Kapitel I - WordPress.com

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Kapitel I - WordPress.com
Kurzbeschreibung:
Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen ... Dies gilt besonders, wenn der
Hexer Geralt von Riva mit seinem besten Freund, dem Barden Rittersporn,
unterwegs ist. Allerdings hätte er sich wohl nicht träumen lassen, was alles auf dem
Weg nach Carinthia, Rittersporns neuestem Reiseziel, passieren würde und erst
recht nicht, welch Abenteuer sie am Ziel ihrer Reise schließlich erwarten sollte.
Bedrohliche Ungeheuer und eine Stadt, auf der ein Fluch lastet, sind nur einige
Beispiele der Geschehnisse, welche die beiden zusammen durchstehen müssen.
Hätte Geralt jedoch zu Beginn gewusst, dass er in Carinthia auch noch auf eine
Hundertschaft von Rittersporns Bardenkollegen treffen würde, wäre er
wahrscheinlich in eine andere Richtung geritten als zum »Bardenwettstreit zu
Carinthia«.
***
Informationen zur Ausgabe:
the-witcher.de Leserausgabe der gleichnamigen Fortsetzungsgeschichte aus der
Community-Zeitung »Witchers News«, Nr. 9 bis 25;
als Fanwork neu zusammengestellt und vollständig überarbeitet von DiamondDove;
Februar 2013
Verfügbare Formate: mobi (für Amazons Kindle-Reader), epub (für andere Reader),
PDF
Bei dieser Geschichte handelt es sich um eine Fanfiktion - einige Figuren stammen
aus The Witcher ®, einer Marke von CD Projekt RED S. A. The Witcher game ©
CD Projekt RED S. A., bzw. aus den Hexer-Erzählungen und -Romanen von
Andrzej Sapkowski, auf denen das Spiel basiert. Alle Rechte vorbehalten. Alle
anderen Urheberrechte und Warenzeichen sind das Eigentum ihrer jeweiligen
Eigentümer.
Titelbild erstellt von DiamondDove unter Verwendung der Vektorgraphik
"Crouching lion" aus http://www.oldbookillustrations.com; der Kapiteltrenner ist
eine freie Vektorgrafik von Jay Hilgert.
Die elbischen Texte sind Übertragungen in J.R.R. Tolkins Sindarin-Sprache und
stammen aus folgenden Quellen:
•
Rath Fair (Originaltext »Man's Road« und Melodie: America (vom
Soundtrack aus »The Last Unicorn«), übersetzt von Thorsten, gesungen
von Maewen)
•
I Vanga Fuin (von Míriel, http://nessime.beepworld.de/sindarin.htm).
Der Bardenwettstreit zu Carinthia
Eine Fanfiktion zur Geralt-Saga
von Dandelion
Inhalt
1
Lukasz und Miroslav.......................................................................2
2
Auf nach Carinthia!.........................................................................8
3
Der Kampf gegen das Licht...........................................................19
4
In der Stadt....................................................................................24
5
Der Rote Löwe..............................................................................30
6
Bardenzeit.....................................................................................40
7
Eine unbequeme Wahrheit.............................................................45
8
Küsse und ein Brief.......................................................................50
9
Ein Zauber tut seine Wirkung........................................................56
10 Das Spiel beginnt..........................................................................62
11 Hexenwerk....................................................................................71
12 Kein Wein, ein Weib und viel Gesang...........................................77
13 Alles hat ein Ende … nur ein Wurm hat zwei...............................83
14 Eine Wahrheit kommt ans Licht....................................................93
Kapitel I
Lukasz und Miroslav
D
er Schlag mit der flachen Hand kam unerwartet. Hart traf er den Hinterkopf
des milchgesichtigen Knaben, woraufhin seine viel zu groß geratene
Rüstung laut zu scheppern begann.
»Hör auf zu gaffen, Junge, und halt keine Maulaffen feil«, zischte der alte
Wächter und erhob drohend die Hand ein zweites Mal. Der Junge rieb sich
missmutig den Hinterkopf, Tränen der Wut und des Schmerzes unterdrückend.
»Ich hab dich Tausend Mal ermahnt, allen hohen Herren den Respekt zu
erweisen, der ihnen gebührt. Und was machst du? Du gaffst sie an, als wären sie
irgendeine billige Jahrmarktattraktion!
Ihr müsst verzeihen, edle Herren«, wandte sich der Wächter des Tors von Tretogor
den beiden Männern zu Pferde zu, die gerade im Begriff waren, die Stadt in
Richtung Osten zu verlassen. »Der Junge kommt vom Lande und ist erst seit einer
Woche bei mir in der Lehre. Er ist bockig, gehorcht nicht, steckt seine Nase in
Dinge, die ihn nichts angehen und hat auch sonst nur Flausen im Kopf! Ich fürchte,
seine grenzenlose Neugier wird ihm noch eines Tages zum Verhängnis werden.
Verzeiht also, wenn seine respektlosen Blicke Euch belästigt haben sollten.«
»Nun«, kicherte einer der Reiter fröhlich, während die Feder an dem kecken
Hütchen, das in einem gewagten Winkel auf seinem braunem Haarschopf saß,
munter hin und her wippte, »ich bin in meinem Leben schon mit ganz anderen
Blicken bedacht worden, die mir weitaus weniger schmeichelhaft erschienen, als die
von diesem jungen Burschen.«
Miroslav, der alte Wachmann, beobachtete verunsichert, wie der Reiter einige
imaginäre Staubkörnchen von seinem makellosen taubenblauen Wams strich, das
nach der neuesten Mode geschnitten war und sicherlich mehr gekostet hatte, als er
im Lauf eines Mondes verdiente.
»Ich habe doch recht? Nicht wahr, Geralt?«, fragte der Reiter, zog langsam die
runden, dunkel getönten Augengläser, die seit kurzem in gehobenen Kreisen großen
Anklang fanden, zur Nasenspitze herunter und warf seinem Begleiter einen
amüsierten Blick zu.
Dieser rührte sich zunächst nicht. Ein Schauder überlief Miroslav und ließ die
Spitzen seines ruppigen Schnauzbartes zittern. Dieser zweite Reiter, der wie er nun
wusste Geralt hieß, war ihm ganz und gar nicht geheuer. Er ritt eine kastanienbraune
Stute und trug einen schwarzen Wollmantel, der bis zum Schweif des Pferdes
reichte und dessen Kapuze er so tief ins Gesicht gezogen hatte, dass dieses in
vollkommene Dunkelheit gehüllt war. Einen Augenblick lang funkelte im Licht der
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aufgehenden Sonne Silber auf, als die rechte Hand unter dem Mantel zum Vorschein
kam, um die Stute hin zu seinem Begleiter zu wenden. Silber auf Leder, schwarz
wie die Nacht.
»Nun, Rittersporn, mein Freund«, die Stimme, die aus der Kapuze hervorquoll,
tönte rau und unangenehm in den Ohren des Wächters, dessen Nackenhaare sich bei
diesem Klang instinktiv sträubten. »Gefahr« war das erste Wort, welches Miroslav
in den Sinn kam, als er die Stimme hörte. »Tod« das zweite …
»Wenn du die Blicke der Männer meinst, die du in den letzten Jahren zum
Hahnrei machtest, indem du mit ihren Frauen angebändelt hast, so stimme ich dir
natürlich voll und ganz zu. Die Blicke der Damen hingegen werden dir wohl kaum
jemals einen Grund zur Missstimmung gegeben haben. Schmeichelhaftere
Augenaufschläge, als ich sie gestern Abend beobachten konnte, kannst du dir kaum
wünschen. Manchmal hege ich meine Zweifel, ob du dein anziehendes Äußeres
nicht doch dem Fehltritt eines Aén Seidhe zu verdanken hast …«
»Wer weiß?« Rittersporn lachte.
»Wie heißt du?«, wandte sich Geralt dem Jungen zu, der mit der geballten Faust
den Schnodder seiner Nase über das ganze Gesicht verteilte. Er beugte sich halb
vom Pferd herunter, bis beide auf gleicher Augenhöhe waren. Beeindruckt
betrachtete der Junge eine einzelne Strähne silberweißen Haares, die unter der
Kapuze sichtbar wurde. Doch seine Neugier und Faszination kannte keine Grenzen
mehr, als er der katzenartigen Augen gewahr wurde, die ihn mit einer Mischung aus
Wohlwollen und Interesse begutachteten. Ein Hexer!, durchfuhr es ihn. Das muss
ein Hexer sein!
»Mein Name ist Lukasz, edler Herr!« Er hielt dem Blick stand.
»Ich bin kein edler Herr, Lukasz. Ich denke, du weißt jetzt genau, wer ich
wirklich bin, denn du bist sicherlich nicht auf den Kopf gefallen.
Nun gut, Lukasz, hör mir gut zu und merke dir meine Worte! Neugier ist eine
gute Sache, doch mit ihr verhält es sich genauso wie mit der Medizin und den
Frauen: auf die rechte Dosierung zur rechten Zeit kommt es an. Hast du das
verstanden?«
Lukasz kratzte sich am Kopf, zog die Stirn kraus und grinste schließlich.
»Ja, ich denke schon …«
»Gut. Mein Freund Rittersporn erzählte mir, dass ein junger Wächter am Vortag
einen Mann in die Stadt gelassen hat, obwohl dieser in einem erbärmlichen Zustand
war und keinen Passierschein besaß. Er soll diesem Mann sogar einige Münzen
zugesteckt haben, damit er sich eine einfache Mahlzeit und ein Lager für die Nacht
leisten konnte.
Kann es sein, dass du diesen Wächter zufällig kennst, Lukasz?«
Der Junge warf einen raschen Seitenblick auf Miroslav, dessen Bartenden bereits
wieder zu zittern begonnen hatten, doch diesmal nicht aus Unbehagen.
»Ja, das war ich«, antwortete er und duckte sich bereits in Erwartung eines
Schlages weg, der jedoch nicht kam.
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»Wage es ja nicht, den Jungen noch einmal anzurühren, auch wenn er dein Enkel
ist«, knurrte Geralt den Wächter an, dessen erhobene Hand im schmerzhaften
Schraubstock von Geralts Griff verharrte. »Nun schau nicht so überrascht! Es ist
allgemein bekannt, dass die Familien die Lehrlinge der Wächtergilde in Tretogor
ausrüsten müssen. Da nun die Rüstung, die er trägt, nicht nur dieselbe Größe hat
wie deine, sondern auch noch ähnliche Beschädigungen an gleicher Stelle aufweist,
gehe ich einmal davon aus, dass sie früher einmal dir gehört hat und ihr deshalb
miteinander verwandt sein müsst. Und für den Vater bist du, mit Verlaub gesagt,
bereits etwas zu alt geraten … Ich lasse dich los, wenn du mir versprichst, nicht
noch einmal die Hand gegen dein Fleisch und Blut zu erheben! Tust du das?«
Miroslav nickte mit schmerzverzerrter Miene. Geralt ließ ihn los.
»Nun gut, Lukasz, erzähl mir, was dich dazu veranlasst hat, zu tun, was du getan
hast.«
Der Junge überlegte einen Augenblick. Er konnte sich noch zu gut an den Mann
erinnern, der am gestrigen Morgen vor den Toren Tretogors aufgetaucht war, mehr
tot als lebendig. Unter all dem Dreck und den Fetzen, die einmal ein Wams und eine
Hose gewesen sein mochten, war der Fremde kaum als Mensch zu erkennen
gewesen.
Dem üblen Gestank nach, der von dem Bettler ausgegangen war, hätte er sonst
eine Kreatur sein können. Keiner von den Menschen, die an jenem Tag in die Stadt
geströmt waren, scherte sich auch nur einen feuchten Kehricht darum, was mit
diesem Mann geschah, ob er leben oder sterben würde. Lukasz hatte einfach Mitleid
mit ihm gehabt. Es war noch nicht lange her, dass er selbst Hunger leiden musste
und er sich gewünscht hätte, jemand würde ihm etwas Nächstenliebe
entgegenbringen. Nun, das Leben war zwar hart, doch dies war keine
Entschuldigung dafür, auch das Herz zu Stein werden zu lassen.
Deshalb hatte er den Fremden in einem unbeobachteten Augenblick in die Stadt
eingelassen und ihm einige Orens zugesteckt, damit sich dieser zumindest seine
dringendsten Bedürfnisse erfüllen konnte: etwas zu essen und ein billiges Lager für
die Nacht. Er war einfach seinem Instinkt und seinen Gefühlen gefolgt, weil es ihm
richtig erschien. Und das erzählte er genau so Geralt.
»Und daran hast du gut getan! Weißt du, wer der Mann war, dem du da Einlass
gewährt hast? Nein? Nun, es ist niemand anderes als mein Begleiter dort. Kein
Vergleich zu gestern, nicht wahr? Jetzt ist er allerdings herausgeputzt wie ein Pfau
durch die Gunst seiner vielen weiblichen Bewunderer und Verehrerinnen. Ich
verrate dir was! Selbst das Pferd, auf dem er gerade seinen Hintern platt sitzt, haben
sie ihm geschenkt!«
Rittersporn war es augenscheinlich unangenehm, Geralts Worten zu folgen. Er
rutschte verdrießlich auf dem Sattel hin und her.
»Auf dem Weg von Oxenfurt hierher wurde er von Wegelagerern um all sein
Hab und Gut gebracht; nur sein Leben und die Kleider am Leibe ließ man ihm. So
war es doch, Rittersporn?«
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Der Angesprochene lächelte säuerlich, richtete sich dann aber zu voller Größe
auf, reckte die Brust heraus und nickte zustimmend, wenn auch widerwillig.
»Ja, so war es, Geralt! Und das mir: Julian Alfred Pankratz Viscount de
Lettenhove, weithin auch schlicht als Rittersporn bekannt, der Barde der Barden,
von allen Musen geliebt, der Meister der Verse, Herr der Mieder … äh …
Lieder …«
Geralt räusperte sich vernehmlich.
»Nun gut, die Banditen wussten es anscheinend nicht besser. Aber ihr beiden
habt doch sicherlich schon von mir gehört?« Die beiden Wächter, jung und alt,
sahen sich mit fragendem Blick an und zuckten dann vielsagend mit den Schultern.
Rittersporn sackte in sich zusammen.
»Ich denke, jetzt kennen sie dich ja, mein Freund«, beeilte sich Geralt zu sagen,
dem die zunehmende Betrübnis Rittersporns nicht verborgen blieb. »Und ich bin
überzeugt davon, dass du dem jungen Lukasz sicher sehr dankbar für seine
selbstlose Tat bist! Es ist dir sicherlich nur entfallen, ihn vor unserem Aufbruch
noch aufzusuchen, um ihm sein Darlehen nebst Zinsen zurückzuzahlen, weil du
deinen Kopf voller neuer, schöner Verse für deine unvergleichlichen Balladen hast,
nicht wahr?«
Rittersporn spürte die aufblühende Röte und Hitze in seinem Gesicht und er
hoffte insgeheim, dass man sie ebenso gut für ein Zeichen von Bescheidenheit
halten würde und nicht für die Scham, die er in diesem Moment verspürte. Mit
gesenktem Blick durchforstete er seine Taschen. Und Taschen hatte Rittersporn
wahrlich zur genüge.
»Ich denke, diese Münzen dürften mehr als ausreichend sein.« Geralt zog einige
silberne Geldstücke aus seinem Wams, während Rittersporn noch seine Kleidung
durchwühlte. Er warf sie Lukasz zu, der sie geschickt auffing und nach einem
kurzen Blick darauf von einem Ohr zum anderen zu strahlen begann.
»Aber … das ist viel zu viel, edler Herr!!«
»Nenn mich einfach Geralt. Es ist ganz und gar nicht zu viel. Ach, bevor ich es
vergesse«, er warf auch Miroslav ein größeres Geldstück zu, »nimm dies und
besorge deinem Enkel eine anständige Rüstung, die ihm auch passt! Hast du
verstanden?«
Miroslav, der gerade auf die Münze biss, um deren Echtheit zu prüfen, nickte
freudig.
»Wehe, ich erfahre, dass du das Geld in die nächste Schenke gebracht hast,
Alterchen! Ich warne dich! Ich werde auf dem Rückweg noch einmal
vorbeischauen …!«
Das Lächeln auf Miroslavs Miene erstarb.
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, lenkte Geralt seine Stute zum Tor hinaus,
gefolgt von Rittersporn. Schweigend ritten sie nebeneinander nach Osten, wo der
blutrote Sonnenball gerade seinen Weg über das Firmament antrat. Es dauerte eine
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Weile, bis sich Rittersporn soweit gefasst hatte, dass er wieder in der Lage war, das
Wort an seinen Freund zu richten.
»Warum hast du gerade einen Überfall gewählt, Geralt? Du ahnst ja nicht, wie
peinlich mir die Situation gerade eben war! Heute morgen scheinst du regelrecht
Gefallen daran zu finden, mich demütigen zu wollen …«
»Wenn du mir nicht erzählen willst, was wirklich passiert ist, bleibt mir nichts
anderes übrig, als mir meinen Teil zu denken. Du musst zugeben, ein Überfall ist
wesentlich ehrenvoller als sich zum Beispiel beim Würfelpoker bis aufs letzte
Hemd ausnehmen zu lassen oder – noch schlimmer – von irgendwelchen gewitzten
Frauenzimmern übertölpelt zu werden und frühmorgens nicht nur unbefriedigt,
sondern auch noch ohne Geld in der Börse aufzuwachen. Das wäre wohl kaum die
Art von Abenteuer, von der du gerne in deinen Balladen berichten würdest. Und
was die Pein angeht: Noch übler als die Situation, in der ich dich gestern
angetroffen habe, kann es eben gar nicht gewesen sein!«
Rittersporns Schweigen war Geralt Antwort genug.
»Julian Alfred Pankratz Viscount de Lettenhove … wie zum Teufel bist du
eigentlich zu diesem beschissenen Namen gekommen?«
»Warum nicht? Geralt Roger Eric du Haute-Bellegarde ist auch nicht gerade der
Muse bester Kuss, oder?«, gab Rittersporn spitz zurück.
Geralt lächelte kurz.
»Touché! Ich denke, wir sind quitt.«
»Ach wirklich?«
Geralt nickte.
»In Zukunft denk einfach daran«, knurrte er, »dass es keine gute Idee ist, mich
zu wecken, wenn ich erst kurz zuvor ins Bett gefunden habe. Und dass ich
ungenießbar bin, solang ich meinen Morgentrunk nicht zu mir genommen habe,
solltest du eigentlich langsam wissen, Rittersporn! Jetzt schuldest du mir nicht nur
eine Erklärung, was in Oxenfurt wirklich geschehen ist, sondern zudem noch 500
Orens …«
»500 Orens? Das ist mehr als das Zehnfache von dem, was ich von dem Jungen
bekommen habe!«
»Ich weiß«, Geralt setzte die Kapuze ab und schüttelte das Haar aus, dass jetzt
silbern im Sonnenlicht glänzte. Er grinste. »Ich erlasse dir die Summe, wenn du mir
die Wahrheit über Oxenfurt erzählst! Du kannst es dir ja noch überlegen, solange
wir noch nicht in Carinthia sind, was immer dich nach dort auch ziehen mag.«
Noch bevor Rittersporn antworten konnte, ließ Geralt seine Stute mit einem
Druck seiner Schenkel Tempo aufnehmen. Einen Augenblick lang glaubte
Rittersporn ein fröhliches Gelächter zu hören, während Geralt allmählich aus
seinem Blickfeld verschwand. Er schüttelte entschieden den Kopf. Nein, da hatte er
sich sicherlich getäuscht.
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»So warte doch, Geralt!«, rief er und spornte sein Pferd ebenfalls an. »Geralt von
Riva, aus dir soll mal einer schlau werden!«, murmelte Rittersporn. «Ich werde es
wohl nicht mehr und wenn ich hundert Jahre alt werden sollte …«
Und so preschten die beiden in Richtung Carinthia davon, der aufgehenden
Sonne und einem neuen Abenteuer entgegen.
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Kapitel II
Auf nach Carinthia!
E
nergisch fuhr der breite Stiefelabsatz auf die letzten rot glühenden Holzstücke
im heruntergebrannten Aschehaufen hinab und erstickte mit wenigen
Schlenkern die letzte Glut. Zufrieden betrachtete Geralt das aufwirbelnde
Aschehäufchen, aus dem ein allerletzter Rauchfaden aufstieg, der sich gemächlich
um den Schaft seines Stiefels schlängelte, um schließlich unter der umgekrempelten
Stulpe auf immer zu verschwinden.
Geralt streckte genüsslich seine Glieder und dehnte ausgiebig jeden einzelnen
Muskel seines Körpers, bis jede seiner Bewegungen wieder ebenso geschmeidig
vonstatten ging, wie er es gewohnt war und sein Beruf es von ihm verlangte. Der
Boden, auf dem er die Nacht verbracht hatte, war sehr hart und felsig gewesen.
Rittersporn hatte jedoch auf diesen Platz bestanden, nachdem zwei
Riesentausendfüßler ihnen den vorherigen Rastplatz streitig gemacht hatten und den
Barden nur allzu gerne zu ihrem Nachtmahl verspeist hätten. Geralt war es nur recht
gewesen, einen festeren Untergrund als Schlafstätte zu wählen. Einige ächzende
Knochen und verspannte Muskeln waren lediglich ein geringer Preis für ihre
Sicherheit gewesen, den er gern in Kauf genommen hatte. Ganz davon abgesehen,
dass auch er keine große Lust verspürt hatte, weiteren dieser Kreaturen
entgegentreten zu müssen. Zum einen war ihm bereits beim ersten das Insektoidenöl
ausgegangen und zum anderen war jeder Kampf, der nicht der Selbstverteidigung
diente und nichts zum Gewicht seiner Geldbörse beitrug, ein unnützer Kampf. Auch
Hexer mussten mit ihren Kräften haushalten und lebten nicht nur von Luft und
guten Taten allein. Unbezahlten guten Taten wohlgemerkt.
Tief ausatmend griff Geralt nach seinem Vorratsbeutel und stopfte sich eine
weitere Portion getrockneten Fisch in den Mund, die er mit einem tiefen Schluck
temerischen Weines hinunterspülte. In der Luft lag noch der verführerische Duft
von frisch geröstetem Weißbrot und hart gebratenen Wyvern-Eiern, die der Barde in
einer kleinen kupfernen Pfanne zubereitet hatte, deren Verzehr Geralt jedoch
dankend ablehnen musste, da wahrscheinlich nur die Götter genau wussten, wo und
unter welchen Umständen Rittersporn an diese Vorräte herangekommen sein
mochte.
Der Barde selbst hatte die Nacht kein Auge zubekommen. Das mochte durchaus
an der für ihn sehr unerfreulichen Begegnung mit den Riesentausendfüßlern liegen.
Doch der Hexer vermutete, dass noch ganz andere Gründe für seine Schlaflosigkeit
verantwortlich waren, die er mit stundenlangem Gezupfe auf seiner Laute und dem
Komponieren neuer Balladen zu übertünchen versuchte. Dass seine Bemühungen
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nur von geringem Erfolg gekrönt waren und seine Melodien nur halbherzig und
weit unter seinen bisherigen Niveau blieben, wie Geralt in einigen wachen
Momenten durchaus bemerkt hatte, bestärkten ihn nur in seinem Verdacht, dass
Rittersporn mit seinen Gedanken und seinem Herzblut mit ganz anderen Dingen
beschäftigt war, als mit seiner Musik. Wahrscheinlich zerrten die Ereignisse von
Oxenfurt, welcher Natur diese auch immer gewesen sein mochten, noch immer an
seinem Nervenkostüm. Nun, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war, würde er
sicherlich noch von ihm erfahren, was genau dort geschehen war. Bislang schwieg
er sich beharrlich darüber aus, was ungewöhnlich für den Barden war, der sonst
gerne den ganzen lieben Tag seine Stimmbänder mit Geschichten, Gesängen und
Anekdoten aus seinem Leben in Schwung zu halten pflegte. Geralt konnte warten.
Gerade verstaute Rittersporn seine edle Laute, die wie stets in ihrem wertvollen
elfischen Futteral steckte, und sein übriges Hab und Gut auf dem scheckigen
Wallach, der unruhig mit den Hufen scharrte.
Auch Geralts treue Stute Plötze wurde allmählich fahrig. Vielleicht spürten die
beiden Pferde die Nähe weiterer unterirdischer Monster. Vielleicht waren sie es
auch einfach nur leid, zu lange an diesem Ort zu verweilen. Wie auch immer, es
wurde endlich Zeit, dass sie aufbrachen. Noch einmal kontrollierte Geralt den
Sattel, zog einige Riemen nach und überprüfte ein letztes Mal seine Vorräte an
Lebensmitteln, Tränken, Ölen und deren Zutaten, die er in Carinthia, sofern dort
erhältlich, aufzufüllen und zu ersetzen gedachte. Dann schwang er sich in den Sattel
und wandte sich nach dem Barden um.
»Bereit, Rittersporn?«
Ein kurzes Nicken und ein abgespannter Blick aus übermüdeten Augen waren
die einzige Antwort, die Geralt an diesem Morgen erhielt. Leise flüsterte Rittersporn
seinem Wallach etwas ins Ohr, der daraufhin die Ohren spitzte und die Augen weit
aufriss. Geralt vernahm trotz seines guten Gehörs nicht, welche Worte der Barde an
sein Pferd richtete, denn er hatte sie in einem ihm unbekannten elfischen Dialekt
gesprochen. Die Reaktion seines Pferdes ließ jedoch darauf schließen, dass dieses
die Worte recht wohl verstanden hatte und sie wahrscheinlich nichts Gutes
bedeuteten. Geralt lächelte insgeheim. Er hatte dieses Ritual bislang jeden Tag
beobachten können. Wahrscheinlich drohte Rittersporn dem Pferd mit dem
Abdecker oder Schlimmerem mit seinem leisen Singsang aus elfischen Lauten,
wenn das Tier nicht dasselbe tat wie am vorigen Tag und dem Tag davor.
»Nun denn, auf nach Carinthia!«, rief Geralt. Plötze setzte sich in Bewegung.
Noch einmal sah der Hexer zurück. Es war, wie er vermutet hatte: Rittersporns
Wallach folgte seiner Plötze geduldig auf dem Hufe.
Und der Barde? Kaum, dass er es sich im Sattel bequem gemacht hatte, war er
auch schon eingeschlafen und schnarchte lauthals mit gesenktem Kopf. Ein
Anblick, an dem sich vor ihrem Eintreffen in Carinthia, was immer sie dort auch
erwarten mochte, sicherlich nichts ändern würde, da war sich Geralt sicher.
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Carinthia, die Wohlhabende, wie die Stadt von ihren Bewohnern liebevoll und den
übrigen Städten Temeriens voller Neid genannt wurde, war auf keiner Karte der
nördlichen Königreiche verzeichnet – und das hatte seinen Grund. Als die
Kartographen des Landes ihre Ergebnisse in Wyzima zusammentrugen, um die erste
vollständige Landkarte des Nilfgaarder Reiches zu erstellen, existierte Carinthia
schlichtweg nicht. Zu der damaligen Zeit bestand die Stadt lediglich aus einigen
baufälligen Gehöften und ihren Bewohnern, die das wenige, das sie zum Leben
brauchten, selbst anpflanzten: Getreide für das tägliche Brot und Rüben als Futter
für die mageren Tiere, die sie hielten. Daran hätte sich wahrscheinlich nie etwas
geändert, wenn nicht eine findige Bäuerin durch Zufall herausgefunden hätte, wozu
die Rüben außer zum Verfüttern noch zu gebrauchen waren: zur Herstellung einer
klebrigen und süßen Masse nämlich, die in den nachfolgenden Jahren ihren
Siegeszug durch die temerischen und Nilfgaarder Küchen antreten sollte - der
Carinthia-Sirup, benannt nach der Bäuerin, die ihn entdeckt hatte.
Der bis dahin namenlose Ort wuchs und gedieh, erhielt einen Namen und kurz
darauf auch das Stadtrecht. Schon bald siedelten sich Menschen und Anderlinge aus
ganz Temerien in der Nähe des aufstrebenden Carinthia an, darunter auch
Handwerker aus dem fernen Serrikanien, die etwas mit sich führten, das den Ruhm
und das Ansehen der Stadt noch weiter mehren sollte: serrikanische Seide und das
Wissen um ihre Herstellung.
Geralt hatte bislang immer einen großen Bogen um Carinthia gemacht. In dieser
Stadt mit ihren rotgeschindelten kleinen Fachwerkhäusern und den zufriedenen
Gesichtern ihrer Bewohner gab es für einen Hexer einfach nichts zu tun. Keine
Flatterer, die in der Nacht auf einen Schlummertrunk unterwegs waren, keine
Ghule, die an frischen Leichen nagten, noch nicht einmal ein paar ertrunkene Tote,
die die Kanalisation unsicher machten und das Trinkwasser verseuchten. Es schien
fast, als würde jedes Monster und jede Abnormität einen weiten Bogen um dieses
Idyll machen. Soweit das Auge reichte, gab es hier nur üppige Äcker, ausladende
Obstbäume, die unter der Last ihrer Früchte ächzten, und fette Kaufleute, deren
Geldbeutel noch praller gefüllt waren, als die Bäuche ihrer Besitzer.
Nein, dieser Ort war kein gutes Revier für Hexer. Der Letzte, welcher Carinthia
auf der Suche nach Arbeit betreten hatte – ein junger Hexer, unerfahren und naiv –
war von den Einwohnern gefangen gesetzt und auf den nächsten Scheiterhaufen
gezerrt worden. Von daher war es nur verständlich, dass sich Geralt mit gemischten
Gefühlen der Stadt näherte.
»Ich hoffe, Rittersporn«, knurrte er und lauschte kurz dem lauten Schnarchen,
das hinter ihm in regelmäßigem Abstand ertönte, »du hast einen verdammt guten
Grund, um hierher zu kommen! Das Letzte, wonach mir gerade der Sinn steht, sind
brennende Holzstöße und aufgebrachte Einwohner mit Mistgabeln …«
Zuletzt war Geralt im vorangegangenem Jahr hier vorbeigekommen, als er sich
nach langer Zeit wieder einmal auf dem Weg nach Kaer Morhen befand. Es war
gerade Erntezeit gewesen und er erinnerte sich noch gut an die misstrauischen und
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verächtlichen Blicke der Arbeiter auf den überreifen Feldern und Äckern, an denen
er vorbeigeritten war. Ebenso an die wüsten Schimpfworte und Verwünschungen,
die sie ihm hinter seinem Rücken nachriefen. Keiner von ihnen hatte es gewagt, ihm
seine Meinung mitten ins Gesicht zu sagen. Verfluchte Feiglinge! Wahrscheinlich
hatten sie geglaubt, er würde sie nicht mehr hören können. Weit gefehlt! Nur allzu
deutlich waren sie zu verstehen gewesen. Jedes einzelne hasserfüllte Wort, dass ihre
Ängste und Vorurteile kaschieren sollte, hatte er vernommen. Allein seine
jahrelange Ausbildung und die mühsam antrainierte Beherrschung seiner Gefühle
hatten ihn damals davon abgehalten, einfach vom Pferd zu steigen und den Bauern
eine Lektion mit der bloßen Faust zu erteilen.
Jetzt jedoch war etwas anders. Seitdem sie beide vor zwei Tagen von Tretogor
aus in Richtung Carinthia aufgebrochen waren, hatte Geralt das Gefühl nicht
abschütteln können, dass etwas geschehen würde. Er konnte die Gefahr, der sie sich
näherten, regelrecht wittern und je dichter sie nun ihrem Ziel kamen, um so mehr
stank es nach Ärger und Schwierigkeiten. Nicht erst seit ihrer Begegnung mit den
Riesentausendfüßlern zitterte das Wolfsamulett auf seiner Brust.
Zunächst war es nur ein leises Vibrieren gewesen, das jeder andere
wahrscheinlich kaum wahrgenommen hätte. Doch nun, kaum dass die höchsten
Gebäude der Stadt langsam am Horizont aufzutauchen begannen, fing der
Wolfskopf unter seinem Leinenhemd an, einen wahren Veitstanz zu veranstalten.
Geralt nickte grimmig. Er schloss das Lederwams über seiner Brust und zog die
Riemen so stramm, dass das Amulett ihn zwar immer noch vor Gefahr warnen, doch
keine Anstalten mehr machen konnte, übermütig aus seinem Hemd hervorzuhüpfen.
Er sah sich genauer um.
Wo im Jahr zuvor noch volle Felder mit mannshoher Gerste und Roggen
standen, honiggelber Raps das Auge erfreute und das frische Grün der weit
ausufernden Rübenpflanzen sich bis zum Horizont zu erstrecken schien, herrschte
nun die blanke Not. Der Boden war verdorrt, von der Sonne in harte, sich
aufwölbende Platten zerrissen. Auf einigen Feldern erblickte Geralt noch
verkümmerte Getreidehalme, die einem ausgewachsenem Mann kaum bis an die
Knie reichten und die sicherlich nie eine Ähre getragen hatten. Und dennoch hatte
man sich an ihnen zu schaffen gemacht, wohl in der Hoffnung, vielleicht noch das
eine oder andere Korn ergattern zu können.
Geralts Blick schweifte weiter. Selbst die Bäume in dieser Gegend wirkten lebund kraftlos. Bleiern reckten sie ihre Wipfel der unbarmherzig brennenden Sonne
entgegen, die im Zenit stehend alles unter sich zu versengen drohte. Die wenigen
Früchte, welche die Bäume getragen haben mochten, waren ebenso verschwunden
wie jedes einzelne Blatt in ihren Wipfeln. Sie waren nicht etwa vor der Zeit
abgefallen, wie man zunächst vermuten konnte, sondern von unzähligen Händen
von den Ästen herabgepflückt worden, wie sein geübtes Auge rasch erkannte. Geralt
hatte Ähnliches schon in früheren Zeiten gesehen, in denen Not und Hunger die
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Menschen dazu getrieben hatten, Dinge zu essen, die sie an besseren Tagen nicht
einmal mit ihrem Hinterteil angesehen hätten.
Was mochte hier geschehen sein?
Eine Gestalt auf einem der wenigen Äcker, auf dem das verkümmerte Getreide
sein trostloses Dasein fristete, erregte Geralts Aufmerksamkeit. Sie bewegte sich
zwischen den ausgeblichenen Halmen hin und her, strich scheinbar
gedankenverloren mit ihren Händen über kornlose Ähren, drehte sich langsam im
Kreise umher und wieder zurück. Ein junges Mädchen von schlanker Gestalt,
wahrscheinlich gerade erst dem Kindesalter entwachsen, mit schulterlangem
flachsblondem Haar und von der Sonne gebräunter Haut. Sie trug ein luftiges
weißes Leinenkleid, das sich deutlich von dem dunklen Teint ihres Körpers abhob
und das lediglich von zwei dünnen Riemchen über der Schulter gehalten wurde.
Noch einmal drehte sie sich im Kreis, tanzte sie regelrecht um die sie umgebenden
Halme herum, als wären diese allesamt junge Freier und sie selbst noch nicht
entschlossen, welchen sie davon erwählen sollte.
Eine Weile beobachtete Geralt die junge Frau recht angetan, verfolgte ihre
anmutigen Bewegungen, bis ihm eine weitere Person auffiel, die in sichtbarer Nähe
des tanzenden Mädchens auf dem Boden kniete und anscheinend eine letzte Lese
des Getreides vornahm. Ein junger Mann, selbst kaum älter als das Mädchen, das
nun einen Moment lang innehielt, als es den anderen Gast des Feldes bemerkte.
Wenige leichtfüßige, fast schwebende Schritte reichten bereits, um unbemerkt die
Distanz zwischen ihr und dem Burschen zu überbrücken. Schon stand sie
unmittelbar hinter dem ahnungslosen Jungen und streckte die feingliedrige Hand
nach seiner Schulter aus.
»Verdammt«, fluchte Geralt, sprang vom Pferd und zog dabei das Silberschwert.
Spät, fast zu spät erkannte er seinen Irrtum. Wie hatte er nur so verblendet sein
können? Geschwind hatte die Mittagserscheinung den nahezu erstarrten Jüngling,
dem das Entsetzen jetzt deutlich ins Gesicht geschrieben stand, hochgewirbelt und
an den Händen ergriffen.
Ein kurzes Nicken ihrerseits, das keinerlei Widerspruch duldete, besiegelte die
Einladung zum Tanze. Der Reigen begann. Des Jünglings letzter, sofern Geralt nicht
schnellstens etwas dagegen unternahm.
Mit zwei Sätzen erreichte er den Wallach des Barden und schüttelte Rittersporn
aufs Heftigste, sodass dieser, recht abrupt aus dem Schlaf gerissen, fast von seinem
Pferd gefallen wäre.
»Schnell, Rittersporn! Die Augengläser! Ich habe keine Zeit für lange
Erklärungen!«
***
Die Schenke »Der Rote Löwe« war das beste Etablissement am Platze in Carinthia,
wenngleich es schon einmal bessere Zeiten erlebt hatte. Einst trug die Schenke noch
den Namen »Der streunende Vagabund«, war in einer kleinen und schmuddeligen
- 12 -
Nebengasse gelegen und hatte das gesamte Gesindel und jede zwielichtig Gestalt
der Stadt angezogen. Erst der Tod des damaligen Besitzers, ein Zwerg aus dem
Süden, der mehr Essensreste in seinem knielangen Bart beherbergte als es in seiner
gesamten sogenannten Küche für die Gäste gab, hatte den Weg für einen Neuanfang
frei gemacht. Der neue Schenkeninhaber hieß Leo MacDanold, ein vermögender
Ex-Soldat aus Ard Carraigh mit einem Faible fürs Bierbrauen, kehrte dem
schmuddeligen »Vagabunden« den Rücken und baute eine neue Schenke im
Zentrum der Stadt, wo gerade – welch eine glückliche Fügung – einige Gebäude
einem Feuer zum Opfer gefallen und bis auf die Grundmauern niedergebrannt
waren. »Der Rote Löwe« war letztendlich nahezu dreimal so groß wie der
»Vagabund« und zeichnete sich dadurch aus, dass die Binsen auf dem Boden stets
frisch und duftend, die Küche ausgezeichnet und reichhaltig, und die Gäste von
besserer Herkunft waren, als sie sein Vorgänger je zu Gesicht bekommen hatte. Das
selbstgebraute Bier namens Carinthia Faro Gold, welches der Wirt in einem
Nebengebäude nach allen Regeln der Braukunst herstellte und das in ganz Temerien
seinesgleichen suchte, trug das seinige dazu bei, dass »Der Rote Löwe« weit über
die Grenzen von Carinthia für seine Gastfreundschaft und guten Service bekannt
war. Die Investitionen hatten sich bereits nach kürzester Zeit mehr als rentiert und
Leo freute sich bereits auf den Zeitpunkt, an dem er sein Lebenswerk an seinen
Sohn Ranold übergeben konnte, um sich nur noch der Bierkunst widmen zu können
– als das Schicksal zuschlug und seine gesamten Pläne zunichte machte.
»Verdammtes Weibsbild«, fluchte Leo. Seine Hand wirbelte durch den
feuerroten Vollbart, ein deutliches Zeichen dafür, dass er heftigst verstimmt war an
diesem Morgen.
»Hast du was gesagt, Vater?«
Leo warf einen verwirrten Blick in Richtung seiner Tochter Fiona, die ein mit
Wild, Käse und Getränken voll beladenes Tablett in Richtung Haupthalle
balancierte, aus der lautes Gelächter, wilde Flüche und von Zeit zu Zeit leises
Lautengeklimper zu hören waren.
»Nein, meine Hübsche, ich meinte nicht dich. Pass du nur auf, dass du nicht ins
Straucheln gerätst. Und nimm dich in Acht vor dem Bardengesindel! Die haben
meist mehr Hände als sie zum Lautespielen brauchen ...«
»Ich arbeite hier nicht erst seit gestern, Vater!« Fiona lächelte süffisant. »Und ich
weiß mich schon zu wehren, wenn eine dieser langfingrigen Griffel an einem Ort
landen sollten, wo sie nix zu suchen haben. Ich hoffe nur, du hast für den Fall noch
genügend Trinkhumpen übrig ...«
Leo lachte, das erste Mal an diesem Tage. Doch kaum war Fiona aus seinem
Blickfeld entschwunden, da verfinsterte sich sein Gesicht wieder.
»Verdammtes Weibsbild«, er spuckte diese zwei Worte mit einer Inbrunst aus,
als wären sie ein Schluck schal gewordenes Bier. »Verfluchtes Hexengesindel!«
Der Zettel brannte in seiner Brusttasche, dennoch widerstand er dem Verlangen,
ihn erneut hervorzuholen und noch einmal zu lesen. Er kannte den Text ohnehin
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auswendig. Die Worte hatten sich wie schwarzes Feuer in sein Gedächtnis
eingebrannt, um ihn von dort aus Tag und Nacht zu quälen, Bitterkeit in sein Herz
zu streuen und sein Leben zu vergällen. Dann nahm er ihn doch heraus, entfaltete
ihn mit zitternden Händen und las zum wiederholten Male, was dort in säuberlicher
roter Schrift geschrieben stand:
Erst wenn endlich ans Licht kommt zu einer Zeit
die Wahrheit von allen Lügen und Siegeln befreit
wenn das hellste Tageslicht am Ende sieht
was schon lang geheim im Dunkeln erblüht
ein Schlüssel gegen Stahl um den rechten Platz ringt
ein Barde ein stummes Schwert zum Singen bringt
wenn die im Lande allergrößten Bardenzungen
vom Niedrigsten der ihren wurden bezwungen
wenn dann noch die alte Weise am Brunnen erschallt
dann steigt das Übel daraus nach oben schon bald
wird letztendlich von einem Recken bezwungen
dessen Lippen nie einen Ton haben gesungen
erst dann wird kommen die rechte Zeit
dieser Schwur wird nicht gebrochen
die Stadt wird dann vom Fluche befreit
den im Zorn ich über sie habe gesprochen.
Leos Hände zitterten immer noch, obwohl sein Blick schon längst in eine andere
Richtung abgeschweift war, zum Fenster hinaus auf die Straßen, die dunstig und
rauchverhangen zurück zu starren schienen wie ein betrunkener Gast nach dem
fünften Carinthia Faro Gold. Und wieder stieg die ohnmächtige Wut auf in ihm, auf
Carinthia, die Stadt, die sich für was Besseres hielt, auf das vermaledeite
Hexenweib, welches das Unglück über die Stadt heraufbeschworen hatte, und
letztlich auch auf ihn selbst, der es mit seinem Hochmut und seinem Geiz erst dazu
hatte kommen lassen. Erschöpft schloss er die Augen. Was täte er dafür, könnte er
den Sand der Zeit rückwärts fließen lassen und alles ungeschehen machen, was vor
einem halben Jahr geschehen war. Die Ereignisse vergessen machen, sie einfach aus
dem Gedächtnis der Welt und der Bewohner von Carinthia tilgen, damit alles wieder
so wurde, wie es zuvor gewesen war. Doch das war nur ein Traum, den er jeden
Augenblick seines Lebens vergebens träumte. Denn nur, wenn eintraf, was die Hexe
prophezeite, würde ihr Fluch mit all seinen schrecklichen Folgen seine Wirkung
verlieren. Darum bat er die Götter jeden Tag aufs Neue.
Das Gelächter aus der Haupthalle schwappte laut in seine Küche herüber.
Vielleicht war heute der Tag, an dem alles besser wurde. Dafür ertrug er auch gerne
die Anwesenheit dieser arroganten, von sich selbst eingenommenen, hochnäsigen,
dauerklimpernden, stets geilen Barden, die seit einigen Tagen in seiner Schenke
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untergekommen waren und seitdem seine letzten Vorräte auffraßen, seinen
Weinkeller schamlos plünderten und seine Fiona und selbst seinen Sohn Ranold mit
lüsternen Blicken bedachten, für die sie in besseren Zeiten von ihm mit einer
gehörigen Tracht Prügel aus der Stadt gejagt worden wären. Sei’s drum.
Die Zeiten änderten sich und würden es auch wieder tun. Er überschlug kurz die
Liste der anwesenden Minnesänger. Nur ein Gast fehlte noch, ohne den der
Sängerwettstreit jedoch nicht beginnen konnte. Ein Zimmer war noch frei, gerade
jenes, in dem dieses Miststück von einer Hexe damals gewohnt hatte und das noch
jetzt nach den Früchten ihres Parfums stank, das sie damals auf ihrer Haut getragen
hatte. Er selbst hatte seitdem keinen Fuß mehr dort hineingesetzt und würde es auch
erst wieder tun, wenn der Fluch gebrochen war. Dieser vermaledeite Fluch!
Seine Wut und sein Zorn richteten sich unvermittelt gegen eine Platte mit
Hühnerbeinen, die servierbereit auf einem Tisch in seiner Nähe standen. Mit einem
heftigen Schnaufen wischte er die Platte wutentbrannt vom Tisch und bereute seine
Tat im selben Augenblick. Er wusste genau, was gleich geschehen würde, und
konnte doch den Blick nicht davon abwenden. Mit einem dumpfen Ton schlug das
Silbergeschirr auf dem lehmigen Boden auf und die gebratenen Schenkel verteilten
sich über den ganzen Boden. Er sprang zur Seite, als eines davon in die Nähe seiner
Füße sprang und dort liegen blieb. Mit Ekel und aufsteigender Übelkeit sah er, wie
das frisch zubereitete Fleisch zu faulen begann, Blasen warf und unter übelsten
Ausdünstungen in Bruchteilen von Sekunden vollständig verrottete. Noch nicht
einmal ein Knochen blieb zurück, lediglich ein feiner Staubwirbel, der im nächsten
Moment auch schon vergangen war.
Verfluchte Erde, dachte er schaudernd, nichts gedeiht in ihr und nichts hat
Bestand auf ihr. Das ist der Fluch von Carinthia! Er warf einen letzten Blick auf die
Stelle, auf der gerade noch das Hühnerbein gelegen hatte und dann sah er auf die
Seite in seiner Hand, die immer noch zitterte. In einem kurzen Moment der
Schwäche und der Wut zerriss er das Papier, zerfetzte es in immer kleinere Teile, bis
selbst er nicht mehr einen einzigen Buchstaben entziffern konnte. Welch eine
Genugtuung das doch ist, dachte Leo MacDanold, als er die feinen Papierfetzen zu
Boden fallen ließ, die dort allerdings unbeschadet liegen blieben. Mehr noch, er
wusste genau, dass es, sobald er den Papierresten den Rücken kehrte, nicht lange
dauern würde, bis jene Zeilen säuberlich gefaltet wieder in seiner Brusttasche
steckten, als wäre nichts geschehen. Er seufzte. In Carinthia gab es nur zwei Dinge,
von denen er wusste, dass sie von Bestand waren: der Fluch der Hexe und seine
andauernde Pein. Mit schwerem Schritt machte er sich auf den Weg in den Keller,
um noch mehr Wein für das Bardengesindel heraufzuholen. Er konnte nur hoffen,
dass der letzte Gast noch eintraf, bevor er seine kostbaren selbstgebrauten
Biervorräte anbrechen musste.
***
- 15 -
Ranold sah das Unheil bereits kommen, kurz bevor es geschah. Ein Zucken im
Gesicht des pockennarbigen Mannes in Höhe seines breiten Gürtels warnte ihn
frühzeitig vor der Gefahr, die seiner Hose drohte. Ein kurzes Ächzen erklang und
ein Schwall aus giftgrüner Galle, goldgelbem Bier und Brocken von Brot, Geflügel
und Käse ergoss sich knapp neben seinem Beinkleid in die Binsen. Ein eleganter
Schlenker nach rechts bewahrte Ranold rechtzeitig vor einer langwierigen
Reinigung. Er warf einen kurzen Blick in die Runde. Die meisten Zecher lagen
schon halb mit schwerem Kopf auf dem Tisch, einige andere waren bereits unter die
Tischplatte gerutscht und schliefen in den dreckigen Binsen ihren Rausch aus. Nur
wenigen schien das lange Ess- und Trinkgelage nicht viel zugesetzt zu haben.
Entweder hatten sie sich bewusst zurückgehalten und waren wie die etwas
namhafteren Barden bereits früh auf ihr Zimmer verschwunden oder sie vertrugen
einfach mehr als die anderen. So wie der junge blonde Kerl am Ende des langen
Tisches, der relativ aufrecht auf seinem Stuhl saß und ihm, als er seinen Blick
bemerkte, mit seinem Humpen zuprostete und ihn offen anlächelte. Ranold bleckte
die Lippen und lächelte zurück. Er zwang sich, seinen Blick nicht zu oft in des
Sängers Richtung schweifen zu lassen, doch der kurze Augenkontakt mit dem
blonden Barden hatte genügt, um ihm zu signalisieren, dass ein Interesse durchaus
vorhanden war. Der Barde würde heute Nacht nicht allein zu Bett gehen, so viel war
sicher, und er auch nicht.
Fiona räumte die letzten halb vollen Humpen von den Tischen ab, um ihren
Inhalt in der Küche zurück in ein großes Fass zu schütten, das für diesen Zweck
extra gekennzeichnet war. So betrunken wie die meisten waren, würden sie beim
nächsten Gelage ohnehin nicht mitkriegen, dass ihr Getränk bereits einmal in einen
Humpen geflossen war und dann wieder ausgeschenkt wurde. Einen Moment hielt
sie inne und gähnte herzhaft. Kurz entschlossen stellte sie das letzte Tablett auf
einen Tisch in der Küche, nestelte die Schürze von ihren Schultern und verstaute sie
im Schrank. Ranold bediente im Schankraum die letzten noch aufrechten Barden
und jene, die sich dafür hielten. Sicherlich kam er mit den wenigen auch allein
zurecht.
»Ranold, ich mach dann mal eine Pause, wenn du nichts dagegen hast!« Sie
tippte ihrem Bruder auf die Schulter, doch der beachtete sie zunächst nicht. Schnell
erkannte sie, was oder vielmehr wer gerade die volle Aufmerksamkeit ihres Bruders
in Anspruch nahm, und sie lächelte nachsichtig. »Sieh nur zu, dass Vater nichts
merkt«, raunte sie ihm zu. »Der hat schließlich auch Augen im Kopf, selbst wenn er
sie gerade nicht benutzt.
Aber eines muss man dir wirklich lassen, Bruderherz, Geschmack hast du ja!«
Nun wandte sich Ranold doch zu ihr um. Er grinste verlegen.
»Wenn du Vater nichts sagst, wird er es schon nicht merken.«
»Wo denkst du hin, Bruderherz?« Sie versiegelte mit zwei Fingern ihre Lippen
und warf einen unsichtbaren Schlüssel über ihre Schulter.
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»Zum Glück hat er gerade andere Sorgen, denn sonst würde er deine Avancen
ohne Zweifel sehen, die du den Gästen machst.« Sie warf einen genaueren Blick auf
den blonden Barden, der sie beide unter halb geschlossenen Augenlidern
beobachtete. »Er erinnert mich ein wenig an Gerold, deinen Freund seit
Kindesbeinen. Was meinst du, wo der wohl nun sein mag? Seitdem so viele Freunde
und Bekannte die Stadt verlassen haben, ist es hier schon ein wenig einsam
geworden ... Ich hoffe nur, dass Vaters Hoffnungen sich erfüllen werden und die
Stadt bald wieder so lebendig und fröhlich wird, wie sie es früher einmal war! Wer
weiß, vielleicht kehrt dann ja auch dein Gerold wieder zurück.«
Sie knuffte ihrem Bruder lachend in die Seite, doch der schnaubte nur. Seine
Augen jedoch sprachen eine ganz andere Sprache. Einen Moment lang glomm dort
ein Funken Hoffnung auf, gepaart mit einer Spur Wehmut. Fiona lächelte innerlich.
Sie hatte es doch immer geahnt, dass da zwischen Gerold und ihrem Bruder mehr
gewesen war als nur Freundschaft. Doch bereits im nächsten Augenblick übertrug
sich Ranolds wehmütige Stimmung auch auf sie. Fiona erinnerte sich plötzlich
wieder daran, warum sie eigentlich eine Pause einlegen wollte.
»Oh verflixt, ich wollte ja noch … Ranold, wie spät ist es?«
»Nach dem Stand der Sonnenstrahlen ist es gerade Mittagszeit«, antwortete der
und griff mit einer Hand in den vollen Haarschopf eines weggetretenen Zechers am
Tisch vor ihm, hob diesen kurz prüfend an und ließ ihn dann zurück auf dessen
Arme fallen. Ein langer Speichelfaden wurde sichtbar. Der Barde grunzte kurz,
erwachte aber nicht.
»Nun, nicht dass es für diese Säufer hier irgendeinen Unterschied machen
würde, welche Tageszeit wir gerade haben ...«
»Hast du Cailin heute schon gesehen? Wir wollten uns am Vormittag in der Stadt
treffen, aber ich habe die Zeit ganz vergessen. Hoffentlich habe ich ihn nicht
verpasst …«
»Nein, Cailin habe ich heute noch nicht zu Gesicht bekommen.« Ranold bleckte
die Lippen und grinste. »Glaub mir, daran würde ich mich sicher erinnern!«
Fiona lachte.
»Oh, du solltest nicht einmal daran denken, Bruderherz! Cailin ist verbotenes
Gebiet für dich, verstanden?«
»Höre ich da eine Spur von Eifersucht und Angst in deiner süßen Stimme,
Schwesterherz? Keine Sorge, Cailin ist dir sicher. Ich finde ihn, nun ja, etwas zu
feminin … Aber wer darauf steht!«
Fiona schnaubte lauthals und sah sich nach einem losen Gegenstand um, den sie
ihrem Bruder, der schon vorsorglich lachend Deckung suchte, an den Kopf werfen
konnte, ohne ihn ernsthaft zu verletzen, fand aber zu seinem Glück nichts, was nicht
gerade in Gebrauch gewesen wäre. Ihr kleiner Wutanfall verrauchte allerdings
ebenso schnell, wie er gekommen war und schließlich lachte auch sie.
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»Bevor ich es vergesse, Schwesterherz … Einer der Barker-Zwillinge war vorhin
hier und hat eine Nachricht für dich gebracht. Vielleicht solltest du sie an dich
nehmen, bevor du gehst.«
Der Zettel war mehrfach gefaltet und mit einigen Tropfen von dunkelrotem
Wachs versiegelt. Sie erkannte das Zeichen in der roten Masse sofort. Zwei einander
umkreisende Phönixe: Cailins Zeichen!
Rasch öffnete sie das Siegel und überflog die wenigen Zeilen.
»Dieser Idiot«, fluchte sie leise.
»Schlechte Nachrichten?«
Mit abwesendem Blick zerknüllte Fiona die Nachricht mit ihrer Hand, bis das
zerbrochene Wachs zwischen ihren Fingern hindurch zu Boden rieselte.
»Wie man es nimmt«, antwortete sie. »Cailin will sich mit mir vor der Stadt auf
dem Feld treffen ... und zwar jetzt zur Mittagszeit … dieser Narr!«
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, stopfte sie Cailins Botschaft in ihre
Rocktasche und verließ raschen Schrittes den »Roten Löwen«.
»Oje Fiona«, murmelte Ranold. »Das scheint heute nicht dein Tag zu sein. Ich
hoffe nur für dich, dass du Cailin nicht erst aus den Klauen einer Konkurrentin
reißen musst …«
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Kapitel III
Der Kampf gegen das Licht
M
it wenigen Schritten erreichte Geralt den Wallach seines Begleiters und
schüttelte den Barden so ungestüm, dass Rittersporn – dergestalt abrupt
aus dem Schlaf gerissen – beinahe von seinem Pferd gefallen wäre.
»Schnell, Rittersporn! Die Augengläser! Ich habe keine Zeit für lange
Erklärungen …«
»Was zum Henker …?« Schlaftrunken rieb sich der Barde die Augen und hielt
sich mit Mühe auf seinem Reittier. Es dauerte einen Augenblick, bis der Barde
erkannte, dass er nicht mehr in dem übergroßen Himmelbett neben den drei
entzückenden Musen lag, die, nachdem er vor einem erlesenen Publikum einige
seiner größten Balladen zum Besten gegeben hatte, unbedingt darauf bestanden
hatten, ihn persönlich etwas näher kennenzulernen. Eben noch hatte eine dralle
Blondine mit einem entzückenden Sprachfehler damit begonnen, mit ihren langen
zärtlichen Fingern seine nackte Brust zu streicheln, während eine gelenkige
Brünette verführerisch an seinen Ohrläppchen knabberte und eine wilde Rothaarige
mit umwerfenden grünen Katzenaugen seine Zehen massierte … und zwar mit ihrer
Zunge! Und jetzt wurde er plötzlich unsanft aus diesem Paradies in die harte
Realität zurückgerissen, und anstatt der zärtlichen feingliedrigen Finger der
Blondine spürte er nun die behaarte schwielige Pranke Geralts auf seiner Brust, der
ungestüm seine Taschen durchforstete.
»Geralt!« Rittersporn fluchte unflätig. »Welcher Teufel reitet dich jetzt schon …
Pass doch auf! Mein Wams!«
Mit einem lauten unangenehmen Ratsch riss die Naht von einer der unzähligen
Taschen auf Rittersporns taubenblauem Wams. Doch das scherte Geralt nur wenig,
denn er hielt längst in der Hand, was er gesucht hatte: die dunklen Augengläser des
Barden. Ungläubig starrte Rittersporn auf das zerstörte Stück Stoff auf seiner Brust.
»Verdammt, Geralt, schau dir an, was du angerichtet hast! Hast du eine Ahnung
davon, was so ein Wams in Wyzima kostet …?«
Der Hexer hörte den Barden schon längst nicht mehr. Ohne weitere Zeit zu
verlieren hatte er sich die Bügel der Augengläser über die Ohren geschoben und
eilte nun mit gezogenem Silberschwert Mondklinge unter lautem Gebrüll auf zwei
Menschen zu, die auf dem Feld vor ihnen einen wirbelnden Reigen zu einer nicht
hörbaren Melodie tanzten.
»Nun dreht er vollkommen am Rad«, murmelte Rittersporn kopfschüttelnd, bis
er schließlich erkannte, was da wirklich vor seinen Augen geschah.
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»Bei Melitele und allen Heiligen!« Seine Nackenhaare sträubten sich, doch er
konnte den Blick weder von der Mittagserscheinung, die auch er zunächst für eine
junge Maid gehalten hatte, noch von dem Jüngling abwenden, der so leichtfertig
gewesen war, sich zu dieser Tageszeit an diesem Ort aufzuhalten und der nun den
Preis für seine Unbedarftheit zahlte. Nun verstand er auch, wem Geralts lautes
Schreien galt. Da Mittagserscheinungen nur leblose Schatten waren, können sie
weder mit den Lebenden reden noch hören, was sie sagen. Diese Tatsache war auch
der Grund, warum alles Flehen und Betteln eines Unglücklichen, der einmal in ihre
Fänge geriet, von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Geralt versuchte die
Aufmerksamkeit des Jünglings auf sich zu ziehen, dessen angstgeweitete Augen
bislang auf dem ledrigen Teint seiner Tanzpartnerin gebannt waren.
»Hey, Bursche!«, hörte Rittersporn Geralt brüllen. Einen kurzen Augenblick
zeigte der junge Mann keine Reaktion, denn zu sehr hielt ihn die Angst gefangen,
als dass er irgendetwas anderes wahrgenommen hätte. Doch nach einem weiteren
Ruf Geralts, begleitet von einem so deftigen Fluch, dass selbst dem Barden die Röte
ins
Gesicht schoss, drehte der Bursche seinen Kopf während einer weiteren
Drehung beim Tanz in die Richtung des Hexers. Ein kurzer Augenkontakt zeigte
dem Hexer an, dass er verstanden worden war. Hilf mir! hatte er in diesen Augen
lesen können. Und genau das würde er jetzt auch tun.
»Wenn ich ›Jetzt!‹ rufe, wirst du deinen kleinen Arsch gefälligst aus der Sonne
bewegen, verstanden? Versteck dich im Schatten oder klettere auf einen Baum, aber
komm mir ja nicht in die Quere!«
Der Junge nickte unmerklich. Geralt war bereits bis auf zwei Schritte an das
ungleiche Paar herangekommen, als er mit dem Silberschwert ausholte und nach
einer weiteren Drehung der Tanzenden den ersten Schlag gegen die
Mittagserscheinung führte. Der Hieb traf sie genau auf dem Schulterblatt und mit
einem schrillen unirdischen Schrei ließ sie von ihrem Opfer ab, um sich der
Bedrohung zu stellen, die sie bislang nicht hatte kommen sehen.
»Jetzt! Verdammt, hau ab oder willst du, dass ich dir versehentlich die Rübe von
den Schultern haue?!«
Das ließ sich der Jüngling nicht zweimal sagen. Nachdem die Angststarre von
ihm abgefallen war, spurtete er hurtig wie ein Hase los und war nach wenigen
Augenblicken aus Rittersporns Blickfeld verschwunden. Dessen Aufmerksamkeit
war allerdings auch viel mehr von dem Kampf gefesselt, der nun zwischen Geralt
und dem Geschöpf aus dem Schattenreich entbrannte. Mittagserscheinungen, so
glaubte der Barde sich recht zu erinnern, waren im Grunde genommen keine
schweren Gegner. Was sie jedoch so gefährlich werden ließ, waren zum einen der
Ruf und die Legenden, die sich um sie rankten und die jeden vor Angst und
Ehrfurcht erstarren ließ, der einer solchen Erscheinung begegnete.
Zum anderen besaß die Mittagserscheinung eine Fähigkeit, die einen Kampf,
sofern man bereit und Willens zu einem solchen war, zu einem tödlichen Spiel
wandelte, bei dem stets die Bank gewann: Sie fing die Strahlen der gleißenden
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Sonne, um sie gegen ihren Gegner zu richten, der – dergleichen geblendet – ihren
weiteren Attacken solange hilflos ausgeliefert war, bis er wieder etwas sehen
konnte.
Die Augengläser! Nun verstand Rittersporn, warum der Hexer so erpicht darauf
gewesen war, seine neueste Errungenschaft in die Hände zu bekommen. Sie wehrten
das Licht ab, welches die Erscheinung nun unablässig gegen Geralt zu schmettern
begann. Viel konnte der Barde nicht erkennen, lediglich ein stetes Aufflammen von
grellem Licht und das Aufblitzen von Silber in der Sonne. Zu schnell gerieten die
Bewegungen des Paares, das nun einen neuen Tanz nach den Regeln des Hexers
vollführte. Moment mal! Sogleich fiel Rittersporn etwas ein.
Mit einem sicheren Griff in eine seiner unbeschädigten Taschen, und ohne seine
Augen von dem Geschehen abzuwenden, förderte er ein weiteres Paar Gläser
zutage. Wie hatte ich die nur vergessen können?!
Flink setzte er die dunklen Gläser auf, und seine Sicht auf die Ereignisse änderte
sich sogleich. Welch eine Anmut, was für eine Schnelligkeit!
Das musste das Auge des Addan, der feurige Tänzer sein, der Kampfstil, von
dem Rittersporn bereits so viel gehört hatte, den er aber bislang in natura noch nie
zu Gesicht bekommen hatte, da er entweder nicht anwesend oder – wenn doch –
mehr damit beschäftigt gewesen war, sich in Sicherheit zu bringen. Nun jedoch
konnte er sich vollkommen dem Schauspiel widmen, das sich dort vor seinen Augen
entfaltete und Geralts Schwertkunst mit all ihren Finessen ungefährdet genießen.
Mit der Anmut und Wendigkeit eines geschmeidigen Raubtieres umkreiste Geralt
unablässig seine Gegnerin, die stets bemüht war, ihn mit Licht zu blenden, was
seine Augengläser jedoch bereits im Ansatz verhinderten. Die Bewegungen der
beiden wurden immer schneller und die Mittagserscheinung immer wütender. Einen
Moment lang hörte er Geralt sogar lachen. Verdammt, dem Schweinehund machte
der Kampf ja richtig Spaß!
Rittersporn grinste. Das geschah ihr ganz recht!
Stets aufs Neue wurde sie von Geralts Schwert Mondklinge getroffen: auf der
Schulter, den Beinen, auf dem linken Arm, dem Rumpf, einfach überall und es gab
nichts, was sie seinen schnellen und präzisen Schlägen entgegenzusetzen
vermochte. Ein Hieb zertrennte gar einen der beiden Riemchen, die das dünne
Leinenkleidchen auf ihrer Schulter hielt. Einen Moment später fiel der zweite und
das Kleid rutschte bis auf ihre Knöchel herab. Doch das bemerkte sie erst, als sie
einen raschen Ausfallschritt auf Geralt zu machen wollte. Vollkommen entblößt
stolperte sie über das helle Stück Stoff und stürzte schließlich zu Boden. Nun, so
ganz stimmte das nicht. Sie schlug nicht auf der Erde auf, sondern schwebte immer
noch ein kurzes Stück über dem abgeernteten Feld, wie Rittersporn fasziniert
beobachtete.
Wenn ich sie wäre, schoss es dem Barden durch den Kopf, würde ich mich jetzt
zu Tode schämen! Oh, sie war ja bereits tot! Er schmunzelte.
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»Geralt, komm zum Schluss und versetz der alten Lederhaut endlich den
Gnadenstoß! Dir macht der Kampf eindeutig zu viel Spaß! Und ich habe Hunger!«
Geralt lachte laut auf und baute sich neben der über dem Boden schwebenden
Mittagserscheinung auf, die keinen Widerstand mehr leistete.
»Genau das habe ich vor, mein Freund! Ich bereite jetzt dieser Farce ein
Ende …«, sagte er und sah zu der Erscheinung hinab. »Du hättest dir besser ein
anderes Feld für dein Mittagstänzchen aussuchen sollen, denn nun tanze ich den
letzten Schritt für dich!« Er vollführte eine gewandte Drehung um die eigene Achse,
während der er sein Schwert in die Höhe wirbeln ließ, um es am Ende der
Bewegung mit einem schnellen heftigen Stoß tief in den Rumpf der
Mittagserscheinung zu versenken. Ein letzter unirdischer Schrei erklang und es war
endlich vollbracht. Sorgfältig reinigte Geralt das Schwert von Ektoplasma und
Todesstaub und füllte beide Ingredienzien jeweils in eine kleine Phiole. Dann
verstaute er Mondklinge wieder in der für sie vorgesehenen Schwertscheide, lief
über das Feld zurück und trat an Rittersporn heran.
»Hier hast du deine Augengläser zurück.« Er streckte dem Barden das Gestell
entgegen, der naserümpfend die verbogenen Bügel betrachtete. Geralts Schädel
hatte nun mal ganz andere Proportionen als sein eigener.
»Nicht nötig, behalte sie ruhig«, lehnte er dankend ab und wies auf sein eigenes
Paar, das auf seiner Nase thronte.
»Vielen Dank, ich weiß deine Großzügigkeit zu schätzen, Rittersporn! Ich bin
mir sicher, dass diese ... wie nennt man diese Konstruktion eigentlich?«
Rittersporn zuckte unwissend mit den Schultern.
»Nun ich bin mir sicher, dass mir diese ... diese Sonnenbrille bestimmt in
Zukunft noch gute Dienste leisten wird. Also Rittersporn, bist du bereit für den
letzten Rest des Weges? Nur noch wenig trennt uns von unserem Ziel und all dem,
was uns dort erwartet! Lass uns aufbrechen, nach diesem Kampf dürstet es mich
nach einem gut gebrauten Bier und einem anständig durchgebratenen Stück Fleisch
zwischen den Zähnen!«
Wie zur Bestätigung knurrte und rumpelte es und es war diesmal nicht des
Barden Magen, der diese Geräusche hervorbrachte. Besänftigend legte Geralt eine
Hand auf seinen Bauch. Sie sahen sich an und lachten.
»Von mir aus gern, Geralt. Doch sag mir, wo ist eigentlich der junge Mann
geblieben, den du aus den Klauen der Kreatur gerettet hast?«
»Der ist mit Sicherheit schon längst über alle Berge, mein Freund.«
Geralt schwang sich auf den Rücken von Plötze und blickte in Richtung Stadt,
dann setzte er sich in Bewegung. Der Barde folgte ihm maulend.
»Nun, er hätte wenigstens soviel Ehre und Anstand im Leib haben können, um
sich zumindest kurz bei dir zu bedanken!«
Geralt wandte sich um. Auf seinen Lippen erschien ein wissendes Lächeln.
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»Ich denke, wir werden den jungen Mann heute nicht zum letzten Mal gesehen
haben. Ich habe so eine Vorahnung, was ihn betrifft. Keine Begegnung im Leben ist
purer Zufall, Rittersporn, merke dir diese Worte gut!«
- 23 -
Kapitel IV
In der Stadt
E
s gab drei Sorten von gehörnten Ehemännern, und Rittersporn kannte so gut
wie jede von ihnen bestens, inklusive der diversen Abstufungen und
Unterarten. Wenn man so im Lichte der Öffentlichkeit und des Interesses des
überwiegend weiblichen Geschlechts stand wie er – wenn man von den wenigen
verwirrten Kerlen absah, die ihm während seiner Auftritte ungefragt ihre
Strumpfhosen und Zettel mit durchweg unanständigen Angeboten zuwarfen – dann
blieb es seiner Meinung nach kaum aus, dass man hin und wieder ein gebrochenes
Herz und so manchen cholerischen Ehemann hinter sich ließ, sobald man der Stadt
den Rücken kehrte.
Gehörnter Ehemann Nummer eins war der Typ Mann, der vorgab, nichts von den
amourösen Abenteuern seiner besseren Hälfte zu wissen oder diese geflissentlich
übersah, da er selbst kein unbeschriebenes Blatt und in den Hurenhäusern der Stadt
so bekannt war, dass er dort bereits Rabatt bekam. Dieser Schlag Ehemann war
Rittersporn der liebste, denn er bereitete die wenigsten Probleme und sicherte so
ohne übertriebene Hast seinen unversehrten Abzug aus der Stadt.
Bei Ehemann Nummer zwei sah dies schon etwas anders aus. Dieser Typus
gehörte zu der Sorte »extrem eifersüchtig« mit einer Prise »Choleriker« und dem
latenten Hang zur körperlichen Gewalt. Letzteres hauptsächlich gegen andere und
nur in ganz seltenen Fällen auch gegen die eigene Frau, doch nur, wenn sie es in
seinen Augen auch wirklich verdient hatte. Bei dieser Art Ehemann war es durchaus
ratsam, nicht einmal ansatzweise in den Verdacht zu geraten, dass man irgendein
noch so geringes Interesse an den weiblichen Reizen der Frau hatte, die dieser sein
Eigen nannte. Selbst ein Blick konnte schon zu viel sein und Rittersporn war stets
darauf bedacht, solchen Frauen im Publikum, die eindeutig in Begleitung ihrer
meist grobschlächtigen Männer waren, nicht allzu viel Aufmerksamkeit zu
schenken. Stattdessen blickte er zu irgendeiner jungen, verführerischen Maid, die
seiner Meinung nach ganz ohne Zweifel allein zu der Vorführung seiner hohen
Kunst erschienen war. Von denen gab es reichlich und sie waren meist mehr als
willig. Sie waren zwar nicht verheiratet, hatten aber bedauerlicherweise oft einen
äußerst rabiaten Vater, der – wie er schon leidvoll feststellen durfte – nicht minder
gefährlich war wie ein hintergangener Ehemann.
Die Nummer drei war jedoch der Gefährlichste von allen. Es war der Typ Mann,
der etwas besaß, das die anderen beiden nie haben oder nur unter schwersten
Anstrengungen jemals erlangen würden: Macht und Ansehen. Zu diesen zählten
Büttel und Vögte, Richter und hochstehende Kaufleute und nicht zuletzt auch die
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Männer von Adel, ganz gleich ob von geringer oder hoher Abstammung. Je höher
man die Ränge und Stammbäume dieser Männer hinaufklettern konnte, umso
interessanter waren jedoch auch die Begleiterinnen, mit denen sich diese zu
umgeben pflegten. Die reizvollsten und begehrenswertesten Frauen, denen der
Barde jemals zu begegnen die Ehre hatte, waren gerade diejenigen gewesen, an
denen er sich im Ernstfall nicht nur die Finger verbrennen würde, sondern die ihn
ohne Mühe leicht den Kopf kosten konnten. Und Rittersporn hing sehr an seinem
Kopf, wie man sich gut denken kann. Dies war auch der Grund, warum Rittersporn
um diese Frauen einen großen Bogen zu machen pflegte, mit Ausnahme von einer:
seinem geliebten Wieselchen.
Hierbei handelte es sich um niemand Geringeres als die Herzogin von Toussaint,
mit der ihn eine längere Liaison verbunden hatte, die von tiefer Innigkeit und
heißem Begehren beiderseits gekennzeichnet gewesen war. Zum Glück hatte ihr
Ehemann die beiden nie in flagranti erwischt und war erfreulicherweise einem
Schlaganfall erlegen, bevor er seine Drohung wahrmachen und Rittersporns Herz
Anna Henrietta gebraten und gesotten servieren konnte, nachdem ihm von dritter
Seite doch noch die Kunde von der Liebschaft seiner Frau zugetragen worden war.
So verdankte es Rittersporn hauptsächlich gehörntem Ehemann Nummer zwei,
wenn er eine Stadt zumeist fluchtartig und oft mit den Beinkleidern auf Halbmast
verlassen musste, sofern er nicht eine gehörige Abreibung riskieren wollte, die oft
mit leichten bis mittelschweren Blessuren am ganzen Körper einhergingen. Nicht
selten hatte er bereits eine Hatz durch die engen Gassen und Straßen etlicher Städte
erlebt, während der er von rasenden Ehemännern verfolgt wurde, die mit großen
Knüppeln oder Heugabeln auf ihn losgingen und den blutunterlaufenen Augen
zufolge nach nichts anderem trachteten, als ihm den Garaus zu machen.
Einmal schoss ein Mann sogar mit einer dieser neumodischen Musketen auf ihn,
war aber zu seinem Glück zu betrunken gewesen, um mehr zu treffen als zwei große
Weinfässer und den Hund des Stadtvogtes, der das Pech hatte, sein Bein gerade just
in dem Moment gegen eine Hauswand zu heben, als besagter Ehemann erneut
zielte, leicht ins Straucheln geriet und versehentlich den Köter über Kimme und
Korn recht unerwartet in den Hundehimmel katapultierte, bevor dieser auch nur mit
der Wimper zucken konnte, geschweige denn ein letztes Mal pissen.
Ein ebenso zwiespältiges Verhältnis pflegte der Barde zu den Stadtwachen. Nur
gelegentlich verließ er in einer brenzligen Situation, wenn also sein Schwanz wieder
einmal mehr Blut beansprucht hatte als sein Gehirn, die Stadt durch ein bewachtes
Tor, da die Wachen davor kaum Mitgefühl mit einem Ehebrecher und Schürzenjäger
aufbrachten, besonders wenn es dazu noch ein Fremder war. Seitdem Rittersporn
einmal von dem Gatten und zusätzlich von den Stadtwachen, die sich auch noch als
nahe Blutsverwandte des betrogenen Mannes zu erkennen gegeben hatten, das
Wams ordentlich durchgewalkt bekam, während er selbst noch im besagtem
Kleidungsstück steckte, hielt er stets bei jedem Eintreffen in einer neuen Stadt
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bereits Ausschau nach einer geeigneten Fluchtroute, auf der er diese ohne größere
Mühe und vor allem ungesehen verlassen konnte.
So schweifte sein Blick auch bei ihrer Ankunft in Carinthia flink über Mauern
und Zinnen und blieb schließlich am Tor hängen.
»Das muss ein schlechter Witz sein!«, murmelte er fassungslos.
Das Tor von Carinthia wies im Vergleich zu ähnlichen Befestigungen
vergleichbarer Städte zwei eindeutige Mängel auf, die ihm sofort ins Auge fielen.
Zum einen war das Stadttor nicht besetzt. Keine Wache in schimmernder Rüstung
war zu sehen, die peinlichst genau darauf achtete, dass nicht irgendein
unerwünschtes Gesindel Einlass in die Mauern der Stadt erlangte. Eine einsame
Hellebarde lehnte an der Außenmauer der Stadt, doch wie der Grad des Befalls mit
Rost vermuten ließ, stand sie dort schon längere Zeit ungenutzt. Sei’s drum, dachte
der Barde, ein Detail weniger, um das ich mir im Notfall Sorgen machen muss.
Zum anderen jedoch, und das machte Rittersporn wahrhaft sprachlos, war das
Stadttor selbst in einem erbärmlichen Zustand. An manchen Stellen faulig und vom
Feuer schwarz versengt ragte die eine Hälfte des Tors weit offen in die Stadt hinein,
während die andere gerade noch so an einem Torzapfen hing und lediglich auf die
nächste Erschütterung zu warten schien, die sie gänzlich aus den Angeln stürzen
lassen würde. Nach einem Tag der offenen Tür sah das hier nun wahrlich nicht aus.
Rittersporn blieb nicht viel Zeit, um darüber nachzudenken, ob dies verlotterte Tor
einen Grund zur Sorge bot oder eher seinen Neigungen und möglichen
Konfrontationen mit der männlichen Bevölkerung dieser Stadt zugute kommen
würde, denn Geralt drängte ihn zur Eile.
»Halt keine Maulaffen feil, Rittersporn!«
Geräuschvoll zog Geralt etwas Rotz hoch und spie ihn mit einer eleganten
Drehung seines Kopfes in Richtung Torflügel. Ein leises Knirschen erklang und
dann ging alles relativ schnell. Mit einem metallischen Kreischen löste sich der
letzte Halt des Torflügels aus seiner Verankerung, als der Batzen aus festem
Schleim, etwas Flugsand und Nasenhaaren gegen das morsche Holz prallte. Die
Eichenbalken zitterten kurz aber heftig und dann stürzte der Flügel mit einem
ohrenbetäubenden Krach zu Boden. Geralt verschwand in einer dichten Wolke aus
weißgrauem Staub und Schmutz.
»Verdammte Scheiße!«, hörte Rittersporn ihn fluchen. Der Barde schüttelte nur
ungläubig den Kopf und hielt sich rasch ein seidenes Tüchlein vor Mund und Nase,
bevor die riesige Wolke ihn erreichte.
»Wie schon gesagt: Das muss ein schlechter Witz sein! Ein verdammt
schlechter!«
Zum ersten Mal seit dem Beginn ihrer Reise in Tretogor beschlich den Barden
ein mulmiges Gefühl. Es sollte nicht das letzte Mal sein.
Zur selben Zeit beschlich Fiona ähnlich wie unseren geschätzten Barden Rittersporn
ein nicht weniger mulmiges Gefühl, wenn auch aus ganz anderen Gründen.
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Es schauderte sie ein wenig, als sie durch die verlassenen Straßen von Carinthia
eilte. Nur ab und an sah sie aus den Augenwinkeln heraus den einen oder anderen
Kopf aus einem Fenster lugen, der jedoch meist rasch verschwand, sobald die
Fensterläden mit lautem Schwung zugeschlagen und von innen verriegelt worden
waren. Nein, dies war nicht mehr die Stadt, in der sie aufgewachsen war und eine
glückliche Kindheit verlebt hatte. In der Luft lag der Geruch nach Tod und
verbranntem Fleisch, nach kokelndem Holz und anderen Gerüchen, die sie nicht
genauer bestimmen konnte und sie verspürte auch kein sonderlich großes Verlangen
danach, dies zu tun.
Cailin! Dieser Idiot! Welcher Teufel hatte ihn nur geritten?
Fiona spürte eine heiße Welle aus Wut, Verzweiflung und einem Quäntchen
Enttäuschung langsam aus den Tiefen ihrer Eingeweide nach oben steigen und sie
wusste genau, was gleich passieren würde.
»CAILIN!« Der Schrei brach aus ihr heraus, obgleich sie ahnte, dass er sie
wahrscheinlich gar nicht hören konnte, denn das Feld vor den Mauern der Stadt war
noch einige winklige Gassen und Seitenstraßen entfernt. Trotzdem verspürte sie
danach eine gewisse Erleichterung.
Wenn ich dich in die Finger kriege, dann … dann kannst du was erleben, dass du
dir wünschst, du wärst besser einem dieser verdammten Tausendfüßler oder einer
Wyvern in die Hände gefallen als mir!
Die Wut in ihr verrauchte allmählich und im nächsten Moment lachte sie
schallend.
»CAILIN! WO BIST DU?«
»Was schreist du denn so laut, dummes Ding?!«
Fiona fuhr erschrocken herum. Erst jetzt erkannte sie, dass sie nicht ganz allein
auf Carinthias Straßen war. Aus einer der unzähligen Seitenstraßen kam von ihr
unbemerkt ein unförmiger Handkarren gepoltert, der von einer uralten,
verschrumpelten Vettel gezogen wurde, die viel zu klein und kraftlos erschien für
dieses Ungetüm von Fahrzeug. Bunte Bänder flatterten an den oberen
Holzverstrebungen und die nur notdürftig bedeckten Auslagen gaben den Blick frei
auf allerlei Krämersachen und andere große und kleine Dinge des täglichen
Gebrauchs. Unter der stramm sitzenden Haube lugten ein Paar listige blassblaue
Augen hervor inmitten von unzähligen Runzeln und Falten, die das Leben im Laufe
der Jahre in das Gesicht der Alten gezeichnet hatte.
Rumpelnd kam der Karren zum Stehen. Langsam reckte die Alte die Arme und
drückte krachend ihren Oberkörper durch, bis sie soweit aufrecht dastand, wie der
von jahrelanger harter Arbeit geschundene und gebeugte Körper dazu noch
imstande war.
»Ach, Ihr seid es, Grid Mole!«
Die alte Grid Mole, denn diese war es, lächelte schief und entblößte einige
schwarz verfärbte Zahnstummel, bei deren Anblick es Fiona grauste. Sie kannte die
alte Krämerin lediglich vom Sehen. Keiner in der Stadt wusste genau, woher die
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alte Grid stammte und ob dies überhaupt ihr richtiger Name war. Einmal hatte sie
ein paar bunte Bänder für ihr Haar bei ihr erstanden. Cailin hatte daraufhin für sie
von seinen wenigen Münzen einen kleinen Handspiegel gekauft, damit sie selbst
jederzeit sehen konnte, wie gut ihr die Bänder zu Gesicht standen. Eines Tages war
die alte Grid einfach mit ihrem alten Karren durch das Tor gekommen und hatte ihre
Waren das erste Mal feil geboten. Wenn Fiona es recht bedachte, war sie kurz nach
dem unerfreulichen Vorfall im »Roten Löwen« in der Stadt aufgetaucht. Sie kam
und ging wie es ihr passte. Manchmal blieb sie einige Wochen unauffindbar, um
kurze Zeit darauf wieder durch die Straßen zu ziehen, als wäre sie nie fort gewesen.
Das Angebot auf ihrem Stand jedoch blieb immer dasselbe und Fiona hatte sich
schon oft gefragt, wo und zu welchem Zweck die alte Vettel die Zeit außerhalb der
Stadtmauern verbrachte. Zum Einkauf neuer Waren zumindest nicht, soviel war
sicher.
»Du bist die Kleine vom alten Löwenwirt!«
Eine Feststellung. Keine Frage.
»Ich sehe, du trägst noch immer die himmelblauen Bänder, die ich dir verkaufte!
Bist ein lecker junges Ding! Warum schreist du so nach deinem Liebsten?«
»Cailin ist doch nicht mein Liebster!«, rief Fiona etwas zu heftig und schlug den
Blick verschämt zu Boden. Ihre errötenden Wangen straften ihre Worte Lügen. Grid
grinste wissend.
»Einer alten Seele wie mir machst du nichts vor, junges Ding. Natürlich ist der
weizenblonde Jüngling mit den blauen Katzenaugen dein Liebster! Ach ...«, seufzte
sie wohlig, »wenn ich noch eine junge hübsche Maid wäre wie du, dann wäre dein
Cailin aber so was von fällig, hihi!« Aufmunternd zwinkerte sie Fiona zu und einen
Augenblick lang schien sie wesentlich jünger zu sein, als ihr altes verrunzeltes
Gesicht Fiona es weiszumachen versuchte.
»Nun mach nicht so ein bedröppeltes Gesicht, Mädel! Ich bin doch viel zu alt für
deinen Hübschen! Suchst du ihn? Vor einigen Minuten hab ich ihn noch durchs
große Tor in die Stadt rennen sehen ... Sicher weißt du, wo er sich versteckt, wenn
er nicht gefunden werden will, nicht wahr?«
»Ihr habt ihn tatsächlich gesehen, gute Frau?«
»So wahr ich die alte Grid Mole bin!« Sie hob zwei Finger und zog sie in einer
Geste des Schwurs über ihre flachen Brüste. Mit einem Jauchzen umarmte Fiona die
alte Krämerin.
»Ich danke Euch! Ihr wisst ja gar nicht, wie sehr Ihr mir gerade geholfen habt,
gute Grid!«
Ohne eine Antwort abzuwarten, löste sich Fiona rasch von der Alten und stürmte
davon. Sie wusste in der Tat, wo Cailin jetzt war und das war die beste Nachricht,
die sie an diesem Tage bekommen hatte. Die alte Grid Mole sah ihr noch eine Weile
mit gleichgültiger Miene nach, richtete sich anschließend zu voller Größe auf und
strich eine kastanienfarbige Locke, die sich vorwitzig unter der Haube
hervorgestohlen hatte, zurück an ihren Platz. Dann lächelte sie.
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»Natürlich weiß ich das, Fiona«, murmelte Grid. »Es wurde ja auch mal Zeit,
dass die ganze Angelegenheit ins Rollen kommt! Lange wird es nun nicht mehr
dauern, da bin ich mir sicher …«
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Kapitel V
Der Rote Löwe
G
eralt …« Rittersporn stöhnte.
»Na, bist du endlich aufgewacht?«
»Hast du dir die Nummer des Marktkarrens gemerkt, der mich zu Boden
gestreckt hat? Ich fühle mich, als hätten mich mindestens zwei davon mit voller
Wucht erwischt … Geralt … was ist passiert? Bei Melitele … ich kann nichts mehr
sehen, Geralt! Ich bin blind …!« Der Barde fuchtelte mit den Händen um sich
tastend herum.
Geralt knurrte nur.
»Willkommen im Club, Rittersporn! Doch sei beruhigt, Freund, die Blindheit ist
lediglich vorübergehend und wird mit der Zeit vergehen. Du warst eine ganze
Zeitlang bewusstlos …«
Der Barde stöhnte erneut, als er sich vorsichtig aufsetzte.
»Mir tut alles weh! Ich glaube, es gibt keinen Muskel meines Körpers, der mir
nicht zurzeit die Gefolgschaft verweigert. Ich war bewusstlos? Was ist geschehen,
Geralt? Und wo sind wir überhaupt?«
»Erinnerst du dich nicht? Wir sind hier auf unserem Zimmer im ›Roten Löwen‹,
der einzigen noch florierenden Schenke in ganz Carinthia. Wir reisten von Tretogor
hierher, weil du einem wichtigen Treffen beiwohnen solltest, über das du mir
allerdings bislang noch nichts Näheres erzählen konntest oder wolltest, wenngleich
ich mir nach unserem Eintreffen unten im Schankraum bereits zum größten Teil
selbst einen Reim darauf machen konnte. Was die Blindheit und die
Bewusstlosigkeit angeht, so gehe ich davon aus, dass ein in diesem Raum
verborgener Zauber mächtig daneben ging und uns im wahrsten Sinne des Wortes
um die Ohren geflogen ist. Die Erschütterung war derart stark und grell, dass wir
beide geblendet wurden und besinnungslos zu Boden stürzten. Dich hatte es dabei
etwas schwerer erwischt als mich.«
»Woher willst du das denn so genau wissen, Geralt?«
Der Hexer lachte. Es war ein amüsiertes Lachen, welches Rittersporn in dieser
Form erst wenige Male von Geralt gehört hatte.
»Mein lieber Barde, vielleicht mag es dir entgangen sein, aber du schnarchst im
Schlafe fürchterlich, ganz so, als würdest du in der Tiefebene von Korath Bäume
sägen. Nicht anders war es, als ich vor gut einer Stunde erwachte und seitdem
dieses schauderhafte Geräusch ertragen muss …«
»Korath?«, empörte sich der Barde. »Aber Korath ist eine Wüste! Da gibt es
überhaupt gar keine Bäume!«
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Geralt schnalzte nur.
»Tja, mein Bester, jetzt nicht mehr … die hast du halt alle weggeratzt!«
Rittersporn spürte, wie ein Lachen allmählich ganz von unten in seinem Inneren
nach oben perlte. Er versuchte es zwar zu unterdrücken, doch letzten Endes
scheiterte er. Laut prustend begann er zu lachen, bis ihm die Seite stach und er sich
vor Gelächter am Boden krümmte. Auch Geralt stimmte bald in Rittersporns
überbordende Heiterkeit ein, bis auch ihm Tränen in die Augen schossen, welche er
mit zwei Fingern aus den Augenwinkeln schnippte.
»Ach, das muss ich mir unbedingt für eine spätere Ballade aufschreiben, sobald
meine Augen ihren Dienst wieder tun. Nun aber im Ernst, Geralt, was ist
geschehen? Mein Kopf dröhnt wie ein emsiger Bienenstock und die Gedanken
schwirren umher wie unzählige von diesen schwarz-gelben Biestern, ohne dass ich
auch nur einen davon richtig zu packen kriege!«
»Ich sehe schon, du kannst dich also wirklich nicht mehr entsinnen … Erinnerst
du dich nicht mehr an Lukasz und Miroslav, die beiden Wächter von Tretogor? Oder
an die zwei Riesentausendfüßler, die dich nur zu gerne zum Abendvesper verspeist
hätten? Komm Rittersporn, sicherlich entsinnst du dich noch an meinen Kampf
gegen die Mittagserscheinung und den blonden Jüngling, den sie zum Tanze
verleitet hatte und der dann so schnell verschwunden war …«
Rittersporn zuckte mit der Schulter, was er im nächsten Augenblick peinlich
berührt bedauerte, da sein Gegenüber diese Geste ebenso wenig sehen konnte, wie
er dazu in der Lage war. Er räusperte sich.
»Vage, Geralt, ganz vage … Ich weiß noch, dass wir das Stadttor von Carinthia
erreichten und du in einer Wolke von Stein und Holzstaub verschwandest, weil das
Stadttor zusammenbrach. Du sahst aus«, ein erneutes, aber kurzes Lachen sprudelte
aus dem Barden hervor, »du sahst aus wie ein Gespenst, ein Geist, als hätte man
dich gleich einer Forelle in Mehl gewendet und du wärst der Bratpfanne durch einen
beherzten Sprung gerade noch im letzten Moment entkommen …«
Rittersporn konnte nicht anders. Lauthals ließ er seiner Heiterkeit freien Lauf,
bis auch das letzte Kichern schließlich zwischen seinen Lippen versiegte.
»Ich glaube, Barde, wir müssen zu einem späteren Zeitpunkt noch mal ein
ernstes Gespräch über deinen Sinn für Humor führen!«
»Nun Geralt, ich denke wir sind damit fürs Erste quitt!«
»Wenn du meinst! Nun, da deine Erinnerung anscheinend seit unserer Ankunft in
Carinthia gelitten hat, werde ich dir berichten, was seit jenem Augenblick geschah,
bis du dir, sobald unser Augenlicht wieder zurückgekehrt ist, selbst ein Bild von
unserer Lage machen kannst. Also, wie du bereits so treffend bemerktest, brach das
Stadttor aus … unerfindlichem Grund zusammen und ich ritt aus dieser
Gesteinsstaubwolke hervor wie … eine weißgetünchte Forelle auf einem
Schimmel …«
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Geralt schüttelte sich und versuchte, den ganzen weißgrauen Staub und Schmutz so
würdevoll wie es eben ging wieder zu entfernen. Plötze hatte es da etwas einfacher.
Ein mächtiges Zittern fuhr durch den massiven Pferdekörper und fegte schließlich
alles, was durch diese Aktion nicht von seinem Fell abgefallen war, mithilfe seines
langen buschigen Schweifs beiseite.
Carinthias Stadtbild war geprägt von schmalen, schmuck anzuschauenden
Fachwerkhäusern, die dicht an dicht gedrängt standen, als würden sie sich
gemeinsam vor etwas fürchten. Die Straßen waren durchaus sauber zu nennen und
die Gehwege waren leicht erhöht, sodass die Damen der feinen Gesellschaft und
jene, die sich dafür hielten, durch die Stadt flanieren konnten, ohne befürchten zu
müssen, ihre gestärkten Leinen- und Seidenröcke mit dem noch vorhandenen Unrat
zu beschmutzen.
Auf den Märkten und begrünten Plätzen der Stadt herrschte für gewöhnlich ein
reges Treiben. Jene, die es sich leisten konnten, trugen ihr bestes Ausgehgewand
und versuchten einander in Prunk und Verschwendung zu übertrumpfen. Da blitzten
golddurchwirkte Beinkleider, mit Samt und Spitzen verzierte Brokatgewänder, man
konnte funkelnde Juwelen und üppige Frisuren bewundern, die allesamt mehr
kosteten, als manche Marktfrau an ihrem Stand in ihren kühnsten Träumen jemals
verdienen konnte. Allgegenwärtig war der blasierte Ausdruck in den Gesichtern der
oberen Tausend von Carinthia, die ihre Nasen so hoch in der Luft trugen, dass man
ihren Nasenhaaren beim Wachsen hätte zuschauen können, sofern man welche
entdeckt hätte.
Ja, Carinthia war reich und man scheute sich nicht, diesen Reichtum, diesen
Prunk und den süßen Duft der Macht ungeniert zur Schau zu stellen. Die Bauern,
die in unmittelbarer Nähe der Stadt ihre Felder bearbeiteten, scherte diese
Demonstration von anscheinender Überlegenheit ebenso wenig wie die Mägde und
Dienstmädchen, die ihrer Herren Wäsche wuschen, das Essen zubereiteten und die
Nachttöpfe leerten. Auch die fahrenden Händler, die ihre Waren in der Stadt
feilboten und nicht selten mit leerem Karren, aber dafür mit prall gefüllten
Geldkatzen nach Hause fuhren, beglückwünschten sich insgeheim dazu, dass es
eine solche Stadt gab, in der die Hühner, welche die goldenen Eier legten, so
offenherzig in den Straßen umherstolzierten und aufgeplustert ihr prächtiges
Gefieder zu Markte trugen.
Viel davon bekamen Geralt und Rittersporn nun, da sie durch die verwinkelten
Straßen und Gassen der Stadt ritten, nicht zu sehen. Im Gegenteil. Die Stadt schien
wie ausgestorben und eine unheimliche Stille lag über den Gebäuden, die lediglich
von dem gelegentlichen Knarren eines unbefestigten Fensterladens unterbrochen
wurde. Der Wind strich über die vertrockneten Wege und wirbelte feinen Staubsand
auf, der in den Augen brannte und die Lungen reizte. Rittersporns Taschentuch blieb
deshalb dort, wo es seit dem Einsturz des Stadttores zum Einsatz gekommen war:
vor seinem Mund und seiner empfindsamen Nase. Geralt hingegen verzog keine
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Miene. Mit misstrauischem und aufmerksamem Blick beobachtete er während des
Reitens die Umgebung. Ab und an erblickte er hinter zersprungenen Fenstern ein
Gesicht, kurz nur, dann verschwand es wieder in den Tiefen des Raumes, der hinter
den Sprossenfenstern lag. Von Zeit zu Zeit hörte er, wie hastig Fensterläden
geschlossen wurden und Balken hinter den Türen einrasteten. Nichts Neues für
mich, dachte Geralt. Er konnte das Misstrauen und die Furcht vor dem Unbekannten
fast genauso gut riechen wie den allgegenwärtigen Gestank nach verbranntem Holz
und Fleisch, der so unangenehm in der Luft lag, wie Dreck an einem Hosenbein
klebte.
Rittersporns Magen knurrte heftig.
»Ach Geralt, riechst du das auch? Was ist das? Ich glaube, da brät jemand
Hammel oder ein gutes Stück Schwein über rot glühenden Holzkohlen ... Mein
Magen beginnt schon zu rebellieren! Lass uns die Schenke so rasch wie möglich
aufsuchen, bevor meine Eingeweide noch anfangen, sich gegenseitig aufzufressen!«
Geralt nickte nur und schwieg. Er dachte nicht daran, Rittersporn über seinen
Irrtum aufzuklären. Wenn hier in aller Öffentlichkeit jemand ein Stück Fleisch
grillen würde, warum waren dann von den Plätzen der Stadt all die Bäume bis auf
die kümmerlichen Stümpfe verschwunden, welche anklagend aus dem Boden
ragten?
Nein, was der gute Barde da roch war mitnichten der Geruch von fröhlichem
Beisammensein bei Gegrilltem und einem Fass kühlendem Bier, sondern der
Gestank des Todes. Geralt hatte in seinem bisherigen Leben genügend kleine und
größere Scheiterhaufen gesehen, um die noch schwelenden Reste an den Rändern
der Straßen deuten zu können. Im Krieg und in Notzeiten gingen halt immer zuerst
die Vorräte, dann alle moralischen Grundsätze und letztlich jedes Gefühl für Gesetz
und Gerechtigkeit den Bach runter, bis ehemals menschliche Wesen zu wilden
Bestien mutierten, die nur ihren dunkelsten Urtrieben folgten und sich so kaum
noch vom Tiere unterschieden.
Hah, mein guter Freund, dachte der Hexer, ich bin mir sicher, dass du von
diesem »Grillgut« keinen Bissen runter bekommen würdest ...
Die Straße, auf der sie sich vorwärts bewegten, führte geradeaus, beschrieb dann
einen leichten Bogen nach links und mündete schließlich in einem weiteren Platz,
der ebenso entgrünt war wie alle anderen Plätze zuvor. Etwas war jedoch diesmal
anders. Dieser Platz war nicht zur Gänze leer ...
Mitten auf dem festgestampften Boden ragten fünf grob gezimmerte Galgen in
den Himmel hinauf und es gab keinen davon, der nicht einen unglücklichen Besitzer
gefunden hätte. Ordentlich aufgeknüpft hingen dort fünf Menschen beiderlei
Geschlechts und in verschiedenen Phasen der Verwesung, in der Luft von
krächzenden Rabenvögeln umkreist, am Boden von unzähligen ausgemergelten
Hunden, welche die Hinrichtungsstätte mit vom Hunger geblähten Bäuchen
aufsuchten - beide in der Hoffnung, dort etwas Beute machen zu können.
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Seltsam, schoss es dem Hexer durch den Kopf, woran es dem Menschen in der
Not nie zu mangeln scheint, ist ein gut geknüpfter Strick!
Rittersporn würgte bei dem Anblick der Kadaver hörbar und presste sein
Taschentuch noch fester auf Mund und Nase.
»Das ist ja widerlich!«, sprach er gedämpft. »Was ist hier bloß geschehen?«
»Drei Dinge nur, mein Freund: Not, Hunger und Wahnsinn, doch in welcher
Reihenfolge vermag selbst ich nicht zu sagen. Wahrscheinlich alles zugleich ...«
Geralt sah genauer hin. Um die Hälse der Toten hingen Schilder, die offenbar das
Verbrechen benannten, für das sie die Strafe empfangen hatten: »Ich habe Brot
gestohlen!« stand auf dem einen, »Ich tötete für eine Hammelkeule« kaum noch
leserlich auf einem anderen. Der Hexer ritt näher heran, um weitere Schilder
entziffern zu können, als er von einem der hungerleidenden Hunde, der unterhalb
des am längsten hängenden Delinquenten hockte, angeknurrt wurde und weder ihn,
noch einen der anderen Hunde in die Nähe des Galgens ließ.
»Keine Angst«, murmelte Geralt dem Hund beschwichtigend zu, »ich erhebe
keinerlei Anspruch auf dieses Festmahl.«
Der hängende Leichnam war bereits teilweise mumifiziert und bestand nur noch
aus Haut und Knochen. Die Schrift auf dem Schild war zu verwittert, um sie noch
lesen zu können.
»Sieht aus, als wäre das mal sein Herrchen gewesen«, rief Rittersporn. «Ach,
was für eine treue Seele! Das ist der richtige Stoff für eine anrührende Ballade, die
ich schreiben werde, wenn wir diesen grauenvollen Ort wieder verlassen haben.«
»Du wolltest unbedingt hierher, Barde, vergiss das nicht!«
Der Hexer sah wieder hinab auf den Hund, der sich nun langsam entspannte,
nachdem er seine anderen Artgenossen erfolgreich vertrieben hatte. Mit
wehmütigem Blick sah der Vierbeiner auf zu dem knochigen Arm, der halb lose im
Wind baumelte und mit lautem Klackern gegen Brustkorb und Hüftknochen schlug
- bevor er mit einem Satz, den Geralt der halbverhungerten Kreatur kaum noch
zugetraut hätte, in die Höhe sprang und mit einem triumphierenden Aufheulen den
Arm oberhalb von Elle und Speiche vom Körper abriss.
»Heda!« Rittersporn schnaubte laut. Geralt grinste, als der Hund in
Abwehrhaltung und mit gesträubtem Fell seine Beute knurrend verteidigte und im
nächsten Augenblick die Straße entlangrannte, als wäre der Teufel leibhaftig hinter
ihm her. Die knochige Hand in seinem Maul flatterte im Rausch der
Geschwindigkeit hin und her. Fast schien es Geralt, als winke sie ihnen einen
höhnischen Abschiedsgruß zu.
»Soviel zum Thema Treue, lieber Rittersporn! Es ist doch, wie es immer ist:
Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral!«
Und mit dem Gedanken, dass weder er noch der Barde in einer ähnlichen
Situation kaum anders handeln würden, wie es dieser Hund getan hatte, wendete er
Plötze und lenkte sein treues Pferd in Richtung ihres Zieles, das oberhalb der Stadt
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zentral auf einem Hügel gelegen nur darauf wartete, dass sie beide endlich zu ihm
kamen.
***
»Und dann, Geralt? Was geschah dann?«, quengelte der Barde auf die ihm eigene
Art und Weise.
»Du weißt es tatsächlich nicht mehr? Ich habe ja bislang angenommen, du
würdest mit deinen Erinnerungslücken kokettieren, doch anscheinend hat dein
Gedächtnis mehr Löcher als ein durchschnittlicher Hartkäse aus Tretogor ...«
Der Barde stöhnte. »Es ist ja nicht so, dass ich mich an überhaupt nichts erinnern
würde, aber nur bruchstückhaft und verschwommen. Ich kann zudem nicht
unterscheiden, was von meinen Erinnerungen wirklich passiert ist und was ich in
meinen Balladen selbst ersonnen habe!«
»Der Fluch eines Barden, mein Freund! Nun, dann wird mir nichts anderes übrig
bleiben, als deinen grauen Zellen auch weiterhin auf die Sprünge zu helfen. Also,
nachdem wir die ungastlichen Viertel der Stadt durchquert hatten, kamen wir
letztendlich bei dem ›Roten Löwen‹ an. Dort trafen wir auf die Tochter des
Wirtes ...«
»Ah, ich glaube, ich erinnere mich an sie: langes blondes Haar, ein Blick aus
meerblauen Augen und ein Lächeln, das nur mir galt ...«
»Ich zerstöre nur ungern deine Träume, lieber Rittersporn, doch im Augenblick
fabulierst du nur. Das Haar des Mädchens war wild und von roter Farbe, passend zu
ihrer kleinen Stupsnase und den katzengleichen grünen Augen. Ja, sie lächelte, aber
nicht dich an, sondern jemand anders. Jemand, den wir beide übrigens schon vorher
kennengelernt hatten ...«
»Dann spann mich nicht länger auf die Folter, Hexer! Erzähl weiter!«
***
»Der Rote Löwe« war wahrlich kein Gebäude, welches man leichtfertig übersehen
konnte. Auf dem höchsten Hügel der Stadt gelegen, von anderen Gebäuden kaum
bis nur mäßig verdeckt, fiel das Gasthaus bereits von Weitem durch seine schier
gewaltige Größe auf. Fast schien es, als hätte man an dieser Stelle eigentlich eine
Kirche bauen wollen, doch die Idee dann wieder verworfen, als man die ersten
Wände hochgezogen hatte und den Bauherren das Geld ausgegangen war. Nun
stand dort anstelle eines sakralen Bauwerks ein schmuckes zweigeschossiges
Gebäude im Fachwerkstil, sauber verputzt und auf den ersten Blick recht
ansprechend.
Interessiert betrachtete Geralt, der nebenbei seine Stute Plötze an einem
hervorstehenden Ende eines Balkens festband, das imposante Eingangstor, das aus
edelstem Holz gefertigt war und ihn selbst noch um anderthalb Köpfe überragte.
Die Schnitzereien auf der Tür stellten ein fröhliches Zechgelage von Zwergen,
Menschen und Elfen dar. Da wurde einander zugeprostet, an mächtigen
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Fleischschlegeln genagt und der Schankmaid keck auf das pralle Hinterteil und
anderswo hingeglotzt, dass es eine wahre Pracht war.
Utopia, dachte Geralt innerlich schmunzelnd. Spätestens, wenn die Zwerge ihre
schlüpfrigen Tranklieder anstimmen, gibt es den ersten Ärger mit den Elfen, und bei
den Essmanieren der Übrigen dauert es auch nicht lange, bis die erste Keilerei im
Gange ist. Der Wirt tut mir leid, der dann hinterher das ganze Blut vom Boden
wischen darf, von den liegen gebliebenen Leichen ganz zu schweigen …
Die hohe handwerkliche Kunst, mit der das Eingangstor gefertigt war, zog ihn
überraschend schnell in seinen Bann. Fast glaubte er, die in das Holz gebannte
Szene erwache vor seinen Augen zum Leben, als könne er das abgebildete Treiben,
die munteren Gesänge und das heisere Gelächter wahrhaftig hören. Es dauerte einen
kurzen Moment, bis Geralt realisierte, dass die Geräusche, die er zu hören glaubte,
tatsächlich durch das dicke Holz aus dem Inneren des »Roten Löwen« nach draußen
drangen.
Sieh an, überlegte er, und ich dachte, die Stadt wäre vollkommen ausgestorben,
dabei treffen sie sich alle hier zum Saufen! Muss wohl gerade »fröhliche Stunde«
sein. Einen schönen, bis zum Rand gefüllten Humpen Bier könnte ich nun auch gut
vertragen, ging es ihm weiter durch den Kopf, während seine Kehle von Minute zu
Minute trockener wurde.
»Geralt, hörst du das auch?«
»Das Saufgelage da drinnen? Das ist ja kaum zu überhören, Rittersporn.«
»Nein«, winkte der Barde ab, «ich meine etwas anderes. Hört sich das nicht an
wie eine holde Maid in höchster Not, die laut ihre Stimme erhebt, um auf ihre
missliche Lage aufmerksam zu machen?«
Geralt lauschte.
»Tatsächlich. Doch für mich klingt es eher nach einem Weib, das gerade
jemanden mächtig zusammenscheißt, wenn du mich fragst. Oder würdest du in
einem Notfall solche unflätigen Worte in den Mund nehmen?«
Nun lauschte der Barde angestrengt und grinste sogleich amüsiert.
»Nein, wahrlich nicht, diese Worte könnte ich noch nicht einmal wagen aufs
Papier zu bringen, ohne dass meine Hand das Zittern bekäme. Wenngleich ich, das
muss ich zugeben, solche Ausdrücke zwischen durchwühlten Laken und in der
Hitze des Gefechts von einer drallen blonden Maid gestöhnt durchaus anregend
finden würde …«
»Ich ahnte ja schon immer, dass hinter der Fassade des ehrbaren Barden mehr
steckt, als dir anzusehen ist, Rittersporn. Du überraschst mich immer wieder aufs
Neue. Ich glaube, ich muss meine Meinung über den Bardenstand einmal gründlich
überdenken. Anscheinend seid ihr doch alle die schweinischen Sauigel, wie euch all
die Väter, Ehemänner und anderen gehörnten Vertreter des starken Geschlechts
schimpfen, da ihr nur mit eurem Schwanz und daran denken könnt, wie ihr mit
eurem zugegeben verführerischen Gesang rasch die nächste Maid ins Bett
bekommt.«
- 36 -
Der Barde hörte augenblicklich auf zu grinsen, schnappte einmal nach Luft und
öffnete den Mund zu einer Erwiderung, die jedoch niemals über seine Lippen kam,
sodass er ihn unverrichteter Dinge nach kurzer Bedenkzeit wieder schloss.
»Ich denke nicht«, fuhr der Hexer süffisant lächelnd fort, »dass deine holde
Maid irgendwelcher Hilfe bedarf. Ich mache mir eher Sorgen um denjenigen, dem
ihr lautes Zetern gilt …«
»Das mag durchaus sein, Geralt«, wandte Rittersporn ein, als er offensichtlich
die Sprache wiedergefunden hatte. «Vor allem, weil ich jetzt seit geraumer Zeit aus
besagter Richtung nichts mehr höre außer dem Zechgelage, welches in dem
Wirtshaus vonstatten geht! Ich hoffe nur, unser kleines Wortgeplänkel hat keine
bösen Folgen.«
Der Barde sprach bereits zu einem leeren Platz, denn dort, wo gerade noch der
Hexer gestanden hatte, wehte nun der auffrischende Wind einen verdorrten Strauch
über das Pflaster. Geralt war bereits mit ausholenden Schritten in die Richtung
unterwegs, aus der das einseitige Streitgespräch zu hören gewesen war. Rasch folgte
Rittersporn und geriet dabei zunehmend außer Atem.
»Geralt …«
Der Hexer hieß ihn mit einer scharfen Handbewegung zu schweigen. Der Barde
sah sofort warum, als er mit stechenden Seiten endlich bei seinem Freund eintraf.
Eine junge Frau mit feuerrotem Haar fiel gerade über einen nicht minder jungen
Mann her, der rückwärts über ein Fass stolperte, sodass beide eng umschlungen am
Boden zu liegen kamen, wo die Rauferei sodann mit unveränderter Heftigkeit
weiterging. Wären da nicht eindeutige Laute der Lust und des Wohlbehagens zu
hören gewesen, so hätte man durchaus glauben können, dass die beiden in einen
ernsten Kampf auf Leben und Tod verstrickt seien.
»Was für eine Wildkatze!«, pfiff Rittersporn anerkennend, was ihm sofort einen
missbilligenden Blick vonseiten des Hexers einbrachte und zudem die
Aufmerksamkeit des miteinander beschäftigten Pärchens auf die beiden
Neuankömmlinge lenkte. Rock und Mieder wurden rasch gerichtet und eine halb
heruntergezogene Hose fand erstaunlich schnell ihren Weg zurück auf die schmale
Hüfte des Jünglings, dessen Gesicht allerdings wesentlich länger brauchte, um sich
wieder zu entspannen und jene Röte verblassen zu lassen, die ihm beim Anblick der
beiden Männer ins Gesicht geschossen war.
Lediglich die junge Frau war bereits wenige Augenblicke später wieder gefasst.
Mehr noch, sie ging zum Angriff über.
»Was zum Henker … Glotzt nicht so unverschämt! Was glaubt ihr, wer ihr seid?
Habt ihr nie gelernt, wie man sich in Anwesenheit einer Dame verhält? Ihr Kerle
seid doch alle geile Böcke!«
»Wildkatze, sag ich doch! Schau Geralt, wie schnell sie die Krallen ausfährt und
wie süß ihr kleines Raubtiergesicht leuchtet, wenn sie wütend ist …«
»Schweigt, Rittersporn!« Geralts Stimme klang hart und kalt wie Eis, doch der
Barde sah es um seine Mundwinkel herum kaum merklich zucken, ein Zeichen
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dafür, dass die Situation den Hexer innerlich amüsierte und er gespannt war, wie
sich diese verfahrene Lage letztendlich auflösen würde. Sie tat es gänzlich
überraschend und anders als erwartet.
»Ihr werdet Euch sofort bei der jungen Dame entschuldigen, Rittersporn! Und
bei dem jungen Mann ebenso, den Ihr mit Eurem unverhältnismäßigem Ausruf in
eine gleichfalls unangenehme wie peinliche Lage gebracht habt!«
Die junge Dame, die gerade letzte Hand an den ordnungsgemäßen Sitz ihres
Mieders legte, was von Rittersporn mit wohlwollendem, wenn auch etwas
dümmlichem Blick quittiert wurde, horchte auf.
»Sagtet Ihr gerade Rittersporn? Der Rittersporn, der Meister der Verse aus
Oxenfurt, der im ganzen Land für seine Balladen und Verse über den Weißen Wolf
bekannt ist?«
Der Hexer nickte. Der Barde richtete sich zu seiner vollen Pracht auf, sodass
selbst die Reiherfeder an seinem kecken Hut wie eine Pfeilspitze ins Blaue ragte.
»Eben der bin ich, zu Euren Diensten! Entschuldigt vielmals, werte Lady, dass
ich mich dermaßen vergessen konnte und Euch so in Verlegenheit gebracht habe,
doch die weibliche Natur, wenn sie zudem noch so jung und ungestüm erscheint wie
die Eure, bringt mich stets dazu, meinen überschwänglichen Gefühlen frisch von
der Leber weg in Wort und Ton freien Lauf zu lassen. Ich hoffe, Ihr nehmt meine
reumütige und von tiefstem Herzen kommende Entschuldigung an. Auch Ihr, werter
Jüngling!« Er verbeugte sich leicht vor den beiden.
Das Mädchen zierte sich noch etwas gespielt, streckte dann ihren Oberkörper
durch und nickte dem Barden huldvoll zu.
»Natürlich nehme ich Eure Entschuldigung mit Freuden an, Meister Rittersporn,
und das auch im Namen meines Freundes Cailin, der selbst dazu leider nicht
imstande ist, da ihm die Natur die Gabe des Sprechens verwehrt hat.«
Nun betrachtete der Barde den jungen Liebhaber dieser Wildkatze etwas
genauer. Mit einer kleinen Portion Eifersucht, wie er sich insgeheim eingestehen
musste. Der Junge war wohlgeraten. Von schlanker, elfenhafter Statur mit einem
fein geschnittenen Gesicht, aus dem ein Augenpaar von der Farbe des tiefsten
Meeres von unten herab zu ihm aufblickte. Die feinen Züge des Gesichtes wurden
von einem Schopf glänzendem, weizenblondem Haars eingerahmt, das ihm bis über
die Schultern fiel und beide Ohren gänzlich verdeckte.
Es dauerte einen Moment, bis der Barde das seltsame Gefühl, das ihn beim
Anblick des jungen Mannes überkam, richtig zuordnen konnte.
»Geralt, ist das nicht …«
Geralt nickte schmunzelnd.
»Ja, das ist wahrhaftig der junge Mann, der draußen vor den Toren ein flottes
Tänzchen mit einer Mittagserscheinung gewagt und es auch überlebt hat. Ich
wusste, dass wir ihn dort nicht zum letzten Mal gesehen haben würden und mein
Gefühl hat mich nicht getrogen, wie es aussieht.«
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»Er hat was?!« Die Wildkatze fuhr wieder ihre Krallen aus, doch diesmal ging es
gegen Cailin. »Sag jetzt nicht, du hast dafür …«, sie zog aus einer kleinen Tasche an
ihrem Gürtel einen kleinen Kranz aus hübschen Kornblumen hervor und warf ihn
gegen seine unbehaarte Brust, «da draußen dein Leben riskiert?«
Cailin wich erschrocken einige Schritt zurück und schaute verlegen zu Boden.
Fast unmerklich nickte er, wagte es aber nicht, seiner Geliebten in die Augen zu
schauen. Unentschlossen, was sie nun tun sollte, schwankte Fiona in ihrer
Entscheidung. Sollte sie ihn nun küssen oder schlagen? Sie tat beides.
»Die hier«, die Hand klatschte heftig gegen seine Wange, »ist für deinen
unentschuldbaren Leichtsinn – und der hier«, der Kuss war lang und
leidenschaftlich, »für deinen Mut und weil ich dich Idiot einfach liebe.« Vorsichtig
hob sie den Blütenkranz wieder auf und drückte ihn behutsam gegen ihre Brust.
»Ach, wie gern wäre ich jetzt ein Blütenkranz … Versteh einer die Frauen,
Geralt. Erst schlagen sie dich und schimpfen dich einen Idioten, und im nächsten
Moment lieben sie dich genau aus diesem Grunde.«
»Vielleicht, Barde, verstehst du doch nicht so viel über die Liebe, wie man nach
deinen unzähligen Balladen annehmen könnte.«
Rittersporn sah den Hexer spöttisch an. »Aber du bist darin natürlich ein
Experte.«
Der Hexer wandte sich ab.
»Vielleicht mehr, als mir lieb ist«, murmelte er so leise, dass es außer ihm selbst
niemand hörte.
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Kapitel VI
Bardenzeit
D
ie Gesänge im »Roten Löwen«, sofern man die grunzenden Laute und das
Grölen aus unzähligen Männerkehlen denn noch als solche bezeichnen
konnte, hatten bereits merklich abgenommen und endeten schließlich abrupt, als
neue Gäste an der Seite Fionas das Wirtshaus betraten. Besonders der blonde Barde,
der am Ende des Raumes eine angeregte Unterhaltung mit Ranold, dem Sohn des
Wirts, begonnen hatte, blickte interessiert auf. Ein breites, vergnügtes Grinsen
machte sich zwischen seinen Mundwinkeln breit, als er sah, wer da gerade
hereingekommen war.
Auch dem Wirt Leo war nicht entgangen, dass es Neuankömmlinge gab, die
seiner Aufmerksamkeit bedurften. Rasch kam er aus der Küche geeilt, um seine
nächsten Kunden gebührend zu empfangen. Seine Miene verdüsterte sich allerdings,
als zunächst Fiona in seinen Blickwinkel geriet.
»Fiona! Wo bist du die ganze Zeit gewesen? Dein Bruder ackert sich schon eine
geschlagene Stunde allein mit dem Pack hier ab …«, polterte er. Ranold zuckte nur
mit den Schultern. Sein treuherziger Blick bat Fiona still um Verzeihung.
»Aber Vater, ich habe draußen …«
»Mir ist egal, was du draußen gemacht hast! Hier gibt es Arbeit für drei, die
macht sich nicht von alleine!«
»Vater!«
»Keine Wiederworte, Fiona! Nimm den Besen, kehr die Binsen aus und dann
wartet in der Küche noch ein Berg Geschirr auf dich! Glaubst du, der hüpft ganz
von allein ins Wasser? Nein? Na also! Worauf wartest du noch? Hopp, Hopp!«
»Wie du es wünschst, Vater.«
Still mit den Zähnen knirschend tat Fiona, wie ihr geheißen und griff zunächst
nach dem Besen, um mit ihm die Binsen auszukehren, in denen Erbrochenes,
ungeniert abgeschlagener Urin und andere Körperflüssigkeiten, die sie gar nicht
näher kennen wollte, in stiller Eintracht beieinanderlagen wie Liebende.
Bedauerlich, dass der Fluch, der über der Stadt lag, nicht auch dafür sorgte, dass
solcher Unrat verschwand, dachte sie. Wer immer für den Fluch verantwortlich war,
musste über eine gehörige Portion Sarkasmus und eine ihr unverständliche
Definition von Humor verfügen. Sie seufzte.
Leo wandte sich nun den beiden Neuankömmlingen zu. Ein freundliches
Lächeln erblühte auf seinen Lippen, welches allerdings sofort erlosch, als er den
weißhaarigen Mann entdeckte, der zusammen mit dem Kerl im taubenblauen Wams
seine Räumlichkeiten betreten hatte. Sein Blick huschte von der großen Narbe im
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Gesicht über das Wolfsmedaillon auf der Brust hin zu den beiden Schwertern, die
deutlich sichtbar über die Schulter hinausragten. Seine Miene verdüsterte sich dabei
zusehends. Schließlich wich er einen Schritt zurück und zeigte, ohne ihm dabei in
die Augen zu schauen, anklagend auf Geralt.
»Was wollt Ihr hier, Hexer!«, blaffte er lautstark, doch seine Stimme verbarg nur
ungenügend die Angst, die in ihr mitschwang. »Euresgleichen ist in dieser Stadt
nicht willkommen, und im ›Roten Löwen‹ erst recht nicht! Geht besser Eures
Weges, sonst wird es hässlich! Noch habt Ihr die Gelegenheit dazu, bevor ich die
Stadtwache rufen lasse!«
Geralt trat einen Schritt vor, die Arme vor der Brust verschränkt, während ein
sardonisches Lächeln aus seinen Mundwinkeln hervorkroch und dort für einen
Augenblick verharrte.
»Welche Stadtwache meinst du, guter Mann? Etwa dieselbe, die euer marodes
Stadttor bewachen sollte, aber wahrscheinlich beim ersten Anschein von Ärger mit
vollen Hosen Reißaus genommen hat? Versucht nicht, mir zu drohen, Wirt! Der
Schuss könnte leicht nach hinten losgehen. Ich will keinen Ärger. Ich bin nur hier,
um meine staubige Kehle zu befeuchten und meinen Freund hier das nötige Geleit
zu geben, mehr nicht.«
»Das ist mir gleich, Hexer!« Leo war noch einen weiteren Schritt
zurückgewichen. »Euresgleichen bedien ich hier nicht! Einer Missgeburt wie Euch
haben wir es zu verdanken, dass unsere einstmals schöne Stadt dahinsiecht wie ein
an der Pest Erkrankter!« Angewidert spuckte er vor Geralt in die Binsen, was ihm
einen missbilligenden Blick vonseiten Fionas einbrachte. Rittersporn, der dem
Disput zwischen seinem besten Freund und dem rotmähnigen Wirt mit offenem
Mund verfolgt hatte, sah sich nun genötigt, seinen Beitrag zur Unterhaltung zu
leisten.
»Heda, Wirt! Ihr wisst wohl nicht, mit wem Ihr es hier zu tun habt und wer da
gerade vor Euch steht? Niemand Geringerer als …«
»Barde, lass gut sein«, unterbrach der Hexer seinen Freund abrupt und hob
beschwichtigend die Hände. »Ich möchte hören, was der Wirt mir zu sagen hat.
Also eine Missgeburt wie meine Wenigkeit ist an deinem Unglück und dem der
Stadt schuld?«
Geralt ging noch einen Schritt auf den Wirt zu, der im Gegenzug weiter nach
hinten auswich, bis sein feister Hintern an eine Tischkante stieß.
»Dir ist schon klar, Wirt, dass Missgeburten, wie ich in deinen Augen eine bin,
dazu ausgebildet wurden, um Menschen wie dich und alle anderen, die Hilfe
benötigen, gegen klingende Münze zu verteidigen? Eure Städte, Höfe und Felder
vor dem Bösen in Monstergestalt zu beschützen? Ihr verwechselt da wohl etwas. Ich
bin ein Hexer, keine Hexe!«
»Hexer, Hexe, wo ist da der Unterschied ...«, knurrte der Wirt.
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»Oh, ich könnt Euch einen nennen«, spottete Rittersporn. »Geht mal mit einer
Hexe ins Bett und danach mit einem Hexer. Oder umgekehrt. Wie es Euch beliebt;
dann werdet ihr den Unterschied schon rasch spüren!«
Ranold lachte lauthals los und selbst Fiona konnte sich ein leises Kichern nicht
verkneifen. Auch der blonde Barde verfolgte gebannt das Wortgefecht aus dem
Hintergrund.
»Nun, Wirt, im Allgemeinen wirkt eine Hexe – oder von mir aus auch eine
Zauberin – Beschwörungen, spricht Flüche aus und weiß auch sonst vorzüglich mit
Magie und Sprüchen umzugehen. Die Talente eines Hexers beschränken sich mehr
auf seine Kampfkraft, Reflexe und Körperbeherrschung. Zauber sind nicht unser
Ding. Und Flüche erst recht nicht. Macht also nicht mich und meinesgleichen für
die Fehler verantwortlich, die in deiner Stadt von dir oder anderen begangen
wurden!« Geralt beugte sich zum Wirt vor, dessen Teint zunehmend fleckiger
geworden war. »Ich warne dich! Auch meine Geduld hat mal ein Ende. Aber ich
will um des lieben Friedens willen die ganze Sache auf sich beruhen lassen und
rasch vergessen, was du mir da gerade vorgeworfen hast, wenn ich ein Bier oder
noch besser einen temerischen Roggenwodka bekomme, der kühl und feurig die
Kehle herabrinnt. Wie sieht’s aus?«
Der Wirt setzte schon zu einer Antwort an, die seiner Miene zufolge sicherlich
ebenso ablehnend ausgefallen wäre wie seine Worte zuvor, wenn nicht just in
diesem Moment der Sohn ihn auf die Seite gezogen hätte, um auf ihn einzuwirken.
»Vater, denk doch mal nach! Es kann uns doch nichts Besseres passieren, als
dass dieser Hexer gerade jetzt in unserer Stadt weilt.
Denk an den Fluch! Wer sonst wäre hier momentan noch in der Lage, ein
Schwert zu führen? Die Soldaten waren die Ersten, die geflohen sind, und meine
Talente im Kampf erschöpfen sich schon vollkommen bei den Grundlagen des
Stockkampfs. Der Hexer ist neu in der Stadt und kann deshalb überhaupt nichts mit
dem Fluch zu tun haben. Du solltest es besser wissen, Vater! Gerade du!«
Leo MacDanold fuhr mit seiner Pranke durch den dichten roten Bart und
murmelte schließlich zustimmend. Zunächst zögerte er noch etwas und warf einen
scheelen Blick auf den Hexer, der sich wieder zu Rittersporn gesellt hatte, um den
beiden genügend Raum für ihr Gespräch zu lassen, dessen geschulte Ohren
allerdings jedes noch so leise Wort und jede feine Nuance vernommen hatten.
»Meinst du wirklich, Ranold? Du könntest schon recht haben, das muss ich dir
zugestehen, aber ganz wohl ist mir bei der Sache nicht. Wenn du denkst, es geht in
Ordnung, dass ein Hexer unter unserem Dach weilt, dann werde ich deinem Urteil
trauen. Aber wehe, der Kerl läuft aus dem Ruder oder macht anderweitig
Schwierigkeiten! Dann zieh ich dir die Hammelbeine lang, dass sie von hier bis
Tretogor reichen! Hast du verstanden? He?«
»Natürlich, Vater! Keine Sorge, es wird schon alles gut werden ...«
»Dein Wort in Meliteles Ohren«, murmelte der Wirt, dann wandte er sich an den
Hexer.
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»Temerischer Roggenwodka soll’s also sein für den Herrn? Hm, große
Ansprüche stellt Ihr ja nicht gerade. Und was trinkt Ihr? Heda, ich mein Euch da mit
dem blauen Wams und der Feder am Hut! Wer seid Ihr eigentlich?«
»Wer ich bin, wollt Ihr wissen?«
Rittersporn begann sich, wie gewöhnlich bei solchen Fragen, langsam
aufzuplustern: Er reckte den Oberkörper gen Decke, bis er fast auf seinen
Zehenspitzen stand, drückte so weit wie es nur ging die Brust heraus und schob das
kleine Kinnbärtchen nach vorn, das vor Aufregung schon zu zittern begonnen hatte.
»Ich bin ...«
»Verzeiht, wenn ich Euch unterbreche«, mischte sich nun der blonde Barde, der
bislang unbeteiligt im Hintergrund geblieben war, mit einer eleganten Verbeugung
ein. »Gestattet mir, dass ich Euch dem Wirt vorstelle, werter Kollege.«
Rittersporns Pose fiel in sich zusammen wie ein perforierter Lungenflügel.
Misstrauisch beäugte er den Blondschopf, der noch immer in der Verbeugung
verharrte, um ihm schließlich mit einer kurzen Handbewegung die ersehnte
Erlaubnis zu erteilen.
»Mein lieber Herr Wirt«, freundschaftlich packte er Leo an den Schultern und
drehte ihn derart, dass er direkt vor Rittersporn zu stehen kam, »wie kann es
angehen, dass Ihr diesen Meister der Laute nicht kennt, diesen Virtuosen der Seiten,
dessen begnadete Finger selbst noch einem Nähfaden eine Melodie entlocken
würden? Vor Euch steht der beste Absolvent der Universität Oxenfurt, dessen
Balladen über den Hexer Geralt von Riva, welcher auch der Weiße Wolf genannt
wird, überall in ganz Temerien und darüber hinaus bekannt und beliebt sind. Vor
Euch steht kein Geringerer als Julian Alfred Pankratz Viscount de Lettenhove,
besser bekannt als der Barde Rittersporn! Nebenbei bemerkt, der weißhaarige
Hexer, den Ihr fast beliebtet vor die Tür zu setzen, ist der eben benannte Geralt von
Riva. Ihr tatet gut daran, Euren Disput mit ihm nicht eskalieren zu lassen ...«
»Der bin ich tatsächlich«, bemerkte der Hexer trocken. »Und wer seid Ihr, wenn
ich fragen darf?«
Geralt sah, wie der Wirt dem Weiß seines Gesichts noch eine Nuance Kalk
hinzufügte. Rittersporn antwortete, bevor der blonde Barde dies tun konnte. In
seinem Gesicht arbeitete es sichtbar und die Worte klangen gezwungen, als sie über
seine Lippen kamen.
»Dieser Mann nennt sich Ansgar von der Vogelwiese, heißt aber in Wirklichkeit
Damian Ansgar Maria Viscount de Lettenhove. Er ist mein älterer Bruder ...«
Geralt sah mit hochgezogener Braue von einem zum andern, enthielt sich aber
vorerst eines Kommentars.
»So ist es! Zu Euren Diensten!«, sprachs und verbeugte sich der Blonde.
»Wenn man es genau nimmt, ist er nur mein Halbbruder«, fügte Rittersporn
erklärend hinzu, als er den fragenden Blick des Hexers gewahr wurde. »Dieselbe
Mutter, aber verschiedene Väter.«
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Ansgar lächelte zustimmend. »Blut ist aber immer noch dicker als Wasser, mein
lieber Rittersporn, auch wenn es, wie in unserem Fall, etwas schneller durch die
Venen fließt, als es sonst üblich sein mag.«
»Nun, eins zumindest ist jetzt sicher«, wandte Ranold, der Sohn des Wirts, ein.
»Und das wäre?«
»Jetzt, wo der Barde Rittersporn eingetroffen ist, sind wir endlich vollzählig.
Das bedeutet, der Bardenwettstreit zu Carinthia kann heute in den Abendstunden
endlich beginnen.«
Geralt warf Rittersporn einen entgeisterten Blick zu, den nur der Barde richtig zu
deuten wusste. Dann holte der Hexer tief Luft, atmete exakt einmal lang aus und
sagte nur: »Ach, du dickes Ei!«
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Kapitel VII
Eine unbequeme Wahrheit
B
ei der nächsten sich bietenden Gelegenheit zog Geralt den Barden beiseite.
Dieser, gerade in ein recht wortkarges Gespräch mit seinem älteren Bruder
verstrickt, schien im ersten Moment mehr als erfreut über die Unterbrechung. Er
ahnte aber rasch, als er einen ihm wohlbekannten Ausdruck in der Miene des
Hexers gewahr wurde, dass Geralt ihm damit hatte keinesfalls einen Gefallen tun
wollen. In Geralt rumorte es fast hörbar.
»Ein Bardenwettstreit?« Seine Frage war nicht lauter als ein heiseres Raunen,
doch so nah an Rittersporns Ohren gesprochen, dass er sie ohne große Mühe
verstehen konnte. Der Barde zuckte mit den Schultern.
»Hättest du mich denn begleitet, wenn ich dir von Anfang an gesagt hätte, um
was es geht?«
Geralt runzelte die Stirn.
»Darum geht es nicht, Rittersporn, und das weißt du ganz genau! Ich mag keine
Überraschungen und werde nicht gerne im Unklaren gelassen. Der Gedanke, an
diesem unfreundlichen Ort mehr Zeit als notwendig verbringen zu müssen, behagt
mir überhaupt nicht. Und die Tatsache, dass wir hier auf engstem Raum mit
unzähligen deiner mehr oder weniger talentierten Mit-Minnesänger
zusammengepfercht sind, trägt auch nicht gerade zur Steigerung meiner Laune bei.
Nicht zu vergessen, dass du mir nie etwas von einem Bruder erzählt hast …«
»Du hast mich nie gefragt, aber ich muss zugeben, dass ich bislang aus
persönlichen Gründen über meine Verwandtschaft geschwiegen habe. Einige Dinge
sind zu heikel, um sie einfach so nebenbei auszuplaudern; andere möchte man nur
noch so schnell wie möglich im hintersten Winkel seiner Erinnerungen in ein
dunkles Verlies sperren und den Schlüssel dazu auf den tiefsten Grund des Meeres
versenken.« Der Barde seufzte.
»Ansgar und ich kamen eigentlich immer gut miteinander aus, zumindest
solange wir noch Kinder waren. Das änderte sich allerdings abrupt, als wir beide in
Oxenfurt studierten und er meinte, ebenso wie ich, das Studium der Musik
absolvieren zu müssen, wo er doch auf dem Gebiet der anderen bildenden Künste so
begabt war. Er wusste gleichwohl meisterhaft mit dem Pinsel umzugehen als auch
einem toten Klumpen Lehm ungeahntes Leben einzuhauchen. Der Wettstreit, wer
denn nun der bessere Barde sei und sein Instrument trefflicher beherrschte, führte zu
immer größer werdenden Spannungen zwischen uns beiden, an denen ich
zugegebenermaßen nicht ganz unschuldig war. Zum Bruch zwischen uns kam es
schließlich, als ich ein hoch dotiertes Stipendium der Universität Oxenfurt erhielt,
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welches mir mein Studium ungemein erleichterte; aber noch schlimmer traf es ihn,
dass ich der Dame seines Herzens meine Aufwartung machte und ihr Herz im Sturm
eroberte. Das hat er mir nie verziehen, hätte ich doch seiner Meinung nach jede
andere haben können …«
Geralt, der bislang mit ernster Miene dem Barden gelauscht hatte, warf einen
kurzen Blick auf den blonden Ansgar, der gerade ungeniert mit dem Sohn des
Wirtes schäkerte.
»Er scheint zumindest keinerlei Schaden dadurch zurück behalten zu haben.«
Rittersporn folgte dem Blick des Hexers und runzelte die Stirn.
»Nun, Ansgar war noch nie ein Kind von Traurigkeit und recht flexibel, was
seine Lebensgewohnheiten angeht. Diese Seite von ihm ist allerdings selbst mir
bislang verborgen geblieben. Ein halbes Leben, all die gemeinsam verbrachten
Jahre reichen anscheinend kaum aus, um eine Person, die einem irgendwie nahe
steht, wirklich und wahrhaftig zu kennen.«
»Darin liegt doch gerade der Reiz, dass es so lange dauert, bis man einen
Menschen besser kennt, ohne ihn oder seine Handlungen jemals gänzlich verstehen
oder seine geheimsten Gedanken erforschen zu können. Wenn ich alles von dir oder
einem anderen wüsste, mein werter Rittersporn, dann wäre das Leben doch recht
langweilig, oder?«
Rittersporn lachte leise.
»Du hast recht, Geralt! Ich hätte zum Beispiel nie gedacht, dass in dir ein kleiner
Philosoph schlummert. Geheimnisse und Rätsel sind nun einmal die Würze des
Lebens, auch wenn ich auf manche Überraschung in meinem Leben durchaus hätte
verzichten können.
Wo wir gerade beim Thema sind: Einer der Schiedsrichter, der den Wettstreit
leiten und bewerten sollte, liegt leider mit schwerem Bauchgrimmen in seiner
Kammer. Er ist im Moment kaum in der Lage seiner Aufgabe nachzukommen, wie
mir Ansgar vor Kurzem anvertraut hat. Er hat mich gebeten, bei dir nachzufragen,
ob du …«
Geralt tat einen Schritt zurück und spreizte abwehrend die Hände.
»Nein, Herr Rittersporn, das kann nicht Euer Ernst sein! Ich bin nun wirklich der
unmusikalischste Hexer, den die Welt je gesehen hat. Selbst Lambert und Eskel
haben mir stets bescheinigt, ich würde die Töne noch nicht einmal treffen, wenn
man sie vorher betäuben und sie mir vor die Schwertspitze setzen würde. Wie sollte
ich ein gerechtes Urteil fällen können, wo ich weder Verständnis noch Gehör für
musische Belange besitze?«
Der Barde öffnete den Mund, schloss ihn allerdings recht bald wieder, ohne dass
die Erwiderung, die ihm auf der Zunge gelegen hatte, über seine Lippen gekommen
wäre. Stattdessen legte er kurz den Kopf in den Nacken, starrte angestrengt zur
balkengestützten Decke empor, bevor er lächelnd in seine Ausgangsposition
zurückkehrte. Jovial legte er seinen Arm um Geralts Schulter und zog ihn näher zu
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sich heran, als sollten die anderen Barden nichts davon mitbekommen, was er ihm
gleich zu sagen beabsichtigte.
»Das siehst du im völlig falschen Licht, mein lieber Herr Geralt! Wer könnte
besser als du dazu geeignet sein, ein Urteil abzugeben? Sieh mal, all meine
Sangesbrüder hier sind so dermaßen von sich und ihrem angeblichen Talent
eingenommen, dass sie ihren Konkurrenten nicht einmal das Schwarze unter ihren
Fingernägeln gönnen würden …«
»Und wie steht es dabei um dich?«, fragte Geralt interessiert.
»Ich? Ach, jeder weiß doch insgeheim, dass keiner der hier Anwesenden mir
auch nur im Geringsten das Wasser reichen könnte. Und man sollte es auch gar
nicht erst versuchen. Ich laufe hier außer Konkurrenz auf.«
»Quod erat demonstrandum«, murmelte Geralt.
»Sagtest du etwas? Nein? Ich dachte … ist ja auch egal. Die Jury besteht aus drei
Schiedsrichtern, von denen der eine nun ja leider ausfällt. Ich finde die Idee ganz
reizvoll, dass jemand, der mit der Musik sonst gar nichts am Hut hat, das so
genannte Zünglein an der Waage sein soll. So kann zumindest verhindert werden,
dass der Sieg jemandem zugeschustert wird, der sich die Jury vorher, nun ja, mit
etwas mehr, als nur wohlfeilen Worten für sich eingenommen hat, wenn du
verstehst, was ich meine.«
»Ist das schon mal vorgekommen?«
Rittersporn schnaubte.
»Hast du eine Ahnung, Geralt! Das kommt ständig vor. Wenn so etwas ruchbar
wird, dann geht es meist hoch her, das kannst du mir glauben. Der letzte
Sängerwettstreit vor drei Jahren endete mit zwei Toten und dem Verlust eines
Auges. Wolfram von Aschenbach, der dort hinten in der Ecke seinen Vollrausch
ausschläft, hatte das Pech, dass die Laute seines Kontrahenten mit einem silbernen
Krähenschnabel verziert war, der sich tief in sein rechtes Auge bohrte, als die beiden
mit ihren Instrumenten aufeinander einzuschlagen begannen. Seitdem trägt er eine
Augenklappe über dem vernarbten Loch. Ich hörte, nicht wenige Frauen seien sehr
angetan von dem Anblick …«
»Da solle noch mal einer ernsthaft behaupten, Barden könnten keiner
Menschenseele ein Haar krümmen. Nun gut, ich werde darüber nachdenken. Ich
sagte nachdenken, Rittersporn, das ist keineswegs schon eine Zusage, verstanden?«
Das Zimmer war recht spartanisch eingerichtet: zwei Betten, ein Tisch, zwei Stühle
und eine Kommode, auf der eine Waschgelegenheit in Form einer irdenen Schüssel
nebst Henkelkrug vorhanden war. In der Ecke stand ein kleiner Schrank, gerade
groß genug, um die wenigen Habseligkeiten des Hexers und des Barden darin zu
verstauen. Eine Toilette gab es, wie sonst auch üblich, außerhalb des Zimmers, am
Ende des Flures, den sie auf der Suche nach ihrer Kammer durchquert hatten.
Rittersporn rümpfte die Nase. Schon der Geruch auf dem Flur hatte ihn dazu
bewogen, auf den Abgang bestimmter Körperausscheidungen solange zu verzichten,
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bis sie wieder in einer Gegend weilten, in welche, wie er meinte, die Zivilisation
schon Einzug gehalten hatte. Zumindest der Fußboden war anscheinend frisch
gereinigt und das grobe Leinen auf den Betten sauber, soweit es sein strenger Blick
zu beurteilen vermochte. Vorsichtig ließ der Barde sich auf der Bettkante nieder und
prüfte skeptisch die Härte der Matratze.
»Was ficht dich an, Rittersporn? Du hast doch wohl in dieser Gegend keine
Seidenlaken und marmornen Böden erwartet, oder?«
Der Barde grummelte nur, während sich Geralt mit einem wohlgefälligen
Ächzen rücklings auf das andere Bett warf und mit hinter dem Kopf verschränkten
Armen begann, seine Stiefel von den Füßen zu pellen, was ihm zu Rittersporns
Erstaunen recht zügig gelang. Im hohen Bogen flogen sie dann gegen die gekalkte
Wand gegenüber dem Bett, wo sie mit einem lauten Poltern auf den blank
gewienerten Dielen zu liegen kamen.
»Ich habe gar nichts erwartet«, maulte er, »das ist ja mein Dilemma! Ich erwarte
nichts und werde dennoch enttäuscht!«
»Nimm es wie ein Mann, Barde. Wir könnten genauso gut jetzt auf kargem
kalten Boden liegen, unter uns ständig Riesentausendfüßler, welche die Erde auf der
Suche nach Nahrung durchpflügen, und beim Abtritt ist weit und breit kein Blatt
zum Abwischen zu finden …«
»Ja, ich weiß«, räumte der Barde reumütig ein. »Es könnte alles noch viel
schlimmer sein, als es gerade ist.«
»Stimmt genau!« Geralt schwang sich wieder aus dem Bett, zog das leinene
Unterhemd über den silbernen Schopf und legte es über die Lehne des Stuhls, der
ihm am nächsten stand, bevor er zur Kommode hinüberging, um sich Wasser aus
dem Krug über Kopf und Oberkörper zu gießen. Fasziniert betrachtete Rittersporn
die zuckenden Rückenmuskeln, auf denen etliche kleine und größere Narbenwülste
von Geralts bewegter und kampferprobter Vergangenheit zeugten. Er wusste, dass
das Narbengewebe auf der Vorderseite noch imposanter war als das, welches er im
Moment zu sehen bekam, und er fragte sich nicht zum ersten Mal, während ihrer
gemeinsamen Reisen, wie es wohl sei, buchstäblich in Geralts Haut zu stecken.
Seufzend streckte und reckte er sich auf seiner Schlafstatt und ließ sich schließlich
gänzlich auf das überraschend weiche Bett fallen. Sein Kopf stieß gegen etwas
Hartes.
»Verdammt!«, fluchte er und riss das Kopfkissen beiseite. Unter dem Kissen
kam ein Gegenstand zum Vorschein, den der Barde misstrauisch beäugte. Es
handelte sich dabei um eine kleine Statuette aus Ton, die eine hoch gewachsene
Frau mit langem Haar und einem gefalteten Gewand darstellte, wie es Rittersporn
ähnlich schon häufiger in den Tempeln der Melitele gesehen hatte. Diese
Interpretation des Gewandes war jedoch recht freizügig. Sowohl die beachtlichen
Brüste als auch die extrem langen Beine waren nur spärlich von Stoff bedeckt.
Zudem konnte man deutlich die Kniekehle des einen Beines erkennen, das einen
Schritt nach vorn zu machen schien. Rittersporn wünschte sich in diesem Moment
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nichts sehnlicher, als dass ein Wind den Rest des Gewandes erfassen würde, damit
er noch mehr zu sehen bekam. Er bleckte die Lippen und zwang sich dazu, sich
wieder der Vorderseite der Statuette zu widmen. In den Händen hielt die Frau zwei
Schalen, die sich ähnelten und doch geringe Unterschiede aufwiesen. Es schien, als
würde sie beide gegeneinander abwiegen, ohne jedoch die eine der anderen
vorzuziehen oder als besser zu bewerten. War dies eine frühe Interpretation der
Göttin der Gerechtigkeit? Eher nicht, entschied der Barde, denn in ihrem
wunderschönen Gesicht konnte er ihr direkt in die Augen sehen, ohne dass eine
Binde ihren Blick vor ihm verbergen konnte.
Das Gesicht! Rittersporn hielt den Atem an. Ähnelte es nicht … konnte es
sein …?
»Geralt, schau dir das mal an! Sieht diese Statuette nicht genauso aus wie
Yennefer?«
»Was?« Geralts Stimme klang dumpf unter dem Tuch, mit dem er sein Haar
trocken rubbelte.
»Ich habe diese Statuette gerade unter meinem Kopfkissen gefunden. Es stellt
eine leicht bekleidete Frau mit zwei Schalen in den Händen dar, und ihr Gesicht
sieht verdammt noch mal so aus, als hätte Yennefer persönlich dafür Modell
gesessen, oder ich will nicht mehr Rittersporn heißen!« Der Barde drehte die Figur
erneut. »Warte mal, hier ist sogar noch etwas eingraviert. Unten, genauer gesagt
unter dem Sockel. Was, zum Teufel, ist das denn für eine Sprache ...?«
Geralt wurde hellhörig. Sein Medaillon zitterte heftiger als bislang.
»Oge tu, tu oge til de maica brek …«
»Rittersporn! Nicht!« Geralt eilte herbei, doch Rittersporn hatte den Text bereits
zu Ende gelesen. Ein sanftes Leuchten erschien zunächst in der einen tönernen
Schale und dann ein zweites helleres in der anderen. Beide nahmen an Intensität zu,
bis beide Männer geblendet die Augen schließen mussten. Die Statuette begann in
Rittersporns Händen zu vibrieren. Er versuchte sie loszulassen, doch seine Finger
gehorchten ihm nicht mehr.
»Wirf das Ding weg!«, rief Geralt.
»Ich würde ja, aber ich kann nicht!«
Entschlossen griff Geralt nach der Statuette, um sie dem Barden aus der Hand zu
nehmen. Seine Finger schlossen sich gerade um den tönernen Leib, als der Zauber
seine ganze Macht zu entfalten begann. Mit einem lauten Knall zerbarst die Figur in
tausend Stücke. Die dabei entstandene Druckwelle schleuderte Rittersporn und
Geralt voneinander fort. Geralts Rücken krachte gegen das Bettgestell.
Rittersporn hingegen machte Bekanntschaft mit der harten Wand und rutschte
neben Geralts Stiefel zu Boden. Eines hingegen hatten sie gemeinsam: beide
verloren im gleichen Augenblick das Bewusstsein, während sich die Überreste der
Statuette als feiner, glänzender Staub auf die Dielen legte, als hätte sie nie existiert.
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Kapitel VIII
Küsse und ein Brief
R
anold, auf ein Wort!«
Müde, erschöpft und ein wenig mürrisch wandte sich der Angesprochene
um, doch sein Gesicht erhellte sich fast schlagartig, als er erkannte, wer ihn da
gerade angesprochen hatte: der blonde Barde, Ansgar, wie er von Meister
Rittersporn genannt worden war.
»Oh, Meister Ansgar, wie kann ich Euch zu Diensten sein?«
Der Barde lächelte gewinnend. Ein Lächeln, welches seine Wirkung bei Ranold
trotz seines erschöpften Zustands nicht verfehlte.
»Nicht so förmlich, werter Ranold, nennt mich doch einfach Ansgar. Ihr habt
einen schweren Tag hinter Euch, das ist mir nicht entgangen. Doch ich hoffe, ich
kann Euch noch dazu bewegen, mir die eine oder andere Gefälligkeit zu
erweisen ...«
Auch Ranold lächelte nun. Im gleichen Augenblick kam es ihm vor, als sei alle
Mühsal mit einem Wimpernschlag von ihm abgefallen und er hatte keinerlei
Zweifel daran, dass die unmittelbare Nähe des Sängers der Grund dafür war.
Der Tag war tatsächlich hart gewesen. Nachdem der Hexer Geralt und sein
Begleiter Rittersporn sich in die Kammer zurückgezogen hatten, die Leo
MacDanold seit jenem berüchtigten Tag nicht mehr betreten hatte, war rasch Ruhe
in die Schenke eingekehrt. Die letzten Minnesänger, die sich noch auf den Beinen
halten konnten, waren schwankend und torkelnd ebenfalls auf ihre Zimmer
gegangen, während der volltrunkene Rest in die unzähligen Ecken des
Schankraumes gekrochen war, um dort seinen Rausch auszuschlafen. Nicht, dass
damit die Arbeit für ihn und Fiona damit ein Ende gefunden hätte. Die dreckigen
Binsen mussten ausgetauscht, Dielen geschrubbt und Tische gewienert werden,
während in der Küche unzählige Humpen, Teller und Henkelkrüge darauf warteten,
dass jemand sie sorgfältig säuberte und polierte. Ihr Vater hatte zwar Fiona diese
Aufgaben auf das Auge gedrückt, doch für Ranold war es eine Frage der Ehre und
von brüderlicher Liebe, dass er seine Schwester nicht mit dem Berg Arbeit allein
ließ, was Leo MacDanold zwar nicht verborgen blieb, von ihm aber nur mit einem
griesgrämigen Knurren quittiert wurde.
Ansgar hingegen hatte sich noch angeregt mit zwei der ranghöheren Barden
unterhalten, die ihre Kammern verlassen hatten, um unten nach dem Rechten zu
sehen. Was sie dort jedoch zu sehen bekamen, schien ihnen überhaupt nicht zu
gefallen. Im Gegenteil. Mit hochroten Köpfen und die Stirn in Falten gelegt redeten
sie wild gestikulierend einige Minuten lautstark auf Ansgar ein, der lächelnd und
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mit ruhiger Stimme auf sie einwirkte, bis sie sich zusehends beruhigten und
schließlich wieder in ihre Zimmer zurückkehrten, nicht ohne Rittersporns Bruder
zuvor noch anerkennend auf die Schultern zu klopfen.
Ranold bleckte die Lippen.
»Nun, das kommt ganz auf die Gefälligkeit an«, sagte er mit einem
aufreizendem Lächeln, das dem Barden nicht entging.
»Alles zu seiner Zeit, mein lieber Ranold«, sanft ließ der Barde seine Finger
über die raue Wange des Wirtssohns wandern, was diesem einen wohligen Schauer
bescherte. »Zunächst hätte ich eine andere Bitte an dich. Sicher hast du
mitbekommen, dass meine beiden Zunftkollegen nicht gerade sonderlich angetan
waren von dem Zustand der übrigen Barden, Minnesänger und wie sie sich sonst
auch schimpfen mögen. Sie befürchten, und das aus meiner Sicht ganz zu Recht,
dass der übermäßige und unkontrollierte Alkoholkonsum, der hier unten
stattgefunden hat, die Bedingungen des Wettbewerbs unangemessen verzerren
könnte. Nicht, dass sie davon ausgehen würden, dass einer dieser, in ihren Augen,
Versager ihnen auch nur das Wasser reichen, geschweige denn ihnen den Sieg
streitig machen könnte. Aber in einer unerwarteten Anwandlung von Fairness
bestehen sie darauf, dass der Wettbewerb erst dann stattfindet, wenn wirklich
ausnahmslos alle daran teilnehmen können und nicht über die Hälfte irgendwelchen
schweinischen Kram lallt, wenn er an der Reihe ist.«
Ansgar lachte rau. Als ob nicht der größte Teil der Balladen und Gesänge aus
schweinischem Kram bestehen würde, zwar in wohlfeile Worte gefasst und sittsam
vorgetragen, aber dennoch nicht besser als die derben erotischen Zeichnungen und
Schmierereien, die man in dunklen Hinterhöfen und auf bestimmten öffentlichen
Aborten in Wyzima und anderen Großstädten Temeriens entdecken konnte. Kurz
schloss er die Augen und sah auf seiner geistigen Leinwand einige besonders
herausragende Beispiele dieser Kunst an sich vorbeiziehen. Er schluckte und spürte
deutlich, wie der Platz in seiner ohnehin knapp bemessenen Hose noch knapper
wurde, was wiederum Ranold nicht verborgen blieb.
»Und wie kann ich dabei behilflich sein, Ansgar?«
»Du würdest mir eine große Hilfe sein, wenn du deinem Vater von unserer
Entscheidung berichten könntest. Ich weiß, dass er schon lange darauf gewartet hat,
dass es endlich losgeht, doch er muss sich noch bis morgen Mittag gedulden, bis
alle wieder soweit nüchtern sind, dass die Chance zu gewinnen für jeden dieselbe
ist. Keine Sorge, falls dein Vater sich um seine Alkoholvorräte sorgen sollte, teile
ihm einfach mit, dass jeder Barde disqualifiziert wird, der vor Beginn des
Wettbewerbs auch nur einen weiteren Tropfen zu sich nimmt.«
Ranold grinste erleichtert.
»Das sollte kein Problem sein ...«
»Warte noch, mein Lieber! Da wäre noch etwas«, Ansgar zog aus seinem Wams
einen mit Siegellack verschlossenen Umschlag hervor, «ich möchte, dass du
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meinem Bruder Rittersporn diesen Brief gibst und zwar ausschließlich ihm, hörst
du? Das ist immens wichtig! Ich kann mich doch auf dich verlassen, oder?«
Ranold nickte bedächtig.
»Und was bekomme ich dafür, wenn ich diesen Botengang für dich erledige?«
Der Barde grinste verschmitzt, packte Ranold an seinem Wams und bugsierte ihn
in eine uneinsehbare und freie Ecke, wo er ihn eng an sich zog, bis sich ihre beiden
Gesichter fast berührten.
»Das ist nur ein kleiner Vorgeschmack meiner Dankbarkeit«, flüsterte Ansgar
leise in das Ohr seines Gegenübers, bevor seine halb geöffneten Lippen langsam
über die geröteten Wangen von Ranold wanderten, bis er dessen bebenden Mund
fand und diesen schließlich mit einem Kuss versiegelte, der Ranold so süß und
wunderbar erschien, dass ihm in einem kurzen Augenblick der Schwäche die Knie
den Dienst versagten und er in Ansgars starke Arme sackte.
»Komm danach in meine Kammer«, hauchte Ansgar. »Wenn du alles erledigt
hast, werde ich dir den restlichen Tag und die ganze Nacht so versüßen, wie du es
dir in deinen wildesten Träumen nicht vorstellen kannst. Möchtest du das?«
»Ja ...«
Ansgar half Ranold wieder auf die noch etwas zittrigen Beine.
»Spute dich, mein süßer Ranold, umso eher kann ich dir zeigen, wie dankbar ich
sein kann. Glaub mir, diese Nacht wirst du so schnell nicht vergessen.«
Das bezweifle ich keine Minute lang, dachte Ranold und sah dem Barden
sehnsüchtig hinterher, der nach einem weiteren verstohlenen Kuss den Schankraum
in Richtung seiner Kammer verlassen hatte. Er grinste selig.
Nun Barde, ich habe auch so einige Tricks auf Lager. Ansgar sollte nur nicht
glauben, dass er eines dieser unbedarften Landeier ohne jegliche Erfahrung war,
was die körperlichen Freuden anging. Sicher kannst du auch noch etwas von mir
lernen, Lautenspieler! Ranold machte sich in Gedanken eine Notiz, dass er nach
Erledigung seiner Aufträge unbedingt noch diese neuen Spielzeuge aus Leder aus
seiner Kammer holen sollte, mit denen die Dirnen ihre Kunden zurzeit in Wyzima
zu verwöhnen pflegten. Er hatte bislang noch keine Zeit gefunden, sie
auszuprobieren, aber vielleicht war dies ja die richtige Nacht dafür.
Sein Vater bereitete ihm weit weniger Probleme, als Ranold zunächst befürchtet
hatte. Auch an Leo MacDanold war der Tag nicht vollkommen spurlos
vorübergegangen. Es war nicht unbedingt der Haufen von versoffenen,
herumhurenden Barden gewesen, der ihm innerhalb der letzten Stunden die dunklen
Ringe unter den Augen und die dumpfen Schmerzen hinter der Stirn beschert hatten,
sondern eher die Sorgen, die er sich wegen des Hexers machte, der nun unter
seinem Dach weilte.
Ihm war noch immer nicht ganz wohl zumute, wenn er daran dachte, dass der
Weiße Wolf höchstpersönlich nun in derselben Kammer hockte, in der die
vermaledeite Hexe damals ihr Unwesen getrieben hatte, und nur Melitele und die
anderen Götter mochten wissen, was genau das gewesen war. Er war zudem auch
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sichtbar erleichtert, als Ranold ihm den Beschluss der Barden mitteilte, dass der
Wettbewerb erst morgen um die Mittagszeit beginnen sollte, und als er erfuhr, dass
bis zu Beginn des Bardenwettstreits ein absolutes Alkoholverbot gelten sollte, fiel
eine weitere schwere Last von seinen Schultern. Seine Vorräte im Keller hatten eine
Pause auch dringend nötig nach all den Tagen, wo sich das sittenlose Pack auf seine
Kosten mehr als nur die Kehle befeuchtet hatte. Elende Schluckspechte! Nun war
zumindest abzusehen, wann der ganze Irrsinn letztlich ein Ende finden würde. Mit
etwas Glück war morgen in den späten Abendstunden schon alles vorbei.
»Das sind doch mal gute Nachrichten, mein Sohn! Ich frage mich nur, was wir
dem ganzen verkaterten Haufen morgen früh zu trinken anbieten sollen, wenn sie
aus ihren Löchern gekrochen kommen mit Schädeln so groß wie ihre aufgeblasenen
Egos. Normalerweise fängt man ja morgens mit dem an, mit dem man am Abend
davor aufgehört hat, doch dem haben die Herrschaften ja jetzt zu Recht einen Riegel
vorgeschoben.«
Ranold brauchte nicht lange zu überlegen.
»Wie wäre es mit dem Sack dieser seltsamen Bohnen, die wir vor einigen
Monaten anstelle einer Bezahlung von diesem Händler aus Übersee angenommen
haben? Er erzählte uns ja, man könne daraus ein anregendes Getränk herstellen.«
»Du meinst diese rötlichen Kapselfrüchte, denen noch nicht einmal der Fluch
etwas anhaben konnte? Weißt du denn noch, wie sie zubereitet werden müssen? Ich
war an dem Tag ein wenig von der neuen Ladung Wein und den anderen Getränken
aus den südlichen Provinzen abgelenkt …«
Beide sahen sich an und lachten schallend. Denn Leo war damals nicht nur
abgelenkt gewesen.
»Vater, du warst an dem Tag sternhagelvoll! Du konntest dich ja einfach nicht
von der Flasche mit lyrianischem Elfenschnaps trennen, die ich hinterher nie wieder
gesehen habe. Darum hab ich ja auch später von dir ein heftiges Donnerwetter zu
hören bekommen, weil ich mich auf den Handel mit dem Kaufmann aus Übersee
eingelassen hatte. Ich weiß allerdings noch ganz genau, was er zur Zubereitung
sagte: erst über dem Feuer rösten, bis sie dunkelbraun geworden sind, dann
möglichst gleich mahlen und anschließend mit heißem Wasser durch ein feines Tuch
in eine Kanne seihen. Wenn mich nicht alles täuscht, nannte der Mann das Getränk
›Kafwe‹ oder so ähnlich. Vielleicht sollten wir das Ganze mit Zucker und Milch
servieren.«
Leo MacDanold klopfte seinem Sohn aufmunternd auf den Rücken. »Nun, damit
weißt du ja schon, was du morgen in aller Frühe zu tun hast! Kafwe für alle! Dann
sieh mal zu, mein Sohn, dass du vorher noch eine Mütze voll Schlaf bekommst. Das
wird wieder ein langer Tag werden. Fiona ist auch schon zu Bett gegangen. Verdient
habt ihr es ja beide nach diesem anstrengenden Tag.«
Der junge Mann seufzte. An Schlaf war diese Nacht wohl nicht mehr zu denken.
Oh, das würde eine wirklich verdammt kurze Nacht werden, grinste er still in sich
hinein. Aber zunächst einmal hatte er noch etwas Wichtiges zu erledigen. Der Brief
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an Rittersporn brannte ihm regelrecht unter dem Wams ein Loch in sein
Leinenhemd. Er hatte es Ansgar versprochen und er war kein Mensch, der ein
Versprechen leichtfertig gab, Belohnung hin oder her.
Rittersporns und Geralts Kammer lag zu seinem Glück ohnehin auf dem Weg,
den er zu Ansgars Raum gehen musste. Vielleicht waren die beiden ja noch wach
oder zumindest Rittersporn hatte einen so leichten Schlaf, dass er ihn ohne
Probleme wecken konnte, um ihm den Umschlag seines Bruders überreichen zu
können. Einen Versuch war es wert. Leise klopfte er an der Tür, doch im Inneren
regte sich nichts, wie er hörte, als er sein Ohr an das Holz legte. Ranold konnte
nicht wissen, dass sowohl Rittersporn als auch Geralt vor einer guten Stunde das
Bewusstsein verloren hatten, als ihnen ein vergessener Zauber der Hexe um die
Ohren geflogen war, die so viel Leid und diesen schrecklichen Fluch über die Stadt
gebracht hatte.
Nachdenklich nahm Ranold den Umschlag aus seinem Wams und drehte ihn
gedankenverloren in seinen Händen, während er überlegte, was er jetzt tun sollte.
Dann kam er zu einem Entschluss. Rasch ging er auf die Knie und schob den Brief
durch den schmalen Spalt unter der Tür in die Kammer hinein.
Passt!
Er machte sich keine Sorgen darüber, dass jemand anders als der Barde den Brief
in die Hände bekommen könnte. Schließlich stand ja vorne mit großen
geschwungenen Buchstaben sein Name drauf. Und Geralt? Nun ja, konnte der
Hexer überhaupt lesen? Ranold zuckte die Schultern. Egal.
Nun wurde es aber Zeit, seine Belohnung in Empfang zu nehmen. Nach einem
kurzen Abstecher in sein eigenes Zimmer stand er schließlich mit klopfendem
Herzen und heißem Gesicht vor Ansgars Kammer, die sich wie von Zauberhand
öffnete, noch bevor er seine Hand an die Tür legen konnte. Ein vollkommen
entblößter Arm zog ihn in den Raum hinein und im nächsten Moment fand er sich in
der Umarmung des Barden wieder, der bereits ganz und gar nackt war und ihn
erneut so küsste, dass Ranold Hören und Sehen verging.
»Hast du getan, worum ich dich gebeten habe?«
Ranold konnte nur noch nicken. Ansgar lächelte.
»Sehr schön! Ich wusste bereits, als ich dieses Etablissement betrat und dich
zum ersten Mal sah, dass dieser Moment kommen, dass ich dich in meinen Armen
halten würde und wir zwei ...« Ansgars Blick fiel auf den ledernen Beutel, den
Ranold mitgebracht hatte. »... nun, was haben wir denn da?«
Er nahm Ranold den Beutel ab, warf einen Blick hinein und grinste schelmisch,
als er wieder hochsah.
»Sieh mal einer an! Wer hätte das gedacht? Da will es wohl jemand ganz genau
wissen. Ich sage ja immer, stille Wasser sind tief … und gefährlich! Zieh dich aus!«
Rasch kam der Angesprochene der Aufforderung nach, während Ansgar etwas
aus dem Beutel fischte und es ausgiebig untersuchte.
»Willst du das wirklich?«
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Ein Nicken.
»Dann fangen wir mal an«, murmelte der Barde und stieß die Tür mit dem Fuß
zu, bevor das erste Spielzeug zum Einsatz kam. Niemand hörte oder bemerkte in
dieser Nacht etwas von dem, was sich hinter dieser Tür so alles abspielte, denn sie
waren alle entweder viel zu betrunken dazu oder so weit weggetreten, dass sie gar
nichts mehr wahrnehmen konnten. Und die zwei, die es wussten, verloren später
kein Wort darüber, erinnerten sich aber hinterher immer gern an all die Dinge, die in
dieser Kammer geschehen waren.
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Kapitel IX
Ein Zauber tut seine Wirkung
N
un bin ich also im Bilde darüber, was bislang geschehen ist, Geralt; doch sag
mir, was ist da vorhin mit uns passiert? Was ist das für ein Zauber gewesen,
der uns um die Ohren geflogen ist?«
»Ich weiß nicht, wie genau dieser Zauber genannt wird, dafür habe ich allerdings
bereits eine gute Vorstellung davon, was genau dieser Zauber bewirkt hat ...«
Rittersporn rieb sich die schmerzenden Augen. Irgendetwas war anders, er
konnte es nur noch nicht so genau bestimmen. Durch die geschlossenen Lider drang
allmählich wieder helleres Sonnenlicht. Langsam schwand die pechschwarze Nacht
vor seinen Augen und machte Platz für ein hoffnungsvolles Orange.
»Ich glaube«, lachte er leise auf, »ich glaube, mein Augenlicht kehrt jetzt
langsam zurück, Geralt!«
»Ich an deiner Stelle würde die Augen ruhig noch ein klein wenig länger
geschlossen lassen, Rittersporn ...«
»Warum sollte ich?«
Geralt lächelte und sah sich im Raum um. Sein Augenlicht war schon vor
geraumer Zeit zurückgekehrt, was ihn, aufgrund der Wirkung des Zaubers, doch
einigermaßen überraschte. Nun, er würde sicherlich mit den unmittelbaren Folgen
besser zurechtkommen, als der Barde. Soviel war sicher, doch es schadete bestimmt
nicht, wenn er es war, der Rittersporn sanft und schonend gewisse Veränderungen
beibrachte. Geralt blähte die Backen auf und ließ die Luft geräuschvoll entweichen.
»So schlimm, Geralt? Sag mir auf der Stelle, was genau mit uns passiert ist!
Wächst mir ein Horn auf der Stirn? Fehlen uns Körperteile? Nun sag schon, was ist
es! Spann mich nicht länger auf die Folter, Hexer!«
»Keine Sorge, mein Freund.« Geralts Stimme klang amüsiert, was den Barden
gleich ein wenig beruhigte. »Du brauchst keine Angst zu haben; unsere Körper sind
unversehrt und so prachtvoll wie eh und je. Was den Zauber angeht, so könnte man
durchaus sagen, dass wahrscheinlich einer deiner geheimsten Wünsche in Erfüllung
gegangen ist ...«
»Was zum Teufel ...«
Rittersporn hielt es nicht länger aus. Ungestüm riss er seine Augen auf und
blinzelte zunächst, geblendet von der frühen Morgensonne, die direkt in ihre
Kammer schien. Es dauerte einen kurzen Moment, bis er sich an die Helligkeit
gewöhnt hatte. Nichts im Raum hatte sich verändert. Zwei Betten, ein Tisch, zwei
Stühle, ein Schrank, eine Kommode und ein Spiegel, in dem sich der Barde nun
sehen konnte. Vorsichtig fuhr er sich mit der Hand an die Stirn, doch sein
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Spiegelbild weigerte sich, dasselbe zu tun. Rittersporn ließ die Hand wieder sinken,
dann hob er die andere Hand und wedelte damit vor seinem Gesicht herum. Auf der
anderen Seite passierte wieder nichts, ganz im Gegenteil. Sein Spiegelbild runzelte
die Stirn, zog gar genervt eine Augenbraue in die Höhe und seufzte.
»Was machst du da, Barde?«
Was war das? Er sah, wie er selbst redete, doch Rittersporn hatte den Mund nicht
aufgemacht. War der Spiegel etwa verflucht?
»Wenn du glaubst, du sitzt vor einem verhexten Spiegel, mein Bester, so muss
ich dich leider deiner Illusion berauben«, sprach sein Spiegelbild weiter und winkte
ihm zu. »Rittersporn, ich bin es, Geralt, gefangen in einem Bardenkörper, genauer
gesagt, in deinem!«
»Oh, ihr Götter«, fluchte der Barde und sah, wie Geralt, nein er – oder war es
doch sein Spiegelbild? – langsam aufstand und auf ihn zukam. Sein Rücken tat ihm
weh, der Kopf schmerzte zum Erbarmen und mit Schrecken erkannte er, dass sein
guter Freund Geralt die Wahrheit gesagt hatte. Aber wenn Geralt nun in seinem
Körper steckte, dann musste er sich doch zwangsläufig … in Geralts Körper
befinden!
Seine Hände, groß und schwielig und zum Lautezupfen sicherlich ganz und gar
ungeeignet, berührten sein Gesicht. Da war sie, die lange Narbe, die längs über das
Auge verlief, die scharfkantige Nase und der schmallippige Mund, hinter dem sich
eine solch wendige Zunge verbarg, die den zwei Schwertern auf seinem Rücken in
nichts nachstand. Die Finger glitten durch das lange milchige Haar, welches offen
über seiner Schulter hing. Rittersporn atmete schwer. Verdammt, wie hatte das
passieren können?!
»Ganz ruhig, Rittersporn.« Geralt, nein eigentlich er, kniete vor ihm nieder und
umfasste mit seinen nun feingliedrigen Händen das Gesicht des Hexers. Er lächelte
beruhigend auf den Barden ein, griff nach einem der drei Fläschchen, welches in
dem Schultergurt verankert war, der auf dem Tisch lag, öffnete es und gab es
Rittersporn zu trinken.
»Das ist gegen die Schmerzen, die du sicherlich immer noch spürst. Du verfügst
nicht über meine mentalen Kräfte, um sie auf Dauer ausblenden zu können. Ich
kann nur hoffen, dass dieser Zustand nicht permanent ist, denn ich habe nur einen
begrenzten Vorrat an diesem Mittel.«
Mit einem leichten Schaudern zwang sich der Barde, seinen Blick auf das
Gesicht zu richten, das sich ihm direkt gegenüber befand. Er hatte noch nie in
seinem Leben die Möglichkeit gehabt, sein eigenes Konterfei so deutlich vor Augen
zu haben, auch wenn es jetzt Geralts mutierte Augen waren, mit denen er dies tat.
Die Spiegel aus polierter Bronze oder purem Silber, die er bislang ab und an in die
Hände bekommen hatte, zeigten nur recht unvollkommen das, was er nun
unverfälscht erblickte.
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Eigentlich war er doch ein recht hübscher Kerl mit seinen dunklen Haaren mit
dem Kastanienton, dem schmalen elfischen Gesicht, den schönen meerblauen
Augen und dem neckischen Kinnbart, der sein Gesicht formvollendet abrundete.
Geralt erhob sich und reichte ihm eine Hand. Der Barde ergriff sie und ließ sich
von seinem Freund auf die Beine helfen. Das Gesicht des Barden, der nun Geralt
war, verzog sich vor Anstrengung zu einer Grimasse.
»Verdammt, ich wusste überhaupt nicht, wie schwer ich eigentlich bin!«, fluchte
er und wischte sich, mit einem der unzähligen Tücher aus Rittersporns Taschen das
Gesicht ab.
Trotz des Schmerzmittels, das ihm der Hexer gegeben hatte, fühlte Rittersporn
noch immer ein dumpfes, ziehendes Gefühl in dem Körper, der nicht sein eigener
war. Der Schmerz war nicht vollkommen betäubt, sondern lauerte in den
unterschiedlichsten Regionen dieses Körpers darauf, sich hin und wieder
unangenehm in Erinnerung zu rufen.
Vorsichtig streckte sich Rittersporn, dehnte die Gelenke, strich mit der Hand
über die Narben auf der Brust und den Armen, bis hin zum Bund der Hose, den er
kurz lupfte.
»Heilige Scheiße, Geralt! Kein Wunder, dass du jedes Weib von hier bis nach
Nilfgaard ins Bett bekommst. Mit der Ausstattung könnte ich das Singen sofort sein
lassen ...«
Geralt rümpfte die Nase.
»Na, dann wünsche ich dir viel Glück auf der Pirsch, Barde. Nicht jede Frau ist
scharf darauf, mit einem Hexer, einer Missgeburt, ins Bett zu springen. Da hast du
es doch viel bequemer. Du klimperst ein wenig auf deiner Laute herum, versprühst
ein wenig Herzschmerz und Kitsch, und die Frauen, gleich welchen Standes, liegen
dir zu Füßen wie reife Früchtchen, die du nur aufzusammeln brauchst.«
Verwirrt und ein klein wenig beschämt blickte der Barde zu Boden, wobei ihm
Geralts milchweiße Haare wie ein Vorhang vor das Gesicht fielen.
»Komm, lass mich das machen!«
Behutsam glitten Geralts Hände durch die helle Pracht, schoben das Haar nach
hinten in den Nacken und fixierten es dort mit einem Band, das einen Teil des so
gebändigten Haares in die Form eines straff geschnürten Zopfes zwang, der vom
Kopf abstand.
»Es scheint gar so, als ob wir beide ein wenig den anderen um sein Leben
beneidet hätten«, murmelte Rittersporn leise. »Der eine, weil ihm das andere Leben,
das er nur aus Balladen kannte, aufregender und spannender erschien, als das
eigene, und der andere, weil sein Freund ein ruhiges und einigermaßen normales
Leben sein eigen nannte, das er selbst nie würde führen können. Ist das der Grund,
warum der Zauber bei uns gewirkt hat?«
»Ich weiß es nicht, Rittersporn. Ich glaube nicht, dass dieser Zauber ursprünglich
für uns gedacht war. Eher für Leo und einen seiner beiden Sprösslinge. Oder nur für
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Fiona und Ranold. Wer weiß? Zumindest ist sicher, dass derjenige, der ihn hier in
dieser Kammer zurückließ, eine seltsame Art von Humor hat.«
»Nun, wer immer das auch gewesen sein mag, ich hoffe doch, dass mit ein
wenig Glück dieser Zauber zeitlich begrenzt ist, sodass wir unsere eigene Gestalt
wieder haben, bevor ...«
Der Barde verstummte und erbleichte, was allerdings, aufgrund der ohnehin
blassen Gesichtsfarbe des Hexers, nicht weiter auffiel.
»Bevor was, Rittersporn?«
»Der Wettstreit, Geralt, der Wettstreit!«
Nun dämmerte es auch dem Hexer. Der Wettstreit hatte doch am Abend ihres
Ankunftstages beginnen sollen, doch nach dem Stand der Sonne zu urteilen, war,
bereits während ihrer gemeinsamen Bewusstlosigkeit, eine ganze Nacht vergangen.
Rittersporn lief im Kreis. Ein ungewohnter Anblick für Geralt, der seines Wissens
noch nie in seinem Leben dergleichen lächerlich wirkende Bewegungen vollführt
hatte.
Dass Rittersporn zusätzlich noch aufgeregt mit den Händen in der Luft
herumfuchtelte wie ein Flatterer auf Fisstech, machte die Sache nicht gerade besser.
Und mit seinem blanken Oberkörper sah er dabei aus wie einer dieser halbseidenen
Jünglinge, die in den verschwiegenen Ecken von Wyzima ihren seltsamen
Neigungen nachgingen und sie unverhohlen jedem Interessierten gegen harte Orens
anboten. Zweifellos hätte er Rittersporn mit einer kräftigen Ohrfeige auf den Boden
der Tatsachen zurückholen können, wenn er nicht in Sorge um den zarten Körper
des Barden gewesen wäre, von dem er nicht wusste, wie viel Belastung dieser
vertrug, bevor die ersten Knochen brachen.
»Ich verstehe«, sagte er stattdessen nur lapidar.
»Du verstehst? Du verstehst gar nichts!« Rittersporn griff nach Geralts schmalen
Schultern und drückte sie, bis sein Gegenüber einen leisen Schmerzenslaut von sich
gab und der Barde rasch die Hände zurückzog. »Verzeih mir, Geralt, ich hatte keine
Ahnung, welche Kräfte du Tag für Tag bändigen musst ... Ich sorge mich nur um
den Wettstreit. Denk doch daran, dass ich dort auftreten werde und du dort
Schiedsrichter spielen sollst! Wie soll das gehen? Ich hab dich noch nie summen
gehört, geschweige denn mit einem Lied auf den Lippen gesehen. Mein Ruf steht
auf dem Spiel, verstehst du das?«
Geralt legte die Stirn in Furchen.
»Lass das sofort!«
»Was?«
»Leg die Stirn nicht so in Falten, sonst bleibt die so. Ich will meinen Körper in
einem tadellosen Zustand zurück. Keine Falten!«
Geralt lachte schallend. Dann klopfte es an der Tür.
»Meister Rittersporn? Seid Ihr da?«
Der Barde öffnete bereits den Mund, als ihn Geralt mit einer Geste zum
Schweigen brachte.
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»Ja, ich bin hier. Was gibt es?«, antwortete er an seiner Stelle.
»Ich hoffe, ich habe Euch nicht geweckt«, erklang die jugendliche Stimme –
wahrscheinlich handelte es sich um Ranold – hinter der Tür. »Ich wollte Euch nur
Bescheid geben, dass der Wettbewerb in etwa einer Stunde beginnen wird. Unten im
Schankraum gibt es Frühstück und Kafwe für alle ...«
»Danke für die Information! Wir werden rechtzeitig da sein«, flötete Geralt und
fing sich dafür einen bösen Blick aus gelb-schwarzen Augen ein.
»Was zum Teufel ist Kafwe?«
Rittersporn gähnte.
»Das ist ein anregendes Getränk aus gerösteten Bohnen einer Pflanze, die weit
außerhalb der Grenzen Temeriens gedeiht. Richtig aussprechen tut man es übrigens
›Kaffee‹. Ich durfte schon einige Tassen davon kosten, als ich vor einem Jahr einer
gutbetuchten Gräfin, auf meiner Laute ... ähm ... aufspielen durfte ...«
»Den Rest kann ich mir schon denken«, knurrte Geralt, doch mit Rittersporns
Stimmbändern klang es längst nicht so bedrohlich, wie er es gewohnt war.
»Was sollen wir jetzt nur machen? So können wir doch nicht runter in den
Schankraum gehen! Wie stellst du dir das vor?«
»Uns wird wohl nichts anderes übrig bleiben, Barde!« Geralt griff nach seinem
Leinenhemd und dem Wams und warf Rittersporn beides zu.
»Zieh dich an, Rittersporn. Wir werden beide nach unten gehen und unsere
Rollen so gut es geht spielen.« Er schnüffelte kurz an Rittersporns Achsel und
entschied sich spontan, die morgendliche Toilette des Barden einmal ausfallen zu
lassen. Der Barde roch noch wie ein ganzer Veilchenhain. Das sollte für heute
genügen.
»Es wird wohl auch besser sein, wenn ich dich ab jetzt mit Geralt anspreche und
du mich mit deinem Namen. Es könnte sonst zu einiger Verwirrung führen.«
»Stell dir vor«, nörgelte Rittersporn unter dem Hemd, »zu diesem genialen
Schluss war ich in Gedanken auch schon gekommen!«
»Werde nicht zickig, Geralt, und benimm dich gefälligst in meinem Körper. Das
will heißen: keine unbedachten Bewegungen oder gedankenloses Mienenspiel. Sei
einfach wie ich. Unnahbar, kühl in der Ausstrahlung und mit minimaler Mimik. Ich
habe schließlich auch einen Ruf zu verlieren!«
Rittersporn knüpfte das Wams zu, schulterte den Trankriemen und verstaute
ehrfürchtig die beiden Schwerter an ihrem angestammten Platz. Er hatte zwar nicht
vor, sich damit zu duellieren, doch sie gehörten zu dem Hexer wie die Laute zu
einem Barden.
»Wo wir gerade davon sprechen. Auch du solltest einiges bedenken, mein lieber
Rittersporn. Geh nicht so breitbeinig wie ein Krieger. Denk dran, deine dicken Eier
schaukeln jetzt in meiner Hose! Gut. Nun die Laute. He, pass doch auf! So ein
Instrument ist kein Hexerstahl! Schön vorsichtig … genau so, siehst du? Und lächle
doch mal! Mit einem derart sauertöpfischen Gesicht weiß die ganze Schar unten
gleich, dass etwas nicht stimmt. Ja, so ist’s schon besser, aber der Gang könnte noch
- 60 -
etwas geschmeidiger sein. Jetzt hast du gelenkige Hüften, dann nutze sie gefälligst
auch ... Na also, geht doch!«
Eine gute halbe Stunde standen sie beisammen, gaben sich gegenseitig Tipps,
kritisierten einander und waren, letztendlich, mit dem Ergebnis nicht ganz
unzufrieden, das sie in der kurzen Zeit zustande gebracht hatten.
»Es wird Zeit!«
Geralt nickte, öffnete die Tür und setzte sein allerbestes Lächeln auf, das, wie er
hoffte, dem Barden zum Besten gereichte. Diesem hingegen in des Hexers Körper
schauderte es noch leicht, doch er verzog keine Miene und ließ sich nichts
anmerken.
»Was ist denn das?« Geralt bückte sich und nahm den Umschlag vom Boden
auf. »Der ist für dich ...«
Rittersporn erkannte die Handschrift seines Bruders. Rasch brach er mit den
groben Händen Geralts das Siegel und überflog den Inhalt des Briefes.
»Ich befürchte, Rittersporn«, sagte Rittersporn mit einem undefinierbarem
Unterton in der Stimme, »wir haben ein weiteres Problem.«
Das Lächeln auf Geralts Lippen erstarb.
»Was denn nun noch?«
- 61 -
Kapitel X
Das Spiel beginnt
N
icht jetzt«, murmelte Rittersporn und steckte den Brief samt Umschlag
zwischen Wams und Leinenhemd, denn er sah über Geralts Schultern
hinweg schon das nächste Problem auf sie zukommen: eine Gruppe munter
plaudernder und lachender Barden, angeführt von seinem Bruder.
»Ganz gleich, was sie dich fragen oder sagen«, flüsterte er dem Hexer zu, »gib,
wenn möglich, nur allgemeine Phrasen von dir. Am besten wäre es, du würdest nur
lächeln und nicken, aber bloß nicht übertreiben dabei. Mach um Meliteles Willen
nur nicht den Fehler, einen von ihnen zu bevorzugen! Barden sind nachtragende
Diven!«
Geralt lächelte sein bestes Rittersporn-Lächeln.
»Du musst es ja wissen ...«
Bevor Rittersporn zu einer schnippischen Antwort ansetzen konnte, hatte der
kleine Trupp Barden sie auch schon erreicht. Ansgar nickte Geralt mit einem
aufrichtigen Strahlen in seinem Gesicht zu, zögerte kurz, dann umarmte er seinen
Bruder. Für diesen Fall hatte Geralt keine Instruktionen von seinem Freund erhalten,
sodass er nach einem Moment des Zauderns die Umarmung einfach erwiderte, was
Ansgar wiederum zu erstaunen schien.
»Guten Morgen, lieber Bruder!« Ansgars Stimme bebte leicht, fand aber rasch zu
ihrem gewohnten Timbre zurück. »Ich hoffe, du hattest eine angenehme Nacht. Dir
macht es doch wohl nichts aus, wenn ich kurzerhand deinen Freund Geralt von
deiner Seite entführe? Wir haben noch einiges zu bereden. Du weißt schon, JuryAngelegenheiten, nichts Weltbewegendes. Warum gehst du nicht schon nach unten
und ölst deine Stimme? Wie ich gehört habe, erwarten unsere Kollegen schon mit
Spannung deinen Beitrag zum Wettbewerb.«
Geralt warf Rittersporn einen fragenden Blick zu. Die Panik darin war nicht zu
übersehen. Der Barde schloss seine schwefeligen Augen und dachte nach. Irgendwie
musste er verhindern, dass Geralt unabsichtlich seinen Ruf ruinierte, doch im
Moment beanspruchte sein Bruder seine volle Aufmerksamkeit. Die Lösung dieses
Problems hatte noch Zeit, denn der Wettbewerb würde ohne die Anwesenheit der
Jury sicher nicht beginnen. Er sah zu, wie Geralt von den anderen Barden in ihre
Mitte genommen wurde, die ihn zugleich mit dem neuesten Klatsch und Tratsch
versorgten. Der Hexer lächelte tapfer, zog ab und an eine von Rittersporn Brauen in
die Höhe und warf ein »Ach!« oder »Ist nicht wahr?!« in die Unterhaltung ein.
Braver Junge, dachte Rittersporn, während die kleine Gruppe mit Geralt den Gang
- 62 -
hinabging und schließlich im Treppenhaus seinem Blick entschwand. Ansgar
wandte sich Rittersporn zu.
»Es ist gut, dass wir vor Beginn noch einige Augenblicke unter uns sind, Meister
Geralt.«
Rittersporns Miene war unbewegt. Er neigte lediglich ein wenig den Kopf und
hoffte, sein Bruder würde dies als ein Zeichen der Zustimmung interpretieren, was
dieser auch tat. Komm zum Punkt, Ansgar, dachte der Barde. Er kannte seinen
Bruder. Er würde die nächsten Minuten damit verbringen, um den heißen Brei
herumzutänzeln, bevor er endlich zur Sache kam und das ansprach, was ihm auf der
Zunge brannte. Das hatte er schon als Kind gut gekonnt und damit nicht nur einmal
ihre sonst so friedliebende Mutter zur Weißglut und Schlimmerem gereizt.
»Ich will nicht viele Worte machen«, begann Ansgar, dann sprudelten die Worte
nur so aus ihm heraus. »Aus sicherer Quelle weiß ich, dass einige unserer
Sangesbrüder planen, den Wettbewerb zu sabotieren. Ich kenne ihre Namen noch
nicht, weiß aber, dass Rittersporn eine wichtige Rolle in ihrem Plan spielt. Deshalb
habe ich auch dafür gesorgt, dass mein werter Bruder nicht in der Jury sitzt, wie es
zunächst geplant war, sondern Ihr. Anscheinend hat das noch nicht gereicht. Wir
müssen unbedingt verhindern, dass mein Bruder singt. Es ist anzunehmen, dass er
auf irgendeine Weise zum Sieger erklärt werden soll, was den Wettbewerb
sicherlich sprengen würde. Unter uns«, Ansgar beugte verschwörerisch seinen Kopf
so weit vor, dass Rittersporn dessen Atem am eigenen Hals spüren konnte,
»Rittersporn genießt in unserer Zunft nicht gerade den besten Ruf, Ihr versteht?
Futterneid. Er ist einfach zu erfolgreich und lässt alle anderen neben sich
verblassen. So mancher Barde hat noch eine Rechnung mit ihm offen, von der er gar
nichts weiß.«
Rittersporn schloss erneut die Augen. Eine Welle der Übelkeit durchströmte ihn
vom Kopf abwärts durch den ganzen Körper, bis er das Gefühl hatte, sie würde ihn
im nächsten Moment von den Füßen reißen, was aber zu seiner Erleichterung nicht
geschah.
»Ich verstehe«, antwortete er stattdessen mit belegter Stimme. Ansgar hatte sich
wirklich verändert. So offen hatte er ihn noch nie erlebt. Ob es daran lag, dass er
glaubte, sich mit Geralt von Riva zu unterhalten? Würde er auch so offen mit ihm
sprechen, wenn er sich in seinem eigenen Körper befunden hätte und nicht in dieser
Ansammlung von Muskeln und Narben?
»Was schlagt Ihr vor?«
Ansgar rieb sich nachdenklich das Kinn, kratzte sich an den Nasenflügeln, bis
ihn ein Geistesblitz zu treffen schien, denn er schnippte mit den Fingern und ein
helles Strahlen überflutete sein Gesicht.
»Ihr werdet ihn davon abhalten! Auf mich würde er nicht hören. Ich schrieb ihm
einen kurzen Brief, in dem ich ihn mit knappen Worten warnte, doch Ihr habt ja
seine Reaktion beobachten können, als ich eintraf. Er scheint die Warnung nicht
besonders ernst zu nehmen. Euch vertraut er allerdings! Sprecht mit ihm, haltet ihn
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von seinem Vortrag ab oder nehmt Euch seine Laute vor, wenn es nötig sein
sollte ...«
Rittersporn zuckte zusammen.
»Ich glaube nicht, dass er seine Laute unbeaufsichtigt lassen würde. Sie war ein
Geschenk einer Elfe aus Dol Blathanna. Er hatte sie einmal bei einer ... nun ...
Schülerin in Wyzima vergessen und lässt sie seitdem so gut wie nie mehr aus den
Augen.«
»Dann werden wir uns etwas anderes überlegen müssen«, antworte Ansgar
nachdenklich, während sie sich zusammen auf den Weg nach unten machten.
Im Schankraum hatte man inzwischen die Tische so zusammengestellt, dass sie nun
einem großen Hufeisen ähnelten, in dessen Mitte ein Stuhl stand, auf dem der
jeweilige Teilnehmer sein Lied zum Besten geben konnte. An der Kopfseite dieses
Hufeisens saßen bereits einige Barden, die augenscheinlich zur Jury gehörten, da
sie, anders als ihre Kollegen, die noch eifrig dem Frühstück inklusive Kaffee
zusprachen, bereits in diversen Pergamenten blätterten, die wohl für den Wettstreit
von einiger Bedeutung waren.
Rittersporn entging keineswegs der Blick, den sein Bruder Ansgar Ranold, dem
Sohn des Wirtes, zuwarf und der von diesem zwinkernd erwidert wurde. Er glaubte
auch kurz Fiona zu erblicken, die sich verstohlen umsah, bevor sie eine Gestalt in
einen der Nebenräume geleitete. Wahrscheinlich war das dieser Cailin, überlegte er,
dieser stumme Idiot von gestern. Mittags auf ein Feld zu gehen, um seiner Liebsten
einen Blütenkranz zu pflücken, mochte zwar romantisch anmuten, doch in
Gegenwart einer Mittagserscheinung war dieses Unterfangen wirklich nur
ausgesprochen dämlich zu nennen. Vielleicht wäre es aber ein passender Stoff für
eine tragische Ballade? Er notierte sich diesen Einfall in Gedanken.
Dann erblickte er Geralt. Ein seltsames Gefühl überkam ihn, als er sich selbst
dort inmitten der anderen Barden stehen, lachen und scherzen sah. Seine Wangen
waren gerötet und seine Bewegungen erschienen fahrig, was Rittersporn auf den
Becher in seiner Hand zurückführte, in dem sich heißer, noch dampfender Kaffee
befand. Er kannte dieses Getränk gut. Es war, in Maßen zu sich genommen, ein
anregendes Gebräu, das einem die Nächte verkürzen konnte, wenn man nicht in den
Schlaf fand. Mit dem Kaffee war es jedoch wie mit der Medizin: die Dosis machte
den Unterschied. Waren ein oder zwei Tassen noch anregend und erfrischend, so
schlug der Effekt nach einem halben oder gar ganzem Dutzend rasch ins Gegenteil
um. Und wenn er sich Geralt nun so besah, dann konnte er davon ausgehen, dass
dessen zweite Tasse Kaffee schon einige Zeit zurücklag.
»Kommt zu den anderen Juroren, wenn Ihr soweit seid.« Ansgar verbeugte sich
förmlich und ging mit angemessenen Schritten auf den Tisch an der Kopfseite zu.
Rittersporn hingegen pickte sich unter Zuhilfenahme seiner Ellbogen Geralt aus
der Meute heraus und lotste ihn in eine ruhigere Ecke.
»Wir müssen reden!«
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»Dann fang mal an ...« Geralt schwenkte den Becher, bis die dunkelbraune, fast
schwarze Flüssigkeit über den Rand schwappte. Rittersporn wand den Becher aus
Geralts Hand, äugte misstrauisch hinein, schnüffelte kurz und zuckte zurück.
»Verdammt!«, fluchte er. »Doppelt geröstet und dann auch noch pechschwarz.
Warum hast du nicht Milch und Zucker dazugenommen?«
Geralt sah ihn mit verwundertem Blick an. »Weil ich ein Hexer bin und kein
Weichei!«
»Wie viele Tassen hast du davon schon getrunken?«
Der Hexer in Gestalt des Barden winkte verächtlich ab. »Nun stell dich mal nicht
so an, Geralt«, antwortete er, wobei er seinen eigenen Namen kaum hörbar betonte,
»das waren doch gerade mal sieben oder acht Tassen! Was ist schon dabei?«
Rittersporn schnaubte. »Das bekommst du schon früh genug mit! Stell dich
schon mal auf Herzrasen und Hitzewallungen ein, mein Lieber! Und Schlaf wirst du
dann wohl auch nicht so schnell finden. Ich bin heilfroh, gerade mal nicht in meiner
eigenen Haut zu stecken. Sei’s drum! Ich habe Wichtiges mit dir zu besprechen. Es
geht das Gerücht um, einige Barden wollen den Wettbewerb sabotieren und du, also
Rittersporn, wirst dabei eine Rolle spielen. Wir müssen dafür sorgen, dass du auf
keinen Fall singst ...«
»Das hatte ich ohnehin nicht vor, werter Freund!«
»Du verstehst den Ernst der Lage nicht!«, zischte Rittersporn. »Wenn du nicht
singst, dann ist mein ohnehin lädierter Ruf, wie Ansgar mir beteuerte, bald ganz
zum Teufel. Singst du aber, dann nimmt der Wettstreit kein gutes Ende und Wolfram
von Aschenbach kann folglich nur hoffen, dass er sein verbliebenes Auge nicht auch
noch verliert. Von den anderen Barden mal ganz abgesehen. Ich denke nicht, dass
die brave Familie des Wirts große Lust verspürt, den Boden von Blut und
verstreuten Körperteilen reinigen zu müssen. Du hast ja keine Ahnung, wie scharf
so eine Lautensaite sein ...«
Rittersporn kam eine Idee. Er packte Geralt bei den Schultern, doch erneut etwas
zu hart, denn sein Gegenüber stöhnte auf und ging leicht in die Knie. Er lockerte
seinen Griff augenblicklich.
»Wenn ich nachher auf dich zukomme und dich um etwas bitte, dann sträube
und ziere dich erst einmal etwas, bevor du meinen Wunsch erfüllst. Hast du
verstanden?«
Geralt steckte den kleinen Finger in sein Ohr und rüttelte in der Muschel herum.
»Laut und deutlich, mein Freund, ich bin schließlich nicht taub.«
»Wir sehen uns dann!«
Der Lärm im Raum hatte merklich abgenommen und die Barden nahmen allmählich
ihre Plätze an den Tischen ein. Da allerdings mehr Sänger anwesend als Sitzplätze
vorhanden waren, stand der Rest hinter ihren sitzenden Kollegen. Geralt, der
langsam zu dem offenen Ende des Hufeisens geschlendert war, sah neben den
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ganzen Minnesängern auch noch einige der verbliebenen Dorfbewohner, die sich
dieses Spektakel anscheinend nicht entgehen lassen wollten.
Da er aufmerksam den Gesprächen der anderen Barden zugehört hatte, ohne sich
selbst allzu sehr darin verwickeln zu lassen, kannte er ganz gut die näheren
Umstände des Wettstreites und vor allem, welche Personen neben Ansgar und seiner
eigenen Wenigkeit darüber richteten, wer den Titel des besten Barden erringen
würde.
Da saß zum Beispiel der kahlköpfige und bereits in die Jahre gekommene Malin
von Versfeld. Er hatte seine besten Jahre schon lange hinter sich gebracht und war
recht zufrieden mit seiner Stellung als Professor für angewandte Harmonik an der
Universität Oxenfurt. Gerade im Moment trafen sich ihre Blicke und Geralt senkte
ehrfurchtsvoll den Kopf, da er wusste, dass dieser Mann auch Rittersporn
unterrichtet hatte.
Anders verhielt es sich mit René de Bellegout. Ein widerlicher Kerl mit einem
dürren Kinnbart, der gerade einmal aus drei Haaren zu bestehen schien. Er war
jung, ehrgeizig und relativ skrupellos, was seine Methoden anging, um zu Ruhm
und Ansehen zu gelangen. Sein großes Manko jedoch war sein Mangel an Talent.
Jede Nebelkrähe sang besser als er, sodass er sich darauf spezialisiert hatte, andere
junge Talente gegen Entgelt unter seine Fittiche zu nehmen, ihnen die Texte für ihre
Balladen zu schreiben und kräftig von ihren Einnahmen, die sie durch Auftritte vor
Publikum erwirtschafteten, abzusahnen. Geralt mochte ihn nicht. Wenn er jemanden
in Verdacht hatte, den Wettstreit zu manipulieren, dann gehörte René de Bellegout
ohne Zweifel an die Spitze seiner Liste.
Der letzte Juror in dieser Reihe hatte selbst ihn überrascht, denn dabei handelte
es sich um eine Frau. Eine Bardin hatte er in persona bislang nur einmal getroffen,
doch auch ihm war schon die Kunde von Gwenhyfher der Schönen, wie sie genannt
wurde, zu Ohren gekommen. Diese zierlich anmutende Frau mit den elfenhaften
Gesichtszügen hatte es tatsächlich geschafft, ihren Platz in einer von Männern
beherrschten Domäne nicht nur zu erobern, sondern zudem noch auf Dauer zu
behaupten.
Rittersporn war in der Zwischenzeit zur Gruppe der Juroren gestoßen und setzte
sich vorsichtig, darauf bedacht, dass ihn die beiden Schwerter nicht allzu sehr
störten. Er lockerte etwas den Gurt, der beide stramm auf seinem Rücken hielt,
sodass sie sich seinen Bewegungen auf dem Stuhl jederzeit anpassen konnten.
Geralt grinste innerlich.
Malin von Versfeld erhob sich. Fast augenblicklich verstummte auch das letzte
Gespräch, bis nur noch ein leises Murmeln und vereinzeltes Räuspern zu hören war.
Malin sah sich um und betrachtete mit einem wohlwollenden Lächeln die
Anwesenden.
»Meine Lieben, ich freue mich, dass Ihr so zahlreich zu diesem Wettstreit
erschienen seid, in dem wir den Besten unter uns ermitteln wollen. Eine
organisatorische Notwendigkeit noch vorweg: Wer bislang die Teilnahmegebühr in
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Höhe von 50 Oren noch nicht bezahlt haben sollte, kann dies innerhalb der nächsten
Stunde bei unserem Gastgeber, dem ehrenwerten Leo MacDanold, nachholen. Der
Preis für den besten Barden beläuft sich nach aktueller Zählung auf 7900 Oren.«
Die Menge klatschte und klopfte zustimmend mit den Knöcheln auf die Tischplatte.
»Die Regeln unseres Wettstreites erklärt Euch nun meine werte Kollegin
Gwenhyfher!« Malin setzte sich, Gwenhyfher zugewandt applaudierend, zurück auf
seinen Platz. Die Bardin erhob sich und legte eine Hand auf ihr Herz. Dann erhob
sie ihre Stimme und Geralt spürte, wie sich bei ihrem Klang ein wohliges Gefühl in
seinem ganzen Körper ausbreitete. Er war bezaubert.
»Auch ich grüße alle anwesenden Barden auf das Herzlichste. Die Regeln sind
kurz und einfach: Jeder Teilnehmer trägt ein Lied oder Ballade seiner Wahl vor,
Thema und musikalische Untermalung sind ihm überlassen. Einzige Ausnahme ist,
wenn zwei Teilnehmer dasselbe Musikstück zum Vortragen auswählen sollten. In
diesem Fall muss derjenige, der als zweites singt, ein anderes Stück wählen. Es ist
nicht erlaubt, den Sänger bei seiner Vorführung durch Pfiffe, Zwischenrufe oder das
Werfen von Lebensmitteln oder Bierkrügen zu stören. Dies führt sofort zur
Disqualifikation desjenigen, der diese schändliche Tat ausführt hat. Eine
Rückerstattung der Teilnahmegebühr ist in diesem Fall aus verständlichen Gründen
nicht möglich und auch nicht angebracht. Habt Ihr noch Fragen dazu?« Sie sah sich
aufmerksam um, doch keiner meldete sich zu Wort. »Nun gut, dann können wir
wohl beginnen ...«
Geralt sah, wie sich Rittersporn in seiner Gestalt auf den Tisch aufstützte und
sich langsam erhob. Formvollendet ergriff er Gwenhyfhers Hand und führte sie an
seine Lippen.
»Verzeiht mir, werte Gwynhyfher, dass ich Euch so ungalant unterbreche. Ich
weiß, dass ich in dieser Gesellschaft der Außenseiter bin und ich empfinde es als
große Ehre, dass Ihr mich in Eure Runde so wohlwollend aufgenommen habt.
Daher möchte ich, Eure Erlaubnis vorausgesetzt, auch etwas zum Besten geben,
wenn ich auch nie den hohen Anforderungen der hier Anwesenden genügen kann.«
Gwenhyfher kicherte überrascht, entzog ihm aber nicht ihre Hand, die er
daraufhin ein zweites Mal an seine schmalen Lippen führte.
»Ich wüsste nicht, das etwas dagegen sprechen würde, werter Meister Geralt. Ich
bin sicher, meine Kollegen sehen das ebenso!«
Geralt bemerkte, wie René de Bellegout nachdenklich die Stirn in Falten legte
und auch Ansgar sah man an seiner Miene an, dass er nicht wusste, wie er
Rittersporns Angebot deuten sollte. Lediglich Malin lächelte und schmatzte
zufrieden vor sich hin.
»Ich muss gestehen«, erläuterte Rittersporn mit einem verschmitzten Lächeln,
»dass ich mir in einsamen Nächten in Kaer Morhen die Zeit damit vertrieben habe,
ein wenig auf der Laute zu spielen - natürlich ohne jemals die hohe Kunst und das
Können eines Rittersporns erreichen zu können ...«
Geralt senkte den Kopf. Trag nicht zu dick auf, Barde!
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»Nun, der Rede kurzer Sinn, darum möchte ich meinen Freund Rittersporn
bitten, mir zu diesem Zweck seine Laute zu borgen ...«
Der Hexer zuckte zusammen. Das Spiel begann also.
»Mein lieber Geralt«, antwortete er deshalb mit überraschter Miene, »ich fühle
mich zwar geehrt, dass du gerade mein Instrument auserwählt hast, doch ich muss
deinem Ersuchen leider eine Abfuhr erteilen. Zu wertvoll ist mir die Laute, die, wie
du weißt, ein Geschenk war, wie man es nicht alle Tage erhält!«
»Natürlich ist mir das bewusst, mein Freund, doch bitte ich dich, für mich eine
Ausnahme zu machen.«
Geralt tat, als würde er angestrengt nachdenken. Dann nahm er die Laute von
seinem Rücken, betrachtete sie mit einem wie er hoffte liebevoll wirkendem Blick,
seufzte theatralisch und ging langsam zum Tisch der Juroren.
»Meinetwegen, Geralt, doch ich warne dich: Behandle sie gut! Vielleicht ist dies
auch keine schlechte Möglichkeit, um allen hier zu zeigen, dass Hexer lieber bei
ihren Leisten bleiben und uns Barden besser das Singen überlassen sollten.«
Vereinzeltes Gelächter brandete auf. Rittersporn ergriff vorsichtig seine Laute
aus den Händen von Geralt, der sich wieder zum Ende des Hufeisens zurückzog, um
der Dinge zu harren, die jetzt folgen würden.
Der Barde fand es ungewohnt, mit Geralts Fingern, die das Spielen eines
Musikinstruments so gar nicht gewohnt waren, die Saiten nachzustimmen. Das
Instrument kam ihm vor wie ein rohes Ei, das in viel zu kräftigen Händen gehalten
wurde, aber er war ein Barde und würde auch diese Herausforderung meistern.
Wäre ja gelacht!
Er zupfte versuchsweise an den Seiten, was im Publikum zu leichten
Heiterkeitsausbrüchen führte, während er überlegte, was er zum Besten geben
konnte. Auf keinen Fall eine seiner eigenen Kompositionen, so viel stand fest.
Etwas einfaches sollte es sein, nicht zu hochtrabend, eher wie die Lieder, wie sie die
Hafenarbeiter in Cintra sangen. Er lächelte still in sich hinein. Nun, dann beginnen
wir mal mit etwas Selbstironie!
Rittersporn erhob die Stimme, summte einige Laute, während die Töne seines
Musikinstruments allmählich klarer hervortraten. Mit einigen von ihm absichtlich
eingefügten Misstönen natürlich, damit sein wahres Können nicht sogleich zutage
trat:
»Meister Rittersporn wird von vielen geschätzt
im Leben hat er noch nie eine Frau versetzt
Männer sehen ihn von hinten
meist nur rasch entschwinden
nachdem er ihnen die Hörner hat aufgesetzt
nachdem er ihnen die Hörner hat aufgesetzt ...«
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Rittersporn sah in die Runde, weiterhin die Melodie auf der Laute spielend.
Überraschung hatte sich auf den meisten Gesichtern der anderen Barden
ausgebreitet, um dann einem lauten, tosenden Beifall Platz zu machen. Einige
Barden lachten Tränen und selbst in den Augenwinkeln der schönen Gwenhyfher
sah er welche funkeln, wenngleich sie auch versuchte, sich ihre Belustigung nicht
anmerken zu lassen. Selbst Geralt schmunzelte, obwohl er sich den Anschein von
stoischer Ruhe zu geben versuchte. Rittersporn sang die Strophe noch ein zweites
Mal und diesmal sangen die Barden den letzten Satz lauthals und mit Begeisterung
mit, wie sie es auch bei den folgenden Strophen tun sollten.
»Einst boten zwei Nonnen aus Wyzima
freizügig mir ihre verhüllten Körper dar.
Wollte sie gerade beglücken,
als die Rechnung sie zücken:
Das kostet dich dann 500 Oren in bar!
Das kostet dich dann 500 Oren in bar!
Ich traf mal eine hübsche Maid in Vergen.
Schon lang lebte sie dort bei den Zwergen.
Und es war rasch klar:
Dort die größte sie war.
Und das lag nicht nur an ihren zwei Bergen.
Und das lag nicht nur an ihren zwei Bergen.
Ich kannte eine Dame aus Tretogor;
stets schickte sie ihre Magd mir vor.
Sie sollte mich testen,
war eine der Besten.
Drum blieb die Herrin stets außen vor.
Drum blieb die Herrin stets außen vor.
Eine Lady stolzierte durch Oxenfurt.
Jung war sie und von edler Geburt.
Sie schien ohne Tadel,
von ganz hohem Adel.
Und doch hat sie mit mir herumgehurt.
Und doch hat sie mit mir herumgehurt.
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Letztes Jahr machte ich Rast in Ghelibol.
Eine Stadt, die mit hübschen Frauen voll.
Das Gesicht wurd’ immer länger,
denn ich hatte einen Hänger.
Da half über die Runden mir nur der Alkohol.
Da half über die Runden mir nur der Alkohol.
Aus dem Umland des schönen Beauclair
kommen die herrlichsten Frauen oft her.
Sie werden rasch tätlich,
sind einfach unersättlich,
bis ich rufe: Ich kann jetzt nicht mehr!
bis ich rufe: Ich kann jetzt nicht mehr!
Einmal kam ich im Sommer nach Dorian,
dort machte sogleich eine Magd mich an.
Kaum war runter der Rock,
da kam schon der Schock:
An der Magd hing unten noch was dran!
An der Magd hing unten noch was dran ...«
Der ganze Saal tobte, als Rittersporn nach der letzten Strophe noch einige Akkorde
spielte, um das Lied abzurunden. Beim letzten Akkord geschah es: Rittersporn
verstärkte unmerklich die Spannung seiner Finger und brachte zwei Saiten der
Laute zum Reißen. Ein Raunen ging durch die Menge, Geralt sprang entsetzt mit
theatralischem Geschick auf und eilte zu seinem Freund, um ihm die Laute mit
gespielter Empörung aus der Hand zu reißen und den Schaden zu begutachten.
»Ich hatte es geahnt«, jammerte Geralt ganz nach Rittersporns Art, »du und
deine vermaledeiten Wurstfinger! Dir ist klar, dass ich die Saiten der Laute nicht
einfach ersetzen kann, oder? Hätte ich sie dir doch nur nicht überlassen! Jetzt bleibt
mir nichts anderes übrig, als mich aus dem Turnier zurückzuziehen ...« Er verbeugte
sich mehrmals vor den Juroren und verließ bewegt mit eiligen Schritten den Saal.
Rittersporn sah ihm perplex nach und tauschte einen raschen Blick mit Ansgar
aus, der ein Grinsen nicht unterdrücken konnte. Er bewegte die Lippen, ohne einen
Ton zu sagen, doch Rittersporn verstand ihn auch ohne Worte: Gut gemacht!
Der Barde nickte ihm unbemerkt zu. Geralt war erst einmal vom Feld
genommen und es blieb ihnen nur die Hoffnung, dass die Saboteure nicht noch ein
Ass im Ärmel hatten, das sie auszuspielen gedachten.
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Kapitel XI
Hexenwerk
C
ailin mochte es eigentlich, wenn Fiona ihn berührte. Doch der feste
Handgriff, mit dem sie ihn nun quer durch die Haupthalle des »Roten
Löwen« in Richtung Küche zerrte, war für ihn zu viel des Guten. Er stieß einen
unhörbaren Laut aus, der zugleich Missmut als auch Schmerz ausdrücken sollte,
sich aber eher nach dem tonlosen Maunzen einer kleinen Katze anhörte. In solchen
Momenten verfluchte er das Schicksal, das ihn seiner Stimme beraubt hatte.
Fiona hingegen bemerkte zunächst nichts von der Pein ihres Freundes, bis sie
den Seiteneingang der Küche, der zu einem kleinen, aber geräumigen Vorratsraum
führte, hinter sich gelassen hatte. Das Gesicht ihres Freundes war rot angelaufen
und aus seinen Augen sprangen ihr kleine Blitze entgegen. Wütend entwand er sich
ihrem Griff und betrachtete seine blutleere Handfläche, in die langsam wieder der
Saft des Lebens zurückkehrte, während er sie ausgiebig massierte.
Erschrocken hielt sich Fiona eine Hand vor dem Mund, dann streichelte sie
vorsichtig über den blonden Haarschopf ihres Geliebten, eine versöhnliche Geste,
die sich zwischen ihnen im Laufe der Zeit entwickelt hatte.
»Verzeih mir, Cailin«, flüsterte sie, »ich wollte dir nicht wehtun, das musst du
mir glauben! Es tut mir so leid, aber du weißt doch, dass mein Vater sich immer so
aufregt, wenn er dich sieht. Du hast Glück, dass er gerade mit den Barden
beschäftigt ist und kaum Zeit hat, sich jeden einzelnen Gast anzusehen, der durch
die Tür kommt. Was willst du überhaupt gerade heute hier?«
Cailin begann beredt unter Zuhilfenahme der Hände und seiner Mimik seiner
Angebeteten zu erklären, warum er trotz der Gefahr, von Fionas Vater entdeckt zu
werden, den Weg in den »Roten Löwen« gesucht hatte, allerdings so schnell, dass
Fiona kaum hinterher kam und ihm schließlich in die Hände fallen musste.
»Nicht so schnell, mein Lieber! Ich komme ja gar nicht mehr mit. Habe ich dich
jetzt richtig verstanden, dass du heute gekommen bist, weil du die Faden schwingen
sehen willst …? Das ergibt doch überhaupt gar keinen Sinn …«
Cailin schüttelte verärgert den Kopf und ließ erneut seine Hände und Finger
sprechen, diesmal allerdings in einer auch für seine Freundin verständlichen
Geschwindigkeit. Diese schlug sich lachend an den Kopf.
»Ach, jetzt versteh ich! Du willst die Barden singen hören.«
Die Augen des jungen Mannes strahlten, als er eifrig nickte. Seit er denken
konnte, waren die Musik und die anderen Künste aus seinem Leben nicht mehr
wegzudenken. Begeistert lauschte er den vorbeiziehenden Sängern, wenn sie in der
Stadt Rast machten, um mit ihrem Spiel ein wenig Geld für Unterkunft und
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Verpflegung zu verdienen. Dass gerade die Barden es ihm angetan hatten, ging auf
einen speziellen Grund zurück. War doch sein Vater, den er selbst persönlich nie
kennengelernt hatte, auch ein Vertreter dieser Zunft gewesen. Von ihm hatte Cailin
auch sein eigenes musikalisches Talent geerbt, denn schon von Kindesbeinen an
bereitete es ihm keinerlei Schwierigkeiten, die mannigfaltigen Musikinstrumente
spielen zu lernen. Ohne Mühe beherrschte er rasch jedes Instrument, welches ihm in
die Hände fiel: Gekonnt zupfte er die Saiten der unterschiedlichsten Lauten, schlug
er hingebungsvoll die Trommel und das Tamburin, immer im Takt der Lieder, die
sich wie von selbst Note für Note in seinem Kopf zusammenzusetzen schienen.
Wenn er zu den Liedern auch noch seine Stimme hätte erheben können, dann wäre
er sicher wie sein Vater ein großer Barde geworden, der von innerer Unruhe
getrieben durch die Lande zog, um sowohl Menschen als auch Anderlinge mit
seiner Musik zu begeistern und seiner Stimme zu erfreuen.
Seine Mutter, die gestorben war, als er gerade sechs Jahre zählte, hatte seine
Talente bereits früh erkannt und ihn mit ihren bescheidenen Mitteln gefördert, wo
sie nur konnte. Nicht selten übernachteten die jungen herumziehenden Barden, die
sich ihren Ruf erst noch erarbeiten mussten, in ihrem Hause für Kost und Logis,
indem sie Cailin etwas von ihrem Können lehrten. Seine Mutter selbst sang ihm
stundenlang die Lieder seines Vaters vor, bis sich schließlich jeder Ton, jede Nuance
davon tief in sein Herz eingebettet hatte und dort nur darauf wartete, eines Tages
wieder hervorkommen zu dürfen. Leider würde er diesen Tag nie erleben, solange
seine Lippen stumm blieben. Er fühlte sich deshalb manchmal wie ein nutzloses
Musikinstrument, bei dem die Saiten fehlten oder wie ein unvollendetes Lied, das
nie jemand singen würde. Cailin seufzte innerlich, während er nach außen hin seine
Freundin anstrahlte.
»Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist, Cailin ...« Bedenklich schüttelte sie
den Kopf, lenkte aber rasch ein, als sie Cailins enttäuschten Gesichtsausdruck
bemerkte. »Ist ja schon gut! Ich werde mal schauen, ob die Luft rein ist und du hier
einigermaßen sicher bist.«
Cailin nahm ihre Hand und führte sie an seine Lippen. Fiona kicherte überrascht
und errötete, entzog ihm allerdings nicht ihre Hand, bis er sie schließlich selbst
freigab. Mit beschwingtem Gang ließ sie ihn zurück. Er sah sich um, nahm einen
Stuhl und stellte ihn direkt vor die Tür, welche ihn von dem großen Saal trennte, in
dem der Wettstreit bald beginnen würde. Vorsichtig lehnte er sein Ohr gegen die
nicht allzu dicke Tür und lauschte den Einführungsworten der Jury, als wie aus dem
Nichts Fiona wieder auftauchte und Cailin einen gehörigen Schrecken einjagte.
Bühnenreif griff er sich an die Brust und imitierte mit der flachen Hand ein wild
flatterndes Herz.
»Verzeih mir auch dieses Mal«, flüsterte sie liebevoll, nahm sein Gesicht in ihre
Hände und küsste ihn so sanft und süß, dass ihm fast die Sinne schwanden. »Ich
bringe gute Nachrichten. Vater hat sich in seine Kammer zurückgezogen und
Ranold und meiner Wenigkeit die Verantwortung übertragen. Du hast also nichts zu
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befürchten, ganz im Gegenteil. Wenn du möchtest, kannst du sogar in die
Hauptküche gehen und von dort auch noch einen Blick auf die Meute werfen.«
Cailin sprang erfreut auf und packte Fiona an den Hüften, um sie durch die Luft
zu wirbeln. Der enge Raum erlaubte allerdings nicht mehr als eine halbe Drehung,
die in einer festen Umarmung gipfelte. Er war auch so zufrieden. Lachend befreite
sie sich aus seinen starken Armen, in denen sie durchaus noch gern ein wenig
verweilt hätte.
»Eine Bedingung hab ich allerdings, mein Lieber: Sieh zu, dass du Ranold und
mir nicht im Wege stehst. Es wird schon schwierig genug werden, die ganzen
Männer da draußen einigermaßen in Schach zu halten, da muss ich nicht noch in der
Küche ständig über dich stolpern. Verstanden?« Cailin nickte. »Gut, dass wir uns
einig sind. Am besten setzt du dich neben die offene Tür. So kannst du stets einen
Blick auf denjenigen erhaschen, der gerade sein Lied vorträgt, ohne selbst gesehen
zu werden.«
So wurde es getan. Cailin hatte sich kaum auf seinen Platz gesetzt, als auch
schon Geralt von Riva aufstand, um die Runde mit einigen selbst vorgetragenen
Versen zu erheitern. Lautlos lachend und mit Tränen der Belustigung lauschte er
dem Lied, das der Hexer zum Besten gab, bis ihm am Ende seiner Vorstellung die
Saiten barsten; ein Umstand, der den jungen Mann nachdenklich stimmte, denn
bislang hatte Geralt das Instrument seines Freundes Rittersporn vortrefflich gespielt,
auch wenn es für ihn den Anschein hatte, als würde er absichtlich einige Noten
falsch spielen. Warum aber sollte er dies tun? Cailin verstand Rittersporns
Entrüstung über das beschädigte Instrument nur zu gut, doch sein unmittelbar
folgender Abgang wirkte in seinen Augen etwas aufgesetzt. Es blieb ihm allerdings
nicht viel Zeit, um darüber länger nachzudenken, da schon der nächste Barde, ein
junger Kerl mit roter Mähne und gesprenkeltem Gesicht, vortrat, um sein Lied
vorzutragen. Gespannt lauschte er den ersten Akkorden und ließ sich dabei auch
nicht von Fiona stören, die mit einem Tablett leerer Krüge durch die Tür huschte
und seinen Kopf dabei nur knapp verfehlte. Er würde besser aufpassen müssen. Nun
lehnte er sich zurück, schloss die Augen und ließ sich ganz und gar von der Musik
gefangen nehmen.
»›Alsdann, im fahlen Morgenlicht ...‹
der edle Dichter zu uns spricht.
Auf einem Fels wie einem Thron
sitzt der Meisterbarde Dandelion.
Das Publikum, es lauscht gespannt
wie er die Mär in Verse bannt.
Die Laute hält er und dann singt
von Leid, das nur die Liebe bringt:
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›Alsdann, im fahlen Morgenlicht,
die Sonn’ die kalte Nacht durchbricht
sieht man, derweil die Erd’ sanft schweigt,
einen Zwerg, zu Übermut er neigt.
Er lacht, frohlockt und ist gar toll,
ihm läuft das Herz so übervoll,
da, was es auch bei Zwergen gibt,
er deutlich spürt: Ich bin verliebt!‹«
Das Lied handelte von der Liebe eines Zwerges zu einer schönen Elfin, die sich ihm
voller Lust hingibt, aber nur mit seinem Herzen spielt, da sie seine Gefühle nicht
erwidert.
»›Die Blumen ruhen jetzt in der Gosse,
vorbei ist nun die schändlich’ Posse,
zum Narren hat sie ihn gemacht,
was ihn um den Verstand gebracht.
So sitzt er in der dunklen Ecke
schärft sein Messer zu dem Zwecke,
dass er sich, gänzlich ohne Paus’,
damit das Herz schneide heraus.
Die Arbeit ist dann rasch getan,
noch einmal fällt ihn Trauer an,
derweil in seiner blutigen Hand,
das Verräterherz die Ruhe fand.
Auch die Elfe zahlt zuletzt den Preis
für ihren Betrug, wie sie nun weiß;
mit einem bitter-süßen Schmerz
trifft des Verlobten Schwert ihr Herz.
So hauchen fast auf die Sekunde
beide aus in dieser Stunde
ihr Leben, das nur kurz vereint,
und um das nun keiner weint …‹
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Der letzte Ton, ein sanft Akkord,
trägt Trauer bis zum See hinfort.
Es ist ganz still, kein Wort im Wald
- bis tobender Applaus erschallt!
Die Menge jubelt und umringt
den Dichter, der vom Felsen springt.
›Er lebe hoch!‹, ein jeder meint,
›Nie hab ich im Leben so geweint.‹«
Auch in Cailins Augen sammelten sich die Tränen, welche sich allmählich ihren
Weg über seine schmalen Wangen bahnten und schließlich an seinem Kinn wieder
vereinten. Mit dem Hemdsärmel wischte er sich die Nässe aus dem Gesicht.
»Wahrlich, eine schöne Ballade. Nur schade, dass der Rotschopf sie nicht selbst
geschrieben hat.«
Cailins Kopf ruckte herum. Hinter ihm stand der Barde Rittersporn und deutete
eine leichte Verbeugung an.
»In Wahrheit hat kein anderer diese Ballade geschrieben als meine Wenigkeit.
Frag ruhig Geralt, der war dabei, als ich mir über Versmaß und Inhalt den Kopf
zerbrach. Für die deftigen und etwas delikaten Stellen im Lied ist er sogar
verantwortlich. Du glaubst gar nicht, was er einem alles von seinen amourösen
Abenteuern erzählt, wenn er erst ein paar Krüge Bockbier zu viel hatte. Ich könnte
ein ganzes Buch schreiben mit seinen Liebschaften. Unter Pseudonym, versteht
sich.«
Der Junge runzelte die Stirn und stellte Rittersporn mit seinen Händen eine
Frage, die der zu seiner Überraschung sofort verstand.
»Warum ich nichts dagegen habe, dass der Rotschopf mein Lied singt? Nun, in
den Statuten ist nirgends vermerkt, dass man nur eigenes Liedgut verwenden darf.
Außerdem, schau ihn dir doch an: Er ist jung, unerfahren und seine Hände zittern
noch vor Aufregung. Er muss sich seinen Rang unter den Barden erst noch
erkämpfen. Mit eigenen Kompositionen und mehr Selbstvertrauen. Auch ich habe
mein Repertoire zunächst aus dem Kanon anderer berühmter Barden geschöpft.
Ganz unter uns«, ein breites Grinsen erschien auf des Barden Gesicht, »der gute
Rittersporn war zu Beginn seiner Karriere auch nicht besser als der da!«
Munter stellten Cailins Hände die nächste Frage.
»Aha, war es so auffällig? Ich muss zugeben, selbst ich fand meinen Abgang
etwas zu theatralisch. Doch es war die einzige Möglichkeit, um zu verhindern, dass
ich singen muss. Ich verrate dir ein Geheimnis, junger Cailin, da ich weiß, dass du
es niemandem sagen wirst: Ich bin gar nicht der Barde Rittersporn, sondern der
Hexer Geralt!«
Cailin stutzte und starrte den Barden an, der ihm verschmitzt zuzwinkerte, bevor
er mit einer großen silbernen Servierplatte in den Vorratsraum verschwand, wo er
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ihn geräuschvoll hantieren hörte. Was sollte das gerade? Hatte ihn der Barde an der
Nase herumführen wollen? Bestimmt hatte sich Meister Rittersporn nur einen
kleinen Scherz mit ihm erlaubt, denn er konnte unmöglich der Hexer Geralt sein,
weil dieser doch unübersehbar am Richtertisch saß und angestrengt den Vorträgen
der unzähligen Barden lauschte.
Schließlich tauchte Rittersporn wieder auf, mit beiden Händen ein voll beladenes
Tablett balancierend. Ein riesiges Stück Fleisch vom Schwein, eine ganze
Hammelkeule, diverse Tiegel mit aromatischen Soßen, unzählige in Fett gebackene
Kartoffeln, etwas Schmalzgebäck und einige Früchte der Saison thronten darauf.
Cailins Augen weiteten sich und er konnte nicht anders, als dem Barden diese Frage
zu stellen.
»Nein, ich verstecke keine Privatarmee in unserer Kammer! Das ist alles für
mich, ein kleiner Imbiss, du verstehst?« Der Barde sah den zweifelnden Blick des
Blondschopfes und folgte der Richtung, den dieser nahm. »Nun hör Mal, junger
Freund, was starrst du mir so auf den Arsch? Der ist knackig, wie es sich gehört. Ich
habe nun mal einen, äh, unglaublichen Stoffwechsel, wie ein Kolibri! Was kann ich
dafür, dass du nicht weißt, was ein Kolibri ist? Komm, nimm den und gib Ruhe. Für
einen Stummen bist du äußerst geschwätzig, finde ich.«
Cailin fing den Apfel, den ihm Rittersporen mit einer schlenkernden
Handbewegung zuwarf, ohne den Inhalt des Tabletts dabei auch nur ins Wanken zu
bringen. Er grinste und biss in die süße Frucht, deutete nun seinerseits eine leichte
Verbeugung an, die von dem Barden nur mit einem Schnaufen quittiert wurde, das
allerdings mehr amüsiert als verärgert klang, dann wandte Cailin sich wieder dem
Geschehen in der großen Halle zu. Er hatte durch die Unterhaltung mit Meister
Rittersporn einige Lieder verpasst, doch das war zu verschmerzen, denn die wahren
Größen hatten ihren Auftritt erst noch vor sich.
Cailin bemerkte nicht die Gestalt, die sich aus dem Schatten am anderen Ende
des Raumes herausschälte, kaum das Rittersporn die Küche verlassen hatte, und die
nun langsam näher kam, unbemerkt und mit ungewissen Absichten.
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Kapitel XII
Kein Wein, ein Weib und viel Gesang
D
ie Lieder, die nun in der großen Halle gesungen wurden, ähnelten sich alle
auf gewisse Weise. Es gab darunter keines, das nicht frohen Mutes jenen
zotigen und leicht schlüpfrigen Grundton übernahm, mit dem Rittersporn, in Geralts
Gestalt, den bunten Reigen der fröhlichen Verse eröffnet hatte. Natürlich wurden
auch sanfte und einige schwermütige Balladen gesungen, die jedoch die Stimmung
im Saal nur allzu schnell zu trüben begannen, sodass lauthals nach munteren Weisen
und frischem Bier verlangt wurde; eine Aufforderung, der sowohl Fiona als auch ihr
Bruder nur allzu gerne nachkamen. Ranold war es schließlich auch gewesen, der die
grandiose Idee gehabt hatte, zwei oder drei Fässchen Bier in den Saal zu rollen, statt
sich bei jeder neuen Runde in die Küche oder gar den Keller begeben zu müssen,
um die stets ausgedörrten Kehlen der versammelten Sänger ausreichend befeuchten
zu können. Fiona war das nur recht. Es hatte zudem noch den Vorteil, dass ihr Cailin
vollkommen ungestört in der Küche verweilen konnte, ohne von der Musik
abgelenkt zu werden, weil sie etwas besorgen musste. Ab und an verlangte einer der
Gäste nach einem Kanten Brot oder etwas Käse (einige sogar nach geröstetem
Schweinebauch, den sie nicht hatten), doch dies kam nur selten vor, sodass Fiona
ihre Besuche der Küche in letzter Zeit leicht an einer Hand abzählen konnte.
»Ihr seid doch alle Schweine«, murmelte Fiona verbissen in ihren nicht
vorhandenen Bart, während sie ein Tablett mit frisch gezapftem Bier mit ihrer
rechten Hand balancierte, mit der linken die begehrlichen Pfoten der Barden
abwehrte und dabei noch lächelte und strahlte, als sei sie nicht bei der Arbeit,
sondern bei einem Picknick mit Freunden. Wenn sie könnte, wie ihr manchmal
innerlich zumute war, so würde so mancher Krug am Kopfe eines dieser
unverschämten Lüstlinge zerbrechen. Zum Glück war ihr Cailin in dieser Hinsicht
ein ganz anderes Kaliber. Sanft, freundlich, zwar von Natur aus recht schweigsam,
doch welche Frau wünschte sich nicht einen Mann, der zuhören konnte? Zumindest
widersprach er ihr nicht, wenn auch nicht mit Worten, aber zur Not konnte sie ja
einfach die Augen schließen, wenn das Gefuchtel seiner äußerst beredten Hände ihr
wieder einmal zu viel wurde.
Ohne Zweifel, mit Cailin hatte sie einen guten Fang getan, von dem sie nur noch
ihren Vater überzeugen musste, der aus einem ihr unbekannten Grund vehement
eine tiefe Abneigung gegen Cailin an den Tag legte. Mehr als einmal hatte sie
versucht, dieses Geheimnis zu ergründen, doch ihre mit Vorsicht gestarteten
Vorstöße waren stets an einer eisigen Mauer des Schweigens und der Ablehnung
zum Erliegen gekommen. Sei’s drum. Eines Tages würde ihm nichts anderes mehr
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übrig bleiben, als ihr die Wahrheit zu sagen, wenn er es nicht riskieren wollte, dass
sie und Cailin – als allerletzten Ausweg – gemeinsam die verfluchte Stadt verließen
und in Wyzima zusammen ein neues Leben begannen. Dort lebte eine ihrer liebsten
Tanten, die ihnen sicherlich die erste Zeit aushelfen würde, bis sie auf eigenen
Beinen stehen konnten, denn ihr Hang zur Romantik und ihre Vorliebe für seichte
Liebespoesie war in der ganzen Familie bekannt. Und gefürchtet.
»Heda! Weg mit der Pfote! Dieser Hintern ist schon einem anderen
versprochen!«, blaffte sie und ließ einen leeren Krug auf die vorwitzige Hand des
Barden niedersausen, der es gewagt hatte, nicht nur ihren Po zu berühren, sondern
auch ganz ungeniert seine Finger unter ihr Kleid wandern zu lassen. Mit
Genugtuung hörte sie seinen leisen Aufschrei des Schmerzes und das Geräusch von
gebrochenen Knochen.
Selbst schuld, dachte sie grimmig, das wird dich lehren, deine Hände bei dir zu
behalten! Rasch schlüpfte sie zwischen zwei weiteren Barden hindurch, denen das
Schicksal ihres Minnebruders nicht verborgen geblieben war und deren, ebenfalls
nicht gerade keuschen Hände, nun rasch in den eigenen Schoß wanderten, während
sie sie mit weit aufgerissenen Augen anstarrten und putzige Maulaffen feilboten.
»So ist’s recht. Vielen Dank, die Herren!«, sprach sie laut und setzte ihr
gewinnendstes Lächeln zur Schau, als wäre rein gar nichts geschehen.
Cailin war so in die Musik und den Gesang der Männer versunken, dass er jene
Gestalt aus dem Schatten hinter ihm erst bemerkte, als sich ihre dürren Finger
bereits in seine Schulter bohrten. Zum zweiten Mal an diesem Tag flatterte ihm das
Herz bis an den Hals, doch diesmal zitterten seine Hände viel zu sehr, um seinem
Gefühl Ausdruck verleihen zu können. Er zuckte zurück, fiel unsanft vom Stuhl zu
Boden und hätte gleich darauf mit einem markerschütternden Schrei, sofern er dazu
in der Lage gewesen wäre, sicherlich den Wettbewerb im Saal sofort zum Erliegen
gebracht.
Cailin spürte, dass diesmal nicht viel gefehlt hatte, um ihn im nächsten
Augenblick vor das Angesicht seiner Ahnen treten zu lassen. Zum Glück war es,
den Göttern sei Dank, nicht soweit gekommen. Die Hand schützend vor sein
Gesicht haltend, blickte er zitternd auf, um einen Blick auf die Person zu erhaschen,
die ihn fast ins frühe Grab gebracht hätte.
Die alte Grid Mole!
Mit einem bedauernden Ausdruck in ihrem faltigen Gesicht beugte sie sich zu
ihm hinab, was ihr aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters sicher nicht leicht fiel,
und reckte ihm entschuldigend ihre runzlige und mit Altersflecken überzogene
Hand entgegen. Nach kurzem Zögern griff er danach und ließ sich bereitwillig von
der alten Krämerin aufhelfen. Ihr Griff war fest und stark, was den Jungen
wunderte. Auch fühlte sich ihre Haut beileibe nicht faltig an. Ganz im Gegenteil.
Wenn er die Augen schloss, dann konnte er sich durchaus der Illusion hingeben, es
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wäre die zarte Hand Fionas, die ihn umfasste, und nicht die schwielige und
ungepflegte Pfote der alten Vettel.
»Du musst mir runzligen, dummen Frau verzeihen«, flüsterte sie heiser und
entblößte bei ihrer Version eines Lächeln eine Doppelreihe schwarzer Zahnstumpen,
die so widerlich anzusehen waren, das Cailin kurz davor stand, sein nicht gerade
üppiges Frühstück mit Freuden wieder von sich zu geben. Da die alte Grid nicht viel
von Zahnpflege zu halten schien, stank ihr Atem dementsprechend. Dies war der
erste Moment in seinem Leben, wo er die Besinnungslosigkeit einem weiteren
Schwall Luft aus Grids Maul vorgezogen hätte. Selbst tot zu sein, wäre wohl eine
mögliche Erlösung gewesen.
Ein Kribbeln zog sich durch seinen Körper, das irgendwo in seinen Zehen
begann und langsam seine Extremitäten empor kroch, das Rückgrat kitzelte und
schließlich in seinen Haarspitzen ankam, wo das Kribbeln mit einer kleinen, Blitzen
nicht unähnlichen Entladung endete. Danach war alles anders. Zum ersten Mal
vermochte er hinter die Miene der alten Frau zu sehen und erkannte, dass diese nur
Lug und Trug war. Wo er zuvor noch verfaulende Stumpen erblicken konnte, sah er
nun zwei Reihen der schönsten Zähne, die er je zu Gesicht bekommen hatte. Sie
hatten die Farbe von funkelnden Perlen. Auch ihr Mund war nun ein anderer. Voll
und sinnlich, voll süßem Atem, schwebte er nur eine Spanne von seinem eigenen
entfernt, zum Küssen nah, während ein belustigter und nicht unfreundlicher Blick
aus smaragdgrünen Augen auf ihm ruhte, der aber im nächsten Moment einer Art
Verwunderung Platz machen musste, die schließlich in überraschtes Staunen
überging.
»Du kannst mich sehen!« Eine Feststellung, keine Frage. »Du siehst tatsächlich,
was wirklich ist und lässt dich nicht von dem Schein täuschen, den ich so gründlich
gewoben habe.«
Cailins Hände formten eine Frage, doch Grid Mole schüttelte nur entschieden
den Kopf, wobei sich aus ihrer Haube einige Locken mit kupfern schimmerndem
Haar in der Farbe frischer Kastanien lösten.
»Nein, Cailin, lass deine Hände ruhen. Nun, da du die Wahrheit erkannt hast,
brauchst du deine Hände nicht mehr, um mit mir zu sprechen. Denke deine Frage
und ich werde dir antworten, sofern es in meinem Interesse liegt.«
Wer bist du?
»Du kommst gleich zum Punkt, nicht wahr, mein Junge?«, sie lächelte
erfrischend. »Leider kann ich dir diese Frage nicht beantworten. Nicht zu diesem
Zeitpunkt! Was ich dir allerdings verraten kann ist, dass ich nicht Grid Mole bin, es
nie war. Ich bin eine Zauberin, wie du dir sicherlich schon gedacht hast.« Cailin
nickte zustimmend. »Ach Cailin, so jung und schön. Du hast die Augen deines
Vaters, wusstest du das?«
Cailin schnappte nach Luft und riss die soeben angesprochenen Augen weit auf:
Du kanntest meinen Vater? Woher? Wie war er? Was ist mit ihm geschehen?
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»Nicht so viele Fragen auf einmal, Junge! Mein Kopf dröhnt ja schon wie die
Glocken von Wyzima! Eins nach dem anderen. Natürlich kannte ich deinen Vater.
Sehr gut sogar. Du hast nicht nur seine Augen von ihm«, sanft strich ihre Hand
durch Cailins Haar, der kurz zurückzuckte, dann aber doch geschehen ließ, was er
selbst Fiona untersagt hatte: vorsichtig legten die Hände der Zauberin seine Ohren
frei, die beide mit sanftem Schwung in einer Spitze endeten. »Verleugne nicht das
Erbe deiner Vorväter, Cailin. Es ist keine Schande, anders zu sein, vor allem nicht,
wenn die Herkunft so edel ist wie in deinem Fall. Hat dir deine Mutter nichts über
Leolas erzählt? Nein, deiner offenen Miene zufolge nicht. So höre, Cailin, Sohn des
Leolas, dass dein Vater der Sohn eines Königs der Elfen war; zwar nur der dritte in
der Reihe der Thronfolger, aber immerhin. Während seine beiden Brüder stets
danach trachteten, ihrem Vater zu beweisen, wer von beiden geeigneter war, ihm auf
dem Thron zu folgen, interessierte sich Leolas immer nur für die schönen Dinge des
Lebens: für Poesie, Musik und die Minne. Er würdigte Schwert und Rüstung keines
Blickes, sondern lernte stattdessen die Laute, übte seine Stimme und schrieb
wunderschöne Lieder, von denen du sicherlich einige kennst.«
Cailin nickte. Er konnte es nicht fassen. Er sollte von edlem Geblüt sein, der
Sohn eines Prinzen? Und seine Ohren, die er stets für eine Missbildung der Natur
gehalten und die seine Mutter ihn stets verbergen geheißen hatte, bewiesen dies? Er
war ein Elf? Tausende Fragen schwirrten gleichzeitig durch seinen Kopf, fast hielt
es ihn nicht mehr auf seinem Stuhl. Doch die Zauberin legte ihm sanft ihre Hände
auf die Schultern und beruhigte ihn damit.
»Ich weiß, du hast viele, so viele Fragen, aber lass mich zunächst zu Ende
erzählen, dann klärt sich so einiges von allein. Ja, du bist nicht nur ein Elf, du bist
der Sohn eines Prinzen und damit selbst einer, auch wenn einiges an menschlichem
Blut durch deine Adern fließt. Du vereinst das Beste beider Welten in dir und auch
das Schlechteste. Nur du entscheidest, was sich Bahn brechen wird, und wenn ich
mir dich so anschaue, dann hast du deine Wahl schon vor langer Zeit getroffen.«
Noch einmal strich sie über sein Haar, recht zärtlich, wie es schien, dann fuhr sie
fort: »Ich lernte deinen Vater zu einer Zeit kennen, als er das Schloss seiner Ahnen
bereits seit Jahren verlassen hatte, um in die Welt hinauszuziehen und sich ganz der
Musik zu verschreiben. Er hatte der Krone, die ohnehin nie sein Haupt schmücken
würde, den Rücken gekehrt und war auf seiner Reise schließlich hier in Carinthia
gelandet, wo ich ihn das erste Mal traf und mich sogleich in ihn verliebte. Wie das
grausame Schicksal es jedoch fügte, so empfand er für mich nicht mehr als
freundschaftliche Gefühle, während sein Herz an eine junge Frau verloren war,
die ...«
Meine Mutter! Ein Schauer überkam ihn.
»Ja, du Naseweis, deine Mutter! Und nun unterbrich mich nicht, oder möchtest
du die Geschichte nicht zu Ende hören? Dachte ich es mir doch. Nun gut, er liebte
deine Mutter, war ganz vernarrt in sie, so wie sie auch in ihn. Doch ihr Vater war
gegen eine Beziehung, vor allem, da sich noch ein anderer für sie interessierte.
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Dann wurde deine Mutter jedoch schwanger und es war abzusehen, wer der
Erzeuger des Kindes sein würde. Bevor die Stadt von der Schande, die seine
Tochter über ihn gebracht hatte, erfahren würde, sorgte ihr Vater dafür, dass Leolas
die Stadt verlassen musste und seine Tochter ihr Kind, also dich, in der Fremde
bekam und nie mehr nach Carinthia zurückkehren sollte. Ich muss zugeben, dass ich
daran nicht ganz unbeteiligt war. Ich neidete den beiden ihr Glück und sprach einen
Zauber über deinen Vater, dass sein Talent, seine Stimme ihm und seinen
Nachkommen nur Unglück bringen sollte. Und so geschah es.«
Bedeutet das etwa, dass es an dir liegt, dass ich …
Die Zauberin nickte langsam und Cailin sah ihren Augen an, dass sie wohl mehr
als einmal ihre Entscheidung bereut hatte.
»Ja, Cailin, es ist meine Schuld, dass du nicht sprechen und somit auch nicht
singen kannst.«
Der Junge ballte die Fäuste, entspannte sich aber schon kurz darauf wieder.
Welchen Zweck sollte es auch haben, wütend auf die Zauberin zu sein? Man konnte
ja doch nichts ändern.
»Wer behauptet, dass man daran nichts ändern kann? Ein Zauber wurde
gesprochen, ein Zauber kann auch wieder gebrochen werden!«
Cailins Kopf flog empor, sein Blick voller Hoffnung und Zweifel zugleich. Die
Zauberin wehrte mit beiden Händen ab.
»Gemach, gemach, Prinz, so einfach ist es nicht. Leider hat sich der Zauber von
damals mit einem anderen verwoben, der ebenfalls hier in der Stadt ausgesprochen
wurde. Wiederum von mir, wie ich zu meinem Leidwesen zugeben muss. Sie
können nur zusammen aufgehoben werden. Doch ich glaube, in diesem Fall ist der
eine Zauber die Lösung für den anderen.
Ich habe dir übrigens etwas mitgebracht!«
Er beobachtete, wie die alte Grid zurück in die Schatten huschte und nach kurzer
Zeit mit einem großen Bündel zurückkam.
»Nimm dies, es gehört von Rechts wegen dir! Du wirst es brauchen können ...«
Cailin nahm das eng geschnürte Päckchen an und öffnete es. Der Anblick, der
sich ihm bot, verschlug ihm den Atem. So etwas schönes hatte er noch nie gesehen.
Das soll alles wirklich mein sein?, fragte er in Gedanken und presste das Bündel
fest an seine Brust, als habe er Angst davor, man könne es wieder von ihm fort
nehmen.
»Ja, es ist alles dein. Einst gehörte alles darin deinem Vater und er hätte es
sicherlich gut geheißen, dass sein Sohn diese Dinge erhält. Du bist schließlich sein
einziger Erbe.«
Mein Vater ist tot ... Ein nie erlebtes tiefes Gefühl der Trauer ergriff ihn, obwohl
er in seinem Inneren schon lange gewusst hatte, dass dem so war und gar nicht
anders sein konnte. Die Gewissheit nun traf ihn wie ein Schlag vor der Brust. Er
rang nach Luft, um sie dann in einem langen Seufzer wieder von sich zu geben. Er
weinte nicht. Er würde damit warten, bis er später allein war, denn diese Art der
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Trauer wollte er mit niemandem teilen, noch nicht einmal mit Fiona. Dieses Gefühl
gehörte nur ihm.
Die Zauberin nahm ihn in den Arm, drückte ihn fest an sich, bis der Geruch nach
altem Schweiß und Mottenkugeln, der ihrer Kleidung anhaftete und zu seinem
Bedauern nicht auf Zauberei beruhte, ihm fast die Sinne schwinden ließ. Gerade
noch rechtzeitig entließ sie ihn aus ihrer Umarmung. Ein Kribbeln, ähnlich dem von
vorhin, erfasste ihn.
»Nun wird es aber Zeit, dass wir dich für den letzten Akt präparieren, mein
Junge!«
»Der letzte Akt? Was meinst du damit?«
»Sieh an, er hat schon begonnen«, lächelte die Zauberin und ließ in Gedanken
den lange verschlossenen Erinnerungen an Leolas ihren Lauf. Sein Sohn sah nicht
nur haargenau so aus wie sein Vater, sondern verfügte auch über seine wundervolle
Stimme, die noch einen Augenblick glockenhell in der Weite der Küche nachhallte,
bis auch ihr Klang nur noch eine verblassende Erinnerung war.
Hätte Triss Merigold in diesem Moment einen Handspiegel zur Hand gehabt, so
hätte sie sich wahrscheinlich über die Tränen gewundert, die sich klammheimlich in
die Winkel ihrer Augen gestohlen hatten.
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Kapitel XIII
Alles hat ein Ende … nur ein Wurm hat zwei
G
eralt langweilte sich. Wer ihn nicht genau kannte, sah es ihm kaum an,
lediglich ein gelegentliches Zucken seiner Mundwinkel hätte ihn verraten
können. Eigentlich war es, um bei der Wahrheit zu bleiben, auch nicht wirklich der
Hexer, der sich langweilte, sondern vielmehr sein innerer, recht unfreiwilliger Gast
mit dem Namen Rittersporn. Zu gerne hätte er auch so rigoros gegähnt wie René de
Bellegout neben ihm, dessen Kopf zeitweilig schon auf die Tischplatte gesunken
war. Zur Zeit, als wäre dem guten René der Kopf zu schwer geworden, ruhte dieser
seitlich auf seiner Schulter. Ein kaum sichtbarer Speichelfaden bahnte sich seinen
Weg von dem Mundwinkel, in dem er entstanden war, hinunter zum Kinn.
Verfluchte Mutantenaugen!, schimpfte Rittersporn innerlich. Mit denen sah man
wirklich mehr als einem lieb war!
Der Bardenwettstreit zog sich in die Länge wie eine der berüchtigten Reden von
König Foltest, mit denen er jedes Jahr aufs Neue die geladenen Gäste zur Feier
seiner Geburt langweilte. Kein Wunder, dass auffällig viele dieser Gäste im
darauffolgenden Jahr irgendeine Ausrede vorschützten, um nicht wieder an den
Feierlichkeiten teilnehmen zu müssen. Einer sollte Gerüchten zufolge sogar seinen
Tod vorgetäuscht haben, doch Rittersporn konnte nicht sagen, ob dies wirklich den
Tatsachen entsprach. Erwähnenswert an der Geschichte war nur, dass besagter Gast
nach der Feier tatsächlich tot in seiner Kammer aufgefunden wurde.
Er sah sich um. Auch den anderen Barden ging allmählich, aber sicher die Luft
aus. Viele hatten es Bellegout gleich getan und schnarchten ungeniert vor sich hin.
Die Lieder wurden zusehends lustloser vorgetragen, zumindest von den jüngeren
Vertretern ihrer Zunft, die noch neu im Gewerbe waren. Die älteren, die um ihren
Ruf besorgt waren und dazu auch allen Grund hatten, gaben sich wesentlich mehr
Mühe und schafften es auch, die zusehends lethargisch werdende Zuhörerschaft
zumindest für die Dauer ihres Auftritts wieder etwas aufzuheitern.
Malin von Versfeld schmatzte zufrieden vor sich hin. Wahrscheinlich gingen die
vorgetragenen Balladen bei ihm in das eine Ohr rein und beim anderen wieder raus,
dachte Rittersporn belustigt. Dazwischen hingegen gab es wohl nichts als Leere, in
der der einzelne Wunsch nach einem warmen Bett, einer guten Mahlzeit und einer
willigen Maid, sofern sich seine Lenden noch an ihre Möglichkeiten erinnern
konnten, ungehört herumirren mochte. Malin war ein Opportunist, wie er im Buche
stand, das wusste der Barde noch aus seiner Studienzeit; er hatte selten eine eigene
Meinung und würde am Ende, wenn es um die Entscheidung beim Wettbewerb
ging, sicherlich sein Fähnchen mit dem Wind flattern lassen. Nicht auffallen, sich
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niemanden zum Feind machen. Ganz anders hingegen stand es um Ansgar und die
schöne Gwenhyfher. Beide lauschten interessiert, machten sich Notizen und
lächelten jedem Teilnehmer freundlich zu, nachdem sie ihren Vortrag beendet
hatten.
Verdammt, die schöne Gwenhyfher trug ihren Beinamen nicht zu Unrecht!
Rittersporn ertappte sich mehr als einmal dabei, wie er zu ihr hinüber schielte. Das
blieb nicht unbemerkt. Auch die einzige Jurorin warf ab und an einen kurzen Blick
auf den stattlichen Hexer, der neben ihr saß. Einmal trafen sich ihre Blicke sogar
und Rittersporn spürte, wie die Hitze in ihm aufstieg und chemische und andere
Prozesse in dem für ihn immer noch ungewohnten Körper in Gang setzte, die er
nicht kontrollieren konnte. Er war ganz froh, dass er gerade saß, denn im Stehen,
nun ja, wäre wenigstens eine besondere Regung von Geralts Leib mit Sicherheit
nicht lange unentdeckt geblieben.
Warum Gwenhyfher? Er erinnerte sich noch allzu gut an ihr letztes
Zusammentreffen. Er hatte wie immer seinen Charme spielen lassen, seine vielen
Vorzüge ins Spiel gebracht und sogar eine zu Herzen gehende Ballade für sie
geschrieben, die sie allerdings kaltherzig vor seinen Augen in der Luft in Fetzen
gerissen hatte. Sie hatte ihn einen arroganten Schnösel genannt, einen
selbstverliebten Pfau, der sofort, wenn die Natur ihm diese Möglichkeit offerieren
sollte, nur noch sich selbst besteigen würde. Und wenn er der letzte Mann auf Erden
wäre und sie die letzte Frau, würde sie mit Vergnügen von der nächstbesten Klippe
springen, nur um seine Stimme nicht mehr hören zu müssen.
Und das Ende vom Lied? Er war hinterher noch verrückter nach ihr, als zuvor.
Wer wäre das auch nicht? Was für ein Temperament! Was für eine Leidenschaft!
Und erst dieser pralle Hintern und diese wunderbaren, weichen … Rittersporn griff
rasch nach dem Humpen mit frischem Bier. Am liebsten hätte er sich dessen Inhalt
vorne in die Hose gegossen, um Geralts bestes Stück ein wenig abzukühlen. Doch
vor all den Anwesenden blieb ihm nur ein tiefer Schluck übrig, der wunderbar
erfrischend seine Kehle hinunterrauschte. Er hatte noch nie einer Frau widerstehen
können, die er so offensichtlich nicht die Seine nennen durfte. Die Zahl derer, auf
die dies zutraf, konnte er allerdings bequem an einer Hand abzählen, denn am
Schluss hatte er sie alle gehabt, außer Triss (ganz im Vertrauen fürchtete er sich zu
sehr vor diesem Weib, sodass sich bei ihm rein gar nichts regen wollte; sicherlich
ein Abwehrzauber ihrerseits), Foltests Frau (er hing halt an seinem Kopf und dessen
festem Platz auf seinem Rumpf) und eben der schönen Gwenhyfher, für die Könige
bereit waren zu sterben, wenn sie es wünschte.
Das Schicksal war ungerecht. Wahrscheinlich würde sie mit Geralt sofort die
Laken teilen und sich hinterher jede einzelne seiner verschwitzten Narben ansehen
und sich die Geschichten, die sich hinter ihnen verbargen, von ihm erzählen lassen.
Hexer müsste man … aber heda, er war ja der Hexer! Zumindest im Augenblick.
Vielleicht ergab sich ja doch noch ein …
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Der Applaus für den letzten Teilnehmer ebbte ebenso schnell ab, wie er
aufgebrandet war, sodass am Ende nur noch das begeisterte Klatschen der Hände
von René de Bellegout zu hören war, der spontan aufgesprungen war und nicht
einmal bemerkte, wie lächerlich er dabei wirkte. Mit Sicherheit handelte es sich bei
diesem Sänger um einen der armen Teufel, der mit Bellegout einen Sangeskontrakt
eingegangen war und der dem Juror nicht unbeträchtliche Teile von dessen
Einkommen sicherte, wenn nicht sogar alles. Fast achttausend Oren waren ja auch
kein Pappenstiel. Gewiss würde René dafür Sorge tragen wollen, dass einer seiner
Schützlinge gewann. Nun, zum Glück hatten da sowohl Ansgar als auch
Gwenhyfher und er noch ein gewichtiges Wort mitzureden. Nichts liebte Rittersporn
mehr als die Aussicht, diesem untalentierten Banausen kräftig in die Suppe spucken
zu dürfen.
»War das der Letzte?«, fragte sie. Sein Bruder und Gwenhyfher stapelten ihre
Notizen. Malin schreckte sichtlich aus seinem Dämmerzustand auf. »Ich denke
schon«, antwortete Ansgar und lächelte. »Dann können wir uns gleich zurückziehen
und darüber abstimmen, wer nun gewonnen hat. Leicht wird es nicht, dazu sind ...«
Ansgar wurde unterbrochen. Der Klang einer Laute ertönte und eine Melodie, so
sanft wie ein taubedeckter Morgen, schwebte durch die Räume. Hatten zuvor noch
Gemurmel und knarrende Geräusche von Holz auf Holz in der Luft gelegen, so
verharrte nun alles in Stille.
»Woher kommt die Musik?«, verlangte Malin zu wissen. Die anderen sahen sich
nur an. Sie hatten keine Ahnung. Es war ihnen auch gleich. Zu sehr nahm sie dieses
federleichte Spiel der Saiten gefangen. Dann begann eine Stimme zu singen und
Rittersporn wusste hinterher nicht mehr zu sagen, wann er angefangen hatte, die
Kontrolle über Geralts Gesicht zu verlieren. Er spürte nur, wie seine Wangen nass
wurden und Geralts Narbe wie ein natürlicher Ablauf seine Tränen kanalisierte, bis
sie auf sein Wams tropften.
»Gardhrain ameriol an ngovaded i amrûn goll,
i astrog nallol, toltho thoron a thoged nin,
an min gûr nín celin gaul long,
si bedin na rath Fair,
padol rath Fair, padol rath Fair.
Boe enni maded, darthad, dan ú-belin caedo,
i ross tôl, loen, nad ú-chirnin a thobad nin,
lû anann na hirin i mâr nín
si bedin na rath Fair,
padol rath Fair, padol rath Fair.
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Ithil eriol, dolthol raith erib nan genid glass
in elin thinnar, i vôr danna, câr ’ardh gostad
dartha dínen a mreithad Menel,
si bedin na rath Fair,
padol rath Fair, padol rath Fair.«
Drei weitere Strophen folgten, vorgetragen von dieser Stimme, die einem Wesen
gehören musste, das nicht von dieser Welt war. Rittersporn war verwirrt. Wer war
dieser Sänger? Oder war es gar eine Bardin? Er glaubte, das Lied zu kennen, doch
ihm wollte partout nicht einfallen, woher und vor allem vom wem es war. Nur eines
stand definitiv fest: Wer immer auch gerade mit dieser feengleichen Zunge
gesungen hatte, war der Gewinner dieses Wettbewerbs! Alle anderen Beiträge waren
lediglich Makulatur. Was Rittersporn zunächst nur bei sich zu denken wagte, sprach
ausgerechnet derjenige laut aus, von dem er es am wenigsten erwartet hatte. René
de Bellegout.
Sichtlich bewegt stützte er sich am Tisch ab. Sein Gesicht zeigte jene selige
Gelöstheit, die auch bei allen anderen, mehr oder minder stark ausgeprägt, zu sehen
war. Die Augen des Barden glänzten feucht und seine drei Kinnhaare zitterten schon
fast unanständig.
»Silencium, meine werten Kollegen«, rief er in den Raum hinein und übertönte
mühelos die immer lauter werdenden Gefühlsausbrüche der anderen, die sich in
Schluchzen, gelöstem Lachen und aufgeregt geführten Diskussionen entluden, »ich
glaube, unsere Suche hat ein Ende gefunden! Ich weiß, ich bin nicht wohl gelitten in
unserer Zunft, doch ich bin durchaus in der Lage, wahre Größe zu erkennen, wenn
ich sie höre. Das gerade eben war wahrlich das Wundervollste, Anrührendste, was
mir bislang in meinem Leben zu Ohren gekommen ist!« Er wandte sich an Ansgar,
Gwenhyfher, Malin und an den Hexer, suchte in ihren Augen nach Zustimmung, die
ihm auch einhellig gewährt wurde. »Ich glaube, ich spreche in diesem Moment für
die ganze Jury, wenn ich sage, dass unser Gewinner jetzt feststeht. Wer immer auch
derjenige sein mag, der unsere Herzen und unsere Seelen derart anzurühren
vermochte, der möge nun vortreten, denn er ist der Sieger dieses Wettbewerbs,
unser aller Meister! Wo bist du? Komm heraus und zeig dich uns, damit dir die Ehre
zuteil werden kann, die dir gebührt!«
Fiona stand ebenso gespannt wie alle anderen Barden und Gäste mit offenem
Mund und einem rasch schlagenden Herzen da. Ihre Hand hielt immer noch den
Putzlumpen, mit dem sie einen der Tische abwischen wollte, der nicht zum
Konstrukt der Jury gehörte. Sie hatte ihn während des Vortrages des unbekannten
Sängers regelrecht zerknüllt. Eine Hand schob sich sanft unter ihren Kiefer und
drückte ihn behutsam nach oben, bis sich ihr Mund mit dem klackenden Geräusch
ihrer beiden Zahnreihen schloss. Ranold lächelte sie an und holte tief bewegt Luft.
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»Schwesterchen, es ist so weit«, Fiona sah ihren Bruder mit einem
verständnislosen Blick an, »hol unseren Vater! Der Moment, auf den er, auf den wir
alle so lange gewartet und gehofft haben, scheint nun nahe. Spute dich!«
Sie nickte lächelnd. Der Putzlumpen fiel zu Boden, als sie ihre Kleidung richtete
und ohne ein weiteres Wort auf dem Absatz kehrt machte, um die Treppe zum
Gemach ihres Vaters hinaufzueilen.
Die Silberplatte fiel scheppernd zu Boden. Geralt war sofort hellwach. Zum Glück
funktionierten seine guten Reflexe anscheinend auch in Rittersporns Körper
tadellos. Ein leichter Schlaf und die sofortige Einnahme einer Verteidigungsposition
mit Hilfe der am nächsten liegenden Waffe gehörte zu den Lektionen, die das
Hexerleben ihn gelehrt hatte. Nun, Vesemir wäre wahrscheinlich von der
dreizinkigen Gabel, die Geralt jetzt in der Hand hielt, nicht gerade beeindruckt
gewesen, doch der Hexer wusste, dass in den richtigen Händen jeder Gegenstand
zur tödlichen Waffe werden konnte. Die Gabel war immer noch gut genug, um
damit einem etwaigen Angreifer die Halsschlagader zu zerfetzen, ganz gleich, wie
lächerlich man dabei auch immer aussehen mochte.
Der Angreifer, es war besagte Silberplatte, war rasch identifiziert und wurde als
definitiv harmlos eingestuft. Geralt kratzte sich am Kopf, gähnte lauthals und warf
einen Blick auf die Überbleibsel seines Gelages, die im ganzen Bett verstreut neben
ihm lagen. War da nicht noch ein Rest von der Hammelkeule gewesen? Er beugte
sich über den Rand des Bettes, um auf dem Boden nachzusehen, ob das Stück
Fleisch nicht vielleicht unter die Schlafgelegenheit gerollt war, aber vergebens. Es
lag nicht einmal das kleinste Fitzelchen Essbares auf den blank gescheuerten
Dielen. Na, dann eben nicht, dachte er und setzte sich auf. Tief aus seiner
Körpermitte stieg, begünstigt durch seine zuvor beugende Bewegung, etwas auf, das
sich schließlich als lang gezogenes, unanständig lautes Rülpsen entpuppte, das sich
durch seinen weit geöffneten Mund fast eruptionsartig entlud.
»Nun, besser oben als unten«, murmelte der Hexer und grinste. Er hatte zwar
gewusst, dass der Barde sehr stimmgewaltig sein konnte, doch das Geräusch eben
hatte selbst ihn überrascht. Es steckte doch mehr in Rittersporn, als er dachte, mal
abgesehen von dem Fünf-Gänge-Menü, das er dem Spatzenmagen des Barden
zugemutet hatte.
Er lauschte. Es war verdächtig still. War der Wettstreit etwa schon zu Ende?
Langsam und behäbig stand er auf, schloss mühsam den Hosenbund, den er zuvor
zur besseren Aufnahme der ganzen Fressalien gelockert hatte, und kratzte sich
ungeniert am Hintern. Geralt öffnete die Tür zum Flur. War da nicht eben ein
Geräusch gewesen? Er wünschte sich, des Barden Ohren wären nicht so … normal.
In seinem eigenen Körper hätte er ohne Mühe die Fliegen an der Wand furzen hören
können, wenn er es gewollt hätte. Zum Glück konnte er seine Fähigkeiten gut
kontrollieren und ganz nach Bedarf drosseln, ansonsten wäre so mancher heiße
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Sommer im von Mücken geplagten Kaer Morhen im doppelten Sinne unerträglich
gewesen.
Er hatte sich nicht geirrt. Mit wehenden Schritten eilte Fiona, die liebreizende
Tochter des grummeligen Wirtes, an ihm vorbei und rüttelte am Ende des Ganges an
einer der Türen. Rittersporns Ohren waren zumindest so gut, dass er hören konnte,
was sie durch die augenscheinlich verschlossene Tür rief.
»Vater, wach auf! Es ist so weit! Der Wettbewerb ist zu Ende. Wir haben einen
Gewinner! Hörst du mich, Vater?«
Es rührte sich zunächst nicht viel in Leo MacDanolds Zimmer, doch dann war
ein lautes Poltern zu vernehmen. Wahrscheinlich war der gute Leo gerade aus
seinem Bett gefallen, überlegte Geralt. Er konnte nicht hören, ob der Wirt seiner
Tochter eine Antwort gab, doch das war auch gar nicht mehr nötig. Mit einem
ernsten Gesichtsausdruck schloss Geralt die Tür. Nun denn, was auch immer in
dieser Stadt vor sich gehen mochte, bald würde es vorbei sein. Er brauchte noch
nicht einmal sein Amulett, um zu spüren, dass sich das letzte Kapitel dieser Posse
bald schließen würde. Da braute sich etwas zusammen, das fast mit den Händen
greifbar war.
Rasch richtete Geralt die Kleidung des Barden, wischte sich etwas Soße aus dem
Gesicht und hauchte in seine offene Handfläche, die er dann zur Nase führte. Frisch
war was anderes, doch es war nun nicht die rechte Zeit, um daran noch etwas zu
ändern. Beim Hinausgehen zupfte er ein Minzeblatt aus den Haaren des Barden. Na
also, geht doch, dachte er und steckte das Blatt samt Stängel in seinen Mund und
begann, ausgiebig zu kauen. Minzfrisch, da kann selbst Rittersporn nicht meckern!
»Weiß man schon, wer der Barde ist, der gewonnen hat?« Fiona war etwas außer
Atem, als sie wieder bei ihrem Bruder angelangte, der sich in einem Gespräch mit
Ansgar von der Vogelwiese befand. Ihr Bruder verschränkte die Arme vor der Brust,
lehnte sich an einen der Pfeiler, die die Decke der große Halle abstützten, und
schüttelte den Kopf.
»Nein«, antwortete Ansgar an seiner Stelle, »bislang hat er sich nicht blicken
lassen, wenn es denn ein Er ist. Wir stecken nun etwas in der Bredouille. Wenn der
Gewinner sich nicht meldet, müsste der Titel an den Zweitplatzierten gehen. Den
gibt es nur noch nicht, weil René ja so rasch den unsichtbaren Barden zum Sieger
ausrufen musste. Wenn die Situation sich nicht schnell klärt, gibt es ein Unglück,
bei dem das Blutbad vor drei Jahren nur wie ein lächerlicher Kindergeburtstag
wirkt.«
Fiona seufzte. »So schlimm steht es?«
Ehe Ansgar antworten konnte, erhob sich innerhalb der Menschenmenge im
Raum ein lauter Tumult, doch weder Fiona noch Ansgar oder Ranold konnten von
ihrem Standpunkt aus erkennen, was genau da gerade ins Rollen geraten war.
Ansgar verdrehte nur die Augen und warf einen flehentlichen Blick gen Himmel. Er
sah, wie Wolfram von Aschenbach sein Heil in der Flucht suchte und hoffte, dass
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der Barde mit dem silbernen Krähenschnabel heute nicht anwesend war, bevor er
sich aufmachte, sich seinen Weg mitten durch die Menschenmenge zu bahnen.
Cailins Herz schlug ihm bis zum Hals, als er den letzten Ton seiner Laute durch den
Raum schweben ließ. Die Stille, die daraufhin folgte, traf ihn härter, als er gedacht
hatte, doch die alte Grid lächelte ihm mit ihrem jungen Gesicht aufmunternd zu.
»Sie werden es lieben«, hatte sie ihm vorher versichert und wie es schien, sollte
sie mit ihrer Voraussage recht behalten. Nach einigen Augenblicken, die ihm wie
eine kleine Ewigkeit vorkamen, brauste in der großen Halle der Jubel auf und er
wurde von einer Welle der Emotionen, die sich von dort konzentrisch ausbreitete,
beinahe überwältigt. Sein Blick verschwamm und er spürte das Zittern seines
Körpers. Die ganze Anspannung, die ihn vor dem ersten Lautenklang erfasst hatte,
fiel mit einmal von ihm ab, und es war wiederum die alte Grid, die ihn stützte, als
seine Beine ihn nicht mehr zu tragen vermochten.
»Hörst du, Cailin«, flüsterte sie süß in seine Ohren, »sie lieben es, sie brauchen
es. Ihnen wird gar nichts anderes übrig bleiben, als dir den Sieg zuzusprechen, du
wirst schon sehen!«
Er hörte die kurze Ansprache von René de Bellegout und konnte es kaum fassen.
Er hatte tatsächlich gewonnen, hatte alle diese großen und berühmten Barden
überflügelt und ihre Herzen im Sturm erobert!
»Es ist an der Zeit, junger Prinz, dich deinem neuen Hofstaat zu präsentieren und
dir den verdienten Lohn für deine Kunst abzuholen. Worauf wartest du noch?«
Das wusste Cailin selbst nicht so genau. Ein Leben lang hatte er auf einen
solchen Moment gewartet, ihn sich in seinen kühnsten Träumen immer und immer
wieder in den herrlichsten Farben ausgemalt, die seine Fantasie hergab, doch nun,
wo sein größter Traum wahr wurde, fühlte er, wie Angst und Unsicherheit seinen
Körper zu lähmen begannen. Wie lange er dort so gestanden hatte, unfähig auch nur
einen Muskel zu bewegen, konnte er später nicht mehr sagen. Es mochten ein oder
zwei Minuten, vielleicht sogar deren fünf gewesen sein, bis schließlich die Zauberin
ihre Hand auf seine Schulter legte und er wieder einmal dieses sanfte Kribbeln
spürte, das, wie er nun wusste, von ihren Fingerspitzen ausging und seine Wirkung
auch diesmal nicht verfehlte. Die Starre begann langsam von ihm abzufallen und er
beruhigte sich zusehends.
»So ist es besser, junger Mann.« Grid massierte ihm ausgiebig den total
verspannten Nacken. »Vielleicht ist es nicht das Geld, das dich lockt, aber es gibt in
der großen Halle doch sicherlich etwas, was du ebenso sehr begehrst, nicht wahr?«
Cailin brauchte nicht lange zu überlegen.
»Fiona«, hauchte er ehrfurchtsvoll den Namen der Person, die ihm mehr
bedeutete als alles Gold der Welt. »Ein Kuss von ihren Lippen ist mehr Lohn, als
ich verdiene«, murmelte er leise, doch nicht leise genug.
»Quatsch mit Soße!«, zischte Grid. Cailin sah sie mit einem verzweifelten Blick
an.
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»Aber ihr Vater wird mich nie akzeptieren! Er kann mich nicht leiden, obwohl
ich ihm nie ein Leid zugefügt habe!«
»Du nicht, das stimmt«, überlegte sie nachdenklich, »dafür aber jemand anderes.
Sei doch nicht so ein Hasenfuß! Ich kann dir nur einen guten Rat geben: Nutze das
Erbe deines Vaters und der Rest wird sich schon finden. Und was den Vater von
Fiona angeht, da lass nur mich mal machen! Es gibt da noch eine alte Rechnung, die
endlich einmal auf den Tisch gebracht werden muss. Ich glaube, einen besseren
Zeitpunkt als diesen gibt es nicht. Worauf wartest du noch? Husch, Husch!«
Rittersporn profitierte von Geralts Größe. Mit Leichtigkeit überragte er einen
Großteil der anwesenden Barden, sodass er sich nicht durch die Masse zu drängeln
brauchte, um dasselbe wie Ansgar zu sehen, der sich mit Tritten und unter Einsatz
seines extrem spitzen Ellbogens mühsam seinen Weg durch seine Kollegen
erkämpfen musste.
Die Helligkeit im »Roten Löwen« war einem diffusen Dämmerlicht gewichen,
das lediglich durch unzählige brennende Kerzen, die Fiona und Ranold kurz nach
Einbruch der Nacht im Schweiße ihres Angesichts entzündet hatten, vertrieben
werden konnte. Die Sicht wirkte dadurch etwas verschwommen und unstet; die
vielen einzelnen Lichtquellen verwirrten die Augen und es fiel schwer, sich längere
Zeit auf einen Punkt im Raum zu konzentrieren, ohne dass einem die Tränen in die
Augen stiegen.
Ohne Zweifel jedoch gut sichtbar war der neueste männliche Zugang im Raum.
Es schien fast, als umschmeichle das vorherrschende Kerzenlicht seine
hochgewachsene Gestalt. Es spiegelte sich in dem golden schimmernden Haar
wider, das von einem funkelnden Kopfreif gebändigt wurde, der von den
wundervollsten Edelsteinen gesäumt war, die Rittersporn je zu Gesicht bekommen
hatte. Unübersehbar waren auch die spitzen Ohren, die den jungen Neuankömmling
eindeutig als einen Vertreter der Aén Seidhe kennzeichnete. Es war lange her, dass er
einen Barden der Elfen gesehen, geschweige denn getroffen hatte, seit die
Stimmung im Reich sich gegen die Anderlinge gewendet hatte. Ein Laut der
Verwunderung stahl sich lautlos von Geralts Lippen.
Er betrachtete den jungen Mann genauer. Seine Garderobe stand seinem
Haarschmuck in puncto Geschmack und Erlesenheit in nichts nach. Das gesamte
Gewand bestand aus einem grünen Brokatstoff, das mit einem filigranen Muster aus
goldenen Blättern, Ranken und schlanken Blütenkelchen verziert war. Die Ärmel
waren geschlitzt und enthüllten das darunter befindliche blütenweiße Hemd aus
reiner Seide. Das Wams wiederum war mit silbernen Ornamenten durchwirkt, die
einen hübschen Kontrast zu den kornblumenblauen Augen des Elfen bildeten. Ein
schmaler, edelsteinbesetzter Gürtel und kniehohe Stiefel aus dem feinsten Leder
diesseits und jenseits der neun Königreiche rundeten den imposanten Anblick ab.
Rittersporn beschlich das seltsame Gefühl, diesen jungen Elf schon einmal
gesehen zu haben. Da war etwas in den fein geschnittenen Gesichtszügen, das ihn
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innehalten ließ und eine Erinnerung weckte, die er allerdings noch nicht klar
einzuordnen wusste. Ein unbekannter Schleier hielt sie noch in den Nebeln der
Vergangenheit verborgen. Doch er würde schon noch darauf kommen.
Er hörte ein lautes Schnaufen neben sich. Malin von Versfeld hatte seinen nicht
gerade schlank zu nennenden Körper auf einen Tisch gewuchtet und warf einen
gehetzten Blick über die Menge hinweg. Sein Kopf war krebsrot angelaufen und
sowohl die Schweißflecken unter seinen Achseln als auch der feine Perlenschleier
auf seiner Stirn zeugten von der Anstrengung, die er gerade durchlitten hatte. Seine
Augenbrauen bildeten ein weitschenkeliges V über den zusammengekniffenen
Augen, hoben sich dann aber rasch zu einer Miene der Überraschung. Sein Mund
öffnete sich zu einem kleinen O, und das war auch der erste Laut, der sich daraus
hervorstahl. Er schüttelte ungläubig den Kopf, nahm ein fleckiges Tuch aus seiner
Brusttasche und wischte sich unwirsch die Stirn und den Nacken trocken.
»Nein, das ist doch nicht möglich!«, flüsterte er leise, jedoch nicht leise genug,
als dass Rittersporn es nicht mitbekommen hätte. »Das kann er nicht sein, ich sah
doch mit meinen eigenen Augen, wie er starb. Alter Narr, das kann er gar nicht sein,
das ist nicht Leolas …«
Leolas! Es war, als schnappe ein Schloss in seinem Inneren auf und gäbe endlich
freie Sicht auf etwas, das lange Zeit hinter einer schweren Tür verborgen geblieben
war. Mit einem Schlag erinnerte sich Rittersporn wieder an den Tag, an dem er dem
großen Barden Leolas begegnet war, damals in seinem ersten Jahr in Oxenfurt.
Warum war er nicht gleich darauf gekommen? Der Barde trug ja sogar dieselben
Gewänder wie damals und es schien zudem, als wäre er auch seit jenem Tag um
keine einzige Stunde gealtert. Und dennoch: Malin hatte ganz recht. Das konnte
nicht Leolas sein. Leolas war tot, vor etlichen Jahren vom Pöbel in Wyzima
erschlagen. Selbst wenn er damals nicht gestorben wäre – Rittersporn selbst war
kein Augenzeuge gewesen und kannte die Nachricht von seinem Tode nur vom
Hörensagen – dann hätte auch die Zeit an ihm nicht ganz spurlos vorbeigehen
dürfen, Elf hin oder her.
Nein, das war nicht Leolas, auch wenn die anwesende Bruderschaft der Barden
nur zu gerne Zeuge der Wiederauferstehung einer Legende gewesen wäre. Was
allerdings eine andere Frage aufwarf: Wenn das dort vorn nicht Leolas war, warum
trug er dann seine Kleider und war ihm wie aus dem Gesicht geschnitten?
»Hast du das Rätsel schon gelöst, Geralt?«, raunte eine ihm vertraute Stimme,
die seine nämlich, ihm zu. Er blickte in das konzentrierte Gesicht seines Freundes,
dessen undurchdringliche Miene sich nicht entschlüsseln ließ. Es war ein wenig
unheimlich, das eigene Gesicht so zu sehen … hey, war das etwa Soße, die er da im
Mundwinkel sah? Der Barde prüfte sein Ebenbild genauer. Krümel am Wams, ein
Fleck am Hosenbein und der Gürtel saß verdächtig locker über der Hüfte, über der
sich ein kleines Bäuchlein zu wölben schien.
»Hattest du etwa wieder eine deiner Fressattacken, Hexer?«, zischte Rittersporn
gereizt. Seine gelben katzenartigen Augen sprühten Funken. Geralt rieb sich nur
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gedankenverloren den Bauch, rülpste kurz, aber heftig und pulte mit einem
improvisierten Zahnstocher ungeniert im Mund herum. Nun, das ist auch eine
Antwort, dachte der Barde missmutig.
»Das ist nicht Leolas«, antwortete der Hexer stattdessen.
»Ach, als wäre ich inzwischen nicht schon selbst darauf gekommen. Die Frage
ist doch vielmehr, wer dieser junge Elf dann ist?«
Ein Funken Belustigung flammte kurz in den Augen des Barden auf und der
Mund über dem braunen Spitzbart verzog sich zu einem spöttischen Lächeln, das
durchaus charmant zu nennen war.
»Mach doch einfach die Augen auf, Barde! Das ist Cailin!«
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Kapitel XIV
Eine Wahrheit kommt ans Licht
N
ein, nicht DU! Jeder, nur nicht DU!« Der vor Empörung zitternde
Zeigefinger, der pfeilgerade in Richtung des jungen Elfen zeigte, gehörte zu
niemand anderem als Leo MacDanold, der in einem bodenlangen, von Motten
zernagten Nachthemd am oberen Ende der Treppe in den ersten Stock stand und
anklagend auf Cailin wies. Sein Haupthaar stand wirr von seinem Kopf ab und
schien im Schein der Kerzen regelrecht rötliche Funken zu sprühen, während die
Lippen im vollen Bartgestrüpp schmal wie ein Pinselstrich waren. Seine dunklen
Augen spiegelten den Grad der Entrüstung wieder, den der gute Leo gerade
empfand. Sein Brustkorb hob und senkte sich energisch. Nie hatte er mehr
Ähnlichkeit mit einem wilden Löwen gezeigt als in just diesem Augenblick.
»Nicht du«, wiederholte er noch einmal, während alle Augen auf ihn gerichtet
waren. Cailin errötete und wusste nicht, wohin er blicken sollte.
»Hast du meiner Familie nicht genügend Unheil beschert? Habe ich nicht genug
unter dir gelitten? Musst du ausgerechnet jetzt zurückkehren, um mir die Rechnung
zu präsentieren?«
»Vater!« Fionas Ausruf war voller Schmerz und Empörung. »Was redest du da
für einen Unsinn? Und wie siehst du überhaupt aus? Da muss man sich ja für dich
schämen, Vater.«
Leo sah an sich herab, zuckte nur mit den Schultern und blickte seiner Tochter
streng ins Angesicht.
»Schweig, Fiona, davon verstehst du nichts! Du bist damals nicht dabei
gewesen, als dieser Barde in unserer Stadt weilte und allen Weibern den Kopf
verdrehte … deine Mutter inbegriffen … und nun steht er da, als könne er kein
Wässerchen trüben, als wäre nie etwas passiert.« Halb schritt er, halb taumelte er in
Richtung des jungen Elfen, während sich eine Gasse in der Schar der Barden
bildete, die ihn ungehindert passieren ließen. Fast schon hatte er Cailin erreicht, als
sich Fiona zwischen ihren Liebsten, den ihr Herz trotz seiner edlen Aufmachung
längst erkannt hatte, und ihren Vater stellte, dessen Gesicht nun ungesund rötlich
gefleckt war.
»Wovon sprichst du da, Vater? Bist du von Sinnen? Egal, für wen du ihn hältst:
er ist es nicht! Hast du denn keine Augen im Kopf? Das ist Cailin, das ist der Mann,
den ich liebe, Vater. So, nun ist es endlich raus«, seufzte sie erleichtert und fiel
ihrem Angebeteten in die Arme, drückte sich eng an ihn und küsste seine weichen
Lippen.
Cailin errötete noch mehr.
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Leo prallte zurück, als wäre er gegen eine Wand gelaufen. Mit wutverzerrter
Miene packte er barsch Fionas Arm und versuchte, sie aus dieser aus seiner Sicht
unschicklichen Umarmung zu befreien, doch sie wehrte sich beharrlich und Cailin
schlug schließlich Leos Hand von ihrem Arm und stellte sich schützend vor sie.
»Was fällt dir ein, Leolas, du Lump?« Leos Aussprache wurde zunehmend
feuchter. »Reichte es nicht, dass du mir mein Weib abtrünnig gemacht hast mit
deiner vor Schmalz triefenden Stimme, musst du dich jetzt auch noch an Fiona, ihre
Tochter, heranmachen? Hast du denn keinen Funken Anstand im Leib? Wisse,
Leolas, sie ist nämlich …«
»SCHWEIG!« Die Stimme klang wie ein Donnergrollen. Leo zuckte zusammen
und sah sich um. Doch er erblickte nur die alte Grid Mole, die mit auf den Hüften
gestemmten Armen hinter ihm stand und deren Augen nicht weniger Funken
sprühten, als seine noch vor einigen Minuten. Sie konnte es doch nicht gewesen
sein, die da gerade … Er schüttelte nur belustigt den Kopf, was die alte Grid dazu
veranlasste, ihre Augen so weit zu schließen, dass sie nur noch als schmale Schlitze
zu erkennen waren.
»Wag es ja nicht, Leonard Alexander MacDanold, mich noch länger auf diese
Weise anzusehen, du würdest es bitter bereuen, glaube mir«, zischte sie böse.
»Was willst du, Grid? Vertrödele nicht meine Zeit, indem du mich belästigst.
Kehr du lieber zurück zu deinen Bändern und dem anderen Tand, aber misch dich
nicht in meine Angelegenheiten ein. Hast du das verstanden? Was glaubst du
eigentlich, wer du bist?«, höhnte er.
Grid Mole richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und erwiderte den starren
Blick des Wirtes ohne Zögern. Ein schmallippiges Lächeln entblößte kurz ihre
fauligen Zähne.
»Wie ich sehe, hast du im letzten Jahr nichts, aber auch gar nichts dazugelernt,
Leo.« Sie schüttelte bedauernd ihr welkes Haupt. »Ich dachte, der Fluch würde dich
ein wenig demütiger, etwas pflegeleichter werden lassen, dass du endlich auch
anderen den Respekt zollen würdest, den du für dich selbst immer einforderst. Weit
gefehlt! Du bist immer noch so halsstarrig, dickköpfig wie früher und hast die
Manieren eines Schweins! Du willst wissen, wer ich bin? Bitte sehr!«
Sie drehte sich um ihre eigene Achse, wirbelte herum, bis ihr Körper in
Myriaden von hellen Lichtkugeln verschwunden war, die in Richtung Decke
schwebten, bis sie ihre Geschwindigkeit wieder verringerte und mit einem
blendenden Blitz zum Stillstand kam. Grid Mole war verschwunden. An ihrer Stelle
stand nun eine junge Frau mit langen, golden schimmernden Locken von der Farbe
frischer Kastanien. Auch trug sie nicht länger die Kleidung der alten Krämerin,
sondern ein eng geschnürtes weiß-blau gestreiftes Wams mit hohem Kragen,
verziert mit bunten Bändern, eine knappe lederne Hose und knielange Stiefel, die
am oberen Ende modisch umgestülpt waren. Ein Raunen ging durch die Schar der
Barden. Einige wandten ängstlich das Gesicht ab und machten das Zeichen gegen
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den bösen Blick, während andere ihre Hälse noch mehr streckten, um ja nichts zu
verpassen.
Geralt pfiff leise.
»Triss Merigold, ich hätte es mir doch eigentlich gleich denken können.«
»Geralt«, Triss neigte den Kopf höflich in Richtung des Barden und wandte sich
dann der Gestalt des Hexers zu. »Es ist mir auch eine Freude, Euch wieder zu
sehen, werter Rittersporn.«
»Darf ich davon ausgehen, dass du für den lästigen Zauber in unserem Zimmer
verantwortlich gewesen bist?« Der Barde strich sich lächelnd über den Kinnbart,
während Triss ein scheues Unschuldsgesicht aufsetzte, als wüsste sie nicht, wovon
er sprach, dann aber lachend den Kopf schüttelte und den Hexer frech angrinste.
»Wer sonst, Geralt, wer sonst? Konnte ich denn wissen, dass der alte Hurenbock
von Wirt sich vor Angst in die Buxen scheißt und mein damaliges Zimmer auf
Teufel komm raus nicht mehr betritt? Nun, da hat es leider euch beide getroffen.
Seht es als Kollateralschaden an und genießt einfach die Zeit und die Erfahrungen,
die euer kleines Missgeschick euch beschert.«
Langsam strich sie um die Gestalt des Hexers herum. Rittersporn im Inneren
schwitzte Blut und Wasser, als ihre Hand über seine Wange fuhr und dann hinter
seinen Kopf verschwand, wo sie zärtlich mit seinem schneeweißen Schopf spielte,
bevor sie ihre weichen Lippen benetzte und den Hexer küsste, dass ihm Hören und
Sehen verging. Geralt selbst sah es gelassen.
»Triss, komm zum Punkt, bevor unser guter Wirt hier noch irgendwelchen
körperlichen Schaden davonträgt.«
Die Zauberin drehte sich herum und wandte sich dem Wirt zu, dessen Gesicht
kreidebleich geworden war, ein auffälliger Kontrast zu seinem roten Haupt- und
Barthaar. Schweiß perlte auf seiner Stirn und sein Mund öffnete und schloss sich
wie ein Fisch an Land, der nach Luft schnappte.
»Ah, ich sehe, du erkennst mich wieder. Was ist? Hat es dir die Sprache
verschlagen?«
Leo holte tief Luft und endlich tropfte das Wort von seinen Lippen, das die
ganze Zeit ängstlich dahinter gekauert hatte.
»Hexe«, röchelte er mehr, als dass er sprach. Triss wirkte verärgert.
»Ist das etwa alles? Ein Jahr ist vergangen, seitdem du mich in Bausch und
Bogen aus deinem Haus geworfen hast, und dir fällt jetzt nichts Besseres ein, als
mich wieder zu beleidigen?« Sie seufzte. »Geralt, erklärst du ihm den Unterschied
zwischen einer Zauberin und einer Hexe oder soll ich ihn lieber gleich in eine Kröte
verwandeln?«
»Triss!«
Die Zauberin winkte gnädig ab.
»Schon gut, Geralt, ich kann mich gerade noch im Zaume halten, obwohl er es
mehr als verdient hätte. Oh, er sähe bestimmt gut aus, als fette grüne Kröte mit
roten Haaren ...« Sie kicherte mädchenhaft bei dem Gedanken. Langsam schlich sie
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um den Wirt herum, dessen Augen ihr ängstlich zu folgen versuchten, bis er bei dem
Versuch fast über den Saum seines schäbigen Nachthemdes stolperte.
»Ich sehe, dir ist es nicht sonderlich gut ergangen im letzten Jahr. Keine Gäste,
nehme ich an, daher auch keine Einnahmen, kein Luxus und kein angenehmes
Leben. Wie traurig, aber selbst schuld. Daran hättest du mal denken sollen, bevor du
mich dazu gebracht hast, diesen elenden Fluch auszusprechen. Apropos, bist du
inzwischen daraus schlau geworden? Beim Teil mit den Barden hast du ja den
richtigen Riecher bewiesen. Sollen wir mal nachschauen?«
Triss schnippte mit den Fingern und ein lautes Knarren ertönte im ersten Stock.
Kurz darauf erschien am oberen Treppenabsatz ein merkwürdiges Ensemble,
handelte es sich dabei doch um die Kleidung des Wirtes, die er am Vortag getragen
hatte, doch ohne den Wirt darin, als würde ein Unsichtbarer seine Kleider tragen.
Behände kam sie die Treppen herab, vollführte eine höfliche Verbeugung vor der
Zauberin, die sie mit Wohlwollen quittierte, dann öffnete sich die obere Tasche des
Wamses und ein Zettel schwebte wie von Geisterhand getragen auf Triss Merigold
zu.
»Ich bedanke mich«, schmunzelte sie, »mir scheint, dass selbst in deinem
Beinkleid mehr Anstand vorhanden ist als in dir selbst, Leo.«
Sie faltete den Zettel auseinander und runzelte die Stirn.
»Dann wollen wir mal schauen:
Erst wenn endlich ans Licht kommt zu einer Zeit
die Wahrheit von allen Lügen und Siegeln befreit
wenn das hellste Tageslicht am Ende sieht
was schon lang geheim im Dunkeln erblüht
ein Schlüssel gegen Stahl um den rechten Platz ringt
ein Barde ein stummes Schwert zum Singen bringt
wenn die im Lande allergrößten Bardenzungen
vom Niedrigsten der ihren wurden bezwungen
wenn dann noch die alte Weise am Brunnen erschallt
dann steigt das Übel daraus nach oben schon bald
wird letztendlich von einem Recken bezwungen
dessen Lippen nie einen Ton haben gesungen
erst dann wird kommen die rechte Zeit
dieser Schwur wird nicht gebrochen
die Stadt wird dann vom Fluche befreit
den im Zorn ich über sie habe gesprochen.
Nun, der erste Teil hat sich bereits erfüllt«, sie lächelte Cailin und Fiona an. »Da
steht vor uns die Liebe, die im Geheimen erblühte, weil du Esel von Wirt sie nicht
erkannt hast. Fionas Geständnis hat das Geheimnis enthüllt, doch leider ist es nicht
das einzige.« Sie seufzte. »Fiona, was Leo gerade verkünden wollte, bevor ich ihn
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unterbrach, ist nicht ganz leicht zu erklären. Du musst wissen, Cailin ist der Sohn
des Barden Leolas, der vor langer Zeit in Carinthia weilte und hier einige
gebrochene Herzen zurückließ, als er die Stadt verließ oder besser gesagt, verlassen
musste. Meins ebenso, wie auch das Herz der jungen Frau, die sein Kind, also
Cailin, unter ihrem Herzen trug. Doch sie war nicht die Einzige. Auch deine Mutter
gehörte zu den wenigen Frauen, zu denen sich Leolas hingezogen fühlte, auch wenn
sie nie die Liebe und die Stellung in seinem Herzen erringen konnte, wie es Cailins
Mutter tat. Und dennoch …«
Fiona legte eine Hand vor ihren Mund und schüttelte ungläubig den Kopf.
»Ja, Fiona, ich sehe dir an, dass du begriffen hast, welche Wahrheit ich dir
enthüllen muss: Leolas ist auch dein Vater.«
Leo ächzte.
»Betrogen hat sie mich mit ihm, das undankbare Weibsstück!«, spie er die
bitteren Worte aus. »Und als wir ihn endlich aus der Stadt getrieben hatten, kam sie
mit seinem Kind unter dem Herzen zu mir zurück. Was hätte ich tun sollen? Ich
schwor, dass ich sie fortjagen würde, wenn das Kind auf der Welt wäre, doch als ich
dann in dein kleines Gesichtchen sah«, er wandte sich Fiona zu und sah sie zärtlich
an, »in dein kleines, zerknautschtes Gesichtchen und ich keine spitzen Ohren
entdeckte, da konnte ich nicht anders, als dich lieb zu haben, obwohl ich wusste,
dass ich nicht dein leiblicher Vater war. Und daran hat sich bis heute nichts
geändert, Fiona, das musst du mir einfach glauben. Ich liebe dich wie mein eigen
Fleisch und Blut und daran wird sich niemals etwas ändern!«
Fiona, Leolas’ Tochter, schlug beide Hände vor das Gesicht und weinte
hemmungslos. Sanft schob Cailin sie in die offenen Arme von Leo, der ihm dankbar
zunickte, bevor seine kräftigen Arme ihren zitternden Körper umschlossen und er
sie mit leiser Stimme zu beruhigen versuchte.
Die Zauberin spürte einen dicken Kloß in ihrem Halse stecken, als sie Zeuge
dieser Szene wurde, doch sie fing sich rasch und fuhr fort: »Nun, der nächste Teil
betrifft euch zwei Hübschen«, grinste sie und sah Geralt und Rittersporn an.
»Natürlich ist mit dem Schlüssel ein Notenschlüssel gemeint und damit niemand
anderes als Rittersporn. Und der Stahl? Nun, man braucht nur auf Geralts Schwerter
zu schauen und die Bedeutung wird einem klar. Ich bin immer wieder überrascht,
welche Kapriolen manche meiner Flüche schlagen, mit denen selbst ich nie
gerechnet hätte. Ihr beide ringt immer noch um eure wahre Identität, doch dieser
Zauber ist zeitlich begrenzt und wird sich lösen, sobald die rechte Zeit gekommen
ist. Und der Zeitpunkt dafür ist näher, als man vermuten mag. Ich hatte Tränen in
den Augen vor Vergnügen, als Rittersporn Geralts Stimmbändern dieses nette
Spottlied abgerungen hat. Ganz im Ernst, werter Rittersporn, ich hätte jedem, nur
nicht dir, so viel Selbstironie zugetraut.
Jetzt zu dir, Cailin.« Sanft fasste sie den jungen Elfen an der Schulter und
lächelte ihm zwinkernd zu. »An dir hatte ich auch noch ein Unrecht gutzutun, wie
du ja bereits weißt, und ich glaube, deine Stimme ist das herrlichste Geschenk, das
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man dir machen konnte, nachdem mein Spruch sie dir so lange vorenthalten hatte.
Als Niedrigster der Barden hast du sie alle bezwungen und deinem Vater alle Ehre
gemacht. Ich weiß, er wäre unendlich stolz auf dich, hätte er heute die Gelegenheit
gehabt, dir zuzuhören. In dir leben sein Genie und sein reicher Schatz an Balladen
weiter.«
»Ich danke Euch für diese Worte, verehrte Dame«, Cailin deutete eine
Verbeugung an, die Triss schmunzeln ließ, »verzeiht mir aber, wenn ich Euch diese
Frage stelle: Wart Ihr immer schon die alte Grid Mole?«
Die Zauberin schüttelte die Lockenpracht und senkte einen Augenblick
nachdenklich den Kopf.
»Nein, das war ich nicht«, erklärte sie mit leiser Stimme. »Es gab tatsächlich
eine Grid Mole. Sie war wie ich eine Magierin und eine gute Freundin von mir, die
allerdings letztlich ihre Zauberkraft aufgegeben und sich damit den
unvermeidlichen Folgen der Zeit gestellt hatte. Sie starb letztes Jahr und so nahm
ich ihren Platz ein, um hier von Zeit zu Zeit unerkannt nach dem Rechten sehen zu
können.«
»Und was jetzt?«
»Wie bitte?«
Triss drehte sich abrupt um und sah einen jungen, noch pickligen Barden an,
dessen Barthaare gerade erst zu sprießen begannen. Erst wich er einen Schritt vor
ihrem Blick zurück, doch dann besann er sich eines Besseren, trat mutig wieder vor
und reckte sein spitzes Kinn der Zauberin entgegen.
»Ihr habt mich schon gehört, Magierin, was passiert jetzt? Was ist mit dem Rest
der Prophezeiung?«
Ein leises Lachen perlte von ihren Lippen, als sie sich dem jungen Sänger
näherte, auf dessen Stirn erste Schweißperlen erblühten.
»So ist’s recht«, gurrte sie vergnügt. »Ich mag Männer, die wissen, was sie
wollen und sich nicht scheuen, das Maul auch aufzureißen. Nicht wahr, Geralt?«
Der Angesprochene schnaubte nur, während Triss’ Hand dem Jüngling sanft ums
Kinn strich. »Ich glaube, du hast noch eine große Zukunft vor dir, mein Junge ...«
»Ich heiße Bhreac«, stammelte der Barde mit glänzenden Augen.
»Nun gut, Bhreac«, schmunzelte Triss und wandte sich an den Rest der
Minnesänger, die dem Schauspiel mit wachsender Faszination gefolgt waren.
Geralt verschränkte kopfschüttelnd die Arme vor der Brust. Wieder einmal
zeigte es sich, dass es keinen gab, der sich dem Zauber von Triss Merigold
entziehen konnte. Gekonnt spielte sie ihr Spiel, breitete nun ihre Arme aus, als
wolle sie die ganze Männerschar in selbige nehmen und drehte sich einmal um ihre
eigene Achse, bis sie wieder Bhreac in die Augen schauen konnte, der sichtlich
entzückt war und dessen Wangen einen zarten Roséton angenommen hatten.
»Natürlich hat dieser junge Barde recht. Noch ist dies nicht das Ende. Noch
wirkt der Fluch, den ich im Zorn gesprochen habe. Aber das große Finale ist bereits
nahe! Wer von euch kann mir jetzt schon sagen, wo es stattfinden wird?«
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Wieder ging ein Raunen durch die Menge, bis eine klare Frauenstimme durch
die Luft hallte.
»Am Brunnen, wo denn sonst«, rief Fiona, die sich sanft aus der Umarmung
ihres Vaters gelöst hatte und deren Tränen endlich versiegt waren. Entschlossen
stellte sie sich an die Seite ihres Geliebten, nahm seine Hände in die ihren und
führte sie zärtlich an ihre Lippen.
»Und du, mein geliebter Cailin, wirst dort endlich diesen vermaledeiten Fluch
brechen, unter dem wir jetzt schon so lange leiden, nicht wahr?«
Cailin schluckte gerührt, nickte nur und küsste nun seinerseits die Fingerspitzen
seiner Freundin.
»Worauf warten wir dann noch?« Bhreac richtete sich zu seiner vollen Größe
auf, die keineswegs beeindruckend war, und funkelte seine Kollegen an. »Machen
wir uns auf zum Brunnen!«
»Auf zum Brunnen!«, erwiderte lautstark ein anderer Barde, dann stimmte noch
einer in den Ruf ein und noch einer, bis der Ruf aus nahezu allen Kehlen erklang:
»Auf zum Brunnen!«
Begeistert drängte sich die Masse der Barden und derjenigen, die sich dafür
hielten, durch die große Flügeltür nach draußen. Geralt und Rittersporn blieben
noch zurück, ebenso wie Cailin, Fiona und ihr Vater.
»Worauf wartet ihr denn noch?«, verlangte Triss zu wissen. »Wollt ihr denn nicht
erfahren, wie es ausgeht?«
»Durchaus, Triss«, antwortete Rittersporn und der Blick aus Geralts Augen ruhte
spöttisch auf ihr. »Ich nehme jedoch an, dass es ohne uns, also Geralt, Cailin und
mich, allerdings nur eine tumbe Masse von Idioten gibt, die gerade ohne Sinn und
Verstand auf den sprichwörtlichen Brunnen vor dem Tore zueilt und dort auf unsere
Ankunft warten muss. Denn wenn ich mich recht entsinne, spielen wir eine nicht
unwesentliche Rolle bei diesem Finale. Außerdem ...«, er wies, ohne ein weiteres
Wort zu verlieren, mit einer Geste auf Fiona, die gerade die Kleidung ihres Vaters
aufhob, welche nach dem Zauber erschlafft zu Boden gefallen war. Sanft fasste sie
Leo am Ellbogen und dirigierte ihn in eine dunkle Ecke, was der Mann ohne
Murren mit sich geschehen ließ.
»Komm, Vater«, murmelte sie beruhigend, »es wird Zeit, dass du dir etwas
Vernünftiges anziehst. Freue dich, bald ist alles vorbei. Es dauert nicht mehr lange,
Vater.«
Leo MacDanold sah seiner Tochter in die Augen und nur sie erblickte die
Tränen, die sich nun aus den Winkeln der seinen langsam ihre Bahnen über das
Gesicht zogen, um schließlich in seinem Bart zu versickern, als hätte es sie nie
gegeben.
Der Brunnen lag, anders als Rittersporn es angedeutet hatte, nicht außerhalb der
Stadt, sondern inmitten derselben in zentraler Lage. Er war schon von Weitem zu
sehen, besonders von der erhöhten Lage des »Roten Löwen«. Geralt und Rittersporn
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wussten daher schon, als sie Plötze und des Barden Reittier losbanden, wohin der
Weg sie in die Stadt führen würde. Ganz der Mann von Welt bot Rittersporn Fiona
an, auf Geralts Pferd sitzen zu dürfen, das sich, obwohl er Geralts Gestalt besaß,
sicherlich geweigert hätte, ihn zu tragen, Zauber hin oder her. Auch Geralt lief
lieber zu Fuß und führte Rittersporns Zossen am Zügel.
Notgedrungen waren deshalb auch Cailin und Fionas Vater, der sich sichtlich
wieder gefangen hatte, auf Schusters Rappen unterwegs, hatte man doch die letzten
in Carinthia verbliebenen Pferde schon vor Monaten zu Wurst und anderen
schmackhaften Köstlichkeiten verarbeitet und gleich verputzt.
Die Menge der Barden teilte sich bereitwillig, als die Prozession der
Hauptakteure endlich ihren Bestimmungsort erreichte.
Der Brunnen war ein monströses, fest gemauertes Ungetüm, dessen
Durchmesser gut drei Klafter betragen musste und Geralt knapp bis an die Brust
reichte. Ein riesiger Kurbelmechanismus war in die Umrandung eingelassen, um
das Wasser aus den Tiefen heraufholen zu können. Der Brunnenarm, der den nicht
minder überdimensionierten Wassereimer an Ort und Stelle hielt, war schwenkbar,
sodass nach dem mühevollen Schöpfen, das aufgrund der notwendigen
Kraftanstrengung durch mindestens zwei starke Männer zu erfolgen hatte, das
kostbare Nass problemlos außerhalb des Brunnens verteilt werden konnte. Zurzeit
jedoch fehlte von dem Eimer jede Spur und der Brunnen selbst war mit etlichen
schweren Brettern zugedeckt und mit zusätzlichen Eisenketten gesichert worden.
Rittersporn hob fragend eine Augenbraue.
»Das Wasser im Brunnen versiegte kurz nach dem Fluch«, hob Leo zu einer
Erklärung an, »zu viele versuchten, doch noch ein Quäntchen Wasser aus dem
Brunnen zu holen und einige fielen dabei hinein und starben ...«
»Jaja, wenn das Kind erst mal in den Brunnen gefallen ist ...«, grübelte
Rittersporn und fing sich einen missbilligenden Blick von Geralt ein, den er jedoch
geflissentlich übersah.
»Es wird Zeit«, sagte Triss und führte Cailin zum Brunnen. Sie nickte
Rittersporn zu, der erst fragend die Schultern hob, bis die Erkenntnis sein Gesicht
erhellte. Umständlich griff er nach dem Stahlschwert. Geralt schüttelte den Kopf.
Rittersporn lächelte gequält und packte schließlich das Heft des Silberschwertes und
zog es aus der Schwertscheide. Diesmal nickte Geralt gottergeben.
»Was soll ich singen? Was, wenn ich das falsche Lied wähle«, verlangte Cailin
zu wissen. Triss tätschelte ihm aufmunternd die Schulter.
»Keine Angst, junger Prinz, schließe die Augen und horche in dich hinein, und
du wirst die richtigen Zeilen schon finden. Sie sind in dir, sie waren es schon
immer.«
Cailin tat, wie ihm geheißen. Es dauerte nicht lange, bis er in seinem Innersten
auf einen hellen Schein stieß und zärtliche Musik vernahm, deren Töne ihm mehr
als vertraut waren. Er lächelte, zaghaft zunächst, doch dann immer befreiter und
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schließlich lachte er leise auf. Ja, das war es, wonach er gesucht hatte. Dies war sein
Lied!
Leise, doch hörbar, lösten sich die ersten Worte von seinen vollen Lippen,
wurden immer lauter und kraftvoller, bis er die Verse mit all der Inbrunst sang, die
ihm zur Verfügung stand und gerade aus seinem Herzen überquoll wie ein vom Eis
befreiter Bach im Frühjahr:
»Anirach govaded i chîr aer?
Nedir i narn lin naer
Têlir na chûd ne cherin
Calad feana ne nîf dîn
Peniar amarth lîn
Ned i vanga en-fuin
Si habo ne morchaint
Canis narchar i lain
Avo dhartho na nen edh-rîw
canis han dôg ’urth a thrîw
I maethyr idh ristar i daur
Nuithar i vlabed e-gûr
Peniar amarth lîn
Ned i vanga fuin
Si habo ne morchaint
canis narchar i lain
I ngelaidh si pen-loth a pen-lass
I lûth gaita erin dalaf
I lû sîr i gôl nin na mâr
A! Si a na veth: im Eldar
Peniar amarth lîn
Ned i vanga fuin
Si habo ne morchaint
canis narchar i lain«
Die anderen Barden lauschten versonnen der Melodie, ließen sich gerne einfangen
von der Süße seiner Stimme. Einige, die dieses Lied noch aus ihren Kindertagen
vage in Erinnerung hatten, nahmen ihre Instrumente zur Hand und begleiteten
Cailin darauf, andere wiederum, die den Text nicht kannten und bislang auch noch
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nie gehört hatten, trugen ihr Scherflein dazu bei, indem sie die Melodie
mitsummten.
Rittersporn hielt während des ganzen Liedes nervös Ausschau. Was würde ihn
erwarten, wenn der letzte Ton verklungen war? Welches Unheil galt es zu
bezwingen? Verdammt noch eins, warum hielt er ein Schwert in den Händen?! Das
war eindeutig Geralts Part, der jedoch genüsslich mit einem Holzspan Essensreste
zwischen den Zähnen hervorpulte.
Dann ging alles relativ schnell. Kaum hatte Cailin sein Lied beendet, als die
Erde auch schon von einem tiefen Beben erschüttert wurde. Die Barden stoben
auseinander und selbst Cailin taumelte einige Schritte zurück. Geralt hatte seinen
Zahnstocher schon längst weggeschnippt, nichts Gutes ahnend und sich
bereithaltend, obwohl er wusste, dass er in der Gestalt des Barden nicht viel würde
ausrichten können.
»Halte dich bereit!«, rief Triss Rittersporn im lauten Getümmel zu. Ihre Stimme
war, wahrscheinlich magisch verstärkt, problemlos im ganzen Tumult zu hören.
Das Beben verebbte so schnell, wie es gekommen war, doch ein anderes
Phänomen trat an seine Stelle. Ein knirschendes Geräusch machte sich dumpf breit.
Es klang, als schabte etwas an Stein entlang, keine Klinge, doch etwas von
derselben Beschaffenheit. Rittersporn spitzte seine feinfühligen Ohren und hatte
schon bald den Ursprungsort entdeckt, während andere noch unsicher Löcher in die
verschiedensten Richtungen starrten. Der Brunnen. Wenn er sein Ohr an das Holz
hielt, dann … Er kam nicht mehr dazu, diese irrwitzige Idee in die Tat umzusetzen,
denn bevor er den Rand des Brunnens überhaupt erreichen konnte, verstärkte sich
das Geräusch um ein Vielfaches. Es kam aus den Untiefen der Erde und bahnte sich
seinen Weg durch den Brunnenschacht nach oben - und doch traf es die Menge
unvorbereitet, als die Bretter und die Ketten gleichermaßen wie durch eine
Explosion, wie sie Alfred Nabels Sprengstoff nicht besser hätte hervorbringen
können, empor und weit mehrere Meter über die Köpfe der Anwesenden hinweg
geschleudert wurden, sodass sich die Verletzungen, die einige Barden erlitten, doch
in Grenzen hielten.
Wesentlich gefährlicher erschien allen hingegen das Wesen, das aus dem
Brunnenschacht seinen Weg nach oben gefunden hatte: ein riesiger weißlicher
Wurm, dessen silbern schimmernde Haut mit unzähligen, scharfkantigen Schuppen
bedeckt war. Der Wurm brüllte, erzürnt über die Störung seiner unterirdischen
Ruhe, und entblößte eine Reihe spitzer Reißzähne, gegen die Geralts Silberschwert
wie ein Zahnstocher wirkte. Mit bösartig funkelnden Augen, die tiefschwarz wie die
Nacht und groß wie Wagenräder waren, fixierte das Ungetüm die Gestalt mit dem
Schwert unter ihm.
Rittersporns Blick flog zwischen der Waffe in seiner Hand und dem weit
aufgerissenen Maul des Untiers hin und her. Verzweiflung machte sich auf seinem
Gesicht breit, die von Entsetzen abgelöst wurde, als der Wurm sich anschickte, auf
ihn niederzustürzen. Mit einer abwehrenden Bewegung riss er das Schwert herum
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und stemmte es dem Angreifer entgegen. Schwert und Wurm trafen aufeinander.
Rittersporn kugelte die Wucht des Aufpralls fast die Schulter aus dem Gelenk. Er
schrie auf und stürzte zu Boden. Die Menge schrie mit, atmete im nächsten
Augenblick jedoch auf. Der Hexer lebte noch und er verdankte dies lediglich dem
Umstand, dass der Wurm auf halbem Wege im Brunnen feststak und so nicht seinen
ganzen Körper dem Barden in Hexergestalt entgegenwerfen konnte. Das
Silberschwert war unversehrt, doch gleiches galt auch für das Geschöpf aus der
Tiefe. Das Schwert hatte es lediglich vermocht, dem Untier eine Schuppe vom Leib
zu reißen, die einem Schilde gleich neben Rittersporn auf dem Boden lag, der sich
die verletzte Schulter rieb.
»Triss, nun tue doch etwas, verdammt!«, verlangte Geralt aufgebracht. »Löse
den Zauber von uns oder schick die Kreatur in die Hölle zurück, aus der sie
stammt.«
Die Zauberin wehrte ab.
»Das ist nicht meine Aufgabe, Hexer. Ich kann den Dingen nur ihren Lauf
lassen. Ich habe es nicht mehr in meiner Hand.«
Geralt starrte grimmig den Wurm an, der doch tatsächlich seine Wunde leckte.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich seine Aufmerksamkeit wieder ganz auf
Rittersporn konzentrierte. Es war Zeit zum Handeln.
»Du hast recht, Zauberin«, erwiderte er, »das ist die Aufgabe eines Hexers!«
Entschlossen trat er an Rittersporn heran und griff gerade nach dem
Silberschwert, als wieder jener helle Schein auftrat, den sie beide schon einmal
gesehen hatten, damals in ihrer Stube. Diesmal jedoch war es keine Figur, die
erstrahlte, sondern das Schwert. Insgeheim betete Geralt dafür, diesmal nicht
ohnmächtig zu werden. Das konnte er sich jetzt nicht leisten, nicht, wenn das Leben
seines Freundes Rittersporn auf dem Spiel stand. Er spürte ein Ziehen und Zerren in
seinem Innersten und nach einem kurzen Moment des Widerstandes ließ er es
geschehen.
Geralt schloss die Augen und fühlte, wie sein Selbst fortgerissen wurde, aus
Rittersporns Körper hinaus, und als er die Augen wieder öffnete, verrieten ihm nicht
nur das Stechen in der Schulter und die einzelnen weißen Strähnen, die in sein
Gesichtsfeld hingen, dass er sich nun wieder in seinem eigenen Körper befand.
Hinter ihm stöhnte jemand und aus den Augenwinkeln heraus sah er den Barden mit
leeren Händen rückwärts taumeln, die Augen weit aufgerissen. Es blieb keine Zeit,
um die Rückkehr seines Selbst zu feiern, denn es galt den Wurm zu besiegen.
Behände sprang Geralt auf, fasste das Schwert fester und umrundete rasch den
Brunnen, um dem Untier in den Rücken fallen zu können. Doch das Vieh war
schlauer als er gedacht hatte. Mühelos vereitelte es Geralts Plan, sodass sie sich
Auge in Auge gegenüberstanden. Nun, Geralt stand, während das Wesen ihn von
oben herab anglotzte.
Probieren wir etwas anderes, dachte Geralt und täuschte einen Frontalangriff vor,
sprang im gleichen Moment zur Seite, sodass der herabschnellende Kopf des
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Ungetüms nur den Boden erwischte, auf dem der Hexer zuvor gestanden hatte.
Geralt ließ sich diese Gelegenheit, nicht entgehen, zückte zu dem Silber- auch noch
das Stahlschwert, sprang auf den Rand des Brunnens und versenkte das
Stahlschwert tief zwischen zwei Schuppen auf dem Rücken des Wurms, wenn man
denn von einem solchen sprechen konnte, und zog sich hinauf. Sofort erhob sich der
Wurm vor Schmerz brüllend und versuchte, den unerwünschten Gast mit den
Reißzähnen zu erreichen, um ihn herunter zu beißen, doch vergeblich. Geralt
behauptete seinen Platz dank des Schwertes, welches ihm sozusagen als Steigbügel
diente. In der Menge, die sich rasch in sichere Entfernung geflüchtet hatte,
erklangen zunehmend Ermunterungsrufe. Auch Rittersporn kam nun vorsichtig mit
der Menge näher und skandierte gleichfalls:
»Geralt! Geralt!«
Den Hexer beeindruckten die Rufe nicht sonderlich. Er blendete sie aus. Zu sehr
war er auf seine nächsten Schritte konzentriert. Mit dem Silberschwert durchstieß er
die nächste Lücke zwischen zwei Schuppen und zog sich ein Stück weiter hinauf,
nachdem er das Stahlschwert wieder herausgezogen hatte. Im steten Wechsel erstieg
er so rasch die gesamte Länge des Wurms, bis er schließlich beim verdickten
Schädel angekommen war, außer Reichweite des wild um sich schnappenden Mauls
der Bestie.
Nun wird’s interessant, dachte Geralt, schnappte sich das Silberschwert, mit den
Füßen auf dem aus Stahl gefertigten balancierend, und erhob die Klinge drohend
über den Scheitel des Wurms. Die Barden hielten die Luft an. Irgendwo in der
Menge fielen einige Sänger in Ohnmacht, teils aus Sauerstoffmangel, teils, weil sie
die Spannung nicht länger ertrugen. Mit einem Aufschrei versenkte Geralt ohne
Zögern sein Schwert in den Schädel des Wurms, bis dieses gegen einen Widerstand
in Form der Zähne stieß, die unter der Wucht des Stoßes zersplitterten wie Glas. Ein
letztes Mal bäumte sich der Wurm auf, doch Geralt hielt die Balance und schlitterte
mit ausgebreiteten Armen den Körper des Untiers herab, bis seine Füße wieder
festen Boden unter sich spürten. Zur selben Zeit, als der Wurm auf dem Boden
aufschlug und in einer Pfütze milchig-weißen Blutes sein Leben aushauchte,
brandeten allmählich, erst leise, dann ohrenbetäubend, Jubelschreie auf.
Triss stand in sicherer Entfernung, das Gesicht kalkweiß, was einen schönen
Kontrast zu ihrer kastanienbraunen Haarpracht bildete. Als sie sah, dass der Hexer
unbeschadet vor ihr stand, kannte sie kein Halten mehr. Zitternd stürzte sie in seine
Arme und schmiegte sich eng an seine starke Brust.
»Geralt«, flüsterte sie stockend, »ich konnte nicht ahnen, dass es so groß sein
würde. All dieser Neid, diese Missgunst und die Geheimnisse haben es so fett
werden lassen. Wenn ich das geahnt hätte … Ich hätte dich doch niemals einer
solchen Gefahr ...«
»Ist schon gut, Triss«, beruhigte er sie und strich durch ihr Haar. »Monster bleibt
Monster, da ist die Größe ganz nebensächlich«, erklärte er und dachte insgeheim an
Flotsam und das Umland von Wyzima. Einen Moment der Intimität war ihnen noch
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vergönnt, dann brach der Minnesang in Form der ungezählten Barden über sie
herein und Triss wurde rasch wieder zu der kühlen und unnahbaren Magierin, die
sie selbst so verabscheute.
»Bravo!« Das Schulterklopfen und Händeschütteln wollte kein Ende nehmen.
Geralt ließ es beiläufig geschehen. Es gehörte zum Job, auch wenn er die Intensität
mehr als übertrieben fand.
Leo hingegen plagten ganz andere Probleme.
»Was machen wir jetzt mit diesem Vieh?«, fragte er lautstark und trat angeekelt
gegen die Überreste des Wurms, die am Boden lagen und partout nicht verrotten
wollten, was seine These untermauerte, dass der Fluch nun tatsächlich Geschichte
war. Er beugte sich hinab und brach sich mühsam eine Schuppe herunter.
»Nun«, murmelte er geschäftig in seinen Bart, »die könnte man doch gut als
Andenken verkaufen und mit etwas Glück ist dass Vieh auch noch essbar ...«
Geralt konnte nicht anders. Er lachte lauthals.
Rittersporn wandte sich Cailin und Fiona zu, die beieinander standen und die
Hände nicht voneinander lassen konnten.
»Und was werdet ihr beiden Turteltauben nun tun?«
Fiona strahlte über das ganze Gesicht.
»Wir wollen so bald wie möglich heiraten«, antwortete Cailin an ihrer Stelle und
fügte hinzu: »Und wenn es dir recht ist, Liebste, möchte ich eines Tages in das
Reich meines Vaters aufbrechen, um meiner Familie die Aufwartung zu machen.
Natürlich nur mit dir.« Sie nickte zustimmend.
»Eine Hochzeit? Ist das denn überhaupt möglich«, rätselte Rittersporn,
»schließlich haben die beiden doch denselben Vater?«
»Nun, das hat König Foltest doch auch nicht davon abgehalten, seine Schwester
heiraten zu wollen, und die beiden hatten auch noch eine gemeinsame Mutter«, warf
Triss lapidar ein. Geralt schwieg aus gutem Grunde und dachte sich seinen Teil.
Triss hatte nicht Unrecht, doch auch sie vermied es auszusprechen, was ihnen
beiden gerade durch den Kopf ging. Adda.
»Viel wichtiger ist jedoch, dass ihr den Segen deines Vaters habt, Fiona.«
Die Wirtstochter blickte in Richtung ihres Vaters, der sie ansah und schließlich
seufzte.
»Meinen Segen habt ihr, denn ihr macht ja doch, was ihr wollt. Ich kenne den
Dickschädel meiner Tochter. Den hast du übrigens von deiner Mutter, nicht von mir,
lass dir das gesagt sein!«
»Verzeih, Vater«, mischte sich nun auch noch Ranold ein, hinter dessen Rücken
der blonde Barde hervorlugte, »wenn es dir recht ist, möchte ich auch um deinen
Segen bitten: für mich und Ansgar«, sprach er und umarmte Rittersporns Bruder
innig.
Leo raufte sich den Bart.
»Meinetwegen«, resignierte er schließlich. »Oh je, was das wieder kosten wird!«
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»Da mach dir mal keine Sorgen, werter Schwiegervater«, meldete sich nun
Cailin zu Wort. »Es ist ja nicht so, dass ich vollkommen mittellos in deine Familie
einheirate. Denk nur an die Siegesprämie, die mir laut Wettstreit zusteht. Das ist
doch ein recht ansehnliches Sümmchen, das locker für eine Doppelhochzeit reichen
sollte.«
Leos Augen strahlten. Weniger vor Freude als von dem Gedanken an die
Einnahmen. Triss seufzte. Änderte sich dieser Mann denn nie?
»Ihr seid natürlich herzlichst eingeladen, Triss Merigold«, schmunzelte Leo
MacDanold, dem der Seufzer der Zauberin natürlich nicht entgangen war. »Und ich
möchte mich aufrichtig für mein ungehobeltes Benehmen Euch gegenüber
entschuldigen. Von nun an soll Euch der Respekt entgegengebracht werden, der
Euch zusteht.« Er verbeugte sich höflich vor ihr.
Triss lächelte und neigte hoheitsvoll den Kopf.
»Und was ist mit mir und Geralt?«, wollte Rittersporn wissen.
Cailin, Fiona, Ranold und Ansgar, die geschäftig die Köpfe zusammengesteckt
hatten, sahen zur gleichen Zeit auf.
»Das ist doch ganz klar ...«, begann Cailin und Ranold vollendete den Satz, »...
ihr beide bleibt hier und werdet unsere Trauzeugen!«
»Ich lasse mich nur von meinem Bruder zum Altar begleiten«, rief Ansgar
lachend. »Näher wirst du diesem heiligen Ort in deinem ganzen Leben selbst nicht
kommen, Brüderchen!«
Geralt und Rittersporn sahen sich an und zuckten die Schultern.
»Nun, zumindest um die Musik zum Fest braucht sich keiner Sorgen zu
machen«, bemerkte Rittersporn und erntete tosendes Gelächter seiner Minnebrüder.
Drei Tage dauerten die Feierlichkeiten und beide, sowohl der Hexer als auch der
Barde, waren froh, als sie Carinthia, zwar um einige Kilo schwerer, doch recht
zufrieden, wieder verlassen konnten.
»Es ist doch immer dasselbe«, sagte Rittersporn und rülpste vernehmlich. »Mit
Familie und Feiern verhält es sich wie mit einem Fisch: Nach drei Tagen beginnen
sie zu stinken und unangenehm zu werden.«
»Na, dein Bruder wird dir da wohl kaum zustimmen mögen, Barde«, grinste
Geralt. »Doch eins muss man ihm lassen, er war eine verdammt attraktive Braut.«
Rittersporn lachte lauthals.
»Hast du auch die neidischen Blicke von einigen Barden in der Menge gesehen?
Da gab es genügend, die Ranold am liebsten ein Messer in den Rücken gerammt
hätten. Ich bin froh, dass es vorbei ist«, prustete er noch lachend und rülpste erneut.
Schweigend ritten sie nebeneinander her, jeder für sich in Gedanken versunken,
ließen sie noch einmal innerlich die Ereignisse Revue passieren, die ihnen seit ihrer
Abreise aus Tretogor widerfahren waren. Rittersporn suchte bereits nach den
passenden Reimen für eine ordentliche Ballade, als ihm etwas einfiel.
»Wohin reiten wir eigentlich jetzt?«
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Geralt wandte sich um, strich einmal um sein bartloses Kinn und lächelte, bevor
er sein Pferd wendete und eine vollkommen neue Richtung einschlug.
»Wo willst du hin, verdammt noch mal? Geralt, warte!«
Geralt drehte sich nicht um, während er antwortete: »Wohin? Denk nach,
Rittersporn! Ich hab jemandem in Tretogor versprochen, ich würde auf dem
Rückweg noch einmal vorbeischauen. Erinnerst du dich?«
Nun war es an Rittersporn zu grinsen. Natürlich erinnerte er sich. Also auf nach
Tretogor, dachte er, es ist an der Zeit, dass sich der Kreis schließt!
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