Auferstanden aus Ruinen

Transcription

Auferstanden aus Ruinen
WIRTSCHAFT
Samstag
7. Februar 2015
18
N O T I ZEN
Mehr Geld für Security
Die rund 34 000 Beschäftigten des privaten Sicherheitspersonals in Nordrhein-Westfalen sollen bis zu 6 Prozent mehr Lohn bekommen. Demnach einigten sich die Tarifparteien
auf einen zweijährigen Tarifvertrag
mit zwei Lohnerhöhungen.
Bahn-Rekord ins Ausland
So viele Fahrgäste wie noch nie sind
im vergangenen Jahr mit dem Zug
nach Frankreich, Belgien oder in die
Niederlande gereist – 4,85 Millionen
an der Zahl. Die Bahn hat Marktanteile vor allem vom Flugverkehr gewonnen. Der Zug zwischen Stuttgart
und Paris sei mit 67 Prozent Anteil eindeutig Marktführer.
Ex-Finanzvorstand tot
Der Rohbau der neuen Fabrik, auf dem Firmenchef Martin Dürrstein hier steht, ist inzwischen fertig. In einem Jahr wird er in einem ganz neuen und dreimal größeren Komplex produzieren können – knapp zwei Jahre
Foto: Dürr Dental
nach dem verheerenden Brand. Er hat am eigenen Leib erfahren, was der Volksmund sagt: „Was Dich nicht umbringt, macht Dich stärker.“
Auferstanden aus Ruinen
Bosch kauft weiter zu
Fabrik abgebrannt: Wie Dürr Dental die Folgen des größten denkbaren Unfalls managt
Die Fabrik abgebrannt – für jeden Unternehmer eine Katastrophe. Was bedeutet das versicherungstechnisch? Wie wird der
Produktionsausfall gemanagt?
Das Familienunternehmen Dürr
Dental schildert ihren Fall.
HELMUT SCHNEIDER
Bietigheim-Bissingen. Firma abgebrannt – da wird die Versicherung
eben bezahlen; in neuen Räumen
geht es dann später besser voran.
Die Vorstellung, was eine abgebrannte Fabrik für Folgen hat, ist
bei denen, die es nicht wissen können, ebenso schlicht wie falsch. Familienunternehmer Martin Dürrstein weiß heute, was es bedeutet.
„Wenn Ihre Firma angeschlagen
war oder Sie haben ein schlechtes
Betriebsklima, wird Ihre Firma das
nicht überleben.“ Die Firma Dürr
Dental hat die Katastrophe überlebt
– aber nur dank enormer Anstrengungen und mit einigem Glück.
An einem Samstagabend im Sommer 2013 zündete ein Brandstifter
das Fabrikgebäude im Gewerbegebiet von Bietigheim-Bissingen an.
Das Feuer fraß sich vom hintersten
Gebäudeteil, dem Lager, in das
erste der beiden Produktionsgebäude durch, der Verwaltungstrakt
blieb unversehrt. Natürlich nur,
weil die Feuerwehr mit 120 Mann
das Übergreifen des Brandes auf
alle vier aneinandergebauten Komplexe verhinderte.
Als Martin Dürrstein am Sonntagmorgen vor den noch rauchenden
Trümmern seiner Fabrik stand,
mussten schnelle Entscheidungen
getroffen werden. Ein Unterneh-
Vorerst keine
Teststrecke
Stuttgart. Baden-Württemberg hat
beim Ringen um eine Teststrecke
für selbstfahrende Autos auf Autobahnen fürs Erste den Kürzeren gezogen. Wie erst am Freitag bekanntwurde, hatte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) anderen Plänen schon Ende August eine
Absage erteilt. Seinem Amtskollegen im Land, Winfried Hermann
(Grüne), schrieb er damals: „Ich
werde meine Fachabteilung bitten,
bei künftigen Projekten eine Einbindung Ihres Landes zu prüfen.“ Das
Verkehrsministerium bestätigte einen Bericht der „Heilbronner
Stimme“. Anders als Baden-Württemberg kommt Dobrindts Heimat
Bayern zum Zuge.
Dobrindt hatte vor kurzem vorgeschlagen, eine Teststrecke auf der
A9 in Bayern zu errichten. Landeswirtschaftsminister Nils Schmid
hatte daraufhin die A81 als Erprobungsstrecke ins Spiel gebracht.
Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums erklärte, Schmid und
Hermann wollten sich gemeinsam
weiterhin für eine Strecke im Land
starkmachen. Daimler hatte in den
vergangenen Wochen ebenfalls verstärkt für eine entsprechende Stredpa
cke getrommelt.
men ist auf zwei Arten versichert:
zum einen gegen Elementarschäden wie ein Brand und zum zweiten
gegen Schäden durch Betriebsunterbrechungen (BU). Beides zu ermitteln und die Versicherung zum Ersatz des Schadens zu bringen, kann
schwierig sein. Es geht um viel
Geld, vor allem aber auch um unklare Abgrenzungen: Wie
hoch ist der Schaden,
was fällt unter den Versicherungsschutz?
„Die Versicherung gibt
ja keinen Blankoscheck“,
sagt der junge Unternehmer. Die Brandversicherungen lassen den Unternehmer zunächst machen, lassen
ihn Reparatur- und Sanierungsmaßnahmen starten. „Und nachher
wird entschieden, was bezahlt
wird.“ Wie lange das Ganze dauert,
ist ihnen egal. Ganz anders die Interessenslage der BU-Versicherung.
Ihr kann der Wiederaufbau natürlich nicht schnell genug gehen. Sie
übernimmt die laufenden Kosten,
die Löhne, den Gewinnausfall – in
der Regel für zwölf Monate. „Diese
Schäden sind weit größer als der eigentliche Brandschaden“, sagt der
Unternehmer. 11 Mio. a stehen allein als Schaden an Gebäude und Inventar bei Dürr Dental zu Buche.
Die Firma wird nächstes Jahr 75
Jahre alt, Martin Dürrstein leitet sie
in dritter Generation. Bei einer solchen Katastrophe seien inhabergeführte Unternehmen klar im Vorteil
gegenüber Firmen, die von einem
externen Manager geleitet werden.
Das ist eine zentrale Erfahrung, auf
die er wiederholt zurückkommt.
„Man muss Entscheidungen an Ort
und Stelle treffen, um handlungsfähig zu bleiben“, sagt er.
Fremdmanager scheuen Entscheidungen, sie wollen keine Fehler machen, sagt er. Zumindest
keine, für die sie nachher geradestehen müssen. Sie werden sich einen
Dritten suchen, der ihnen diese Verantwortung abnimmt. In einer solchen Situation, in der es auf Schnelligkeit ankommt, sei das ziemlich fatal: „Es passiert zunächst
nichts.“ Denn externe
Manager würden sich
erst mal mit einem Gutachten abzusichern versuchen. So verstreichen
gleich einige Monate ungenützt.
Er als Alleinverantwortlicher sah sich in einer ganz anderen Lage. Kein Gedanke an mögliche Fehler, nur ein Gedanke: Wie
kann ich meine Familienfirma vor
Schaden bewahren? Die alleinige
Verantwortung gebe einem „die
Freiheit zu handeln.“
Die Abwicklung eines Brandes,
die Abwägung, ob man die Produktion auslagern kann und wie, die
Frage, ob man verunreinigte Teile
von Hand säubern oder gleich neue
kaufen soll, sofern sie lieferbar sind
– solche und eine Vielzahl anderer
Entscheidungen
machten
das
Ganze zu einem ständigen Prozess,
bei dem man nicht wisse, ob man
richtig liege oder falsch.
Eine Firma ist nicht nur bei einer
Gesellschaft gegen Brand und seine
Folgen versichert, sondern bei einem Dutzend und mehr. Allerdings
ist meistens ein Versicherer und
Rückversicherer federführend, der
im Falle Dürr Dentals etwa 70 Prozent abdeckte. Wie soll ein Unternehmen, das noch nie mit versicherungsrechtlichen und -praktischen
Dingen konfrontiert war, von heute
auf morgen und unter hohem Zeitdruck damit klarkommen? Ein Ding
der Unmöglichkeit. Deshalb gibt es
auf diese Fälle spezialisierte Maklerhäuser, die das ganze managen. Zu
klären bleibt immer noch genug.
„Wir hatten zum Teil Besprechungsrunden mit 30 Leuten“, erinnert
sich der Firmenchef.
Den abgebrochenen Zahnbohrer repariert
Das Unternehmen Die
Firma Dürr Dental ist ein
Hersteller von Produkten
der Medizintechnik, speziell
für Zahnärzte. Sie stellt unter anderem die Geräte her,
mit denen beim Bohren die
Flüssigkeiten abgesaugt
werden; außerdem digitale
Röntgentechnik sowie viele
Produkte zur Desinfektion
und Reinigung. Der Firmengründer, Martin Dürrsteins
Großvater, kam eher durch
Zufall auf diese Nische.
Seine Frau war beim Zahnarzt, dessen Bohrer aber
während der Behandlung
abbrach. Als Metallbauer
reparierte er ihn – und fand
so ein neues Betätigungsfeld. Heute hat das Unternehmen 1050 Mitarbeiter,
davon 650 in Deutschland.
Sie machten zuletzt 211
Mio. Euro Umsatz. Haupteigentümer sind zwei verwandte Familien.
Zur Person Martin Dürrstein ist der Enkel des Firmengründers. Der 42-Jährige leitet die Firma seit
neun Jahren. Nach dem Studium hat er jahrelang in allen Abteilungen des Unternehmens gearbeitet. Dürrstein bezeichnet sich als
praktizierenden Christen,
die Bibel ist sein Lieblingsbuch. Er ist verheiratet und
hat vier Kinder zwischen 8
und 15 Jahren.
hes
Der frühere Siemens-Finanzvorstand
Heinz-Joachim Neubürger (62) ist tot.
Neubürger war bis 2006 Finanzvorstand bei Siemens. Ein Ermittlungsverfahren gegen ihn im Zuge des Korruptionsskandals war gegen Geldauflage
eingestellt worden. Erst vor kurzem
hatte sich Neubürger mit Siemens auf
die Zahlung von 2,5 Mio. a geeinigt,
die ihm vorgeworfenen Pflichtverletzungen aber damit nicht anerkannt.
Dabei kann das größte Risiko einem Unternehmen keine Versicherung abnehmen und ersetzen. Wer
lange aus dem Geschäft ist, droht
seine Kundschaft zu verlieren. Wer
nicht liefern kann, macht Platz für
einen, der liefert – und ist bei diesem Kunden womöglich auf Jahre hinaus raus aus dem Geschäft.
Deshalb waren Martin Dürrstein
und seine ganze Belegschaft monatelang im Dauereinsatz: ZweiSchicht-Betrieb,
Überstunden,
Sechs-Tage-Woche.
Unterstützt
wurden sie von einer Firma, die sich
auf den Umzug in kurzfristig angemietete Produktionsstätten oder
auf die Reinigung der noch brauchbaren Teile verlegt hat.
Eine Herkulesaufgabe angesichts
dessen, dass die Firma etwa 14 000
Teile auf Lager hatte. Das waren
zum großen Teil kleine Plastikformen, die aber teilweise kundenspezifisch hergestellt wurden, also
nicht kurzfristig eingekauft werden
konnten. In der Produktion kosten
sie 2 a das Stück, sie jetzt von Hand
zu reinigen aber 5 a. Die Firma hat
sich für die teure Reinigung entschieden – um liefern zu können
und keine Kunden zu verlieren.
Der Produktionsausfall war beträchtlich, inzwischen ist er gestoppt. Der Rohbau der neuen, drei
Mal größeren Fabrik steht längst.
Nächstes Jahr, zwei Jahre nach dem
Brand, wird Martin Dürrstein in
neuen Hallen noch besser produzieren können wie vorher. Seine Firma
ist wieder auferstanden aus Ruinen.
Dürrstein dankt Gott, dass kein
Mensch verletzt wurde. Es hätte viel
schlimmer kommen können. Jetzt
hat er am eigenen Leib die Erfahrung gemacht: „Was Dich nicht umbringt, macht Dich stärker.“
Der Technikkonzern Bosch setzt seine
Expansion in der Verpackungstechnik
fort. Bosch plant die Übernahme von
Osgood Industries Inc mit Sitz in Florida. Die Firma machte 2014 einen Umsatz von 22 Mio. a und beschäftigte
150 Mitarbeiter.
Für Filmfans
Ein Berliner Startup will Filmfans mit
einer neuen Suchmaschine zu einem
besseren Überblick über verschiedene
legale Streamingdienste im Netz verhelfen. Auf der Seite „justwatch.com“ können Nutzer einen
Film auswählen und so erfahren, welcher Anbieter ihn zeigt. Die Suchmaschine solle das Abrufen verschiedener Seiten überflüssig machen.
Verbotene Preisabsprache
Das Kartellamt ermittelt seit 2010 gegen Handelsunternehmen und Markenartikel-Hersteller. Der Verdacht:
verbotene Preisabsprachen. Jetzt hat
das Bundeskartellamt erste Bußgeldbescheide verschickt, Namen werden
nicht genannt. Nach einem Bericht
des Magazins „Focus“ sind von dem
Verfahren fast alle großen deutschen
Lebensmittelhändler betroffen. Die
Bußgelder könnten insgesamt eine
dreistellige Millionenhöhe erreichen,
berichtete das Blatt.
175 Billionen Euro
Der weltweite Schuldenberg wächst
und wächst: Seit der Jahrtausendwende verdoppelte sich die globale
Verschuldung laut einer Studie auf
199 Billionen Dollar (175 Billionen a).
Ende 2007 – also kurz nach Beginn der
Finanzkrise – waren es demnach noch
142 Billionen Dollar, im Jahr 2000 erst
87 Billionen Dollar. In fast allen Ländern wachse die Schuldenlast – sowohl in absoluten Zahlen als auch im
Verhältnis zum jeweiligen Bruttoinlandsprodukt.
In der Automobilindustrie bleibt man unter sich
Branchenfremde Manager sind selten – Experte: Zupackende, entscheidungsfreudige Persönlichkeiten wenig gefragt
Vor allem bei Autobauern
schafft es fast nie ein Manager
aus einer anderen Industrie,
Fuß zu fassen. Dabei täte Volkswagen, BMW und anderen ein
frischer Blick nach Meinung
von Experten ganz gut.
Stuttgart/Wolfsburg. Die Nachricht
vor einem Jahr schlug in der Branche ein. Nach angemessener Karenzfrist trat Daimlers langjähriger
Nutzfahrzeugchef Andreas Renschler nun seinen Job im Vorstand von
Volkswagen an. Schon solche Wechsel zwischen den großen deutschen
Autoherstellern sind selten. Ein Manager aus einer anderen Branche ist
kaum vorstellbar.
„In der Automobilindustrie bedarf es ausgeprägter Fachkompetenzen, da wir es mit hoch komplexen
Produkten und Wertschöpfungsprozessen zu tun haben“, erklärt Michael Ensser, Partner beim Schweizer Personalberater Egon Zehnder.
Opels Marketing-Chefin Tina
Müller, auf deren Konto die Kampagne „Umparken im Kopf“ geht, ist
eine der wenigen, die es geschafft
haben. Sie arbeitete früher für den
Konsumgüterhersteller Henkel.
Dabei sind umgekehrt hochrangige Automanager in anderen Branchen durchaus gefragt. Rüdiger
Grube trieb erst als Daimler-Vorstand die Trennung von Chrysler voran, bevor er Chef der Deutschen
Bahn wurde. Der frühere BMW-Vorstand Wolfgang Reitzle arbeitete
Jahrzehnte in der Autobranche, um
dann den Industriegase-Konzern
Linde zu führen.
„Auf höchster Ebene brauchen
die Manager einen guten Überblick
– und ganz viel Führungserfahrung“, erklärt Jörg Kasten von der
Personalberatung Boyden. Seiner
Meinung nach sind solche Manager
aber eine aussterbende Spezies: „In
Zeiten der Deutschland-AG hatten
Manager ganz andere Netzwerke.“
Hartmut Mehdorn gilt als ein solches Exemplar. Allerdings halfen
ihm seine Erfahrungen bei Airbus,
der Bahn und Air Berlin nicht, den
Hauptstadtflughafen zu retten.
„Es zeichnet hervorragende Manager aus, auch in neuen Umfeldern Fuß zu fassen“, sagt Ensser.
Beispiele für Manager, die in ein branchenfremdes Unternehmen wechselten (im
Uhrzeigersinn): Tina Müller (Opel), Rüdiger Grube (Deutsche Bahn), Hartmut MehFotos: dpa
dorn (BER). Andreas Renschler (VW) blieb dagegen in der Branche.
Entscheidend sei aber, dass ihre
Kenntnisse in der neuen Branche
strategisch wirklich relevant sind.
Viele Manager würden heute „Opfer der Divisionalisierung“. Sie würden in Organisationen mit mehreren Führungssträngen sozialisiert,
ihre Karrieren seien „versäult“:
„Das fördert keine zupackenden,
entscheidungsfreudigen und unternehmerisch ausgerichteten Persönlichkeiten, weil Verantwortung diffundiert.“
„Es kann befruchtend wirken,
wenn Finanz- oder Technikchefs
aus einer anderen Branche kommen“, sagt Kasten. Der Headhunter
ist allerdings skeptisch, ob das auf
zentrale Bereiche wie die Entwicklung oder die Position des Vorstandschefs übergreift: „Vielen Firmen täte es gut, jemanden von außen zu holen. Ich befürchte, im
Zuge der Risikominimierung geht
es aber eher in die andere Richtung.“ Sein Kollegen Kracht ist anderer Meinung. Der demografische
Wandel mache auch vor den Führungsebenen nicht halt: „Das wird
zu einer Öffnung auch für branchendpa
fremde Manager führen.“