angelika taschen - kunstgenuss
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angelika taschen - kunstgenuss
12 TITEL KunstGenuss Verlegerin Angelika Taschen weiß, wo kunstvolles Ambiente und gutes Essen eine innige Bindung eingehen. roßes Geschrei in der Tate-Modern. Ein deutscher Künstler verwandelt eines der bedeutendsten Museen der Welt in einen Freizeitpark. Mit fast 50 Kilometer pro Stunde schießen die Besucher ekstatisch über eine 55 Meter lange Rutsche in die Tiefe. Angelika Taschen hebt den Kopf: „Da kriegt mich keiner rauf“, lacht sie. „Ich habe Höhenangst.“ Aus der Tiefe des Raumes ertönt ein „Hallo“, und schon ist die Verlegerin im Gespräch. Der unscheinbare junge Mann ist nicht irgendein Besucher der gerade eröffneten Ausstellung – es ist der Künstler selbst. Angelika Taschen plaudert ein wenig mit Carsten Höller, man ist per Du, tauscht ein wenig Klatsch über die Kunstszene aus, aber dann muss sie für das Foto posieren. Sie steht mitten im Raum, groß, schlank und aufrecht, eine der schillerndsten Figuren der Verlagswelt, eine elegante Frau. Mit ihrem Ex-Mann Benedikt Taschen hat sie aus dem Nichts ein kleines Imperium geschaffen: Erschwingliche Bildbände über Kunst waren der Start, heute ist von Architektur bis Porno alles im Angebot. Wahllos? „Wir machen nur das, was uns Spaß macht und woran wir glauben“, sagt die Neu-Berlinerin. G Selbstverständlich, echt, glaubwürdig Angelika Taschens größter Spaß sind Kunst und Interieur Und so verwundert es nicht, dass sie nach der Trennung von ihrem Mann innerhalb des Verlages für diese Themen zuständig ist. Immerhin hat Frau Doktor ihren Titel auch in Kunstgeschichte erworben. Die Kosmopolitin ist also die beste Ansprechpartnerin für eine Stilfrage, die von Hochglanzzeitschriften zum Trend erhoben wird: Kunst und Kneipen – um es profan zu formulieren. „So neu ist das Thema ja nicht, immerhin hat schon Gaugin in der Bretagne ein Restaurant ausgemalt. Und das war 1888“, sagt Angelika Taschen. Dann legt sie sich zum Fotografieren in die Mündung einer der drei Rutschen und amüsiert sich über die Zuschauer. Sie demonstriert souverän eine Lässigkeit, für die auch das Unternehmen bekannt ist. Grenzüberschreitung als Selbstverständnis. Sogar bis zur Nacktheit. In dem englischen Magazin „I.D.“ war das Paar entblößt beim Rollenspiel abgebildet. Ist ihr das heute peinlich? „Die Fotos hat ein Freund gemacht“, sagt sie. Der Freund ist kein Geringerer als der schrille Porträt-Fotograf David LaChapelle. „Und wir haben uns ja nicht sofort ausgezogen. Das entwickelte sich während des Shootings“, fährt sie fort und erklärt dann, dass es in dem Moment eine große Selbstverständlichkeit hatte. Selbstverständlich, echt, glaubwürdig – das sind die Koordinaten, die in Angelika Taschens Welt von Bedeutung sind. Neudeutsch kann das mit „authentisch“ übersetzt werden. „Und da hakt es ja oft in der Umsetzung, wenn es um Kon- zept-Gastronomie geht“, sagt die Kennerin. „Ich kann Reißbrett-Ästhetik und gewollte Coolness nicht ausstehen“, sagt sie. Schon deshalb ist eines ihrer Lieblingsrestaurants die Paris-Bar in Berlin. „Hier ist nichts prätentiös. Die Speisen nicht und die Atmosphäre auch nicht. Trotzdem ist hier alles hochwertig. Das liegt am „Händchen“ der Macher und an der Mischung von Interieur, Kunst und Publikum.“ Michael Würthle, einer der beiden Besitzer, beschreibt sein Konzept folgendermaßen: „Wir wollten ein Refugium schaffen für Leute, bei denen ein Blick genügt, eine Geste und die Art, wie sie sich setzen, um festzustellen, dass man eine Ähnlichkeit der Auffassung besitzt.“ Ein Konzept, das Taschen gut gefällt, wenn es sich auch unter ästhetischen Gesichtspunkten erfüllt. „Der Gast, der malt, der Künstler, der zum Freund des Hauses wird, wird zum Gestalter des Raumes. Das war bei der Paris-Bar Martin Kippenberger, der prägend wirkte. Sogar die Art, wie die Gemälde, Fotos und Kollagen gehängt sind, es nennt sich Petersburger-Hängung, stammt von ihm. Ein scheinbares Durcheinander, das aber in sich stimmig ist.“ Eine Aussage, die unterstreicht, dass man es mit einer Frau zu tun hat, die nicht die Übersicht verliert. Sie lese auch jede Zeile in jedem Buch, das der Taschen-Verlag herausgibt. Denn sie will wenigstens wissen, wenn es nicht richtig gut ist. Dieses kritische Selbstverständnis vermisst sie aber leider bei der Gestaltung von Restaurants. „Ich finde ja großartig, wenn jemand in eine Idee verliebt ist. Aber wenn dann die Übersicht verloren geht und keine Distanz mehr da ist, dann geht das oft in die Hose, und das Ergebnis ist pathetisch“, sagt sie. Kunstdoktorin im Blümchenhotel Mit Negativbeispielen will Angelika Taschen allerdings nicht rausrücken. Dafür ist sie zu vorsichtig – und zu sehr Verlagsprofi. „Ich arbeite in der Branche, und wenn jetzt ein Fehltritt eines Designers hier hervorgehoben wird, dann kann ich mir wieder den Mund fusselig reden, um das auszubügeln“, kommt es entwaffnend und im breitesten kölschen Slang zurück. Taschen bemüht sich auch überhaupt nicht, ihre Heimatzunge zu unterdrücken. Selbst wenn sie Englisch spricht, schimmert der Akzent durch. Das Covent Garden Hotel ist ein klassisches Luxushotel mit viel Blumendekor an den Wänden und auf den Möbelstoffen. Taschen wohnt hier während der Kunstmesse Frieze Art Fair. Ehrlich gesagt, man würde der trendigen Verlegerin so ein Hotel gar nicht zutrauen. Wo sie doch in einer der Ikonen moderner Architektur gelebt hat: der Chemosphere des US-Architekten John Lautner. Der achteckige Bau schwebt wie ein Adlerhorst auf einer gigantischen Säule. 20. Oktober 2006 I Nr. 203 weekend-journal.com 13 14 TITEL Taschen und Wirt Michael Würthle in der „Paris Bar“, wo Bilder von Martin Kippenberger oder Daniel Richter hängen. Paris Bar Martin Kippenberger hat dem Restaurant seinen Stempel aufgedrückt. Kantstr. 156, 10 623 Berlin, Tel. 030/ 313 80 52 www.parisbar.de Maxwell Kunstwerke von Damien Hurst Bergstr. 22, 10 115 Berlin, Tel.: 030/ 280 71 21 www.restaurant-maxwell.de Restaurant Bagatelle Im Sterne-Restaurant ist nicht nur das Essen erstklassig: Möbel von Mies van der Rohe, Kunst von Andreas Gursky. Bygdøy Alle 3, 0257 Oslo, Tel. 0047/ 22/ 12 14 40 www.bagatelle.no Restaurant Kronenhalle Schon seit Jahrzehnten ein Literaten- und Künstlertreff, ausgestattet mit Lampen von Giacometti und Bildern von Miro, Picasso, Matisse, Chagall. Rämistraße 4, 8001 Zürich, Tel. 0041/ 44/ 262 99 00 www.kronenhalle.com Groucho Club Der Privatclub ist ein Treff der Kunst- und Musikszene. Pete Doherty von den Babyshambles riss hier mal während eines Konzerts eine sündhaft teure Installation von der Decke. 45 Dean Street, London, W1D 4QB, Tel. 0044/ 20/ 74 39 46 85 www.thegrouchoclub.com Lever House Außen Richard Meyer, innen Marc Newson und Bilder von Enoc Perez 390 Park Ave/53rd Street, New York NY 10022, Tel. 001/ 212/ 888 27 00 www.leverhouse.com Morton's Pop-Art Live: Hollywood trifft amerikanische Kunst 8764 Melrose Ave, West Hollywood, CA 90069 Tel. 001/ 310/ 276 52 05 Loosbar Die Bar wurde vom Architekten Adolf Loos gestaltet. Kein klassisches Kunstrestaurant, eher ein Gesamtkunstwerk. Kärntner Durchgang 10, 1010 Wien, Tel. 0043/ 1/ 512 32 83 www.loosbar.at Vom Tanz zur bildenden Kunst Angelika Taschen verlegt Kunst- und Lifestyle-Bücher. Angelika Taschen wurde 1959 als Tochter eines Buchhändler-Ehepaares geboren. Sie lernte zunächst klassischen Tanz und trat sogar als Tänzerin in den Produktionen „Sweet Charity“ und „Chorus Line“ auf, bevor sie 1979 Kunstgeschichte und Germanistik in Heidelberg studierte. Sie promovierte 1986 und begann ein Jahr später bei Taschen in Köln. Benedikt Taschen, Gründer des noch kleinen Verlags, verlegte damals noch vornehm- Foto: ullstein lich Comics. Sie brachte kunstgeschichtliche Expertise ins Haus. Zusammen mit Benedikt Taschen, den sie später heiratete, machte sie aus dem kleinen Spezialanbieter einen überaus erfolgreichen Bildbandverlag. Ihre Spezialität sind Kunstbücher und Bildbände über Inneneinrichtung und Lifestyle. Zuletzt erregte sie mit einem Buch über Schönheitsoperationen Aufsehen. Die Verlegerin lebt nach der Trennung von Benedikt in Berlin und ist Mutter einer Tochter. Und jetzt Blümchen? „Ich wohne in Berlin auch in einer ganz klassischen Altbauwohnung.“ Sie spricht von 300 Quadratmetern in einem alten Offiziershaus am Prenzlauer Berg, die vom britischen Star-Architekten David Adjaye umgebaut wurde. „Und ins Covent Garden komme ich nur, weil es gegenüber den besten Kaffee der Stadt gibt.“ Manchmal weiß man bei ihr nicht genau, ob sie einen auf den Arm nimmt oder nicht. Bei der Kunst, da hört der Spaß allerdings auf: „Es ist ja kaum mehr möglich, den Markt zu überblicken, und man muss auch ehrlich sagen, es ist gibt vieles, was zu völlig überhöhten Preisen angeboten wird, und vieles, was qualitativ einfach schlecht ist.“ Eine kritische Betrachtung, die sie auch der „Event-Gastronomie“ angedeihen lässt. „Mir ist ein Züricher Geschnetzeltes in der Kronenhalle lieber als ein Gaswölkchen aus Fischessenz im El Bulli“, sagt sie. Dabei ist Ferran Adrià der umjubelte Starkoch des neuen Jahrtausends. Doch Angelika Taschen gibt sich bodenständig, nennt die Kronenhalle ein gutes Beispiel für gewachsene Gastronomie. James Joyce und Dürrenmatt haben hier schon unter Gemälden von Miro, Chagall und Giacometti gegessen. Neben den Klassikern hat Angelika Taschen natürlich ein Herz für die Moderne, beispielsweise für das Maxwell in Berlin: „Damien Hirst ist mit dem Besitzer befreundet, und logischerweise ist einiges von ihm hier zu sehen. Hier greift wieder das persönliche Moment und das Verständnis für die Dinge.“ Dabei können einem Hirstsche Werke schon auf den Magen schlagen, man denke nur an Kühe oder Haie, eingelegt in Formaldehyd, die sich langsam auflösen. Doch Frau Taschen ist hart gesotten, ihr verdirbt aber eigentlich nichts den Appetit. Auch bei der Kunst der Köche ist für Angelika Taschen „Authentizität“ das oberste Gebot. Echt soll es sein, und dann langt sie auch zu. Finger-Food, Partysnacks und schräge Büfetts – nicht ihr Stil. Sie mag das Schnitzel, sie mag es deftig, gern das, was mit „bürgerlich“ umschrieben wird. Fast nicht zu glauben, denn mit Jeansgröße 28 ist sie näher am Salatblatt als am Steak. Definitiv appetitanregend ist für sie Andreas Gursky. „Die Bilder haben etwas Soghaftes und wirken dabei trotzdem beruhigend.“ Ihr Tipp zum Essen mit dem Fotografen ist das Bagatelle in Oslo. Hier trifft Interieur-Klassik von Mies van der Rohe auf moderne Kunst von Gursky, Thomas Struth oder Christopher Wool. Ihre ehemalige Heimat Los Angeles nennt sie hingegen ein schwieriges Pflaster, das einen hohen Unterhaltungswert hat, aber oft wenig Substanz. „Man Auf der schiefen Bahn: Die Verlegerin macht es sich auf Carsten Höllers Installation „Test Site“ in der Tate Modern bequem. lebt wie in einer Seifenblase“, sagt sie. Da bekommt ihre Empfehlung des Morton’s einen eigenen Charakter: „Dort werden viele Filmpartys geschmissen, vor der Tür stehen Porsches und Ferraris, und drinnen gibt es Steaks und amerikanische Kunst von Ed Ruscha. Ein coole Mischung“, findet sie. Trotz der Jahre unter der kalifornischen Sonne vermisst sie die USA nicht. Das zeigt auch die Auswahl ihrer Lieblingsrestaurants. Die meisten stehen eben doch in Europa. JOURNAL Kunst des Essens: Wo das Restaurant zum Museum wird Zeitgeist Warum Uhren jetzt schlicht sein sollten Ostalgie Warum Krakau Moderne und Tradition vereint Revival Warum der Designer Jacques Fath so teuer ist Kunst zu Tisch Verlegerin Angelika Taschen empfiehlt Restaurants, die Galerien sind Titelstory Text: Andreas Tölke Fotos: Maurice Weiss/Ostkreuz Das Weekend Journal traf die Verlegerin Angelika Taschen während der Kunstmesse „Frieze Art“ im Kunstmuseum Tate Modern und im Covent Garden Hotel in London. So wie die Loos Bar in Wien. Seit 1908 gibt es die kleine Bar in der Nähe des Stephansdoms, und auch Hollywood-Größen wie Quentin Tarantino und Dennis Hopper sind hier eingekehrt. „Ich mag den Raum, der zum einen sehr gemütlich ist, der Stil hat und Patina. Die Bar ist ein Gesamtkunstwerk von Adolf Loos. Der war zwar ,nur’ Architekt, aber für mich passt das Lokal trotzdem in die Liste.“ Die Kunstszene ist eben auch offen. Frau Taschen zaubert dann noch ein Glanzlicht aus dem Ärmel: „Der Groucho Club in London. Leider eine Membership-only-Bar, aber es gibt oft Mittel und Wege“, sagt sie. Hier kommt eine echte Taschen-Eigenschaft zum Einsatz: Sie ist Netzwerkerin. Noch dazu mit dem Sternzeichen Zwilling gesegnet, hier ist Merkur der Götterbote der Schutzpatron. Und der steht für das gute, geistreiche Gespräch. Wenn Angelika Taschen eines nicht leiden kann, dann sind es Langweiler. Sonst: Quer durch alle Kreise und Gruppen, von elitär bis schräg, hat sie Freunde. Allerdings sind ihr die Kreativen näher als die Bankiers. Gerade zu den wichtigen Kunstmessen geben sich hier die Künstler die Klinke in die Hand. „Das ist eigentlich der beste Tipp, den ich geben kann: Egal, wo ich hinkomme, ich erkundige mich als Erstes, wo die Künstler essen und trinken gehen. Denn die wissen Qualität bei Interieur und Essen zu schätzen. Und sie hassen alles Prätentiöse.“