H a n d u n d einer federgeschmückten M ü t z e darstellt. Der D r u c k ,
wie auch La Tours G e m ä l d e , entstanden vermutlich M i t t e bis Ende der 1620er Jahre.
La Tours W e r k läßt sich i n die realistische T r a d i t i o n einordnen, die über
Europa, infolge der revolutionären Malerei Caravaggios i n Italien, hinwegfegte.
Es ist zweifelhaft, ob La Tour jemals ein O r i g i n a l g e m ä l d e v o n Caravaggio sah, aber
der W u n s c h nach einer Erneuerung des Naturalismus i n der Malerei war so stark,
daß er schnell allerorts A n h ä n g e r fand.
BF
F R A N Z Ö S I S C H E SCHULE
75
41
SIMON VOUET
I n der E r z ä h l u n g v o n Venus u n d Adonis (Metamorphosen 1 0 : 5 3 2 - 7 0 9 ) beschreibt O v i d
Frankreich, 1590-1649
sowohl die M a c h t als auch die Grenzen der Liebe. Venus, erfüllt v o n Leidenschaft für
Venus und Adonis, ca. 1640
den schönen Jäger, verzichtet auf die A n n e h m l i c h k e i t e n des H i m m e l s u n d streift " m i t
Öl auf Leinwand
dem K l e i d bis z u m K n i e geschürzt" durch den W a l d , u m Adonis nahe sein zu k ö n n e n .
130 x 94,5 cm
71.PA.19
Sie fürchtet die Gefahren der Jagd, warnt i h n , "gegen K ü h n e ist K ü h n h e i t gefährlich."
Aber die Liebe, die Venus selbst verwandelt hat, vermag n i c h t Adonis zu ändern. Er
entsagt i h r u m seiner größeren Leidenschaft, der Jagd, w i l l e n , nur u m dann, wie v o n
Venus vorhergesehen, u m z u k o m m e n .
W i e bei anderen Meistern des Barocks verdanken Vouets frühere Behandlungen
dieses Themas sehr viel Tizian, dessen Venus und Adonis (Nr. 15) den J ä g e r zeigt, der
aus der verzweifelten U m a r m u n g der G ö t t i n flieht. I n seinem Spätwerk schildert Vouet
den ergreifenden, davorliegenden M o m e n t , i n dem die Liebe für einen kurzen M o m e n t
gewonnen wurde. A u f dem G e m ä l d e , wie auch i n dem Text, lehnt sich die erschöpfte
G ö t t i n unter einer Pappel zurück. Bald w i r d sie Adonis an sich ziehen, u m unter Tränen
sowohl ihre Liebe als auch ihre Ä n g s t e zu gestehen. Das Z i e l ihrer Zusammenkunft
w i r d sachte durch die nistenden Tauben u n d durch die geflügelten Putten angedeutet,
die sich anschicken, über dem Paar zu schweben u n d B l u m e n zu streuen.
Vouet war einer der Begründer des französischen Barocks. D i e erste Hälfte seines
Arbeitslebens verbrachte er vorwiegend i n R o m ( 1 6 1 2 - 2 7 ) , w o er der einzige Ausländer
war, dem Ehren zuteil w u r d e n , die normalerweise den italienischen Künstlern
vorbehalten waren. Nachdem er v o n L u d w i g X I I I . nach Frankreich zurückgerufen
wurde, ersetzte Vouet seinen kraftvollen, dramatischen, caravaggistischen Stil durch
einen sinnlichen Klassizismus, der den streng intellektuellen Ansatz seines Zeitgenossen
Poussin ergänzt. Bei Venus und Adonis lassen die rhythmischen L i n i e n , die sonnigen
Farbharmonien u n d der beschwingte flüssige Pinselstrich die lyrischen Kadenzen
des O v i d erklingen. Vouets Interpretation gefiel dem gebildeten P u b l i k u m , das die
ergreifende Darstellung der subtilen moralischen D i m e n s i o n der E r z ä h l u n g schätzte.
D i e Bildunterschrift des Drucks (1643), der nach diesem W e r k entstand, lautet, " D u
bist erstaunt, Adonis, D i c h i n den A r m e n v o n Venus wiederzufinden; u n d D u siehst
nicht, wie nahe die F ä n g e des w i l d e n Ebers sind."
76
F R A N Z Ö S I S C H E SCHULE
DA
42 N I C O L A S P O U S S I N
Unter den vielen ausländischen Künstlern, die i n R o m arbeiteten, war Poussin
Frankreich, 1594-1665
wahrscheinlich der berühmteste. Schon zu seinen Lebzeiten wurde er als Meister
Die Heilige Familie, 1651
verehrt. W i e auch Valentin vor i h m , verbrachte Poussin fast sein gesamtes Leben
O l auf Leinwand
i n der päpstlichen Stadt. D e r zeitgenössische italienische Biograph Bellori schrieb:
96,5 x 133 cm
"Frankreich war seine liebende M u t t e r , u n d Italien sein Lehrer u n d sein zweites
81.PA.43
I m gemeinsamen Besitz m i t der
Vaterland." D e r Künstler n a h m seine Inspiration aus seiner römischen U m g e b u n g
Norton Simon A r t Foundation,
u n d wurde zur Quelle der klassischen T r a d i t i o n i m Italien des 17. Jahrhunderts, so daß
Pasadena
er n i c h t n u r die Kunst i n seiner Wahlheimat, sondern i n ganz Europa weitreichend
beeinflußte.
I n späteren Jahren malte Poussin zahlreiche religiöse T h e m e n , insbesondere
mehrere Darstellungen der Heiligen Familie. Das G e m ä l d e i m Besitz des Museums,
w o h l das schönste u n d ehrgeizigste dieser Werke, zeigt Jesus, M a r i a u n d Joseph sowie
den kleinen Johannes u n d dessen M u t t e r Elisabeth. I m M i t t e l p u n k t des Geschehens
steht die U m a r m u n g v o n Johannes u n d Jesus. Der K r u g , das H a n d t u c h u n d das
Wasserbecken, die v o n einer Gruppe v o n Putten (Knabenengeln) am rechten Rand
gehalten werden, k ö n n t e n eine Anspielung auf das Baden des Kindes oder auf die
spätere Taufe Jesu durch Johannes sein.
Das G e m ä l d e wurde m i t einer ausgesprochen klassizistischen S t i m m u n g k o m p o n i e r t
u n d ist ein gutes Beispiel für Poussins überaus rationalistische Neigung. Er plazierte oft
Figuren vor einer so sorgfältig k o m p o n i e r t e n Kulisse, daß diese einen geometrischen
U n t e r g r u n d zu haben schien. I m Gegensatz zu dem "Realismus" der Caravaggisten,
deren Beliebtheit bis zu diesem Z e i t p u n k t nachgelassen hatte, benutzte Poussin
normalerweise ziemlich kräftige Farben u n d plazierte seine M o t i v e vor einem idyllischen,
lichtdurchfluteten H i n t e r g r u n d . D i e Figuren gehen zurück auf die v o n Raphael
( 1 4 8 0 - 1 5 2 0 ) , V o r b i l d der meisten klassizistischen Künstler späterer Jahrhunderte,
u n d die Landschaft ist abgeleitet v o n der venezianischen Tradition v o n Giorgione
(ca. 1 4 7 6 - 1 5 1 0 ) u n d Tizian (ca. 1 4 8 0 - 1 5 7 6 ) .
Das G e m ä l d e i m Besitz des Museums wurde 1651 v o n Charles I I I . de Blanchefort,
dem Duc de C r é q u i , i n Auftrag gegeben, einem der vielen wohlhabenden M ä z e n e ,
die u m Poussins G e m ä l d e wetteiferten. D e r Großvater des Herzogs war unter L u d w i g
X I I I . der französische Botschafter i n R o m u n d der erste Franzose, der ein W e r k v o n
Poussin erwarb u n d so eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des Rufes des Künstlers
i n Frankreich spielte. D e r Duc de C r é q u i , der selbst unter L u d w i g X I V . ebenfalls z u m
Botschafter i n R o m ernannt wurde, setzte diese Tradition fort u n d wurde zu einem der
wichtigsten Sammler v o n Poussins Werken.
BF
F R A N Z Ö S I S C H E S C H U L E 79
43
JEAN-FRANCOIS
DE TROY
Frankreich, 1 6 7 9 - 1 7 5 2
Vor dem Ball, 1735
O l auf Leinwand
81,8 x 65 cm
Unten rechts signiert De Troy 1735
84.PA.668
D e Troy war einer der vielseitigsten Künstler i m Frankreich des 18. Jahrhunderts.
Als Sohn eines bekannten Porträtisten leistete er n i c h t n u r auf diesem Gebiet
Hervorragendes, sondern auch bei G e m ä l d e n m i t historischen, mythologischen
u n d religiösen Sujets. Er arbeitete erfolgreich m i t kleinen u n d großen Formaten, u n d
seine Werke, wie auch die v o n Watteau ( 1 6 4 8 - 1 7 2 1 ) , vermitteln a u f lebendige Weise
die Eleganz u n d Kultiviertheit der schicken Pariser Gesellschaft der damaligen Zeit.
Das hier gezeigte G e m ä l d e wurde zusammen m i t seinem G e g e n s t ü c k , Die Rückkehr
vom Ball (verschollen, aber durch einen Stich bekannt), u m 1735 für Germain-Louis
de Chauvelin, den Außenminister u n d Siegelverwahrer unter L u d w i g X V . , gemalt. Als
de Troy sie i m Salon des Jahres 1737 ausstellte, w u r d e das G e m ä l d e p a a r als das besten
W e r k des Künstlers bezeichnet. Vor dem Ball ist ein Beispiel für de Troys Tableaux de
Mode, Darstellungen der Aristokratie zu Hause u n d bei Vergnügungen. Diese G e m ä l d e
gelten heute als die bedeutendsten Werke des Künstlers. A u f dem G e m ä l d e i m Besitz
des Museums legt eine Zofe, unter den Blicken der Umstehenden, letzte H a n d an die
Frisur ihrer H e r r i n . D i e Zuschauenden sind bereits i n U m h ä n g e gehüllt u n d halten i n
erwartungsvoller Vorfreude auf die abendlichen Festlichkeiten Masken i n der H a n d .
Damals verurteilten die K r i t i k e r den Lebensstil, der m i t solchen G e m ä l d e n gefeiert
wurde, aber de Troy bewegte sich offensichtlich ungezwungen i n den eleganten Kreisen
u n d scheint keine moralischen Bedenken gehabt zu haben. I m Gegenteil, er scheint
i h n genossen u n d seine Nuancen u n d K o n v e n t i o n e n gut gekannt zu haben. Es ist
i h m gelungen, das leicht spannungsgeladene u n d sogar erotische K l i m a der H a n d l u n g
einzufangen, u n d i n seiner Beobachtung liegt ein gewisser Realismus, der ein klares
u n d äußerst scharfes Auge verrät.
80
F R A N Z Ö S I S C H E SCHULE
BF
44 J E A N - B A P T I S T E G R E U Z E
Frankreich, 1725-1805
Die Wäscherin, 1761
Öl auf Leinwand
40,6 x 32,4 cm
83.PA.387
W ä h r e n d der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts war Greuze der bekannteste
u n d erfolgreichste Vertreter der Genremalerei i n Frankreich. Er wählte T h e m e n m i t
moralistischen Untertönen, deren Parallelen i m zeitgenössischen Theater, u n d nicht i n
den Werken seiner Malerkollegen, zu finden waren. Z u einer Zeit, i n der die Akademien
die Historienmalerei als die höchste F o r m der Kunst priesen, versuchte Greuze, seinen
weltlicheren M o t i v e n ein vergleichbares M a ß an Beachtung zu verschaffen.
Greuze wurde inspiriert durch das S t u d i u m der holländischen u n d flämischen
G e m ä l d e aus dem 17. Jahrhundert, die i m Frankreich des 18. Jahrhunderts
gesammelt u n d bewundert w u r d e n . Viele seiner M o t i v e entstammen direkt den
Werken holländischer u n d flämischer Künstler, die sich als erste m i t der Darstellung
der Arbeitenden beschäftigten. I n den 1730er Jahren hatte der französische Künstler
C h a r d i n eine ähnliche Wäscherin gemalt, u n d Greuze kannte dieses B i l d zweifellos.
C h a r d i n betonte die Bescheidenheit u n d stille W ü r d e seines M o t i v s , aber Greuze
gab seiner Wäscherin einen provokativen Blick u n d eine unordentliche Erscheinung.
D u r c h das Entblößen ihrer Fessel u n d des Fußes läßt der Künstler die junge Frau leicht
unzüchtig w i r k e n . M i t weiteren Details ihrer K l e i d u n g u n d durch den unaufgeräumten
H i n t e r g r u n d - Details, die v o n seinen Zeitgenossen zielsicher interpretiert w u r d e n warnt er vor dem verführerischen Blick des M ä d c h e n s .
Die Wäscherin wurde i m Salon v o n 1761 ausgestellt. Denis D i d e r o t , einer der
prominentesten Bewunderer des Künstlers, beschrieb das M ä d c h e n a u f dem G e m ä l d e
als "bezaubernd, aber... eine Schurkin, der ich kein S t ü c k trauen würde." Bald nach
der ersten Ausstellung wurde dieses G e m ä l d e v o n dem Sammler Ange Laurent de La
Live de Jully, dem wichtigsten Förderer des Künstlers i n jener Zeit, erworben.
F R A N Z Ö S I S C H E SCHULE
BF
81
45
MAURICE-QUENTIN
M a u r i c e - Q u e n t i n de La T o u r war der gefragteste Porträtmaler seiner Tage. Er arbeitete
DE LA T O U R
ausschließlich m i t Pastellfarben u n d fertigte Bildnisse des Adels u n d der wohlhabenden
Frankreich, 1704-1788
Mittelschicht, die sowohl wegen ihrer technischen Meisterschaft als auch wegen ihrer
Gabriel Bernard de Rieux,
ca. 1 7 3 9 - 4 1
Pastell und Gouache auf Papier
auf Leinwand aufgezogen
Ungerahmt: 200 x 150 cm
Gerahmt: 317,5 x 223,5 cm
94.PC.39
brillanten Realistik gefeiert w u r d e n . N a c h d e m er Gabriel Bernard de Rieux i m Salon
v o n 1741 gesehen hatte, schrieb ein Betrachter, "Es ist ein wundersames W e r k , es ist
wie ein S t ü c k Dresdener Porzellan, es k a n n n i c h t einfach n u r ein Pastellgemälde sein."
Dieses monumentale Ganzkörperporträt - z u s a m m e n g e f ü g t aus einzelnen
Papierbogen, die auf L e i n w a n d gezogen w u r d e n , u n d noch i n seinem ursprünglichen
massigen G o l d r a h m e n - durchbricht die vertrauten Grenzen des Pastellmediums.
W ä h r e n d seines langen Arbeitslebens schuf La T o u r nur ein weiteres G e m ä l d e dieser
A r t , das Porträt der Madame de Pompadour, das sich heute i m Louvre befindet. Das
Porträt des Getty-Museums zeigt eine feine Abstufung unterschiedlicher Strukturen,
das Spiel des Lichts auf reflektierenden Oberflächen u n d insgesamt einen hohen Grad
an feinster Ausgestaltung, der i n den zarten Pastellfarben außerordentlich schwierig
zu erreichen ist. Dieses W e r k galt unter den Zeitgenossen La Tours als dessen größter
technischer Erfolg, das Porträts i n dem angeseheneren M e d i u m O l i n nichts nachstand.
Gabriel Bernard de Rieux ( 1 6 8 7 - 1 7 4 5 ) w i r d i n seiner Amtstracht als Präsident des
zweiten Untersuchungsausschusses des Parlaments v o n Paris dargestellt. Er verdankte
seinen Status als Angehöriger der Großbourgeoisie, einer sehr wohlhabenden Klasse,
seinem Vater, einem überaus erfolgreichen Finanzier, der auch den Adelstitel des
C o m t e de Rieux i m Jahre 1702 erwarb. Gabriel Bernard erbte das V e r m ö g e n seines
Vaters 1739, i n dem Jahr, als dieses W e r k begonnen wurde. D i e bewußt altmodisch
gewählte M ö b l i e r u n g u n d Gabriel Bernards selbstsicherer Stolz verleihen i h m eine
A u r a einer wohlhabenden A b s t a m m u n g u n d Status, eine F i k t i o n , die auf bezaubernde
Weise durch die Messingpracht dieses Porträts entlarvt w i r d . I n diesem W e r k decken
sich die ehrgeizigen A m b i t i o n e n eines Auftraggebers u n d eines Künstlers, v o n dem es
hieß, er schaffe jedes Jahr ein neues W u n d e r w e r k der V o l l k o m m e n h e i t .
DA
F R A N Z Ö S I S C H E SCHULE
83
46 T H E O D O R E G É R I C A U L T
Frankreich, 1791-1824
Das Rennen der reiterlosen Pferde,
1817
Öl auf Papier, auf Leinwand
aufgezogen
19,9 x 29,1 cm
85.PC.406
I m Jahre 1817 erlebte Géricault das alljährliche Rennen der Barberi-Pferde i n der
V i a del Corso, einer der großen Prachtstraßen Roms. Géricault war fasziniert v o n
den künstlerischen Möglichkeiten, die das Ereignis bot, so unter anderem der A n b l i c k
der Stallburschen, die die Tiere i n einer w i l d e n Stampede d u r c h die Menschenmenge
die Straße hinuntertrieben. Seine Olskizzen zeigen, daß er sich eine zeitgenössische
Szene herausgriff u n d die H a n d l u n g nach u n d nach mythologisierte, so daß aus den
Stallburschen an der Startlinie nackte A t h l e t e n w u r d e n , die vor einem klassischen
Portiko a u f den Startschuß warten. Gelehrte hatten schon lange nachzuweisen versucht,
inwieweit moderne Feste u n d Spiele Überlieferungen der antiken r ö m i s c h e n Sitten u n d
G e b r ä u c h e waren. Géricault allerdings rang darum, die Spannung des Rennens i n eine
klassische Bildsprache umzusetzen, die für den Pariser Salon geeignet war.
Géricault hatte sich bereits als brillanter Maler v o n Pferden i n Bewegung etabliert,
u n d hier steht n u n das dramatische Ringen zwischen Mensch u n d Tier i m M i t t e l p u n k t
dieser Ölskizze. D i e grobe Skizzierung der Formen u n d die fast monochromatische
Farbwahl lassen vermuten, daß Géricaults Hauptanliegen i n der Farbausgewogenheit
der K o m p o s i t i o n bestand. Er hat sein bevorzugtes M e d i u m der Federzeichnung u n d
Lavierung i n dicke Farbstrudel übersetzt, als ob er eine der antiken Basrelief-Skulpturen
meißeln wollte, die i h n so sehr beeinflußten. Virtuose Vorskizzen i n Ö l gehörten zu der
akademischen Künstlerausbildung, aber leider entwickelte Géricault aus dieser
lebendigen Szene nie ein großartiges G e m ä l d e für den Salon.
84
FRANZÖSISCHE SCHULE
DJ
47 T H E O D O R E G É R I C A U L T
Frankreich, 1 7 9 1 - 1 8 2 4
Drei Liebende, ca. 1 8 1 7 - 2 0
Öl auf Leinwand
22,5 x 29,8 cm
95.PA.72
I n dieser bemerkenswerten Studie hat Géricault sein M o t i v m i t moderner
Unverblümtheit dargestellt, u n d die Energie menschlichen Handelns u n d seine
u n w i l l k o m m e n e Intensität auf eine Weise festgehalten, die sich v o l l k o m m e n v o n den
idealisierenden Konventionen seiner Ä r a unterscheiden. D i e Frau, die auf dem S c h o ß
ihres Liebhabers sitzt, trägt ein Alltagskleid u n d i h r Haar ist nach der letzten M o d e
frisiert. I h r einzelner, heruntergerutschter S t r u m p f ist ebenfalls ein zeitgenössisches
Detail. I h r provokativ entblößtes, gebeugtes Bein, das k a u m die Kante des Podests
berührt, lenkt die Aufmerksamkeit des Betrachters auf ihre unbequeme, gewundene
H a l t u n g . Das Paar scheint n u r v o n der gebündelten Energie seiner engen U m a r m u n g
u n d seinem leidenschaftlichen Blickkontakt getragen zu werden. Linkerhand beobachtet
die ermattete Gefährtin r u h i g den M o m e n t flüchtiger Zweisamkeit. Ihre Nacktheit u n d
Pose erinnern an die A r t , wie i n der klassischen Tradition die Ruhe nach dem Liebesakt
dargestellt wurde; i h r Torso ergänzt auf kunstvolle Weise die darüber befindliche Statue
der Venus. D i e Skulptur, der vorgezogene Vorhang, das helle L i c h t u n d die räumliche
Aufteilung ergeben einen theatralischen Schauplatz für diese Darstellung der Leidenschaft.
D i e Drei Liebenden ist eine eigenständige, vollständig ausgeführte Skizze v o n
kleinem Format, die für die nahe, i n t i m e Betrachtung bestimmt ist. D i e Skizzentechnik
vereint die emotionale D i r e k t h e i t des M o t i v s m i t der dramatischen Spontaneität des
D u k t u s . Géricault schwelgt i n der straffen Zeichenkunst seines Pinsels, u n d beschreibt
einen ausgestreckten Finger oder eine Haarsträhne ebenso sicher u n d geschickt wie die
hängenden Stoffalten. O b w o h l der Künstler solche Sujets oft zeichnete, ist dies das
einzige erotische G e m ä l d e , das v o n i h m bekannt ist.
DJ
F R A N Z Ö S I S C H E SCHULE
85
48 T H E O D O R E G É R I C A U L T
Porträts nahmen einen verhältnismäßig kleinen R a u m i n Géricaults Schaffen ein,
Frankreich, 1791-1824
u n d er ist vor allem als Maler heroischer u n d historischer T h e m e n bekannt. Dieses
Porträtstudie, ca. 1 8 1 8 - 1 9
G e m ä l d e zeigt jedoch eindeutig, daß er fähig war, das Wesen seines Modells m i t großer
O l auf Leinwand
Sympathie u n d Spontaneität einzufangen. Es scheint eine Studie eines Modells zu sein,
46,7 x 38 cm
u n d keine Auftragsarbeit, u n d Géricault wählte diese Person v e r m u t l i c h aufgrund ihres
85.PA.407
außergewöhnlichen Gesichts.
D e r Künstler sympathisierte bekanntermaßen m i t der Sache des Abolitionismus
u n d n a h m oftmals Afrikaner i n seine G e m ä l d e auf, manchmal i n heroischen Rollen.
Seine Bewunderung wurde teilweise durch die Erzählungen über die Kriege genährt,
die die französische Armee gegen die schwarzen Aufständischen i n H a i t i i n den
ersten Jahren des Jahrhunderts geführt hatte. Er dürfte auch Menschen aus Nordafrika
gekannt haben u n d die v o n exotischen K u l t u r e n ausgehende Faszination geteilt haben,
die das W e r k zahlreicher französischer Künstler des 19. Jahrhunderts kennzeichnet.
Géricault u n d viele seiner Zeitgenossen sahen den Afrikaner i n einem romantischen
L i c h t u n d schrieben i h m eine unverdorbene Vornehmheit zu, die für den "zivilisierten"
Europäer unerreichbar war.
Es w i r d allgemein angenommen, daß das M o d e l l auf diesem Porträt ein M a n n
namens Joseph war - sein Familienname wurde n i c h t überliefert - der aus dem
karibischen Santo D o m i n g o k a m u n d i n Frankreich zunächst als A k r o b a t u n d
später als M o d e l l arbeitete. Er wurde i n Paris aufgrund seines begnadeten Körpers,
seiner breiten Schultern u n d seines schlanken Torsos ziemlich berühmt. Géricault
benutzte Joseph für zahlreiche Studien, zumeist Zeichnungen, u n d als Hauptfigur
seines berühmtesten Werks Floß der Meduse (1819; M u s é e d u Louvre, Paris).
Das M o d e l l auf dem G e m ä l d e i m Besitz des Museums w i r k t allerdings ein wenig
zu alt, u m für eine so dramatische Pose eingesetzt zu werden, u n d es k ö n n t e sich daher
u m ein anderes M o d e l l handeln. D i e vielen Studien des Joseph, die ganz eindeutig m i t
der Endversion i n Floß der Meduse i n V e r b i n d u n g gebracht werden können, weisen nie
den Schnurrbart u n d die etwas traurigen Z ü g e dieses Porträts auf. D e n n o c h ist davon
auszugehen, daß dieses Porträt aus der Z e i t v o n 1818 bis 1819 stammt, i n der Géricault
sich vor allem dem Floß der Meduse widmete.
BF
F R A N Z Ö S I S C H E SCHULE
87
49 J A C Q U E S - L O U I S D A V I D
Als prominentester Maler des revolutionären Paris u n d später als Lieblingsmaler
Frankreich, 1 7 4 8 - 1 8 2 5
v o n Napoleon blieb D a v i d k a u m etwas anderes übrig, als nach der Restauration der
Der Abschied von Telemachus
französischen Monarchie i m Jahre 1815 das L a n d zu verlassen. Das letzte Jahrzehnt
und Eucharis,
1818
seines Lebens i m selbstgewählten E x i l i n Brüssel, war gekennzeichnet v o n einem
Öl auf Leinwand
Wandel seines Stils u n d seiner M o t i v w a h l . U n t e r seinen Arbeitsergebnissen aus dieser
87,2 x 103 cm
A u f dem Köcher signiert
Z e i t finden sich H a l b p o r t r ä t s , oftmals v o n anderen Exilanten (wie i n dem Fall des
DAVID
und auf dem H o r n datiert BRUX
87.PA.27
1818
zweiten G e m ä l d e s v o n diesem Künstler, das sich i m Besitz des Museums befindet,
Die Schwestern Zénaïde und Charlotte Bonaparte, N r . 50), sowie eine innovative Serie
mythologischer G e m ä l d e , v o n denen mehrere (einschließlich des abgebildeten Werks)
T h e m e n aus dem Bereich der erotischen Verstrickungen behandeln.
D i e Anregung z u m Abschied von Telemachus und Eucharis entstammt wahrscheinlich
Fenelons moralisierender Romanze Les Aventures de Télémaque (1699), deren Charaktere
w i e d e r u m Homers Odyssee entstammen. Telemachus, der Sohn des Odysseus u n d der
Penelope, liebt Eucharis, eine v o n Calypsos N y m p h e n , auf leidenschaftliche, aber
keusche Weise. D e n n o c h d i k t i e r t die Sohnespflicht den Abschied der jungen Leute.
D a v i d wählt eine abgeschiedene Grotte als Schauplatz für diesen i n t i m e n Abschied.
Trotz des antiken Ursprungs des Sujets machen die halbbekleideten Figuren es dem
Betrachter durch das H a l b p o r t r ä t f o r m a t u n d die Detailgenauigkeit ihrer Z ü g e leicht,
einen direkten Zugang zu ihnen zu finden. Insbesondere die Darstellung des Telemachus
läßt an ein Porträt denken. Sein verträumter, adoleszenter Ausdruck scheint schon
auf sein Weggehen konzentriert zu sein, während seine H a n d noch den Schenkel
der N y m p h e hält. Eucharis dagegen legt resigniert ihre Wange a u f die Schulter
des Telemachus, ihre A r m e umfassen seinen Hals i n s t u m m e m Protest gegen
den unvermeidlichen Abschied. D e r Gegensatz männlichen Pflichtbewußtseins
zu weiblicher Emotionalitat zieht sich durch das gesamte CEuvre Davids. Der
ausgezeichnete Zustand, i n dem sich diese glatte Leinwand befindet, läßt die feinen
Farbharmonien erkennen, die für Davids letzte Periode charakteristisch waren.
Telemachus wurde v o n G r a f E r w i n v o n S c h ö n b o r n i n Auftrag gegeben, dem
Vizepräsidenten des bayrischen Parlaments. Später, noch i m selben Jahr, bestellte er bei
Davids ergebenstem Schüler, Antoine-Jean Gros, ein Pendant. O h n e die T h e m e n der
Pflichterfüllung u n d Keuschheit des Telemachus, facht Baron Gros' Bacchus und
Ariadne
(Phoenix A r t Museum) die erotische G l u t noch an u n d entfernt sich v o n der sorgsam
herausgearbeiteten Linearität des neoklassizistischen Stils, die D a v i d perfektioniert hatte.
PS
88
FRANZÖSISCHE SCHULE
50 J A C Q U E S - L O U I S D A V I D
D a v i d war der Künstler, der der Regierung Napoleons v o n ihrer A m t s e i n f ü h r u n g
Frankreich, 1748-1825
an am nächsten stand, u n d er wurde m i t dem M a l e n der wichtigsten Ereignisse
Die Schwestern Zénaide
beauftragt. Sein enthusiastisches Eintreten für eine Kunst, die auf antike Vorlagen
und Charlotte Bonaparte, 1821
Öl auf Leinwand
römischen Zivilisation u n d Prinzipien. Beide M ä n n e r spielten eine wichtige Rolle
129,5 x 100 cm
Unten rechts signiert
L . DAVID./BRVX.
86.PA.740
zurückging, entsprach Napoleons Streben nach einer Nachahmung der griechisch­
1821
i n der E n t w i c k l u n g des Neoklassizismus, u n d der d a m i t geschaffene Stil beherrschte
Europa noch nahezu ein halbes Jahrhundert nach dem Untergang des
napoleonischen
Reichs. Z u der Zeit, als dieses G e m ä l d e gemalt wurde, war die französische Monarchie
allerdings bereits wiedereingesetzt worden. O b w o h l D a v i d nach Frankreich hätte
zurückkehren k ö n n e n , entschloß er sich, i m E x i l zu bleiben u n d lebte weiterhin
i n Brüssel.
D i e Modelle dieses D o p p e l p o r t r ä t sind die T ö c h t e r v o n Napoleons älterem Bruder,
Joseph Bonaparte ( 1 7 6 8 - 1 8 4 4 ) . Als eine der Schlüsselfiguren der napoleonischen Ä r a
wurde Joseph auf dem H ö h e p u n k t Frankreichs aggressiver Expansion z u m K ö n i g v o n
Neapel u n d Spanien gekrönt. N a c h Napoleons endgültiger A b d a n k u n g i m Jahre 1815
ging Joseph ins E x i l i n die Vereinigten Staaten u n d ließ sich i n Bordentown, N e w
Jersey, n i c h t weit v o n Philadelphia nieder. Seine Familie blieb jedoch i n Europa u n d
lebte eine Weile i n Brüssel.
Links auf dem B i l d ist die neunzehnjährige Charlotte, i n graublaue Seide
gekleidet, zu sehen. Sie wollte gerne Künstlerin werden u n d erhielt v o n D a v i d , zu dem
sie ein freundschaftliches Verhältnis hatte, Zeichenstunden. Rechts, i n dunkelblauen
Samt gekleidet, sitzt Z é n a i d e Julie, hier i m Alter v o n zwanzig Jahren, die später als
Schriftstellerin u n d Übersetzerin der Werke Schillers, dem deutschen Dichter u n d
Dramatiker, bekannt wurde. D i e Schwestern w u r d e n m i t Diademen auf dem K o p f
abgebildet u n d sitzen a u f einer Couch, die v o n Bienen, dem Familienwahrzeichen
der Bonapartes, geziert w i r d . D i e Schwestern haben den A r m umeinander gelegt, u n d
Z é n a i d e hält einen B r i e f ihres Vaters i n der H a n d , auf dem ein paar W o r t e u n d der
Absender i n Philadelphia entziffert werden k ö n n e n .
Das Porträt weist einige der Besonderheiten der imperialen M o d e auf, insbesondere
die r ö m i s c h anmutende C o u c h u n d die hohe Taille der Kleider. D e n n o c h ist es nicht
so ernst u n d so feierlich wie viele frühere Werke des Künstlers, u n d das B i l d vermittelt
W ä r m e u n d Lässigkeit, was vielleicht ein I n d i z für das A b k ü h l e n v o n Davids früherem
idealistischer Eifer ist. D i e Stoffe w u r d e n m i t großem Feingefühl dargestellt, u n d
das Porträt, das zweifelsohne v o n dem i m E x i l lebenden Joseph Bonaparte i n Auftrag
gegeben wurde, strahlt einen sympathischen Charme aus, der den D a m e n offensichtlich
trotz der mißlichen Lage der Familie geblieben war.
BF
F R A N Z Ö S I S C H E SCHULE
91
51
JEAN-FRANCOIS MILLET
Vor seinem internationalen Erfolg als Maler ländlicher Szenen machte Jean-Francois
Frankreich, 1814-1875
M i l l e t eine A u s b i l d u n g als Porträtmaler u n d lebte davon. W ä h r e n d der zwei Jahre, die
Louise-Antoinette
M i l l e t i n Cherbourg i n der N o r m a n d i e lebte ( 1 8 4 0 - 4 2 ) , schuf er über dreißig Porträts
Feuardent,
1841
v o n B ü r g e r n der Mittelschicht. Z u seinen besten u n d bewegendsten Darstellungen
Öl auf Leinwand
zählen die seiner Verwandten u n d Freunde, so wie die hier porträtierte junge Frau.
73,3 x 60,6 cm
Signiert unten links
95.PA.67
MILLET
Louise-Antoinette Feuardent war die Frau v o n Millets lebenslangem Freund FélixB i e n a i m éFeuardent, ein Angestellter einer B i b l i o t h e k i n Cherbourg. Einer ihrer S ö h n e
heiratete die Tochter des Künstlers, M a r i e . M i l l e t stellt Louise-Antoinette bewußt
i n schlichter Weise dar. D e r einfache H i n t e r g r u n d , das unprätentiöse K l e i d u n d die
verhalten stille S t i m m u n g erinnern an Bilder holländischer Bürger des 17. Jahrhunderts.
D u r c h das Aufgreifen früherer Porträtkonventionen beschreibt M i l l e t die bescheidene
Tugend einer modernen Frau aus der Provinz. Er liefert außerdem eine herausfordernde
Alternative zu den bunten, scharfkantigen Gesellschaftsporträts, die sein älterer
Zeitgenosse Ingres entwickelt hatte.
D i e W i r k u n g des Porträts hängt v o n der harmonischen Balance zwischen den m o n o ­
chromatischen T ö n e n (von M i l l e t als das "Abwägen der Tonalität" bezeichnet) u n d
zwischen einem flüssigen Pinselstrich u n d einer genau kontrollierten Linienführung ab.
Millets L ö s u n g formaler Gegensätze ist ein M i t t e l z u m Ausdruck der Selbstgenügsamkeit
der Porträtierten, ihrer wachsamen Schüchternheit, ihrer aufmerksamen H a l t u n g .
Louise-Antoinette
Feuardent scheint wie eine A n t w o r t auf Baudelaire, der sagte, " E i n
Porträt! Was ist einfacher oder komplizierter, offensichtlicher u n d tiefgründiger?
Dieses Genre, so bescheiden es auch erscheint, verlangt eine ungeheuere Intelligenz.
Zweifellos m u ß der Künstler sich seinem W e r k weitestgehend unterwerfen, aber
ebenso sollte er auch über großes Einfühlungsvermögen verfügen."
DA
FRANZÖSISCHE SCHULE
93
52 J E A N - F R A N C O I S M I L L E T
D i e französischen Revolutionen v o n 1830 u n d 1848 ließen zahlreiche liberale
Frankreich, 1 8 1 4 - 1 8 7 5
Bewegungen entstehen, die sich z u m Z i e l gesetzt hatten, gesellschaftliche Ü b e l zu
Mann mit einer Hacke, 1860 - 62
berichtigen, u n d es herrschte unter den Reformern die weitverbreitete Auffassung, daß
O l auf Leinwand
80 x 99 cm
Unten rechts signiert J . F . M I L L E T
85.PA.114
die Malerei diese Anliegen wiedergeben sollte, anstatt sich Porträtfiguren m i t klassischen
Assoziationen zu w i d m e n . O b w o h l M i l l e t kein Sozialreformer war, bewegten i h n seine
persönlichen
Überzeugungen
dazu, sich den Reformern anzuschließen.
Als religiöser Fatalist glaubte M i l l e t , daß der Mensch dazu verdammt sei, seine
B ü r d e m i t wenig H o f f n u n g auf Erleichterung zu tragen. Er wollte die Vornehmheit
der A r b e i t durch sein W e r k z u m Ausdruck bringen, u n d daher standen Bauersleute
u n d Landarbeiter i m M i t t e l p u n k t seines Interesses. D i e industrielle Revolution hatte
zu einer steten E n t v ö l k e r u n g der Bauernhöfe geführt, u n d G e m ä l d e wie Mann
mit
einer Hacke sollten die Beharrlichkeit des Bauers angesichts der unaufhörlichen
Plackerei veranschaulichen. I n der Ferne w i r d ein i n voller Frucht stehendes Feld
bearbeitet, aber die äußerst m ü h s a m e Aufgabe, den steinigen,
disteldurchsetzten
Boden zu pflügen, geht dieser A r b e i t voraus.
Millets G e m ä l d e wurde wegen des besonders animalisch aussehenden Bauern
kritisiert. U n t e r allen Arbeitern, die M i l l e t darstellte, ist dieser Bauer der elendste.
Seine A r b e i t hat i h n verrohen lassen, u n d sein A b b i l d erschreckte verständlicherweise
die Pariser Bourgeoisie. M i l l e t k ö n n t e auf die Christus-Passion angespielt haben,
da Disteln damals allgemein m i t der Dornenkrone i n V e r b i n d u n g gebracht w u r d e n .
Das Gesicht des Bauern entsprach allerdings nicht der damals gängigen Vorstellung
v o n Christus. Der Mann
mit einer Hacke galt jedenfalls über viele Jahre hinweg als ein
Symbol für die Arbeiterklasse u n d wurde 1899 v o n dem sozialistischen D i c h t e r E d w i n
M a r k h a m i n einem Gedicht m i t demselben T i t e l verewigt, i n dem er rhetorisch fragt,
"Wessen A t e m hat das L i c h t i n diesem H i r n ausgeblasen?"
W ä h r e n d u n d nach der öffentlichen Ausstellung i m Salon v o n 1863 wurde
mit einer Hacke v o n den K r i t i k e r n wegen des darin wahrgenommenen
Mann
Radikalismus
angegriffen, u n d M i l l e t wurde zu der E r k l ä r u n g gezwungen, daß er weder Sozialist
noch ein Agitator sei. O b w o h l seine H a l t u n g weder den Reformern noch dem
Establishment gefiel, erwiesen sich seine G e m ä l d e als überaus beliebt, insbesondere
i n den Vereinigten Staaten. Mann
mit einer Hacke, eines seiner berühmtesten Bilder,
wurde v o n einem Sammler i n San Francisco zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts
erworben.
94
F R A N Z Ö S I S C H E SCHULE
BF
53
CLAUDE MONET
D i e impressionistische Bewegung b e m ü h t e sich vor allem u m A t m o s p h ä r e u n d
Frankreich, 1 8 4 0 - 1 9 2 6
L i c h t u n d deren W i r k u n g auf die W a h r n e h m u n g v o n Farbe u n d F o r m . Ihre
Stilleben mit Blumen und
A n h ä n g e r scheuten i n der Regel gesellschaftliche T h e m e n , die oft v o n Courbet
Früchten, 1869
O l auf Leinwand
100 x 80,7 cm
Oben rechts signiert Claude Monet
83.PA.215
u n d anderen französischen Künstlern aufgenommen w u r d e n , welche u m die M i t t e
des 19. Jahrhunderts arbeiteten (vgl. N r . 52). A u c h w e n n M o n e t u n d Courbet die
Werke des anderen kannten u n d bewunderten, waren sie dennoch ganz klar Produkte
unterschiedlicher Generationen. Monets Stil führte vielleicht zu Kontroversen, seine
M o t i v e lösten diese jedoch sicher nie aus.
Das Stilleben mit Blumen und Früchten i m Besitz des Museums, entstand 1869 i n
der Stadt Bougival vor den Toren v o n Paris. M o n e t verbrachte den Sommer u n d den
Herbst dieses Jahres i n diesem freundlichen Städtchen, das für die zahlreichen Künstler
bekannt war, die es anzog. W ä h r e n d seines dortigen Aufenthalts hatte er ständigen
K o n t a k t zu Pissarro u n d Renoir (vgl. N r . 54 u n d 57). M o n e t u n d Renoir malten oft
gemeinsam u n d schufen eine ganze Reihe v o n Bildern zu denselben T h e m e n . Ihre
berühmtesten Ansichten v o n La Grenouillère, einem beliebten schwimmenden
Restaurant auf der Seine, entstanden w ä h r e n d dieser Zeit.
Renoir malte ebenfalls das Arrangement v o n B l u m e n u n d Obst, das a u f dem hier
abgebildeten G e m ä l d e zu sehen ist. D i e beiden Künstler arbeiteten wahrscheinlich
Seite an Seite, vielleicht i n Monets Atelier. Renoirs G e m ä l d e (heute i m M u s e u m o f
Fine Arts i n Boston) ist etwas kleiner u n d weniger komplex als das v o n M o n e t . M i t
seiner sorgfältigen Strukturierung u n d K o m p o s i t i o n schafft Monets B i l d einen gewissen
leeren Raum, der der Szene Tiefe verleiht. Das L i c h t ist gedämpft, aber die Farben sind
es nicht, w o d u r c h eines seiner ausdrucksstärksten Stilleben entsteht. D i e Farbe wurde
m i t dicken Strichen aufgetragen, u n d die Oberfläche läßt umfangreiche Nacharbeiten
erkennen, was darauf schließen läßt, daß der Künstler mehr Z e i t als gewöhnlich auf
seine Fertigstellung verwandte.
D i e Prinzipien des Impressionismus kamen am besten i n Bildern v o n den Feldern,
Flüssen u n d Städten i n der unmittelbaren U m g e b u n g v o n Paris z u m Ausdruck, u n d
die A n h ä n g e r der Bewegung neigten n i c h t zur A r b e i t i m abgeschlossenen Atelier.
Folglich malten M o n e t u n d die anderen Impressionisten verhältnismäßig wenige
Stilleben. Künstler wie Cezanne (vgl. N r . 60) u n d G a u g u i n sollten diese Sujets kurze
Z e i t später wieder eingehender behandeln, u n d Monets Schaffen auf diesem Gebiet
beeinflußte die E n t w i c k l u n g ihres Malstils.
96
F R A N Z Ö S I S C H E SCHULE
BF
54
PIERRE-AUGUSTE
Renoir war neunundzwanzig, als er den Spaziergang malte, u n d M i t g l i e d einer eng m i t
RENOIR
einander verbundenen Gruppe junger Avantgarde-Künstler, die bald durch Frankreichs
Frankreich, 1841-1919
Der Spaziergang, 1870
Öl auf Leinwand
81,3x65
Unten links signiert A. Renoir. 70.
Kriegserklärung an Deutschland auseinandergerissen werden sollte. Nachdem er den
vorangehenden Sommer i n La Grenouillère an Monets Seite m i t Freilichtmalerei
verbracht hatte, zeigt Renoir i n Der Spaziergang eine Verlagerung zur leuchtenden
Palette, die so charakteristisch für den erst kürzlich geprägten impressionistischen Stil
89.PA.41
war. I n diesem wichtigen Meilenstein des frühen Impressionismus empfindet Renoir
Bildausschnitt auf der folgenden
die N a t u r n i c h t mehr als einen H i n t e r g r u n d , sondern er integriert die Figuren i n den
Doppelseite
saftgrünen Schauplatz. M i t größter Wahrscheinlichkeit hat er en plein air gearbeitet, er
erzielt seinen Effekt durch eine spontane Pinselführung u n d über das B i l d versprengte
Lichtpunkte.
T h e m e n wie T ä n d e l e i u n d M ü ß i g g a n g ziehen sich wie ein roter Faden durch
Renoirs CEuvre. I m Gegensatz zu Monets Ansichten häuslicher Szenen i n blühenden
G ä r t e n gilt die N a t u r bei Renoir sowohl als ein Schauplatz für die Verführung als auch
eine Metapher für sinnliches Vergnügen. Das Stelldichein des Pärchens auf dem GettyG e m ä l d e ist sowohl sehr m o d e r n - u n d läßt zugleich an die neue Pariser Mittelschicht
denken, die sich an Wochenenden i n den Parks u n d Vororten versammelte - als auch
ein Vertreter eines althergebrachten Kunstmotivs, das sich zu Watteaus Liebespärchen
der Fetes galantes zurückverfolgen läßt, bei denen das M ä d c h e n a u f eine abgelegene
L i c h t u n g gelockt w i r d , u m d o r t später verführt zu werden.
M i t seiner charakteristischen fedrigen Pinselführung schafft Renoir i n Spaziergang
den gestreuten Einfall des Sonnenlichts, das durch das Laub gefiltert w i r d . Dieser Effekt
sollte z u m Erkennungsmerkmal vieler seiner wichtigsten Arbeiten aus den 1870er u n d
1880er Jahren werden. Tiefer i m W a l d u n d teilweise v o m Schatten umfangen erscheint
die männliche Figur etwas grobschlächtig gegen die elegante Begleiterin, die sich
zurückwendet, u m i h r durchsichtiges weißes K l e i d aus dem Unterholz freizumachen.
D i e Frau wurde wiederholt als Rapha, die Geliebte v o n Renoirs Freund E d m o n d
Maître, u n d als Lise Tréhot, Renoirs eigene Geliebte, bezeichnet. Letztere M ö g l i c h k e i t
k ö n n t e bedeuten, daß es sich bei der schattigen Figur, die die Frau voranzieht, u m den
Künstler selbst handelt, dessen Rolle auf dem B i l d vielleicht als Analogie zu der des
Malers gedacht ist, der den Betrachter i n den illusionistischen Raum der Leinwand
zieht. Renoir wendet sich 1883 dieser K o m p o s i t i o n erneut zu, als er eine Zeichnung
anfertigte, die i m Magazin La Vie Moderne (29. Dezember) erschien. A u f dieser
Z e i c h n u n g ist das Verhältnis v o n M a n n u n d Frau umgekehrt, sowohl i n räumlicher
H i n s i c h t als auch bezüglich der Initiative.
PS
F R A N Z Ö S I S C H E SCHULE
99
55
EDOUARD MANET
O b w o h l sein Einfluß auf die Impressionisten stark zu spüren war, schloß sich M a n e t
Frankreich, 1 8 3 2 - 1 8 8 3
ihnen nie offiziell an. Er teilte aber m i t ihnen das Ideal, das der D i c h t e r u n d K r i t i k e r
Die Rue Mosnier mit Flaggen,
Charles Baudelaire z u m Ausdruck gebracht hatte: das Engagement für die Darstellung
1878
O l auf Leinwand
65,5 x 81 cm
Unten links signiert Manet 1878
89.PA.71
des modernen Paris. Das G e t t y - G e m ä l d e stellt die Rue Mosnier (heutzutage Rue de
Berne) v o n Manets Atelierfenster i m zweiten Stock aus gesehen am N a c h m i t t a g des
30. Juni 1878, einem Nationalfeiertag, dar. M i t dem ersten offiziellen Begehen dieses
Feiertages, der Fete de la Paix, der v o n der D r i t t e n Republik eingerichtet worden war,
sollte sowohl der Erfolg der kürzlich abgehaltenen Weltausstellung gefeiert werden als
auch Frankreichs E r h o l u n g v o n den katastrophalen Preußenkriegen v o n 1 8 7 0 - 7 1 u n d
der darauffolgenden blutigen K o m m u n e gedacht werden.
I n dem oberen Teil der Leinwand halten schicke Kutschen am Straßenrand, u m ihre
eleganten Fahrgäste ein- u n d aussteigen zu lassen. Der Künstler verwendet die kühleren
Farben des neu erbauten, wohlhabend wirkenden Straßenzugs als blassen H i n t e r g r u n d
für die funkelnden Tupfen roter, weißer u n d blauer Farbe. Das Stakkato der französischen
Tricolore an einem strahlenden, b ö i g e n Tag läßt patriotische Leidenschaft erspüren, die
durch Manets kraftvolle u n d flüssige Pinselführung unterstützt w i r d .
Als Gegengewicht zu diesem fernen, glitzernden Treiben w i r d die Leere der Straße
i m Vordergrund nur durch zwei einsame Figuren gestört, die beide n i c h t an den Feiern
teilnehmen. E i n Arbeiter, der eine Leiter trägt, w i r d am unteren Rand der K o m p o s i t i o n
radikal abgeschnitten. Weiter h i n t e n trägt ein Amputierter, vielleicht ein Kriegsveteran,
das blaue H e m d u n d die Casquette der Pariser Arbeiter; sein R ü c k e n ist dem Betrachter
zugewandt, diese g e k r ü m m t e Figur k o m m t auf ihren K r ü c k e n n u r langsam voran. E i n
schäbiger Z a u n a u f der l i n k e n Seite versucht eine Bauschutthalde zu verdecken, die
durch die nahegelegene Eisenbahnbaustelle entstanden ist. Insgesamt betrachtet bietet
Die Rue Mosnier einen A n b l i c k nationalen Stolzes u n d frisch erlangten Wohlstands,
der g e d ä m p f t w i r d durch das G e s p ü r für die damit verbundenen Kosten u n d Opfer.
Möglicherweise etwas früher am selben Tag stellte M a n e t dieselbe Szene i n
einer skizzenhafteren, weniger ausgearbeiteten Version dar (Zürich, Sammlung
Bührle). Claude M o n e t malte am 30. Juni ebenfalls zwei Straßenszenen, eine der Rue
M o n t o r g u e u i l (Paris, M u s é e d'Orsay) u n d eine der Rue Saint-Denis (Rouen, M u s é e
des Beaux-Arts). I m Gegensatz zu Manets eher ironischer Betrachtungsweise der v o n
staatlicher Seite organisierten Feierlichkeiten läßt Monets farbenprächtige, großflächige,
gebrochene Pinselführung eher ein patriotisches Spektakel entstehen, das zugleich
euphorisch u n d auch unpersönlich w i r k t .
102 F R A N Z Ö S I S C H E S C H U L E
PS
56 W I L L I A M A D O L P H E
Als M i t g l i e d der Academie Francaise u n d als Vertreter eines höchst vollendeten u n d
BOUGUEREAU
sinnlichen Klassizismus galt Bouguereau als Erbe der großen Tradition der europäischen
Frankreich, 1825-1905
Meister. Er war einer der am meisten verehrten Maler der Periode. Seine idyllischen
Ein junges Mädchen wehrt sich
gegen Eros, ca. 1880
Öl auf Leinwand
79,5 x 55 cm
Unten i n der Mitte auf dem
Steinquader signiert
W.BOVGVEREAV
70.PA.3
M y t h o l o g i e n , so wie Ein junges Mädchen wehrt sich gegen Eros, gefielen dem P u b l i k u m ,
das die jährlichen Ausstellungen des Pariser Salon besuchte, ungemein. F ü r diese Leute
boten die kurzen Einblicke i n die perfekte Illusion Arkadien ein E n t k o m m e n aus dem
komplexen u n d reglementierten Chaos des modernen Stadtlebens.
Bouguereau stellte eine große Version v o n Ein Mädchen wehrt sich gegen Eros
(Universität N o r t h Carolina, W i l m i n g t o n ) i m Salon v o n 1880 aus. Das G e m ä l d e
wurde als eine der besten " M y t h o l o g i e n " des Künstlers gepriesen, u n d sein Erfolg
veranlaßte Bouguereau, eigenhändig die kleinere Replik für den privaten M a r k t , die
sich heute i m G e t t y - M u s e u m befindet, anzufertigen. D i e sprühende Unmittelbarkeit
des G e m ä l d e s folgt aus Bouguereaus freier Neuerfindung der klassischen Vergangenheit.
D a es für das M o t i v keine antike literarische Quelle gibt, lädt es den Betrachter ein, die
Erzählung aus seiner eigenen Phantasie entstehen zu lassen. W i r d der Widerstand des
M ä d c h e n s obsiegen, oder w i r d der Pfeil der Liebe an sein Z i e l gelangen? Das G e m ä l d e
fängt die theatralische Ausstattung Bouguereaus Atelier ein, läßt die dunkle, waldige
Schönheit seines Lieblingsmodells zu dem lächelnden M ä d c h e n erstarren u n d stattet
den wichtigsten G o t t der Liebe m i t einen Paar Taubenflügeln als Requisite aus. Der
Schauplatz u n d die Vegetation sind eindeutig französischer Natur. Selbst das weiche
weiße L i c h t k ö n n t e den W i n t e r h i m m e l imitieren, der durch das Fenster des Ateliers
des Künstlers zu sehen war, w o er i n einem Brief an seine Tochter schrieb, er habe
m i t der K o m p o s i t i o n am 1. Dezember 1879 begonnen.
U m die Wende des 20. Jahrhunderts wurde Bouguereaus Arbeit v o n den
Amerikanern ebenso geschätzt wie v o n seinen Zeitgenossen. Als eine v o n J. Paul
Gettys frühen Erwerbungen blieb Ein junges Mädchen wehrt sich gegen Eros v o n 1941
bis 1970 i n seiner Sammlung i m englischen Surrey, bis er das G e m ä l d e dem M u s e u m
stiftete.
DA
F R A N Z Ö S I S C H E S C H U L E 105
57 P I E R R E - A U G U S T E
RENOIR
Frankreich, 1841-1919
Albert Cahen d'Anvers, 1881
O l auf Leinwand
79,8 x 63,7 cm
Unten rechts signiert
Renoir/Wargemont. 9. Sbre 81.
88.PA.133
N a c h zwanzig Jahren künstlerischen Schaffens hatte Renoir das Interesse am
Impressionismus so sehr verloren, daß er die Bewegung eine "Sackgasse" nannte. Er
änderte seinen Stil, harmonisierte das Malerische seiner frühen Werke, wie Spaziergang
(Nr. 54) m i t den festen K o n t u r e n u n d ü p p i g e n Formen, die an die Renaissance-Malerei
erinnern. So erwarb Renoir die Gunst der wohlhabenden Pariser, die bei i h m Porträts
bestellten. Diese Werke fanden bei den offiziellen Salons großen A n k l a n g , u n d u m
1880 schwor sich Renoir, seine Porträts nur noch d o r t auszustellen. E i n Beispiel für den
neuen Ansatz des Künstlers ist dieses Porträt des Komponisten A l b e r t Cahen d'Anvers.
Albert, der jüngere Bruder des Finanziers Louis Cahen d'Anvers, w i r d dargestellt, wie
er nonchalant eine Zigarette i m Salon i n Wargemont, dem H e i m v o n Renoirs großem
M ä z e n Paul Bérard, raucht. Renoir reproduziert das überschwengliche D e k o r des
Raums u n d setzt sein hellblaues Muster i n Kontrast zu den lebhaften Farben des jungen
Mannes. D i e Nebeneinanderstellung ähnlicher Formen wahrt die Einheit v o n M o d e l l
u n d Umgebung. Alberts lockiger Schnauzer n i m m t die Wellen der Blumentapete auf,
sein gewelltes Haar findet W i d e r h a l l i n den gefiederten roten Blättern der Topfpflanze.
D i e K o m p o s i t i o n schafft eine S t i m m u n g gelassener Eleganz, pointiert v o n Cahen
d'Anvers' i n die Ferne gerichtetem, wachsam funkelnden Blick. Der abwesende
Eindruck, den der K o m p o n i s t auf den Betrachter macht, gepaart m i t dem A t t r i b u t
der Zigarette, deutet möglicherweise auf seinen kreativen Beruf h i n .
106 F R A N Z Ö S I S C H E S C H U L E
DA
58
E D G A R DEGAS
Frankreich, 1 8 3 4 - 1 9 1 7
Warten, ca. 1882
Pastell auf Papier
48,2 x 61 cm
Oben links signiert Degas
83.GG.219
I m gemeinsamen Besitz m i t der
Norton Simon A r t Foundation,
Pasadena
Degas konzentrierte sich, wie so viele französische Künstler i n der M i t t e des
19. Jahrhunderts, auf die A b b i l d u n g der vielfältigen Facetten des Pariser Lebens.
Er behandelte sowohl profane als auch m o n d ä n e T h e m e n , v o n waschenden u n d
b ü g e l n d e n Frauen bis zur T ä t i g k e i t der Musiker u n d Jockeys. Das T h e m a jedoch,
das bei Degas am häufigsten v o r k o m m t , war das Ballett. Der Tanz sei nur "ein
V o r w a n d für das M a l e n hübscher K o s t ü m e u n d für die Darstellung v o n Bewegung."
Seine A r b e i t widerlegt diese Bemerkung. D i e amerikanische Sammlerin Louisine
Havemeyer - i n deren Besitz sich dieses G e m ä l d e zuvor befand - soll den Künstler
gefragt haben, w a r u m er so viele T ä n z e r i n n e n malte. Er antwortete, das Ballett sei
"alles, was uns v o n allen künstlerischen Bewegungen der Griechen erhalten geblieben
ist." Jedoch zeigte er seine T ä n z e r i n n e n zumeist bei den Proben oder b e i m Ausruhen.
A u f dem Pastellgemälde, das v e r m u t l i c h u m 1882 ausgeführt wurde, sieht m a n
eine T ä n z e r i n u n d eine ältere, schwarz gekleidete Frau. D e r Uberlieferung nach
handelt es sich u m eine junge T ä n z e r i n aus der Provinz, die m i t ihrer M u t t e r auf ein
Vortanzen wartet. Degas n a h m manchmal Lehrer oder Musiker i n seine Werke auf, die
als H i n t e r g r u n d für die farbenprächtigeren T ä n z e r i n n e n dienten. H i e r ist eine streng
wirkende ältere Frau neben einer jungen T ä n z e r i n plaziert u n d die junge Frau reibt sich
den schmerzenden K n ö c h e l . Dieser Gegensatz betont auch die Diskrepanz zwischen
dem Glanz u n d Raffinement des Bühnenlebens u n d der Eintönigkeit des Alltags.
BF
F R A N Z Ö S I S C H E S C H U L E 107
59 C L A U D E M O N E T
I m Herbst 1890 begann M o n e t , der gefeierte Meister der impressionistischen Landschaft,
Frankreich, 1 8 4 0 - 1 9 2 6
m i t der A r b e i t an seiner ersten Serie. Sein M o t i v waren die Heuschober auf einem Feld
Heuschober, Schnee, Morgen,
direkt vor seinem Garten i n Giverny. M i t leuchtend hellen, rhythmisch aufgetragenen
1891
O l auf Leinwand
65 x 100 cm
Unten links signiert und datiert
Pigmenten schuf M o n e t dreißig Leinwände, die das einfingen, was er sein "Erlebnis"
der Heuschober nannte, die durch die Permutationen der N a t u r einem Wandel
unterworfen waren. Er sagte, " F ü r m i c h existiert eine Landschaft k a u m als eine
Claude Monet '91
Landschaft, weil i h r Aussehen sich ständig ändert, vielmehr lebt sie kraft ihrer
95.PA.63
U m g e b u n g - L u f t u n d L i c h t - die sich ständig ändert."
I m M a i 1891 löste Monets Ausstellung v o n fünfzehn der H e u s c h o b e r - G e m ä l d e
i n der Galerie Durand-Ruel, Paris, eine Sensation aus. Monets Freund, d e m K r i t i k e r
Gustave Geffroy, schien es als ob der Künstler die "sich wandelnden Gesichter der
N a t u r " entlarvt u n d ihre ureigene S t i m m u n g eingefangen habe. F ü r Geffroy standen
die winterlichen, unter dem Schnee gefrorenen Heuhaufen für "die weiße Stille des
Raums." Aber die Stille wurde unter der H a n d des Künstlers gebrochen, die "Schnee
. . . i n rosiges L i c h t getaucht, das v o n reinen, blauen Schatten zerrissen w i r d " u n d "den
geheimnisvollen Zauber der Natur, Zauberformeln der F o r m u n d Farbe [ m u r m e l n d ] "
auf die L e i n w a n d bannte.
M o n e t stellte Heuschober, Schnee, Morgen i m Februar 1891 fertig u n d verkaufte es
vier Monate vor der berühmten Ausstellung. Es ist eines der am klarsten strukturierten
G e m ä l d e dieser Serie. D i e abgerundeten Formen der Schober setzen sich ab gegen
die feste, horizontale Geometrie der rückwärtigen Felder, H ü g e l u n d des H i m m e l s .
F o r m u n d Farbe erhalten dieselbe visuelle Substanz, da die soliden roten Heuhaufen
i n eine kompositorische Balance zu dem intensiven Blau der v o n ihnen geworfenen
Schatten gesetzt werden. Abwechslungsreiche Pinselstriche bewirken unterschiedliche
Lichteffekte, so wie die zarten Pastellnuancen i n d e m ruhigen W i n t e r h i m m e l , oder
die hell leuchtenden Reflexionen auf den Heuhaufen. D i e d i c h t bearbeitete, komplexe
Oberfläche des G e m ä l d e s zeugt v o n Monets langen, intensiven B e m ü h u n g e n i n seinem
Atelier, d u r c h die er einen besonderen M o m e n t festzuhalten versuchte, v o n d e m er
selbst sagte, daß er nie wiederkehren w ü r d e .
108 F R A N Z Ö S I S C H E S C H U L E
DA
60
PAUL CEZANNE
Das Stilleben faszinierte Cezanne w ä h r e n d seines gesamten künstlerischen Schaffens.
Frankreich, 1 8 3 9 - 1 9 0 6
V o n ca. 1880 bis z u m Ende seines Lebens malte er wiederholt dieselben Objekte - eine
Stilleben mit Äpfeln, 1893-94
grüne Vase, eine Rumflasche, einen blauen Ingwertopf u n d Äpfel. D i e Bewegungslosigkeit
O l auf Leinwand
u n d Langlebigkeit der abgebildeten G e g e n s t ä n d e gewährten i h m die erforderliche
65,5 x 81,5 cm
96.PA.8
Z e i t u n d die Kontrolle über seine Objekte, u m seine wißbegierigen Analysen des
Verhältnisses v o n R a u m u n d Objekt, v o n visueller Erfahrung u n d bildlicher
Darstellung voranzutreiben.
Stilleben mit Äpfeln, ein W e r k aus seiner reifen u n d einflußreichsten Epoche,
ist eine beeindruckende Darstellung alltäglicher Objekte. D i e anmutigen R h y t h m e n ,
die d u r c h die geschwungenen schwarzen Arabesken a u f dem blauen Tuch, dem
verschlungenen Geflecht, die anschwellenden Kurven der Gefäße u n d Früchte u n d
die aufgebauschten Falten des weißen Tuches entstehen, setzen sich v o n den starken
Horizontalen u n d Vertikalen der K o m p o s i t i o n ab. Cezanne integriert diese Objekte
wohlüberlegt i n solcher Weise, daß die K o m p o s i t i o n i n sich geschlossen ist: eine
schwarze Arabeske entwindet sich scheinbar dem blauen Tuch, u m sich u m einen
Apfel i n der B i l d m i t t e zu legen. D i e geschmeidigen K u r v e n des Weidengeflechts u m
den blauen I n g w e r t o p f s t i m m e n i n den Rhythmus ihrer Pendants an der Flasche ein.
D e r Künstler schuf eine sorgfältige Ausgewogenheit v o n Farben u n d Strukturen: vor
den schimmernden B l a u t ö n e n des Hintergrunds u n d des Tuchs steht eine derbe Vase
i m perfekten Kontrast zu den lichtbesprenkelten roten u n d gelben Äpfeln. Cezanne
verleiht den Objekten durch das konstruktive Nebeneinander farbiger Pinselstriche
F o r m u n d Substanz. Er setzt jeden Pinselstrich geradezu liebevoll, streichelt Äpfel,
Gefäße u n d T u c h gleichermaßen m i t Bestimmtheit. I m Jahre 1907 verglich der deutsche
D i c h t e r Rainer M a r i a Rilke, beeindruckt v o n der verführerischen Q u a l i t ä t der Farbe
u n d des Pinselauftrags dieses G e m ä l d e s m i t seinen Schattierungen u n d den roten, i n
das blaue T u c h gebetteten Äpfeln der " B e r ü h r u n g zweier Nackter Rodins."
Cézannes Orchestrierung v o n K o m p o s i t i o n , Farbe u n d D u k t u s ergibt ein B i l d
v o n einer ausdrucksvollen u n d unvergänglichen Ausgewogenheit. D i e erklärte Absicht
des Künstlers, "man m ü ß t e Poussin nach der N a t u r malen" u n d den Impressionismus
"zu etwas Gediegenem u n d Beständigem" machen, w i r d m i t diesem klassischen u n d
zeitlosen W e r k erfolgreich umgesetzt.
110 F R A N Z Ö S I S C H E S C H U L E
JH
61 J E A N - É T I E N N E L I O T A R D
Schweiz, 1 7 0 2 - 1 7 8 9
Maria Frederike van ReedeAthlone im Alter von sieben
Jahren,
1755-56
Pastell auf Velinpapier
57,2 x 43 cm
Oben rechts signiert
peint par/JE Liotard11755
& 1756
83.PC.273
D i e Porträtmalerei erreichte ihren vollendetsten Stand während des 18. Jahrhunderts.
D i e Z a h l der Künstler, die sich hauptsächlich dem M a l e n v o n Bildnissen w i d m e t e n ,
n a h m zu, u n d unter ihren M o t i v e n waren n u n auch A n g e h ö r i g e der aufblühenden
Mittelklasse sowie Auftraggeber königlicher oder adliger Abstammung.
L i o t a r d wurde i n G e n f geboren u n d erhielt seine A u s b i l d u n g i n Paris. Er
lebte einige Z e i t i n R o m , reiste m i t englischen Freunden nach Konstantinopel
u n d verbrachte Arbeitsaufenthalte i n W i e n , L o n d o n , H o l l a n d , Paris u n d Lyons,
v o n w o aus er jeweils wieder i n die Schweiz zurückkehrte. Als seine Popularität
zunahm kamen seine Modelle auch oft zu i h m , aber er bleibt dennoch eine der
weitgereisten Persönlichkeiten seiner Zeit. L i o t a r d war ein Künstler, dessen persönliche
Gewohnheiten u n d Kleidungsstil unorthodox waren, manchmal ließ er sich einen
langen Bart stehen u n d t r u g eine türkische Tracht. Sein Lebensstil spiegelt sich i n
seinem W e r k wider u n d unterscheidet i h n v o n dem seiner Zeitgenossen.
I n seinen Schriften beharrte L i o t a r d darauf, daß die Malerei sich strikt an das halten
solle, was m i t dem Auge wahrgenommen werden k ö n n e . D i e meisten seiner adeligen
Modelle sind ohne kunstvolle A t t r i b u t e dargestellt. Der H i n t e r g r u n d ist einfach, u n d
die Porträtierten schauen oft weg, so als ob sie n i c h t M o d e l l säßen.
Das Porträt v o n M a r i a Frederike van Reede-Athlone wurde i n Pastell, Liotards
bevorzugtem M e d i u m , i n den Jahren 1755 u n d 1756 gemalt, als der Künstler i n
den Niederlanden arbeitete. Z u n ä c h s t hatte er ein Porträt der M u t t e r des M ä d c h e n s
angefertigt, der Baronin van Reede, die anschließend ein Porträt ihrer Tochter i n
Auftrag gab. M a r i a Frederike, damals gerade erst sieben Jahre alt, w i r d i n ein Cape
aus blauem Samt u n d H e r m e l i n eingehüllt dargestellt. Sie hält ein schwarzes
S c h o ß h ü n d c h e n , das den Betrachter anstarrt. G u t zu erkennen ist hier auch
die Vielfalt u n d Spontaneität Liotards i m U m g a n g m i t Pastellfarben.
112 A N D E R E S C H U L E N
BF
62
THOMAS
GAINSBOROUGH
England, 1727-1788
James Christie, 1778
O l auf Leinwand
126 x 102 cm
70.PA.16
I m 18. Jahrhundert war L o n d o n , wie auch heute, das Z e n t r u m des internationalen
Kunsthandels. D i e Engländer waren die eifrigsten Sammler v o n G e m ä l d e n aller großen
Schulen: Italien, Frankreich, H o l l a n d , Flandern u n d Spanien. Öffentliche Museen gab
es zu jener Z e i t noch nicht, u n d m i t Ausnahme v o n ein paar Privatsammlungen waren
es die Auktionshäuser, i n denen Kunstwerken besichtigt werden konnten. D i e Rolle des
Auktionators i n der Londoner Kunstszene ist v o n daher n i c h t zu unterschätzen.
James Christie ( 1 7 3 0 - 1 8 0 3 ) war der G r ü n d e r des Auktionshauses, das i m m e r
noch seinen N a m e n trägt. Er begann seine Laufbahn 1762, u n d innerhalb v o n n u r
wenigen Jahren stieg sein Haus zu dem erfolgreichsten Unternehmen i n Europa auf.
Christies A u k t i o n s r ä u m e befanden sich direkt neben dem Atelier seines Freundes
Thomas Gainsborough, damals einer der berühmtesten Porträt- u n d Landschaftsmaler
i n England. Christie dürfte Gainsborough i m Jahre 1778 gebeten haben, sein Porträt
zu malen, i n dem Jahr, i n dem es i n der Royal Academy ausgestellt wurde. Es h i n g i n
den Verkäufsräumen des Auktionshauses bis ins 20. Jahrhundert. D e r großgewachsene
u n d Porträtierte, eine eindrucksvolle Persönlichkeit, w i r d auf ein Landschafts-gemälde
gestützt dargestellt, das eindeutig die stilistische Handschrift Gainsboroughs trägt. Er
hält ein Blatt Papier i n seiner Rechten, möglicherweise eine Liste der zu versteigernden
Objekte. Flüssige Pinselarbeit u n d Leichtigkeit der Pose, die dem Porträtierten stets
schmeicheln, sind für Gainsboroughs Porträts charakteristisch.
BF
A N D E R E S C H U L E N 113
63
F R A N C I S C O JOSE D E
D i e weitreichende Zensur u n d U n t e r d r ü c k u n g , für die Ferdinand V I I . nach seiner
GOYA Y LUCIENTES
Wiedereinsetzung als K ö n i g i m Jahre 1823 verantwortlich war, bewegte viele Liberale
Spanien, 1 7 4 6 - 1 8 2 8
Stierkampf, Suerte de Varas,
1824
O l auf Leinwand
52 x 62 cm
93.PA.1
dazu, Spanien freiwillig zu verlassen u n d ins E x i l zu gehen. Francisco de Goya, der
größte spanische Maler der damaligen Periode, ging i m Alter v o n achtundsiebzig Jahren
nach Frankreich. Eine Inschrift auf der Rückseite der O r i g i n a l l e i n w a n d weist das hier
abgebildete Werk, das Goya i m Sommer jenes Jahres i n Paris malte, als ein Geschenk
an seinen Freund u n d ebenfalls i m E x i l lebenden Landsmann Joaquin M a r i a Ferrer aus.
D e r Stierkampf als K u n s t m o t i v wurde durch Goya p o p u l ä r u n d taucht i n seinem
Lebenswerk i m m e r wieder auf. Sein Leben lang war er ein A n h ä n g e r des Stierkampfs,
kleidete sich manchmal sogar selbst wie ein Matador. Goyas erste ernsthafte
Behandlung dieses Themas, eine Gruppe v o n Schrankbemalungen aus den Jahren
1793 bis 1794, benutzte eine für das Rokoko typische Farbpalette für die Beschreibung
der aufwendig gekleideten Stierkämpfer u n d der eleganten Zuschauertribünen.
Bis 1816, als Goya die dreiunddreißig Radierungen m i t Stierkampfszenen m i t dem
T i t e l Tauromaquia veröffentlichte, hatte sich viel getan. O b w o h l der Stierkampf nach
einem vorübergehenden Verbot wieder erlaubt war, wurde i h m v o n vielen Seiten der
Niedergang nachgesagt. Goya teilte offensichtlich die E i n w ä n d e der Öffentlichkeit
gegen die neuen, unfairen Taktiken. D i e D r u c k e der Tauromaquia
isolieren die
zentralen Personen des Dramas u n d betonen Grausamkeit u n d T o d .
D e m Stierkampf
im Besitz des Getty-Museums k o m m t große Bedeutung zu, da
es sich hierbei u m die letzte gemalte Bearbeitung dieses Themas durch Goya handelt.
W i e das grafische Werk, das i n seinen letzten Jahren einen Großteil v o n Goyas Z e i t i n
A n s p r u c h nahm, stellt Suerte de Varas eine technische Freiheit u n d eine Ausdruckskraft
zur Schau, die für den reifen Stil des Künstlers kennzeichnend sind. Goyas Schaffen i n
Frankreich n a h m vor allem frühere T h e m e n wieder auf. Er verlieh diesen T h e m e n neue
Kraft, i n d e m er die Grenzen der experimentellen Technik erweiterte.
D i e K o m p o s i t i o n des Stierkampfberuht
Bildserie Tauromaquia,
i n gewisser Weise a u f N u m m e r 2 7 der
a u f dem der gefeierte Picador Fernando del Toro auf einem
Pferd m i t verbundenen Augen sitzt u n d seine Lanze auf den wartenden Stier richtet.
I n der G e m ä l d e v e r s i o n sind dem Pferd n i c h t die Augen verbunden, u n d die Gesichter
der Stierkämpfer werden zu anonymen Trägern v o n Angst u n d Z o r n . D i e überfüllten
Tribünen i m H i n t e r g r u n d werden nur leicht i n G r a u t ö n e n angedeutet. Eine sparsame
Palette aus Schwarz, Weiß, H e l l r o t , Ocker u n d T ü r k i s , oft i n grober Impasto-Technik,
betont i m Kontrast der glitzernden U n i f o r m e n der Picadors u n d glänzenden W u n d e n
der durchbohrten u n d sterbenden Tiere das D r a m a i m Vordergrund.
114 A N D E R E S C H U L E N
PS
64
CASPAR D A V I D
Friedrich war eine der zentralen Persönlichkeiten der deutschen Romantik, seine
FRIEDRICH
zutiefst persönliche u n d nach i n n e n gekehrte V i s i o n behandelte christliche T h e m e n
Deutschland, 1774-1840
durch Analogien, die auf dem Kreislauf der N a t u r gründeten. O b w o h l sein W e r k
Spaziergang in der Dämmerung,
ca. 1832-35
O l auf Leinwand
33,3 x 43,7 cm
93.PA.14
zunächst viele A n h ä n g e r fand, verbrachte er seine letzten Jahren aufgrund des
gewandelten Geschmacks des Publikums u n d seiner Gönnerschaft i n A r m u t . Vor
seinem schwächenden Schlaganfall, den er i m Jahre 1835 erlitt, hatte Friedrich gerade
noch eine kleine Gruppe v o n Werken fertiggestellt, unter denen sich auch
in der Dämmerung
Spaziergang
befand. Dieses W e r k verkörpert sowohl die Melancholie dieser
Periode als auch den Trost, den er i m christlichen Glauben fand.
Anders als seine Zeitgenossen scheute Friedrich die Reise nach Italien u n d
n a h m seine Inspiration statt dessen aus den weiten, offenen Flächen i n seiner H e i m a t
Pommern. A u f dem hier abgebildeten W e r k betrachtet eine einsame Person - vielleicht
der Künstler selbst - ein Megalithgrab m i t seiner impliziten Botschaft des Todes als
letztes Z i e l des Menschen, ein Gefühl, das v o n den ö d e n Formen der beiden kahlen
B ä u m e wiedergegeben w i r d , die wie Zuschauer hinter dem M a n n u n d dem Grab
aufragen. Als Gegengewicht dazu w i r d eine zweite Botschaft der H o f f n u n g u n d
E r l ö s u n g durch den grünen H a i n i n der Ferne u n d den zunehmenden Sichelmond
übermittelt, der für Friedrich ein Symbol göttlichen Lichts u n d das Versprechen
der Wiedergeburt C h r i s t i war.
D i e F o r m a t i o n der Felsblöcke, die i n Spaziergang in der Dämmerung
zu sehen
ist, ähnelt einer Z e i c h n u n g eines tatsächlich existierenden Grabes, die Friedrich
1802 i n der N ä h e v o n G ü t z k o w südlich v o n Greifswald, dem Geburtsort v o n
Friedrich, anfertigte ( u n d die sich heute i m W a l l r a f Richartz M u s e u m i n K ö l n
befindet). Er scheint dieselbe Studie für ein früheres G e m ä l d e , Megalithgrab
im
Schnee (Dresden, Gemäldegalerie), benutzt zu haben, die das Grab aus einer
größeren Entfernung darstellt, unter pulverigem Schnee u n d umgeben v o n
einer Gruppe v o n einst eindrucksvollen, kolossalen Eichen, die hier jetzt tot u n d
abgebrochen sind. A u f dem B i l d i m Besitz des Getty-Museums wurde der Landschaft
eine Figur hinzugesetzt, n i c h t als M o t i v i m traditionellen Sinne, sondern eher als eine
visuelle Begleiterscheinung zu dem besinnlichen G e m ü t s z u s t a n d , den der Künstler bei
dem Betrachter auslösen wollte.
Das M o t i v des Megalithgrabs taucht i n Friedrichs GEuvre i m m e r wieder auf.
W i e alle seine H a u p t m o t i v e w u r d e n sie z u m Element der persönlichen Bildsprache
des Künstlers u n d entsprechend seiner inneren V i s i o n nach seinem Ermessen i m m e r
wieder neu zusammengeführt.
PS
A N D E R E S C H U L E N 117
65 J O S E P H M A L L O R D
Das W e r k Turners überrascht durch ein harmonisches Nebeneinander seiner Verehrung
WILLIAM TURNER
für die großen Meister der Vergangenheit u n d experimenteller M a l t e c h n i k . Dieses
England, 1 7 7 5 - 1 8 5 1
G e m ä l d e stellt zusammen m i t den anderen Seegemälden, die Turner 1844 i n seinem
Van Tromp, wie er wendet, um
seine Meister
zufriedenzustellen,
Schiffe auf See, die eine
ordentliche Dusche abbekommen,
1844
Öl auf Leinwand
siebzigsten Lebensjahr ausstellte, die letzte H u l d i g u n g des Künstlers an die holländische
T r a d i t i o n dar. Das Seegemälde besaß für Turner u n d seine Zeitgenossen eine große
Bedeutung, einerseits als ein Ausdruck des Erhabenen i n der N a t u r u n d andererseits als
symbolische Arena des britischen Einflusses i m H a n d e l u n d i m ausgedehnten Empire.
Das i m Besitz des Getty-Museums befindliche Van Tromp ist das letzte
91,4 x 121,9 cm
G e m ä l d e aus einer Serie v o n vier L e i n w ä n d e n , i n der anscheinend A d m i r a l Maarten
93.PA.32
H a r p e r t s z o o n T r o m p ( 1 5 9 8 - 1 6 5 3 ) u n d sein Sohn Cornelis ( 1 6 2 9 - 1 6 9 1 ) zu einer
Person verschmelzen. Das "van" war ein fälschlicher Zusatz, der i m England des 18.
Jahrhunderts weite Verbreitung fand. Beide M ä n n e r machten sich einen N a m e n durch
ihre Siege i n den Seekriegen gegen die britische u n d spanische Flotte i n einer Zeit,
i n der die holländische Seemacht i m Aufstieg begriffen war. D i e genaue historische
Begebenheit, die auf Van Tromp dargestellt w i r d , entzieht sich trotz des langen Titels,
den der Künstler selbst für den Ausstellungskatalog der Royal Academy i m Jahre 1844
angegeben hat, unserer Kenntnis.
D e r vorwiegend vertretenen Expertenmeinung zufolge dürfte es sich bei dem hier
dargestellten van T r o m p u m den Sohn, Cornelis, handeln, der 1666 aus der M a r i n e
entlassen wurde, weil er sich lieber auf seine eigenen Strategien verließ u n d einen
Befehl n i c h t ausgeführt hatte. 1673 wurde er wieder i n die M a r i n e aufgenommen
u n d söhnte sich m i t seinen Vorgesetzten aus. Vielleicht als symbolische Overtüre,
die seinen Gehorsam gegenüber der Autorität signalisiert, w i r d T r o m p dargestellt, wie
er "seine Meister zufriedenstellt." Er führt das M a n ö v e r gekonnt aus u n d steht gegen
die schwere Gischt der sich brechenden Wellen gestemmt, herausfordernd a u f dem
Vorderdeck seines Schiffes, leuchtend, i n seiner (nicht historischen) weißen U n i f o r m .
D i e zweite Auffassung hält den Vater, Maarten T r o m p , für den Protagonisten,
der w ä h r e n d des anglo-holländischen Kriegs i m Jahre 1652 dreihundert holländische
Handelsschiffe durch den englischen Kanal u n d sicher zurück i n holländische Gewässer
geführt hat. T r o m p soll einen Besen an den Mast gebunden haben (der auf dem
G e m ä l d e erkennbar ist), als Zeichen, daß er die Briten "vom Meer fegen" werde.
M i t der Darstellung solcher historischer Begebenheiten (ob sie n u n zutreffend
sein m ö g e n oder nicht) erhebt Turner das Seegemälde auf den Gipfel des Prestige, ein
Platz, der zuvor historischen G e m ä l d e n vorbehalten war. I n Van Tromp b r i n g t Turner
die erhabene M a c h t der N a t u r z u m Ausdruck wie ein romantischer Maler sie durch
den Filter des holländischen Seegemäldes sah.
118 A N D E R E S C H U L E N
PS
66 J A M E S E N S O R
Karikatur u n d Gesellschaftskritik werden i n diesem G e m ä l d e zu einer hohen Kunst.
Belgien, 1860-1949
James Ensors monumentales Manifest über den Zustand der belgischen Gesellschaft
Der Einzug Christi in Brüssel
u n d der modernen Kunst gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Der Einzug
im Jahre 1889, 1888
O l auf Leinwand
252,5 x 430,5 cm
Rechts signiert J. ENSOR/1888
87.PA.96
Siehe Bildausschnitt auf der folgenden
Doppelseite
Christi in
Brüssel im Jahre 1889 wurde 1888 gemalt u n d datiert somit das zweite K o m m e n
C h r i s t i i n der belgischen Hauptstadt auf das darauffolgende Jahr. Ensors Auffassung
v o n Kunst war aggressiv engstirnig. Er malte den Einzug
Christi teils als A n t w o r t auf
die Begeisterung, m i t der die K r i t i k e r Georges Seurats Sonntagnachmittag
auf der Insel
Grande Jatte aufgenommen hatten, als es i n Brüssel i m Jahr zuvor ausgestellt w o r d e n
war. Ensor ärgerte sich ebenso über den kühlen, beherrschten Pointiiiismus, dessen
Vorreiter Seurat war, wie über die Vorstellung des Franzosen v o n einer heiteren,
klassenlosen Gesellschaft, die seichten V e r g n ü g u n g e n am Ufer der Seine nachging.
I m Gegensatz dazu porträtiert Ensor die zeitgenössische Gesellschaft als einen
m i ß t ö n e n d e n , lüsternen M o b . W i e i n einem A l p t r a u m verschmelzen Elemente
des Karnevals u n d der politischen D e m o n s t r a t i o n m i t der Christus-Prozession. D i e
Menge s t r ö m t i n den steilen, w e i t w i n k e l i g dargestellten Vordergrund, d r o h t dabei
den Betrachter zu zermalmen. Vorne führt Emile Littré, der atheistisch sozialistische
Reformer, den Ensor i n ein Bischofsgewand gehüllt hat, die Festlichkeiten an. D e r
Bürgermeister steht rechts auf der B ü h n e u n d erscheint auf seinem P o d i u m , v o n
Clowns u m r i n g t , zwergenhaft klein. Christus reitet wie b e n o m m e n auf seinem Esel i n
der B i l d m i t t e . Er ist eher ein O b j e k t der Neugierde als der Verehrung. N a c h nordischer
T r a d i t i o n eines Bosch oder Brueghel lehnt sich ein Zuschauer oben links über eine
B r ü s t u n g , u m sich auf einem Banner zu übergeben, das die Insignien v o n Les XX
(Les Vingt) zieren, der belgischen Vereinigung der Avantgarde-Künstler, die dieses
G e m ä l d e daraufhin n i c h t zur alljährlichen Ausstellung zulassen sollte, o b w o h l Ensor
zu ihren G r ü n d u n g s m i t g l i e d e r n gehörte. I n d e m er Jesus seine eigenen Z ü g e verlieh,
projizierte Ensor sein eigenes Leiden u n d Sehnen auf die Passion Christi.
A u f diesem B i l d , u n d i m m e r wieder i n seinem W e r k , findet Ensor M i t t e l , u m sein
Entsetzen über die menschliche Verderbtheit u n d das B ö s e m i t den Bildsymbolen der
Skelette u n d Karnevalsmasken z u m Ausdruck zu bringen. Als Vorlage hierfür dienten
i h m diejenigen, die jedes Jahr aufs Neue den Souvenirladen seiner M u t t e r i m Badeort
Ostende füllten. Neben den Masken u n d Skeletten treffen w i r i n dieser unheimlichen
Prozession Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, historische u n d allegorische
Figuren, unter die sich auch Mitglieder des engsten Freundes- u n d Familienkreises
des Künstlers mischen. M i t seinem aggressiven u n d malerischen Stil, seiner engen
Verflechtung des Öffentlichen m i t dem zutiefst Persönlichen, gilt Der Einzug
als ein Vorbote des Expressionismus des 20. Jahrhunderts.
120 A N D E R E S C H U L E N
Christi
PS
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67 L A W R E N C E A L M A
Sir Lawrence A l m a Tadema war einer der beliebtesten u n d erfolgreichsten Maler seiner
TADEMA
Zeit. O b w o h l sein R u f unter dem Wandel des Geschmacks l i t t , der erst Courbet u n d
Niederlande/England,
später die Impressionisten (vgl. N r . 5 3 - 5 5 u n d 5 7 - 6 0 ) bevorzugte, übt sein W e r k
1836-1912
dank seiner außergewöhnlich feinen Technik i m m e r noch eine spürbare Faszination
Frühling, 1894
auf uns auf.
O l auf Leinwand
D e r Stil des Künstler hat seinen U r s p r u n g i n der holländischen M a l t r a d i t i o n des 17.
178,4 x 80 cm
Jahrhunderts, die vor allem gerne Alltagsszenen darstellte, der Großteil seines Schaffens
Unten links signiert
L . ALMA
72.PA.3
TADEMA
OP
CCCXXVI
jedoch war griechischen oder römischen M o t i v e n gewidmet. Bei den T h e m e n seiner
Werke handelt es sich allerdings n i c h t u m heroische oder literarische Stoffe, sondern es
sind gewöhnlich ganz einfache - für das Auge des modernen Betrachters zuweilen sogar
banale - T h e m e n , die das tägliche Leben i n vorchristlichen Zeiten veranschaulichen
sollen. Sie spiegeln außerdem viktorianische Empfindsamkeiten bezüglich des
gesellschaftlichen Benehmens wider. I n m i t t e n der ungeheuren wirtschaftlichen
U m w ä l z u n g e n u n d des gesellschaftlichen Unfriedens, den die industrielle Revolution
nach England gebracht hatte, richtete ein Teil der Oberschicht, der auch A l m a Tadema
angehörte, weiterhin den Blick zurück auf die klassische Vergangenheit, i n der m a n eine
einfachere, idealisierte Epoche sah. Seine Generation war w o h l die letzte, die dies m i t so
aufrichtiger Bewunderung tat.
Das hier gezeigte G e m ä l d e ist eines der größten G e m ä l d e v o n A l m a Tadema. Es
ist bekannt, daß er vier Jahre daran gearbeitet hat, bevor er es 1894, rechtzeitig zur
Winterausstellung der Royal Academy v o n 1895, fertigstellte. Dargestellt w i r d das
römische Fest Cerealia, das Ceres, der G ö t t i n des Korns, geweiht war. O b w o h l das
abgebildete G e b ä u d e i m wesentlichen ein Produkt der Phantasie des Künstlers ist,
sind darin auch Teile n i c h t mehr erhaltener, römischer G e b ä u d e auszumachen. D i e
Inschriften u n d Reliefs lassen sich zu i h r e m antiken U r s p r u n g zurückverfolgen, woran
das große Interesse des Künstlers an der klassischen Zivilisation u n d an architektonischen
Details abzulesen ist. Das G e m ä l d e befindet sich noch i n seinem Originalrahmen, der
m i t einem Gedicht v o n A l m a Tademas Freund A l g e r n o n Charles Swinburne beschriftet
ist. Aus dem Gedicht spricht eine besonders idyllische Sichtweise des alten Roms: " I n
einem L a n d klarer Farben u n d Geschichten / I n einer Region schattenloser Stunden / w o
die Erde ein K l e i d des Ruhms t r ä g t / u n d ein M u r m e l n musikalischer Blumen." Frühling
war ein enormer Publikumserfolg, u n d sein R u h m wurde durch kommerzielle D r u c k e
u n d Reproduktionen i n eine breite Öffentlichkeit getragen.
BF
ANDERE SCHULEN
125
68
EDVARD M U N C H
Edvard M u n c h m u ß zwischen den romantischen M a l e r n des frühen 19. Jahrhunderts
Norwegen, 1 8 6 3 - 1 9 4 4
u n d den Expressionisten des frühen 20. Jahrhunderts eingeordnet werden. Sein W e r k
Sternennacht, 1893
erinnert an die brütende A t m o s p h ä r e u n d psychologische Isolation, die für den Geist
O l auf Leinwand
der R o m a n t i k kennzeichnend sind, verbindet diese jedoch m i t einer rein sachlichen,
135 x 140 cm
Unten links signiert EMunch
84.PA.681
nahezu p r i m i t i v e n D i r e k t h e i t bei der Ausführung, die den vergleichsweise
hemmungslosen Individualismus unseres Jahrhunderts v o r w e g n i m m t .
Sternennacht,
eine Darstellung eines Ortes an der Küste, ist eine der wenigen reinen
Landschaftsgemälde, die der Künstler i n den 1890er Jahren malte. Es entstand 1893
in
sgardstrand, einem kleinen Badeort i n der N ä h e v o n Oslo. M u n c h verbrachte d o r t
gewöhnlich den Sommer u n d bezog oft eines oder mehrere der bekannten Wahrzeichen
der Stadt i n seine Bilder ein. O b w o h l dies ein O r t der E r h o l u n g u n d des Vergnügens
war, sprechen aus M u n c h s Bildern v o n diesem O r t oft persönliche Ä n g s t e u n d
manchmal sogar Entsetzen.
D a auf dem hier gezeigten G e m ä l d e keine Figuren oder der Pier der Stadt - der
sich unmittelbar links angeschlossen hätte - zu sehen sind, besitzt es eine abstraktere
Q u a l i t ä t als andere Bilder sowie einen unklaren M a ß s t a b . Es ist ein Versuch, die
v o n der N a c h t entfesselten E m o t i o n e n einzufangen, anstatt n u r deren pittoreske
Eigenschaften abzubilden. D e r H ü g e l auf der rechten Seite besteht aus drei B ä u m e n .
D i e vage definierte F o r m auf dem Z a u n i m Vordergrund dürfte ein Schatten sein,
wahrscheinlich der eines Liebespaares, das auf einer Lithographie aus dem Jahre 1896
i n derselben U m g e b u n g sitzt. D i e weiße L i n i e vor der Baumgruppe, die eine Parallele
zu den Reflexionen der Sterne auf dem Meer bildet, k ö n n t e ein Fahnenmast sein, w i r k t
jedoch mehr wie ein N a t u r p h ä n o m e n , wie z u m Beispiel ein aufblitzendes L i c h t .
M u n c h s Sternennacht wurde auf einer Reihe v o n Ausstellungen gezeigt, die zwischen
1894 u n d 1902 stattfanden. Bei diesen Ausstellungen wurde das B i l d jeweils unter
einem anderen T i t e l vorgestellt. Gelegentlich wurde es als Mystizismus
oder
Mystizismus
einer Sternennacht betitelt u n d war Teil einer Reihe, die als Studien für eine Reihe v o n
Stimmungsbildern bezeichnet w u r d e n : "Liebe." Später scheint das B i l d i n der Berliner
Ausstellung des Künstlers i m Jahre 1902 als Teil derselben Serie ausgestellt w o r d e n zu
sein, jetzt t r u g es den N a m e n Fries des Lebens. Diese Gruppe v o n G e m ä l d e n war ein
sehr persönlicher, philosophischer K o m m e n t a r über die Menschheit u n d i h r Schicksal,
der v o n religiösen U n t e r t ö n e n begleitet wurde.
126 A N D E R E S C H U L E N
BF
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VERZEICHNIS DER KÜNSTLER
Die Zahlenangaben verweisen auf die Seite
Alma Tadema, Lawrence 125
Gainsborough, Thomas 113
Pontormo 31
Géricault, Theodore 84, 85, 87
Potter, Paulus 65
Bartolommeo, Fra 23
Gogh, Vincent van 73
Poussin, Nicolas 79
Bellotto, Bernardo 38
Goya y Lucientes, Francisco Jose de 114
Bosschaert, Ambrosius, d.Ä. 49
Greuze, Jean-Baptiste 81
Rembrandt Harmensz. van Rijn
Huysum, Jan van 70
Renoir, Pierre-Auguste 99, 106
Bouguereau, William Adolphe 105
Bouts, Dieric 42
57, 59, 60
Brueghel, Jan, d.Ä. 46
Roberti, Ercole de' 16
Koninck, Philips 69
Cappelle, Jan van de 63
Romano, Giulio 24
Rubens, Peter Paul 50
Carpaccio, Vittore 18
La Tour, Georges de 75
Cezanne, Paul 110
La Tour, Maurice-Quentin de 83
Correggio 25
Liotard, Jean-Etienne 112
Saenredam, Pieter Jansz. 55
Lusieri, Giovanni Battista 39
Steen, Jan 66
David, Jacques-Louis 88, 91
Manet, Edouard 102
Tizian 32
Degas, Edgar 107
Mantegna, Andrea 20
Troy, Jean-Francois de 80
Domenichino 36
Martini, Simone 8
Turner, Joseph Mallord William 118
Dossi, Dosso 27, 28
Masaccio 15
Ruisdael, Jacob van 64
Daddi, Bernardo 10
Dyck, Anton van 52, 54
Ensor, James 120
Millet, Jean-Francois 93, 94
Veronese 35
Mola, Pier Francesco 37
Vouet, Simon 76
Monet, Claude 96, 108
Munch, Edvard 126
Weyden, Rogier van der,
Piombo, Sebastiano del 30
Wtewael, Joachim 48
Fabriano, Gentile da 13
Friedrich, Caspar David 117
128 V E R Z E I C H N I S D E R K Ü N S T L E R
Werkstatt von 45