Menschenaffen als Personen?

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Menschenaffen als Personen?
Volker Sommer
Menschenaffen als Personen?
Das Great Ape Project im Für und Wider
Planet der Affen
Im Londoner ‚Soho Hotel‘ war ich Mitte 2014 als Podiumsgast zu
einer ‚Roadshow‘ von 20th-Century-Fox geladen, als das Filmstudio
den nächsten Blockbuster aus der Reihe Planet-der-Affen bewarb:
Rise of the Planet of the Apes (2014). Das bescherte mir das Vergnügen, neben Andy Serkis zu sitzen – weltberühmt durch computergestützte Verkörperungen von ‚Gollum‘ in ‚Herr der Ringe‘ und
‚King Kong‘ in der Neuverfilmung. Und Serkis inkarniert eben auch
‚Caesar‘, den schimpansoiden Anführer der Menschenaffen.1
In Pierre Boulles Roman Planet of the Apes, vor einem halben
Jahrhundert veröffentlicht, haben diese Tiere die Vorherrschaft der
Menschen gebrochen – um sie dann niederzuknallen, mit Netzen
einzufangen, in Käfigen zu züchten, sie zu verhökern, in Laborexperimenten zu quälen und für das Museum auszustopfen.2 Die
perspektivische Umkehrung der Hierarchie hat eine frappierende
Wirkung. Denn das Science-Fiction-Narrativ dürfte bei den meisten
seiner Konsumenten eine unmittelbare ethische Reflektion auslösen. Nämlich die Botschaft: „Was Du nicht willst, das man Dir tu’,
das füg auch keinem andern zu.“ Doch wie gerne wir uns dieser
Agenda anschließen wollen: Wie lässt sich die Ungerechtigkeit ändern, dass Menschenaffen traditionell und weiterhin genau jenen
Misshandlungen unterworfen werden,3 die Novelle und Film grafisch ausmalen?
1
2
3
Vgl. http://www.serkis.com, zuletzt abgerufen am 04.12.2015.
P. Boulle, La planète des singes, Paris 1963; deutsch: Der Planet der Affen,
München 1965.
P. Gagneux, J. Moore, A. Varki, „The ethics of research on great apes“, in:
Nature, 437/2005, S. 27-29; A. Knight, „The poor contribution of chimpanzee
experiments to biomedical progress“, in: Journal of Applied Animal Welfare
Science, 10/2007, S. 281-308.
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Volker Sommer
Als jemand, der seit Jahrzehnten das Verhalten wilder Primaten
erforscht,4 belehrte ich die Kino-Afficionados, dass es jenseits von
Science-Fiction durchaus ernstgemeinte Überlegungen gibt, Menschenaffen als gleichwertige Zeitgenossen anzusehen. Vielleicht
wurde zu viel Sekt ausgeschenkt. Jedenfalls – Andy Serkis reagierte
enthusiastisch auf meinen Aufruf, auch in seiner nicht-digitalisierten Inkarnation zum Revolutionär in Sachen Menschenaffen zu
werden. Ich übergab dem neu gewonnenen Jünger eine Broschüre mit dem leicht sülzigen Titel „Bruder Schimpanse, Schwester
Bonobo“. Darin werbe ich dafür, den Status unserer allernächsten
Verwandten zu ändern – und als Personen aufzunehmen in die Gemeinschaft der Gleichen.5
Das Great Ape Project
Die Idee einer ‚Erweiterung der Gemeinschaft der Gleichen‘ geht
auf zwei Philosophen zurück – die Italienerin Paola Cavalieri und
den Australier Peter Singer. Im Jahre 1993 initiierten sie ihr Great
Ape Project, abgekürzt GAP. Das fordert für Orang-Utans, Gorillas,
Bonobos und Schimpansen einige jener Privilegien ein, die bislang
allein für Menschen gelten: ein Recht auf Leben, auf Freiheit und
körperliche Autonomie.6
Weil es um juristische Konsequenzen geht, klingen die Forderungen entsprechend hölzern. Punkt 1 – Recht auf Leben: Außer in
Notwehrsituationen soll das Leben der Großen Menschenaffen geschützt sein. Punkt 2 – Schutz der individuellen Freiheit: Die Inhaftierung derjenigen, die nicht durch ein Gericht verurteilt wurden,
eines Verbrechens überführt wurden und die nicht strafmündig
sind, ist nur erlaubt, wenn es zu ihrem eigenen Wohl geschieht oder
notwendig ist, um andere zu schützen. Punkt 3 – Recht auf körper4
5
6
V. Sommer, Heilige Egoisten. Die Soziobiologie indischer Tempelaffen, München
1996; V. Sommer, Schimpansenland. Wildes Leben in Afrika, München 2008.
V. Sommer, M. Schmidt-Salomon, Bruder Schimpanse, Schwester Bonobo.
Grund­rechte für Menschenaffen, Mastershausen 2011; englisch: Brother Chimp,
Sister Bonobo. Rights for Great Apes. (http://www.giordano-bruno-stiftung.de/
sites/default/files/download/greatapes2.pdf), zuletzt abgerufen 04.12.2015.
P. Cavalieri, P. Singer (Hrsg.), The Great Ape Project. Equality Beyond Humanity,
New York 1993; deutsch: Menschenrechte für die Großen Menschenaffen, Mün­
chen 1994.
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liche Unversehrtheit: Die absichtliche Zufügung von Schmerzen,
Leiden oder Schäden ist unrecht. In gut Deutsch: Es soll verboten
werden, die natürlichen Heimaten der Menschenaffen zu zerstören,
sie ohne guten Grund einzusperren oder sie medizinischen Experimenten zu unterwerfen.
Als Primatologe bin ich mit vielen Kollegen einig, dass Menschenaffen mit Bewusstsein und Intelligenz begabt sind, dass sie
sich mental in andere hineinversetzen und in die Zukunft planen
können.7 Deshalb, so das GAP, sollen sie nicht mehr als ‚Besitz‘ gelten dürfen, der ausgebeutet, verkauft und vernichtet werden kann.
In dem Sinne macht sich die GAP Initiative also dafür stark, die
community of equals zu erweitern – die Gemeinschaft jener, die vor
dem Recht gleich sind. Die Forderung nach elementarer Gleichstellung der Menschenaffen ist keine singuläre, aus der Zeit gefallene
Vision. Vielmehr setzt das Projekt vormalige Erörterungen fort –
beispielsweise, ob Untertanen die Religion ihres Fürsten ausüben
müssen, ob dunkelhäutige Afrikaner oder australische Ureinwohner Menschen sind, ob Frauen wählen oder ob Homosexuelle heiraten dürfen.8
Speziell seit der Aufklärung wurden derlei Diskriminierungen
sukzessive in Frage gestellt – zunächst religiöser Fundamentalismus, dann Rassismus und Nationalismus, anschließend Sexismus
und seit kurzem auch Heterosexismus und die Benachteiligung von
Behinderten.9 Vielerorts wurde die Gemeinschaft der Gleichen nach
leidenschaftlichen Auseinandersetzungen entsprechend erweitert.10
7 A. Russon, K. Bard, S. T. Parker (Hrsg.), Reaching into Thought: The Minds
of the Great Apes, Cambridge 1996; B. Beck, T. S. Stoinski, M. Hutchins, T. L.
Maple, B. Norton, A. Rowan, E. F. Stevens, A. Arluke, Great Apes and Humans.
The ethics of coexistence, Washington 2001; J. Hof (Fotos), V. Sommer (Text),
Menschenaffen wie wir. Portraits einer Verwandtschaft / Apes Like Us. Portraits
of a Kinship, Mannheim 2010; E. V. Lonsdorf, S. R. Ross, T. Matsuzawa (Hrsg.),
The Mind of the Chimpanzee: Ecological and Experimental Perspectives, Chicago
2010; J. Mitani, J. Call, P. Kappeler, R. Palombit, J. Silk (Hrsg.), The Evolution of
Primate Societies, Chicago 2012.
8 Vgl. die Beiträge in P. Cavalieri (Hrsg.), Special Issue „The Great Ape Project“, in:
Etica & Animali 8/1996; sowie die Internet-Seiten Wikipedia. The Free Encyclo­
pedia, Lemma „Animal rights“, (http://en.wikipedia.org/wiki/Animal_rights),
zuletzt abgerufen am 12.01.2015, und Wikipedia. Die freie Enzyklopädie, Lem­
ma „Tierrechte“, (http://de.wikipedia.org/wiki/Tierrechte), zuletzt abgerufen
am 13.01.2015.
9 M. Nussbaum, Frontiers of Justice: Disability, Nationality, and Species Member­
ship, Cambridge 2006.
10 W. Heidelmeyer, Die Menschenrechte, Paderborn 1997.
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Zunehmend halten Philosophen und Primatologen den historischen Moment für gekommen, erneut inklusiver zu werden.11 Aufzuheben wäre jene Schranke, die Ungleichbehandlung lediglich aufgrund von Artzugehörigkeit rechtfertigt. Wie wir Rassismus und
Sexismus ablehnen, so die Fortentwicklung der Forderungen, sollen
wir jene Denkfigur zurückweisen, die die Herrschaft der Menschen
über Tiere als natürlich und damit richtig ansieht. Abzulehnen wäre
mithin der Speziesismus – ein Begriff, der um 1970 von dem britischen Tierrechtler Richard Ryder gekürt wurde.12 Die ethische Basis
des Great Ape Projects ist damit das Prinzip der gleichen Berücksichtigung von Interessen: Alle empfindungsfähigen Wesen haben
Bedürfnisse und Absichten, und wir sollten ihren ähnlich gelagerten Interessen dasselbe Gewicht beimessen – unabhängig von Kriterien wie Religion, Rasse, Geschlecht oder eben Spezies. Ausschlaggebend für unsere ethisch-moralische Position gegenüber anderen
Wesen – menschlichen wie nicht-menschlichen – wären demnach
nicht die Unterschiede, sondern die Gemeinsamkeiten.13
Den Start des GAP unterstützten Vordenker wie Jane Goodall,
Richard Dawkins, Robin Dunbar, Birute Galdikas, Roger Fouts, Jared
Diamond oder Douglas Adams. Obwohl diese A-Listler der Verhaltens- und Evolutionsbiologie kaum als äffchenknuddelnde Narren
abzutun sind, gewann die Initiative kaum an Dynamik. Das Thema
war zu exotisch und abgedreht.
Als beispielsweise in Spanien ein sozialistischer Politiker das
GAP unterstützte, ätzte das konservative Blatt El Mundo: „Logisch,
dass die Sozialisten die Menschenaffen für superschlau halten, denn
sie scheinen denen an intellektuellen Fähigkeiten nicht sehr weit
überlegen zu sein.“14
11 G. Miller, „The rise of animal law“, in: Science, 332/2011, S. 28-29.
12 R. Ryder, Speciesism, Painism and Happiness, Exeter 2011; Siehe auch S. WittStahl, „Der Speziesismus und seine Verflochtenheit mit herrschenden Ideolo­
gien“, in: Tierrechts Aktion Nord (Hrsg.), Leiden beredt werden zu lassen, ist
Bedingung aller Wahrheit: Reflexionen zum Mensch-Tier-Verhältnis, Hamburg
1999 (http://www.rageandreason.de/speziesismus.html), zuletzt abgerufen am
04.12.2015
13 T. Regan, The Case for Animal Rights, Los Angeles 1983.
14 M. Dahms, „Freiheit für die Affen im Zoo?“, in: Badische Zeitung vom 12.
05.2006, (https://web.archive.org/web/20080610183958/http://www.badischezeitung.de/nachrichten/welt/54,51-9542745.html), zuletzt abgerufen am 16.11.
2015.
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GAP Neustart in Deutschland
Nichtsdestotrotz: Für billigen Spott sollte es schwerer werden – zumindest im deutschsprachigen Raum. Denn hier revitalisierte die
dem evolutionären Humanismus verpflichtete Giordano-BrunoStiftung die Debatte.15 Um der Initiative Gewicht zu vergeben, verlieh die Denkfabrik ihren Ethik-Preis 2011 an die Initiatoren des
GAP, Cavalieri und Singer. Unterstützt wurde die Kampagne von
namhaften Evolutionsbiologen und Philosophen, die dem Beirat der
Stiftung angehören – etwa Franz Wuketits, Eckart Voland, Michael
Schmidt-Salomon, Gerhard Vollmer, Bernulf Kanitscheider, Thomas Metzinger, Hans Albert – und auch meiner Wenigkeit.
Listen von in ihren Professionen respektierten Unterstützern
mögen nicht frei von Eitelkeit sein, können aber bewirken, dass
Medien beginnen, eine an sich obskure Sache wahrzunehmen. Das
GAP-Thema ist jedenfalls seither in der medialen und öffentlichen
Diskussion omnipräsent – speziell als es bei National Geographic
im Juli 2012 Titelstory wurde, die 574 Online-Kommentare provozierte, mehr als je zuvor ein anderer Artikel.16 Selbst einflussreiche
Politiker diskutieren die Initiative seither. Berührungsängste scheinen verringert, und Protagonisten wie ich werden regelmäßig eingeladen, in Funk, Fernsehen und Blätterwald laut darüber nachzudenken.17 Und sogar ein naturgemäß skeptischer Zusammenschluss
von Wissenschaftlern wie die ‚Gesellschaft für Primatologie‘ hat das
Thema mittlerweile auf die Tagesordnung gesetzt.18
Wer das Freischwimmerabzeichen für zeitgenössischen Mainstream nicht aberkannt bekommen will, kann die Problematik jedenfalls kaum mehr schadlos ignorieren. Vielmehr ist angesagt, die
Argumente hinsichtlich Rechten für Menschenaffen pro und contra
abzuwägen. Denn bereits vor dem ersten Bier fallen uns allerlei Einwände ein: dass die Betroffenen selbst gar keine Rechte verlangen;
dass nicht einmal alle Menschen ihre Rechte genießen; dass Privilegien mit Pflichten einhergehen; dass bald auch Fifi und Mieze
Personen werden wollen. Und Tierrechtler selbst haben Vorbehalte –
15 Vgl. http://www.giordano-bruno-stiftung.de, zuletzt abgerufen am 04.12.2015.
16 J. Nakott, „Wie du und ich. Wieviel Mensch steckt im Affen?“, in: National
Geographic (deutsch), 07/2012, S. 38-69.
17 Pressespiegel unter http://www.greatapeproject.de, zuletzt abgerufen am 04.
12.2015.
18 V. Sommer, „Das Great Ape Project (GAP): Grundrechte für Menschenaffen?“,
in: Rundbrief der Gesellschaft für Primatologie, 48/2014, S. 11-14.
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dass eine erneute speziesistische Grenze gezogen wird zwischen
Menschenaffen und dem Rest der Tiere; oder dass ‚Rechte‘ eine Kapitulation vor kapitalistischen Verhältnissen repräsentieren.
Lassen wir die Palette solcher Einsprüche einmal Revue passieren. Wobei ich zugebe, Erwiderungen so formuliert zu haben, dass
sie generell meine eigene Position stützen – nämlich Menschenaffen Grundrechte zuzubilligen.
Konservative Widerworte: Rechte für Menschenaffen sind Unsinn
Im Camp der Traditionalisten finden sich einerseits rational argumentierende Skeptiker, andererseits aber auch Reflex-Moralisten,
die unter ihrem Online-Alias ‚Herr Mensch‘ Statements absondern
wie „Die Affen sind Tiere und damit basta!“.19 Manche Einwände
sind leicht zu entkräften, speziell, wenn sie die Logik von ‚Rechten‘
nicht verstanden haben. Andere Argumente stellen speziell für jene
ernste Hürden dar, die sich dem Tierrechts-Gedanken erst allmählich öffnen.
1. Stichwort Schutz. – Einwand: Die Forderungen des GAP sind
durch Tier- und Naturschutz-Gesetze abgedeckt! – Erwiderung:
Schutzbemühungen ändern nichts am Status von Tieren als Sachen,
über die Eigentümer nach Gutdünken verfügen können.
Das GAP verdeutlicht, wie sich Tierschutz und Tierrecht unterscheiden.20 Schutz will das Überleben von Arten sichern oder einzelne Lebewesen vor unnötigem Leid bewahren. Den meisten von
uns scheint das erstrebenswert – auch wenn biomedizinische Labors,
Fleischfabriken und unsere eigene Trägheit es immer wieder schaffen, Tierleid für notwendig zu erklären. Dessen ungeachtet meint
der Rechtsphilosoph Norbert Brieskorn, da ethisch reflektierende
Menschen gegenüber Tieren ohnehin Schutzverpflichtungen hätten, sei Zuerkennung von Rechten kein Plus.21 Doch ‚Schutzansprü19 Kommentar zu F. Voegeli, „Menschenrechte für Menschenaffen?“ (http://
www.20min.ch/wissen/news/story/Menschenrechte-fuer-Menschen­affen-30215304), zuletzt abgerufen am 12.02.2015.
20 T. Regan, The Case for Animal Rights; S. Schmitz (Hrsg.), Tierethik: Grund­
lagentexte, Berlin 2014.
21 N. Brieskorn, Menschenrechte: eine historisch-philosophische Grundlegung,
Stuttgart, Berlin, Köln 1997.
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che‘ sind von Natur aus schwammig. Eben deshalb ist Paragraph 1
des deutschen Tierschutzgesetzes lediglich eine Farce: „Niemand
darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder
Schaden zufügen“.
Um konkretes Leid zu mindern, wären Tier-Rechte allerdings
erheblich effektivere Hebel, als die oft laschen Schutz-Richtlinien.
So schaffte es der Zoo Wuppertal trotz permanenter Proteste, den
Schimpansen Epulu 35 Jahre lang in einem Betonbunker zur Schau
zu stellen. Besäße Epulu einen Rechtsstatus, hätten Gerichte den Zoo
viel früher gezwungen, wenigstens ein minimales Außengehege zu
gewähren.22 Ähnlich sieht es mit bislang fruchtlosen Beschwerden
aus, die ich gemeinsam mit anderen Primatologen und Tierschützern führe, um die alberne Ausbeutung von ‚Show‘-Schimpansen
des Schwabenparks zu verhindern.23 Und auch beim Abholzen könnte
Recht wirksam werden: Wer Personen aus angestammten Wäldern vertreiben will, wird es schwerer haben, als jemand, der den
Dschungel samt Einwohnern einfach aufkaufen kann.
Im Unterschied zum paternalistischen Schutzanspruch ist das
Zuerkennen von Rechten emanzipatorisch. Tierrecht setzt sich somit für die Würde jedes einzelnen Wesens ein – und nicht für die
abstrakte Einheit ‚Art‘. Solange aber Tiere als Sachen und Eigentum
gelten, haben jene wenig zu fürchten, die ihnen Schaden zufügen.24
2. Stichwort Menschenrechte. – Einwand: Menschenaffen können
keine Menschenrechte haben. – Erwiderung: Manche Menschenaffen verfügen bereits über solche Rechte – denn Menschen sind
Menschenaffen.
Zur zoologischen Gruppe der Menschenaffen (Hominoidea)
zählen die als ‚Kleine Menschenaffen‘ bezeichneten Gibbons sowie
Orang-Utans, Gorillas, Schimpansen und Bonobos als ‚Große Menschenaffen‘. Zu den letzteren zählen auch wir Menschen, da Schimpansen und Bonobos unsere nächsten Verwandten sind.25 Anders
ausgedrückt: Entgegen dem Augenschein sind diese behaarten Knö22 „35 Jahre im Betonbunker“ (Peter, veganblog.de/2014/07/24/nach-35-jahrenim-betonbunker-wuppertaler-schimpanse-durfte-zum-ersten-mal-raus/#.
VATvFSj_RG5), zuletzt abgerufen am 24.06.2014.
23 Gesellschaft für Primatologie (GfP), „The use of non-human primates as per­
formers, photo props, and actors“, Positionspapier, 10.01.2012.
24 G. Francione, Animals, Property, and the Law, Philadelphia 1995.
25 W. Enard, S. Pääbo, „Comparative primate genomics“, in: Annual Review of
Genomics and Human Genetics, 5/2004, S. 351-378; P. Gagneux, „A pan-oramic
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chelgänger näher mit uns verwandt als mit den ähnlicher aussehenden Gorillas. Menschenaffen ohne Mensch wären deshalb eine paraphyletische Gruppe, deren Mitglieder zwar einen gemeinsamen
Vorfahren teilen, jedoch nicht sämtliche Nachkommen dieses Ahnen umschließt. Die zoologische Systematik erkennt aber nur monophyletische Gruppen an, die alle Nachfahren einer gemeinsamen
Urform umfassen. Der Einfachheit halber benutze ich ebenfalls das
Umgangssprachliche ‚Menschenaffen‘ – statt des korrekten Ausdrucks ‚nicht-menschliche Große Menschenaffen‘. Zudem habe ich
den Einwand gegen Menschenrechte für Menschenaffen lediglich
aus didaktischen Gründen missverstanden – denn er war selbstredend anders intendiert.
3. Stichwort Menschenstatus – Einwand: Menschenaffen können
keine Menschenrechte haben, denn sie gehören nicht zur Gattung
Homo! – Erwiderung: Obwohl das die Medien gern falsch darstellen,
werden für unsere nächsten Verwandten keine ‚Menschen‘-Rechte
gefordert. Vielmehr geht es um ‚Grundrechte‘, die nicht an Artzugehörigkeit gebunden sind. (Dieser falsche Eindruck ist in Deutschland wohl auch durch den Titel der Übersetzung von Cavalieris und
Singers The Great Ape Project entstanden: Menschenrechte für die
Großen Menschenaffen.)
Gut vorbereitete Redakteure des renommierten Magazins GEO
interviewten mich über einen ganzen Tag hinweg für das Sonderheft „Wie Tiere denken“. Nichtsdestotrotz hat wohl einem cleveren
Schlussredakteur kurz vor Drucklegung die Aufmacherzeile nicht
gefallen. Und so ist das ausführliche Interview überschrieben mit:
„Weshalb sollten Affen Menschenrechte besitzen, Herr Professor
Sommer?“ Zwar kommt im Interview nur der Begriff Grundrechte vor – von mir gezielt gewählt, da er Unabhängigkeit von einer
bestimmten Art signalisieren soll.26 Dennoch ist bezeichnend, dass
auch ein reputables Print-Magazin Fünfe gerade sein lässt. So
nimmt es nicht Wunder, wenn Online-Kommentaren kräftig höhnen – denn des Professors Anliegen ist offenbar unausgegoren.
Der Einwand, Menschenrechte seien auf die Gattung Homo beschränkt, könnte allerdings noch aus anderem Grund hinfällig werview: insights into hominoid evolution through the chimpanzee genome“, in:
Trends in Ecology and Evolution, 19/2006, S. 571-576.
26 V. Sommer, Interview, „Weshalb sollten Affen Menschenrechte besitzen?“, in:
GEO-kompakt, „Wie Tiere denken“, 33/2012, S. 138-145.
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den. So teilen Schimpansen 99,4 Prozent bestimmter genetischer
Marker mit uns. Würde aber das Erbgut von Käfern so minimal
abweichen, würden sie gewiss nicht verschiedenen Gattungen zugeschlagen. Wie ich mit Genetikern und anderen Primatologen meine,
sollte deshalb die separate Gattung Pan für Schimpansen und Bonobos aufgelöst werden – durch Umbenennung in Homo troglodytes und Homo paniscus.27 Damit wäre jene Nomenklatur wieder
hergestellt, die der ‚Erfinder‘ des gebräuchlichen taxonomischen
Systems, Linné, ursprünglich intendiert hatte – bevor nachfolgende
Naturforscher aus Berührungsängsten heraus die Gattung Homo
zum Alleinstellungsmerkmal der Art Homo sapiens erhoben.
4. Stichwort Personenstatus. – Einwand: Menschenaffen können
nicht über Rechte verfügen, weil sie keine Personen sind! – Erwiderung: Wer oder was Personen sind, hängt von sich ständig wandelnden Definitionen ab.
Das Konzept der Person28 wurde maßgeblich entwickelt, um das
Trinitäts-Problem zu lösen, wonach Gott Vater, Sohn (Jesus Christus) und Heiliger Geist zwar eine Wesenseinheit bilden, aber dennoch verschieden sind. So wurde auf die Metapher ‚persona‘ für
jene Maske zurückgegriffen, welche Schauspieler der Antike je
nach Rolle vor das Gesicht hielten. Anderthalb Jahrtausende später
definierte Immanuel Kant dann Personen als „vernünftige Wesen,
die moralisch verantwortlich sind“ – und reservierte den Status für
Menschen. Nicht-rationale Wesen hingegen – sprich: Tiere – besitzen nur als Mittel zum Zweck einen Wert und sind deshalb als
‚Dinge‘ zu bezeichnen.29
Auch einem zeitgenössischen katholischen Philosophen wie Robert Spaemann gilt biologische Zugehörigkeit zur Gattung Mensch
27 D. E. Wildman, M. Uddin, G. Liu, L. I. Grossman, M. Goodman, „Implications of
natural selection in shaping 99.4% nonsynonymous DNA identity between hu­
mans and chimpanzees: Enlarging genus Homo“, in: Proceedings of the National
Academy of Sciences, 100/2003, S. 7181-7188; V. Sommer, „Schimpanse und
Bonobo gehören in die Gattung Homo“, in: P. Cavalieri, C. Goldner, P. Singer, M.
Schmidt-Salomon, V. Sommer, Grundrechte für Menschenaffen, Schriftenreihe
der Giordano-Bruno-Stiftung, Bd. 4, Aschaffenburg 2011, S. 15-23.
28 M. Carrithers, S. Collins, S. Lukes (Hrsg.), The Category of the Person: Anthro­
pology, Philosophy, History, Cambridge 1987.
29 I. Kant, zitiert in L. Gruen, Lemma „The moral status of animals“, in: E. N. Zalta
(Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy, Fall 2010 Edition (http://
plato.stanford.edu/archives/fall2010/entries/moral-animal/), zuletzt abgerufen
am 04.12.2015.
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als für Personalität notwendig,30 mithin eine ontologische Definition. Dieses Kriterium erscheint zunächst sauber und trennscharf,
weil es lediglich gegenwärtig lebende Menschen einschließt. Bei näherer Betrachtung werden jedoch Schwächen offenbar. Warum etwa
soll Artzugehörigkeit ein moralisch relevantes Kriterium sein, während ‚Rasse‘ (ein im Englischen oft benutzter Begriff), Geschlecht
oder Nationalität es nicht sind? Überdies ist eine diskontinuierliche
Unterscheidung von Menschen und anderen Lebewesen gegenwärtig nur möglich, weil etliche verbindende Formen nicht mehr auf
Erden wandeln. Hätten Ontologisten auch in Mitgliedern ausgestorbener Formen wie Homo erectus, Homo floresiensis oder Homo
neanderthalensis keine Personen gesehen? Und würde Spaemann
sein Kriterium wohl aufrechterhalten, falls Schimpansen und Bonobos der Gattung Homo eingegliedert werden?
Sei es wie es sei, in seinem Buch Practical Ethics zieht der Philosoph Peter Singer die Grenze wiederum anders.31 Er unterscheidet
zwischen bloß schmerzempfindlichen Wesen – etwa vielen Wirbellosen – und jenen, die zusätzlich über Selbstbewusstsein und Sinn
für die Zukunft verfügen. Solche ‚Subjekte-eines-Lebens‘ (subjectsof-a-life)32, die Überzeugungen, Bedürfnisse, Erinnerungen und
eine Vorstellung hinsichtlich der eigenen Zukunft besitzen und
damit eine eigene Lebensgestaltung verfolgen, wären ‚Personen‘ –
ganz unabhängig von Artzugehörigkeit. Im Unterschied zu ontologischen wären dies empirisch-funktionale Kriterien. Die meisten
Primatologen dürften wenig Zweifel haben, dass Menschenaffen
derlei Voraussetzungen erfüllen – obwohl sich darüber trefflich
streiten lässt.33 Es sei überdies eingeräumt, dass eine Liste von Kriterien ihre eigenen Probleme hat, weil Individuen über bestimmte
Kapazitäten graduell verfügen, also mehr oder weniger, und weil
einzelne Individuen nur über gewisse Kapazitäten verfügen mögen,
nicht jedoch über andere.
Diese kurze Retrospektive macht jedenfalls deutlich, dass das
Konzept der ‚Person‘ nicht seit jeher vorgegeben und monolithisch
im Raum steht, sondern eine ausdeutende Entwicklung erfahren
30 R. Spaemann, R. Löw, P. Koslowski (Hrsg.), Evolutionismus und Christentum,
Weinheim 1985.
31 P. Singer, Practical Ethics, Cambridge 1979.
32 T. Regan, The Case for Animal Rights.
33 M. Tomasello, M. Carpenter, J. Call, T. Behne, H. Moll, „Understanding and
sharing intentions: the origins of cultural cognition“, in: Behavioral and Brain
Sciences, 28/2005, S. 675-735.
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hat. Je nach Interpretation mögen zudem nicht nur uns bekannte
Lebewesen, sondern auch künstliche Intelligenzen oder außerirdische Organismen als Personen begriffen werden, sowie juristische Einheiten (Konzerne, Staaten) – während ein Personenstatus
menschlichen Föten mancherorts bis zu einem bestimmten Alter
nicht zuerkannt wird. Will sagen: Wer oder was eine Person darstellt, war und ist umstritten. Insofern erscheint die Möglichkeit
einer Erweiterung hin auf nicht-menschliche Tiere durchaus legitim.34 Es geht lediglich darum, die entsprechende Debatte zugunsten
der eigenen Überzeugung auszufechten.
5. Stichwort Rechtsspektrum. – Einwand: Nicht nur Leben und Freiheit wird durch Rechte geschützt, sondern etwa auch Meinungsfreiheit! – Erwiderung: Juristische Privilegien können differentiell
zugesprochen werden.
Obwohl ihnen körperliche Unversehrtheit zusteht, dürfen zahlreiche Menschen nicht wählen, etwa Kinder oder mancherorts Sträflinge. Deshalb ist es nicht inkonsequent, wenn das GAP weder ein
Bildungsrecht für Bonobos fordert, noch ein Recht auf Freizeit für
Gorillas noch Datenschutz für Schimpansen oder ein Mindestalter
für Sex bei Orang-Utans.35 Insofern ist es Unsinn, wenn ‚Alex‘ in
einem Online-Forum polemisiert: „Als nächstes müssen wir den
Zooaffen noch Abstimmunterlagen schicken. Und gewählt werden
können sie natürlich auch“.36 Nein – es geht um Grundrechte; nicht
weniger, aber auch nicht mehr.
6. Stichwort Verantwortung. – Einwand: Tiere können keine Rechte wahrnehmen, weil ihnen Verantwortung abgeht! – Erwiderung:
Rechte werden nicht erworben, sondern zugesprochen.
Der britische Philosoph Roger Scruton hält die Diskussion um
Tierrechte für vorwissenschaftlichen Anthropomorphismus. Für
Scruton sind Tierrechtler Eskapisten, deren Tierbild dem von Kinderbüchern entspricht, während ihr Menschenbild die Korruption
34 G. Francione, Animals as Persons, New York 2008; K. Brensing, Persönlich­
keitsrechte für Tiere: Die nächste Stufe der moralischen Evolution, Freiburg im
Breisgau 2013.
35 Vgl. C. Sunstein, M. Nussbaum (Hrsg.), Animal Rights: Current Debates and
New Directions, Oxford 2004.
36 Kommentar zu J. Nakott, „Wie du und ich“.
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durch das Böse befürchtet. Doch da allein Menschen Pflichten auferlegt werden können, und da Tiere einem solchem sozialen Kontrakt
nicht beitreten können, könnten sie auch keine Rechte besitzen.37
In der Vertragstheorie spielt Verantwortung eine Rolle. Obwohl
Scruton das vermutlich bestreiten würde, können manche Handlungen von nicht-menschlichen Tieren durchaus als ‚verantwortungsbewusst‘ interpretiert werden. So zeigte etwa die von Menschen aufgezogene Schimpansin Lucy nicht nur Anzeichen von
Stress, als ihre Ziehmutter krank wurde – sondern brachte ihr Essen
und behandelte sie zärtlich.38 Weltweit Aufsehen erregte auch die
im US-amerikanischen Brookfield Zoo gehaltene Gorillafrau Binti
Jua, die sich 1996 um einen 3-jährigen Menschenjungen kümmerte,
der über die Absperrung gefallen war und bewusstlos auf dem Gehegeboden lag. Binti beschützte ihn vor aufgeregten Artgenossen
und trug ihn vorsichtig an die Rückseite des Geheges, wo Wärter
das hilflose Kind in Empfang nehmen konnten.39 Das Interessante
an beiden Fällen ist nicht nur die Dimension von ‚verantwortlichem
Mitgefühl‘, sondern auch, dass es Artgrenzen transzendiert – genau
wie bei Tierrechtlern.
Die Vertragstheorie – also das Bezahlen von Privilegien durch
Pflichten – hat allerdings viel grundsätzlichere Schwierigkeiten
mit dem Personenstatus. Denn es gibt zahlreiche Menschen, die in
der Literatur als ‚marginal cases‘ bezeichnet werden. Obwohl diese ‚Grenzfälle‘ weder ‚moralisch kompetent‘ handeln können, noch
das Konzept von Pflichten verstehen, verfügen auch Neugeborene, kognitiv Eingeschränkte, Alzheimer- oder Komapatienten über
Rechte, deren Spektrum teilweise sogar erweitert ist. So erkennt
die Deklaration der Vereinten Nationen über Kinderechte deren altersspezifische Bedürfnisse und Möglichkeiten an. Eine Deklaration
zu den Rechten Großer Menschenaffen könnte ähnlich konstruiert
werden.40
Insofern ist auch folgender Online-Kommentar irregeleitet:
„Wenn der Affe gleich wie der Mensch behandelt werden soll, soll
er seine 8 Stunden am Tag arbeiten, Steuern zahlen, Kleider tragen,
37 R. Scruton, Animal Rights and Wrongs, London 1998.
38 M. K. Temerlin, Lucy. Growing up Human: A Chimpanzee Daughter in a Psy­
chotherapist’s Family, Palo Alto (CA) 1975.
39 Wikipedia. The Free Encyclopedia, Lemma „Binti Jua“, (http://en.wikipedia.org/
wiki/Binti_Jua), zuletzt abgerufen am 23.05.2015.
40 J. Benz-Schwarzburg, A. Knight, „Cognitive relatives yet moral strangers?“, in:
Journal of Animal Ethics, 1/2011, S. 9-36.
Menschenaffen als Personen?
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sich anständig benehmen usw. Und auch ins Gefängnis falls er jemanden umbringt“.41 Zumindest indirekt spielt diese grobe Überlegung bereits auf eine weitere Frage an – ob es nämlich zuweilen
nötig ist, tierliches Verhalten gerichtlich zu bewerten.
7. Stichwort Justiziabilität. – Einwand: Wenn Menschenaffen Rechte besitzen, haben für sie zumindest basale Regeln zu gelten – etwa
bezüglich Anstand oder Gewaltlosigkeit. – Erwiderung: Menschenaffen muss arttypisches Verhalten erlaubt sein, auch wenn das abweicht von Normen in Gesellschaften von Menschen.
Besucher des Fringe Kulturfestivals 2014 in Edinburgh wurden
von dem Primatologen Lewis Dean eingeladen, als Jurymitglied
über den Schimpansen Jack Gericht zu sitzen, dessen Bande einen
Artgenossen umgebracht hatte. Die Jury sollte mithin entscheiden,
ob ein Nicht-Mensch sich moralisch falsch verhalten kann.42 In dem
Gedankenexperiment wird im Grunde problematisiert, wieviel Kulturrelativismus43 akzeptabel ist. Mein Sohn durfte in Deutschland
öffentlich Bier trinken, als er 16 war – in den USA erst mit 21. Derlei nationale Bräuche entscheiden nicht über Leib und Leben. Doch
wie ist es mit Volksgruppen, die sich auf uralte Sitten berufen und
Steinigung von Ehebrecherinnen vorsehen, genitale Verstümmelung von Knaben oder der Kinderheirat? Laut Vereinten Nationen
sollte das als strafbar unterbunden werden.
Gleichwohl – bezüglich wilder Menschenaffen muss ein gewisser Doppelstandard greifen, etwa wenn Männchen Kopulationen
erzwingen, Konkurrenten einander blutig verletzen, oder Heranwachsende sexuell mit Erwachsenen verkehren.44 Es wäre absurd,
solches Verhalten ahnden zu wollen, selbst wenn es unter Menschen
strafrechtlich relevant wäre. Realiter wären Gerichtsverhandlungen
sowieso verfehlt, weil Tiere nicht als tatverantwortlich gelten (so,
wie auch für Menschen aus kognitiven, kulturellen oder situationalen Gründen Ausnahmen gemacht werden).
41 Kommentar zu J. Nakott, „Wie du und ich“.
42 L. Dean, „The trial of chimpanzee Jack“ (http://culturedprimate.wordpress.com/
chimp-on-trial), zuletzt abgerufen am 15.08.2014.
43 A. Kroeber, C. Kluckhohn, „Culture: a critical review of concepts and definitions“,
in: Papers of the Peabody Museum of American Archaeology and Ethnology,
47/1952, S. 41-72.
44 Für graphische Beispiele siehe J. Goodall, The Chimpanzees of Gombe. Patterns
of Behavior, Cambridge (MA) 1986.
22
Volker Sommer
Was aber ist mit Tötungen – sind die ebenfalls hinzunehmen,
weil seitens der Tiere keine Tatverantwortung besteht? So mag ein
Gorillamann einen Rivalen vertreiben und dessen Baby töten, um
eine erneute Fruchtbarkeit der Mutter beschleunigt herbeizuführen.
Im Freiland lässt sich Infantizid kaum verhindern, selbst wenn
Primatologen – mich eingeschlossen – versucht haben, gefährdete
Babys zu schützen.45 Werden Menschenaffen hingegen in Gefangenschaft gehalten, sollte es zur Sorgfaltspflicht der Wärter gehören, Artgenossentötung durch Abtrennung zu unterbinden. Das
Lebensrecht eines Primatenkindes würde mehr gelten als das Fortpflanzungsinteresse des Männchens.
In dem Zusammenhang ist eine Auseinandersetzung interessant,
die ich mit dem Management des Londoner Zoos führte.46 Nachdem
der vormalige Silberrücken verstorben war, wurde der Rumpfgruppe von drei Weibchen ein neuer Gorillamann hinzugefügt. Eines
der Weibchen säugte ein vom Vorgänger gezeugtes Baby. Der neue
Mann tötete das Kind – ein Infantizid, der komplett vorhersagbar
war. Ich kritisierte die Zooleitung in der BBC als inkompetent. Denn
man hätte Mutter und Säugling eine sichere Rückzugsmöglichkeit
im Gehege einräumen können. Die Zooleitung verteidigte sich mit
dem Hinweis, Infantizid sei ein natürliches Verhalten, dass man
nicht unterdrücken dürfe – ein durch und durch unsinniges Argument. Denn erstens ist nichts an der Zoosituation natürlich, und
zweitens haben Weibchen in der Wildnis durchaus die Möglichkeit,
weiterhin bei einem im Kampf unterlegenen Silberrücken zu bleiben, um die Tötung von dessen Nachwuchs zu vermeiden.
Das Beispiel verdeutlicht, dass es geboten sein kann, die vermutlichen Interessen nicht-menschlicher Personen abzuwägen, statt
angeblich unveränderlicher ‚Natur‘ ihren Lauf zu lassen. Eigentlich
ist der Einwand hinsichtlich Verhaltensregeln jedoch lediglich ein
Taschenspielertrick reaktionärer Kräfte, die Grundrechts-Kampagne ad absurdum führen zu wollen. Doch selbst wenn eine Initiative nicht auf jede denkbare Situation eine Standardantwort parat
hat, ist nicht automatisch die gesamte Konzeption hinfällig – nämlich die Vision des ethischen Meliorismus. Diese Weltanschauung
45 Sommer, Heilige Egoisten.
46 BBC News, „London Zoo criticised over death of baby gorilla Tiny“ (http://
www.bbc.co.uk/news/uk-13401877), zuletzt abgerufen am 14.05.2011.
Menschenaffen als Personen?
23
meint, dass Menschen durchaus in ‚natürliche‘ Prozesse eingreifen
und die Welt dadurch zum Besseren verändern können.47
8. Stichwort Rechtsfähigkeit. – Einwand: Tiere können ihre Rechte
gar nicht wahrnehmen, denn sie können sie weder formulieren noch
einklagen! – Erwiderung: Wie für Menschen, die aufgrund von Alter
oder geistiger Verfassung als ‚unmündig‘ gelten, können rechtliche
Belange von Menschenaffen durch Fürsprecher vertreten werden.
Der Tierrechtler Tom Regan unterscheidet zwischen ‚moral
agents‘ – moralisch Handelnden – und ‚moral patients‘ – moralisch
Behandelten.48 Demnach würden auch Individuen, die Moral weder
begreifen noch gestalten können, dennoch als ‚moral patients‘ elementaren Schutz genießen. Ihre Rechtsbelange würden durch Bevollmächtigte wahrgenommen.
Genau das wurde bei einem Prozess in Österreich angestrengt,
den ich als Gutachter unterstützte.49 Zunächst wurde im Februar
2007 am Sachwalterschaftsgericht in Mödling für Herrn Matthias
Pan, Spitzname Hiasl, die Bestellung eines Sachwalters beantragt.
Die Eingabe war von DDr. Martin Balluch unterzeichnet und wies
darauf hin, dass Matthias Pan „nicht in der Lage ist, Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens ohne fremde Hilfe zu meistern“. Insbesondere könne der 28-jährige Herr Pan ohne gerichtlich bestellten
Fürsprecher eine ihm gewidmete Schenkung nicht nutzen. Das lateinische „Pan“ ließ die Richterin bereits aufhorchen. Im Gerichtsverfahren wurde die Lebensgeschichte von Matthias Pan evident:
Kurz nachdem er 1981 in Westafrika geboren wurde, massakrierten
Händler seine Mutter und verschacherten ihn an die in Österreich
operierende Firma Immuno. Ihm war das Schicksal bestimmt, neben Dutzenden anderer Biomedizin-Sklaven mit Hepatitis und HIV
infiziert zu werden und in einem fensterlosen Kellerverlies in einem
Einzelkäfig mit einer Grundfläche von einem bis maximal 5 Quadratmetern über Jahrzehnte hinweg eingesperrt zu werden. Weil
Immuno bei der Entführung von Matthias Pan österreichische Gesetze verletzt hatte, landete er schließlich in einem Tierschutzheim,
das jedoch pleiteging. Die Schenkung, so das Argument der Eingabe, würde Hiasls weitere Pflege garantieren und ihn davor be47 J. C. Wolf, Neue Perspektiven für Menschen und Tiere, Freiburg (CH) 1992.
48 T. Regan, The Case for Animal Rights.
49 M. Balluch, E. Theuer, „Trial on personhood for chimp Hiasl“, in: Altex, 24/2006,
S. 335-342.
24
Volker Sommer
wahren, abermals verkauft zu werden. Das Bezirksgericht verlangte
Geburtsurkunde sowie Meldeschein und lehnte den Antrag ab. Der
Betroffene sei nicht geistig behindert oder psychisch krank und ihm
drohe keine unmittelbare Gefahr. Ob er eine Person im rechtlichen
Sinne sei, sei eine Frage ‚akademischer Natur‘. In Österreich galten
Schimpansen stillschweigend bis dato als ‚Sache‘. ‚Sachwalter‘ aber
können (trotz des in dem Zusammenhang leicht absurden Wortes)
nur für Personen bestellt werden. Revisionen des Entscheids wurden angestrengt, über das Landesgericht Wiener Neustadt und den
Obersten Gerichtshof OGH bis zum Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte EGMR. Der lehnte in letzter Instanz ab, sich mit
dem Fall zu beschäftigen. Denn Hiasl könne sich weder ausweisen
noch äußern, und DDr. Balluch wurde nicht als Fürsprecher anerkannt. Die Gerichte wiesen die Klagen mithin ab, weil der Antragsteller zu einem derartigen Antrag nicht befugt sei. Er hätte keine
Parteienstellung. Mit anderen Worten: Es ginge ihn nichts an, was
nur Sache des Schimpansen wäre.
Dass Menschenaffen aber als ‚Sachen‘ gelten, statt dass sie jemand juristisch vertreten kann – in den jeweiligen rechtlichen Konstruktionen von Stellvertreter, Sachwalter, Fürsprecher, Vormund,
Bevollmächtigter, ‚guardian‘ etc. –, genau das will die GrundrechtsInitiative ändern.
9. Stichwort Prioritäten. – Einwand: Es ist geradezu zynisch, Affen
Rechte zuzusprechen, wenn nicht einmal alle Menschen Rechte genießen. – Erwiderung: Es wird den Armen und Unterdrückten bei
ihrem gerechten Kampf nicht helfen, bestimmten anderen Spezies
Grundrechte zu verweigern.
In Spanien formulierte die Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE)
gemeinsam mit den Grünen im Jahre 2006 einen Gesetzesentwurf,
der Menschenaffen Grundrechte zusprechen wollte. Der Entwurf
scheiterte an erheblichem Widerstand.50 Der Erzbischof von Pamplona, Fernando Sebastián Aguilar, etwa bediente sich des oben zitierten Prioritäten-Einwandes: „Zu viel Fortschrittlichkeit führt zur
Lächerlichkeit“. Und der Geistliche mahnte weiter: „Die Regierung
will den Affen Rechte einräumen, die sie ungeborenen Kindern
versagt.“ Der Erzbischof fand in der Chefin der spanischen Sektion
von ‚Amnesty International‘ eine unwahrscheinliche Bündnispart50 Für die folgenden Zitate siehe „Grundrechte für Menschenaffen“, in: Teneriffa
Nachrichten vom 10.06.2006.
Menschenaffen als Personen?
25
nerin, denn auch Delia Padrón beklagte: „Es ist erstaunlich, daß Affen Menschenrechte zugesprochen werden sollen, obwohl die nicht
einmal alle Menschen besitzen.“ Online wird ähnlich kommentiert,
beispielsweise unter der Überschrift: „Was ist mit uns Menschen?!“ –
um fortzufahren: „Bevor man von Menschenrechten für Tiere sprechen kann, sollte man vielleicht sicherstellen, dass alle Menschen
durch diese Rechte geschützt werden …“51
Dass Menschenaffen erst Rechte erhalten sollen, wenn sie für
alle diskriminierten Menschen realisiert sind, ist allerdings zweifach unschlüssig. Einerseits hätte es beispielsweise den Suffragetten
in England nicht angestanden, ab 1903 organisiert Frauenwahlrecht
zu fordern, weil damals noch nicht einmal die Hälfte aller Männer
das – an Grundbesitz gebundene – Wahlrecht besaß. Andererseits
ist es schlicht unfair, jemanden zu benachteiligen, bloß weil andere
noch unfrei sind. Ganz im Gegenteil: Je inklusiver eine Forderung
angelegt ist, desto wahrscheinlicher wird sie durchgesetzt – wovon
verschiedenste Gruppen profitieren. Deshalb überrascht es nicht,
dass beispielsweise in England die Erfolge von Frauenrechtlern eng
mit der Tierrechtsbewegung verknüpft sind.52
10. Stichwort Dammbruch. – Einwand: Wenn Menschenaffen Rechte zugestanden werden, wollen bald auch Hunde- und Katzenhalter,
dass ihre Lieblinge Personen werden! – Erwiderung: Konservative
benutzen gerne die rhetorische Technik des ‚Dammbruch-Arguments‘.
Im englischen Parlament des 19. Jahrhunderts gingen Gesetzesinitiativen mehrfach in Gelächter unter. So wurde ein Vorschlag,
Grausamkeit an Pferden zu verbieten, mit dem Argument lächerlich
gemacht, dass dann als nächstes wohl Esel, Hunde oder Katzen unter Schutz gestellt würden. Und als vorgeschlagen wurde, Männern
mit schwarzer Hautfarbe Wahlrecht zu gewähren, wurde dagegen
gehalten, als nächstes würden dann wohl Tiere oder Frauen derlei
Ansprüche anmelden.
51 Kommentar zu F. Voegeli, „Menschenrechte für Menschenaffen?“
52 D. Legge, S. Brooman, Law Relating to Animals, London 1997; H. Kean, Animal
Rights. Political and Social Change in Britain since 1800, London 1998; vgl.
auch Wikipedia. The Free Encyclopedia, Lemma „Animal rights“, (http://
en.wikipedia.org/wiki/Animal_rights), zuletzt abgerufen am 12.01.2015.
26
Volker Sommer
Solche Reaktionen, die das Argument des Dammbruchs oder der
„schiefen Ebene“ benutzen,53 sind selbstredend nicht als rationale
Beiträge zu Debatten gedacht, sondern wollen Ängste schüren. Die
sind allerdings in der Tat oft berechtigt. Denn bevor das 19. Jahrhundert zu Ende ging, wurde die grausame Behandlung von Nutzund Haustieren nicht nur in England, sondern auch in mehreren
anderen Ländern verboten.54 Dass Frauen Wahlrecht erhielten, sollte länger dauern.
Wenn Gesetze geändert werden, hat das vielfältige Gründe. Der
erste Schritt ist allerdings, dass sich eine Lobby für eine diskriminierte Gruppe engagiert – ob es sich nun um Frauen, Katzen oder
Kühe handelt. Dass sich zahlreiche Katzenhalter für Miezes Personenstatus einsetzen werden, ist momentan eher unwahrscheinlich.
Im hinduistisch geprägten Indien wurde und wird hingegen ernsthaft diskutiert, ob Kühen ein spezieller Status in der Verfassung
gebührt. Dass Mahatma Gandhi – an sich überzeugter Hindu – dies
ablehnte, um die erhebliche muslimische Minderheit des neuen Indien nicht zu provozieren, war übrigens einer der Gründe für die
Ermordung des Mahatma.55
Moderne Gesellschaften sollten sich jedenfalls dadurch auszeichnen, Diskussionen zuzulassen, wenn Interessenvertreter sich
entsprechend formieren – solange deren Visionen nicht dem Gesamtkonzept der jeweiligen Verfassung widersprechen. Konflikte
sind gleichwohl vorprogrammiert. Denn Meinungen über das, was
vereinbar ist und was nicht, gehen gewöhnlich auseinander. Das ist
hinsichtlich der Tierrechts-Frage nicht anders. Indes ist zu hoffen,
dass es in fortschrittlichen Staaten zunehmend weniger akzeptabel
wird, sich auf ‚moralische‘ Werte zu berufen – die gern als gottgegeben, unwandelbar, ewig oder selbstevident ausgegeben werden.
Stattdessen sollten durch Abwägung und Debatte ‚ethische‘ Werte
entwickelt werden – die von ihrem Charakter her stets vorläufig
bleiben und alsbald einem zeitgemäßeren Konsens Platz machen.
53 F. Salinger, „The dam burst and slippery slope argument in medical law and
medical ethics“, in: Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik, 9/2007,
S. 341-352.
54 D. Legge, S. Brooman, Law Relating to Animals; H. Kean, Animal Rights.
55 E. H. Erikson, Gandhis Wahrheit. Über die Ursprünge der militanten Gewalt­
losigkeit, Frankfurt a. M. 1971; Erstausgabe: Gandhi’s Truth, New York 1969.
Menschenaffen als Personen?
27
11. Stichwort Tierbefreiung. – Einwand: Haben Menschenaffen ein
Recht auf Freiheit, müssen Zoos ihre Gehege öffnen! – Erwiderung:
Viele Tierrechtler verurteilen Gefangenschaftshaltung. Indes wird
sie weiter existieren, weil Freisetzung selten machbar ist.
Der Tierrechtler Colin Goldner recherchierte für sein Buch Lebenslänglich hinter Gittern, dass 38 deutsche Zoos und zooähnliche Institutionen Orang-Utans, Gorillas, Schimpansen und Bonobos zur Schau stellen – insgesamt 450 Menschenaffen.56 Für einige
Zoos, wie die in Köln, Leipzig, Frankfurt oder München, wurden die
Haltungsbedingungen relativ positiv bewertet, während 60 Prozent
der Einrichtungen nicht einmal brave bundesministerielle Leitlinien erfüllen. Deren im Jahre 2014 verabschiedete Neufassung wurde
vom Verband der Zoodirektoren ziemlich systematisch ausgehöhlt,
trotz deutlicher Proteste etwa der ‚Gesellschaft für Primatologie‘,
in der die mit Affen arbeitenden Wissenschaftler organisiert sind.
Ohne Zweifel wird bei zahlreichen Verantwortlichen erheblicher
Sinneswandel nötig sein, um die oft katastrophalen Haltungsbedingungen entscheidend zu verbessern.
Zoos mit Menschenaffen müssen ihre Haltungspraxis jedenfalls
zunehmend rechtfertigen. Denn schließlich werden hier hochintelligente und sensible Kreaturen hinter Schloss und Riegel gehalten –
damit wir uns an ihnen ergötzen können. Alle anderen Argumente
wurden nachgeschoben, als sich die öffentliche Wahrnehmung zu
wandeln begann – speziell jene, dass Zoos sich für den Erhalt von
Populationen in der Wildnis engagieren. Die hierfür bereitgestellten Mittel machen jedoch bestenfalls einen kleinen Bruchteil des
Gesamtetats aus. Zweifellos können solche Mittel da und dort Gutes
bewirken. So ist es dem Frankfurter Zoo hoch anzurechnen, dass
dessen damaliger Direktor Bernhard Grzimek die Schaffung von
Nationalparks in Ostafrika entscheidend vorantrieb – Stichwort
‚Serengeti darf nicht sterben‘.57 Auch meine eigene wissenschaftliche Freilandforschung und der damit verknüpfte Habitatschutz wären ohne finanzielle Unterstützung von Zoos nicht möglich.58
56 C. Goldner, „Überwindung der Trennlinie zwischen Mensch und Tier“, in: P.
Cavalieri, C. Goldner, P. Singer, M. Schmidt-Salomon, V. Sommer, Grundrechte
für Menschenaffen, Schriftenreihe der Giordano-Bruno-Stiftung, Bd. 4, Aschaf­
fenburg 2011, S. 25-36.
57 B. Grzimek, M. Grzimek, Serengeti darf nicht sterben. 367.000 Tiere suchen
einen Staat, Frankfurt a. M. 1959.
58 Vgl. http://www.ucl.ac.uk/gashaka, zuletzt abgerufen am 04.12.2015.
28
Volker Sommer
Ich meine überdies, dass ein Leben in Gefangenschaft durchaus
erträglich sein kann – wenn nicht sogar ein Lebensstil, den Menschenaffen zuweilen freiwillig wählen würden. Zumindest in sogenannten ‚gut geführten‘ Zoos. Denn hier fallen viele Gefahren
weg – etwa Raubkatzen, marodierende Artgenossen, Hunger, Krankheit und Todesstürze aus den Baumkronen. Überdies dürften Menschenaffen, die in einem Haushalt oder in engem Kontakt mit Menschen aufwachsen, deren Gesellschaft der von Artgenossen vermutlich vorziehen. Interessant ist der Fall von Lucy, einer Schimpansin,
die in den USA in einer Menschenfamilie aufwuchs, wo ihr eine
Zeichensprache beigebracht wurde. Ihre Zieheltern brachten sie als
junge Erwachsene nach Afrika zurück, damit sie ein Leben in der
Wildnis erlernen könne – wie ein ‚richtiger‘ Schimpanse. Lucy fühlte sich dort jedoch, nahe ihren ‚barbarischen‘ Artgenossen, allein
und verloren. „Go home“, signalisierte sie mit ihren Händen: „Ich
will nach Hause“.59
Zudem dürfte bald die traurige Situation eintreten, dass mehr
Menschenaffen in Gefangenschaft leben als in der Wildnis. In Herkunftsländern bevölkern bereits Hunderte von Gorillas und Bonobos und Abertausende Schimpansen und Orang-Utans meist provisorische Auffangstationen.60 Diese Menschenaffen kamen entweder
auf Umwegen als Babys in die Stationen, nachdem ihre Gruppen
und Mütter von Buschfleisch-Jägern massakriert wurden. Oder sie
sind Strandgut, das bei der Zerstörung ihrer Habitate anfällt. Denn
diese schrumpfen unter jener strukturellen Gewalt, die von Bewohnern der Nordhalbkugel ausgeht: Weil ich mit Flugzeugen fliege,
deren Treibstoff im Nigerdelta erpumpt wurde – wofür Schimpansen weichen mussten; weil ich dies mit einem Computer schreibe,
der ohne Coltan nicht funktionieren würde – ein Erz, für das Tausende von Gorillas abgeschlachtet werden, um Minenarbeiter im
Ostkongo mit Fleisch zu versorgen; weil ich mich mit Seife wasche,
59 Vgl. R. Fouts, S. T. Mills, Next Of Kin: What My Conversations With Chim­
panzees Have Taught Me About Intelligence, Compassion And Being Human,
London 1997; deutsch: Unsere nächsten Verwandten. Von Schimpansen lernen,
was es heißt, ein Mensch zu sein, München 1998.
60 N. Hughes, N. Rosen, N. Gretsky, V. Sommer, „Will the Nigeria-Cameroon
chimpanzee go extinct? Models derived from intake rates of ape sanctuaries“,
in: V. Sommer, C. Ross (Hrsg.), Primates of Gashaka. Socioecology and Con­
servation in Nigeria’s Biodiversity Hotspot, New York 2011, S. 493-523.
Menschenaffen als Personen?
29
die Palmöl enthält – das aus riesigen Plantagen stammt, für die Heimatwälder der Orang-Utans gerodet wurden.61
Was soll geschehen mit diesen Entwurzelten und Waisen – und
was mit jenen, denen ein glücklicherer Zufall ein Leben hinter Gittern in einem modernen Zoo beschert hat? Euthanasie sollte sich
von selbst verbieten. In die ursprüngliche Freiheit der Tropen wird
höchstens ein Bruchteil überführt werden können – weil Freigelassene für Menschen gefährlich wären und die meisten Habitate zerstört sind.62 Ein Vorschlag ist, sie in möglichst vielköpfigen Kolonien zusammenzuführen, etwa auf klimatisch geeigneten Inseln oder
weiträumigen ‚Frei‘-Gehegen. Solche Maßnahmen werden enorme
Geldmittel und politischen Willen erfordern.
Viele der heute in Zoos und Stationen Untergebrachten werden 50, 60, ja 70 Jahre lang leben – und weitere Gefangene in die
Welt setzen. Eine Alternative wäre, Geburtenkontrolle einzuführen, bis die letzten verstorben sind. Das fordert etwa Christophe
Boesch, Freilandforscher und Direktor am Max-Planck-Institut für
evolutionäre Anthropologie in Leipzig. In einem Interview mit dem
National Geographic äußert er sich so: „Es gibt gute und es gibt
schlechte Gefängnisse, sie bleiben Gefängnisse. Frankfurt und Leipzig sind Luxuszoos, aber Gefangenschaft für Menschenaffen bleibt
erniedrigend. Deshalb ist es falsch, dass man das Problem ungelöst
lässt, indem man die Reproduktion erlaubt. Empfängnisverhütung
ist hier das einzig Richtige“.63 Das würde allerdings das Gruppenleben erheblich einschränken – denn es gäbe keine Babys, Kleinkinder oder Heranwachsenden mehr. Ein solches Gefangenschaftsleben
61 S. A. Wich, J. Garcia-Ulloa, S. Hjalmar T. H. Kühl, J. S. H. Lee, L. P. Koh, „Will
oil palm’s homecoming spell doom for Africa’s great apes?“, in: Current Biology,
24/2014, S. 1659-1663.
62 J. Caldecott, V. Miles (Hrsg.), World Atlas of Great Apes and their Conservation,
Los Angeles 2005; S. Tranquilli, M. Abedi-Lartey, K. Abernethy, F. Amsini, L.
Arranz, A. Asamoah, C. Balangtaa, N. Barakabuye, S. Blake, E. Bouanga, T. Breuer,
T. Brncic, G. Campbell, R. Chancellor, C. A. Chapman, T. Davenport, A. Dunn,
J. Dupain, A. Ekobo, G. Etoga, T. Furuichi, S. Gatti, A. Ghiurghi, C. Hashimoto,
J. Hart, T. Hart, J. Head, M. Hega, I. Herbinger, T. C. Hicks, L. H. Holbech, B.
Huijbregts, H. S. Kühl, I. Imong, S. Le-Duc Yeno, J. Linder, P. Marshall, J. Mba
Ayetebe, P. Minasoma, D. Morgan, L. Mubalama, P. N’Goran, A. Nicholas, S.
Nixon, E. Nku Manasseh, E. Normand, L. Nziguyimpa, Z. Nzooh-Dongmo, R.
Ofori-Amanfo, B. G. Ogunjemite, C. Petre, H. Rainey, S. Regnaut, O. Robinson,
A. Rundus, C. Sanz, D. Tiku Okon, A. Todd, Y. Warren, V. Sommer, „Protected
areas in tropical Africa: Assessing threats and the impact of conservation ac­
tivities“, in: PLoS ONE, 9(12)/2014, S. 1-21.
63 Zitiert in J. Nakott, „Wie du und ich“.
30
Volker Sommer
wäre noch trister, als es oft ohnehin schon ist. Doch vielleicht wäre
das, was als ‚managing the population to extinction‘ bezeichnet
wird, schlussendlich wünschenswerter, als um missverstandenen
Artenschutzes willen und zu unserer Ergötzung hochsensible Kreaturen auf immer und ewig einzusperren. Denn mehr als traurige
Karikaturen ihrer wildlebenden Vorfahren werden sie dabei kaum
darstellen können.
Diese Dilemmata könnten und sollten gerade von jenen Tierpflegern und Zoomanagern wahrgenommen werden, von denen
sich nicht wenige durch das GAP ‚bedroht‘ fühlen. Denn es wären
ja speziell diese Berufsklassen, deren Expertise für die zukünftige
Lösung oder zumindest Verbesserung der Gefangenschaftssituation
gefragt wäre. Die geschilderten Sachzwänge sorgen jedenfalls dafür,
dass es auch in Zukunft eine große – oder sogar zunehmend größere –
Population gefangener Menschenaffen geben wird. Der Berufsstand
der Tiergärtner ist deshalb keineswegs eine bedrohte Art. Auf dem
Hintergrund würde es diesen Profis gut anstehen, sich auch mit der
grundsätzlichen Frage auseinanderzusetzen, ob das Einsperren von
Menschenaffen weiterhin zeitgemäß ist – und ob ihnen ein Status
als Personen zukommt.
Progressive Widerworte: Alle fühlenden Wesen sind gleich
zu behandeln
Wenden wir uns nun jenen Vorbehalten zu, die aus dem Camp der
Tierrechtler selbst kommen – speziell jener Frage, wieso gerade
Menschenaffen Sonderrechte zustehen sollen.
1. Stichwort Anthropozentrismus. – Einwand: Das Great Ape Project ersetzt ‚Anthropozentrismus‘ durch ‚Hominidismus‘. Denn
wieso sollen Grundrechte nicht auch für andere Tierformen gelten? – Erwiderung: Das GAP ist bewusst pragmatisch – versteht
sich aber als Türöffner für weitergehende Forderungen.
Der Einwand ist durchaus ernst zu nehmen. Die traditionelle
Grenzlinie wurde zwischen Menschen und allen anderen Tieren
gezogen, während das GAP Rechte für lediglich die Mitglieder der
Familie Hominidae fordert. Das Einbeziehen von Menschenaffen in
die Rechtsgemeinschaft verschiebt damit lediglich den Zaun – und
trennt menschliche und nicht-menschliche Hominiden auf der einen
Menschenaffen als Personen?
31
Seite von allen übrigen Tieren auf der anderen. Wie kann das mit
dem Prinzip der gleichen Berücksichtigung von Interessen kompatibel sein? Orthodoxe Tierrechtler werfen dem Great Ape Project
jedenfalls vor, auf das Moralgefühl der ‚Masse‘ zu reagieren. Speziesismus käme sogleich durch die Hintertür wieder herein, solange
Themen wie unser Fleischessen und industrielles Massentöten von
Tieren ausgeklammert bleiben.64 Diese Vorbehalte verdeutlichen
den ideologischen Graben zwischen Protektionismus (demzufolge
auch kleinschrittige Reformen in unserem Verhältnis zu Tieren zu
begrüßen wären) und Abolitionismus (demzufolge Tierschützer ein
öffentliches Wohlfühlen erzeugen, das zum Ausblenden von Grundsatzfragen und damit einer Perpetuierung des Massenleidens führt).
Allerdings muss die praktische Frage erlaubt sein, ob Speziesismus sich tatsächlich nur nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip überwinden lässt. Die Vergangenheit lehrt jedenfalls, dass Fort-Schritt
genau so erfolgte: Schritt um Schritt. Die Tierrechtlerin Franziska
Brunn räumt angesichts dessen frustriert ein: „Mag sein, dass es
auch diesmal so eintreten wird. Deshalb wird es nicht richtiger“.65
Vielleicht hat Brunn recht, vielleicht nicht. Zumindest für mich
steht intuitiv außer Frage, dass alle Großen Menschenaffen Personen sind. Obwohl ich auch jahrelang mit Gibbons, den Kleinen
Menschenaffen, im Urwald unterwegs war und ebenso mit Affenarten wie Pavianen und Languren, lösen diese Primaten bei mir nicht
das gleiche Engagement aus. Und weil ich mit dem GAP genug zu
tun habe, klammere ich weitergehende Fragen zunächst aus – auch
wenn das inkonsequent ist.
Der genannte österreichische Tierrechtsaktivist Martin Balluch,
hält Pragmatismus ebenfalls für angebracht – und ihm ist Inkonsequenz kaum vorzuwerfen. Der Veganer und Obmann des Vereins
gegen Tierfabriken wurde 2008 im Zuge der sogenannten ‚Tierschutzcausa‘ wegen des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen
Organisation monatelang in Untersuchungshaft eingesperrt und
anschließend jahrelang gerichtlich verfolgt – bis 2011 ein Freispruch erfolgte. Balluch plädiert, zwischen Fachdiskursen innerhalb
der Tierrechtsbewegung und Stellungnahmen nach außen zu unterscheiden. Denn ethische Argumente weit abseits vom gesellschaftlichen Konsens (beispielsweise hinsichtlich veganer Ernährung) wür64 S. Walden, „Privilegien für Menschenaffen?“, in: Tierbefreiung, 56/2007, S. 6-9.
65 F. Brunn, „Wer wie wir ist, bekommt Rechte?! Eine kritische Betrachtung des
Great Ape Projects“, in: Tierbefreiung, 56/2007, S. 10-14.
32
Volker Sommer
den in der breiten Bevölkerung lediglich zu Befremdung und Voreingenommenheit führen. Deshalb seien auch Tierschutz-Diskussionen
abseits tierethischer Maximalforderungen geeignet, das öffentliche
Problembewusstsein zu schärfen und weiter zu entwickeln.66
Insofern ist zu hoffen, dass die Debatte um Rechte für Menschenaffen tatsächlich die zitierte Funktion als ‚Türöffner‘ haben
wird und damit letztlich allen Tieren – menschlichen wie nichtmenschlichen – zugutekommt. Überdies gilt: Wer sich stark machen will für Rechte von Haustieren, Nutztieren, Rhesusaffen oder
Papageien, kann und soll das tun. Parallel zur GAP-Philosophie hat
sich eine entsprechende Lobby beispielsweise bereits für Wale und
Delfine formiert – unter Beteiligung von Paola Cavalieri –, ebenso
wie für Elefanten – unter Beteiligung des britischen Tierschützers
Ian Redmond.67
Zudem ist es nicht ganz korrekt, dass der spezielle Einsatz für
Menschenaffen nur durch Pragmatismus genährt wird. Denn diese
Primaten, so der Tierrechtler und Koordinator des GAP in Deutschland, Colin Goldner, stellen „den Dreh- und Angelpunkt des Verhältnisses Mensch-Natur dar, sie definieren wie nichts und niemand
sonst die sakrosankte Grenzlinie zwischen Mensch und Tier“. Blieben aber unsere nächsten Verwandten „auf der anderen Seite“ festgeschrieben, wären das mit ihnen alle übrigen Tiere.68
Genau hier offenbart sich der wesentliche Unterschied zwischen
traditionellem Humanismus, der Menschen in unauflösbarer Dichotomie zu Tieren sieht, und evolutionärem Humanismus.69 Denn
der revolutionäre Gedanke der Evolutionstheorie war ja gerade die
Erkenntnis, dass wir mit allen anderen Lebewesen verwandt sind
durch einen nie unterbrochenen Strom von Generationen.
2. Stichwort Kognitivismus. – Einwand: Speziesismus sollte nicht
mit Kognitivismus bekämpft werden – mithin keine Wesen bevorzugen, bloß weil sie ähnlich wie Menschen denken. – Erwiderung:
66 M. Balluch, Widerstand in der Demokratie, Wien 2009.
67 Helsinki Collegium for Advanced Studies, „Cetacean Rights: Fostering Moral
and Legal Change“, University of Helsinki (http://www.cetaceanrights.org/con­
ference.php), zuletzt abgerufen am 01.01.2010.
68 C. Goldner, Lebenslänglich hinter Gittern. Die Wahrheit über Gorilla, Orang
Utan & Co in deutschen Zoos, Aschaffenburg 2014.
69 M. Schmidt-Salomon, Manifest des Evolutionären Humanismus. Plädoyer für
eine zeitgemäße Leitkultur, Aschaffenburg 2006.
Menschenaffen als Personen?
33
Die Pionier-Initiative GAP hindert niemanden, für diese Einsicht
zu werben.
Die Tierrechtlerin Franziska Brunn klagt, es ginge beim GAP
„nicht um die Tiere in den Menschenaffen, es geht um das große
Stück Menschlichkeit in ihrem Aussehen und in ihrem Verhalten“.70
Insofern würden es andere Tierformen stets schwerer haben, entsprechend wahrgenommen zu werden. Denn wie klug Delfine, Wale
oder Wölfe sein mögen, sie lösen nicht wie Primaten eine Emotion
der Verbundenheit aus. (Anmerkung: Frappierende äußerliche Ähnlichkeit kann allerdings auch zu impulsiver Zurückweisung führen,
wenn nicht-menschliche Primaten als ‚karikierte Menschen‘ wahrgenommen werden.)
Frans de Waal gehört zwar zu jenen Primatologen, die eine
eher gradualistische Position einnehmen, also mehr die fließenden
Übergänge statt harter Grenzen zwischen Menschen und anderen
Arten betont. Gleichwohl hält er Nabelschau für logisch inkonsistent: „Wenn Rechte proportional mit der Anzahl menschenähnlicher
Eigenschaften einer Spezies zunehmen, kann man sich nur schwer
der Schlussfolgerung entziehen, die Menschen selber könnten am
meisten Rechte für sich beanspruchen“.71 In der Tat sind bestimmte Rechte auf spezifische Interessen von Menschen zugeschnitten,
vom Wahl- bis zum Bildungsrecht. Zudem werden im Sinne positiver Diskriminierung manchen Menschengruppen Privilegien
eingeräumt, etwa durch Frauenquoten oder wenn in Indien der Zugang zur Universität für Mitglieder benachteiligter Kasten (‚scheduled casts‘) vereinfacht ist. Insofern existieren auch innerhalb der
Kategorie ‚Mensch‘ Individuen, die über mehr Rechte als andere
verfügen. Sensibilität für spezifische Situationen oder Bedürfnisse
verunmöglicht allerdings keineswegs, generelle Grundrechte wie
die auf Leben und Freiheit universell zu konzipieren.
Dennoch: Wer Menschenaffen priorisiert, und als nächstes Elefanten und Walen um ihrer Intelligenz willen die Türe in eine privilegierte Welt öffnet, propagiert Kognitivismus – weil jene Tiere
bevorzugt werden, deren Denken dem unseren ähnelt. Der englische Philosoph Jeremy Bentham wies das bereits 1789 vehement
zurück. Leicht paraphrasiert lautet Benthams berühmter Satz: „Die
70 F. Brunn, „Wer wie wir ist, bekommt Rechte?!“
71 F. de Waal, Der gute Affe, München 2000; Erstausgabe: Good Natured. The
Origins of Right and Wrong in Humans and Other Animals, Cambridge (MA),
London 1996.
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Volker Sommer
Frage ist nicht: ‚Kann das Tier denken?‘ Sondern: ‚Kann das Tier
leiden?‘“.72 Benthams pathozentrische Ethik (griechisch ‚pathein‘,
leiden) fordert, allen empfindungsfähigen Lebewesen ein Verfügungsrecht am eigenen Leib und Selbstbestimmung zuzusprechen.
Dieser Sentientismus – auch als ‚Sentiozentrismus‘ oder unter Bezug auf Schmerzempfindlichkeit als ‚painism‘ bezeichnet73 – ist sicherlich ein tragfähigeres Fundament für eine moderne TierrechtsPhilosophie, als der Kognitivismus.
Gewiss, wer sich für das Teilziel GAP engagiert, mag träge werden und das milliardenfache Leid ausblenden, das mit Massenproduktion von Nutztieren und Qualzucht von Haustieren einhergeht.
Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass jene, die Grundrechte für
Menschenaffen fordern und dabei deren menschenähnliche Denklandschaften als Argument anführen, abstumpfen werden hinsichtlich umfassenderer Probleme. Eher ist das Gegenteil zu vermuten.
3. Stichwort Ökonomisierung. – Einwand: Individuelle ‚Rechte‘
zementieren kapitalistische Wirtschaftsprozesse und propagieren
Eigen­nutz statt Systemänderung. – Erwiderung: Auch ein ‚falscher‘
Weg kann zu einem ‚richtigen‘ Ergebnis führen.
Laut Karl Marx dient das Konzept von ‚Rechten‘ den Besitzenden – die sich so Eigentum gegenüber Besitzlosen sichern. Folgen
wir dieser Logik, dann wären Rechte für Menschenaffen rückschrittlich, weil der Dualismus Mensch-versus-Tier ersetzt wird
durch Gleich-versus-Ungleich. Um den Kreis der neu Berechteten
werden frische Zäune errichtet. Die Zuschreibung von Rechten
an Einzelne spiegelt also eine Privatisierung wider. Dadurch wird
selbst das Miteinander schlussendlich ökonomisiert und kommerzialisiert. Es kommt zur Kommodifikation, bei der alles zur Ware und
wirtschaftlich verwertbar wird.74
Im Diskurs um sexuelle Selbstbestimmung wird oft argumentiert, dass Homosexualität oder Bisexualität manifeste sexuelle Orientierungen sind, und dass Angehörige solcher Kategorien anzuerkennende Minderheiten seien. Damit gehen bestimmte Rechte und
ökonomische Vorteile einher. Wer sie wahrnehmen will, muss sich
72 Zitiert in L. Gruen, „The moral status of animals“.
73 R. Ryder, Speciesism, Painism and Happiness, Exeter 2011.
74 U. Schimank, U. Volkmann (Hrsg.), The Marketization of Society: Economizing
the Non-Economic (Forschungsverbund „Welfare Societies“, Universität Bre­
men) Bremen 2012; vgl. auch F. Brunn, „Wer wie wir ist, bekommt Rechte?!“
Menschenaffen als Personen?
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mithin automatisch dem dominierenden politischen und legalen
Rahmen von Heteronormativität bzw. sexueller Diversität unterordnen. Keinen legalen Schutz finden sexuelle Präferenzen – etwa
Polyamory –, die fluide sind, sich mithin einer Essentialisierung
verweigern und damit schlecht in kategoriale Schubladen passen.
Viele Menschen bezeichnen sich also als schwul oder lesbisch, weil
dieses Identitäts-Narrativ erlaubt, über das Werkzeug des strategischen Essentialismus weniger Diskriminierung zu erfahren und an
den für anerkannte Minoritäten reservierten Privilegien zu partizipieren.75
Ganz ähnlich orientiert sich die Forderung nach Rechten für
Menschenaffen am dominanten Diskurs der Menschenrechte. Sollten aber moralische Überlegungen nicht besser politische Machtstrukturen hinterfragen und sich an sozialen Dimensionen orientieren? Entsprechend meint der ökologische Feminismus, die Logik
der Herrschaft, wie sie sich im traditionellen Mann-Frau-Verhältnis
manifestiert, würde auch die Separierung von Mensch und Tier untermauern. Der Kategorie ‚Mensch‘ einige andere Kreaturen zuzuschlagen, verschiebt die Grenze lediglich ein wenig. Weil aber niemand frei ist, wenn nicht alle frei sind, müsse Emanzipation angestrebt werden auf einer ökosystemischen Ebene.76
Derlei ‚romantische‘ Gedanken berühren mich durchaus. Wenn
ich Zeit in Regenwäldern der Tropen verbringe – was über Jahre
hinweg und durch Jahrzehnte hindurch zu meinem Leben gehört –,
empfinde ich dieses wundervolle Universum von Biodiversität intuitiv in holistischer Dimension.77 Wird ein Mahagoni herausgesägt,
wird ein Gorilla herausgefangen, wird ein Bienennest herausgehackt, dann verletzt das die Autonomie des Ganzen. Somit haftet
der Idee von ‚Rechten‘ für eine winzige Minderheit von Organismen gleichfalls etwas Separierendes und Zerstückelndes an.
Der intellektuelle Horizont des vorliegenden Essays beschränkt
sich damit klar auf ‚westliche‘ Denke und Weltanschauung. Die Kategorie der Person ist implizit und explizit ein Mittel der Unterscheidung – zwischen dem Selbst und dem Anderen. Die Strukturdynamik von ‚othering‘ oder ‚alterity‘ (um sozialanthropologischen
Jargon zu benutzen) mag in anderen Kulturkreisen nicht oder sehr
75 C. Klesse, „Polyamory: Intimate practice, identity or sexual orientation?“, in:
Sexualities, 17/2013, S. 81-99.
76 G. Gaard (Hrsg.), Ecofeminism: Woman, Animals, Nature, Philadelphia 1993.
77 V. Sommer, Das grüne All. Ein Poem aus dem Regenwald, Stuttgart 2002.
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anders existieren. Hingewiesen sei auf indigene Ethnien in Südamerika, denen die in uns tief verankerten Dualismen von Selbst/Andere oder Körper/Seele fremd zu sein scheinen, und für deren Weltanschauung Anthropologen deshalb Begriffe benutzen wie ‚Perspektivismus‘, ‚transspecies engagement‘ oder ‚Transformabilität‘.78
Dennoch hat auch ein solch integrales Gewebe blutige und grausame Dimensionen. Viele Bewohner Westafrikas zweifeln nicht,
dass Menschenaffen eigentlich Menschen sind. Zahlreiche Narrative erläutern, warum sie als Schimpansen im Wald leben.79 Da gibt
es jene, die Gottes Gebot missachteten und am Feiertag fischen gingen; andere benutzten widerrechtlich die Kalabasse ihrer Schwiegermutter; die dritten stritten sich, bis sie es vorzogen, nicht mehr
mit Menschen zu reden; wieder andere waren stur im Umgang und
leben lieber abseits im Busch. Schimpansen werden auch Hebammenkünste zugeschrieben und man glaubt, dass die starken Menschenaffen im Krieg mit Nachbarstämmen helfen können. Solche
Menschenähnlichkeit ist aber Segen und Fluch zugleich. Zwar mag
die Jagd dadurch teilweise tabuisiert werden. Andererseits heizen
magische Potenzen Tötungen geradezu an. So werden gebrochene
Extremitäten mit Schimpansenknochen geschient, um das Heilen
zu beschleunigen. Eine Mixtur aus zerriebenen Knochen wird Kindern verabreicht, damit ihr Skelett stark wird, sowie Ringkämpfern,
die dadurch schwer besiegbar werden. Schulpflichtige trinken aus
der Schädelkalotte eines Schimpansen, was sie klug machen soll. In
manchen Dörfern schließlich werden Feiern zu Ehren eines Schimpansentöters abgehalten – ähnlich jenen Zeremonien, die einen
Krieger glorifizieren, der einen Widersacher in der Schlacht vernichtete.
Obwohl speziell Peter Singer um eine lückenlos logische Begründung bemüht ist,80 haftet dem Great Ape Project mit seiner in-
78 E. Kohn, „How dogs dream: Amazonian natures and the politics of transspe­
cies engagement“, in: American Ethnologist, 34/2007, S. 3-24; V. E. Grotti, M.
Brightman, „Humanity, personhood and transformability in Northern Amazo­
nia“, in: M. Brightman, V. E. Grotti, O. Ulturgasheva (Hrsg.), Animism in Rain­
forest and Tundra: Personhood, Animals and Non-Humans in Contemporary
Amazonia and Siberia, Oxford 2012, S. 162-174.
79 G. Nyanganji, A. Fowler, A. McNamara, V. Sommer, „Monkeys and apes as ani­
mals and humans Ethno-primatology in Nigeria’s Taraba region“, in: V. Som­
mer, C. Ross (Hrsg.), Primates of Gashaka. Socioecology and Conservation in
Nigeria’s Biodiversity Hotspot, New York 2011, S. 101-134.
80 P. Singer, Practical Ethics.
Menschenaffen als Personen?
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dividualistischen Ausrichtung bei detaillierter Hinterfragung durchaus etwas von ‚quick-and-dirty‘ an. Dennoch glaube ich, mich dabei
für Richtiges und Gutes zu engagieren. Selbst die GAP-skeptische
Tierrechtlerin Sina Walden meint, dass sich rückblickend kaum
entscheiden lässt, was bei flächendeckenden, moralisch relevanten
Veränderungen den Ausschlag gab. Führten ökonomische Interessen der USA-Nordstaaten zur Befreiung der Sklaven in den Südstaaten? Oder war ‚die Zeit reif‘ für solche Ideen? Oder war es die
‚Stimmung‘, die von einem herzbewegenden Buch wie „Onkel Toms
Hütte“ ausging? Sina Walden resümiert deshalb: „Der ‚falsche‘ Weg
kann zum guten Ergebnis führen, der ‚richtige‘ ins Nichts – oder
umgekehrt“.81 Ich zumindest bin gespannt.
Ein abschließender Vorbehalt bezieht sich auf das
4. Stichwort: Illusionismus. – Einwand: Extreme Tierrechts-Forderungen sind politisch nicht durchsetzbar. – Erwiderung: Anti-Diskriminierungs-Kampagnen brauchen oft Jahrzehnte bis zu ersten
Erfolgen.
Als ich das Thema der Personenrechte für Menschenaffen vor
etwa zehn Jahren erstmals in Vorträgen und Interviews ansprach,
waren Publikum und Gesprächspartner oft perplex – nach dem
Motto „Der Affenforscher war wohl zulange allein im Wald“. Der
Neustart der GAP-Kampagne im Jahre 2011 traf auf eine veränderte Stimmungslandschaft. Bei öffentlichen Diskussionen merke ich
nun eine immense Neugier, sich mit der Grundrechtsfrage zu beschäftigen – vielleicht, weil sie intellektuell herausfordert und weil
Rückkopplung mit einer spannenden und populären Wissenschaftsdisziplin wie der Verhaltensbiologie ein Trumpf ist. Überdies verkörpern Gorilla & Co. Sympathieträger ersten Ranges. Schließlich
und endlich müsste auch niemand durch den Totalschutz unserer
Verwandten seinen alltäglichen Lebensstil ändern – anders als beim
Thema Vegetarismus.
Eine offensichtliche Parallele ist jedenfalls verheißungsvoll. Denn
bis in die jüngste Vergangenheit hinein erschien es in disparaten
kulturellen Kontexten als komplett absurd, dass etwa Muslime,
Sklaven, Homosexuelle, ‚Indianer‘, Frauen, ‚Neger‘, Kinder oder
Juden irgendwelche Rechte haben sollten. Wer hätte vor 20 Jahren
geglaubt, dass gleichgeschlechtliche Paare heiraten und Kinder ad81 S. Walden, „Privilegien für Menschenaffen?“
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Volker Sommer
optieren dürfen? Und dass dies heute in mehr und mehr Nationen
zum sozialen Konsens gehört?
Das GAP hat bereits mehrere Entwürfe von Gesetzen angeregt,
auch wenn die nicht oder nur halbherzig umgesetzt wurden. Die
Neuregelungen beziehen sich zudem gewöhnlich auf ein Verbot
biomedizinischer Experimente – wie etwa in Neuseeland (1999),
Österreich (2005) oder Spanien (2008) –, während der ‚Rechtsgedanke‘ eine eher untergeordnete Rolle spielt.82 Doch auch vormalige
Anti-Diskriminierungs-Bewegungen brauchten langen Atem.
Jenseits der Einwände: Die Zukunft versuchen
Im Mai 2014 lud das GAP in Berlin zu einer Pressekonferenz ein,
um einen beim Petitionsausschuss des Bundestages eingereichten
Text Nr. 51830 vorzustellen. Wortlaut: „Der Deutsche Bundestag
möge beschließen, dass Große Menschenaffen als Rechtspersonen
anerkannt werden. Hierzu soll Artikel 20a GG ergänzt werden
durch: ‚Das Recht der Großen Menschenaffen auf persönliche Freiheit, auf Leben und körperliche Unversehrtheit wird geschützt.‘“
Wo sonst oft mehr Einladende sitzen als Journalisten, war der
Saal überfüllt. Die Veranstaltung schlug hohe Wellen. Der Spiegel,
ZDF heute, Südwestrundfunk, Die Welt, GEO, Die Morgenpost,
Tina, Cicero und als Adelsschlag eine 5-seitige Titelgeschichte in Die
ZEIT – zahllose Medien berichteten mehr oder weniger wohlwollend.83 Das Thema ‚Grundrechte für Menschenaffen‘ gehört somit
im deutschsprachigen Raum mittlerweile zur Substanz politischer
und intellektueller Debatten. Es wird stetig schwieriger, jene als
Spinner abzutun, die sich für den Gedanken einsetzen, dass unsere
allernächsten Verwandten Personen wie Du und Ich sind.
Daran ändert auch die vorläufige Ablehnung der Petition durch
den Ausschuss des Deutschen Bundestages nichts. Begründung:
„Die Grundrechte (Artikel 1 bis 19 Grundgesetz) sind natürlichen
Personen vorbehalten und erstrecken sich nicht auf alle Lebewe82 Vgl. den Eintrag „Animal rights“, in: Wikipedia. The Free Encyclopedia (http://
en.wikipedia.org/w/index.php?title=Animal_rights&oldid=642140950), zuletzt
abgerufen am 12.01.2015.
83 Pressespiegel in (http://www.greatapeproject.de) zuletzt abgerufen am 04.12.
2015.
Menschenaffen als Personen?
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sen. Auch wenn von einer hohen genetischen Übereinstimmung
von großen Menschenaffen und Menschen ausgegangen werden
kann, handelt es sich bei diesen Affen um Tiere.“ Moment mal: „…
handelt es sich um Tiere …“ – das war doch gerade der springende
Punkt, oder? Nun ja, Einspruch ist eingelegt, und die Ablehnung
bewirkt gesteigerte Publicity für die Sache …
Ein bekennender Menschenaffe wie ich wagt indes zu hoffen,
dass meine Nachfahren – wie es ein Mitstreiter, der Philosoph Michael Schmidt-Salomon formulierte – auf den Speziesismus unserer Tage mit der gleichen Fassungslosigkeit zurückblicken werden,
mit dem wir heute auf vormaligen Rassismus und Nationalismus
schauen.84
PS: Im Dezember 2014 lehnt es ein Gericht in den USA ab, einem
Schimpansen Grundrechte zuzusprechen.85 In der Begründung wird
behauptet, dass Menschenaffen keine Personen seien („So far as legal theory is concerned, a person is any being whom the law regards as capable of rights and duties. Needless to say, unlike human
beings, chimpanzees cannot bear any legal duties, submit to societal
responsibilities or be held legally accountable for their actions“).86
PPS: Während ich diese Zeilen schreibe, spricht im Dezember 2014
ein Gericht in Argentinien der seit Jahrzehnten im Buenos Aires
Zoo eingesperrten Orang-Utan-Frau ‚Sandra‘ Rechte zu, die ihren
Status als „nicht-menschliche Person“ anerkennen.87 Als Konsequenz muss der Zoo sie in eine weitläufigere Schutzstation überführen. Ein kleiner, zu kleiner Sieg von Tierrechtlern? Vielleicht.
Doch wenn wir auf andere Emanzipationsprozesse zurückblicken,
gewannen auch sie oft über ‚Einzelfälle‘ an Dynamik. Genannt
seien hier Lord Mansfields Freisprechung des ‚Negersklaven‘ James
84 M. Schmidt-Salomon, „Grundrechte für Menschenaffen“, in: P. Cavalieri, C.
Goldner, P. Singer, M. Schmidt-Salomon, V. Sommer, Grundrechte für Men­
schenaffen, Schriftenreihe der Giordano-Bruno-Stiftung, Bd. 4, Aschaffenburg
2011, S. 7-13.
85 Nonhuman Rights Project, „Transcript of the Hearing re. Kiko at the Appellate
Court“ (http://www.nonhumanrightsproject.org/), zuletzt abgerufen am 09.
01.2015; vgl. S. Wise, Rattling the Cage: Toward Legal Rights for Animals,
Cambridge (MA) 2000.
86 BBC News, „US chimpanzee Tommy ‚has no human rights‘-court“ (http://www.
bbc.co.uk/news/world-us-canada-30338231), zuletzt abgerufen am 04.12.2014.
87 BBC News, „Court in Argentina grants basic rights to orangutan“ (http://
www.bbc.co.uk/news/world-latin-america-30571577), zuletzt abgerufen am 21.
12.2014.
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Somerset in Großbritannien (1772); das Urteil gegen Rosa Parks,
die sich in Selma, Alabama, geweigert hatte, ihren Sitz im Bus für
weiße Passagiere frei zu machen (1955); die Grundsatzentscheidung
zur Abtreibung in den USA, ausgefochten für Norma McCorvey
alias Jane Roe (1973); oder der Rechtsfall, mit dem Edith Windsor
in den USA erfolgreich dagegen klagte, dass ‚Heirat‘ und ‚Ehepartner‘ Institutionen sind, die ausschließlich für Heterosexuelle gelten
(2013). Vielleicht ist der Fall Sandra also ein neuerlicher „crack in
the wall“,88 jener Riss, dem alsbald der Fall einer Mauer folgt.
88 Vgl. P. Singer, In Defense of Animals, New York 1985.