Ape Culture / Kultur der Affen
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Ape Culture / Kultur der Affen
Ape Culture / Kultur der Affen Ausstellung 30.4.-6.7.2015 Eröffnung: 29.4., 18h Haus der Kulturen der Welt Stand: 29.4.2015 Änderungen vorbehalten Inhalt o o o o o o o o o Pressemitteilung Werkliste Künstler Kuratoren Kooperative für Darstellungspolitik zur Ausstellungsarchitektur Studio Matthias Görlich zur Ausstellungsgestaltung Informationen zum Katalog „Ape Culture / Kultur der Affen“ Kids&Teens-Workshops Service-Info und Media Material o Handout zur Ausstellung Mit Intro der Kuratoren, Kurzbeschreibungen der künstlerischen Arbeiten, Kurztexte zu den ausgestellten Materialien aus Forschung und Populärkultur (16 Wände), Programmüberblick o Vorabdruck – Katalog Astrid Deuber-Mankowsky: Wo zum Teufel ist der Ausgang aus diesem Feld? Zur Aktualität von Donna Haraways Wissensgeschichte der Primatologie o Vorabdruck – Katalog Cord Riechelmann: Ein Affe allein ist kein Affe o Vorabdruck – Katalog Christophe Boesch im Gespräch mit Cord Riechelmann: „Man könnte uns als SchimpansenEthnografen bezeichnen“ Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Pressemitteilung Ape Culture / Kultur der Affen Ausstellung 30.4.-6.7.2015 Eröffnung: 29.4.2015, 18h Preview für die Presse: 29.4.2015, 17h Berlin, 29.4.2015 Die Ausstellung Ape Culture / Kultur der Affen zeigt künstlerische Arbeiten und Dokumente, die das Verhältnis des Menschen zu den anderen Primaten betrachten. Als Grenzfigur zwischen Mensch und Tier spielt der Affe schon seit der Antike eine zentrale Rolle im Narrativ des zivilisatorischen Fortschritts. Aus einem Instrument zur menschlichen Selbstdefinition wurde ein Testfall für die Möglichkeit der Neugestaltung menschlicher „Natur“ – ein unsicheres Terrain, in dem sich un(ter)bewusste soziale Ordnungsvorstellungen erschließen. Ape Culture / Kultur der Affen untersucht das hegemoniale wie subversive Potenzial der Repräsentationen von Affen und reflektiert den Begriff der „Kultur“. In der Ausstellung setzen sich Künstler wie Ines Doujak, Pierre Huyghe und Klaus Weber kritisch mit den Bildern von Menschenaffen und ihrer Rolle in der „Primatenordnung“ (Donna Haraway) auseinander. Materialien aus den Naturwissenschaften und der Populärkultur zeugen darüber hinaus vom radikalen Wandel der Vorstellung, die wir uns von unseren nächsten Verwandten machen. So beobachtet Frederick Wisemans Film „Primate“ von 1974 die täglichen Abläufe im Yerkes Primate Research Center in Atlanta. Vordergründig dokumentiert der Film die durchgeführten Studien zu Lernfähigkeit, Erinnerungsvermögen und Sexualverhalten. Tatsächlich aber hinterfragt er, wie Wissenschaft gemacht wird: „One set of primates who have power, using it against another who haven’t“, wie es der britische Filmkritiker Derek Malcolm ausdrückte. Coco Fusco greift in ihrer Performance Observations of Predation in Humans: A Lecture by Dr. Zira, Animal Psychologist – als Film während der gesamten Laufzeit und live am 2. Juli um 19.30h zu sehen – auf die legendäre Schimpansin Dr. Zira aus der Filmserie „Planet der Affen“ zurück: Nach zwanzig Jahren abgeschiedener Forschungsarbeit kehrt Dr. Zira in die Öffentlichkeit zurück, um ihre Einschätzung der besonderen Charakteristika menschlicher Aggression im 21. Jahrhundert zu präsentieren. Am 30. April rahmen drei Veranstaltungen die Ausstellung Ape Culture / Kultur der Affen ein. Eine Präsentation von Marcus Coates und eine Performance von Ines Doujak (mit John Barker und Matthew Hyland) thematisieren um 18.30h Aspekte von Empathie und Objektivierung sowie koloniale Mythen und Repräsentationspolitik. Um 20h spricht der Primatologe Christophe Boesch zum Thema "Is Culture a Golden Barrier Between Human and Chimpanzee?" Am 3. Mai, 17h spricht Klaus Weber mit Jörg Heiser, Frieze“ Co-Editor, über seine Installationen Shape of the Ape und Kouros (walking man), die in der Ausstellung gezeigt werden. Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Pressemitteilung Bei Kouros handelt es sich um zwei Halbschalen: die Negativform eines hochgewachsenen, schlanken Mannes in der Pose der archaischen griechischen Skulptur, mit erigiertem Geschlechtsteil. Der ursprüngliche Gipsabguss entstand in einer Neumondnacht bei einem Experiment als Teil einer erotischen Party in einem Berliner Club. Ein Video des Experiments mit dem Sound von Webers Large Dark Wind Chime begleitet die Arbeit und wird beim Artist Talk erstmals öffentlich präsentiert. Am 17. Mai, 17h hält Tetsuro Matsuzawa einen Vortrag. Der japanischer Primatologe und Verhaltensforscher ist gegenwärtig Professor am Primate Research Institute an der Universität Kyōto. Der Katalog zur Ausstellung erscheint bei Spector Books und enthält eine Einführung von Anselm Franke und Hila Peleg, Beiträge von Christophe Boesch, Astrid Deuber-Mankowsky, Ines Doujak, John Barker undMatthew Hyland, Rachel O'Reilly, Cord Riechelmann u.a. sowie eine Dokumentation der Ausstellung. Mit Werken von Lene Berg, Marcus Coates, Anja Dornieden & Juan David González Monroy, Ines Doujak, Coco Fusco, Jos de Gruyter & Harald Thys, Pierre Huyghe, Louise Lawler, Damián Ortega, Nagisa Ōshima, Erik Steinbrecher, Rosemarie Trockel, Klaus Weber, Frederick Wiseman Kuratoren: Anselm Franke und Hila Peleg Beiträge und Mitarbeit: Cord Riechelmann und Christophe Boesch Ausstellungsarchitektur: Kooperative für Darstellungspolitik Ausstellungsgestaltung: Studio Matthias Görlich Das Haus der Kulturen der Welt wird durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie durch das Auswärtige Amt gefördert. Die Performance von Coco Fusco findet im Rahmen von Ape Culture / Kultur der Affen und SYNAPSE - Das Internationale Kuratorennetzwerk statt. Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Werkliste Lene Berg Kopfkino (mindfuck), 2012 Film HDV, Farbe, Stereo 75 Min. Courtesy die Künstlerin, Berlin / New York Im Auftrag von Henie Onstad Kunstsenter (HOK), Norwegen C. R. Carpenter Macaca fuscata (Cercopithecidae) – Tree-top Signaling, 1971 Digitale Übertragung vom 16 mm-Film, Farbe, ohne Ton 4 Min. 30 Sek. Courtesy Technische Informationsbibliothek (TIB), Hannover Marcus Coates in Zusammenarbeit mit Volker Sommer Degreecoordinates Shared traits of the Hominini (Humans, Bonobos and Chimpanzees), 2015 Folienschrift auf Wand Dimensionen variabel Courtesy Kate MacGarry London; Workplace Gallery, UK Anja Dornieden & Juan David González Monroy The Masked Monkeys, 2015 Digitale Übertragung vom 16 mm-Film, s/w, Ton 32 Min. Courtesy die Künstler, Berlin Ines Doujak in Zusammenarbeit mit John Barker und Matthew Hyland 06 Kriminalaffe, 2015 Mixed media Dimensionen variabel Courtesy die Künstlerin, Wien / London Produziert mit Unterstützung vom Haus der Kulturen der Welt, Berlin Coco Fusco TED Ethology: Primate Visions of the Human Mind, 2015 Video, Farbe, Ton 49 Min. Courtesy die Künstlerin, New York Produziert im BRIC’s Community Media Center in Brooklyn Zusätzliche Unterstützung der Produktion durch das Haus der Kulturen der Welt, Berlin Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Werkliste Jos de Gruyter & Harald Thys Die Aap van Bloemfontein, 2014 (The Ape of Bloemfontein) Video, Farbe, Ton 23 Min. Courtesy Galerie Micheline Szwajcer, Brüssel; Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin Pierre Huyghe Untitled (Human Mask), 2014 Film, Farbe, Ton 19 Min. Courtesy Marian Goodman Gallery, New York; Hauser & Wirth, London; Esther Schipper, Berlin; Anna Lena Films, Paris. Louise Lawler Michael, 2001 Cibachrome kaschiert auf Museumsbox 151.76 x 116.84 cm Courtesy die Künstlerin, New York; Sprüth Magers, Berlin; Metro Pictures, New York Damián Ortega Transición del mono al hombre, 2015 (Transition from Ape to Man) Modellhand aus Holz und Stahlmesser 37 x 12 x 6 cm Courtesy der Künstler; kurimanzutto, Mexico City Damián Ortega Short History of Gesture, 2. Syntax: arms / hands, 2013 Mixed media Dimensionen variabel © der Künstler, Mexico City Courtesy White Cube, London Damián Ortega The root of the root, 2011–2013 Holz / Wood Dimensionen variabel © der Künstler, Mexico City Courtesy White Cube, London Erik Steinbrecher AFFE, 2015 Puppe, Kleider, Gehstöcke und hängende Maske Dimensionen variabel Courtesy der Künstler, Berlin Produziert mit Unterstützung vom Haus der Kulturen der Welt, Berlin Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Werkliste Erik Steinbrecher SHE APE / APE MAN, 2015 Offsetdruck auf Papier 29.7 x 42 cm Courtesy der Künstler, Berlin Produziert mit Unterstützung vom Haus der Kulturen der Welt, Berlin Rosemarie Trockel Ohne Titel, 1987 (Teil der Installation Pennsylvania Station) Bleistift auf Papier 49.8 x 66.8 cm / 69.1 x 86.2 x 2.4 cm Courtesy Sammlung Goetz, München Rosemarie Trockel Ohne Titel, 1987 (Teil der Installation Pennsylvania Station) Collage auf Papier 76.4 x 56 cm / 84.5 x 64 x 2.4 cm Courtesy Sammlung Goetz, München Rosemarie Trockel Ohne Titel, 1984 Gouache und Tusche auf Papier 23.8 x 19.8 cm / 50.2 x 40.2 cm Courtesy Ken & Helen Rowe, London Rosemarie Trockel Ohne Titel, 1984 Gouache und Tusche auf Papier 25.9 x 20.9 cm / 48 x 42 cm Courtesy Privatsammlung Nagisa Ōshima Max, mon amour, 1986 Digitale Übertragung von DigiBeta, Farbe, Ton 92 Min. © 2015 STUDIOCANAL GmbH, Berlin. Alle Rechte vorbehalten. Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Werkliste Klaus Weber Shape of the Ape, 2007 Mixed media Dimensionen variabel Courtesy der Künstler, Berlin; Andrew Kreps Gallery, New York; Herald Street, London Bestehend aus: Puzzled Ape, 2007 Eisenguss, gerostet und gewachst Torso auf einem Bücherstapel: 130 x 91 x 71 cm Affenkopf: 28 x 53 x 30 cm Menschlicher Schädel: 28.5 x 46 x 30 cm Beine: 27 x 63 x 41 cm Untitled (collection of 30 vintage figurines), 2007 Mixed media auf Glaspodesten Dimensionen variabel Klaus Weber Kouros (Walking Man), 2015 Gipsmaterial Halbschale Vorderkörper: 185 x 56 x 40 cm Halbschale Rückkörper: 163 x 61 x 79 cm Courtesy der Künstler, Berlin Produziert mit Unterstützung vom Haus der Kulturen der Welt, Berlin; Andrew Kreps Gallery, New York; Herald Street, London Frederick Wiseman Primate, 1974 Digitale Übertragung vom 16 mm-Film, s/w, Ton 105 Min. Courtesy Zipporah Films, Cambridge, Massachusetts Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Künstler Lene Berg (Berlin / New York) Lene Berg (*1965), Filmemacherin und Künstlerin, bezieht ihre Anregungen häufig aus dokumentarischem Material. Ihre künstlerische Praxis beinhaltet Installationen, Performances, Film, Fotografie und textbasiertes Arbeiten, zudem entwickelte sie mehrere Projekte im öffentlichen Raum. Lene Bergs Werke greifen häufig ikonische, kunsthistorische Aspekte auf und verstehen sich als Schnittpunkte von visueller und politischer Geschichte. Weitere Themen sind das Verhältnis zwischen Kunst und Propaganda sowie die Repräsentation von Wahrheit und Einbildung. Lene Berg studierte Filmregie am Dramatiska Institutet in Stockholm, sie lehrt an verschiedenen Hochschulen. Einzelausstellungen (Auswahl): 55. Venedig Biennale, Norwegischer Pavillon (2013); Henie Onstad Kunstsenter, Oslo (2012); Konsthall C, Stockholm (2012); Fotogalleriet, Oslo (2008); Cooper Union, New York (2008), Whitechapel Gallery, London (2007). Gruppenausstellungen (Auswahl): The Shadow of War, Kunstnernes Hus, Oslo (2014); Manifesta 8 (2010); Transmediale, Berlin (2008); Sydney Biennale (2008); Pensee Sauvage, Frankfurter Kunstverein (2007). Clarence Ray Carpenter Clarence Ray Carpenter (1905–1975) war ein US-amerikanischer Primatologe, der als einer der ersten Forscher Film- und Videoaufnahmen von Primaten erstellte, um sie in ihrem natürlichen Umfeld zu beobachten. Unterstützt durch Robert M. Yerkes, Professor für Psychobiologie an der Yale University, führte Carpenter in Panama Feldforschungen über das natürliche Verhalten von Primaten durch. Ein Großteil aller Erkenntnisse über das Verhalten von Menschenaffen in freier Wildbahn entstammte in den folgenden 30 Jahren Carpenters Forschungen. Von 1940 bis 1970 war Carpenter Professor für Anthropologie und Psychologie an der Pennsylvania State University, später an der University of Georgia. Er veröffentlichte eine Vielzahl von Artikeln und Filmen, in denen er die wissenschaftliche Verbindung der Verhaltensforschung mit der Evolutionstheorie vorantrieb. Marcus Coates (London) Marcus Coates (*1968) untersucht die Beziehung des Menschen zu Tier und Natur. Er arbeitet mit den Formaten Installation, Fotografie, Skulptur und Performance, um Prozesse zu generieren, die empathische Perspektiven und fiktive Realitäten auf ihre pragmatischen Kapazitäten und Erkenntnispotenziale hin ausloten. Er studierte Kunst am Kent Institute of Art and Design und an der Londoner Royal Academy of Art. Marcus Coates ist Gewinner renommierter Kunstpreise. Ausstellungen (Auswahl): British Council Touring Exhibition in Japan (2014–2015); Centro de Arte Moderna, Lissabon (2013); Serpentine Gallery, London (2011); Museum of Contemporary Art, Tokyo (2010); Sydney Biennale (2010); Kunsthalle Zürich (2009); Tate Trienniale, London (2009); Manifesta 7 (2008), Athens Biennial (2008); White Chapel Gallery, London (2007). Anja Dornieden und Juan David González Monroy (Berlin) Anja Dornieden (*1984), Filmemacherin, studierte Angewandte Medienwissenschaften an der Technischen Universität Ilmenau und der New School University in New York. Ihre Filme wurden auf zahlreichen internationalen Filmfestivals präsentiert, u. a. beim Ann Arbor Film Festival in Michigan, beim Edinburgh International Film Festival, bei den Visions du Réel in Nyon und bei der Duisburger Filmwoche. Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Künstler Juan David González Monroy (*1983), Filmemacher, studierte Anthropologie an der Universidad de Los Andes in Bogota und Medienwissenschaften an der New School University in New York. Seine Arbeiten wurden u. a am Ullens Center for Contemporary Art in Beijing, am Image Forum in Tokyo, beim International Film Festival Rotterdam sowie beim Ann Arbor Film Festival in Michigan gezeigt. Seit 2010 arbeiten Anja Dornieden und Juan David González Monroy unter dem Namen OJOBOCA zusammen. Ihr Werk umfasst Filme, Installationen und Performances. Beide Filmemacher haben sich dem experimentellen Film verschrieben und verwenden seit mehreren Jahren 16mm und Super-8 Film. Beide sind Mitglied im Filmlabor und Künstlerkollektiv LaborBerlin. Ines Doujak (London / Wien) Ines Doujak ist eine feministische Künstlerin, die mit unterschiedlichen Medien arbeitet und sich vor allem mit der politischen Dimension kultureller Austauschprozesse befasst. Sie hat in letzter Zeit Stipendien des Österreichischen Wissenschaftsfonds für zwei ihrer Projekte erhalten: Loomshuttles / Warpaths (2010–2014) untersucht Textilien ausführlich nach ihrer globalen, von Konflikten der Kultur, der Klasse und des Geschlechts geprägten Geschichte; Utopian Pulse: Flares in the Darkroom (gemeinsam mit Oliver Ressler, 2013–2015) umfasste eine Ausstellung an der Wiener Secession (2014) und eine Publikation (Pluto Press, London). Ausstellungsbeteiligungen (Auswahl): Follow the Leader, Johann Jacobs Museum, Zürich (2015); Das Potosí-Prinzip, Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid, Haus der Kulturen der Welt, Berlin und Museo Nacional de Arte La Paz, Bolivien (2010); Ladies Almanack*, Tranzit CZ, Prag (2009); Peripheral vision and collective body, MUSEION, Bozen (2008); documenta 12, Kassel (2007). Gemeinsam mit John Barker: The Beast and the Sovereign, MACBA, Barcelona (2015); Not Dressed for Conquering, Royal College of Art, London (2013); Garden of Learning, Busan Biennale, Korea (2012). Coco Fusco (New York) Coco Fusco (*1960), interdisziplinär arbeitende Künstlerin und Schriftstellerin, erkundet die Beziehung von Frauen, Gesellschaft, Krieg, Politik, Identität und Rasse. Sie hat einen B.A. in Semiotik an der Brown University erworben, einen M.A. in Modern Thought and Literature an der Stanford University und hat an der Middlesex University in Art and Visual Culture promoviert; seit 1988 präsentiert sie weltweit Performances und hält Vorträge, kuratiert und stellt aus. Coco Fusco war 2014–2015 MLK Visiting Professor am Massachusetts Institute of Technology, 2013 erhielt sie ein Guggenheim-Stipendium, den Absolut Art Writing Award sowie ein Fulbright-Stipendium, 2012 ein US Artists Stipendium. Coco Fusco hat an verschiedenen internationalen Biennalen teilgenommen, u. a. an der Whitney Biennial (2008 und 1993), der Performa 05, New York (2005), der Shanghai Biennale (2004) und der Venedig Biennale (2015). Ihre Arbeiten wurden u. a. am Walker Art Center, Minneapolis (2014), am Centre Pompidou, Paris (2014), am New Museum of Contemporary Art, New York (2013), am Contemporary Arts Museum Houston (2012), am Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid (2012) und an der Tate Liverpool (2010) ausgestellt. Jos de Gruyter & Harald Thys (Brüssel) Die Zusammenarbeit von Jos de Gruyter und Harald Thys gründet in einer volksnahen, tragikomischen, zu einer experimentellen Dramaturgie feingeschliffenen Sicht auf die Welt. Für ihre Video- und Fotoarbeiten engagieren sie eine wiederkehrende Gruppe von Laiendarstellern und Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Künstler benutzen zudem eine Reihe adoptierter personae in Form von Hand- und Schaufensterpuppen, Plüschtieren, zusammengebastelten Robotern und weggeworfenem Spielzeug. Diese Figuren spielen wieder und wieder die Dynamik von Machtverhältnissen und emotionaler Verwicklung durch. Sie schaffen Welten, die unserer durchaus ähnlich sind, zugleich aber konzentrierter, bizarrer und grimmiger. (Monika Szewczyk) Jos de Gruyter (*1965) und Harald Thys (*1966) arbeiten seit den späten 1980ern zusammen. Sie haben ihre Arbeit in Einzelausstellungen an etlichen europäischen Institutionen gezeigt, darunter an der Kunsthalle Wien, am M HKA Antwerpen, an der Kunsthalle Basel und bei Culturgest, Lissabon. Außerdem waren sie auf der Biennale von Venedig (2013) und der Berlin Biennale (2008) vertreten. In diesem Frühjahr widmen das CCA Watts Institute for Contemporary Arts in San Francisco, The Power Station in Dallas und das MoMA PS1, New York, ihrem Werk Einzelausstellungen. Pierre Huyghe (Paris) Die Arbeiten von Pierre Huyghe (*1962) treten in unterschiedlichen Formen auf – als lebende Systeme, Objekte, Filme, Fotografien, Zeichnungen und Musik. Seine Filme und Videoinstallationen beschäftigen sich immer wieder mit den verschiedenen Realitätsebenen, die zum Beispiel durch die Synchronisation oder durch die Veränderung des sozialen Kontextes sichtbar werden. Pierre Huyghe studierte an der Ecole Nationale Supérieure des Arts Décoratifs in Paris. 2001 repräsentierte er Frankreich auf der Biennale in Venedig, wo sein Pavillon einen Sonderpreis der Jury gewann. 2006 zeigte er bei der Whitney Biennale in New York, der Wiedereröffnung des ARC/MAM Paris sowie der Tate Modern seinen Film A Journey That Wasn't. Das Kunstmuseum in Basel / Museum für Gegenwartskunst widmete Pierre Huyghe im Januar 2011 eine Ausstellung, in der Völklinger Hütte ist er mit dem Neonobjekt Skin of Light Bestandteil der Dauerausstellung GameArt. Huyghe nahm an der documenta 13 (2012) teil, sowie an Ausstellungen am am Museum Ludwig, Köln (2014); am Centre Pompidou, Paris (2012); und am Los Angeles County Museum of Art (2012). 2013 wurde er mit dem Roswitha Haftmann-Preis ausgezeichnet, 2015 mit dem Kurt-Schwitters-Preis. Louise Lawler (New York) Louise Lawler (*1947), Künstlerin, arbeitet mit Fotografien, Materialbildern und Installationen. Sie absolvierte ihr Studium an der Cornell University in Ithaca, New York und dokumentiert seit 30 Jahren das private Leben der Kunst, indem sie bekannte Kunstwerke in Wohnzimmern von Kunstsammlern, in Museen, Archiven und Auktionshäusern fotografiert. Sie zeichnet auf, wie Werke zu Projektionsflächen von Wünschen gemacht werden. Die künstlerischen Arbeiten, die Lawler fotografiert, sind nur in Ausschnitten zu sehen oder verdeckt, dezentriert und im Detail dargestellt, so dass sie oft manchmal zu erkennen sind – wodurch sie noch stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Ausstellungen (Auswahl): No Drones, Metro Pictures, New York; Sprü th Magers, London; Yvon Lambert, Paris (2014); Louise Lawler: Adjusted, Museum Ludwig, Köln (2013/2014); Long Term View, Dia Art Foundation, New York (2013); (Selected). Louise Lawler, Galerie Neue Meister, Albertinum, Dresden (2012); documenta 12 (2007); Big Bang, Centre Pompidou, Paris (2006); Twice Untitled and Other Pictures (looking back), The Wexner Center, Columbus, Ohio (2006); Louise Lawler and Other Artists, Museum für Gegenwartskunst Basel (2004). Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Künstler Damián Ortega (Mexiko Stadt) Damián Ortega (*1967) begann seine Karriere als politischer Karikaturist, parallel schuf er seine ersten Arbeiten mithilfe von Alltagsgegenständen wie Werkzeugen, Bällen, Mülleimern oder Ziegelsteinen. In seinem künstlerischen Werk beschäftigt er sich mit spezifischen wirtschaftlichen, ästhetischen und kulturellen Konstellationen und damit, wie regionale Kultur und Rohstoffverbrauch zusammenhängen. Mit Cosmic Thing, einem in seine Einzelteile zerlegten und an der Decke befestigten VW Käfer, wurde er 2002 international bekannt, seitdem wurden seine Werke in Einzel- und Gruppenausstellungen ausgestellt, u. a. am Institute of Contemporary Art, Philadelphia (2002), an der Kunsthalle Basel (2004), an der Tate Modern, London und dem Museu da Arte Pampulha, Belo Horizonte (2005), am Museum of Contemporary Art, Los Angeles (2007), am Centre Pompidou, Paris (2008), am Institute of Contemporary Art, Boston (2009), an der Barbican Curve Gallery, London (2010), am Freud Museum, London (2013) und am Museu de Arte Moderna do Rio de Janeiro (2015). Nagisa Ōshima Nagisa Ōshima (1932–2013) war ein japanischer Filmregisseur, Drehbuchautor und Produzent. 1959 begann er als Regisseur für das Filmstudio Shochiku zu arbeiten und galt schon bald als einer der führenden Vertreter der Nuberu bagu, der Neuen Welle. 1976 gelang ihm mit dem Skandalfilm Im Reich der Sinne (Ai no korīda) ein internationaler Erfolg. 1978 feierte Im Reich der Leidenschaft (Ai no bōrei) Premiere, der bei den Filmfestspielen in Cannes den Preis für die beste Regie gewann. „Max, mon amour“ (1985) zählt zu Nagisa Ōshimas Spätwerk. Erik Steinbrecher (Berlin) Der Künstler Erik Steinbrecher (*1963) arbeitet mit den unterschiedlichsten Materialien. Indem er sie in neue Erscheinungsformen überführt, produziert er eigene Szenarien und schafft verblüffende Zusammenhänge. Seine Arbeiten umfassen Werke im öffentlichen Raum, Skulpturen, Fotoinstallationen, Video, Grafik und Künstlerbücher. Erik Steinbrecher studierte Kunst und Geschichte in Basel und Architektur in Zürich bei Fabio Reinhardt. 2006 war er Gastprofessor an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg, seit 2008 lehrt er an der Zürcher Hochschule der Künste. Einzel- und Gruppenausstellungen (Auswahl): documenta x (1997); Kunst-Werke Berlin; MoMA PS1, New York (2000–2001); Kunsthalle Wien (2004); Museum Haus Konstruktiv in Zürich (2004); Kunstbibliothek – Staatliche Museen zu Berlin (2012); Haus der Kulturen der Welt, Berlin (2012); Graphische Sammlung der ETH Zürich (2014). Rosemarie Trockel (Köln) Rosemarie Trockel (* 1952) ist bildende Künstlerin, Professorin an der Kunstakademie Düsseldorf und Mitglied in verschiedenen Akademien für Kunst und Wissenschaft. Ihr vielseitiges Werk umfasst Skulpturen, Keramiken, Wollbilder oder Zeichnungen ebenso wie Videoarbeiten und große Installationen. Ihre Arbeiten sind weder auf eine Ikonografie noch auf eine bestimmte Kunsttheorie festzulegen und stellen gesellschaftliche Rollenmodelle und verfestigte Normen in Frage. Die Künstlerin befasst sich häufig mit feministischen Themen, Motiven aus der Tierwelt oder auch mit Theorien der Sexualität, Kultur und künstlerischen Produktion. 1988 stellte sie am Museum of Modern Art in New York aus, 1999 bespielte sie als erste Künstlerin den deutschen Pavillon auf der Biennale Venedig und war 2013 erneut beteiligt, 1997 und 2012 nahm sie Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Künstler an der documenta in Kassel teil. Ihre Einzelausstellungen waren u. a. zu sehen am Kunsthaus Bregenz (2015), am Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía in Madrid, am New Museum in New York, an der Serpentine Gallery in London (2012/2013), am WIELS Centre D’Art Contemporain in Brüssel, am Culturgest in Lissabon sowie dem Museion Bozen (2012/2013) und an der Kunsthalle in Zürich (2010). Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen war sie 2011 Trägerin des Kaiserrings der Stadt Goslar und erhielt 2014 den Roswitha Haftmann-Preis in Zürich. Klaus Weber (Berlin) Klaus Weber (*1967) hat bildende Künste an der HdK (jetzt UdK)Berlin in der „Freien Klasse“ studiert. Die medien- und raumübergreifend konzipierten Arbeiten Klaus Webers basieren häufig auf komplexen technologischen Zusammenhängen und aufwendig organisierten Herstellungsprozessen. Durch die pointierte Manipulation alltäglicher Strukturen, das Aufspüren von Abweichungen und das Ausloten von Unmöglichkeiten unterlaufen sie die metaphorische wie tatsächliche Macht einer funktionalistischen Rationalität. Klaus Weber ist Träger des HAP-Grieshaber-Preis 2012 für sein Gesamtwerk. Einzelausstellungen (Auswahl): AGEMO, Fondazione Morra Greco, Neapel (2013); Alle Körper fallen gleich schnell, Deutscher Künstlerbund, Berlin (2012); If you leave me I’m not coming, & Already There!, Nottingham Contemporary (2011); Klaus Weber, Secession, Wien (2008); Shape of the Ape, Andrew Kreps Gallery, New York (2007). Gruppenausstellungen (Auswahl): Lyon Biennale (2015); Painting Forever! Keilrahmen, KW Institute for Contemporary Art, Berlin (2013); Painting without Paint, David Risley Gallery, Kopenhagen (2012); The Kaleidoscopic Eye, Mori Art Museum, Tokyo (2009); The Art of Narration, Sprüth Magers, Berlin (2011). Frederick Wiseman (Cambridge, Massachussetts) Frederick Wiseman (*1930) ist Film- und Theater-Regisseur. Er drehte über 40 Dokumentarfilme, realisierte Spielfilme und gilt als ein wichtiger Pionier des US-amerikanischen Direct Cinema. Seine Filme, angefangen bei Titicut Follies (1967), sind eindrucksvolle Studien von Institutionen, beispielsweise einem Gefängnis, einer Schule, einem Zoo, einem Primatenforschungszentrums und einem Museum, wie sein jüngster Film National Gallery (2014). Frederick Wiseman hat zahlreiche Stipendien und Auszeichnungen gewonnen, so das MacArthur-Stipendium 1982, den George Polk Career Award 2006 und den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk auf dem Filmfest in Venedig 2014, 2012 nahm er an der Whitney Biennale in New York teil. Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Kuratoren Anselm Franke (Kurator, Autor, Haus der Kulturen der Welt, Berlin) ist Kurator und Kritiker und seit Januar 2013 Leiter des Bereichs Bildende Kunst und Film am Haus der Kulturen der Welt (HKW). Dort kuratierte er zusammen mit Diedrich Diederichsen The Whole Earth. Kalifornien und das Verschwinden des Außen und mit Annett Busch After Year Zero (beide 2013) und jüngst Forensis zusammen mit Eyal Weizman (2014). Sein Projekt Animismus wurde zwischen 2010-2014 in verschiedenen Versionen in Antwerpen, Bern, Wien, Berlin, New York, Shenzhen, Seoul und Beirut präsentiert. Franke hat zahlreiche Publikationen herausgegeben und veröffentlicht regelmäßig Beiträge in Zeitschriften wie Metropolis M, e-flux journal und Cabinet. Zudem war er Kurator der Taipei Biennale 2012 und der Shanghai Biennale 2014. Eine weiterentwickelte Version der Ausstellung After Year Zero wird im Museum für zeitgenössische Kunst (Museum of Modern Art), Warschau vom 12. Juni bis 30. August 2015 gezeigt. Hila Peleg lebt und arbeitet als Kuratorin und Filmemacherin in Berlin. Sie hat Einzelausstellungen, umfangreiche Gruppenausstellungen und verschiedene interdisziplinäre Kulturveranstaltungen an öffentlichen Einrichtungen in europäischen Ländern kuratiert, beispielsweise am KW Institute for Contemporary Arts, Berlin, an der Extra City Kunsthal (Antwerpen), am Iniva - Institute for International Visual Arts (London) und am Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Peleg war Ko-Kuratorin der Manifesta 7 Europäische Biennale für zeitgenössische Kunst in Trient, Südtirol, und Kuratorin des Filmprogramms der 10. Shanghai-Biennale 2014. Peleg ist Gründerin und künstlerische Leiterin des Berlin Documentary Forum. Dieses Festival findet seit 2010 alle zwei Jahre am HKW statt und ist der Produktion und Vorstellung zeitgenössischer und historischer Dokumentationspraktiken in einem interdisziplinären Kontext gewidmet. Hila Peleg kuratiert das Projekt Wohnungsfrage (Oktober – Dezember 2015, HKW). Sie ist Kuratorin der documenta 14, die im Frühjahr und Sommer 2017 in Kassel und Athen stattfinden wird. Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Ausstellungsarchitektur Kooperative für Darstellungspolitik Statement „Die Ausstellung Ape Culture arbeitet mit zwei Formaten von Exponaten. Dies sind zum einen künstlerische Arbeiten, zum anderen wissenschaftliche oder publizistische Dokumente sowie kuratorische Texte. Die Ausstellungsgestaltung organisiert eine räumliche Trennung dieser beiden Objektgruppen, für die jeweils spezifische Raumsituationen und Displays entwickelt wurden. Die künstlerischen Arbeiten stehen in einem dreiseitig von weißen Wänden umschlossenen, nach oben offenen Patio, der klassische, freigestellte Präsentationsformen ermöglicht. Die dokumentarischen Materialien sind als Reproduktionen auf kreuzförmig angeordnete Stellwände tapeziert und bilden eine Art Wandzeitung. Ein langer, geschlossener Baukörper, der quer durch die Ausstellungshalle verläuft, trennt und verbindet die beiden Bereiche und dient der Präsentation von Filmen. Alle Einbauten sind aus einfachen Holzständerwänden mit Beplankung aus Spanplatten gebaut, die sich jedoch in Details, Plattenformaten und Oberflächenbehandlung unterscheiden. Sie folgen einer Konstruktionslogik aus sichtbarem Tragwerk und jeweils funktional auf die Anforderungen der Exponate angepasster Oberfläche: Die Patiowand ist weiß gestrichen und durch vertikale Fugen rhythmisiert, die Stellwände sind unbehandelt und dienen als Grundlage für Tapeten, die Wände der Videokabinen sind innen mit lichtschluckendem, schalldämmendem Material ausgekleidet.“ Kooperative für Darstellungspolitik Die Kooperative für Darstellungspolitik forscht zur Repräsentation politischer und kultureller Anliegen in der Öffentlichkeit. Ihr Gestaltungsansatz geht davon aus, dass sich kuratorische Inhalte und Erzählungen kaum von ihrer Darstellungsform trennen lassen. Sie werden räumlich formuliert und besitzen eine gestaltete Form der Veräußerung. In der Zusammenarbeit mit Kuratoren, Künstlern, Grafikdesignern, wird die Entwicklung und Kommunikation von Inhalten als räumlich-gestalterischer Prozess verstanden. Die Kooperative für Darstellungspolitik besteht aus Jesko Fezer, Anita Kaspar und Andreas Müller. An der Ausstellung Ape Culture haben Peter Behrbohm und Philip Arhelger mitgearbeitet. Am Haus der Kulturen der Welt wurden bislang die Projekte In der Wüste der Moderne (2007), Berlin Documentary Forum 1-3 (2010-14), The Whole Earth (2013) und Anthropozän – Ein Bericht (2014) gestaltet. Aktuelle Projekte sind z.B. Ungebautes Salzburg im Museum der Moderne Salzburg, Fast Fashion im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, sowie die Wanderausstellung Geniale Dilletanten für das Goethe-Institut. Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Gestaltung Ausstellung und Publikationen Studio Matthias Görlich Statement „Das Ausstellungs- und Publikationsprojekt Ape Culture bewegt sich im Grenzbereich von Gesellschaft, Wissenschaft, Kunst und Politik. Diesem Spannungsfeld mit grafischen Mitteln gerecht zu werden war ein Hauptanliegen für die Konzeption der Ausstellungsgrafik sowie für die Grafik des geplanten Ausstellungskatalogs. Unterschiedliche typografische Sprachen für die einzelnen Themenbereiche (Recherche, künstlerische Arbeiten, wissenschaftliche Positionen) grenzen auf der einen Seite diese Bereiche voneinander grafisch ab; wohingegen ein stark aufeinander bezogener Umgang mit Typografie, Farbigkeit und Bildmaterial auf visuelle Art alternative Querbezüge sichtbar macht. Insbesondere im dichten Raum der Publikation entstehen hierdurch grafische Überschneidungen aller beteiligten Themenfelder.“ Studio Matthias Görlich Matthias Görlich arbeitet seit 2000 mit seinem Studio im Bereich Gestaltung und Konzeptentwicklung u.a. für diverse Kunst- und Kulturinstitutionen im In- und Ausland, verschiedene Verlage wie Spector Books, Adocs und Sternberg-Press. Er ist Mitherausgeber von "Institution Building" zu räumlichen Strategien von Kunstinstitutionen (gemeinsam mit N. Hirsch, P. Misselwitz und M. Miessen), der "Civic City Cahiers" zur Rolle des Design in der Entwicklung einer sozialen Stadt (gemeinsam mit J. Fezer) sowie der "Studienhefte Problemorientiertes Design" (mit J. Fezer und O. Gemballa). Matthias Görlich lehrt an diversen Hochschulen, u.a. im Bereich Ausstellungsdesign und Szenografie an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe und der Städelschule in Frankfurt. Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de 3 Erscheint im Laufe der Ausstellung bei Spector Books Will be published by Spector Books during the exhibition Anselm Franke, Hila Peleg (eds.) Ape Culture / Kultur der Affen Herausgeber / Editors Co-Publisher Texte / Texts Anselm Franke, Hila Peleg Haus der Kulturen der Welt Cord Riechelmann, Christophe Boesch u. a. / a. o. ca. 200 Seiten, Deutsch, zahlreiche s /w- und Farbabbildungen, fadengeheftete Broschur / ca. 200 pp., English, numerous black-white and colour illustrations, thread-sewn softcover ISBN DE 978-3-95905-000-5 ISBN EN 978-3-95905-006-7 EUR ca. 29.00 | CHF ca. 39.20 | GBP ca. 25.00 Ape Culture / Kultur der Affen widmet sich der langjährigen kulturellen wie wissenschaftlichen Auseinandersetzung des Menschen mit seinen nächsten Verwandten. In der westlichen Geschichte der Moderne stehen Darstellungen von Affen traditionell für die Abwesenheit von Kultur. Als Grenzfigur zwischen Mensch und Tier spielt der Affe schon seit der Antike eine zentrale Rolle im Narrativ des zivilisatorischen Fortschritts. Die parallel zur Ausstellung erscheinende Publikation jedoch will mehr als Affendarstellungen nur als Zeichen von Differenz in den Blick zu nehmen. Künstlerische Arbeiten, Dokumente aus Populärkultur und Geschichte der Primatologie geben Einblick in das, was die Wissenschaftshistorike rin Donna Haraway „Primatenordnung“ nennt: ein Spiegelkabinett der wissenschaftlichen und kulturellen Projektionen, in dem der Affe von einem Instrument der menschlichen Selbstdefinition zum Testfall für die Möglichkeit der Neuge staltung menschlicher „Natur“ wurde. Ape Culture / Kultur der Affen ist eine Produktion vom Haus der Kulturen der Welt und in Berlin zu sehen vom 30. April bis 6. Juli 2015. Ape Culture traces the long cultural and scientific obses with documents taken from popular culture and the history sion with humanity’s closest relatives. In the Western his of primatology gives the reader an insight into what the torical representations of modernity, depictions of apes science historian Donna Haraway has termed the “primate were traditionally used to show the absence of culture. order” — a hall of mirrors reflecting the scientific and cul Standing as a liminal figure separating humans and animals, tural projections that turned the ape from an instrument the ape has, since ancient times, played a central role in the of humanity’s self-definition into an integral element in narrative of civilisational progress. This book, which ap testing out the possibility of reconstructing human “nature”. pears in conjunction with the exhibition of the same name Ape Culture, a production by Haus der Kulturen der Welt, seeks, however, to go beyond the mere examination of apes on view in Berlin from 30 April to 6 July 2015. as signifiers of difference. The juxtaposition of artworks ISBN 978-3-95905-006-7 9 783959 050067 ISBN 978-3-95905-000-5 9 783959 050005 DE EN Klaus Weber, Beulen, Foto-Collage, 2008 Publikumsprogramm - Kids&Teens-Workshops Flota Nfumu Mit Filip Van Dingenen Sonntag, 10.5., 15 Uhr Der Künstler Filip Van Dingenen lädt in „Flota Nfumu“ zur zeichnerischen Auseinandersetzung mit Affen. Philosophie im Garten Mit Alexander Scheidt Sonntag, 31.5., 15 Uhr Für Kinder ab 8 Jahren Was haben Affen und Menschen eigentlich gemeinsam? Was unterscheidet sie? Wenn Affen Gefühle haben und denken können, ist es dann richtig, sie in einen Zookäfig zu sperren? Und wenn ja, warum? Wenn nein, warum tun die Menschen es dann trotzdem? Was wäre, wenn Affen wie Menschen leben würden und Menschen wie Affen? Das Verhältnis zwischen Mensch und Affe wirft viele philosophische Fragen auf. Der Workshop „Philosophie im Garten“ lädt ein zum Weiterdenken und -forschen. Gemeinsam mit dem Philosoph Alexander Scheidt entwickeln die Kinder eigene Antworten auf die Fragen, die die Ausstellung „Ape Culture / Kultur der Affen“ aufwirft. Ein Familienporträt Mit Stefanie Schlüter Sonntag 21.6., 15 Uhr Für Kinder ab 5 Jahren Stell dir vor, deine kleine Schwester wäre kein Mensch, sondern ein Affe. Deine Eltern würden das Affenbaby im Arm halten, es wickeln und ihm die Flasche geben. Wie würde euer Familienleben aussehen? Könntest du mit dem Affenbaby reden? Was würdet ihr zusammen spielen? Wäre das Äffchen wirklich deine Schwester oder doch „nur“ ein Haustier? Dieses Gedankenexperiment ist nicht aus der Luft gegriffen, denn es gab schon viele Versuche, Affen wie Menschen aufzuziehen – und sind die Affen etwa nicht die nächsten Verwandten des Menschen? Im Workshop mit Stefanie Schlüter spinnen die Kinder die Idee weiter: Ein Filmprogramm führt in die Ikonografie von Affen- und Familienbildern ein, auch einzelne Stationen der Ausstellung „Ape Culture / Kultur der Affen“ werden einbezogen. Schließlich gestalten die kleinen Teilnehmer*innen selbst lebensgroße Familienporträts, die ihre Familien mit einem Affenkind zeigen. Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Publikumsprogramm - Kids&Teens-Workshops INFEKTIONSGEFAHR Schulprojekt mit dem Theaterregisseur Carlos Manuel Datum wird noch bekannt gegeben 1970 beschrieb der US-amerikanische Schriftsteller William S. Burroughs die Sprache als einen Virus, der sich an der Kehle von männlichen Primaten festgekrallt hätte. Dieser habe eine neue Spezies hervorgebracht, speziell an seine Bedürfnisse angepasst: den Menschen. 1998 vermuteten britische Wissenschaftler genetische Voraussetzungen als Ursache der schweren Sprachstörungen bei vielen Mitgliedern einer Londoner Familie. Sie entdeckten das Forkhead-BoxProtein P2 (FOXP2) und das zugehörige FOXP2-Gen. Es soll beim Spracherwerb, besonders beim Entwickeln von grammatikalischen Fähigkeiten, eine entscheidende Rolle spielen. 2015 werden sich die Mutanten am Ufer der Spree ihrer Ursprünge bewusst und versuchen, sich der Erfüllung ihres genetischen Plans zu widersetzen. Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Service-Info und Media Material Ape Culture / Kultur der Affen Ausstellung 30.4.-6.7.2015 Eröffnung: 29.4.2015, 18h Diese Ausstellung enthält explizite Bilder von Tierversuchen und Sexualität. Sie ist für Kinder nicht geeignet. Öffnungszeiten: Mi – Mo und feiertags, 11h-19h Eintritt: 6€ / 4€, Mo Eintritt frei Eintritt frei zu den Veranstaltungen am 29.4., 30.4., 3.5. Expertengespräch mit Tetsuro Matsuzawa (17.5.): 3€ zzgl. Ausstellungsticket Performance Coco Fusco (2.7.): 6 €, Ermäßigungsberechtigte frei, Kombiticket inkl. Ausstellung 8€ / 4€ Führungen, Workshops und Gespräche unter www.hkw.de Presseinformationen sowie Download der Pressemitteilung unter www.hkw.de/presse Pressefotos stehen auf www.hkw.de/pressefotos zum Download zur Verfügung Fotos der Eröffnung sind ab 30.4.2015 auf www.hkw.de/pressefotos verfügbar Weitere Bilder auf Nachfrage Videomaterial auf Anfrage: [email protected] Weitere Informationen finden Sie tagesaktuell auf www.hkw.de Auch im Social Web können Sie den Aktivitäten des HKW folgen: www.facebook.com/hkw.de und twitter.com/hkw_berlin Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de AUSSTELLUNG Donnerstag 30.4. bis Montag 6.7. Mittwoch bis Montag und feiertags, 11 – 19h PROGRAMM Donnerstag, 30. April 18.30 h RELATING TO APES – A SYSTEM OF DEGREES Präsentation von Marcus Coates 06 KRIMINALAFFE Performance von Ines Doujak mit John Barker und Matthew Hyland In englischer Sprache Donnerstag, 30. April 20h IS CULTURE A GOLDEN BARRIER BETWEEN HUMAN AND CHIMPANZEE? Vortrag von Christophe Boesch Mit Simultanübersetzung Englisch-Deutsch Sonntag, 3. Mai 17 h ARTIST TALK Klaus Weber im Gespräch mit Jörg Heiser In englischer Sprache Sonntag, 17. Mai 17 h THE EVOLUTIONARY ORIGINS OF HUMAN MIND AND CULTURE: INSIGHTS FROM RESEARCH ON JAPANESE MONKEYS AND CHIMPANZEES Vortrag von Tetsuro Matsuzawa Mit Simultanübersetzung Englisch-Deutsch Donnerstag, 2. Juli 19.30 h OBSERVATIONS OF PREDATION IN HUMANS: A LECTURE BY DR. ZIRA, ANIMAL PSYCHOLOGIST Performance von Coco Fusco In englischer Sprache Ausstellungsführungen und Workshops begleiten sonntags die Ausstellung. Details: www.hkw.de IMPRESSUM Kuratoren: Anselm Franke, Hila Peleg Ausstellungsarchitektur: Kooperative für Darstellungspolitik (Jesko Fezer, Anita Kaspar, Andreas Müller & Team) Grafikdesign: Studio Matthias Görlich Projekt- und Recherchekoordination: Nadja Talmi Produktionskoordination: Elsa de Seynes Projektassistenz: Elisabeth Krämer Praktikanten: Elza Czarnowski, Martin Siegler Beiträge und Mitarbeit: Christophe Boesch, Cord Riechelmann Recherche: Heidi Ballet, Katja Kynast, Elisabeth Krämer, Martin Siegler Technische Koordination: Gernot Ernst, mit Christian Dertinger und Gabriel Kujawa Aufbau-Team: Oliver Dehn, Simon Franzkowiak, Achim Haigis, Matthias Henkel, Oliver Könitzer, Petra Könitzer, Matthias Kujawa, Sladjan Nedeljkovic, Nghia Nuyen, Elisabeth Sinn, Marie Luise Stein, Norio Takasugi, Christophe Zangerle, Margrit Zeitler Videobearbeitung: Matthias Hartenberger, Benjamin Beck Aufbauassistenz: Ulrike Hasis Stagemanagement: Claudia Peters Texte Handout: Anselm Franke, Martin Hager, Rachel O'Reilly Textredaktion: Martin Hager Übersetzungen ins Deutsche: Herwig Engelmann Lektorat: Kirsten Thietz Nicola Morris Cornelius Reiber Erik Empson Haus der Kulturen der Welt Intendant: Bernd Scherer Bereich Bildende Kunst und Film Leitung: Anselm Franke Programmkoordination: Sonja Oehler, Daniela Wolf Programmassistenz: Janina Prossek Sachbearbeitung: Cornelia Pilgram Praktikant: Max Westbrock Technik Technischer Leiter: Mathias Helfer Haustechnik: Frank Jahn, Benjamin Brandt & Team Bereich Kommunikation und kulturelle Bildung Leitung: Silvia Fehrmann Redaktion: Sabine Willig, Laida Hadel Pressebüro: Anne Maier, Nabila El-Khatib Internet: Eva Stein, Jan Koehler, Stefan Ritscher Public Relations: Christiane Sonntag, Sabine Westemeier, Kulturelle Bildung: Maria Fountoukis, Leila Haghighat, Eva Stein, Josephine Schlegel BESONDERER DANK AN: Adolf-Würth-Zentrum für Geschichte der Psychologie; Andrew Kreps Gallery; Wildlife Research Center, Kyoto University; Atelier Weber; British Museum Images; Cadmos; Ernst Haeckel-Haus; Esther Schipper; Exploratorium, San Francisco; Galerie Micheline Szwajcer; Hauser & Wirth; Herald St; Jüdisches Museum Berlin; Ken & Helen Rowe; Kent State University; Kohts Familienarchiv; Technische Informationsbibliothek (TIB); Koninklijke Bibliotheek; kurimanzutto; Louise Lawler Studio; Luiza Texeira Freitas; Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie, Leipzig; Missouri Botanical Garden/ Library; Musée-Site Buffon / Musée des Beaux-Arts; National Geographic Society; Naturalis Biodiversity Center; Netherlands Instituut voor Beeld en Geluid; NHK Enterprises, Inc; Nottingham Contemporary; Penn State Media Sales; Penn State University Libraries, Special Collections Library; Pierre Huyghe Studio; International Primatological Society; Japan Monkey Centre; Public Services Yale University Library; Punch Limited; Robin Fox; Sammlung Goetz; Schweizerisches Bundesarchiv BAR; Schwelle 7; Sprüth Magers; The Kinji Imanishi Digital Archive, Department of Anthropology, University of Alberta; UNESCO Division de l’information du public; White Cube; Yerkes Public Affairs; Zipporah Films, Inc. Auf die Identifikation der Inhaber von Copyrights wurde größtmögliche Sorgfalt verwendet. Sollten dennoch Fehler aufgetreten sein, wenden Sie sich bitte an das Haus der Kulturen der Welt. Ape Culture / Kultur der Affen wurde produziert vom Haus der Kulturen der Welt. Die Performance von Coco Fusco findet im Rahmen von Ape Culture / Kultur der Affen und SYNAPSE – Das Internationale Kuratorennetzwerk statt. Das Haus der Kulturen der Welt wird durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie durch das Auswärtige Amt gefördert. Ape Culture / Kultur der Affen „In der Tierähnlichkeit der Clowns zündet die Menschenähnlichkeit der Affen; die Konstellation Tier / Narr / Clown ist eine von den Grundschichten der Kunst.“ Theodor W. Adorno Atavismen. Sie rütteln damit an Überzeu gungen, die jegliche Ordnung des Wissens stützen. Zum Ausdruck kommt das in der großen Vielfalt kultureller Erzählungen, in denen Affen als Gaukler, Zivilisationsfeinde und zwielichtige Figuren auftreten. Seit der Antike bedient man sich in literaMittlerweile ist die Diskussion über Affen rischen und künstlerischen Darstellungen nicht mehr nur von der Vorstellung des verder Affen, um menschliches Verhalten zu meintlichen Kampfes um Macht und reflektieren. In der christlichen Theologie waren Affen dem Menschen untergeordnet, Überleben geprägt. Stattdessen sind ihre so wie der Mensch unterhalb Gottes stand. „gesellige Natur“, die Prozesse ihres „sozialen Lernens“, ihrer „Kooperation“ und „EmDas frühe Mittelalter setzte Affen mit dem pathie“ zu vorherrschenden Themen der Bösen gleich. Später gebrauchte man sie als Ikonen des Sittenverfalls. Manchmal Primatenforschung wie auch der Kultur insdienten sie dazu, Menschen als Gefangene gesamt geworden. Während des gesamten ihrer eigenen irdischen und sinnlichen 20. Jahrhunderts haben Affen, wie Robert Yerkes sagte, als „psychobiologische Begierden darzustellen. In der Kunst verFundgruben“ gedient. Ihre Erforschung sinnbildlichten Affen zudem häufig eine „minderwertige Mimesis“, also ein rein versprach, das Tor zur Rekonstruktion, äußerliches „Nachäffen“, das die geistigNutzung und Besserung der menschlichen seelische Dimension menschlicher Kultur „Natur“ weit aufzustoßen. Heute erscheint weder verstehen noch erschließen kann. es so, als entspränge das Interesse an den grundlegenden Tatsachen des Sozialver Häufig symbolisieren sie auch eine urzeitliche, vom Menschen überwundene oder haltens von Primaten einer Zeit, in der sich niedergehaltene tierische Natur. die menschliche Geselligkeit als solche in eine ökonomische Ressource verwandelt Die Affengestalt erscheint in der Kunst und in der jede Vorstellung von Gesellschaft trotz ihres Variantenreichtums stets an eine Neubestimmung vor dem Hintergrund den Rändern des anerkannt menschlichen technologischer Neuerungen erfährt. Verhaltens. Sie wurde und wird auf zwei verschiedene, ja gegensätzliche Weisen Die Ausstellung Ape Culture / Kultur der benutzt: um das gesellschaftliche Wesen Affen nimmt ein erweitertes Feld des des Menschen durch hierarchische Ab „Sozialen“ in den Blick und erkundet die wertung des verstoßenen „tierischen Politik imitativer Repräsentation in Bezug Anderen“ zu bekräftigen oder um die auf Kunst und Ideologie. Die gezeigten Verlogenheit und Heuchelei dieser gesellArbeiten führen auf ein Gebiet unterschwel schaftlichen Ordnung zu kritisieren sowie liger Projektionen, Begierden, Schemata deren unterdrückte und unbewusste und Rollenspiele, die den Bestimmungen Aspekte und mythologische Erzählungen des Selbst und des Anderen, den Strömen zum Vorschein zu bringen. gesellschaftlicher Macht und Begehrlichkeit zugrunde liegen. Gemeinsame Inten An der Schwelle zwischen „Menschheit“ tion der Werke ist es, diese zu entwaffnen und „Tiernatur“, zwischen „Natur“ und „Kul- oder zumindest zu verdeutlichen. tur“ verortet, dienen Affengestalten nicht nur als Metaphern derartiger AbgrenzunHila Peleg und Anselm Franke, gen, sondern unterwandern sie gleichzeitig Kuratoren immer wieder durch Ambivalenzen und KÜNSTLERISCHE ARBEITEN KOPFKINO (MINDFUCK), 2012 Film, 75 Min. Lene Berg (Berlin / New York) Das Drehbuch für diesen Film ent ickelte die Künstlerin auf der Basis w von Gesprächen mit acht Frauen, die als Dominas und Sklavinnen im BDSM-Gewerbe tätig sind. Verdichtet zu einer Serie eigenwilliger Szenen, eröffnet Lene Bergs Arbeit einen Zugang zu den stets unter schwellig politischen Aneignungen weiblichen Begehrens in der wechselvollen Geschichte der sado masochistischen Gefühlsarbeit. MACACA FUSCATA (CERCOPITHE CIDAE) – TREE-TOP SIGNALING, 1971 Film, 4:30 Min. C. R. Carpenter (USA, 1905–1975) Diese Aufnahmen von zwei Kolonien von Japanmakaken drehte der Verhaltenspsychologe Clarence Ray Carpenter 1966 und 1971. Sie zeigen dominante Männchen, die in 25 Meter hohe Baumkronen klettern, um sich einen Überblick über die Gegend zu verschaffen und anderen Gruppen den eigenen Standort mitzuteilen. Der Film stammt aus dem Archiv der Encyclopaedia Cinematographica, das mehrere Tausend Filme aus aller Welt umfasst und vom Institut für den Wissenschaftlichen Film (IWF) in Göttingen gegründet wurde. DEGREECOORDINATES Shared traits of the Hominini (Humans, Bonobos and Chimpanzees), 2015 Installation Marcus Coates (London) in Zusammenarbeit mit Volker Sommer (London) Die von Marcus Coates und Volker Sommer ausgewählten Verhaltens merkmale treffen erwiesenermaßen auf alle Primaten zu, also auch auf Menschen, Bonobos und Schimpansen. Dennoch entsteht im Verlauf menschlicher Akzeptanzund Abgrenzungsprozesse – und insbesondere über die Neigung zu binären Gegenüberstellungen – eine in sich geschlossene, rein „menschliche“ Identität. Sie muss sich deutlich von jedem „unerwünschten“ Verhalten abheben, das an gesellschaftlich und rechtlich codierten moralischen Grenzen rüttelt. THE MASKED MONKEYS, 2015 Film, 32 Min. Anja Dornieden (Berlin) Juan David Gonzáles Monroy (Berlin) Dieser mit Elementen des Surrealismus und Spiritualismus durchsetzte Film bedient sich bei ethnografischen Stilfiguren und beim „cinema of work“, um das Macht- und Arbeitsverhältnis zwischen javanischen Affen und ihren Besitzern in Bilder zu fassen. Als heiliges Symbol von Grenze, Tod und Wiedergeburt ist der Affe in der javanischen Kultur mit dem Affengott Hanuman verbunden. Seine Aufgabe in der Ökonomie des Straßentheaters besteht darin, sich wie ein Herr und Meister zu gebärden, um den Zuschauern gesellschaftliche Normen in physischer Anschaulichkeit vor Augen zu führen. 06 KRIMINALAFFE, 2015 Mixed-Media-Installation Ines Doujak (Wien / London), mit John Barker (Wien / London) und Matthew Hyland In der Arbeit geht es um den Affen im Kontext der Forderung nach Produktivität, die sich aus dem Sündenfall ergibt – und darum, wie die Verwendung des Affen in der Ikonografie des wissenschaftlichen Rassismus diese Forderung prägte. 06 Kriminalaffe besteht aus einem Essay in der Publikation Ape Culture, einer umfangreichen Assemblage hunderter Bilder, einer Tapete, deren Muster aus einer gewissen Ambivalenz in der Darstellung von Affen gebildet ist, und einer Plastik des missing link (die auch in einer Performance zur Anwendung kommt). Wie der Affe in Gefangen schaft stellt das Werk die alles entscheidende Frage: Warum sind die Dinge so, wie sie sind? TED ETHOLOGY: PRIMATE VISIONS OF THE HUMAN MIND, 2015 Video, 49 Min. Coco Fusco (New York) 1968, in den Ausläufern der Nach kriegszeit, auf dem Höhepunkt der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und des Kalten Krieges und nur zwei Jahrzehnte nach dem wissenschaftlichen Konsens über die Evolution, eroberten die Filme aus der Reihe Planet der Affen einen festen Platz im Bildraum Amerikas. Die Performance Observations of Predation in Humans: A Lecture by Dr. Zira, Animal Psycho logist ist im Stil eines TED-Talks gehalten. Sie reanimiert die Filmfigur der feministischen Schimpansin und Wissenschaftlerin Dr. Zira, um für deren kompromisslos empa thische und artenübergreifende Forschung (für die Zira im ursprünglichen Drehbuch ermordet wird) eine Fortsetzung im 21. Jahrhundert zu finden. DIE AAP VAN BLOEMFONTEIN, 2014 [THE APE OF BLOEMFONTEIN] Video, 23 Min. Jos de Gruyter und Harald Thys (Brüssel) Jos de Gruyter und Harald Thys kreieren Videoarbeiten in minimalistischen Räumen, die an Ateliers oder Hinterhoftheater erinnern. Durch die Reduktion der Details und ihre eigene szenische Logik vergegenständlichen die Arbeiten auf geradezu unheimliche Weise alle nur erdenklichen Arten von paranoidem Verhalten, wie es in vermeintlich alltäglichen und vertrauten ObjektSubjekt-Beziehungen zum Tragen kommt. UNTITLED (HUMAN MASK), 2014 Film, 19 Min. Pierre Huyghe (Paris / New York) Pierre Huyghe hat schon früher in seinen Arbeiten, in denen sich Zeitbezüge, Taxonomien des Lebens, Medienformate und ästhetische Traditionen überschneiden, menschliche Darsteller mit Tiermasken eingesetzt. Sein neuester Film Untitled (Human Mask) ist von einer tatsächlichen Begebenheit in Japan inspiriert. Dabei trug ein entsprechend abgerichteter Affe die Maske einer jungen Frau und bediente als Kellnerin in einem Restaurant. Huyghe filmte Untitled (Human Mask) mit einer Drohnenkamera im Gefolge des Tsunamis von 2011, der die Kernschmelze der Atomre aktoren von Fukushima und Massen evakuierungen verursachte. MICHAEL, 2001 Fotografie Louise Lawler (New York) Louise Lawler ist bekannt für Fotografien von Werken anderer Künstler in deren jeweiligem Ausstellungskontext. Indem die Bilder das zumeist äußerliche Geschehen der Präsentation verzeichnen, offenbaren sie Details, die über die künstlerische Intention, das Betrachten und das Objekt als solches hinausgehen. Michael zeigt Arbeiter beim Auspacken einer von drei identischen lebensgroßen Skulp turen von Jeff Koons, die Michael Jackson mit seinem Schimpansen Bubbles darstellen. Ihre Pose hat Koons Michelangelos Pièta aus dem 15. Jahrhundert nachempfunden. Bubbles wurde einer Tierversuchsanstalt abgekauft und lebte im Haus der Jacksons, bis Befürch tungen aufkamen, er könnte Michaels erstes „menschliches“ Kind angreifen. TRANSICIÓN DEL MONO AL HOMBRE, 2015 / SHORT HISTORY OF GESTURE – 2. SYNTAX: ARMS / HANDS, 2013 THE ROOT OF THE ROOT, 2011–2013 Mixed-Media-Installation Damián Ortega (Mexiko-Stadt) Damián Ortega wurde vom Gashaka Primate Project des University College London in die institutseigene Forschungsstation in der Wildnis Nigerias eingeladen, wo besonders seltene Unterarten der Schimpansen bis heute überlebt haben. Diese Eindrücke waren Ausgangspunkt für Ortegas Ausstellung Apestraction im Londoner Freud Museum, aus der einige Objekte hier gezeigt werden. Der Titel bezieht sich auf eine Ausstellung mit Paintings by Chimpanzees von 1957 am Londoner Institute for Contemporary Arts. MAX, MON AMOUR, 1986 Film, 92 Min. Nagisa Ōshima (Japan, 1932–2013) Die Schöne und das Biest – mit dieser Paarkonstellation haben sich schon die unterschiedlichsten Akteure befasst, aber Nagisa Ōshimas Ehekomödie nutzt sie, um einen Wandel in der gesellschaftlichen Stellung der Frau festzuhalten. Max, mon amour ist die Geschichte eines britischen, in Frankreich stationierten Diplomaten, dessen Frau Margaret sich den Schim pansen Max als Liebhaber nimmt. Das Leben der Pariser Oberschicht ist berühmt für seine „Kultiviertheit“ im Umgang mit außerehelichen Trieben. Doch dieses Tier ist eine echte Herausforderung für Peters Contenance. AFFE und SHE APE / APE MAN, 2015 Mixed-Media-Installation Erik Steinbrecher (Berlin) Erik Steinbrecher hat ein vielfältiges Œuvre an Büchern, Plakaten und Installationen geschaffen, das fast ausnahmslos Bedeutung aus mehrschichtigen Bildern und Wortspielen generiert. Seine Arbeiten changieren zwischen immateriellen Konzepten, manueller Ausarbeitung und dem Auge des Betrachters. Die aus verschiedenen natürlichen und anorganischen Materialien gefertigte Arbeit AFFE zieht in dieser Hinsicht alle Register, ebenso wie SHE APE / APE MAN, ein Handout, das Bewegung in die Klischees der Geschlechterdifferenz bringt. UNTITLED, 1984 und 1987 Zeichnung und Collage Rosemarie Trockel (Köln) Für Rosemarie Trockel ist „jedes Tier eine Künstlerin“. Dieser Satz bringt die subtile Verschiebung von herkömmlichen Bezügen in ihrer Kunst – von Sehen und Geschlecht, von Kreativität und Gattungsphysiologien – auf den Punkt. Die hier gezeigten Arbeiten stammen aus zwei Serien von 1984 und 1987. Trockel fordert die Betrachter ausdrücklich auf, ihren Porträts in die Augen zu sehen, und zeichnet einen Blick, der deren Gesichtsausdruck gewissermaßen spiegelt. Frau und Tier besetzen einen ähnlichen Ort außerhalb der männlichen symbolischen Ordnung – ein Grund dafür, dass Trockel ihre Affenporträts in die Nähe von Selbstporträts gerückt hat, auch wenn vielleicht eher Irritationen des Selbst und des Künstlertums gemeint sind. SHAPE OF THE APE, 2007 Mixed-Media-Installation Klaus Weber (Berlin) Die Installation geht auf die in vielen Kopien verbreitete Kleinplastik Affe mit Schädel des kaum bekannten deutschen Künstlers Hugo Reinhold zurück. Von Lenin heißt es, er habe sie auf seinem Schreibtisch zur Schau gestellt – das Geschenk eines amerikanischen Unternehmers, der auf diese Weise mit dem kommunistischen Staat ins Geschäft kommen wollte. Ein Exemplar der Skulptur wurde zwischen den Trümmern eines abgestürzten, angeblich mit Nazi-Gold und Geheim dokumenten beladenen Flugzeugs der deutschen Wehrmacht auf dem Grund eines österreichischen Sees gefunden. KOUROS (WALKING MAN), 2015 Installation Klaus Weber (Berlin) Die Plastik erinnert in ihrer Form entfernt an einen Kouros. Es handelt sich um zwei Halbschalen: die Nega tivform eines hochgewachsenen, schlanken Mannes in der Pose der archaischen griechischen Skulptur, mit erigiertem Geschlechtsteil. Der ursprüngliche Gipsabguss entstand in einer Neumondnacht bei einem Experiment als Teil einer erotischen Party in einem Berliner Club. PRIMATE, 1974 Film, 105 Min. Frederick Wiseman (Cambridge, Massachusetts) Der Film dokumentiert Experimente, die am Yerkes National Primate Research Center der Emory University, USA, durchgeführt wurden. Primate beginnt mit Porträts der Forscher, geht dann zu Außenansichten des Forschungszentrums über und landet schließlich bei einem Dialog zweier Wissenschaftler zur Frage, wie man den bestmöglichen Zugang zu Kopulationsszenen bei Gorillas erhält. Im weiteren Verlauf quantifizieren die Wissenschaftler emo tionale und sexuelle Beziehungen, während die Tiere unwürdiger Beengtheit und chirurgischen Operationen ausgesetzt sind –ohne dass die Zwecke dieser Forschung klar werden. Parallel zu dem Film wird die Fernsehdebatte What Price Knowledge gezeigt, die im Kontext der Filmpremiere ausgestrahlt wurde. materialien aus forschung und populärkultur zum bild von nicht-menschlichen primaten Auf 16 Wänden skizziert Ape Culture / Kultur der Affen Elemente einer Gesellschaftsgeschichte im Spiegel des Affen und setzt sich kritisch mit unterschiedlichen Forschungs ansätzen und Erklärungsmustern auseinander. Anhand ausgewählter Beispiele aus einer übergroßen Fülle an Materialien aus Wissenschaft und Populärkultur werden Verbindungslinien gezogen zwischen Wissenschaft, Politik, Repräsentation und Ästhetik. Die Sektion „Kultur der Affen“ auf Wand 5 und 6 hat der auf Schimpansenkulturen spezia lisierte Primatologe Christophe Boesch auf Grundlage seiner Forschungsmaterialien und -ergebnisse gestaltet. die themen 1 und 2 — ursprünge Mit der Aufklärung wird dem Affen die Rolle als Bindeglied zwischen Natur und Kultur zuerkannt – in einer Zeit massiver Umbauten im Gebäude der zivilisatorischen Erzählungen. Im 20. Jahrhundert gerät er zum Rohmaterial der Erforschung pathologischen Verhaltens. „Primatenordnung“, etwa auch die Widerspiegelung der patriarchalen Gesellschaftsordnungen in der Affenforschung. 9 — affen zivilisieren Im Zuge des Zivilisationsprojekts wird der Affe zum Objekt degradiert, an ihm wird die Unterwerfung der rohen und undisziplinierten Natur exemplifiziert. Der Affe selbst dient dabei als Zerrspiegel des Menschlichen, die kritische Verwendung dieses Zerrspiegels als Gesell schaftskritik. 10 — der affe und der andere Im 19. Jahrhundert betritt der biologisch begründete Rassismus die europäische Bühne und markiert eine neue Stufe der „Animalisierung“ kolonialer Subjekte. Erst gegen Mitte des 20. Jahrhunderts erreicht die Wissenschaft unter dem Eindruck der Katastrophe des II. Weltkrieges einen Konsens mit der Evolutionstheorie, der dem europäischen Rassismus die wissenschaftliche Grundlage entzieht. 11 — anfänge des sozialen Im Umfeld der Evolutionstheorie eignet sich der Affe hervorragend zur Konstruktion von Ursprungserzählungen – im Sinne eines unverfälschten Naturzustands einerseits und der Rolle des Sozialverhaltens im Überlebenskampf andererseits. 3 — die andere forschung In Japan geht die Primatenforschung eigene 12 — modelle von gesellschaft Wege, im Vordergrund stehen familiäre Bindun In der Nachkriegszeit dienen Affen(gesellgen und sozial erlerntes Verhalten. schaften) als Versuchsobjekte biosoziologischer Forschung zum Thema der sozialen Kontrolle. 4 — trimates Seit den 1970er Jahren löst das Modell der Die drei Primatenforscherinnen Jane Goodall, „Kooperation“ zunehmend die Fokussierung auf Dian Fossey und Birutė Galdikas verlassen „Konkurrenz“ ab. in den 1960er Jahren den Pfad einer objektivierenden Wissenschaft, die ihre Daten überwie13 — im kreis der empathie gend an Primaten in Gefangenschaft sammelte. Ist Mitgefühl ein Privileg des Menschen oder Mit ihren Langzeitbeobachtungen wild lebengerade nicht? Mit Sicherheit lässt sich sagen, der Affenpopulationen werden sie zu populären dass eine „bereinigte“ Forschungssituation Hoffnungsträgerinnen einer neuen Kommu im Labor pathologische Gefühlsarmut erst nikationskultur mit der Natur. hervorruft. 5 und 6 — kultur der affen 14 — lieben lernen Sind Schimpansen kulturelle Wesen? Diese Feldstudien offenbaren eine Komplexität des Frage wurde in den letzten Jahrzehnten u. a. Soziallebens unter den Affen, die jegliche von Christophe Boesch und seinem Team Annahmen eines allgemeingültigen „Primavom Leipziger Max-Planck-Institut für Evolu- tenmusters“ widerlegen. In den 1980er Jahren tionäre Anthropologie beantwortet. Die hier rücken soziale Bindungen ins Zentrum der präsentierten Materialien umfassen auch Forschung. neue, zum Teil noch unveröffentlichte Beobachtungen „kulturellen“ Verhaltens. 15 — das miteinander im gehege Ein Film von Bert Haanstra über Familien7 — wilde zeichen leben und „Politik“ in einer PrimatengesellExperimentelle Nachweise der Sprachkompeschaft im Zoo. tenz von Affen waren lange umstritten, obwohl deren Fähigkeiten im Umgang etwa mit Sym16 — affen als subjekte bolen mittlerweile als erwiesen gelten. Offen- Sollen Affen als juristische Personen anerkannt sichtlich geht es um mehr: Wo sind die Grenzen werden? Die internationale Rechtssprechung von Sprache sowie von Zeichenbildung in der lehnt das bis heute ab. Natur, und gibt es diese überhaupt? 8 — visionen von primaten (Eine Bibliografie zur Recherche ist am Counter Donna Haraway seziert in ihrer bahnbrechen- erhältlich.) den Studie Primate Visions: Gender, Race, and Nature in the World of Modern Science die großen und kleinen Erzählungen der Vorabdruck - Katalog Der Text erscheint im Katalog der Ausstellung: Ape Culture / Kultur der Affen, Herausgegeben von Anselm Franke und Hila Peleg, Co-Publisher Haus der Kulturen der Welt Spector Books ISBN 978-3-95905-000-5 (dt.) lieferbar ab Juni 2015 Wo zum Teufel ist der Ausgang aus diesem Feld? Zur Aktualität von Donna Haraways Wissensgeschichte der Primatologie Astrid Deuber-Mankowsky Primatenvisionen „Ich möchte, dass dieses Buch viele Leserkreise erreicht und für uns alle vergnüglich und beunruhigend ist. Im Besonderen wünsche ich mir, dass es für Primatologen, Wissenschaftshistorikerinnen, Kulturwissenschaftler und Kulturwissenschaftlerinnen ebenso einsteht wie für die Bewegung der antiautoritären Linken, für die antirassistische, antikolonialistische und die Frauenbewegung, für Tiere und für jene, die ernste Geschichten lieben“ 1 Mit diesen ungewöhnlichen Wünschen übergab die Biologin und Wissenschaftshistorikerin Donna Haraway ihre fünfhundert Seiten umfassende Studie über die Geschichte der Primatologie 1989 nach zehn Jahren intensiver Forschung der Öffentlichkeit. In der Tat hat kein anderes Buch die Primatologie mehr in den Fokus der Kultur- und Medienwissenschaften gerückt als Haraways Primate Visions. Gender, Race, and Nature in the World of Modern Science. Für die kultur- und medienwissenschaftlichen Disziplinen stellte das bis heute leider nicht ins Deutsche übersetzte Buch eine anhaltende Inspiration dar. Es eröffnete ihnen den Zugang zur reichen, vielfältigen und umkämpften Welt der Primatologie und ihrer Forschungsobjekte: den Schimpansen, Gorillas, Orang-Utans, Pavianen, Gibbons und Donna Haraway: Primate Visions. Gender, Race, and Nature in the World of Modern Science, Routledge: New York/London 1989, S. 3: „I want this book to be interesting for many audiences, and pleasurable and disturbing for all of us. In particular, I want this book to be responsible to primatologists, to historians of science, to cultural theorists, to the broad left, anti-racist, anti-colonialist and women’s movement, to animals, and to lovers of serious stories.“ 1 Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog Languren, ihren Habitaten in Afrika, Asien und Südamerika und zum geschichtsträchtigen Forschungsalltag in den Laboratorien der Forschungseinrichtungen und Universitäten in den USA. Zwar waren die Filme und Reportagen von National Geographic über Jane Goodall und ihre Schimpansen in Tansania, über Dian Fossey und den Kampf für die Berggorillas in Ruanda und die Forschungen von Biruté Galdikas über die Orang-Utans in Borneo auch schon vor der Veröffentlichung von Primate Visions Teil des öffentlichen Bewusstseins und der medialen Öffentlichkeit. Die Bilder und die Geschichten dieser Primatologinnen gehörten seit den 1960er Jahren zur US-amerikanischen Popkultur. Die Oscarnominierte Verfilmung von Dian Fosseys Leben Gorillas im Nebel (Michael Apted, USA 1988) mit Sigourney Weaver in der Hauptrolle war ein Jahr vor der Veröffentlichung von Primate Visions erschienen. Miss Goodall and the Wild Chimpanzees wurde bereits 1965 als ein bahnbrechender Dokumentarfilm in der Reihe der TV-Specials der National Geographic Society veröffentlicht. Und der Cinema Verité-Dokumentarfilm Primate von Frederick Wiseman über das Yerkes Primate Research Center in Atlanta zeigte, um ein letztes Beispiel zu nennen, das Forschungslabor auch schon 1975 als einen kybernetischen Organismus zur Erzeugung eines kontrollierten, rationalen, reproduktiven Systems des Wissens, in dem Menschenaffen und Halbaffen als Datenquellen fungierten. Neu aber war die Geschichte der Verflechtungen der primatologischen Forschungen mit der einflussreichen National Geographic Society auf der einen und der Kriegsindustrie und der Weltraumforschung auf der anderen Seite. Neu war die Darstellung der Geschichte der Imaginationen, der Hoffnungen auf eine bessere Welt und der Ängste vor nuklearen Katastrophen, die mit der angewandten und der Grundlagenforschung an Primaten in den USA der Nachkriegszeit verbunden waren. Neu war auch der Aufweis, wie sehr die Geschichte der Primatologie verknüpft war mit der Produktion und Reproduktion von Differenzen entlang der Machtachsen von Rasse, Klasse und Geschlecht. Und neu war schließlich auch der Nachweis, wie sehr das Geschlecht der zumeist weißen Wissenschaftlerinnen die Forschung an den Primaten prägte. Bis hin zu der Aussage, dass sich die Primatologie Mitte der 1980er Jahre als ein Genre der feministischen Theorie bezeichnen lasse. Haraway zeigte eindringlich und differenziert zugleich, dass die wichtigen Themen und Fragen des modernen Nordamerikas sich in den Körpern und im Leben der Tiere spiegelten. Die Affen dienen den Menschen jedoch nicht nur als Spiegel. Sie haben, wie Haraway unterstreicht, nicht nur eine symbolische Bedeutung. Sie dienen den Menschen Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog zugleich als Werkzeuge. Als Labortiere waren und sind sie essenziell für die Grundlagenforschung der Physiologie, die Verhaltensforschung und die Erforschung von sozialen Organisationen. Ihre Nerven- und Reproduktionssysteme sind das Rohmaterial für die biomedizinische Grundlagenforschung. Primaten sind, wie Haraway in Anspielung auf den Titel des berühmten Buches aus dem Jahr 1925, in dem Robert Yerkes, der Begründer der experimentellen Biopsychologie und der Laboratorien für Primatologie an der Yale University- seine Verhaltensbeobachtungen an zwei Schimpansen beschrieb, Almost Human 2: Sie sind beinahe menschlich. In diesem „Beinahe“ verbirgt sich die Amivalenz, welche die Affen, insbesondere natürlich die Menschenaffen, wie ein Vexierbild zugleich als Spiegelbilder der Menschen zeigt und zugleich als Tiere und damit als das nichtmenschliche Andere. Dieser Status des „Beinahe-Menschlichen“ prädestinierte die Wissenschaften von den Affen für eine Forschung, die zum besseren Verständnis des Ursprungs, des Wesens und damit zugleich zu einer besseren Zukunft der Menschen beizutragen versprach. Nach dem Zweiten Weltkrieg rückte mit dem Aufstieg der Kybernetik und dem Einzug der Informationswissenschaften in die naturwissenschaftliche Forschung auch in der Primatologie die Kommunikation zwischen Organismen und Maschinen ins Zentrum. Kommunikation wurde als Steuerungsmedium verstanden und Organismen und Lebewesen wurden ebenso wie Maschinen als sich selbst erhaltende Systeme adressiert. Damit aber brachen die Grenzen zwischen Mensch, Maschine und Tier in dramatischer Weise ein. Wo früher vermeintlich naturgegebene Differenzen existierten, begannen nun, wie Haraway zeigt, die Kämpfe, in denen sich Differenzen neu und auf andere Weise konstituierten. Kinder, nichtmenschliche Primaten und künstliche Intelligenzen: Sie alle verkörperten für jenen Zweig der Primatologie, der sich auf die Kognition und das Lernen zu konzentrieren begann, „almost minds“. Kinder, Primaten und intelligente Maschinen verfügten demnach über einen „beinahe menschlichen Verstand“. Obwohl die Primatologie implizit und untergründig persistent von der Frage handelte, was ein vollständig menschlicher Status sei, wurde die Frage, wer oder was einen „vollständig menschlichen Status“ einnimmt, in der Primatologie nicht gestellt, wie Haraway betont. Während die Studie von Haraway durch die Sichtbarmachung dieses komplexen Beziehungsgeflechts den Kulturwissenschaften den Zugang zur Welt und zur Geschichte der Primatologie eröffnete, wurde sie vom Großteil der Primatologinnen und Primatologen selber abgelehnt. Sie fühlten die Autorität ihrer Wissenschaft durch Haraways dekonstruktives Verfahren und die provokative Zusammenführung von 2 Robert Yerkes: Almost Human, Centura: New York 1925. Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog Storytelling und Populärkultur, von Wissenschaft, Ökonomie und Politik, von der Suche nach Wahrheit und Projektion von Wünschen und von Wissen und Science Fiction in Frage gestellt. Sie fühlten sich nicht ernst genommen, fanden das Buch „infuriating“, ärgerlich. Haraway versuchte in ihren Augen, die physiologische Anthropologie, wie es in einer kurz nach der Veröffentlichung von Primate Visions im American Journal of Primatology erschienenen Rezension hieß, aus dem Bereich der Naturwissenschaft in den Geltungsbereich der Literaturwissenschaft zu verlegen. 3 Die Rezension trägt den Titel Partisan Primatology. Die Autorin, Susan Cachel, Professorin für physische Anthropologie und humane Evolution an der Rutgers Universität, war vertraut mit der quantitativ verfahrenden und auf Datenerhebung basierenden Forschungspraxis der Primatologie und räumte vor dem Hintergrund ihrer Erfahrung als Wissenschaftlerin ein, dass es nicht einfach sei, gute Forschungsstrategien zu entwickeln und angemessene Erklärungen für Daten zu finden. Dennoch und gerade deshalb, so machte sie gegen Haraway geltend, solle man nicht auf mythenproduzierende Geschichten setzen, wenn man nicht den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit aufgeben wolle. Genau das wollte die Professorin am berühmten History of Consciousness und Feminist Studies Department der Universität von Kalifornien in Santa Cruz freilich nicht. Haraways Ziel war nicht, die Wissenschaft aufzugeben. Ihre Hoffnung, dass sie im Sinne der Primatologie argumentiere, war ernst gemeint. Sie wollte zu einer „besseren“ Wissenschaft beitragen. Doch was meint eine „bessere“ Wissenschaft? Komplexe Literatur des Überlebens Primate Visions war nicht nur die erste sorgfältig und umfassend recherchierte Wissensgeschichte der Primatologie in den USA des 20. Jahrhunderts, sondern auch die erste, welche der umkämpften, mit Hoffnungen und Erwartungen gleichermaßen aufgeladenen Situation Rechnung trug, in welcher die junge Disziplin sich in der Nachkriegszeit der USA befand. Angesiedelt im Grenzbereich zwischen Psychiatrie und Zoologie, Psychologie und physischer Anthropologie, Verhaltens- und Naturwissenschaften stand die Primatologie unter dem Einfluss des Kalten Krieges und im Dienst der Weltraumforschung sowie im Fokus der Wünsche nach einer besseren Susan Cachel: „Partisan Primatology“, in: American Journal of Primatology 22, 1990. S. 139–142. „Haraway attempts to move physical anthropology (specifically primatology) into the realm of literary criticism.“ 3 Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog Welt und der Harmonie mit der Natur. In einem durch Ambivalenz und Wünsche geprägten Grenzbereich bewegten sich auch die fast menschlichen Objekte der Primatologie. Sie waren, wie Haraway mit großer Sensibilität zeigt, Teil jenes großen Forschungslabors, in dem unter dem Einfluss der Kybernetik und unter Anwendung der neuen Informationstechnologien in den geschlossenen Räumen der Forschungseinrichtungen und in den offenen Laboratorien der natürlichen Habitate, also im Feld, das Verhalten und die Kommunikation von lebenden Organismen und sozialen Organisationen untersucht wurden. Affen und Menschenaffen bewohnten im 20. Jahrhundert, wie Haraway überzeugend deutlich machte, die Grenzzone zwischen den „potenten, mythischen Polen Natur und Kultur“. 4 Offen räumt Haraway ein, dass ihr Interesse an den Primaten in dem besonderen Stellenwert gründet, den sie in der westlichen Gesellschaft einnehmen. „Primaten sind beliebt, wichtig, bewundernswert vielfältig und umstritten.“ 5 Sie sind darüber hinaus allesamt, also auch die Menschen, bedroht. Die Primatologie des späten 20. Jahrhunderts könne, wie die Wissenschaftshistorikerin kühn behauptete, als Teil einer komplexen Literatur des Überlebens in einer globalen Nuklearkultur ausgelegt werden. Während die Primatologen den Vergleich ihrer Wissenschaft mit der Science-Fiction-Literatur am Ende des 20. Jahrhunderts als ärgerlich empfanden, so war er für Haraway Ausdruck der hohen Erwartung, die sie mit der Primatologie als einer Weise des Denkens der anderen und des Umgangs mit anderen verband. Zu diesen anderen gehören nicht nur die Primaten, sondern alle als nicht oder nur fast menschlich geltenden Akteurinnen und Akteure, auch die Erde selbst, die bekanntlich nicht weniger bedroht ist als die Primaten. Die Primatologie verspricht, mit Hilfe der Forschungen an den Primaten Aufschluss über den Ursprung der Menschheit zu geben. Geschichten des Ursprungs aber enthalten – dies hat die kritische Philosophie seit Kant in ihren modernen und postmodernen Varianten gezeigt – zugleich Aussagen über die Zukunft der aus ihnen entsprungenen Phänomene. Wenn Haraway die Primatologie als einen Ort analysiert, an dem die BioPolitik von Differenz und Identität für die Mitglieder der industriellen und postindustriellen Kulturen elaboriert und gleichermaßen in Frage gestellt wurde, so erscheint es aus diesem Blickwinkel nur konsequent, dass sie die Texte der Primatologie ihrerseits als Science Fiction liest. Sie macht damit deutlich, dass sie die Analyse der impliziten Aussagen über die menschliche Zukunft in den Texten der Primatologie als Teil ihrer Aufgabe als Wissenschaftshistorikerin auslegt. Wenn sie sich an den Anliegen 4 5 Haraway: Primate Visions, S. 1. Ebd., S. 3. Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog der antirassistischen und antikolonialistischen Bewegung und der Frauenbewegung orientiert, so folgt sie dabei dem methodischen Anspruch, den kolonialistischen, rassistischen und sexistischen Annahmen, die als unreflektierte Grundannahmen in die Gründungsgeschichte der Primatologie eingelassen sind, eine andere, eine heterogene Geschichte entgegenzusetzen, welche auch die nichtmenschlichen Primaten in ihrer Differenz respektiert. Primatologie – eine feministische Wissenschaft? Die Primatologie orientierte sich bis Mitte der 1960er Jahre in ihrer Rekonstruktion des menschlichen Ursprungs am Modell der Überlegenheit, der Aggressivität und dem Konkurrenzverhalten der männlichen Primaten. Die weiblichen Primaten wurden nicht gesondert untersucht. Sie erschienen in diesem Forschungsparadigma als Teil des Nukleus Kleinfamilie und der Einheit zwischen Mutter und Kind. 6 Es ist unschwer zu erkennen, wie sehr dieses Modell von der patriarchalen Geschlechterordnung der westlichen Gesellschaften geprägt war. In dieser frühen Phase reproduzierte die Primatologie unreflektiert die Vorstellung, nach der das weibliche Geschlecht in der Reproduktion der Gattung aufgehe und deshalb über keine eigene Geschichte verfüge. Die feministische Primatologin, Soziobiologin und führende Verhaltensforscherin Sara Blaffer Hrdy nahm diese Ansicht zwar nicht als erste, aber doch mit großem und disziplinübergreifendem Erfolg im Titel ihrer 1981 erschienenen Studie The Women That Never Evolved aufs Korn. Der Titel lautet auf Deutsch: „Die Frau, die sich nie entwickelte“ und spielte darauf an, dass die Mainstream-Primatologie den Anteil der weiblichen Primaten an der Evolution schlicht ignoriert hatte. Blaffer Hrdy wies nun im Gegenzug nach, dass weibliche Affen keineswegs passiv sind, sondern dass sie ebenso wie die männlichen Primaten kompetitiv ihren Vorteil suchen, sexuell aktiv sind, ihre Partner wählen, dass sie mit anderen weiblichen Primaten um Rang und Ressourcen konkurrieren und ihren Nachwuchs bis zum Tod verteidigen. Zugleich zeugten weibliche Primaten, falls ihre erfolgreiche Reproduktion davon abhänge, mit dem männlichen Mörder ihrer Kinder neue Kinder, kooperierten mit den anderen weiblichen Tieren, um sich zu verteidigen, und akzeptierten Promiskuität nicht nur, sondern genossen sie auch Vgl. Linda Marie Fedigan/Shirley C. Strum: „A Brief History of Primate Studies: National Traditions, Disciplinary Origins, and Stages in North American Field Studies“, in: Phyllis Dolhinow/Augustin Fuentes (Hg.): The Nonhuman Primates, Mayfield Publishing Company: Mountain View 1999, S. 258–269. 6 Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog für sich selbst, falls die Umstände es so fügten. Ihre Forschungen führten Blaffer Hrdy zu dem Schluss, dass weibliche Primaten nirgendwo so unterdrückt seien wie in der Species des Homo sapiens! Ihr Rat an die menschlichen Frauen: Sie sollen das Verhalten ihrer weiblichen Verwandten studieren und sich mit ihrem biologischen Erbe vertraut machen, um zu lernen, was sie vermögen, und ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Blaffer Hrdys feministische Intervention knüpfte an die soziobiologische Wende der nordamerikanischen Verhaltensbiologie an, in deren Zentrum nicht mehr das Verhalten der Gruppe stand, sondern jenes der Individuen. Dabei ging die Soziobiologie davon aus, dass dieses Verhalten geprägt war von dem Ziel der möglichst erfolgreichen Reproduktion der eigenen Gene. Es ist offensichtlich, dass die KostenNutzen-Rechnungen der Soziobiologie aufs Beste harmonierten mit dem neoliberalen Credo, das sich zur gleichen Zeit in den westlichen kapitalistischen Gesellschaften auszubreiten begann. Haraway unterstrich die feministischen und wissenschaftlichen Verdienste von Blaffer Hrdy, nicht ohne auf die Korrelationen zwischen dem Optimierungskalkül der Soziobiologie und jenem des neoliberalen Spätkapitalismus hinzuweisen. Kritisch merkt sie zudem an, dass Blaffer Hrdy die sexuelle Differenz als einen biologischen Fakt voraussetze, ohne das Sex/Gender-System seinerseits als wissenschaftliche Konstruktionen, als Objekt und als Bedingung des Wissens in die Analyse mit einzubeziehen. Blaffer Hrdy war nur eine von vielen Primatologinnen, die seit Ende der 1970er Jahre begannen, in ihren Forschungen die Perspektive auf die weiblichen Primaten zu richten. Wenige von ihnen bezeichneten sich als feministisch, viele aber affirmierten die Kriterien, die von den Vertreterinnen der feministischen Naturwissenschaftskritik für eine feministische Wissenschaft ausgearbeitet worden waren: Reflexivität, die Berücksichtigung des weiblichen Standpunktes, die Rekonzeptualisierung des Verständnisses von Natur, die Verabschiedung von Dualismus und Reduktionismus, das Verständnis der wissenschaftlichen Erkenntnis als ein Mittel der Emanzipation. Reflexivität meint, dass der Kontext reflektiert wird, in dem die wissenschaftliche Forschung stattfindet. Die Rekonzeptualisierung der Natur zielt auf ein Verständnis der Natur als aktiv, komplex und holistisch. Und die dualistische und reduktionistische Sicht soll schließlich abgelöst werden von einer Sicht, in der die Elemente der Natur in einem Kontinuum stehen statt in binärer Opposition. Die Veränderung, welche eine signifikante Zahl von Wissenschaftlerinnen mit ihren Forschungen in der Primatologie Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog der frühen 1980er Jahre in den USA einleiteten, führte Haraway dazu, von der Primatologie als einem „Genre der feministischen Theorie“ 7 zu sprechen. Primaten im Spiegel Die Formulierung „gute Wissenschaft“ fällt zweimal auf den 500 Seiten von Primate Visions. Beide Stellen finden sich im dritten Teil mit dem Titel: Die Politik des Weiblichseins: Primatologie ist ein Genre der feministischen Theorie in dem Kapitel, das den Arbeiten der Primatologin Linda Marie Fedigan gewidmet ist. Fedigan ist heute Professorin und Canada Research Chair in Primatologie und Bioanthropologie an der Universität von Calgary und Herausgeberin des American Journal of Primatology. Was zeichnete ihre Arbeiten aus jenen 1970er und frühen 1980er Jahren für Haraway als „gute Wissenschaft“ aus? Fedigan, die zunächst Kulturanthropologie studiert hatte, promovierte bei einem Schüler des einflussreichen Anthropologen und Paläanthropologen Sherwood Washburn mit einer Arbeit über die sozialen Rollen in einer Gruppe von japanischen Arashiyama-Affen, die 1972 von Japan zu Forschungszwecken in die USA gebracht worden waren. Die japanischen Wissenschaftler übergaben ihren Kolleginnen und Kollegen in den USA mit den Affen auch die genealogischen Aufzeichnungen und andere Daten, die sie über einen Zeitraum von 18 Jahren gesammelt hatten. Fedigan konnte sich also für ihre Forschungen auf eine gute Datenbasis stützen. 1982 erschien ihre Doktorarbeit als Buch unter dem Titel Primate Paradigms: Sex Roles and Social Bonds. Der ursprünglich geplante Titel lautete jedoch, wie Fedigan Haraway berichtete 8, Primate Mirrors: Reflections on Sex Differences in Behaviour – ins Deutsche übersetzt: „Primaten im Spiegel. Reflexionen über sexuelle Differenzen“. Obwohl Fedigan den Titel nicht durchsetzen konnte, war es Haraway wichtig, ihn zu erwähnen. Denn er weist auf die Kriterien, die für sie eine gute Wissenschaft auszeichnen. So vermeidet der Titel die verbreitete Vorstellung, dass Biologie die Basis der Kultur bilde. Die Verwendung des Begriffs des Spiegels hebt, wie Haraway unterstreicht, im Gegenzug den Prozess hervor, in dem historisch situierte menschliche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehr aktiv die reflektierende Oberfläche polieren, auf der die Imaginationen ihrer eigenen Gesellschaften und ihrer eigenen Körper in den Bildern zurückkehren, die sie von den Tieren geben. Das Spiel mit den Metaphern von Spiegel, Reflexion und Reflektieren belegt Fedigans Sensibilität für die imaginative Kraft der Sprache. 7 8 Haraway: Primate Visions, S. 279. Vgl. ebd., S. 318. Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog Bild Fedigan „Gut“ ist die Wissenschaft über das Leben der Primaten von Fedigan nach Haraway nicht nur, weil sie mit einer reichen Basis von sorgfältig erhobenen Daten arbeitet, sondern weil sie sensibel ist für die Wirkmacht von Metaphern und gut erzählten Geschichten und weil sie auf einer fundierten theoretischen und epistemologischen Basis argumentiert. Vor diesem Hintergrund distanzierte sich Fedigan von der Vorstellung, dass die untersuchten Tiere die ontologische oder epistemologische passive Ressource, also der Rohstoff für die Produktion von wissenschaftlicher Erkenntnis seien. Ebenso nahm sie Abstand von der Ansicht, das sexuelle Geschlecht (= Sex) stelle den Rohstoff für das kulturelle Geschlecht (=Gender) dar und die Natur die Basis für die Kultur. Infolge dieser Kritik unterschied Fedigan sorgfältig zwischen dem Bezug auf die sexuelle Differenz und den Aussagen über die menschliche Natur, die in den bioanthropologischen Geschichten des Ursprungs der Menschheit eine so zentrale Rolle spielen. Als positiv vermerkt Haraway, dass Fedigan zwischen unterschiedlichen Öffentlichkeiten unterscheide und dies nicht nur in Bezug auf die Differenz zwischen der engeren Öffentlichkeit der wissenschaftlichen Community und der weiteren medialen nichtwissenschaftlichen Öffentlichkeit, sondern auch die unterschiedlichen Standpunkte und Richtungen innerhalb der Disziplinen berücksichtige. So formuliere Fedigan in der Einleitung ihres Buches die Hoffnung, dass es sowohl die Primatologinnen und Primatologen als auch die Vertreterinnen der Women und Gender Studies anspreche. Sie habe sich an beide Gruppen als Expertinnen gewandt – ein Zeichen ihrer Erfahrung mit Interdisziplinarität. „Gute Wissenschaft“ heißt für Haraway auch, dass Fedigan das Sex/Gender-System als Kategorie für die Analyse von Machtverhältnissen einsetze und nicht zur Untermauerung von bioanthropologischen Geschichten vom Ursprung der menschlichen Kultur. Gute Wissenschaft wäre demnach, um es zusammenzufassen, eine wissenschaftliche Praxis, die nicht nur die Regeln und Methoden der eigenen wissenschaftlichen Disziplin sorgfältig anwendet, sondern die kulturellen, medialen, geschlechtlichen und sozialen Bedingungen des eigenen Standpunktes berücksichtigt, die Natur nicht als passive Ressource versteht, sich von Reduktionismus und Dualismus löst und sich stattdessen für Komplexität und Vielfalt einsetzt und sensibel ist für die Wirkmacht von dramatischen Geschichten und gut gewählten Metaphern. Unschwer sind in diesem Katalog die Kriterien wiederzuerkennen, welche von feministischen Naturwissenschaftskritikerinnen wie Sandra Harding, Evelyn Fox Keller, Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog Ruth Hubbard, Ruth Bleier, Anne Fausto-Sterling, Londa Schiebinger, Jane Flax, Nancy Hartsock, Helen Longino und natürlich Haraway selbst für eine feministische wissenschaftliche Praxis aufgestellt worden waren. Wäre gute Wissenschaft eine feministische Wissenschaft und vice versa? Acht Jahre nach dem Erscheinen von Primate Visions veröffentlichte Linda Marie Fedigan einen Artikel mit dem Titel Is Primatology a Feminist Science? 9 Fedigan knüpft an Haraways Kapitel über die Primatologie als ein Genre der feministischen Theorie an und fragt, warum die meisten ihrer Kolleg_innen aus der Primatologie, die von Primate Visions über die Rezensionen in den entsprechenden Journalen gehört haben, das Buch verwerfen. Sie weist darauf hin, dass ihre Kolleg_innen wohl kaum wissen, dass die Studie in vielen anderen Journalen, in feministischen, wissenschaftsgeschichtlichen und kulturwissenschaftlichen Fachzeitschriften mit höchstem Lob bedacht und gefeiert wurde. Tatsächlich schrieben nicht nur Evelyn Fox Keller, Ruth Hubbard oder Elvira Scheich begeisterte Rezensionen. Anne Fausto-Sterling begann ihre Kritik im Journal of History of Biology gar mit dem Satz, dass Primate Visions ihr Leben verändert habe und zu den wichtigsten Büchern der letzten 20 Jahre gehöre. 10 Fedigan bestätigt, dass die Primatologie seit den frühen 1980er Jahren nicht nur besonders gender-sensitiv und gender-inclusiv geworden sei, sondern dass sie auch den anderen Kriterien gefolgt sei, die aus feministischer Sicht eine gute Wissenschaft auszeichnen. Als Gründe gibt sie an, dass in der Primatologie außergewöhnlich viele Wissenschaftlerinnen die Richtung der Forschung hin zu einem verhaltensökologischen Paradigma bestimmt hätten. Selbst wenn sich von diesen Forscherinnen nur wenige als feministisch bezeichneten, so habe dies doch zu einem Umdenken und einer Kritik androzentrischer Vorurteile geführt. Damit stellt sich die Frage, weshalb Haraways Buch in der Primatologie so einhellig verworfen wurde, jedoch nur umso dringlicher. Fedigan spricht von 40 Rezensionen, die sie gelesen habe und die sich in ihrer scharfen Kritik einig gewesen seien. Während sie die Frage in diesem Aufsatz mit der Vermutung beantwortet, dass für die meisten Vertreterinnen und Vertreter Haraways These, Primatologie sei Politik, unannehmbar sei, führt sie an anderer Stelle ein weiteres Argument an, dem ich hier weiter folgen möchte. An dieser Stelle schreibt Fedigan, dass sich die Primatolog_innen erst daran gewöhnen müssten, dass ihre Wissenschaft und Linda Marie Fedigan: „Is Primatology a Feminist Science?“, in: Lori D. Hager (Hg.): Women in Human Evolution, Routledge: New York/London 1997, S. 56–75. 10 Vgl. Anne Fausto-Sterling: „Essay Review: Primate Visions. A Model für Historians of Science?“, in: Journal of the History of Biology, Jg. 23, Nr. 2, 1990, S. 329–333. 9 Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog auch sie selbst ein Forschungsobjekt geworden seien und dass sie nun also ebenfalls vom Leuten mit Stiften und Notizbüchern beobachtet würden. 11 Tatsächlich waren die Wissenschaftsgeschichte und Science and Technology Studies vor 25 Jahren ebenfalls eine junge Disziplin, mit der es wenige Erfahrungen gab. Wenn Haraway die Primatologie als Politik bezeichnete, so tat sie dies nicht aus der innerwissenschaftlichen Perspektive der Primatologie, sondern aus der Perspektive einer Epistemologin und Wissenschaftshistorikerin. Deren Gegenstand ist nicht der gleiche wie derjenige der Primatologinnen und Primatologen. Der Gegenstand der Wissenschaft hat, so formulierte der französische Philosoph und Begründer der Epistemologie der Lebenswissenschaften Georges Canguilhem, mit dem Gegenstand Epistemologie nichts gemein. Der Gegenstand der Wissensgeschichte ist die Geschichtlichkeit des wissenschaftlichen Diskurses. 12 Nach Haraways Ansicht würde eine „gute“ Wissenschaft diesen epistemologischen Blick auf die eigene Praxis allerdings wertschätzen und teilen. Die Naturwissenschaften sind, wie sie betont, nicht weniger als die Humanwissenschaften das Ergebnis eines historischen und kulturellen Prozesses, was bedeutet, dass die wissenschaftliche Produktion von Fakten von Anfang an vermengt ist mit historisch und kulturell situierten Werten. Diese impliziten Werte lesbar zu machen, ist eine der Aufgaben, die sich Haraway mit ihrer Geschichte der Primatologie stellte. Sie macht die politische Seite ihrer Studie aus und ist umso brisanter, da es sich bei der Primatologie um eine Wissenschaft handelt, die im Zentrum des öffentlichen Interesses steht und mit der Kolonialgeschichte gleichermaßen verknüpft ist wie mit der Technikgeschichte des Westens und der Geschichte der Wissenschaften vom Menschen. Diffraktionelle Theorie als Technik des Sehens Aus heutiger Perspektive beeindruckt Primate Visions nicht nur durch das experimentelle Moment im Schreiben, sondern auch durch den Glauben an die Kreativität des Denkens. Wenn Haraway sich auf die Bewegung der antiautoritären Linken, die Bewegung des Antirassismus und die Frauenbewegung beruft und deren Vgl. Linda Marie Fedigan: „The Paradox of Feminist Primatology. The Godess’s Discipline?“, in: Angela N. H. Creager/Elizabeth Lunbeck/Londa L. Schiebinger (Hg.): Feminism in Twentieth Century Science, Technology, and Medicine, University of Chicago Press: Chicago 2001, S. 46–72. 12 Vgl. Georges Canguilhem: „Der Gegenstand der Wissensgeschichte“, in: Ders.: Wissenschaftsgeschichte und Epistemologie. Gesammelte Aufsätze, hg. v. Wolf Lepenies, Suhrkamp: Frankfurt a. M. 1975, S. 22-37, hier S. 30 11 Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog Anliegen mit der Forderung nach einer besseren Wissenschaft verbindet, dann kommt darin ein Optimismus in Bezug auf das Vermögen des Denkens zum Ausdruck, den man zuletzt in den Schriften von Foucault und Deleuze/Guattari gefunden hat. Man denke nur an die letzten Vorlesungen von Michel Foucault in den frühen 1980er Jahren und dessen Beschreibung des „lebenden Körpers der Philosophie als eines ‚Versuchs‘ – zu verstehen als eine verändernde Erprobung seiner selber und nicht als vereinfachende Aneignung des anderen zu Zwecken der Kommunikation“. 13 Oder an Deleuzes und Guattaris grenzüberschreitendes, unter dem Eindruck der starken außerparlamentarischen linken Bewegungen geschriebenes Gemeinschaftswerk Tausend Plateaus (1980), das bis heute eines der Kultbücher jener Studierenden ist, die nicht aufgehört haben, Denken und Politik zu verbinden. Alle drei waren übrigens geprägt von der Epistemologie und dem Denken von Georges Canguilhem. Anders als Deleuze und Guattari, die in Tausend Plateaus sehr verschiedene Bereiche wie Literatur, Musik, Geschichte, Philosophie, unterschiedliche Disziplinen wie Ethnologie, Linguistik, Geografie und ihre jeweilige Geschichte sowie Technik- und Mathematikgeschichte, Fotografien und Skizzen zu einem Gefüge schichten, bezieht Haraway auch die Populärkultur, die Geschichte der Werbung, der Pulp Fiction und des Fernsehens in ihre Geschichtsschreibung mit ein. Sie argumentiert mit Metaphern und denkt in Bildern. „Ich habe“, so schreibt sie in der Einleitung, „versucht, Primate Visions mit starken verbalen und visuellen Bildern anzufüllen.“ 14 In der Arbeit über die Primatologie rückten die Techniken des Sehens, des Präsentierens und Visualisierens in allen ihren unterschiedlichen Formen, angefangen von der Fotografie über das Diorama, den Dokumentarfilm bis hin zum Hollywoodfilm, von Werbeclips bis hin zur Erhebung und Präsentation von Daten immer mehr in den Vordergrund und mit ihr die Metapher des Sehens. Die zentrale Bedeutung, welche dem Sehen und den Techniken der Visualisierung in den Lebenswissenschaften zukommt, führte Haraway zu der Forderung, dass eine gute Wissenschaft und eine gute Wissenschaftsgeschichtsschreibung sich der Verantwortlichkeit für die Generativität aller visuellen Praktiken zu stellen habe. Ganz in diesem Sinne schlug sie vor, die wissenschaftliche Praxis des Sehens und der Produktion von Visionen, die mit der Metaphorik der Reflexion und des Zurückspiegelns verbunden ist, durch eine Praxis des Sehens und der Rekonstruktion von Geschichten zu ersetzen, welche der Methodik folgt, die in dem technischen Verfahren der Diffraktion, auf Deutsch „Beugung“, verborgen ist. 13 14 Michel Foucault: Der Gebrauch der Lüste, Suhrkamp: Frankfurt a. M. 1986, S. 16 Haraway: Primate Visions, S. 2. Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog Sowohl Reflexion als auch Diffraktion verweisen auf den Bereich der Optik, die zum Sehen gehörende Lehre des Lichts. Während Reflexion sich auf die geometrische Optik bezieht und das Zurückwerfen von Lichtwellen an einer Grenzfläche bedeutet, meint Diffraktion das Ablenken von Wellen an einem Hindernis. Sowohl Reflexion als auch Diffraktion haben mit Visualisierung zu tun und beide beziehen sich auf technische Verfahren, die leitend sind für die Geschichte der Physik und für die Geschichte der Wissenschaften vom Leben im 20. Jahrhundert. Als Techniken der Visualisierung knüpfen sie zugleich an die etymologische Herkunft des Begriffs „Theorie“ an, der zurückgeht auf das griechische theōría, das „Zuschauen, Betrachtung, Untersuchung“ heißt und sich aus dem Verb theōreĩn herleitet. Théā ist die „Schau“ und horãn bedeutet „sehen“. Die Diffraktion erlangte in der Molekulargenetik und damit für die Gen- und Reproduktionstechnologien durch die Röntgenbeugungsbilder der kristallinen DNS, die von der Physikerin Rosalind Franklin Anfang der 1950er Jahre in London am King’s College aufgenommen worden waren, zentrale Bedeutung. Sie bildete die Grundlage, auf der James D. Watson und Francis Crick ihre Modelle der DNS aus dem Atombaumodellkasten errichteten und so lange veränderten, bis sie mit dem Muster auf Franklins Röntgenbildern kompatibel waren. Das Modell, das passte, war die Doppelhelixstruktur. Für Haraways metaphorische Bezugnahme auf das Verfahren der Diffraktion ist ausschlaggebend, dass das Beugungsverfahren, anders als die Spiegelung, keine Abbilder liefert, sondern Muster, und dass es nicht dem Modell der Repräsentation folgt. Diffraktion beruht nicht auf der Differenz von Original und Kopie, sondern handelt von Nachträglichkeit und der Verbindlichkeit von Ereignissen, die immer schon vorbei sind und anderswo stattgefunden haben. Durch die spielerische Gegenüberstellung der Reflexion und der Diffraktion als unterschiedliche technische Verfahren der Sichtbarmachung verrückte Haraway die Perspektive auf das Verhältnis von Wissenschaft und Epistemologie und öffnete den Blick für die gegenseitige Bezogenheit von Wissenschaft, medialen Dispositiven, technischen Apparaten, Geschichte der Philosophie, dem Willen zum Wissen und der Wirkkraft von Bildern und Metaphern. Die Diffraktionsmuster lassen sich mit Haraway als Spuren lesen, welche die Geschichte von Interaktionen, Überlagerungen und Differenzen aufzeichnen. Diffraktion handelt, wie Haraway zusammenfasst, von einer „heterogenen Geschichte“ 15. Donna Haraway: Modest_witness@second_millenium.FemaleMan_Meets_OncoMouse. 15 Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog Affen im Paradies und Affen im Weltraum Primate Visions lässt sich als eine ganze Sammlung von heterogenen Geschichten lesen, welche die Überlagerungen der Primatologie mit der Geschichte der Kommunikationswissenschaft, der Informatik, mit der Geschichte des Kalten Kriegs, des Postkolonialismus, des Rassismus, der Veränderungen der Geschlechterverhältnisse und des Wechsels der wissenschaftlichen Paradigmen vom Positivismus und Funktionalismus zur Soziobiologie und zur Verhaltensökologie sichtbar zu machen versuchen. Diese Überlagerungen beziehen die Imaginationen, die Hoffnungen und Phantasien mit ein, welche in die Forschung mit Affen und in die Dispositive der Erforschung des Verhaltens von Affen eingeflossen sind. Sie sind, wie Haraway aufzuzeigen versucht, Erlösungsgeschichten nachgebildet, die in Politik, Wissenschaft, Wissenschaftskommunikation, Science Fiction, Ökonomie und Massenmedien in säkularisierter Form weiterleben. „Affen im Paradies – Affen im Weltraum“ ist der Titel des Kapitels, in dem Haraway die Neuerfindung der Primatologie zu Beginn der 1960er Jahre darstellt, in deren Zentrum der Begriff der Kommunikation stand. Es ist die Zeit, in der die junge Jane Goodall im afrikanischen Dschungel von Tansania mit wild lebenden Schimpansen Kontakt aufnimmt und Allen und Beatrice Gardner einem in Gefangenschaft lebenden Schimpansenweibchen AMESLAN, die amerikanische Gebärdensprache, beibringen, während in New Mexiko Affen als Cyborgs trainiert und in den Weltraum geschossen werden. Es ist die Zeit, in der Weltraumfahrer wie Juri Gagarin und Astrochimps wie der Schimpanse Ham den Weltraum erkunden, um der traumatisierten und von der Atombombe bedrohten Nachkriegswelt eine neue, unbeschriebene Zukunft zu weisen. Es ist dieselbe Zeit, in der Primatologinnen wie Jane Goodall das Verhalten von Affen in ihrer natürlichen Umwelt im afrikanischen Urwald erforschen, um auf diese Weise dem Ursprung der Menschheit auf den Grund zu gehen. Gewissermaßen an die unbekannten Ränder der Welt war die Wissenschaft zu Erkundungen aufgebrochen. Es ist die Zeit, in der Wissenschaft, Politik und Ökonomie das Ökosystem für sich entdeckten und mit der Kolonialisierung des Weltraums begonnen wurde. Was Haraways diffraktionelles Vorgehen auszeichnet, ist, dass sie den Überlagerungen zwischen diesen Ereignissen nachspürt und am Ende die Muster beschreibt, welche diese Ereignisse zusammenhalten. So modellierten die wilden Schimpansen, wie sie über viele Umwege aufzeigt, an dem einen Ende von Raum und Zeit die Kommunikation für eine ökologisch gefährdete und zugleich das Ökosystem gefährdende zivilisierte Menschheit, während am anderen Ende Routledge: New York/London 1997, S. 274. Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog der außerirdische Schimpanse mithalf, soziale und technische kybernetische Kommunikationssysteme zu konstruieren, welche der gleichen Menschheit erlauben sollten, in eine bessere Zukunft zu fliehen, die allererst möglich wurde durch die sozialtechnischen Systeme des „Informationszeitalters“. Befassen wir uns also mit Juri Gagarin, dem russischen Bauernjungen, der zum ersten Kosmonauten und Helden der Sowjetunion wurde. Juri Gagarin war der erste Mensch, der – am 12. April 1961 mit 27 Jahren – in den Weltraum flog, die Menschheit zum Frieden aufrief und ihr die Zukunft wies. Juri Gagarin starb 1968 bei einem Flugzeugabsturz unter bis heute nicht ganz geklärten Umständen. Bild von Juri Gagarin „Als ich die Erde umrundete, bewunderte ich die Schönheit unseres Planeten. Menschen der Welt, lasst uns diese Schönheit bewahren und nicht zerstören.“ Mit diesem Satz brachte Juri Gagarin, der auf seinem Flug um die Erde zum Major befördert wurde und danach nur noch zu Propagandazwecken für den Sozialismus reisen durfte, den Glauben an den Fortschritt und im gleichen Atemzug die Zerbrechlichkeit dieses Glaubens zum Ausdruck. Es ist, wie Haraway überzeugend darstellt, diese Ambivalenz, welche die Natur, verstanden als Ökosystem, und die um das Ökosystem kreisenden Fantasien mit dem Weltraum und den entsprechenden Zukunftsvorstellungen zusammenhält. Juri Gagarin war durch seinen Flug zur star persona geworden. Er repräsentierte nicht nur den Neuen Menschen und Helden des Sozialismus, sondern er war als „Kolumbus des Kosmos“ auch der Repräsentant einer Menschheit, die sich 350 Jahre nach der Eroberung Amerikas aufmachte, den Weltraum zu erforschen und sich durch diese Eroberung einer neuen Welt anschickte, sich eine neue Zukunft zu geben. Man kann die Rolle, welche Gagarin als Held der Sowjetunion und als sozialistischer Weltraumpionier spielte, gar nicht überschätzen. Er gab nicht nur in vielen, vor allem sozialistischen Ländern der Welt Interviews für Zeitungen, sondern trat auch im Fernsehen auf, und überall im Ostblock wurden Straßen und Schulen nach ihm benannt. Was in den Propagandatouren jedoch nicht erwähnt wurde: Unter allen Anwärtern wurde Juri Gagarin nicht nur wegen seines ruhigen Charakters ausgewählt, sondern weil er klein war und deshalb gut in die Weltraumkapsel passte. Was ebenfalls nicht erwähnt wurde, war, dass der Kosmonaut Gagarin in der Tat ein Cyborg war. Cyborgs aber Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog vertragen sich nicht gut mit der Heldenrolle. Denn Cyborgs sind komplexe Selbststeuerungssysteme, in denen nicht Heldentaten, sondern Funktionen und Feedbacks, in denen Regelungen und Automatismen zählen und nicht selbstgesetzte Zwecke und Autonomie. Als Cyborg war Gagarin ein Teil eines Maschinenorganismus. Kybernetik und Informatik stellten, wie Haraway treffsicher bemerkte, nach der kopernikanischen Wende, dem Darwinismus und der Psychoanalyse die vierte narzisstische Kränkung der Menschheit dar. Der erste Cyborg war zwar ein Mischwesen aus einer Laborratte, einer osmotischen Pumpe und chemischen Bestandteilen, die dem Organismus der Ratte in regelmäßigen Abständen über die Pumpe zugeführt wurden; das Modell, für das Manfred E. Clynes und Nathan S. Kline den Begriff des Cyborg erfunden hatten, richtete sich jedoch an die Weltraumfahrer. Das Mischwesen beziehungsweise das Feedback-System aus Pumpe, Pharmazie und Organismus galt der biotechnischen Optimierung von Astronauten. Das Experiment sollte erproben, wie Organismen von ihrer Umwelt unabhängiger gemacht werden können. Was in der star persona von Gagarin verborgen bleibt, ist die Verwandtschaft der Weltraumfahrer mit diesen Feedbacksystemen, die man Cyborgs nannte. Sie fällt jedoch schnell ins Auge, wenn wir die Geschichte von Gagarin vor dem Hintergrund der Geschichte von Ham betrachten. Ham war der Schimpanse, der am 31. Januar 1961 und damit nur knapp drei Monate vor Gagarin im Rahmen des USamerikanischen Man-in-space-Programms auf einen suborbitalen Flug geschickt wurde. Ham war das Akronym von Holloman Aero-Medical, die wissenschaftlich-militärische Institution, die ihn lancierte. Diesen Namen erhielt er jedoch erst nach seiner erfolgreichen Landung. Vorher wurde er nur Nr. 64 genannt – man wollte verhindern, dass mit dem Versuchstier eine Identität verbunden wurde. Seine Pfleger nannten ihn Chop Chop Chang, was, wie Haraway zu Recht festhält, den offenen Rassismus jener Zeit verdeutlicht. Bild von Ham Die ersten Astronauten kämpften mit der Erniedrigung, die für sie die Einsicht nach sich zog, dass Affen ihre, Aufgabe als Astronauten so gut erfüllten. Die Astronauten und Astrochimps spielten auf der gleichen Bühne, auf der die Heldenrolle des JetflugzeugTestpiloten nicht mehr gebraucht wurde. Nachdem der Schimpanse Enos einen vollautomatischen Weltraumflug ausgeführt hatte, sagte John Glenn, der erste USamerikanische Weltraumfahrer, er freue sich auf die Zukunft und glaube an die Superiorität von Astronauten gegenüber Chimponauten. Nach Glenns erstem Raumflug im Jahr 1962 titelte Newsweek: „John Glenn: One Machine that Worked without Flaw“. Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog Eine Maschine, die ohne Fehler funktionierte. Ham und Enos, aber auch Gagarin und Glenn sind Cyborgs. Ein Cyborg ist jedoch, um es mit Haraway zu formulieren, „wie jede wichtige Technologie zugleich ein Mythos und ein Werkzeug, eine Repräsentation und ein Instrument, ein stillgestellter Moment und ein Motor der sozialen und imaginativen Realität“. 16 Während man sich den außerirdischen Raum als universal, leer und unbeschrieben vorstellte und dieser einfach nur space hieß, wurde sein Gegenpart, das Ökosystem, als eine dichte, feuchte, körperliche Wildnis imaginiert, voll von sinnlichen Lebewesen, die sich intim und intensiv berühren. Haraway liest diese Ikonografie aus den Bildern, den Reportagen und den Filmen, welche die National Geographic Society von der Arbeit Jane Goodalls für ihre Zeitschrift und das Fernsehen produzierte. Die National Geographic Society war im späten 19. Jahrhundert gegründet worden. Schon damals beruhte der Erfolg dieser US-amerikanischen Institution darauf, dass sie nicht etwa die Popularisierung der Wissenschaft propagierte, sondern die Partizipation ihrer Leserinnen und Leser am doing science in den Vordergrund stellte. Wie sah diese Partizipation aus? Sie zielte auf ein bestimmtes Selbstverständnis der Leserinnen und Leser und vor allem auf das Sponsoring, also die finanzielle Unterstützung von wissenschaftlicher Forschung, und die Berichterstattung darüber. Die Arbeit der Primatologinnen wie Jane Goodall, Dian Fossey und Biruté Galdikas wurde über die Vermittlung ihres Förderers Louis Leakey von der National Geographic Society finanziert und in der Folge von professionellen Fotografen und Filmemachern – ausschließlich Männern – im Auftrag von National Geographic dokumentiert. Und zwar als Abenteuer und visuelles Vergnügen. Aus dieser Gemengelage entstand der Dokumentarfilm Miss Goodall and the Wild Chimpanzees, der, mit der Stimme von Orson Welles unterlegt, 1964 ausgestrahlt wurde und die wilden Schimpansen, vermittelt durch die sehr junge, sehr weiße und sehr unkonventionelle Primatologin, in die USamerikanischen Wohnzimmer brachte. Goodall wurde als Repräsentantin einer ganz neuen Form der Wissenschaft in Szene gesetzt. Es war nicht mehr jene Wissenschaft, welche sich die Natur untertan macht. Goodall führte ihre Zuschauer_innen vielmehr in eine Art ars erotica der Wissenschaft ein. 17 Die neue Form der wissenschaftlichen Beobachtung, für die Goodall steht, ist eine Beobachtung, die Geduld erfordert, nur stille Triumphe bietet, die mehr ein Empfangen ist als ein Produzieren von Daten, und als eine mit der Natur geteilte, irdische Berührung vorgestellt wird. Jane Goodall bewohnt, so 16 17 Haraway: Primate Visions, S. 139. Vgl. ebd., S. 131. Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog fasst Haraway zusammen, die eine Hälfte des Wunschsystems der Technowissenschaften, das davon träumt, den zerbrochenen Kosmos wieder zu schließen, und das in seiner natürlich-technischen Form als Ökosystem bekannt ist. Bild von Jane Goodall beim Handgeben mit einem Affen Die Bilder und Aufnahmen von Jane Goodall und den wilden Schimpansen unterscheiden sich durch die ästhetische Form und durch die Phantasien, die sie transportieren. Während der Urwald in Tansania den Hintergrund abgibt, vor dem die weiße Frau als Repräsentantin einer empfangenden Wissenschaft dem Ursprung nachgeht, handelt der universale und abstrakte Weltraum von der Zukunft. Ökosystem und Weltraum sind wissenschaftliche Räume und zugleich Tropen: allotopische Räume, die anderswo sind, die man aufsucht, um Abenteuer und Heiliges zu finden, Räume, in denen Erlösungsgeschichten spielen. Wird bei den star personae der Weltraumfahrer die Verwandtschaft mit dem Cyborg verschwiegen, so bleibt in der Geschichte von Jane Goodall ungesagt, dass das Ökosystem nicht unschuldig und techniklos ist, sondern als ein komplexes kybernetisch modelliertes Selbststeuerungssystem funktioniert. Ebenso verschwiegen wird die historische Tatsache, dass die afrikanischen Landschaften nicht unberührte Natur sind, sondern Teil einer Menschengeschichte, deren letzte drei Jahrhunderte geprägt waren durch die gewaltsame Kolonialisierung. Die in Jane Goodall and the Wild Chimpanzees einer medialen Öffentlichkeit vorgestellte Wissenschaftlerin erfüllte eine mediatisierende Funktion. Als Frau stand sie der Natur näher als der Mann und versprach, durch diese Nähe die Vertreibung aus dem Paradies zu heilen, die sich durch den Schock der Atombombe und die Erkenntnis, dass die Menschheit imstande ist, die Welt zu zerstören, ein zweites Mal ereignet hatte. Geschichten des Überlebens „Understanding is everything“ – „Verstehen ist alles“. So lautet die Bildunterschrift auf einer Werbeanzeige, die der Ölkonzern Gulf im Jahr 1984 zur Aufbesserung seines Images lancierte. Die obere Hälfte der Anzeige zeigt das Foto von zwei vertrauensvoll ineinander gelegten Händen. Es erstreckt sich über die ganze Bildbreite. Die eine Hand ist eine lederne, schwarze, behaarte Schimpansenhand. Sie liegt lässig auf der anderen, der zarten, jungen und sehr weißen Hand von Jane Goodall. Der Ölkonzern war einer der Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog Sponsoren der Television Specials der National Geographic Society. Die Anzeige ist in Haraways Buch abgebildet, das Foto ziert das Buchcover. Mit dem Bild, das der internationale Ölkonzern so geschickt zur Imagepflege einsetzte, bediente die Primatologie eine vertraute Erlösungsphantasie, die auf weiblicher Empathie aufgebaut ist und auf das Paradies verweist, in dem sich Tiere und Menschen als Gleiche verstehen. Diesen Erlösungsphantasien stellt Haraway mit ihrem Buch einen diffraktionellen Zukunftsentwurf entgegen, in dem es nicht um Erlösung geht, sondern um Überleben. Haraway schlägt vor, das technowissenschaftlich eingeleitete Brüchigwerden der Grenzen zwischen Mensch, Maschine und Tier als eine Chance zu nutzen, um die ausgrenzende Identitätspolitik des almost human zu unterbrechen. Und sie findet dafür Vorbilder in der blühenden Szene der nordamerikanischen feministischen ScienceFiction-Literatur der 1980er Jahre. Eine von diesen feministischen Science-FictionAutorinnen ist die 1947 in Kalifornien geborene, afroamerikanische, mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin Octavia E. Butler. Sie beschrieb in ihrer XenogenesisTrilogie aus den Jahren 1987–1989 eine zukünftige Welt, in der eine schwarze Menschenfrau mit Namen Lilith einen nuklearen Weltkrieg überlebt und mit einer außerirdischen Rasse, den dreigeschlechtlichen Oankali hybride Menschen-Oankali Wesen zeugt, um die Welt neu zu bewohnen. Dabei problematisieren die Romane die Frage, was vollwertiges Menschsein heißt, aus der Perspektive der Erfahrungen einer afroamerikanischen Frau in den USA des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Octavia E. Butler nutzt das Genre der Science Fiction, um sich mit unfreiwilliger Reproduktion, mit ungleichen Machtverhältnissen, mit dem Selbst im Besitz anderer, mit der Frage der Geschwisterlichkeit von Menschen und Aliens und mit dem Scheitern der Geschwisterlichkeit innerhalb der eigenen Spezies zu beschäftigen. Vergleichbar den Primatologinnen exploriert auch Octavia E. Butler die Verzahnungen, Überschneidungen und die Reichweiten der Grenzen zwischen Menschen, Maschinen, Tieren und Aliens entlang der Intimität des körperlichen Austauschs und der mentalen und kognitiven Vermögen der Verständigung. Während die in die Primatologie eingelassenen Erlösungsphantasien jedoch die Perspektive der weißen, westlichen und christlichsäkularen Geschichte der Kolonialisierung reproduzieren, sind die Zukunftsszenarien in Butlers Science-Fiction-Geschichten geprägt von den Erfahrungen des Rassismus, des Sexismus und des Kolonisiertwerdens. So evozieren die Szenen, in denen Lilith sich auf dem Raumschiff der Oankali wiederfindet, Erinnerungen an den Sklavenhandel und die Sklavenschiffe, in denen die Menschen aus Afrika nach Südamerika und in die USA verschleppt wurden. Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog Die Science-Fiction-Geschichten von Octavia Butler handeln nicht von Erlösung, sondern vom Überleben. Sie untersuchen in einem literarischen Gedankenexperiment, wie Arten, Gattungen und Gender in einer post-nuklearen und Post-Sklavenhaltergesellschaft beschaffen sein könnten. Diese Überlebensliteratur handelt von der Angst und der Hoffnung, dass die Kinder anders sein könnten als die Eltern, dass sie die Eltern nicht reproduzieren. Insofern handelt sie von jenen „Monstern“, die erscheinen, wenn die Grenzen zwischen Menschen, Tieren und Maschinen brüchig werden. Damit macht sie genau das zum Thema, was in den Phantasien, Wünschen und Erlösungsszenarien verschwiegen wird, welche von der Primatologie – bis heute – bedient werden. Obwohl genau dies die dringlichen Fragen unserer Gegenwart sind. Haraway macht dies deutlich, wenn sie schreibt, dass das Feld der Primatologie definiert ist durch die Frage der Politik der Reproduktion. Auf dem Spiel stehen die miteinander konkurrierenden Formen der Identität und der Differenz. Das heißt aber, dass das Feld der Primatologie die Welt ist, die wir bewohnen. Haraway zitiert dazu einen Satz aus Butlers Roman: „Sie lachte bitter. ‚Ich hatte angenommen, dies sei eine Art ‚fieldwork‘ – aber wo ist, zum Teufel, der Ausgang aus dem Feld?‘“. 18 Dies gilt für unsere Zeit heute, vielleicht noch mehr als für 1989. Ein guter Grund, sich mit Primate Visions zu beschäftigen. 18 Zitiert in Haraway: Primate Visions, S. 382. Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog Der Text erscheint im Katalog der Ausstellung: Ape Culture / Kultur der Affen, Herausgegeben von Anselm Franke und Hila Peleg, Co-Publisher Haus der Kulturen der Welt Spector Books ISBN 978-3-95905-000-5 (dt.) lieferbar ab Juni 2015 Ein Affe allein ist kein Affe Cord Riechelmann Angesichts der akuten Bedrohung aller Populationen der Menschenaffen kommt man um eine zentrale Frage nicht herum: Hat es den Affen geholfen, dass man begonnen hat, von ihnen zu sprechen? Oder hat es ihnen geschadet? Hat man von ihnen gesprochen beziehungsweise spricht man von ihnen vor allem zu ihrem Schaden? Letzteres ist eine Idee, die zuerst der Psychoanalytiker Jacques Lacan buchstäblich in den Raum geworfen hat. Zum Ende seines Seminars I über „Freuds technische Schriften“ (1) hatte er Bilder von Elefanten verteilt, als illustrierendes Beispiel für Lebewesen, von denen man zu ihrem Schaden spricht. Nun wird niemand auf die Idee kommen, Elefanten in einen „Monkey Chair“ zu setzen und ihnen den Kopf aufzubohren, um darin nach den neuronalen Grundlagen zum Beispiel der menschlichen Seekrankheit zu forschen, wie es die Neurowissenschaften mit Affen getan haben. Dafür sind Elefanten einfach zu groß. Schlecht behandeln kann man sie natürlich trotzdem und so geschieht es denn auch. Aber schlecht behandelt zu werden, ist kein Privileg von Tieren. Und damit sind wir bei der zweiten Frage gelandet, die sich in letzter Konsequenz stellt, wenn wir vom Menschenaffen sprechen. Könnten Menschen diejenigen sein, die durch ihr Schaffen, ihre technischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Werke, die wesentlichen Möglichkeiten der Natur verwirklichen? Die Primatologin Sarah Blaffer Hrdy hat die in der Frage enthaltene Spannung folgendermaßen zusammengefasst. „Ich habe keinen Zweifel daran, dass unsere Nachkommen in Tausenden von Jahren (ob auf diesem Planeten oder einem anderen) zweibeinige Menschenaffen sein werden, die Symbole gebrauchen und erzeugen. (...) Sie werden genauso konkurrenzorientiert und machiavellistisch sein, wie es die Schimpansen heute sind, und sie werden vermutlich noch intelligenter sein als die heutigen Menschen.“ Doch sei es ungewiss, ob sie noch immer jene Attribute besitzen würden, die wir heute als typisch für unsere Spezies Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog erachten – „nämlich Empathie und das Bestreben, die Emotionen anderer zu verstehen – Eigenschaften, die von unserem uralten evolutionären Erbe gemeinschaftlicher Fürsorge geprägt wurden.“ (2) Was in Hrdys so futuristisch gehaltenen Schlusssätzen ihrer großen Studie zur evolutionären Entwicklung der Empathie aus den kooperativen Aufzuchtsstrategien nicht-menschlicher und menschlicher Primaten leicht überlesen werden kann, ist ihre akute Diagnose. Die Empathie ist demnach schon im Verschwinden begriffen, die aktuellen westlichen Gesellschaften sind auf dem Weg, die Bedingungen ihrer Entwicklung zu verlieren. Und das hängt unter anderem mit der „Natur“ der Empathie zusammen. Es gibt für sie kein genetisches Apriori. Man kann die Fähigkeit zur Empathie nicht aus irgendeinem Genom wieder zum Leben erwecken, weil sie letztlich aus nichts anderem besteht als der empathischen Tat selbst. Auch deshalb kann man sie sehr leicht abschaffen beziehungsweise die Fähigkeit des Nachvollzugs der Emotionen anderer sehr schnell verlieren. Ist dies einmal geschehen – so lässt sich Hrdys Warnung auch verstehen –, kann man von ihren Bedingungen nur noch aus einer (natur-)historischen Perspektive erzählen. Aus den Archiven und Akten möglichst genauer Protokolle der „Primate Societies“ (3), der Affengesellschaften, in denen die Bedingungen geschaffen wurden, die nicht nur uns zu sozialen Wesen gemacht haben. Der Enthusiasmus, mit dem Primatologen wie Christophe Boesch versuchen, die letzten wildlebenden Schimpansenpopulationen so umfassend wie möglich zu protokollieren und zu analysieren, speist sich auch aus dem Wissen, dass sie an einer im Verschwinden begriffenen Spezies arbeiten. Denn die letzten ihrer Art wird man in ihrem Verhalten nie wieder so beobachten wie in ihren letzten wilden Refugien. Naturparks, künstlich geschaffene Rückzugsräume oder auch Zoos werden schon aus einem Grund nie die „wilde“ Situation nachbilden können: Es fehlen die Menschen als die „natürlichen“ Jagdfeinde, die sie in allen Gebieten sind, in denen heute Schimpansen noch in Afrika leben. Doch bevor die Primatologie zu einer Beschreibung der Affengesellschaften vordringen konnte, musste sie Grundlegendes lernen: Affe ist nicht gleich Affe, und vor allem ein Affe allein ist noch kein Affe – auf das Miteinander kommt es an. In seinen Studien an Rhesusaffenkindern, deren Veröffentlichung den amerikanischen Psychologen Harry F. Harlow in den 1950er Jahren weltberühmt machte, hatte er ein Bedürfnis nachgewiesen, das genauso elementar ist wie das Bedürfnis nach Luft, Wasser und Nahrung: das Bedürfnis nach einer Beziehung, einer Bindung an eine, einen oder mehrere Andere. Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog Elementar wie das Bedürfnis nach Luft, Wasser und Nahrung ist das nach Bindungen an Andere, weil ohne sie das Leben nicht weitergehen kann. (4) Und inwiefern dieses „Etwas, ohne das“ das Leben nicht weitergehen kann, sich vom bloßen „Etwas, ohne das“ das Leben nicht möglich ist (Luft, Wasser, Nahrung) unterschied, hatten Harlows Affenkinder drastisch gezeigt. Harlow hatte mutterlose Affenkinder vor die Wahl gestellt, zwischen einer künstlichen Mutter aus Drahtgestell, mit einer Milchflasche versehen, und einer „Mutter“ ohne Sauger, aber mit weichem, warmem Stoff bedeckt, zu entscheiden. Die Kinder verbrachten darauf die längste Zeit des Tages auf der „Fellmutter“ und sprangen immer nur kurz zum Trinken auf das Drahtgestell. Berühmt wurde Harlow mit dem Ergebnis seiner Studie, weil er zwei zu seiner Zeit vorherrschende wissenschaftliche Meinungen mit einem Schlag erledigte. Zum einen hatte er den amerikanischen Behaviorismus widerlegt, der die bei allen Säugetieren starke Mutter-Kind-Bindung ganz simpel mit der Belohnung durch die Muttermilch erklärte. Zum anderen war auch Sigmund Freuds Auffassung obsolet geworden, nach der der primäre Bindungsmechanismus zwischen Mutter und Kind die oral-erotische Befriedigung des kindlichen Saugtriebes ist. Offenkundig gab es hier noch etwas anderes als das bloße Bedürfnis nach Milch: ein Bedürfnis nach Kontakt, Bindung oder wie immer man es nennen mag, das sich, wie Harlow in der Folge zeigte, auch nicht auf ein wärmendes Tuch beschränken ließ. Denn auch die mit der Stoffpuppenmutter aufgewachsenen Kinder waren nichts anderes als verlorene Psychokrüppel. Sie hockten in ihren Käfigecken, schaukelten hin und her, verstümmelten sich selbst und waren unfähig, mit Artgenossen zu kommunizieren. Selbst fortpflanzen konnten sich nur die wenigsten von ihnen, weil auch ihr Sexualverhalten fundamental gestört war. Und wenn sie dann doch Kinder zur Welt brachten, waren brutale Misshandlungen die Regel. (5) Harlow hatte mit dem Bedürfnis nach Kontakten und Bindungen etwas entdeckt, das den Körpern nicht eingeschrieben war und das, ebenso wie Empathie, schlicht und einfach nur dadurch in die Welt kam, dass es stattfand. Bindungen waren somit als etwas beschrieben worden, das für jedes Individuum einerseits zur minimalen Existenzbedingung und andererseits zum Extensiven, zum ins Soziale Drängenden, gehört. (6) Interessant, um nicht zu sagen konstitutiv für die Geschichte der Primatologie ist dabei Harlows Hintergrund. Harlow war im II. Weltkrieg in leitender Position psychologischer Berater der US-Armee. Auch deshalb interessierte er sich für die Auswirkungen des Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog Verlusts sozialer Kontakte auf die Persönlichkeit. Zugespitzt kann man sagen, dass die Rhesusaffen für ihn ein Modellorganismus für die Erforschung von Kriegspsychosen waren. Und das verband ihn mit seinem Vorgänger, dem Psychologen Robert Yerkes. Als Yerkes 1923 von einem Seemann in Boston zwei juvenile Schimpansen kaufte, hatte er die Erfahrung als Psychologe der US-Armee im I. Weltkrieg bereits hinter sich. Ohne den spezifischen Umgang mit Kriegspsychosen in der US-amerikanischen Gesellschaft im Vergleich zu allen anderen Gesellschaften nach den Weltkriegen zu berücksichtigen, bekommt man weder die Geschichte der Primatologie in den Blick noch ihre immense Wirkung in der amerikanischen Populär-Kultur. Kriegspsychosen gab es natürlich überall, in der Sowjetunion wie in der Weimarer Republik, gesellschaftlich früh thematisiert wurden sie aber nur in den USA. Und das hing mit der amerikanischen Demokratie zusammen, die im I. Weltkrieg sehr viel mehr Schwierigkeiten hatte, Wirtschaft und Gesellschaft auf die Kriegsproduktion ein- und umzustellen als alle anderen beteiligten Nationen. Auch deshalb wurden die psychischen Folgen des Krieges in den USA aufmerksamer und kritischer beobachtet als in anderen Ländern. (7) Auch Yerkes suchte nach einem Modellorganismus, der nicht Mensch, aber dem Menschen sehr nahe war, um die verheerenden Auswirkungen des Krieges auf die Psyche vieler Menschen besser zu verstehen. (8) Dass Yerkes’ Forschungen sich dann aber sehr schnell entgegen seinen ursprünglichen Intentionen vor allem auf seine beiden Schimpansen konzentrierten, hatte auch damit zu tun, was sie ihn lehrten. Die beiden waren schon an sich so verschieden, dass jeder Vergleich zwischen ihnen schnell an seine Grenzen stieß. Von heute aus gesehen ist das relativ einfach zu erklären, weil Yerkes zwei Schimpansen erworben hatte, die zwei verschiedenen Arten angehörten, was er aber noch nicht wissen konnte. Der eine von ihnen, den er Prinz Chim nannte, war ein Zwergschimpanse oder Bonobo (Pan paniscus) – eine eigenständige Art, die erst 1929 beschrieben wurde. Der andere, der „gewöhnliche“ Schimpanse (Pan troglydytes) – Panzee mit Namen – litt an Tuberkulose, was sein Verhalten vermutlich beeinflusste. Yerkes’ 1925 erschienenes, sehr populäres Buch Almost Human, in dem er seine Erfahrungen mit Chim und Panzee detailliert schilderte, hatte jedenfalls eine immense, Wirkung. Menschenaffen, zu denen neben Schimpansen und Zwergschimpansen auch Orang Utans, Gorillas und Gibbons zählen, waren von da an ein Teil der amerikanischen Kultur. Außerdem konnten gerade Yerkes’ detailreiche Beschreibungen nicht darüber hinwegtäuschen, wie wenig man eigentlich über die Affen wusste. Als Yerkes 1927 unter dem Titel The Great Apes alles damals verfügbare Material über die Menschaffen zusammentrug, wurde klar, dass es keine systematischen Beschreibungen vom Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog Verhalten der Affen im Freiland gab. Die Beobachtungen stammten von Entdeckungsreisenden, Missionaren und Forschern, die alles Mögliche gesammelt und erschossen hatten. Die genauesten Beschreibungen hatte Alfred Russel Wallace geliefert und betrafen auf Borneo lebende Orang Utans. Wallace, der neben Darwin ein Begründer der modernen Evolutionstheorie war und vom Verkauf seiner auf Reisen gesammelten Pflanzen und Tiere an private Sammler und Naturkundemuseen lebte, überzeugte dabei vor allem durch seinen klinisch exakt beschriebenen Todeskampf der Orangs. Damit kannte er sich aus, denn er hatte Dutzende von ihnen erschossen. Dieser mörderische Akt setzte sich in den ersten systematischen Freilanduntersuchungen in den 1930er Jahren fort, die Clarence Ray Carpenter an Weißhandgibbons in Thailand durchführte: Auch Carpenter erschoss alle Gibbons, die er beobachtet hatte, nach Abschluss der Verhaltensdatensammlung. Teils weil er die Felle und Skelette haben wollte, teils, weil er das Geschlecht und den Mageninhalt der Tiere untersuchen wollte. Dabei machte Carpenter aber eine Entdeckung, die über eine „Fußnote“ zu Hrdys Titel Mütter und Andere weit hinausgeht: Eines seiner Gibbonpaare – Gibbons leben territorial in Familienverbänden mit in der Regel einem erwachsenen Männchen, einem Weibchen und deren Kindern – bestand aus zwei Männchen, die mit einem heranwachsenden Kind zusammenlebten, ohne das Carpenter dort irgendeine Verhaltensanomalie hätte feststellen können. Natürlich blieben die Freilandbeobachtungen mit abruptem, gewaltsamem Ende der Tiere bruchstückhaft, und daran sollte sich bis zum Auftritt der großen Drei der Freiland-Primatologie – Jane Goodall, Dian Fossey und Birutė Galdikas – in den 1960er Jahren nichts ändern. In den USA hatten Yerkes’ Pionierarbeiten an den Schimpansen in der Anthropologie zwei Schulen inspiriert, die in der Folge auch gegen die Intentionen ihrer Gründer die emanzipatorischen Tendenzen der Primatologie freilegten. Die eine Schule hatte sich um den Anthropologen Sherwood Washburn gebildet, der nach dem II. Weltkrieg an der University of Chicago Vorlesungen zur frühen Hominidenevolution hielt, die andere um den in Kenia nach frühen Hominiden grabenden ArchäoAnthropologen Louis Leakey. Donna Haraway hat der Washburn-Schule, die im Wesentlichen aus Schülerinnen bestand und der im weiteren Kreis auch Sarah Blaffer Hrdy entstammt, unter der treffenden Formel vom „Auftritt der Töchter im Feld des Jägers“ einen großartigen wissenschaftsgeschichtlichen Essay gewidmet. Darin zeigt Haraway neben der Entwicklung der Methoden einer Wissenschaft und ihrer institutionellen Verankerung Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog auch die unter anderem feministische Wirkung dieser Primatologinnen bis in die Gestaltung der Lehrpläne von öffentlichen Schulen in den USA. (9) Die Schülerinnen Leakeys wiederum, die großen Drei, Goodall, Fossey und Galdikas, strahlten auch in die Populärkultur aus. (10) Zusammen hatten die Schülerinnen der beiden Anthropologen es geschafft, von den 1970er bis in die 1980er Jahre hinein die Primatologie zu einer der wenigen Wissenschaften zu machen, die nicht nur in der Mehrzahl von Frauen betrieben wurde, sondern auch institutionell an den entscheidenden Stellen von Frauen besetzt war. Und dabei hatten sie, eine nach der anderen, die Definitionen, die den Menschen von den Tieren trennen sollten, in Frage gestellt. Sollten sich zum Beispiel Frühmenschen und Menschenaffen dadurch unterscheiden, dass die Menschen jagen und die Affen nicht, so konnte Goodall beobachten, dass auch Schimpansen jagen – und dies nicht allein, sondern in gut koordinierten Gruppen – und dass sie sich später auch das Fleisch teilen. (11) Als ähnlich revisionsbedürftig erwiesen sich Auffassungen über Werkzeuggebrauch und Krieg als Alleinstellungsmerkmal des Menschen: Schimpansen fischten mit zurechtgemachten Stöcken nach Termiten und sie führten regelrechte Kriege gegen benachbarte Schimpansengruppen. (12) Mit Jane Goodalls Beobachtungen zu Kriegen unter Schimpansen und Dian Fosseys detaillierten Beschreibungen von Kindstötungen durch männliche Tiere unter den Berggorillas in Ruanda (13) waren aber neben den großen Grenzen zwischen Menschen und Tieren auch noch einige andere Lehrsätze fraglich geworden. Wenn sich Tiere derselben Art im Freiland bekämpften, unter Bedingungen, die nicht durch menschliche Einflüsse korrumpiert beziehungsweise ins Pathologische gedrängt worden waren wie in Harlows Versuchen, musste an den harmonisierenden Konzepten der Art oder der Rasse prinzipiell etwas nicht stimmen. Wenn man ein Verhalten, das offenkundig Tiere der eigenen Art schädigte, nicht pathologisieren oder moralisieren wollte, konnte es sich nur um Verhaltensformen handeln, die man mit dem Artbegriff nicht repräsentieren konnte. Nicht zuletzt deshalb fielen Goodalls Kriegsbeobachtungen und Fosseys Berichte von den Kindstötungen mit der Geburt und der Blütezeit der Soziobiologie zusammen. Die populistische Formel dafür hatte Richard Dawkins 1976 mit dem Buchtitel The selfish Gene, das egoistische Gen, gefunden. Bevor man allerdings die Soziobiologie, die in der Wissenschaft ihre besten Tage schon hinter sich hat, als neoliberal-reaktionäre Doktrin abtut, sollte man sich ihre Gegner Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog genauer ansehen. (14) Bei der Soziobiologie handelt es sich um eine Verhaltenstheorie, die davon ausgeht, dass schon die kleinste Diffferenz, die sich im Genom zeigt und die uns neben anderen Einflüssen zu einzigartigen Individuen macht, auch Differenzen der Interessen nach sich zieht. Der entscheidende Motor für die Veränderungen in der Evolution ist demnach das Individuum und nicht eine harmonisierende Gruppe, die im Begriff der Art abstrakt zusammengeführt wird. Das war, als die Soziobiologie Anfang der 1970er Jahre auftauchte, keine neue Idee, schon Darwins zentrale Frage drehte sich um das Individuum. Wir wissen nicht ,was das Individuum vermag, lautete diese grundlegende Frage, auf die er eine Antwort finden wollte. Die Soziobiologie stellte sie nur neu, und das auch angesichts der verheerenden Erfahrungen des Art- und Rassekonzepts im 20. Jahrhundert. Dass sich Soziobiologen und sogenannte evolutionäre Psychologen in ihrer Betonung des Genegoismus – getragen von den Wahlsiegen Margaret Thatchers und Ronald Reagans und deren neoliberalen Gesellschaftszerstörungskonzepten Anfang der 1980er Jahre – auch verrannten und aggressiven Stuss in die Welt setzten, wie jene These von der Vergewaltigung als evolutionärer männlicher Fortpflanzungsstrategie, ist richtig, ändert aber nichts am grundsätzlichen heuristischen Wert dieser Wissenschaft. Dass die kleinste Differenz in den körperlichen Voraussetzungen auch differente Bewegungen und Interessen zur Folge hat, ist ja gerade die Voraussetzung, die erkennen lässt, dass Phänomene wie Bindungen und Empathien ohne Apriori, also nur im Moment ihrer Entstehung, ihre Ursache haben. Man kann diese Bewegung von der Soziobiologie zur Erfahrung der Empathie als weder prädestiniert noch prästabilisiert auch an der Forschungskarriere Sarah Blaffer Hrdys nachzeichnen. Hrdy begann als radikale Soziobiologin. Ihr erstes Buch, The Langurs of Abu. Female and Male Strategies of Reproduction (1977), war eine reine Differenzanalyse männlicher und weiblicher Fortpflanzungsinteressen unter einer evolutionären Perspektive. Mütter und Andere, im amerikanischen Orginal 2009 veröffentlicht, ist eine radikale Kritik nicht nur der amerikanischen menschlichen Kleinfamilie unter einer auch evolutionären Perspektive. Der Verlust der Fähigkeit zur Empathie ist unter anderem deshalb so leicht – so kann man ihre Kernaussage zusammenfassen –, weil man sich auch ohne sie fortpflanzen kann. Die menschliche Fortpflanzungstechnologie ist so weit fortgeschritten, dass man nicht einmal mehr den Akt der Paarung beherrschen muss, um sich zu reproduzieren. Von den Momenten der gemeinschaftlichen Fürsorge nicht nur für Neugeborene und Kinder, ohne die es Affen oder Menschenaffen gar nicht gegeben hätte, kann man in der Folge völlig absehen. Was verloren geht, sind dann keine Gene oder andere materielle Stoffe des Körpers, sondern schlicht Elemente des Sozialen, Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog von denen nur die Gesellschaften erzählen können, die in der Lage sind, sich selbst und andere zu beschreiben, denen also die sogenannte Neuroplastizität eine scheinbar neue Freiheit gegenüber dem Gendeterminismus verschafft hat. Mit Blaffer Hrdy kann man allerdings sagen, dass auch die Neurowissenschaften nichts anderes als sich selbstkorrigierende Spiegel hervorbringen. Die Anderen bleiben nur als Außen auf Dauer real. Man kann sie sich nicht immer wieder neu in der Erfahrung einverleiben, sondern muss sich ihnen in Empathie und Bindungen annähern. Und von den Bedingungen dieser Möglichkeit erzählen zur Zeit noch die letzten Affengesellschaften genauer als die entwickelten Menschengesellschaften. Insofern kann der Blick auf die Affen uns zwar nicht retten, aber eventuell einen besseren Zugang zu den Möglichkeiten der „Natur“ zeigen, deren Verwirklichung noch ausstehen könnte. Anmerkungen: 1 Jacques Lacan: Das Seminar. Buch I. Freuds technische Schriften, Quadriga: Weinheim/Berlin, 2. Aufl. 1990. Auf der Innenseite des Titelumschlags befindet sich das Bild eines Elefanten und darunter der Satz, mit dem das Buch schließt: „Jacques Lacan läßt kleine Figuren verteilen, die Elefanten darstellen.“ 2 Sarah Blaffer Hrdy: Mütter und Andere. Wie die Evolution uns zu sozialen Wesen gemacht hat, Berlin Verlag: Berlin 2010, S. 405 3 Vgl. Barbara B. Smuts et al. (Hrsg.): Primate Societies, Chicago/London 1987 4 Zu einer philosophisch-politischen Diskussion dieses „Etwas, ohne das das Leben nicht weitergehen kann“ siehe Frédéric Worms: Über Leben, Merve: Berlin 2013 5 Vgl. dazu Andreas Paul: Von Affen und Menschen. Verhaltensbiologie der Primaten, Darmstadt 1998, S. 168 und Frans de Waal: Wilde Diplomaten. Versöhnung und Entspannungspolitik bei Affen und Menschen, Hanser: München/Wien 1991, S. 20 6 Vgl. Worms, S. 33 (wie Anm. 4) 7 Um den Vergleich nicht als unhistorisch erscheinen zu lassen, sei darauf hingewiesen, dass Kriegspsychosen hierzulande erst seit dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr ein öffentliches Thema sind. 8 Die Verbindung von Primatologie und Psychiatrie lässt sich auch in Westdeutschland zeigen, wenn man die Arbeiten von Detlef Ploog am Max-Planck-Institut für Psychiatrie, dem Ort, an dem Jacques Lacan 1958 seinen einzigen Vortrag in der BRD hielt, als Pionierarbeiten der westdeutschen Primatologie ansieht. 9 Donna Haraway: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen, Campus: Frankfurt a. M. 1995 Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog 10 So schreibt Biruté M. F. Galdikas in ihrem Lebens- und Forschungsbericht Meine Orang Utans. Zwanzig Jahre unter den scheuen „Waldmenschen“ im Dschungel Borneos, 2. Aufl., Scherz: Bern/München/Wien 1995, über Jane Goodall: „Über ihre Aufsätze in der angesehenen Zeitschrift ‚National Geographic‘, Bücher und gemeinsam mit ihrem ersten Mann, dem Fotographen Hugo van Lawick, produzierte Fernsehsendungen sowie Vortragsreisen wurde aus dem täglichen Treiben eines Trupps wilder Schimpansen eine Familiensaga für das breite Publikum. ‚Flo‘ und ‚Fifi‘ wurden zu Mitgliedern der amerikanischen Durchschnittsfamilie. Lange bevor ‚Denver Clan‘ und ‚Dallas‘ über die Bildschirme flimmerten, wuchs eine Generation junger Amerikaner mit ‚Mike‘, ‚Melissa‘ und ‚David Greybeard‘ auf. ‚Flo‘ dürfte das einzige in Freiheit lebende Tier sein, dem die Londoner Times je einen Nachruf gewidmet hat.“ S. 41 (Alle „Namen“ bezeichnen Schimpansen aus Goodalls Beobachtungspopulation.) 11 Zum Jagdverhalten von Schimpansen vgl. Craig B. Stanford: Chimpanzee and Red Colobus. The Ecology of Predator and Prey, Harvard University Press: Cambridge, MA/London 1998 12 Vgl. u. a. hierzu Jane Goodalls Standardwerk: The Chimpanzees of Gombe, Harvard University Press: Cambridge, MA/London 1986 13 Vgl. Dian Fossey: Gorillas in the Mist, Houghton Mifflin: Boston 1983 14 Der deutsche Primatologe Volker Sommer hat in einem grundlegenden Essay 1992 darauf hingewiesen, dass viele Soziobiologinnen und –biologen eher dem emanzipatorischen Flügel zuzurechnen sind, während die Vertreter der Gruppenselektion, des Arterhaltungsprinzips, höflich gesagt, eher konservativ sind. Vgl. Eckart Voland: Fortpflanzung. Natur und Kultur im Wechselspiel, Suhrkamp: Frankfurt a. M. 1992, S. 51–73 Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog Der Text erscheint im Katalog der Ausstellung: Ape Culture / Kultur der Affen, Herausgegeben von Anselm Franke und Hila Peleg, Co-Publisher Haus der Kulturen der Welt Spector Books ISBN 978-3-95905-000-5 (dt.) lieferbar ab Juni 2015 „Man könnte uns als Schimpansen-Ethnografen bezeichnen“ Christophe Boesch im Gespräch mit Cord Riechelmann Cord Riechelmann: Herr Professor Boesch, als Sie mit Ihren ersten Arbeiten zum Nüsseknacken der Schimpansen im Taï-Nationalpark in der Elfenbeinküste über die Primatologie hinaus bekannt wurden, waren Sie in ein sehr spezielles Feld eingetreten: den Werkzeuggebrauch in nicht-menschlichen Gesellschaften. Es hatte dazu bereits Berichte von Jane Goodall und anderen gegeben, aber Ihre Beobachtungen bezeugten eine deutliche Steigerung des bisher Bekannten: Die Schimpansen benutzten bestimmte Unterlagen und Hämmer, außerdem gab es so etwas wie Werkstätten, zu denen die Tiere immer wieder zurückkehrten, um die Nüsse zu knacken. Können Sie ihren Weg in dieses Feld der Primatologie, den elaborierten Werkzeuggebrauch beschreiben? Christophe Boesch: Die Primatologie begann für mich 1973 bei Dian Fossey mit den Berggorillas in Ruanda. Ich war an einem Langzeitprojekt beteiligt, in dem es darum ging, die Gorillas in den Virunga Mountains zu zählen. Wie vielleicht viele junge Leute empfand ich eine Faszination für Gorillas, und weil ich Franzose bin, hat Dian Fossey mich in ihr Team aufgenommen. Im Kontakt mit den Behörden in Ruanda, deren Amtssprache unter anderem Französisch ist, war das hilfreich, und ich konnte Erfahrungen sammeln, die später für mein eigenes Projekt gut zu gebrauchen waren. Von meinem Professor in Paris hatte ich gehört, dass die Schimpansen in Westafrika, in der Elfenbeinküste, Nüsse knacken könnten. Es war aber nie beobachtet worden. Es gab nur zwei Berichte, in denen es hieß, man hätte Spuren von Nussknackplätzen gefunden, mit geknackten Nüssen und Hämmern – und die Afrikaner, die dabei waren, versicherten, das seien Schimpansen gewesen. Als junger Wissenschaftler habe ich mir gedacht: Erstens, Schimpansen sind interessant, sie sind unsere nächsten Verwandten, Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog und zweitens, der Werkzeuggebrauch – das könnte zu Fragen führen, die auch für uns Menschen bedeutsam sind. Ich beschloss, das Risiko auf mich zu nehmen und dorthin zu gehen. Und in den sieben Monaten, die ich in der Elfenbeinküste verbrachte, konnte ich tatsächlich eine Schimpansin dabei beobachten, wie sie Nüsse knackte. Zuerst hatte ich nur den Lärm gehört, aber als ich nahe genug war, habe ich sie gesehen: Sie hatte den Hammer in der Hand. Das war die erste Bestätigung überhaupt, dass Schimpansen mit einem Hammer Nüsse knacken. Auf Grundlage dieser Beobachtung konnte ich dann auch mein Projekt mit mehr Geld ausstatten. Mit meiner Frau, Hedwige Boesch, bin ich 1979 in die Elfenbeinküste gegangen – und heute sind wir immer noch dort und arbeiten weiter. Es ist schwierig, in Afrika mit Schimpansen zu arbeiten, weil sie überall, wo sie vorkommen, von Menschen gejagt werden: weil ihr Fleisch sehr gut schmecken soll und weil es ein Gefühl für die nahe Verwandtschaft gibt, die den Schimpansen übermenschliche Kräfte zuschreibt. Auf Kinder und Kranke soll es positive Wirkungen haben, wenn sie deren Fleisch zu sich nehmen. Deshalb haben auch Schimpansenknochen in der traditionellen Medizin eine besondere Bedeutung. Und weil sie gejagt werden, sind Schimpansen besonders scheu und rennen weg, bevor wir sie überhaupt zu Gesicht bekommen. Es hat zwei Jahre gedauert, bis wir erste Fortschritte im Umgang mit ihnen feststellen konnten. Um sie gut beobachten zu können – das heißt, um sie beobachten zu können, obwohl sie wussten, dass wir sie beobachten –, brauchten wir fünf Jahre. Diese Zeit ist notwendig, um sich in den Habituationsprozessen so aneinander zu gewöhnen, dass man die Tiere beobachten kann, ohne dass sie ihr Verhalten ändern. CR: Wenn ich mich recht erinnere, hat Jane Goodall auch fünf Jahre gebraucht. CB: Genau. Sie hat versucht, den Prozess zu beschleunigen, indem sie ihre Schimpansen mit Bananen gefüttert hat, geholfen hat es aber eigentlich nicht. Unser großes Glück war, dass die Schimpansen dort Nüsse geknackt haben. Die NussSaison dauert ungefähr vier Monate pro Jahr. Und Nüsse zu knacken, macht Lärm. Obwohl die Schimpansen wussten, dass da Menschen sind – die sie ja nicht haben wollen –, haben sie ihre Anwesenheit durch das laute Nüsseknacken verraten. Wir entwickelten ein Ohr für dieses bestimmte Geräusch und konnten die Schimpansen immer häufiger finden. In den ersten Analysen ging es darum, wie viele Nüsse die Tiere pro Minute Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog öffneten, wie viele Schläge sie brauchten und wer die Nüsse öffnete. Dabei stellten wir fest, dass die Weibchen effizienter waren als die Männchen, was der allgemeinen Tendenz der Wissenschaft widerspricht, die Männer in den Vordergrund zu stellen. CR: So ist es mir damals auch aufgefallen. Ihre ersten Arbeiten waren eine effektive, fundierte Widerlegung von allem, was aus der „Man-the-Hunter-Hypothese“, der Jagdhypothese über die aktiven Männchen und die passiven Weibchen, folgte. CB: Genau. Und die Feministinnen, die noch sehr aktiv waren in dieser Zeit, haben meine Arbeit sofort als Argumentationshilfe genommen. Als einen Beweis, dass in unserer Evolutionsgeschichte wahrscheinlich die Frauen eine sehr viel größere Rolle gespielt haben, als ihnen bis dahin zugestanden wurde. Wir fragten uns aber, wie weit dieses Verhalten in Afrika verbreitet ist. Das erstaunliche Ergebnis war, dass es in der Elfenbeinküste eine Grenze gab, die entlang des SassandraFlusses verlief: Alle Schimpansen westlich des Flusses knackten Nüsse und alle Schimpansen östlich davon taten es nicht. Und das, obwohl es östlich des Flusses genauso viele Nussbäume gab, genauso viele Wurzeln, die man als Amboss benutzen konnte, und auch genug Material für Hämmer. Es gab also keine umweltbedingten Faktoren. Daher haben wir angeregt, Nussknacken als kulturelles Verhalten zu verstehen, weil die Erklärung nur eine rein soziale sein konnte. Die Schimpansen auf einer Flussseite machen es, die auf der anderen machen es nicht. Es ist jetzt 24 Jahre her, dass wir das publiziert haben … CR: Sie haben Ihre Forschungen auf eine faszinierende Weise ins Detail getrieben, bis zu einer Enzyklopädie der Hämmer nach Größe und Form. Verlangte diese Forschung nicht eine umfassende Kenntnis der Individuen, die Sie beobachtet haben? Oder gehe ich da zu weit? CB: Ganz und gar nicht. Unsere Beobachtungen von Schimpansen – oder generell von Primaten – erfordern, dass wir die Tiere individuell identifizieren. Wir geben ihnen sogar Namen. Und es dauert oft eine frustrierend lange Zeit, bis man zu Ergebnissen kommt. Schimpansen sind ja erst mit 13, 15 Jahren erwachsen. Das heißt, wenn man eine Studie darüber machen möchte, wie ein Verhalten erlernt wird, weiß man, man Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog fängt mit einem Projekt an, das mindestens fünf oder zehn Jahre in Anspruch nimmt. Das macht die Sache schwierig. CR: Das macht sie a) schwierig, und b) widerspricht es nicht jeglicher Tendenz – von den Wissenschaften selbst ausgegeben –, möglichst schnell zu Ergebnissen zu kommen? Sind Sie damit nicht einer der letzten Vertreter von Langzeitstudien? CB: Das würde ich nicht sagen. Ich gehöre vielleicht zu dieser Generation, die ihre Studien auf eine lange Dauer angelegt hat, und ich habe am Anfang auch nicht geahnt, dass ich 35 Jahre mit den Schimpansen arbeiten würde. Grundsätzlich ist der Vorteil von längeren Studien gegenüber kurzen aber nach wie vor in der Wissenschaft akzeptiert. Und das gilt auch für die Geldgeber wie den Schweizerischen Nationalfonds, der mich immer unterstützt hat. Gleichzeitig gibt es natürlich eine Verpflichtung der Forscher, immer wieder mit neuen Ideen zu kommen. Das ist klar. Und deswegen habe ich mich nach sechs Jahren, in denen ich zum Nussknacken geforscht habe, einem anderen Thema zugewandt, dem Jagdverhalten der Schimpansen. CR: Es gibt – ich habe es selbst noch in Vorlesungen gehört – immer noch den Begriff vom „Jagdhassen“ 1. Jane Goodall wiederum hat die Beobachtung gemacht, dass das Jagen und Fangen von Colobusaffen eine rein männliche Angelegenheit unter den Schimpansen war. Bei Ihnen werden aber weder Hass und Aggression noch der männliche Aspekt besonders betont. CB: Absolut. Ich glaube nicht, dass diese Vorstellung vom Hass den Schimpansen entspricht. Für viele Räuber ist die Jagd einfach eine Form der Nahrungssuche, die nicht mit Hass oder ähnlichen Emotionen verbunden ist. Das würde die Sache für die Jäger auch unnötig verkomplizieren, weil eine Jagd ein Mindestmaß an Planung beinhaltet. Man sucht nach Beute, oder vielleicht sucht man zuerst Jagd-Teilnehmer und im Anschluss die Beute – womit man nicht jedes Mal erfolgreich sein kann. Das heißt, man muss auch beurteilen, in welchen Fällen es sich lohnt zu jagen und in welchen nicht. Schimpansen, die in Gruppen jagen, müssen sich darüber hinaus auch noch organisieren während der Jagd: Wer nimmt welche Rolle ein, wie kann ich den anderen helfen, denen Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog gerade ein Colobus zu entkommen droht? Wenn das Jagen rein emotional bedingt wäre, würden sich alle nur auf die nächste Beute stürzen und wahrscheinlich nie etwas fangen. Schimpansen jagen Affen, die kleiner sind, die ganz hoch in den Bäumen leben und Fluchtwege wählen, auf denen ihnen die Schimpansen nicht folgen können. Das heißt, sie müssen sich organisieren, sonst funktioniert das einfach nicht in solchen Wäldern. Damit lässt sich auch erklären, warum die Taï-Schimpansen viel häufiger in Gruppen jagen als Schimpansen in anderen Wäldern, wo es einfacher ist, die Beute in eine Ecke zu drängen. CR: Gerade am Jagdverhalten der Schimpansen unter den komplizierten Bedingungen des Taï-Regenwaldes hat mir das, was Sie als öko-kulturell bezeichnen, besonders eingeleuchtet, also zum Beispiel die Anforderungen, die bestimmte ökologische Verhältnisse an die Lernprozesse stellen. CB: Man kann uns auch als Schimpansen-Ethnografen bezeichnen. Ich habe immer großen Wert darauf gelegt zu zeigen, dass Schimpansen ein sehr variables, flexibles Verhalten an den Tag legen und dass jede Population ganz unterschiedliche Verhaltensmuster ausbilden kann. Das sollte man berücksichtigen. Und: Das Verhalten ist teilweise klar durch Umwelteinflüsse bestimmt, im Taï-Wald ist das der dichte tropische Regenwald. In Gombe, in Tansania, wo Jane Goodall gearbeitet hat, haben wir es im Vergleich dazu mit offenem Buschland zu tun: Savannen gemischt mit Wald, wo die Sichtbarkeit, die Topografie, also die Bäume und die Waldstruktur ganz anders geartet sind. Dementsprechend kann man auch erwarten, dass sich Schimpansen – wie viele andere Tierarten – an die ökologischen Umstände anpassen. Und damit kommen wir zurück zum Begriff der Kultur, weil wir eben erwarten, dass sich auch Schimpansen im Lauf der Evolution an die Umstände ihrer Lebensräume anpassen. Dass eine Tierart in unterschiedlichen Lebensräumen unterschiedliche Verhaltensmuster zeigen kann, hat aber noch nichts mit Kultur zu tun, das ist lediglich eine Anpassung an die Umwelt. Es war für uns, die wir eine Tür für die Kultur der Tiere öffnen wollten, also Pflicht zu beweisen, dass die kulturellen Unterschiede zwischen einzelnen Populationen nicht von den Umweltbedingungen abhängig sind – obwohl wir wissen, dass Kultur beim Menschen auch umweltabhängig ist. Die Definition von Kultur, die wir zu Anfang benutzt haben, um Kultur bei Tieren zu zeigen, war also strenger Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog umgrenzt als die Kriterien, die man beim Menschen angelegt hat. Das ist natürlich nicht ganz fair ... CR: Ich finde, das ist ein ganz wichtiger Aspekt Ihrer Arbeiten. Michel Foucault hat einmal gesagt, wenn er mit Außenseitern arbeitet, wie beispielsweise mit psychisch Kranken, dann muss er genauer sein als bei normalen, gesunden Menschen. Damit will ich jetzt nicht Schimpansen und psychisch kranke Menschen vergleichen. Ich finde es aber den Schimpansen gegenüber die fairste Lösung, bei ihnen strengere Kriterien anzulegen. CB: Es ist eben sehr schwierig, weil es in den wissenschaftlichen Diskussionen immer zwei Lager gibt. Wenn man mit Schimpansen arbeitet, ist die Lage vielleicht noch gravierender, weil wir die berühmte große Barriere berühren. „Die goldene Barriere“ hat sie Stephen Jay Gould genannt, die den Menschen von allen anderen Lebewesen trennt oder trennen sollte. Das ist natürlich auch der Reiz, warum ich mit Schimpansen arbeite. Wie alle Schimpansen-Forscher möchte ich sehen, wie hoch diese Barriere tatsächlich ist. Sie wurde gewissermaßen theoretisch gesetzt, zu Beginn von der Religion, später auch von Wissenschaftlern und Philosophen. Sokrates, Rousseau und all die anderen hatten ja keine Ahnung, was diese Tiere machen und können. Es gab nur Reiseberichte oder Darstellungen von Einzeltieren, die man zufällig beobachtet hatte – oft genug waren die Tiere sogar schon tot. Man hatte keine Vorstellung von Menschenaffen in ihrer natürlichen Umgebung, und diese Blindheit der Wissenschaft hat bis Anfang der 1960er Jahre vorgehalten. Erst zu diesem Zeitpunkt sind Jane Goodall und andere Biologen oder Verhaltensökologen in die Natur gegangen und haben die Tiere in ihrem normalen Lebensumfeld beobachtet. Das heißt, wir verfügen heute über den unglaublichen Luxus, Wissenschaft zur Frage der goldenen Barriere betreiben zu können. Ich bin jedes Mal ein bisschen entsetzt, wenn ich sehe, dass die Freude daran, diese Barriere auszutesten, von vielen Wissenschaftlern gar nicht empfunden wird. Um damit sind wir wieder bei der Kultur angelangt … Kultur ist ein Begriff, den Menschen für Menschen gemacht haben, um die größte Errungenschaft eben der Menschheit darzustellen. Wenn wir also über Kultur bei Tieren sprechen, ist es klar, dass die Skeptiker, die die andere Seite der Barriere für sich in Anspruch nehmen, alles sehr kritisch beobachten. Und das Problem mit dem Beweis von Kultur beim Nussknacken ist, dass wir auf der einen Seite Populationen haben, die Nüsse Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog knacken, und auf der anderen Seite Populationen, die NICHT knacken. Es ist sehr schwer zu ergründen, warum eine Population oder ein Tier etwas nicht tut. Ein Vorteil unseres Projekts mit den Taï-Schimpansen ist aber, dass wir früh angefangen haben, benachbarte Gruppen an menschliche Beobachter zu gewöhnen. So konnten wir über Jahre hinweg drei benachbarte Gruppen verfolgen und auf kulturelle Unterschiede hin untersuchen. Während der Nussknacksaison konnten wir feststellen, dass die Gruppen jeweils spezifische Kriterien dafür haben, wie man einen guten Hammer auswählt: Die drei Gruppen, die regelmäßig aggressive Kontakte haben und wahrscheinlich auch Weibchen austauschen, haben jeweils klare unterschiedliche Vorlieben bezüglich der Hämmer, die sie benutzen. Wir haben also drei benachbarte Gruppen in demselben Wald, in dem sie auch Kontakte haben. Trotzdem bleiben klare kulturelle Unterschiede hinsichtlich der Kriterien, nach denen sie ihre Hämmer wählen. Das ist sehr merkwürdig, weil es sogar regelmäßig Weibchen gibt, die von einer Gruppe zur anderen wandern. 2 Das zeigt, dass die Weibchen sich den Gewohnheiten ihrer neuen Gruppe anschließen. Und die Weibchen wandern aus, wenn sie zwischen zehn und zwölf Jahre alt sind – ein Alter, in dem sie schon sehr gute Nussknackerinnen sind. Sie beherrschen also die Technik ihrer Geburtsgruppe, wenden aber, wenn sie in eine neue kommen, deren Techniken an. CR: Und das ist dann unter ökologisch gleichen Bedingungen nicht mehr öko-kulturell, sondern sozusagen rein kulturell? CB: Ein echter Beweis für kulturelles Verhalten. CR: Ich möchte gern noch auf zwei Sachen zu sprechen kommen, die auch etwas mit Kultur zu tun haben, aber nicht von den Schimpansen ausgehen. Erstens: Sind Sie immer mit den jeweiligen Regierungen in Fragen Ihrer Forschungserlaubnisse zu einer Einigung gekommen? CB: Ja immer. Zum Glück. CR: Und zweitens: Hat sich der Wald mit den Jahren verändert? Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog CB: In den letzten 35 Jahren ist die Entwaldung in der Elfenbeinküste so rasant vonstatten gegangen, dass es jetzt nur noch im Nationalpark Urwald gibt. Das ist sehr traurig, aber auch verständlich, in dem Sinne, dass die Menschen die Natur nie berücksichtigt haben. Wir haben alles kaputt gemacht und eine Konsequenz daraus ist, dass die Menge der Regenfälle in Afrika seit über 60 Jahren so drastisch wie kontinuierlich sinkt. Dadurch vergrößert sich die Wüste und wandert Richtung Süden – und was sollen die Menschen machen? Sie können keine Landwirtschaft mehr betreiben und wandern ebenfalls nach Süden. Die Bevölkerung an der Küste hat sich verdreifacht, über die Hälfte sind Zuwanderer aus dem Norden. Es ist klar, dass das auf Kosten der Wälder geht. Durch die Vernichtung der Wälder geht wiederum die Austrocknung Afrikas weiter. In der Elfenbeinküste zum Beispiel regnet es weniger und es gibt jetzt entlang der Küste Trockenzeiten – das gab es vorher nie. Was wir hier miterleben – in Afrika oder auf anderen Kontinenten –, ist eine Folge des Klimawandels. Das heißt auch, dass die Tiere, die in diesen Wäldern gelebt haben, nicht mehr da sind. Mit den Wäldern sind die Elefanten, Schimpansen und Waldantilopen allesamt verschwunden. CR: Ich würde Sie gern fragen, wie Sie es schaffen, angesichts der im Grunde ausweglosen Lage Ihrer Schimpansen so enthusiastisch weiterzuarbeiten, nicht nur in der Elfenbeinküste, sondern auch mit Ihrem „Pan African Programme: The Cultured Chimpanzee“, das alle noch existierenden Populationen zu erfassen und zu erforschen versucht? CB: Ich glaube, man arbeitet im Schimpansenschutz nur, wenn man ein – sagen wir mal – unverbesserlicher Optimist ist. Es gibt leider immer wieder Grund genug zur Frustration, und öffentlich darüber zu reden ist nicht gut, weil man die Umweltschutzbemühungen schlechter verkaufen kann. Aber es ist die Wahrheit. Ich denke, man muss sie in Kauf nehmen und nicht immer Illusionen verbreiten. CR: Meine Frage haben Sie beantwortet. Ich möchte trotzdem noch einmal fragen, wie Sie zu dieser für mich wunderbaren Haltung kommen, dass es in dieser Situation für einen Wissenschaftler gar keine andere Möglichkeit gibt, als weiter zu forschen? Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog CB: Ich kann gut verstehen, wenn jemand, der Forschungen mit wilden Populationen betreibt, so deprimiert wird, dass er sagt: Ich kann nicht mehr, weil meine Tiere verschwinden. Eine andere Strategie ist, aktiver im Umweltschutz zu werden. In der Primatologie ist das bei vielen Forschern deutlich zu sehen. CR: Für mich war Ihr Engagement auch deshalb immer so einleuchtend, weil Sie radikal auf der Unterscheidung von wilden Populationen und anderen, etwa in Zoos, bestanden haben. Wenn ich Sie richtig verstehe, sagen Sie sogar, eine Vergleichbarkeit sei nicht gegeben. CB: Wie bereits erwähnt, lege ich großen Wert auf die Flexibilität des Verhaltens bei hochentwickelten Tieren. Und das nicht nur bei Schimpansen. Ich habe selbst monatelang Schimpansen an verschiedenen Orten beobachtet und unmittelbar erlebt, wie stark die Populationsunterschiede sind, wie groß der Umwelteinfluss ist. Ich betrachte die Tiere also von der natürlichen Seite her. Wenn ich dagegen ein Tier im Zoo oder in Käfigen sehe, weiß ich, dass das vollständig künstliche Lebensbedingungen sind. Die Tiere sind flexibel genug, sich auch daran anzupassen – nicht unbedingt zu ihrem Besten, aber sie passen sich an. Ich bin der Überzeugung, dass Tiere, die in solchen künstlichen Umwelten aufwachsen und leben, benachteiligt sind. Gefangenschaft bedeutet eine vollständig passive Umwelt, dort passiert nichts. In diesem Sinne sind sie also – verglichen mit freilebenden Tieren – sehr viel ärmer. Ich habe das jahrelang immer wieder betont, zum Glück wird es gerade in letzter Zeit mehr und mehr wahrgenommen. Es gibt mittlerweile Studien, die konkret beobachten, welchen Einfluss auf das Verhalten und noch stärker auf die Entwicklung des Hirns die künstlichen Lebensbedingungen haben. Daraus kann man nur schließen, dass die Gefangenschaft schlecht für die Entwicklung der Tiere ist. Ich würde jetzt trotzdem nicht sagen, man soll aufhören, mit gefangenen Tieren zu arbeiten, weil es sicher einige Dinge gibt, die man dort untersuchen kann. Man kann aber nicht in der Gefangenschaft gewonnene Erkenntnisse generalisieren und auf wilde Tiere übertragen. Es ist ein Problem der Interpretation und Generalisierung. 1 Der Begriff wurde von Irenäus Eibl-Eibesfeldt, einem Schüler von Konrad Lorenz, geprägt. Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de Vorabdruck - Katalog 2 Schimpansen leben in Gruppen, in denen die Männchen immer in ihren Geburtsgruppen bleiben, und die Weibchen, wenn sie geschlechtsreif werden, auswandern und sich anderen Gruppen anschließen. Pressekontakt: Haus der Kulturen der Welt, Anne Maier, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, Fon +49 30 397 87-153, Fax +49 30 3948679, [email protected], www.hkw.de