Die Mensch-Tier Beziehung unter ethischem Aspekt
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Die Mensch-Tier Beziehung unter ethischem Aspekt
Literaturbericht Literaturbericht 2008/2009 Die Mensch-Tier Beziehung unter ethischem Aspekt Petra Mayr, Judith Benz-Schwarzburg, Regina Binder, Dieter Birnbacher, Silke Bitz, Gieri Bolliger, Marius Christen, Arianna Ferrari, Kathrin Herrmann, Detlef Horster, Roman Kolar, Erwin Lengauer, Jörg Luy, Cecilia Muratori, Kurt Remele, Silke Schicktanz, Kirsten Schmidt und Norbert Walz 1 Inhalt Vorbemerkungen Allgemeines zum Tierschutz 1.1 1.2 David Forster Wallace: Am Beispiel des Hummers David Fraser: Understanding Animal Welfare 2 Philosophische Ethik 3 Ethik interdisziplinär 2.1Tom L. Beauchamp, F. Barbara Orleans, Rebecca Dresser, David B. Morton and John P. Gluck: The Human Use of Animals – Case studies in Ethical Choice 2.2 Dagmar Borchers und Jörg Luy (Hrsg.): Der ethisch vertretbare Tierversuch. Kriterien und Grenzen 2.3 Cordula Brand, Eve-Marie Engels, Arianna Ferrari und László Kovács (Hrsg.): Wie funktioniert Bioethik? Interdisziplinäre Entscheidungsfindung im Spannungsfeld von theoretischem Begründungsanspruch und praktischem Regelungsbedarf 2.4 Reinhard Brandt: Können Tiere denken? 2.5 Andreas Brenner: Leben 2.6 Paola Cavalieri (ed.): The Death of the Animal: A Dialogue 2.7 Markus Düwell, Dieter Birnbacher et al. (Hrsg.): Medizinethik und Empirie – Standortbestimmungen eines spannungsreichen Verhältnisses 2.8Tina-Louise Fischer: Menschen- und Personenwürde. Über die Notwendigkeit eines neuen Würdebegriffs 2.9 Gary L. Francione: Animals as Persons: Essays on the Abolition of Animal Exploitation 2.10 Richard P. Haynes: Animal Welfare. Competing Conceptions and Their Ethical Implications 2.11 Clare Palmer (ed.): Animal Rights 2.12 Klaus Peter Rippe: Ethik im außerhumanen Bereich 2.13 Kirsten Schmidt: Tierethische Probleme der Gentechnik. Zur moralischen Bewertung der Reduktion wesentlicher tierlicher Eigenschaften 2.14 Gary Steiner: Animals and the Moral Community: Mental Life, Moral Status, and Kinship 3.1 Frans de Waal: Primaten und Philosophen. Wie die Evolution die Moral hervorbrachte 3.2 Marc Bekoff: Das Gefühlsleben der Tiere. Ein führender Wissenschaftler untersucht Freude, Kummer und Empathie bei Tieren 3.3Europäische Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen: Pharming. Promises and risks of biopharmaceuticals derived from genetically modified plants and animals 3.4 Vaughan Monamy: Animal Experimentation. A Guide to the Issues 3.5 P. Michael Conn and James V. Parker: The Animal Research War 3.6 Udo Friedrich: Menschentier und Tiermensch. Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter 3.7 Rainer E. Wiedenmann: Tiere, Moral und Gesellschaft. Elemente und Ebenen humanimalischer Sozialität 3.8 Jodey Castricano (ed.): Animal Subjects. An Ethical Reader in Posthuman World Altexethik 2009 031-071-AltexLiteraturb.indd 31 31 13.12.2009 15:45:17 Uhr Literaturbericht 4 Theologische Ethik 5 Rechtsfragen und Rechtsentwicklung 4.1Eugen Drewermann: Über die Unsterblichkeit der Tiere. Hoffnung für die leidende Kreatur 5.1 Gieri Bolliger, Antoine F. Goetschel, Michelle Richner und Alexandra Spring: Tier im Recht transparent 5.2 David Favre: Animal Law: Welfare, Interests, and Rights 5.3Edward N. Eadie: Animal suffering and the law. National, regional, and international 5.4 Dominik Lang: Sodomie und Strafrecht: Geschichte der Strafbarkeit des Geschlechtsverkehrs mit Tieren Literatur Die AG Literaturbericht und ihre neuen Mitglieder Vorbemerkungen Das Spektrum der wissenschaftlichen Bücher, die sich mit unserem Verhältnis zu Tieren auseinandersetzen, wächst unentwegt weiter. In immer mehr Fachdisziplinen wird das Augenmerk darauf gerichtet, wie wir mit Tieren umgehen. Auch wenn Quantität noch nichts über Inhalte aussagt, so zeigt doch der Anstieg solcher Publikationen ein steigendes Interesse am Mensch-Tier-Verhältnis. Das Besondere an diesem Interesse ist es, dass die eminent ethische Komponente hierbei immer mehr ins Zentrum rückt und zugleich längst nicht nur in ihrer „Heimatdisziplin“, der Philosophie, diskutiert wird. Auch in soziologischen, historischen oder etwa in kulturtheoretischen Texten spiegelt sich ein Zeitgeist, der unser Verhalten gegenüber Tieren untersuchend bewertet. Dabei versteht es sich von selbst, dass jede wissenschaftliche Disziplin ihre eigene Herangehensweise an dieses Thema hat. Diese jeweils spezifischen Perspektiven der unterschiedlichen Disziplinen sind in mehrerlei Hinsicht eine Bereicherung für die Frage nach einem adäquaten Umgang mit Tieren. Zum einen decken sie tradierte gesellschaftliche Strukturen und Verhaltenmuster auf. Zum anderen bieten sie darüber hinaus Erklärungsmodelle, um etwa widersprüchliches Verhalten im Umgang mit Tieren nachvollziehbar zu machen. Ein zweifellos eklatanter Fall von widersprüchlichem Verhalten ist unser – aus der Distanz betrachtet – geradezu groteskes Verhältnis im Umgang mit Heimtieren einerseits und Nutztieren oder Versuchstieren andererseits. Hier spiegelt sich bereits in den dafür geschaffenen Begriffen „Heimtier“, „Nutztier“ oder „Versuchstier“ die Funktionalisierung der Tiere, und in der Verwendung der Begriffe liegt zugleich auch der erste Schritt zur Legitimation der jeweiligen im Wort definierten Umgangsweise. So werden Heimtiere nahezu wie Menschen personalisiert, während die so genannten Nutztiere und Versuchstiere nicht selten unmenschliche Ausbeutung erfahren. Wie konnte sich ein solches Verhalten, das die gleiche Tierart in verschiedene „Nutzenskategorien“ einordnet – denken wir an Hunde, Katzen oder Kaninchen, die sowohl als Heimtiere als auch als Versuchstiere gesellschaftlich akzeptiert sind – etablieren? 32 031-071-AltexLiteraturb.indd 32 Ein bemerkenswerter Erklärungsansatz dafür findet sich im Buch des Soziologen Rainer E. Wiedenmann mit dem Titel Tiere, Moral und Gesellschaft. Elemente und Ebenen humanimalischer Sozialität. Der Autor versucht dort mit Hilfe komplexer Theorien die Sozialtechniken aufzuspüren, die es vermögen, dass solches paradoxe Verhalten in unserer Gesellschaft größtenteils keinerlei moralische Skrupel hervorruft. Einen weiten Bogen innerhalb der Kulturtheorie spannt die kanadische Kulturtheoretikerin Jodey Castricano mit ihren gesammelten Beiträgen im Buch Animal Subjects. An Ethical Reader in Posthuman World. Mit ihrer Textsammlung hat sie sich zum Ziel gesetzt, die bislang weitestgehend auf Menschen fokussierten Studien auch auf Tiere auszuweiten. Die von ihr zusammengestellten Texte verweisen einmal mehr auf die Verflechtungen der einzelnen Disziplinen, stützen sich jedoch in der Mehrheit auf philosophisch-ethische Argumentationen. Menschentier und Tiermensch. Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter ist der Titel eines Buches von Udo Friedrich, der ein Kernthema der Mensch-TierBeziehung auf den Punkt bringt, nämlich die Frage nach der Abgrenzung. Der Autor, Philologe mit historischem Schwerpunkt geht damit dem Paradoxon auf den Grund, dass in der Gesellschaft des Mittelalters einerseits eine strenge Abgrenzung zwischen Mensch und Tier vorherrschte, die andererseits zugleich immer wieder Grenzüberschreitungen inszenierte. Markant schlägt sich diese Ambivalenz etwa in der Strafpraktik der „Vogelfreiheit“ von Verbrechern nieder. Verwandt mit der Frage nach der Grenzlinie von Mensch und Tier ist die Frage nach den Fähigkeiten von Tieren. In seinem Buch Können Tiere denken? geht der Philosoph Reinhard Brandt dieser Frage nach und thematisiert dabei auch die Problematik der Definition des Begriffes „Denken“. Die Differenz in den Fähigkeiten zwischen den einzelnen Tier-Spezies und dem Menschen wird im philosophischen Diskurs vielfach als Kriterium dafür verwendet, welcher moralische Status Tieren zuzuschreiben sei. An oberster Stelle hat sich hierbei die Leidensfähigkeit etabliert. Die Schwierigkeit des Kriteriums der Altexethik 2009 13.12.2009 15:45:18 Uhr Literaturbericht Leidensfähigkeit liegt nun aber darin, dass sie als empirisches Kriterium vielfach nur uneindeutig feststellbar ist. Dieser ernst zu nehmenden Problematik des Kriteriums der Leidensfähigkeit will der Philosoph Klaus Peter Rippe in seinem Buch Ethik im außerhumanen Bereich Rechnung tragen. Ihm zufolge ist eine moralische Hierarchisierung von Lebewesen auf der Grundlage einer angenommenen Abstufung der Leidensfähigkeit nicht zu vertreten, da eine Abstufung der Leidensfähigkeit empirisch nicht hinreichend gestützt ist. Von Meilensteinen des Tierschutzes lässt sich dann sprechen, wenn Veränderungen im gesellschaftlichen Bewusstsein ihren Niederschlag in Gesetzen finden. Solche Vorschläge machen der Wirtschaftswissenschaftler und Jurist Edward N. Eadie in seinem Buch Animal Suffering and the Law: National, Regional, and International und der Jurist David Favre in seiner Publikation mit dem Titel Animal Law: Welfare, Interests, and Rights. Ihnen zufolge lassen sich viele Defizite im Tierschutz auf den juristischen Sachstatus von Tieren zurückführen. Zwar gelten Tiere in Deutschland, Österreich und der Schweiz juristisch nicht mehr als Sachen, dennoch werden sie – wenn keine besondere Rechtsvorschrift besteht – wie Sachen behandelt, da sie den sachrechtlichen Vorschriften unterliegen. Favre plädiert deshalb für eine Aufwertung des juristischen Status von Tieren. Diese sieht er in der Schaffung einer neuen Eigentumskategorie sui generis gewährleistet. Neben dem Eigentum an unbelebten Sachen (Gegenständen) und dem Eigentum an immateriellen Gütern (geistiges Eigentum) solle es noch eine neue Kategorie des Eigentums an einem lebenden Objekt (Tier) geben, die er als „living property“ bezeichnet. Eadie schlägt zur Verbesserung des Tierschutzes einen anderen Weg ein. Er plädiert dafür, die Nutzung von Tieren zu bestimmten Zwecken grundsätzlich zu verbieten. Und das mit gutem pragmatischem Grund: Ihm zufolge zeige die Praxis, dass die Leidenszufügung bei Tieren in aller Regel dann in Kauf genommen wird, wenn daraus ein Nutzen für den Menschen hervorgeht. Ein solches Verbot würde eine Güterabwägung, wie sie derzeit noch vorgenommen wird, in bestimmten Bereichen der Tiernutzung außer Kraft setzen. Dies erscheint als eine längst fällige Konsequenz, da vermutlich nur ein gänzliches Verbot der Tiernutzung in definierten Bereichen die vielfach rein wirtschaftlichen Interessen, unter denen Versuchs- und Nutztiere leiden, außer Kraft zu setzen vermag. Einen solchen Vorschlag des Verbots einer Güterabwägung macht auch der Tierarzt und Philosoph Jörg Luy in seinem Beitrag des zusammen mit der Philosophin Dagmar Borchers herausgegebenen Bandes Der ethisch vertretbare Tierversuch. Kriterien und Grenzen. Luy plädiert dafür, Tierversuche für die Grundlagenforschung generell zu verbieten, da nahezu jede Forschungstätigkeit, die sich nicht dem Bereich der „angewandten Forschung“ zuordnen lässt, für sich den Begriff der Grundlagenforschung beanspruchen könne. Insgesamt lässt sich in der Literatur eine Tendenz erkennen, die den Schutz von Versuchstieren allein in einer Güterabwägung offenbar nicht mehr gewährleist sieht. Petra Mayr Altexethik 2009 031-071-AltexLiteraturb.indd 33 1 Allgemeines zum Tierschutz 1.1 David Forster Wallace: Am Beispiel des Hummers 79 Seiten, Zürich-Hamburg: Arche Literatur Verlag, 2009, Euro 12,00 Ein Journalist wird beauftragt, für ein Gourmetmagazin einen Essay zum jährlich wiederkehrenden Hummerfestival in der nordamerikanischen Stadt Maine zu schreiben. Er reist zu dem medial hochgerüsteten Event und findet vor, was auf Veranstaltungen dieser Art nahezu immer vorzufinden ist: eine unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten durchorganisierte Maschinerie. Über 100.000 Besucher werden vom jahrmarktähnlichen Getriebe und vor allem dem kulinarischen Gaumenschmaus angelockt. Zuweilen voll Ekel wird dem Leser die mit Plastikgeschirr ausgerüstete Menschenmasse im übervollen Fresszelt präsentiert. Eine durchkalkulierte Massenabspeisung, deren Delikatesse – der Hummer – zum unappetitlichen Fastfood verkommt. So jedenfalls ist die Perspektive des Icherzählers. Selbst mit viel Phantasie, so scheint es, vermag es ihm nicht nachvollziehbar zu sein, welche Begeisterung die Menschen zu einer solchen Veranstaltung treibt. Der Autor, David Foster Wallace macht damit seinem Ruf, einer der schärfsten Kritiker des westlichen „way of life“ zu sein, alle Ehre. Seine Kritik richtet sich jedoch nicht ausschließlich auf die nach rein ökonomischen Prinzipien dressierte Masse der Besucher. Es ist eben nicht nur jenes geschmacklose Ambiente des inszenierten Hummeressens der Massen, was den Icherzähler zum Nachdenken bringt. Im Zentrum des schmalen und ästhetisch ansprechend gestalteten Bandes wird die Speise selbst unter einem ethischen Blickwinkel betrachtet, der Hummer zum Ausgangspunkt einer ersten kritischen Reflexion über die „Ethik des Ernährung“. Eben diese Überlegungen sind es, die das Buch auszeichnen. In unvoreingenommer klarer Weise wird thematisiert, was für die einen per se keine moralischen Skrupel hervorruft, was jedoch die anderen in aller Regel mit Rationalisierungsstrategien und Verdrängungsmechanismen in Schach halten: das ungute Gefühl, dass ein Tier zum Essen erst getötet werden muss. Der Blick des Journalisten gleitet ab vom öligen Plastikteller hin zu den übervollen Hummertanks aus Glas. Ein Perspektivenwechsel. Von nun an geht es nicht mehr um den Gaumenschmaus der Besucher, sondern darum, wie es dem Hummer ergeht, bevor er zur Delikatesse wurde. „Sobald nämlich Sie als normaler Festbesucher den Gedanken zulassen, dass die Hummer tatsächlich leiden (und viel lieber nicht leiden wollten), dann, ja, dann verändert diese unbeschwerte Hummersause ihr Gesicht, wird zur römischen Arena oder zur Pöbelbelustigung rund um ein mittelalterliches Blutgerüst.“ (73) Die Leidensfähigkeit eines Lebewesens scheint für den Icherzähler im Mittelpunkt der Frage nach der Legitimität des Verzehrs von Tieren zu stehen. Das belegen zumindest seine 33 13.12.2009 15:45:18 Uhr Literaturbericht akribischen Recherchen, bei denen er sich auf Studien über die neuronalen Strukturen von Hummern stützt. Überdies erfährt man Vieles zur Abstammung und den biologischen Grundlagen der das Meer bewohnenden Gliederfüßer. Und auch ebensoviel zu menschlichen Verhaltensweisen bei der meist praktizierten Tötungsmethode des Hummers, bei der die Tiere lebend in kochendes Wasser geworfen werden. Viele Köche flüchten aus der Küche, um den Todeskampf des Hummers nicht ertragen zu müssen. Sie kehren erst wieder zurück, wenn ihnen die Uhr sagt, dass es vorbei sein müsste. Ob Hummer nun Schmerzen empfinden können und welcher Art diese seien, auf diese Frage mag sich der Icherzähler gar nicht erst einlassen. Für ihn liegt die Antwort in dem was er sieht: „Allen theoretischen Erörterungen zum Trotz bleibt aber die Tatsache, dass sich der Hummer verzweifelt dagegen wehrt, bei lebendigem Leib gekocht zu werden. Bis zur letzten Sekunde versucht er, dem Topf zu entrinnen, und spätestens bei diesem Anblick lässt sich schwer mehr leugnen, dass hier ein lebendiges Wesen vernichtenden Schmerzen ausgesetzt ist.“ (69) Bei seinen Untersuchungen rund um die Frage nach der Legitimität des Tötens von Tieren zu Nahrungszwecken recherchiert der Icherzähler darüber hinaus einen Fundus an historisch interessanten Fakten. So galt Anfang des 19. Jahrhunderts Hummer noch als ein äußerst minderwertiges Lebensmittel, das allenfalls den Insassen von Gefängnissen zuzumuten war. Am Beispiel des Hummers ist ein schmales, in einer essayistischen Weise verfasstes Buch, das Elemente eines wissenschaftlichen Schreibstils zu integrieren scheint. Zuweilen ziehen sich Fußnoten über mehrere Seiten hin. Der Band endet mit einer Reihe von anklagend formulierten Fragen, die an die Konsumenten von Fleisch als Feinschmecker gerichtet sind. Dieser ins „Gewissen redende“ Schluss des Buches kommt überraschend, weil sich der Journalist (selbst Fleisch liebender Gourmet) bislang kritisch distanziert und eher unparteiisch dem Thema genähert hat. Das Ende des Buches aber verdichtet sich zu einer langen Fragenlitanei, die jeder Fleisch liebende Gourmet eher verdrängen mag. Dennoch sind es die Fragen, die sich jedem stellen, der sich mit diesem Thema eingehend und aus eigenem Interesse beschäftigt. Und eben darin liegt die unbequeme Authentizität des Bandes. Petra Mayr 1.2 David Fraser: Understanding Animal Welfare 336 Seiten, United Kingdom: John Wiley & Sons, 2008, Euro 44,90 Mit seinem Werk „Understanding Animal Welfare – The Science in its Cultural Context (Tierschutz verstehen – Wissenschaft im kulturellen Kontext)“ gibt der Autor David Fraser eine umfassende Zusammenschau und Analyse über allgemeine Aspekte der Bedeutung des Begriffs Tierschutz und Kriterien, die zur Beurteilung tiergerechter Verhältnisse relevant sind und zieht Schlussfolgerungen zur Stellung tierschutzkon34 031-071-AltexLiteraturb.indd 34 former Maßgaben, anhand derer der Tierschutz definiert wird. Understanding Animal Welfare ist als englischsprachiges Buch in der Tierschutzreihe der universitären Vereinigung für Tierschutz in England (UFAW; Universities Federation for Animal Welfare) erschienen. Das Buch gliedert sich nach dem Vorwort und der Vorschau in drei Kapitel. Im ersten Kapitel erläutert Fraser moralische Aspekte im Zusammenhang mit Tieren, den Stellenwert der Tiere aus menschlicher Sicht und stellt die Frage nach einer Wissenschaft des Tierschutzes. Im folgenden Kapitel werden Einflussfaktoren behandelt, die die wissenschaftliche Beurteilung des Tierschutzes bestimmen, wie beispielsweise Stress, Krankheiten und abnormales Verhalten. Im letzten Teil werden die unterschiedlichen Kriterien in einen Zusammenhang gebracht und in Bezug auf den Tierschutz bewertet. Den Ausführungen des Autors zufolge nahm die Debatte um die adäquate Behandlung von Tieren vermutlich zu Beginn des sechsten Jahrhunderts vor Christi ihren Anfang in Griechenland und das prähistorische Verhältnis zwischen Tier und Mensch zeigt Parallelen zum Umgang vor rund einem Jahrhundert auf. Zugleich wurden Tiere für menschliche Zwecke benutzt: Pferde und Ochsen für den Transport oder die Bestellung der Äcker, Schafe zur Wollgewinnung oder Schweine als Nahrungsmittel, Hunde als Wächter und Gefährte des Menschen. Auch waren die Tiere bereits damals von wissenschaftlichem Interesse. Aristoteles (384-322 v. Chr.) unterhielt eine Sammlung von Wildtieren und wurde von seinem Schüler Alexander dem Großen unterstützt, der von seinen Streifzügen exotische Tiere mitbrachte. Aristoteles erkannte beispielsweise, dass eine Sau weniger Ferkel zur Welt brachte, wenn sie zu häufig gezwungen wird, Nachwuchs zu erzeugen. Die vermutlich früheste Stimme zugunsten einer Ethik gegenüber Tieren erhob Pythagoras, der den Ausführungen nach geäußert haben soll: „Es ist eine niederträchtige Gewalt des Menschen, dem Kalb die Kehle durchzuschneiden“ („It is wicked as human bloodshed to draw the knife across the throat of the calf“) (10), ein Ausspruch, der in der heutigen modernen Zeit in Form von „Fleisch ist Mord“ gegenwärtig ist. Dem Autor nach müssen zur wissenschaftlichen Beurteilung des Tierschutzes verschiedene Kriterien miteinander kombiniert werden. Fraser gruppiert diese in drei Kategorien: grundlegende Gesundheit, Einflussfaktoren und natürliche Lebensbedingungen. (222) Weiter erläutert er, dass verschiedene Ansätze zum Messen des Tierschutzes herangezogen werden können, die Ergebnisse jedoch immer übereinstimmen müssen. Als Beispiel nennt der Autor die Beurteilung des Wohlbefindens von Tieren unter bestimmten Haltungsbedingungen. Auch bei unterschiedlicher Methodik muss bei deren korrekter Anwendung die Endaussage über den Tierschutz dieselbe sein. (223) Gleichzeitig kritisiert Fraser den Ausdruck „Messung“ in Zusammenhang mit Tierschutz, da das Wohlbefinden von Tieren an sich keine messbare Größe ist. Lediglich Variablen, die zur Bewertung des Tierschutzes herangezogen werden, können gemessen werden. Das Buch kann als umfassende Lektüre zum besseren Verständnis des Begriffs Tierschutz und insbesondere dessen praktische Umsetzung in Form des menschlichen Verhaltens gegenüber Tieren empfohlen werden. Für im Tierschutz tätige Altexethik 2009 13.12.2009 15:45:18 Uhr Literaturbericht Personen liefert es wertvolle Argumentationshilfen in einer Gesellschaft, in der das Fühlen von Tieren abstrahiert und teilweise von Tier“nutzern“ bewusst als nicht existent dargestellt wird. Doch selbst wenn es in der heutigen Zeit wissenschaftlicher Erklärungen über das Wohlbefinden und die Bedürfnisse der Tiere bedarf – um in der Politik Fortschritte zu erlangen, werden Beweise zur Leidensfähigkeit von Tieren abverlangt. Dem Leser bleibt offen, sich Gedanken darüber zu machen, ob, Kriterien zur Messung des Tierschutzes hin oder her, der Schutz der Tiere und ein würdevoller Umgang mit Lebewesen, nicht per se ein Selbstverständnis sein sollte. Silke Bitz 2 Philosophische Ethik 2.1 Tom L. Beauchamp, F. Barbara Orleans, Rebecca Dresser, David B. Morton und John P. Gluck: The Human Use of Animals – Case studies in Ethical Choice 300 Seiten, USA: Oxford University Press, second Edition, 2008, Euro 29,99 Ethische Fallanalysen sind ein beliebtes und bewährtes Mittel für die Vermittlung angewandter ethischer Probleme in den Wissenschaften. Umso dankbarer sind Dozenten, wenn sie gute Fälle zur Vorlage erhalten, die zum einen die Komplexität ethischer Analyse abdecken und zum anderen ausreichend Hintergrundwissen über die konkreten Rahmenbedingungen liefern. Die aktualisierte und erweiterte Neuauflage von mehreren bekannten US-amerikanischen Bioethikern zu Fallstudien in der Tierethik bietet hierfür eine gute Grundlage. Das Buch beinhaltet auf knapp 40 Seiten eine gute Einführung in die wichtigsten Fragestellungen der Tierethik. Diese geht dabei auf die zwei klassischen Ansätze zurück: den Utilitarismus und die damit verbundene moralische Rücksicht auf alle empfindungsfähigen Wesen, und die eher deontologisch geprägte Tierrechts-Position. Darüber hinaus wird auf die zentrale Rolle von kognitionswissenschaftlichen und evolutionsbiologischen Argumenten für die moralische Status-Debatte hingewiesen. Schließlich wird das Konzept ethischer Abwägung und Rechtfertigung, welche ethische Schlussfolgerungen in angewandten Fällen immer herausfordern, näher erläutert. Nicht berücksichtigt werden allerdings neuere Ansätze der Tierethik, die sich z.T. aus anderen philosophischen Traditionen speisen. Daher kann die dargebotene Einleitung wirklich nur als erster Einstieg in die Tierethikdebatte dienen. Im weiteren Verlauf des Buches werden 16 Fallgeschichten aufgeführt. Jede von ihnen schildert sehr anschaulich und gut recherchiert konkrete tierethische Konfliktfälle. Diese stammen aus verschiedenen Anwendungsbereichen wie der Landwirtschaft und Fleischproduktion, der Unterhaltungsbranche, dem Altexethik 2009 031-071-AltexLiteraturb.indd 35 Einsatz als Haustier oder bei der Religionsausübung, dem Umgang mit vom Aussterben bedrohten Tieren, sowie schließlich zu Tierversuchen in der biomedizinischen Forschung, der Verhaltensbiologie, der Biodiversitätsforschung und in der Ausbildung. Die Darstellung der einzelnen Fälle besticht sehr durch ihre Detaildichte, ihre Praxisnähe und die pointierte Schilderung wichtiger Teilaspekte – und dies jeweils auf 10-12 Seiten Umfang. Zwar sind einige der Fälle bereits schon in der ersten Auflage von 1997 enthalten. Sie wurden aber ebenfalls aktualisiert und ergänzt. Bei der Darstellung der Fälle wird darauf geachtet, dass Fakten und Ablauf, Hintergrundinformationen, ggf. rechtlicher Rahmen und ethische Analyse getrennt dargestellt werden. Eine ganze Reihe der Fälle bot dabei neue Einsichten und auch aktuelle Bezüge zur deutschen TierethikDebatte: Die anvisierte Umsiedlung zweier Zoo-Elefanten – Winky und Wanda – aus Detroit zeigt die vertrackte Diskussion über Nutzen, Standards, moralischen Status und Tierhaltung in Zoos auf. In zwei Fällen aus dem Bereich der Fleischproduktion – einmal zu Schweinen und einmal zu Mastkälbern – wird deutlich, wie sehr die ethische Diskussion der Befürworter einer Verwendung von Tieren als Nahrungsmittel als auch der Kritiker dieser Praxis von Annahmen über Notwendigkeit, Alternativen und Ökonomie der Fleischproduktion abhängen. Der recht bekannte Fall des Überfalls militanter Tierschützer auf Primatenversuchslabore an der University of Pennsylvania in den 1990er Jahren und die Analyse der anschließenden, sehr verfahrenen Diskurssituation eignet sich sicher gut, mit etwas Abstand auch Licht auf die aktuelle Debatte über die Primatenforschung an der Universität Bremen zu werfen und damit die aktuelle Diskussion zu erhellen. Der sehr interessante „Santaria-Fall“ aus Florida zur Einschränkung von Tieropfern bei religiösen und ethnischen Minderheiten zeigt die vagen Übergänge zur Diskriminierung ethnischer/religiöser Minderheiten auf, wenn tierethische Argumente mit politischer Ideologie vermischt werden. Zudem wirft er interessante Fragen zu grundgesetzlichen Konflikten mit dem Recht auf Ausübung der Religionsfreiheit auf. Interessante Parallelen könnten sich hier zur aktuellen Schächtungs-Debatte ergeben. Die Ambivalenz verschiedener Tierhalter als auch die von Tiermedizinern im Umgang mit kosmetischen Eingriffen bei Hunden (wie dem Schwanz coupieren) wird besonders schön am Fall einer britischen Hundezüchterin herausgearbeitet. Er verdeutlicht die Notwendigkeit der Frage nach individueller und professioneller Verantwortung. Das Buch ist daher sehr zu empfehlen, denn es ist von Konzeption und Umfang der einzelnen Fallgeschichten her ganz hervorragend geeignet für die Bearbeitung von tierethischen Fragen z.B. im Studium der Tiermedizin, der Biologie, der Medizin oder für die Agrarwirtschaften. Eine didaktische Umsetzung wird allerdings seitens der Autoren nicht mit geliefert. Es obliegt also entsprechend der Erfahrung und der weiteren Recherchen den Dozenten, sich zu überlegen, wie sie das Material einsetzen können. Silke Schicktanz 35 13.12.2009 15:45:19 Uhr Literaturbericht 2.2 Dagmar Borchers und Jörg Luy (Hrsg.): Der ethisch vertretbare Tierversuch. Kriterien und Grenzen 309 Seiten, Paderborn: mentis, 2009, Euro 29,80 Das Buch „Der ethisch vertretbare Tierversuch“ ist eine Zusammenstellung verschiedener Aufsätze, die sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Fachgebieten mit der Frage nach der ethischen Bewertung eines Tierversuchs auseinandersetzen. Die Notwendigkeit nach der Festlegung konkreter Kriterien zur ethischen Abwägung wird seit langem kontrovers diskutiert. In drei Teilen nähern sich die Autoren aus rechtlicher, ethischer und philosophischer Sicht den Fragestellungen nach dem Problem der ethischen Vertretbarkeit von Tierversuchen, der Vertretbarkeitsprüfung nach dem Tierschutzgesetz und der Schwierigkeit der Belastungsbestimmung bei Versuchstieren. Schon in der Einführung wird klar, dass das oftmals als wirksame Kontrollinstanz dargestellte Genehmigungsverfahren für Tierversuche unzureichend ist, weil Kriterien fehlen, die der Bewertung von Tierversuchen zwingend zugrunde gelegt werden müssen. Deutlich wird auch, dass sich die stark kontroverse Interpretation des Leidens der Tiere und eines möglichen medizinischen Nutzens in der mangelnden Klarheit der Begrifflichkeiten begründet. Wie die Herausgeber aus dem Tierschutzgesetz zitieren, darf ein Tierversuch nur durchgeführt werden, wenn die angestrebten Ergebnisse vermuten lassen, dass sie für wesentliche Bedürfnisse von Mensch und Tier von hervorragender Bedeutung sein werden. So lassen die Vorgaben im Tierschutzgesetz, die sich auf das Vorhandensein von „Unerlässlichkeit“ und „ethischer Vertretbarkeit“ stützen, einen enormen Interpretationsspielraum bei jedem Tierversuch zu. Nach Aussage der Herausgeber hat die Aufnahme des Tierschutzes unter die Staatsziele der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2002 den normativen Klärungsbedarf noch erhöht. Dagmar Borchers stellt die Frage, wie pragmatisch ein Ethiker sein darf und führt aus, dass die meisten Ethiker, unter anderem Peter Singer und Tom Regan, nur vage zu Details der Regelung von Tierversuchen Stellung beziehen und die Problematik der Begutachtung von Tierversuchen anhand von Kriterien ausgeklammert lassen. Regina Binder behandelt die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Prüfung der ethischen Vertretbarkeit tierexperimenteller Vorhaben in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Der Autorin zufolge führt die ethische Abwägung eines Tierversuchs im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zu praktischen, methodischen und verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten, so dass die tierversuchsrechtlichen Vorschriften nur unzureichend operationalisierbar und in der Rechtswirklichkeit bedeutungslos seien. Ursula Wolf führt aus, dass diejenigen, die den Tierschutzgedanken im Rahmen einer christlichen Ethik vertreten, eine deutliche Grenze zwischen Mensch und Tier ziehen, wohingegen diejenigen, die eine Ethik der Rücksichtnahme in eine evolutions- 36 031-071-AltexLiteraturb.indd 36 biologische Weltsicht einbetten, die Grenze eher für fließend halten. Johann S. Ach erläutert, dass dem Gesetzgeber bei der ethischen Abwägung das Gut „Versuchszweck“ dem Gut „zu erwartende Schmerzen, Leiden und Schäden der Tiere“ gegenübergestellt wird. Bei den tierlichen Gütern kann es sich jedoch zum einen um die Bedürfnisse der Tiere handeln, oder aber es handelt sich nur mittelbar um deren Bedürfnisse. In diesem Fall wäre die Abwägung eine solche zwischen zwei konkurrierenden menschlichen Gütern, dem Versuchszweck und dem menschlichen Interesse, das Tierinteresse an Leidensminderung zu erfüllen. Dieter Birnbacher geht der Frage nach, ob bei Tierversuchen eine absolute oder eine relative ethische Grenze zugrunde gelegt werden sollte. Gemäss seinen Ausführungen lässt sich eine absolute Grenze der Leidenszufügung auf der Ebene idealer Normen nicht begründen. Bei Anerkennung einer Abwägbarkeit von Leidenszufügung bei Tieren und Leidensminderung bei Menschen wäre eine Obergrenze der Belastung für die Versuchstiere nicht rechtfertigbar. Es würde sich nur die Relation zwischen tierischem Schaden und menschlichem Nutzen verschieben. Petra Mayr stellt die unterschiedlichen Positionen von Tierversuchsbefürwortern und -gegnern gegenüber und erläutert, dass es schwierig ist zu sagen, wer Recht hat. Denn es sei nicht möglich zu beurteilen, welchen Verlauf die medizinische Entwicklung mit oder ohne Tierversuche genommen hätte. Und davon abgesehen, würde eine Antwort darauf die Problematik um die ethische Vertretbarkeit nicht lösen. Das Hauptproblem liegt ihren Ausführungen zufolge in der Durchmischung der naturwissenschaftlichen Frage nach dem Nutzen von Tierversuchen mit der ethischen Frage nach deren Zulässigkeit. Diese Vermischung spiegele sich in der scheinbar eindeutigen Frage nach der Notwendigkeit des Tierversuchs. Nach Auffassung von Norbert Alzmann ist es wünschenswert Erkenntnisse zu erlangen, aber nicht mit allen Mitteln. Er stellt fest, dass der Gesetzgeber eine ethische Abwägung einfordert, dem Forscher aber kein Leitfaden für seine ethische Entscheidungsfindung an die Hand gegeben wird. In gleicher Weise würden die Behörde und die beratenden Kommissionen Kriterien benötigen, anhand derer ethisch vertretbare von ethisch nicht vertretbaren Versuchsvorhaben unterschieden werden könnten. Jörg Luy bemängelt, dass das Tierschutzgesetz für Tierversuche in der Grundlagenforschung eine Pauschalgenehmigung für die Wissenschaft erteilt. Der Begriff „Grundlagenforschung“ stehe jedoch für eine vom Nutzennachweis befreite Forschung zum Zweck des Wissens. Da der Antrieb, das Wissen zu vermehren, jeder Art der Forschung zugrunde liege, sei es dem Forscher möglich, den Zweck der Grundlagenforschung für sich zu beanspruchen. Daniel Butzke und Barbara Grune führen aus, dass die gesetzlichen Regelungen dem Antragsteller nicht nur vorschreiben nachzuweisen, dass der Versuchszweck nicht durch andere Methoden erreicht werden kann, sondern die Formulierungen im Tierschutzgesetz auch die Art und Weise implizieren, wie er das zu tun habe. So könne die Forderung nach der Darlegung des Stands der wissenschaftlichen Forschung und der Frage nach dem Vorhan- Altexethik 2009 13.12.2009 15:45:19 Uhr Literaturbericht densein möglicher alternativer Verfahren nicht in einer bloßen Übersichts-Recherche abgehandelt werden. Gisela Arndt, Fabian Lotz und Anja Lüdecke unterbreiten Vorschläge für einen Leitfaden für die Teilprüfung der Unerlässlichkeit im Hinblick auf die Reduzierung von Tierversuchen. Ihnen zufolge sollten eine Reihe von Informationen und Details zum Versuchsvorhaben angegeben werden, damit Behörde und Kommission auf dieser Basis eine Bewertung vornehmen können. Daran anschließend stellen Kathrin Herrmann, Kristin Köpernik und Maria Biedermann mögliche Inhalte für einen Leitfaden hinsichtlich der Verfeinerung (Refinement) von Tierversuchen vor. Für die Reduzierung der Belastung der Tiere gehen die Autoren insbesondere auf die Bedeutung von Schmerztherapie, Anästhesie, Abbruchkriterien und Tötungsmethoden ein. Regina Binder geht auf die Erfassung der Belastung der Versuchstiere ein. Ihren Ausführungen zufolge muss auf einen Tierversuch verzichtet werden, wenn es nicht möglich ist, die Tiere durch Refinement vor erheblichen Belastungen zu schützen. Darüber hinaus sei es aus wissenschaftlicher Sicht notwendig, keine schwer belastenden Versuche durchzuführen, da ein enger Zusammenhang zwischen dem Versuchstierschutz und der Qualität der Ergebnisse bestehe. Arianna Ferrari stellt die Frage, ob gentechnisch veränderte Tiere einen Sonderfall darstellen. Nach Aussage der Autorin besteht die neue Pionierforschung in der Gentechnik in der Herstellung „vermenschlichter“ Mäuse als Tiermodelle für menschliche Krankheiten. Diese Tiere sind so modifiziert, dass sie zum Teil menschliche organische Bestandteile enthalten. Die Idee der vermenschlichten Mäuse besteht nicht in einer Reduktion der Tierzahlen, sondern in einer Steigerung der Effektivität der Forschung. Allerdings wird klar, dass keine einfache Übertragung der Ergebnisse auf den Menschen möglich ist. Abschließend gibt Erwin Lengauer einen Überblick über die Literatur zum Thema Ethik der Tierversuche, gegliedert nach Beiträgen zur Ethik der Tierversuche in historischer Perspektive, zur modernen Bioethik und Ethik der Tierversuche, Tierethik und Tierphilosophie. Das Buch liefert eine Fülle an unterschiedlichen Denkansätzen, ob und wie eine ethische Bewertung von Versuchsvorhaben vorgenommen werden könnte und stellt konkrete Möglichkeiten vor. Die Beiträge zeigen klar die gesetzlichen Lücken in Bezug auf einen wirkungsvollen Schutz der im Versuch eingesetzten Tiere und gleichzeitig die dringende Notwendigkeit, diesem Missstand Abhilfe zu leisten. Der Sammelband kann jedem empfohlen werden, der direkt oder indirekt in die Problematik der Güterabwägung zwischen Wissenschaftsinteresse einerseits und dem Leid der Tiere andererseits involviert ist und in der täglichen Arbeit mit dieser „Nutzen-Kosten-Abwägung“ konfrontiert wird. Silke Bitz Altexethik 2009 031-071-AltexLiteraturb.indd 37 2.3 Cordula Brand, EveMarie Engels, Arianna Ferrari und László Kovács (Hrsg.): Wie funktioniert Bioethik? Interdisziplinäre Entscheidungsfindung im Spannungsfeld von theoretischem Begründungsanspruch und praktischem Regelungsbedarf 341 Seiten, Paderborn: mentis, 2008, Euro 39,80 Bioethik hat mit Ethik soviel gemeinsam wie Gentechnik mit Tierzucht. Insofern scheint es selbst für den ethisch informierten Leser sinnvoll, der Frage nachzugehen, wie Bioethik „funktioniert“. Bei näherer Betrachtung stellt sich allerdings heraus, dass die Autoren, die den Sammelband verfasst haben, mehr über diese Frage philosophieren als dem Leser mitzuteilen, wie Bioethik denn tatsächlich „funktioniert“. Darüber herrscht dem Anschein nach nur ein limitierter Konsens, wie auch zu der Frage, ob sie überhaupt in einer den Philosophen befriedigenden Weise funktioniert. Wer also ein praktisches Handbuch für den philosophischen Nachwuchs erwartet, könnte enttäuscht werden. Der Band ist aus einer Tagung gleichen Namens entstanden, die vom 6. bis 8. Oktober 2005 am Interfakultären Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Eberhard-Karls-Universität Tübingen durchgeführt wurde. Und in dem Umstand, dass die an diesem Projekt beteiligten Bioethiker nicht ihr tägliches Tun erläutern, sondern in bester Philosophenmanier ihr eigenes Handeln in Frage stellen und darüber reflektieren, warum die Bioethik trotz bemerkenswerter Anstrengungen immer noch eher ein Vorgang als ein Instrument ist, liegt die eigentliche Stärke des Unterfangens. Solch kritische Reflexion würde auch anderen Berufen gut zu Gesicht stehen. Bei der Untersuchung der bioethischen Praxis wird der Leser am Leitfaden der aus der traditionellen Ethik stammenden Begründungsfrage – wie lässt sich ein ethisches Urteil überzeugend rechtfertigen? – ausgewogen und insbesondere im dritten und letzten Abschnitt praxisnah mit dem Phänomen Bioethik vertraut gemacht. Dabei entsteht allerdings der Eindruck, dass die Autoren, wären sie auf ein freiberufliches Einkommen als bioethische Gutachter angewiesen, mit diesem Buch ihre Lebensgrundlage empfindlich beschädigt hätten. Denn, obwohl die Herausgeber betonen, dass „bioethische Expertise den rasanten biotechnologischen Fortschritt nicht nur retrospektiv bewerten, sondern die entsprechenden Entwicklungen direkt begleiten bzw. sich bereits vorausschauend mit ihnen auseinandersetzen soll“, sind die Aufsätze nicht zu einem überzeugenden Plädoyer dafür zusammengewachsen, die High-Tech-Lebenswissenschaften einer bioethischen Kontrolle zu unterwerfen. Bei den rasant wachsenden Möglichkeiten der heutigen Lebenswissenschaften mit ihrem ungeheuren Potenzial ebenso für segensreiche als auch für verheerende Begleiterscheinungen zeigt sich der praktische Regelungsbedarf in der Bioethik vielleicht noch etwas deutlicher als bei den anderen Bereichsethiken. Indem die 37 13.12.2009 15:45:19 Uhr Literaturbericht Herausgeber angesichts dieses Regelungsbedarfs die Aufgabe beschreiben, „zu einem Konsens über Normen bzw. Zielsetzungen zu gelangen und damit einen verbindlichen Handlungsrahmen zu schaffen“, führen sie allerdings die alte Debatte in einer Zeit fort, die keine Zeit zu verlieren hat. So übt Ernst Tugendhat in seinem Beitrag zu Recht Kritik: „Es scheint mir wichtiger, die tatsächliche Unsicherheit unserer moralischen Prämissen, wie sie gerade angesichts der bioethischen Probleme zutage tritt, herauszuarbeiten und nicht eine scheinbare Wohlfundiertheit anzupeilen, die freilich angesichts der politischen und rechtlichen Entscheidungsnöte gewiss wünschenswert wäre.“ (144) Als Fazit bleibt, dass dieser Sammelband das ehrliche Bemühen zeigt, die Schwierigkeiten bioethischer Fragestellungen aus traditionell ethischer Perspektive zu klären und zu erläutern. Die derzeit populärste Antwort auf die Frage, wie Bioethik tatsächlich „funktioniert“, die „Principles of Biomedical Ethics“ von Beauchamp und Childress, zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch, kann aber – wie zu erwarten war – den Ansprüchen der klassischen, ohne Zeitnot agierenden Ethik nicht genügen. So bleibt am Ende das beunruhigende Gefühl, dass die Menschheit auch künftig ihre Grenzen nicht vorausschauend der Vernunft, sondern retrospektiv den selbstverschuldeten Katastrophen verdanken wird. Jörg Luy 2.4 Reinhard Brandt: Können Tiere denken? 159 Seiten, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, Edition Unseld 17, 2009, Euro 10,00 Der Autor Reinhard Brandt geht in seinem Buch „Können Tiere denken?“ der schon aus dem Titel ersichtlichen Grundsatzfrage nach, ob Tiere die Fähigkeit des Denkens besitzen. Hierbei wird die Begrifflichkeit des Denkens als „eine uns nur vom Menschen mit Sicherheit bekannte mentale Fähigkeit, Urteile zu bilden“ (9) definiert. Als Tier bezeichnet Brandt „nichtmenschliche, mit Nerven und Gehirn ausgestattete Lebewesen (Insekten, Säugetiere, Vögel, Fische)“(9). Im ersten Kapitel stellt der Autor die unterschiedlichen Meinungen zur Thematik gegenüber, erläutert im zweiten Kapitel detailliert die Bedeutung des Begriffs „Denken“ und dessen Entstehungsgeschichte und gibt im dritten und letzten Kapitel zahlreiche Beispiele für kognitive Eigenschaften, die als Denkvermögen von Tieren diskutiert werden können. Einleitend wird die These „Natürlich können Tiere denken“ der schlichten Gegenthese „Natürlich können Tiere nicht denken“ gegenübergestellt. Nach Aussage des Autors begründet sich die These der Denkfähigkeit in bestimmten mentalen Eigenschaften wie beispielsweise der Intelligenz der Schimpansen oder dem Geschick von neukaledonischen Krähen, die Stäbe 38 031-071-AltexLiteraturb.indd 38 biegen, um sie als Werkzeug zu benutzen. Verfechter der Theorie gehen davon aus, dass beispielsweise Vögel in Wenn-DannRelationen denken können. Die Gegenthese hingegen spricht den Tieren jegliches Denkvermögen ab und reduziert ihre mentalen Leistungen auf psychologische, physiologische oder gar, wie etwa bei Zugvögeln, auf genetische Steuerungsmechanismen. Der Autor vertritt zwar die Auffassung, dass den Tieren das Denken im Sinne der Fähigkeit, beispielsweise die Ursachen von Objekten zu erkennen oder über Dinge zu urteilen, nicht zugänglich ist. Seine Aussage „Tiere können nach allen Indizien, die uns vorliegen, nicht denken“(126), relativiert Brandt allerdings anhand eines Beispiels, welches das Denken in Urteilsform bei Tieren nachweist. So haben gemäß seinen Ausführungen Mäuse eine anschauliche Vorstellung vom richtigen Weg im Dressurlabyrinth und sie urteilen bei Verzweigungen, welcher Weg der richtige ist. Anhaltspunkte zur Annahme dafür, dass Tiere, in welcher Form auch immer, denken können und uns Menschen dafür nur die Vorstellungskraft fehlt, liefert der Autor, indem er weiter ausführt „Solches Operieren mit Vorstellungen, Begriffen und Urteilen, die auf Anschauung beruhen, aber keinen Namen tragen, weil eine Wortsprache fehlt, nennen wir unbenanntes Denken.“ (126f.) Das Buch ist lesenswert, da es eine Fülle an interessanten Einblicken in menschliche Denkschemata über das kontrovers diskutierte tierische Denkvermögen gibt. Zahlreiche Fallbeispiele lassen den Schluss zu, dass Tiere, unabhängig davon, ob sie nun aus menschlicher Perspektive denken können oder nicht, sensible und intelligente Lebewesen sind, die uns Menschen in einigen Bereichen sicher auch mental überlegen sind. Es drängt sich beim Lesen die Frage auf, ob es legitim ist, das nach menschlichen Kriterien definierte Denkvermögen als Diskriminierungsbefugnis für andere Spezies einzusetzen. Letztlich bleibt es dem Leser überlassen, seine eigene Theorie zum Denkvermögen und der Intelligenz der Tiere einschließlich des eigenen Umgangs mit ihnen aufzustellen. Silke Bitz 2.5 Andreas Brenner: Leben 120 Seiten, Stuttgart: Reclam Verlag, Grundwissen Philosophie, 2009, ca. 9,90 Euro Der in Basel lehrende Philosoph Andreas Brenner hat sich bisher v.a. mit Veröffentlichungen zu bio- und umweltethischen Themen in die Diskussion eingemischt. Sein 2009 in der Reihe Grundwissen Philosophie des Reclam Verlags erschienenes Buch „Leben“ fasst jetzt wesentliche Themen und Ergebnisse der Biophilosophie zusammen. Es bietet einen übersichtlichen und gut lesbaren Einstieg in die biophilosophischen Themenfelder in historischer und systematischer Hinsicht. Altexethik 2009 13.12.2009 15:45:20 Uhr Literaturbericht Obwohl die Disziplin der Biophilosophie erst seit kurzem besteht, ist die Frage nach dem, was Leben ist, eine uralte. Sie begleitete die Philosophie seit ihren antiken Anfängen. Die Antworten auf die Lebensfrage konnten sich aber bisher der einzig möglichen, d.h. natürlichen Erfahrung von Leben rückversichern. Durch Artefakte der Robotik und synthetischen Biologie wird jedoch die natürliche Erfahrung von Leben durch neue Erfahrungsdimensionen erweitert die z.B. die Frage entstehen lassen, ob ein Roboter, der „selbstständig“ auf Umweltreize reagieren kann, eine Maschine ist oder eine lebendige Maschine. Die Frage nach dem Leben erhält m.a.W. eine neue Relevanz in der Auseinandersetzung mit künstlicher Intelligenz, mit „künstlichem Leben“. Und auch die relativ neue, eigenständige Disziplin der Biophilosophie insgesamt kann so, d.h. aus der Konfrontation mit diesen neuen Erfahrungsdimensionen hervorgehend, verstanden werden. Bevor Brenner das spannende Themenfeld beleuchtet, ob ein „künstliches Leben“ möglich ist, problematisiert er zunächst den Lebensbegriff in einer wissenschaftssoziologischen Betrachtung. (9-17) Sie hat zum Inhalt, dass alle Lebens- und Naturverständnisse in Metaphern eingekleidet vorliegen oder, anders ausgedrückt, „Sprachspiele“ (Wittgenstein) sind, sprachliche Konstruktionen bzw. Modellierungen, die auf praktische Interessen oder wieder auf andere Metaphern verweisen. So ist das Verständnis der DNA als „genetischer Code“ abhängig von militärisch-politischen Interessen, die die Geheimsprache lesen bzw. den „Code knacken“ wollen. (12) Oder: Das Verständnis der DNA als „Sprache des Lebens“ verweist auf die alte Metapher vom grundsätzlich lesbaren „Buch der Natur“. Problematisch daran ist, dass, wenn der Modellcharakter vergessen wird, wir unsere eigenen Konstruktionen und Modellierungen für die Wirklichkeit selbst halten. In der Deutung der DNA als einer sinnhaften (sprachlichen) Struktur liegt der Sinn „nicht der DNA zugrunde, sondern ist ihr interpretativ zugrunde gelegt worden“ (13). Der Konstruktcharakter der Natur- und Lebenserkenntnis wird zudem auch an der Laborforschung verdeutlicht. Brenner referiert hier die wissenschaftskritische Position, die an der Laborforschung unterstreicht, dass diese die lebendige Natur entnaturalisiert und verdinglicht: „Laborgestützte Naturerkenntnis scheitert demnach dort, wo sie die Besonderheit des Lebendigen verkennt, sie verweigert dieser Besonderheit die Anerkennung, wenn sie das Lebendige ebenso gut im artifiziellen Rahmen des Labors erkennen zu können glaubt.“ (16f.) Nach diesen einleitenden methodologischen Betrachtungen folgt ein historischer Abriss des Lebensbegriffs (Lebensfelder) von Aristoteles (384-322 v.Chr.) bis in die Gegenwart. (18-50) Alle wichtigen Stationen werden konzise vorgestellt (Antike, Mittelalter, neuzeitlicher Materialismus, Romantik, Goethe, Darwinismus und Neodarwinismus, Vitalismus und Neovitalismus, Leben als Selbst) und dabei auch die außereuropäische Tradition (China, Indien, Afrika) nicht ausgespart. Hierbei wird deutlich wie abhängig die verschiedenen Lebensverständnisse vom jeweiligen historischen Horizont sind. Das Verständnis von Leben bei der mittelalterlichen Ordensfrau Hildegard von Bingen (1098-1179) muss z.B. notwendigerweise ein ganz anderes sein als für die darwinistische Biologie des 19. und 20. Jahrhunderts. Ob man also wie bei von Bingen oder bei anderen Altexethik 2009 031-071-AltexLiteraturb.indd 39 christlichen MystikerInnen Leben von der Vorstellung einer Allbeseelung oder von einem Urgrund her versteht oder von der Dimension der Geschichte bzw. eines Kampf ums Überleben wie bei Darwin oder den Neodarwinisten, ist abhängig vom Erkenntnis- und Fragehorizont des jeweiligen Zeitalters wie auch vom kulturell-geographischen Umfeld, das mit seinen je anderen kulturellen Traditionen und Metaphern je andere Verständnisse hervorbringt. Nun stellt sich angesichts der Vielfalt der Verständnisse freilich die Frage, welches Verständnis das „eigentlich richtige“ sei. Diese Frage wird von Brenner im Kapitel Lebenstheorien (5179) zu beantworten versucht, wobei seine Antwort im Kern darin besteht, dass es für ihn gar keine zufrieden stellende Antwort auf die Frage, was Leben sei, gibt. Da Brenner, wie bereits bei den methodologischen Bemerkungen am Anfang zu ersehen, eine kritische Haltung gegenüber dem „harten“ naturwissenschaftlichen Materialismus und Mechanismus einnimmt, favorisiert er eindeutig diejenigen Positionen, die sich in Opposition zum „herrschenden“ naturwissenschaftlichen Denken befinden. Daher schließt er zunächst an dem an, was er im historischen Kapitel über das „Leben als Selbst“ referiert hat: Da das materialistisch-mechanistische Denken nur immer Außensichtweisen des Lebendigen offerieren kann, kann es keine Aussagen über die lebendigen Organismen selbst machen, sondern nur Funktionen und Reaktionen (für die Außenwelt) beschreiben. Leben selbst muss jedoch auch als Leben eines Selbst verstanden werden, das sich nicht auf äußere Kausalitäten reduzieren lässt, sondern ebenso eine „innere Kausalität“ aufweist. Dieser „inneren Kausalität“ wird u.a. in der Kybernetik und Systemtheorie nachgespürt, die ab Mitte des 20. Jahrhunderts entsteht. In den verschiedenen Konzepten und Denkweisen der nicht-mechanistischen Systemtheorie (Leben als offenes System, Autopoiesis, Teleonomie, Emergenz, Synergetik u.a.) wie des Ganzheitsdenkens (Holismus) wird versucht die dem Mechanismus fremd bleibende Innenperspektive des Lebens auszuleuchten. Am Ende dieser Darstellung zieht Brenner jedoch den Schluss, dass es auch diesen Theorien nicht gelingt, Leben von innen her befriedigend auf den Begriff zu bringen. Von daher sei es auch zulässig, den Anspruch eines generellen Verständnisses des Lebens (bzw. einer Letztbegründung desselben) fallen zu lassen und Leben als „Geheimnis“ zu deuten: „Langsam schält sich ein Begriff des Lebens heraus, dessen Quintessenz darin besteht, dass man sich vom Leben keinen Begriff machen kann. Leben ist... von der Art, dass es sich einem begrifflichen Zugang sperrt. (...) Was durch Selbstwerdung wird, das ist aber auch nicht völlig aufklärbar, es bleibt mithin immer ein Rest, nennen wir ihn Geheimnis, der nicht geklärt werden kann, da er im Dunkel des Selbst liegt.“ (72, 74) Ohne hier das „Geheimnis“, dessen Begriff Brenner selbst verwendet, diskreditieren zu wollen (da es sicherlich seine Berechtigung hat!), so muss doch angemerkt werden, dass der Autor eine romantisch-lebensphilosophische Position bezieht, die in der Gefahr steht, die Erfolge und Möglichkeiten der „wissenschaftlichen Vernunft“ zu stark abzuwerten. Das letzte Kapitel Künstliches Leben? (80-95) greift mit dem herausgestellten „nicht-begrifflichen Begriff“ des Lebens auf das zu Beginn der Untersuchung aufgeworfene Problem zurück, ob es überhaupt Sinn macht, von einem „künstlichen Leben“ 39 13.12.2009 15:45:20 Uhr Literaturbericht zu sprechen. Leben gilt in vielerlei Hinsicht als das genaue Gegenteil des künstlich Hervorgebrachten (Artefakt): „Leben ist das, was nicht hergestellt ist“ und „von sich aus ist“. (81) Daher scheint die Rede von einem „künstlichen Leben“ einen gedanklichen Widerspruch zu enthalten: Leben bedarf der Künstlichkeit nicht und die Künstlichkeit des Artefakts kann nicht „von sich aus“ leben. An den Artefakten der künstlichen Intelligenz (Roboter, Computer) wie der synthetischen Biologie (z.B. künstliches, d.h. synthetisches Erbmaterial eines Bakteriums) wird en detail diskutiert, ob der Ausdruck „künstliches Leben“ sinnvoll ist. Da Brenner einen Begriff von Leben verteidigt, der die Geheimnis bleibende Innenperspektive des Lebendigen fokussiert, entzieht sich für ihn Leben durch eine bloß außenperspektivische Beschreibung wie z.B. durch quantifizierbare Stoffwechselprozesse. Zwar können notwendige Voraussetzungen des Lebens angegeben werden, doch das Leben selbst − verstanden als das Leben eines Selbst – ist letztlich, da es nicht restlos aufgeklärt werden kann, Geheimnis. Folglich kann es auch nicht synthetisiert werden: „Das Lebendige wäre nicht eigenbewirkt..., sondern fremdbewirkt..., würde es durch einen synthetischen Prozess hervorgerufen werden können. Leben, so lässt sich daraus schließen, kann nicht synthetisiert werden.“ (95) Die Rede von einem „künstlichen Leben“ macht daher für Brenner keinen Sinn, da für ihn Leben nicht synthetisch hergestellt werden kann, denn das würde seine restlose Aufklärung bedeuten, die Brenner jedoch per definitionem ablehnt: „Die Innenperspektive... macht Lebendiges ein Stück weit sichtbar, der Rest bleibt Geheimnis. Das Geheimnis des Lebendigen wird besonders in der spontanen Entstehung des Lebens sichtbar, die letztlich unerklärbar bleibt: Es können bestenfalls die das Leben bedingenden Voraussetzungen beschrieben werden, das Leben selbst kann aus diesen Voraussetzungen jedoch nicht erklärt werden.“ (96) Brenners Buch bietet einen gut informierten Überblick über biophilosophische Themen, Fragestellungen und Begriffe. Seiner Kritik am „harten“ naturwissenschaftlichen Materialismus und deren bloße Außensichtweisen kann problemlos zugestimmt werden. Sie ist jedoch mit einer romantisch-lebensphilosophisch inspirierten Mystifizierung des Lebens verkoppelt, die allenfalls Anlass zum Weiterdenken, jedoch keine Lösung sein kann. Norbert Walz 2.6 Paola Cavalieri (ed.): The Death of the Animal: A Dialogue 149 Seiten, New York: Columbia University Press, 2009, Euro 14,99 Das anspruchvolle Buch von Paola Cavalieri, italienischer unabhängiger Philosophin und Tierethikerin, die insbesondere für das „Great Ape Project” mit Peter Singer bekannt ist, setzt sich mit einer der zentralsten und wichtigsten Fragen der zeitgenössischen (tier)ethischen Debatte auseinander: mit der Vertretbar40 031-071-AltexLiteraturb.indd 40 keit von moralischem Perfektionismus. Im Mittelpunkt von moralischem Perfektionismus stehen objektive Erklärungen über das Gute, indem besondere Handlungen als gut an sich identifiziert werden, unabhängig davon, ob sie gut für besondere (menschliche) Lebewesen sind. Moralischer Perfektionismus fordert Menschen zum Streben nach objektiv gutem Leben auf und klassifiziert moralisch relevante Lebewesen in Abhängigkeit vom Besitz bestimmter Fähigkeiten oder Merkmale. Zur Verteidigung ihrer eigenen These hat Cavalieri eine interessante und nicht sehr aktuelle Form der philosophischen Auseinandersetzung gewählt: den Dialog. Sie bezieht sich dabei explizit auf eine Art zu philosophieren, die in der Antike von Sokrates und Plato die Unabhängigkeit der philosophischen Forschung am besten verteidigt hat. Disputanten sind Alexandra Warnock und Theo Glucksman, die sich zu einer unbekannten philosophischen Konferenz im Mittelmeergebiet treffen und auf einer Terrasse bei Wein und Nüssen miteinander diskutieren. Wie die Namen der zwei Hauptfiguren schon erkennen lassen, handelt es sich um die Verkörperung der zwei Haupttraditionen der abendländischen Philosophie, die analytische und die kontinentale, wobei Alexandra die zentrale Rolle spielt. Aufgrund des Dialogs wirft Cavalieri der Position des moralischen Perfektionismus, die Alexandra Warnock vertritt, vor, auf einem fundamentalen Missverständnis aufgebaut zu sein, indem sie sich zu stark auf die Idee der moralischen Agenten fixiere. Cavalieri schreibt (Alexandra sagt): „If, on the other hand, one claims, as we have mentioned, that moral agents matter more because they are necessary if morality is to exist at all, without any further consideration of the point of morality, it seems that the only point of morality is: for morality itself to be able to exist“ (18). Eine solche idiosynkratische und solipsistische Perspektive ist auch kontraintuitiv, indem wir heute Menschen nicht mehr in Bezug auf Fähigkeiten diskriminieren (außer etwa im Fall von Embryonen und Föten). Cavalieri bewertet die Traditionen des Utilitarismus, des Kantianismus oder auch der Tugendethik als unbefriedigend, weil sie in dieser Sackgasse des moralischen Perfektionismus in ihrer Fixierung auf der Kategorie „Tier“ stehen bleiben. Aus diesem Grund lautet der Titel von Cavalieris Buch: „Der Tod des Tieres“, Tod im Sinne von Überwindung dieser Abgrenzung bzw. Kategorisierung. Für eine angemessene Überwindung sollten wir den Vorschlag von Derrida ernst nehmen, er hat erklärt, wie der Begriff „Tier“ auf einer metaphysischen und emotionalen Distanz zwischen den Menschen und den anderen Tieren beruht, die die ganze abendländische Philosophie prägt. Auch unsere fundamentale Verurteilung von nationalsozialistischen Verbrechen wie die Aktion T4 (das Euthanasieprogramm) beruht auf einer Ablehnung solcher Verhaltenweisen gegenüber Menschen qua Angehöriger der Gattung „Mensch“. Die als Lösung bezeichnete Perspektive der Menschenrechte bietet zwei wichtige Vorteile: Erstens fokussiert sie auf den institutionellen Schutz von Individuen und von Beeinträchtigungen, indem sie sich auf negative Rechte (Das Recht auf Leben, das Recht auf Freiheit, das Recht auf Wohlbefinden) bezieht. Zweitens setzt sie das Kriterium der moralischen Akteure voraus (ein moralischer Akteur zu sein ist die Voraussetzung zur Altexethik 2009 13.12.2009 15:45:20 Uhr Literaturbericht Zugehörigkeit der rechtlichen Sphäre), wobei hier Cavalieri mit „moralischer Akteur“ ein Wesen meint, das Interessen hat und das „intentional“ ist und das Ziele verfolgt (vgl. 39). Wie schon in ihrem anderen Buch (Die Frage nach den Tieren, Erlangen, 2002) plädiert Cavalieri dann für eine Ausweitung der menschenrechtlichen Perspektive auf „Tiere“ als endgültige Ablehnung des Speziezismus. Das Wort „Tier“ ist nun in Anführungszeichnen gesetzt, weil in dieser neuen Perspektive ein Unterschied zwischen „Mensch“ und „Tier“ als solcher keinen Sinn mehr macht. Nach diesem Dialog folgt im Buch ein „Roundtable“, in dem Beiträge von sehr berühmten Intellektuellen wie Cary Wolfe, Professor für Englische Literatur an der Rice Universität, Harlan B. Miller, analytischer Philosoph aus Virginia Tech, Matthew Calarco, Philosoph an der California State Universität und dem Literaturnobelpreisträger John M. Coetzee zu finden sind. Im dritten und letzten Teil des Buches setzen sich die Autoren des zweiten Teils mit den Kritiken auseinander und präzisieren ihre Argumente. Im zweiten und dritten Teil wird ebenfalls eine Art Dialog aufgebaut, indem die Autoren wieder auf Anregungen ihrer Kritiker reagieren und weiter reflektieren. Es gibt eine Vielzahl von Aspekten, die in diesen inhaltsreichen und stimulierenden Teilen des Buches aufgeworfen werden, die aber nicht alle ausführlich diskutiert werden können. Eine wichtige grundlegende Frage wird schon im Vorwort von Peter Singer klar formuliert: Was folgt aus der Ablehnung dieser Position: Gleichheit für alle Lebewesen, die Interesse haben (wofür Cavalieri plädiert), oder die Anerkennung, dass es eine Hierarchie bezüglich des moralischen Status unter Menschen geben sollte (dies wäre die Position Singers)? Darüber hinaus werden im Buch interessante Überlegungen über den Sinn des Philosophierens überhaupt angestellt, vor allem wenn bestimmte politische Zwecke wie etwa der Tierschutz das Ziel sind. Grundlegendes und tiefes Bedenken wird von Coetzee aufgeworfen, der in seinem gewohnt ironischen und bissigen Ton Alexandra Warnock und Theo Glucksman als Kinder einer intellektuellen Elite bezeichnet, die weit von einem praktischen Lebensbezug entfernt sind und die bewusst entschieden haben, auf die körperlichen Genüsse (wie Fleischessen und Sex) zu verzichten. Für Coetzee bleibt fragwürdig, ob sie mit ihrer elitären Philosophie in der Lage sind, etwas zu bewirken, wie es etwa die Politiker mit ihren rhetorischen Instrumenten vermögen. Auch Calarco stellt grundsätzlich den Ansatz Cavalieris in Frage, aber aus völlig anderen Gründen: Cavalieris Ablehnung des moralischen Perfektionismus enthält ihm zufolge perfektionistische Motive, indem sie sich auf die Tradition der Menschenrechte stützt, die auf der Dichotomie zwischen Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern aufgebaut ist. Deswegen plädiert er für einen radikaleren Ansatz, eine Art Agnostizismus, den er von einer Ausweitung der Verantwortungsethik Levinas weiterentwickelt. Alles in allem stellt dieses Buch einen wichtigen Referenzpunkt der aktuellen philosophischen Debatte in Moral, Politik und Recht dar. Die These Cavalieris und die umfangreichen Kritikpunkte erfordern weitere Auseinandersetzungen und dies ist ein Merkmal eines exzellenten philosophischen WerAltexethik 2009 031-071-AltexLiteraturb.indd 41 kes. Obwohl das gesamte Buch zur Frage der Zugehörigkeit der Tiere der moralischen Gemeinschaft gewidmet ist, stellt in der Tat der moralische Perfektionismus grundsätzliche Herausforderungen auch im inframenschlichen Bereich, etwa bezüglich des Umgangs mit menschlicher Behinderung. Arianna Ferrari 2.7 Markus Düwell und Dieter Birnbacher et al. (Hrsg.): Medizinethik und Empirie – Standortbestimmungen eines spannungsreichen Verhältnisses Das September-Heft der Zeitschrift „Ethik in der Medizin“ 2009 ist komplett einem für die angewandte Ethik, also auch der Tier- und Bioethik, wichtigen Thema gewidmet – den sogenannten „Empirical Ethics“ oder auch „integrated empirical ethics“. Siehe http://www.springerlink.com/content/0935-7335 Hierbei handelt es sich um einen Trend gerade in der aktuellen Medizinethikdebatte: Es hat sich eine intensive Fachdiskussion um theoretische, meta-ethische und methodologische Fragen entsponnen. Zentral ist hierbei ob überhaupt und wenn ja, wie empirische Ergebnisse in angewandte ethische Überlegungen zu integrieren sind. Die Verbindung von normativen, präskriptiven und empirischen, deskriptiven Dimensionen spiegelt sich u.a. darin wider, dass angewandte Ethik zunehmend als ein interdisziplinäres Unternehmen verstanden wird, an dem nicht nur die Philosophie, Theologie und Rechtswissenschaft, sondern auch die Medizin, die Natur- und Ingenieurswissenschaften sowie die Sozial- und Kulturwissenschaften mitwirken müssen und in das darüber hinaus Laien und öffentliche Wahrnehmungen einzubeziehen sind. Allerdings sollte das Verhältnis zwischen einer eher normativ ausgerichteten Bioethik einerseits und der eher deskriptiven empirischen Forschung andererseits nicht als „harmlos“ eingestuft werden. Es wirft hingegen noch zahlreiche ungeklärte Fragen auf, etwa darüber, ob eine Vermischung von Fakten und Werten erstens zulässig und zweitens zielführend sein kann. Insbesondere interessiert die methodologische Spannung zwischen den ethischen und empirischen Dimensionen und was sie für die zukünftige Bioethikforschung bedeuten könnte. Bislang fehlen gerade für die deutsche Fachdiskussion verschiedenartige Übersichten, die die methodischen Vor- und Nachteile der verschiedenen Ansätze in der „empirischen Ethik“ reflektieren. Angewandte Ethik ist per se keine empirische Wissenschaft, sie wird jedoch im Zeitalter der Naturwissenschaften immer stärker einem naturwissenschaftlichen Ideal unterworfen. Das zeigt sich u.a. daran, dass praxisorientierte Handreichungen, die Restriktionen bestimmter empirischer Methoden für die Forschungsdesigns aufzeigen, eher noch die Ausnahme sind. 41 13.12.2009 15:45:21 Uhr Literaturbericht Das vorliegende Themenheft hat sich nun die Aufgabe gemacht, diese Diskussion für die deutsche Debatte erstmals etwas aufzuarbeiten. In dem ersten einführenden Beitrag geht der holländische Philosoph Bert Musschenga genauer der Frage „Was ist empirische Ethik?“ nach. Er stellt dabei mit Blick auf die internationale Debatte die spezifischen Kennzeichen einer „empirischen Ethik“ vor. In den folgenden drei Beiträgen wird das Verhältnis von Sein und Sollen in der Medizinethik aus der moralphilosophischen Perspektive stärker beleuchtet. In dem Aufsatz „Zur Verantwortbarkeit des Einsatzes sozialwissenschaftlicher Methoden in der Medizinethik“ geht es Markus Düwell um eine Analyse der meta-ethischen Herausforderungen im Verhältnis von Ethik und Sozialwissenschaften. Mit Blick auf die ethische Urteilsbildung als einem Kerngeschäft der angewandten Ethik geht Julia Dietrich der „Kraft der Konkretion oder: Welche Rolle spielen deskriptive Annahmen bei der ‚Anwendung‘ und ‚Kontextsensitivität‘ ethischer Theorie?“ am Beispiel der Schmerztherapie nach. Potentiale und Limitationen sozialempirischer Forschung für die Medizinethik will auch Silke Schicktanz in ihrem Aufsatz „Zum Stellenwert von Betroffenheit, Öffentlichkeit und Deliberation im empirical turn der Medizinethik“ sichtbar machen. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Frage, wessen Meinungen und Positionen vor allem mit sozialempirischen Untersuchungen eingeholt werden bzw. eingeholt werden sollen. Aus eher soziologisch geprägter Perspektive beschäftigen sich hingegen die nächsten zwei Beiträge. Tanja Krones widmet sich vor allem der Methodik und Methodologie empirischer Medizinethik in ihrem Aufsatz „Empirische Methodologien und Methoden der angewandten und der empirischen Ethik“. Dem Verhältnis zwischen Medizinethik und Medizinsoziologie aus sozialwissenschaftlicher Perspektive gehen weiterhin Sigrid Graumann und Gesa Lindemann in ihrem Beitrag „Medizin als gesellschaftliche Praxis, sozialwissenschaftliche Empirie und ethische Reflexion“ nach. Im abschließenden Beitrag „Empirische Forschung in der Medizinethik: Methodenreflexion und forschungspraktische Herausforderungen am Beispiel eines mixed-method Projekts zur ärztlichen Handlungspraxis am Lebensende“ diskutieren Jan Schildmann und Jochen Vollmann die konkrete Problematik von Integration empirischer und ethischer Aspekte innerhalb eines Forschungsdesigns. Auch wenn sich die Aufsätze des Bandes der Medizinethik widmen, so bleiben die theoretischen wie meta-ethischen und methodologischen Fragen auch die zentralen Grundfragen für die Tierethik: so müssen hier schließlich normative, naturwissenschaftliche und zunehmend auch soziologische Argumente integriert werden. Ein solcher wissenschaftstheoretischer Hintergrund ist die Grundvoraussetzung zum Verständis dieser Problematik. Eine „empirische Tierethik“ etwa, wäre weit vom Nachdenken darüber, wie man mit Tieren umgehen sollte, entfernt. Sie beschreibt nur, wie mit Tieren umgegangen wird. Silke Schicktanz 2.8 Tina-Louise Fischer: Menschen- und Personenwürde. Über die Notwendigkeit eines neuen Würdebegriffs 120 Seiten, Münster: LIT Verlag, 2008, Euro 19,90 „Wie kann man Tiere schützen?“, fragt Luisella Battaglia in ihrem Buch Alle origini dell’etica ambientale (Über die Ursprünge der Umweltethik). Indem sie Jules Michelets Verständnis der Beziehung Mensch-Tier untersucht, schreibt Battaglia: Tiere kann man am besten schützen, wenn man begründet und enthüllt, dass sie Personen sind1. Diese Antwort bildet auch die Grundthese von Tina-Louise Fischers Essay Menschen- und Personenwürde. Über die Notwendigkeit eines neuen Würdebegriffs. Die Autorin plädiert dafür, den Begriff der Menschenwürde auf Menschen- und Personenwürde zu erweitern: Auf diese Weise wäre es möglich, die Barriere zwischen Mensch und Tier so zu verlagern, dass die entscheidende Trennung eher zwischen Personen und Nichtpersonen liegen würde (vgl. z.B. 107). Da auch nichtmenschliche Personen „in das moralische Denken und Handeln einbezogen werden“ sollen (11), müssten ihnen infolgedessen „fundamentale Rechte“ gewährt werden. Fischers Vorschlag lautet: Wenn man die Verwendung der Bezeichnung Person in Bezug auf einige Tiere begründen kann, müssten dann solchen Tieren als nichtmenschlichen Personen nicht dieselben Grundrechte zuerkannt werden, die menschliche Personen bereits besitzen? Mit anderen Worten, Fischer möchte einen Weg zeigen, der zur Notwendigkeit der moralischen Berücksichtigung derjenigen Tiere führt, die man als Personen definieren darf; solche nichtmenschliche Personen sollten folglich rechtlich geschützt werden (vgl. 33), und zwar indem man sie für unmündige Personen erklärt (vgl. 12). Um dieses Ziel zu erreichen, analysiert die Autorin die zentralen Begriffe ihrer Argumentation. Sie beginnt mit einer stark an utilitaristische Konzeptionen angelehnten Definition der Moral („Grundlage der Moral ist das Prinzip des größten Glücks [...]“, 17). Es folgt dann ein Kapitel, in dem nach einer Definition von Mensch, Tier und Person in der Geschichte der Philosophie gesucht wird. Die Möglichkeit, Eigenschaften nachweisen zu können, die nur der Mensch besitzt und die ihn demnach vom Tier unterscheiden, stellt den Fokus der Diskussion dar. Gerade die Tatsache, dass es, laut Fischer, „[...] keine Eigenschaften gibt, die nur der Mensch vorweisen kann [...]“ (9), rechtfertigt die Einführung des Begriffs der Würde2. Menschenwürde, auf der die Anerkennung der Menschenrechte basiert, ist jedem Menschen angeboren – es handelt sich also um eine „Form der inhärenten Würde“ (58), die als solche keiner weiteren logischen Begründung bedarf. Die Inhärenz 1 Vgl. L. Battaglia (2002). Alle origini dell’etica ambientale. Uomo, natura, animali in Voltaire, Michelet, Thoreau, Gandhi (90). Bari: Edizioni Dedalo. 2 Ein bedeutender Unterschied zwischen Mensch und Tier muss allerdings auch in Fischers Argumentation vorausgesetzt werden, nämlich dass nur Menschen Subjekte einer ethischen Handlung sein können: Menschen haben Pflichten (zum Beispiel die Pflicht, mit den Tieren nach ethischen Prinzipien umzugehen); Tieren dagegen (auch denjenigen, die für unmündige Personen erklärt werden, siehe 107) können keine Pflichten zugeschrieben werden. 42 031-071-AltexLiteraturb.indd 42 Altexethik 2009 13.12.2009 15:45:21 Uhr Literaturbericht tritt eben in der juristischen Argumentation quasi als deus ex machina auf (vgl. 61-62): Da es jedoch keine Charakteristika gebe, die den Menschen von allen anderen Spezies wesentlich unterscheiden könnten, müsse sich die Anerkennung von Menschenrechten einfach auf einen metaphysischen Begriff stützen, nämlich den Begriff der angeborenen Menschenwürde. Jeder Mensch besitzt Menschenwürde und Menschenrechte, einfach weil er als Mensch geboren wurde. Wie aber zeichnet sich in diesem Kontext eine Person aus und wie wird Personenwürde definiert? Indem sie der These von Peter Singer und Paola Cavalieri folgt, behauptet Fischer, dass der Begriff „Person“ mit dem Begriff „Mensch“ nicht gleichbedeutend sei, weil eine Person über Eigenschaften (vor allem Selbstbewusstsein, Subjektivität und die Fähigkeit zur autonomen Selbstbestimmung, siehe dazu 42) verfügt, die in der Tat nicht alle Menschen vorweisen können. In dieser Hinsicht wären zum Beispiel Neugeborene und Komatöse zwar Menschen, die Menschenwürde und deshalb Menschenrechte besitzen, aber keine Personen. Hingegen – und hier liegt ein entscheidender Punkt in Fischers Argumentation – haben zahlreiche kognitive Experimente mit Primaten gezeigt, dass einige derjenigen Charakteristika, auf denen die oben genannte Definition der Person basiert, zum Beispiel bei Schimpansen (siehe Kapitel IV) nachgewiesen werden können. Darüber hinaus schließt Fischer, dass denjenigen Tieren, die, wie Menschenaffen, als Personen definiert werden dürften und sollten, die Grundrechte3 zuerkannt werden müssten, die ihr Personen-Status verlangt. An dieser Stelle tritt also erst der Begriff von Personenwürde ein: Alle Personen – menschliche und nicht-menschliche – sind Träger einer Würde, die aus ihrem Person-Sein folgt; die Würde – wie schon im Fall von Menschenwürde – ist die Basis für die Anerkennung bestimmter Rechte (vgl. 79-80). Wenn diese Argumentation schlüssig ist, dann soll der Begriff von Menschenwürde unbedingt in Menschen- und Personenwürde ergänzt werden, so dass moralische und rechtliche Achtung auch nichtmenschlichen Personen gewährt werden kann. Das Ziel dieser Erweiterung des Begriffs von Menschenwürde scheint auf jeden Fall wünschenswert; was die Konsequenz der Argumentation betrifft, so bleiben noch einige Fragen offen. Dies betrifft zunächst den Begriff der Person. Fischer listet mehrere Eigenschaften auf, die an das Person-Sein gebunden sind (vgl. 40-41). „Eine Person“ sei „ein selbstbewusstes, rationales Wesen, das Vernunft und Reflexion besitzt [...]“ (42). Wie aber vor allem Vernunft und Rationalität in diesem Kontext definiert werden, bleibt meines Erachtens unklar. Wie in den folgenden Seiten des Essays aber deutlich wird, ist eigentlich Selbstbewusstsein laut Fischer das „Hauptmerkmal der Person“, „der eine Person ausmachende Wesenszug“ (43). Die Vernunft und die Rationalität werden damit in den Hintergrund geschoben, so dass die Antworten auf die Fragen, welche Kombination von Eigenschaften zur Bestimmung der Person führen und ob Selbstbewusstsein allein reiche oder nicht, unbeantwortet bleiben. Wie flexibel sind demzufolge die Grenzen der Definition des Begriffs Person zu denken? Schließt er nur solche Tiere ein, die „[...] als rationale und intentionale Wesen wahrgenommen werden, im Gegenzug die anderen als ebensolche Wesen wahrnehmen, sprachliche Fähigkeiten haben“ (40)? Oder sollte man die Bedingungen für die Anerkennung des Personen-Status viel niedriger ansetzen, so dass eine größere Zahl tierischer Individuen als Personen bezeichnet werden dürften4? Der entscheidende Punkt aber, der die Schlüssigkeit von Fischers Vorschlag gefährdet, ist die Deutung des Begriffs von Personenwürde. Wie bereits angeführt, bezieht sich Würde in der Wendung Menschenwürde auf etwas Inhärentes, Angeborenes, und eben diese Inhärenz stellt die Basis für die Anerkennung der Menschenrechte dar. Wird nun aber dieser Begriff von Würde mit dem Begriff von Person verbunden, so wird eine unklare Formulierung gefasst, da einige Individuen zwar als Menschen geboren werden, niemand aber als Person geboren wird (vgl. 42: „Person-Sein ist demnach erst ab dem Zeitpunkt gegeben, wenn Selbstbewusstsein, Subjektivität und die Fähigkeit zur autonomen und rationalen Selbstbestimmung voll ausgebildet sind [...].“). Das Person-Sein betrifft also nur bestimmte Phasen des Lebens eines Individuums. Kann man infolgedessen die Anerkennung von Grundrechten für Tiere auf dieser „instabilen“ Bezeichnung aufbauen? Meines Erachtens kann auf diese Weise viel weniger erreicht werden als versprochen wird, weil eben die Anerkennung des PersonStatus während des Lebens eines Individuums bedeutende Schwankungen erleidet und niemals durchgängig gewährleistet sein kann. Wenn Fischer am Ende ihres Essays behauptet, dass „bestimmte Tierarten als unmündige Personen“ (107; siehe auch 80 und 89) gelten sollen, folgt dies nicht schlüssig aus den Voraussetzungen, die sie eingangs aufgestellt hat. Man kann schließlich nicht ohne weiteres annehmen, dass alle zu einer Tierart gehörenden Individuen Personen seien, wenn man die Unterscheidung zwischen Mensch und Person als geltend akzeptiert. Gegen diese Kritik könnte man zwar einwenden, dass die Verwendung der Bezeichnung Person in Bezug auf einige Tiere, im aktuellen Diskurs die beste Strategie darstelle, um wenigstens einigen Individuen Grundrechte zu gewähren. Dennoch sollte man sich der internen Widersprüchlichkeit des Begriffs von Personenwürde bewusst sein. Letztendlich besteht die Gefahr darin, dass sich damit nur eine Ethik begründen lässt, die lediglich einige Individuen der Spezies Schimpanse, Gorilla und Orang-Utan (siehe 21) berücksichtigen 3 Als Grundrechte werden etwa die ersten drei Artikel des Grundgesetzes verstanden, vgl. 80. 4 Wie die heutige Debatte über die Definition des Begriffs der Person zeigt, scheint gerade im Blick auf Tiere die Einschränkung auf die Voraussetzung des Selbstbewusstseins auf keinen Fall überzeugend. Juan Carlos Gómez hat zum Beispiel deutlich bewiesen, dass die Verwendung des Prädikats Person für die Menschenaffen zwar begründbar ist, aber nur insofern man die kritische Auseinandersetzung mit bestimmten, klar festgelegten Kriterien in Betracht zieht (Gómez stützt seine Argumentation auf Daniel Dennetts Definition der Person). Siehe: Gómez, J. C. (2003). Are Apes Persons? The Case for Primate Intersubjectivity. In S. J. Armstrong und R. G. Botzler (hrsg.), The Animal Ethics Reader (138-143). London: Routledge. Altexethik 2009 031-071-AltexLiteraturb.indd 43 43 13.12.2009 15:45:21 Uhr Literaturbericht kann, nämlich geistig gesunde und erwachsene Individuen, die sich zur Person entwickelt haben. Es kann daher gefragt werden, ob der von Fischer vorgeschlagene Begriff der Person in der Tat einen sicheren Boden für die ethische Begründung der Anerkennung von Berechtigungen für die Tiere (mindestens für einige bestimmte Tierarten) bietet, oder ob nicht die Verwendung eines anderen Kriteriums stattdessen in Anspruch genommen werden könnte5. Tina-Louise Fischer muss dabei das große Verdienst zuerkannt werden, dass sie sich engagiert darum bemüht, einen Schritt weiter in der Begründung einer neuen, erweiterten Ethik (vgl. z.B. 10) zu gehen, einer Ethik, die endlich auch das Tier moralisch und rechtlich berücksichtigen kann. In ihrem Essay setzt sich die Autorin mit der aktuellen Debatte über die Notwendigkeit der ethischen Berücksichtigung von Tieren kompetent auseinander. In dieser Hinsicht stellt dieser Essay eine gute Einführung zum Problemfeld des ethischen Umgangs mit Tieren dar, die neue Thesen zu einer erweiterten Ethik durchdenkt und zur weiteren Diskussion dieses hochbedeutenden Themas – die Verwendung des Personbegriffes für eine tierethische Begründung – anregt. Cecilia Muratori 2.9 Gary L. Francione: Animals as Persons: Essays on the Abolition of Animal Exploitation 256 Seiten, New York: Columbia University Press, 2008, Euro 19,99 Dieses aktuellste Buch von Gary L. Francione, das er seinen zwei Meerschweinchen und zwölf Hunden widmet, stellt ein wichtiges Kompendium aller Thesen über Tierschutz dar, die der Distinguished Jura Professor of Law and Philosophy an der nordamerikanischen Rutgers Universität seit den 80er Jahren entwickelt hat. Wie schon der Titel andeutet, zielt das Buch darauf ab, philosophisch und rechtsphilosophisch die Idee der Ablehnung jeglicher Form von Tiernutzung zu begründen. Das Buch besteht aus einem Vorwort und sieben Artikeln, von denen fünf schon in anderen Büchern oder Zeitschriften veröffentlicht worden sind. In diesem Werk werden dann erstmals Grundzüge einer Ablehnung der Eigentumstheorie für Tiere skizziert, die die theoretische und politische Basis für deren Nutzung darstellt. Franciones theoretischer Ansatz wird in einer permanenten Auseinandersetzung mit anderen wichtigen tierethischen Positionen aufgebaut. Er begründet in der Tat seine Position dadurch, dass er bestimmte Interpretationen, sowohl der Geschichte der Tierschutzbewegung als auch der Schwächen und Irrtümer anderer zeitgenössischer Theorien liefert. Francione unterscheidet in der Debatte zwei grundsätzliche Positionen: Tierschutz, der auf den Schutz des tierischen Wohlbefindens ausgerichtet ist („animal welfarism“), und die Ablehnungstheorie („abolitionism“), die jegliche Nutzung von Tieren ausschließt. Während Tierschutz nur am Anfang, und zwar im 19. Jahrhundert, eine substantielle Verbesserung in der Nutzung von Tieren vor allem in der Forschung und in der Landwirtschaft verzeichnen konnte, erscheint die heutige Situation der Tiernutzung leider von ungeheuren und unnötigen Misshandlungen gekennzeichnet – vor allem in unserer abendländischen Gesellschaft. Francione leugnet selbstverständlich nicht die historisch wichtige Rolle der Entwicklung von Tierschutzgedanken in der modernen Zeit, aber er sieht in dieser Tradition die Wurzeln für die heutige schlechte Situation, weil sie die Tiernutzung als solche überhaupt nicht in Frage gestellt hat. Tiere als leidensfähige Wesen zu betrachten besagt nur, dass wir ihnen keine unnötigen Leiden und Schmerzen zufügen sollen, bzw. dass wir Tiere „human“ behandeln sollen. Die zentrale These seines Buches „Animals, Property, and the Law“ (1995) sowie seine fundamentale Kritik gegenüber der Tradition von „animal welfarism“ aus dem Buch „Rain without Thunder: The Ideology of Animal Rights Movement“ (1996) werden im zweiten Beitrag dieses Buches knapp und prägnant erklärt und gegen kritische Einwände verteidigt: Der Eigentumsstatus der Tiere macht jegliches Ziel einer humanen Tiernutzung illusorisch, weil das, was in Wirklichkeit abgewogen wird, die Interessen der Eigentümer der Tiere sind, die gegen die Interessen ihres Eigentums (der Tiere) stehen. Daraus folgt, dass es absurd ist zu behaupten, dass wir menschliche Interessen an Eigentum, die eigentlich rechtlich geschützt sind, gegen die Interessen von dem abwägen können, das besessen wird. Das EigentumTier existiert hier nur als Mittel zu einem Zweck (38). Francione argumentiert gegen die vielen pragmatischen Argumente, die behaupten, dass eine sofortige Abschaffung der Tiernutzung heute unmöglich ist und dass man den Tierschutzgedanken besser schrittweise im Geist der Einzelnen und der Gesellschaft wachsen lassen sollte. Er kritisiert diese Argumente als Alibi, weil sie nicht den Kern des Problems in Frage stellen, und zwar die Tatsache, dass Tiere als Eigentum gelten. Noch radikaler fällt seine Kritik gegen den so genannten „new welfarism“ aus, den ganze Generationen von Tierschutz-intellektuellen praktizieren, die sich zum Teil in der Zusammenarbeit mit Institutionen engagiert haben. Die heutigen Gesetze, die dadurch inspiriert sind, tragen letztlich dazu bei, dass Tiere nie angemessen und ethisch behandelt werden. Vertreter des „new welfarism“ seien „kriminell“ (40), weil sie die Institutionalisierung der Tiernutzung und damit der Leidenszufügung und Tötung ermöglichen. Diese Perspektive führt zur sozialen Bequemlichkeit der Akzeptanz der Tiernutzung (16). Für Francione ist eine vegane Gesellschaft 5 Francione, G. L. (1996). Personhood, Property and Legal Comptence. In P. Cavalieri and P. Singer (hrsg.), The Great Ape Project. Equality beyond Humanity (248-257). New York: St. Martin’s Griffin. Francione weist darauf hin, dass die Fähigkeit des Empfindens als Hauptkriterium in Betracht gezogen werden kann: Um zu entscheiden, wer zur „community of equals“ gehört, soll man die Grenze beim Empfinden ziehen (vgl. 253). Die Wichtigkeit des Begriffs der Rechtsperson („legal personhood“, ebenda. 251) bleibt allerdings in Franciones Beitrag unbestritten. Siehe auch: P. Cavalieri und P. Singer, The Great Ape Project - and Beyond, in: Ders., The Great Ape Project, zit., 304-312, insbesondere 308. 44 031-071-AltexLiteraturb.indd 44 Altexethik 2009 13.12.2009 15:45:21 Uhr Literaturbericht der einzige Weg, Tierrechte „ernst“ zu nehmen. Nur wenn Tiere als „Personen“ gelten, und zwar in der Hinsicht, dass sie fundamentale Freiheiten genießen können, ein Lebensrecht haben und nicht in juristischer Hinsicht als Eigentum gelten, dann kann man von einer effektiven Anwendung des Prinzips der gleichen Berücksichtigung von Interessen sprechen. Ein anderer wichtiger und zugleich problematischer Grundgedanke der heutigen Tierschutzbewegung besteht in der Idee, dass kognitive Fähigkeiten der Tiere und insbesondere deren Ähnlichkeit sowie die Vergleichbarkeit mit menschlichen Fähigkeiten das Motiv der Anerkennung des moralischen Status darstellen. Damit greift Francione insbesondere im dritten Beitrag zu einer der zentralen Fragestellungen der heutigen tierethischen Debatte, die dann durch neue ethologische Untersuchungen sowie durch das „Great Ape Project“ (1993), an dem Francione selber teilgenommen hat, bereichert worden ist. Francione bezeichnet als „similar-minds approach“ den Ansatz, der die kognitive Ähnlichkeit zwischen Menschen und einigen anderen Tieren betont und in diesem den Grund für einen stärkeren Schutz sieht. Diese Theorie, die auf einer merkwürdigen Inkonsistenz mit der Evolutionstheorie Darwins beruht, ist aus zwei Gründen problematisch: aus einem praktischen Grund, weil sie nicht effektiv in der Implementierung des Tierschutzes sein kann; aus einem theoretischen Grund, weil sie nicht den Grund erklärt, warum jegliche andere Fähigkeit außer der Leidensfähigkeit nicht auch für die Zugehörigkeit zur moralischen Gemeinschaft von Bedeutung ist. Zum ersten Grund betont Francione außerdem, dass selbst wenn wir Beweise von Ähnlichkeiten hinsichtlich kognitiver Fähigkeiten haben, wir diese ignorieren und unsere Untersuchungen weiter fortführen, weil wir nicht spezifizieren, welches Maß an Ähnlichkeit für den Personen-Status von Tieren genügt (139). Für Francione selbst genügt die Leidensfähigkeit allein für die Anerkennung des vollkommenen rechtlichen Status. Objekt der Kritik von Francione ist aber nicht nur die utilitaristische Tradition, sondern auch die deontologische Theorie Regans, die einen Unterschied in der Leidenszufügung und Tötung von Tieren und Menschen betont (siehe siebten Beitrag). Im sechsten Beitrag richtet er sich dann gegen die Ineffektivität der Fürsorgeethik für Tierschutz. Auch wenn er der Kritik gegen patriarchale Strukturen generell zustimmt, kritisiert er grundsätzlich die feministische Kritik gegen jegliche Form von Universalismus und sieht im Recht selbst kein patriarchales Instrument, sondern den einzigen Weg zum Schutz von Interessen (188). Mit seinem provokativen und extremen Charakter wirft dieses Buch fundamentale Fragen auf, die Tierethiker nicht ignorieren können und die meiner Meinung nach weitere Auseinandersetzungen erfordern. 1. Gibt es überhaupt Grenzen zwischen Instrumentalisierung und Tiernutzung in einer Gesellschaft, in der Tiere Mittel zum ökonomischen Zweck sind? Und 2. Warum hat sich bis jetzt die tierethische Tradition mit der Eigentumstheorie und dem politisch-ökonomischen Kontext der Tiernutzung nur sehr eingeschränkt auseinandergesetzt? Arianna Ferrari Altexethik 2009 031-071-AltexLiteraturb.indd 45 2.10 Richard P. Haynes: Animal Welfare. Competing Conceptions and Their Ethical Implications 162 Seiten. Dordrecht: Springer, 2008, Euro 64,15 Tierliches Wohlergehen (animal welfare) ist ein zentraler Bestandteil der meisten tierethischen Konzepte und gilt als wichtiges normatives Kriterium für das moralisch richtige Handeln gegenüber Tieren. Darüber hinaus ist die Bestimmung und Untersuchung des tierlichen Wohlergehens aber mittlerweile auch zu einem bedeutenden wissenschaftlichen Forschungsgebiet geworden, das großen Einfluss auf alle Bereiche der Tierhaltung und -nutzung hat. Richard Haynes kritisiert in seinem Buch „Animal Welfare. Competing Conceptions and Their Ethical Implications“ Ziele und Vorgehen der so genannten animal welfare science. Seine These ist, dass der moralische Begriff des Wohlergehens von den wissenschaftlichen und philosophischen Mitgliedern der animal welfare science community zu Unrecht übernommen wurde, um den Gebrauch von Tieren zu Forschungszwecken und in der Lebensmittelindustrie zu rechtfertigen. Die ursprüngliche Bedeutung des Wohlergehenskonzeptes – das Führen eines glücklichen Lebens – ist nach Haynes mit vielen Formen der Nutzung von Tieren zu menschlichen Zwecken nicht vereinbar. Dies wird deutlich, wenn man den Begriff des tierlichen Wohlergehens richtig versteht: „[…] if we correctly conceptualize animal welfare, using a correct account of human welfare as our model, respecting the welfare of animals would require eliminating most of their use in science and all of their use when slaughtered for food. So true animal welfare advocates, if they correctly conceptualize ‘animal welfare’ would be indistinguishable from ‘animal rightists’.” (151) Zur Untermauerung dieser These gibt Haynes im umfangreichsten ersten Teil des Buches zunächst einen historischen Überblick über die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Versuchstierhaltung und -pflege in Großbritannien und den USA, von den Gründung der britischen UFAW (Universities Federation of Animal Welfare) in den 1920er Jahren bis hin zu aktuellen Diskussionen etwa zur Tierschutzgesetzgebung, zur Einsetzung von Ethikkomitees an Forschungseinrichtungen und zum psychologischen Wohlergehen von Primaten. Dabei zeigt sich, so Haynes, dass die Bemühungen um das Wohlergehen von Tieren in der Forschung im Wesentlichen von dem Argument „good science requires humane treatment“ (xiiif.) geleitet wird. Es ist also im Interesse der Wissenschaftler, dass bestimmte Gesundheits- und Wohlergehensstandards für ihre Versuchstiere erfüllt sind. Problematisch ist, dass die Festlegung dieser Standards zumeist durch Experten aus dem Kreis der animal welfare science community erfolgt – „and these experts are, for the most part, the scientists who use animals in research“ (11). So bewegt sich der Expertendiskurs stets innerhalb der Grenzen eines tierethischen Ansatzes, der die Nutzung von Tieren zu menschlichen Zwecken nicht grundsätzlich in Frage stellt, sondern sich mit einer schrittweisen Reform der Bedingungen 45 13.12.2009 15:45:22 Uhr Literaturbericht der Tierhaltung zufrieden gibt. Haynes kommt daher zu dem Schluss: „While the efforts of the science of laboratory animal care and use were progressive in helping to significantly improve the conditions under which laboratory animals were housed […], they proved conservative of the status quo in their efforts to resist reforms that might put serious restrictions on the use of animals in scientific studies that a richer conception of animal welfare might require.“ (xiv) Im zweiten Teil des Buches widmet sich Haynes der Anwendung des Wohlergehenskonzeptes im Bereich der Nutztierhaltung, wo sich eine stärker institutionalisierte Form der animal welfare science entwickelt hat. Im Mittelpunkt stehen die Versuche verschiedener Vertreter der farm animal welfare community, grundlegende Fragen im Hinblick auf ihr Unternehmen zu reflektieren: Welche Aspekte des Nutztierlebens beeinflussen sein Wohlergehen? Wie können wir den Einfluss eines bestimmten Produktionssystems auf das Wohlergehen möglichst objektiv messen? Welches Wohlergehenslevel ist ethisch erforderlich? In den von Haynes diskutierten Ansätzen von Bernard Rollin, Ian Duncan, David Fraser, Michael Appleby/Peter Sandøe, Lennart Nordenfelt und Martha Nussbaum wird der Begriff des tierlichen Wohlergehens in ganz unterschiedlicher Weise interpretiert. Das Hauptproblem bei allen Konzepten (wenn auch in ungleich hohem Maße) ist für Haynes, dass das jeweils vertretene Wohlergehenskonzept zu eng ist und den Kern des Begriffs „Wohlergehen“ nicht angemessen erfasst. Auch wo die Messung des Wohlergehens nicht mehr allein auf Negativkriterien wie der Vermeidung negativer Empfindungen beruht und der Kriterienkatalog um Aspekte wie Gesundheit oder positive Empfindungen erweitert wird (wie etwa im Ansatz von Nordenfelt oder Nussbaum), beschränken sich die vermeintlichen Wohlergehenstheorien zumeist auf eine Auflistung von Dingen, die für ein Lebewesen von instrumentellem Wert (prudential value) sind. Eine Theorie des Wohlergehens müsste nach Haynes aber eigentlich mehr leisten: „A theory of welfare would be needed to determine which and how many of these goods a custodian or user is ethically obligated to provide their wards or their ‘employees’.” (107) Im dritten Teil stellt Haynes den konkurrierenden Konzeptionen seinen eigenen Vorschlag eines custodial models gegenüber. Dabei stützt sich Haynes vor allem auf Wayne Sumners Theorie des menschlichen Wohlergehens, bezieht aber auch Aspekte von Martha Nussbaums Ansatz des animal flourishing mit ein. Auf Seiten der menschlichen caregiver besteht demnach die ethische Verpflichtung, für ihre tierlichen Schutzbefohlenen zu sorgen und in deren mutmaßlichem Interesse zu handeln. Das bedeutet z.B., ihnen eine reichhaltige Umwelt zur Verfügung zu stellen, die eine artgerechte Entwicklung (flourishing) ermöglicht – d.h. eine Umwelt, in der das Tier berechtigterweise mit seinem Leben zufrieden ist. Im Gegensatz dazu verhalten sich animal welfare scientists gegenüber den Tieren in ihrer Obhut wie caretakers: Sie verstehen ihre Aufgabe eher als „Sorge“ um ein Eigentum mit einem bestimmten Wert, das im Interesses des Besitzers in einem einwandfreien Zustand gehalten werden sollte, und nicht als Sorge um ein Lebewesen mit einem Anspruch auf angemessene Berücksichtigung seiner eigenen Interessen. „The caregiver model seems a more appropriate way of model46 031-071-AltexLiteraturb.indd 46 ling the relationship between the producer and livestock, but this model […] seems to imply that the caregiver make the sort of choices for its ward that are consistent with the ward’s future autonomy (or its constructed autonomy).” (141) Insgesamt erhält der Leser des vorliegenden Buches einen umfassenden Überblick über die Geschichte der animal welfare science und die zum Teil kontroversen aktuellen Positionen. Und Haynes eigener Vorschlag einer auf constructed consent und tierlicher Autonomie beruhenden tierethischen Position ist auf jeden Fall bedenkenswert. Gerade deshalb hätte sein Ansatz aber eine ausführlichere Darstellung verdient gehabt. Stattdessen verliert sich vor allem der historische Teil I über weite Strecken in der Auflistung von Informationen und Details, die zum Teil überflüssig erscheinen. So bleibt z.B. unklar, was die Auflistung der Schriften des Animal Welfare Institute (AWI) inklusive Seitenzahlen (19f.) oder die zahlreichen Zitate aus Webseiten und Broschüren der verschiedenen Organisationen eigentlich zeigen sollen. Zudem ist zu bezweifeln, ob Haynes These einer unzulässigen Aneignung des Wohlergehenskonzeptes durch die Wissenschaft tatsächlich allein durch die von ihm angeführten Beobachtungen gestützt werden kann. Seine scharfe Polemik gegenüber „self-styled animal welfare scientists“ (71) scheint, bei aller berechtigten Kritik, in dieser Form nicht gerechtfertigt zu sein. Haynes unterstellt, dass die Mitglieder der animal welfare science community nicht nur ein eingeschränktes und damit unpassendes Konzept von Wohlergehen vertreten, sondern dies auch in aus tierethischer Sicht „unmoralischer Absicht“ tun, d.h. am Wohlergehen der Tiere eigentlich nicht interessiert sind. Aber warum sollte die damit zugleich kritisierte Annahme, dass es auch ethisch vertretbare Formen der Nutzung von Tieren durch den Menschen gibt, von vornherein moralisch falsch sein? Für diese starke These wäre eine überzeugendere tierethische Argumentation notwendig, als Haynes sie liefert. Trotz dieser argumentativen Schwächen ist das Buch jedoch ein interessanter Beitrag zur Klärung von Bedeutung und Rolle des Konzeptes des tierlichen Wohlergehens, der wichtige Impulse für die tierethische Diskussion geben kann. Kirsten Schmidt 2.11 Clare Palmer (ed.): Animal Rights 582 Seiten, Washington: Ashgate Publishing, 2008, Euro 180,99 Sammelbände wie der hier besprochene „Animal Rights“ bilden nicht nur allein durch ihren Umfang von über 500 großformatigen, solide gebundenen Buchseiten einen weiteren wichtigen Beitrag zu der beeindruckenden Leistungsschau von bereits bestehenden tierethischen Referenzwerken, wie z.B. der „Animal Ethics Reader“. Der Band von Clare Palmer stellt durch seine insgesamt 31 ungekürzten Aufsätze zum Themenbereich „Moral and leAltexethik 2009 13.12.2009 15:45:22 Uhr Literaturbericht gal rights for animals“ auch ein zeitgeschichtliches Dokument der modernen Tierrechtsdebatte dar. Die meisten verwendeten Texte erschienen erstmalig im Zeitraum von 1976 bis 1990 und werden durch einige später erschienene (bis zum Jahr 2006) ergänzt. Alle Texte sind vorbildlich editiert mit der OriginalPaginierung abgedruckt. Besonders hervorzuheben ist die zwanzigseitige Einleitung des Bandes, diese bildet eine hervorragende Tour de Force über die Texte, die in vier Themenbereiche gegliedert sind. Der vorliegende rote Band „Animal Rights“ erschien als sechzehnte Publikation der renommierten „International Library of Essays on Rights“. In dieser Reihe behandelt der Band „Theory of Rights“ ausführlich die grundlegenden rechtsphilosophischen Fragen. Eine rechtstheoretische Übersicht findet sich zu Beginn der Einleitung etwas kurz zwar, aber durchaus mit prägnanten Analysen versehen, wie „Two senses in particular have been important. The first takes animal rights to be shorthand for the idea that animals have any kind of moral standing at all.“ (XV). Doch im Zentrum heftiger Diskussionen steht die zweite Konzeption von Rechten „… a subset of the first. It refers to a particular kind of moral status ... rights are entitlements. In many cases, rights can be best understood as claims against others.“ (XV). Vielleicht wäre zu einem speziesneutralen Verständnis noch die normentheoretische Erläuterung hilfreich gewesen, dass allen Rechten eine bestimmte Form gemeinsam ist, die man als ihre elementare Grundstruktur bezeichnen kann. Jedes Recht, gleichgültig was es im einzelnen bedeuten mag, hat die Form eines dreistelligen Relationsprädikats mit den folgenden variablen Komponenten: 1. dem Subjekt oder Inhaber, 2. den Adressaten und 3. dem Inhalt oder Gegenstand des Rechts (vgl. M. Stepanians (Hrsg.) 2007. Individuelle Rechte. Paderborn: mentis). Damit ist nun noch nicht entschieden, ob überhaupt ein Tier oder aus säkularer Perspektive ein „non-human animal“ (XIV) die erforderlichen Kriterien eines Trägers von moralischen Rechten oder, juristisch noch umstrittener, die Kriterien von „legal rights“ (XVIII) erfüllt. Mithilfe der normentheoretischen Erläuterung werden nichtmenschliche Tiere nicht schon bereits vorweg in der formalen Grundstruktur von Rechten durch scheinbar inhaltlich „neutrale“ Wesensbestimmungen kategorisch als mögliche Rechtssubjekte ausgeschlossen. Im Band “Animal Rights” bilden „Part I – Arguments in Favour of Animal Rights“ und “Part II – Critical Views on Animal Rights – and Some Responses” den allgemein theoretischen Teil. Der erste Teil beginnt amüsanter Weise mit „All Animals Are Equal“(13-17) von Peter Singer, der verwendet wurde, weil dieser bereits 1974 erschienene Text der wohl international am häufigsten zitierte und übersetzte ist. Aber bereits im Text 11 des hier besprochenen Bandes mit dem bezeichnenden Titel „Animal liberation or animal rights?“ (165-177) findet sich seiner nachfolgenden utilitaristischen Argumentationsstrategie klar vorangestellt „This essay explains why I do not, philosophically, accept the animal rights approach“. Im ersten Teil des Buches bildet der ebenso bereits klassische Aufsatz von 1985 „The Case for Animal Rights“ von Tom Regan die starke deontologische Konzeption von Tierrechten, Altexethik 2009 031-071-AltexLiteraturb.indd 47 er findet sich auch im deutschsprachigen Raum unter „Wie man Rechte für Tiere begründet“ und wird bis in die Gegenwart oftmals verwendet. Den Abschluss des ersten Teils von „Animals Rights“ bilden zwei gemässigtere Tierrechtsentwürfe der bekannten Philosophin Mary Anne Warren und des leider früh verstorbenen Bioethikers James Rachels. Der zweite Teil wird zwar mit einem Text unter dem Titel „Animal Rights“ eröffnet, doch dessen Verfasser, der utilitaristisch orientierte Philosoph R. G. Frey, ist bekannt als einer der langjährigsten und scharfsinnigsten Kritiker von Tierrechten. Erstaunlicherweise finden sich weitere langjährige Kritiker, insbesondere des starken Tierrechtskonzepts von Tom Regan, nicht nur im zweiten Teil des Buches, sondern gerade auch in „Part III – Animal Rights and Human Uses“. Der Philosoph Carl Cohen, der im dritten Teil mit „The Case for the Use of Animals in Biomedical Research“ vertreten ist, publizierte zusammen mit Tom Regan 2001 die engagierte Streitschrift „The Animal Rights Debate“. Abschließend sei beim Teil II neben dem einschlägigen Aufsatz von Josephine Donavan „Animal Rights and Feminist Theory“ noch auf Evelyn Pluhar mit „Must an Opponent of Animal Rights Also Be an Opponent of Human Rights?“ hingewiesen. Sie gilt als eine der wichtigsten Verteidigerinnen des sehr intensiv diskutierten „Argument from Marginal Case – AMC“, dessen These sich kurz zusammenfassen lässt in „If Animals lack rights, so to do non-paradigmatic humans“. Der dritte Teil des AR widmet sich neben den Fragen des Vegetarismus insbesondere der Tierversuchsdebatte. Hier versucht der Bioethiker David Degrazia in seinem oft zitierten Papier „The Ethics of Animal Research: What Are the Prospects for Agreement?” eine vermittelnde und gemäßigte Position von Tierrechten zu verteidigen. Zu Beginn des letzten Teils „Part IV – Politicial and legal rights for animals” findet sich bei Joel Feinberg – einem der prominentesten amerikanischen Rechtsphilosophen – mit seiner Analyse „The possession of interests can be seen at this point to be the crucial mark of conceptual suitability for right-ownership“ (408) das zentrale Argument jeder säkularen Theorie der Rechte. Eine sehr gute Ergänzung bildet sein bereits 1980 ins Deutsche übersetzter Aufsatz „Die Rechte der Tiere und zukünftiger Generationen“. Mit den drei Beiträgen der prominenten amerikanischen Rechtswissenschafter Gary Francione (425-444) „Taking Sentience Seriously“, Richard Epstein (445-464) „Animals as Subjects, or Objects, of Rights“ und Steven Wise (477-499) „A Great Shout: Legal Rights for Great Apes” findet sich auch der aktuelle „Legal Rights for Animals“ Diskurs der letzten Jahre hervorragend im Band „Animal Rights“ repräsentiert. Zusammenfassend kann nur nochmals betont werden, dass er für jeden grundlegend orientierten Tierethiker eine unverzichtbare – und nicht nur zeithistorisch wichtige – intellektuelle Ressource darstellt. So man kann nur hoffen, dass dieses Meisterstück angesichts eines Preises von gut 180 Euro zu mindest in den Bibliotheken seinen Platz findet. Erwin Lengauer 47 13.12.2009 15:45:22 Uhr Literaturbericht 2.12 Klaus Peter Rippe: Ethik im außerhumanen Bereich 367 Seiten, Paderborn: mentis, 2008, Euro 32,00 Ein durchgängiges Problem der Tierethik, wenn nicht der Naturethik insgesamt, ist ihre starke Abhängigkeit von den moralischen Intuitionen ihrer Autoren. Außenstehende teilen diese Intuitionen nur bedingt, und wenn, dann doch nicht mit der Schärfe, auf die gerade die radikaleren tier- und naturschützerischen Positionen zurückgreifen. Dies führt nicht nur des Öfteren zu intellektuellem Naserümpfen in der engeren philosophischen community, sondern beeinträchtigt auch die öffentliche Akzeptanz und die Chancen auf politische Umsetzung. Ein Beispiel aus der Tierethik ist Tom Regans Konzeption eines „inherent value“ höherer Tiere, der jede Instrumentalisierung zu menschlichen Zwecken verbietet. Methodisch stützt sich Regan auf das Verfahren des Reflexionsgleichgewichts, das die ethische Theoriebildung als eine Art harmonisierende Rekonstruktion vortheoretischer Intuitionen auffasst. Im Falle Regans sind diese Intuitionen jedoch von vornherein so stark von tierschützerischen Motiven imprägniert, dass das resultierende „Gleichgewicht“ aus der Außenperspektive eher als Schieflage erscheint. Zwar ist die Rekonstruktion einer bestimmten durch starke persönliche Intuitionen geprägte Sichtweise nicht ohne Verdienste, zumindest solange davon auszugehen ist, dass sie von anderen geteilt wird. Sie ist aber wenig geeignet, den Verbindlichkeitsanspruch der Ethik einzulösen, vor allem in einem so wenig konsolidierten Feld wie der Ethik des Umgangs mit der außermenschlichen Natur. Dazu bedarf es mehr, nämlich einer argumentativen Absicherung der zugrunde liegenden Überzeugungen. Die bloße Versicherung, dass es sich evidentermaßen so verhält, reicht nicht hin. Klaus Peter Rippe geht in diesem Buch einen anderen Weg. Mit einer an Leonard Nelson erinnernden Rigorosität verbannt er alle moralischen Anmutungen in den Orkus der Bauchgefühle, die in einer rationalen Ethik nichts zu suchen haben, und dies nicht wiederum aus einer Bauchentscheidung heraus, sondern aus guten Gründen: Entweder moralische Wahrheiten liegen in den Gegenständen selbst und lassen sich ihnen unter Anwendung geeigneter kognitiver Instrumente entnehmen. Oder sie sind das Ergebnis kultureller Wertungsmuster, die im Erkenntnissubjekt zu stabilen Wahrnehmungsweisen geronnen sind. Da die zweite Annahme ontologisch sparsamer ist als der moralische Realismus, spricht alles dafür, von ihr auszugehen und kulturelle Selbstklärung und Ethik sorgfältig auseinanderzuhalten. Der anthropozentrische bias der naturethischen Intuitionen in unserem Kulturbereich lässt sich leicht durch die Jahrtausende währende Dominanz der christlichen Metaphysik erklären. Das sagt jedoch lediglich etwas darüber, mit welchen Reaktionen man rechnen muss, nichts über deren Richtigkeit. Wie sieht und wertet man die außermenschliche Natur richtig? Die erste Hauptthese dieses Buchs ist die pathozentristische These, dass alle, aber auch nur alle empfindungsfähigen 48 031-071-AltexLiteraturb.indd 48 Wesen moralisch zu berücksichtigen sind. Nur empfindungsfähige Wesen, und zwar als Individuen, verdienen es, als moralische Größen bei der Prüfung der moralischen Vertretbarkeit menschlichen Naturhandelns ins Kalkül gezogen zu werden. An dieser Position ist zunächst nichts Bemerkenswertes. Sie entspricht nicht nur dem vorherrschenden Common Sense, sie bildet auch die Grundlage nahezu aller Tierschutzgesetze, die in der einen oder anderen Weise die Schutzwürdigkeit mit der Empfindungsfähigkeit zusammenfallen lassen. Bemerkenswert ist die Begründung, die Rippe dafür angibt und die seinem Anspruch auf intuitive Enthaltsamkeit in der Tat optimal gerecht wird: eine von ihm „skeptische Vertragstheorie“ genannte Fundierung der Moral auf das langfristige aufgeklärte Eigeninteresse jedes Einzelnen und damit auf die solideste, aber auch die schmalstmögliche Basis, die eine normative Ethik tragen kann. Wie kann es im Interesse jedes Einzelnen sein, moralische Prinzipien zu vertreten und zu befolgen, die gerade auch nichtmenschliche Lebewesen schützen – also Wesen, von denen das Moralsubjekt weiß, dass es keine Gefahr läuft, in ihre Lage zu geraten und möglicherweise Leiden und Frustrationen ausgesetzt zu sein, die durch eine funktionierende nicht-anthropozentrische Moral abgemildert werden könnten? Der entscheidende Schritt besteht für Rippe in der Überlegung, dass rationale Akteure Gründe haben, von moralischen Normen gerade auch in Situationen geschützt zu werden, in denen sie leidensfähig, aber nicht handlungs- und/oder urteilsfähig sind. Aus einer egozentrischen Perspektive ist die Moral gerade für solche Situationen attraktiv, in denen sich das Individuum nicht selbst durch Wort oder Tat schützen kann. Aus einer egozentrischen Perspektive gibt es deshalb gute Gründe, seinen Schutz an die möglichst lückenlose Geltung altruistischer Normen zu delegieren und entsprechende Hilfspflichten auch gegenüber anderen zu akzeptieren. Unter langfristigen Klugheitsgesichtspunkten wird es sich ebenfalls empfehlen, die Unversehrtheit von Kindern geschützt zu wissen, da eine reflektierende Person, auch wenn sie selbst dem Kindesalter entwachsen ist, ein Interesse daran haben wird, im Alter von den Kindern versorgt zu werden. Kindern Rechte zuzuschreiben, lässt sich insofern relativ problemlos im Rahmen einer von natürlichen Fürsorgeempfindungen abstrahierenden Minimalethik begründen. Warum aber sollte ein rationales Subjekt diese Rechte auf nichtmenschliche Empfindungssubjekte ausdehnen? An diesem bottleneck seiner Argumentation (275) greift Rippe, so weit ich sehe, auf zwei Argumente zurück: einerseits ein Argument der Uneindeutigkeit der Speziesgrenzen, andererseits ein Argument der Inakzeptabilität willkürlicher Differenzierungen. Nach dem ersten Argument lässt sich zwar aktuell zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Tieren eine eindeutige Grenze ziehen. Das wäre jedoch anders, lebten gleichzeitig mit uns die weiteren aus der Paläontologie bekannten Gattungen der Hominiden. Unter dem Eindruck der Uneindeutigkeit der Gattungsgrenzen würde auch ein rationaler Egoist bereit sein, allen leidensfähigen Wesen ein Recht auf Unversehrtheit zuzusprechen. Nach dem zweiten Argument würde eine Grenzziehung zwischen Mensch und Tier riskieren, dass weitere kontingente Merkmale zur Differenzierung der Rechtezuschreibung herangezogen werden könnten, etwa die Zugehörigkeit zu einer rassischen oder reAltexethik 2009 13.12.2009 15:45:23 Uhr Literaturbericht ligiösen Gruppe. An einer diskriminierenden Differenzierung dieser Art kann jedoch auch ein rationaler Egoist kein Interesse haben, da er selbst, würde die Moral solche Differenzierungen zulassen, unter den Diskriminierten sein könnte. Beide Argumente haben offenkundige Schwachpunkte. Auch wenn man hypothetische Überlegungen einbezieht und annimmt, dass zwischen Menschenaffen und Menschen fließende Übergänge bestehen, würde sich im Sinne einer skeptischen Vertragstheorie allenfalls eine Einbeziehung der menschenähnlichsten nichthumanen Wesen, etwa im Sinne des Great Ape Project nahelegen. Und anders als von einer rassistischen oder religiös-partikularistischen Moral hätte der rationale Akteur von einer exklusiv anthropozentrischen Moral nichts zu befürchten. Eine Nötigung zur Einbeziehung der nichtmenschlichen Empfindungssubjekte bestünde unter vertragstheoretischen Voraussetzungen nur insoweit, als diese über die Sanktionsmacht verfügen, auf einen Ausschluss aus der menschlichen Moral mit einem entsprechenden Ausschluss aus ihrer Moral zu reagieren. Die zweite Hauptthese, die dieses Buch entwickelt (und mit Gegenpositionen konfrontiert), fügt der ersten im Grunde nicht viel hinzu. Besagt die erste These, dass ein rationaler Egoist, um seine eigene körperliche Integrität zu wahren, allen übrigen leidensfähigen Wesen ein gleiches Recht auf Unversehrtheit zusprechen muss, beinhaltet die zweite These, dass es keinen Grund gibt, dieses Recht irgendeinem Tier mit Verweis auf kontingente Eigenschaften vorzuenthalten. Eine moralische Hierarchie innerhalb der Welt der Tiere ist nicht zu verteidigen – weder so, dass (mit Schopenhauer und dem Common Sense) zwischen Stufen der Leidensfähigkeit und den damit verknüpften Schutzpflichten unterschieden wird, noch so, dass Tieren die Leidensfähigkeit erst ab einer bestimmten phylogenetischen Entwicklungsstufe zuerkannt wird. Vielmehr soll allen Tieren ein Recht auf Unversehrtheit (und damit ein Recht auf Nicht-Tötung, bei Tieren in menschlicher Obhut auch ein Recht auf Schutz vor Selbstschädigung) zukommen. Auch hier greift der Autor auf die Kombination eines Uneindeutigkeitsarguments und eines Willkürverbots zurück. Die empirischen Befunde bieten ihm zufolge weder für eine Abstufung noch für eine eindeutige Begrenzung der Leidensfähigkeit hinreichende Anhaltspunkte. Solange uns genauere Einblicke verwehrt sind, kann deshalb nur die Grenze zwischen Tieren und Pflanzen als willkürfrei gelten. Auch diese Argumentation ist nicht leicht zu akzeptieren, auch dann nicht, wenn man im Sinne eines epistemischen Risikobegrenzungsprinzips auch Tieren mit nichtzentralisierten Nervensystemen Leidensfähigkeit zugesteht. Wie der Autor zu Recht postuliert, bedarf es für die Zuschreibung von Leidensfähigkeit positiver Indizien. Um in den Kreis der moralisch signifikanten Wesen eingeschlossen zu werden, reicht es nicht, dass Empfindungsfähigkeit nur nicht auszuschließen ist. Andernfalls müssten die von Rippe geforderten Unversehrtheitsrechte auch Pflanzen – etwa im Sinne von Paul Taylors biozentristischem Egalitarismus – zukommen. Gibt es aber dieselben Indizien für Empfindungsfähigkeit wie bei Kopffüßern (die von einigen Tierschutzgesetzen mittlerweile geschützt werden) auch bei evolutionär älteren Tieren wie Schnecken und Amöben? Altexethik 2009 031-071-AltexLiteraturb.indd 49 Damit sind nur die Grundlinien der Argumentation dieses hochaktuellen Buchs nachgezeichnet, das dem Anspruch seines Titels umfassend gerecht wird und auf dem Hintergrund der Erfahrungen des Autors in der Politikberatung sehr viel mehr bietet als akademische Begründungsdiskurse. Weitere Themen, derentwegen sich eine Lektüre lohnt, sind eine genaue Prüfung der Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Anwendung von Würdebegriffen auf nichtmenschliche Tiere (Kap. 3), eine im Rahmen von Rippes egalitärem Pathozentrismus konsequente Relativierung des Artenschutzes (Kap. 9) sowie eine Verteidigung des Vorrangs von Unversehrtheitsrechten vor Güterabwägungen (Kap. 15) mit dem Resultat eines Prima-facie-Verbots nicht nur der Tötung von Tieren zu menschlichen Zwecken, sondern auch der Unterwerfung von Tieren unter anerkannt nützliche, aber belastende Tierversuche. Dieter Birnbacher 2.13 Kirsten Schmidt: Tierethische Probleme der Gentechnik. Zur moralischen Bewertung der Reduktion wesentlicher tierlicher Eigenschaften 386 Seiten, Paderborn: mentis, 2008, Euro 54,00 Nach überwiegender Auffassung besteht die Zielsetzung des Tierschutzes in erster Linie darin, Tiere vor unangenehmen Erfahrungen, d.h. vor der Zufügung von Schmerzen und Leiden, zu bewahren bzw. ihr Wohlbefinden sicherzustellen. In beiden Fällen dienen – negative oder positive – Empfindungen von Tieren als Anknüpfungspunkt für die Formulierung ethischer und rechtlicher Normen. Allerdings zeigt eine genauere Auseinandersetzung mit Maßnahmen, die nicht notwendigerweise mit negativen Empfindungen der betroffenen Tiere einhergehen, dass der Schutz der Tiere nicht hinreichend gewährleistet werden kann, wenn – wie im pathozentrischen Bezugsrahmen – ausschließlich auf ihre subjektive Befindlichkeit abgestellt wird. Bereits im Zusammenhang mit der tierethischen Diskussion der „Tötungsproblematik“ hat sich gezeigt, dass ein rein pathozentrisch ausgerichtetes Tierschutzkonzept jedenfalls dann zu kurz greift, wenn man die Fiktion der „Schmerzlosigkeit“ unrealistischerweise wörtlich nimmt. Nunmehr zeigt die Biologin und Philosophin Kirsten Schmidt in ihrer am Lehrstuhl für Ethik in Medizin und Biowissenschaften der Ruhr-Universität Bochum verfassten Dissertation, dass dieses Defizit auch im Zusammenhang mit gentechnisch veränderten Tieren manifest wird. Die Autorin setzt sich in ihrer umfangreichen Studie weder mit biomedizinischen Forschungsvorhaben oder Gene-Pharming (vgl. dazu Besprechung des Bandes „Pharming“ in diesem Heft) auseinander, sondern widmet sich ausschließlich jenen biotechnologischen Anstrengungen, die das Ziel verfolgen, durch gentechnische 49 13.12.2009 15:45:23 Uhr Literaturbericht Eingriffe besser angepasste Nutztiere hervorzubringen bzw. deren Leistungen zu optimieren. Ausgangspunkt für Schmidts Analyse sind gentechnische Veränderungen an Tieren, die zu einer Reduktion bzw. Eliminierung tierlicher Eigenschaften führen, wobei die Bandbreite solcher Veränderungen, z.B. hornlose Rinder, blinde Hühner und – vorerst noch auf der Ebene eines Gedankenexperiments – empfindungslose QuasiTiere umfasst. Schmidt unternimmt zunächst den Versuch, die Reduktion tierlicher Eigenschaften durch genetische Eingriffe nach ihrer Auswirkung auf das Tier zu klassifizieren und schlägt zu diesem Zweck eine vierteilige Skala vor: Stufe 1 umfasst Eingriffe, welche die tierlichen Eigenschaften nicht reduzieren, sondern lediglich verändern (z.B. Expression menschlicher Proteine, fluoreszierendes Fell); Stufe 2 beinhaltet Eingriffe, die durch konventionelle Züchtung ungewollt selektierte Eigenschaften eliminieren, die das tierliche Wohlbefinden beeinträchtigen (z.B. verstärkte Mastitisdisposition bei Hochleistungsrindern). Eingriffe, die der Stufe 3 zuzuordnen sind, reduzieren wesentliche artspezifische Eigenschaften, Fähigkeiten oder Bedürfnisse der betroffenen Tiere (z.B. Eliminierung des Sehvermögens, des Nisttriebs oder der Fähigkeit zur Schmerzempfindung). Stufe 4 schließlich umfasst Maßnahmen, welche die tierliche Aktivität auf die Aufrechterhaltung der erwünschten physischen Prozesse (z.B. Eierproduktion, Muskelwachstum) reduziert. Als Ausgangspunkt wählt Schmidt das spektakuläre Beispiel blinder Hühnermutanten, die in den USA als Legehennen weitergezüchtet wurden. Geht man davon aus, dass ein blind geborenes Tier keine Minderung seines subjektiven Wohlbefindens wahrnimmt, so wäre dieser Praxis aus einer ausschließlich pathozentrischen Perspektive kaum etwas entgegenzuhalten. Werden durch den Sehsinn (mit-)gesteuerte Verhaltensstörungen wie Federpicken und Kannibalismus in einer Herde blinder Hühner reduziert, so könnte das fehlende Sehvermögen als Maßnahme zur Stressreduktion sogar aus Tierschutzgründen Befürworter finden, was – wie die Autorin zeigt – selbst unter Tierethikern (z.B. Ryder und Rollin) auch tatsächlich der Fall ist. Dennoch würde diese Praxis von vielen Menschen intuitiv abgelehnt. Da die moralische Intuition aber als äußerst fragwürdiges Kriterium moralischer Entscheidungen gilt, macht sich die Autorin auf die Suche nach tragfähigen Kriterien, die geeignet sind, ethisch vertretbare Eingriffe am tierlichen Erbgut von ethisch unvertretbaren Maßnahmen abzugrenzen. Ein weiteres Problem, das in Schmidts Untersuchung breiten Raum einnimmt, ist das Phänomen der sog. AMLs („animal microencephalic lumps“, „Tierklumpen“), die durch gentechnische Eingriffe auf ihre Produktionsfunktion beschränkt wurden und als empfindungslose Entitäten („vegetable animals“, „vegemals“) nicht mehr den moral patients zuzurechnen wären. Ganz abgesehen davon, dass die Entwicklung solcher (vermeintlich?) empfindungsloser Entitäten mit Schmerzen und Leiden für Eltern- und Vorgängergenerationen verbunden ist, gilt es in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass auch das bloße „InExistenz-Bringen“ eine Schädigung bedeuten kann, wenn das hervorgebrachte Leben nicht lebenswert ist (vgl. dazu auch die kritische Beurteilung von Genetically modified insentient animals durch A. Ferrari in ALTEX 4/2006). 50 031-071-AltexLiteraturb.indd 50 Nach einer Überprüfung der bislang vorgeschlagenen Ansätze zur Lösung des „blind hen problems“ kommt Schmidt zum Ergebnis, dass weder die Anerkennung eines normativen Eigenwertes von Tieren (Würde, Integrität, Telos) noch ein Wohlergehensansatz für sich allein genommen das Dilemma auf plausible Weise lösen können. Während die Autorin das Konzept der Würde als missverständliche Bezeichnung eines bestimmten Typs von Eigenwert (213) zu Recht skeptisch betrachtet und zuletzt als untaugliche Kategorie verwirft, arbeitet sie in überzeugender Weise das Potential des Integritätskonzeptes heraus, das als Kriterium zur Operationalisierung eines bereits vorausgesetzten tierlichen Eigenwertes durchaus fruchtbar angewendet werden kann: „Wenn wir einen Ansatz vertreten, bei dem Lebewesen mit eigenem Wohlergehen einen normativen Eigenwert besitzen, dann muss Integrität als Grundlage bzw. unabdingbare Voraussetzung für dieses Wohlergehen ein entscheidendes normatives Kriterium für uns sein. Sie ist deshalb ein so zentrales Kriterium, weil die Integrität des Organismus […] ein entscheidendes – vielleicht das entscheidende – Merkmal des Lebendigen ist.“ (183). Wenngleich sich Schmidt keine abschließende moralische Beurteilung der in der Arbeit aufgeworfenen Fragen anmaßt (vgl.16), schlägt sie am Ende ihrer umfangreichen Analyse einen durchaus plausiblen Ansatz vor, der darin besteht, das „blind hen problem“ durch eine Kombination des Integritätskonzeptes und eines erweiterten Wohlergehensansatzes zu lösen. Danach ist die Reduktion wesentlicher tierlicher Eigenschaften unabhängig vom subjektiven Wohlempfinden des betroffenen Tieres ethisch relevant, denn „alle empfindungsfähigen Lebewesen besitzen neben dem subjektiven auch ein objektives Wohlergehen, das zentral für ihr Leben als Organismus ist“ (365). Zu diesen grundlegenden Aspekten zählen vor allem die tierliche Integrität und das objektive tierliche Wohl, das neben dem subjektiven Wohlempfinden wesentlicher Bestandteil eines Wohlergehens im umfassenden Sinn ist: „Tierliches Wohlergehen und tierliche Integrität können nicht getrennt voneinander betrachtet werden, sondern verweisen wechselseitig aufeinander.“ (365). Auch dann, wenn eine gentechnische Veränderung offenkundig nicht zu Schmerzen oder Leiden führt, stellt sie doch immer eine Verletzung der tierlichen Integrität und des Wohlergehens in einem umfassenden Sinn dar, die moralisch berücksichtigt werden muss. Die vorliegende Arbeit besticht nicht nur durch die genaue Analyse der verwendeten Begriffe und die akribische Aufarbeitung auch selten rezipierter tierethischer Ansätze, sondern auch durch die systematische Darstellung komplexer moralischer Fragestellungen und die Erarbeitung eines integrativen und einfach operationalisierbaren Lösungsansatzes. Nur durch eine Kombination pathozentrischer und anthropozentrischer Tierschutzaspekte, durch Einbeziehung subjektiver und objektiver Kriterien, durch einen Wechsel zwischen Innen- und Außenperspektive und durch die Einbeziehung konsequentialistischer und deontologischer Argumente kann eine differenzierte, plausible und tragfähige Beurteilung komplexer moralischer Fragestellungen gelingen. Im Tierschutzrecht ist die Lösung der von Kirsten Schmidt behandelten Problematik allerdings längst vorgegeben: Obwohl das Ziel der Tierschutzgesetzgebung vor allem in der Vermeidung bzw. Minimierung ungerechtfertigter Schmerzen und Altexethik 2009 13.12.2009 15:45:23 Uhr Literaturbericht Leiden besteht und das moderne Tierschutzrecht daher grundsätzlich dem pathozentrischen Tierschutzkonzept verpflichtet ist, weist der häufig vernachlässigte Begriff des „Schadens“ über den pathozentrischen Bezugsrahmen hinaus, indem aus der Außenperspektive zu beurteilen ist, ob sich der (physische oder psychische) Zustand eines Tieres durch eine menschliche Einwirkung zum Schlechteren verändert hat (vgl. Binder und v. Fircks, 45). Bereits das Tierschutzrecht stellt damit klar, dass das ausschließliche Abstellen auf die subjektive tierliche Befindlichkeit nicht ausreicht, um den Schutz der Tiere zu gewährleisten. Sandøes und Holtungs kategorische Feststellung “[…] welfare is all that matters in our moral obligations to animals“ (319) bleibt damit deutlich hinter den tierschutzrechtlichen Anforderungen zurück. Erst durch den tierschutzrechtlichen Schadensbegriff und das dadurch vorgegebene Korrektiv der Außenperspektive gelingt es, Integritätsverletzungen, die nicht mit einer Beeinträchtigung des Wohlbefindens einhergehen, als tierschutzrelevant und damit als rechtfertigungsbedürftig zu identifizieren. Bei der Abgrenzung gerechtfertigter von ungerechtfertigten Schäden könnte indes die von Kirsten Schmidt vorgeschlagene Skala wertvolle Hilfe leisten. Es bleibt daher zu hoffen, dass Gesetzgeber und Vollzugsbehörden sich im Rahmen der Weiterentwicklung bzw. Anwendung der einschlägigen Rechtsvorschriften mit den ethischen Grundlagen der Entscheidungsfindung auseinandersetzen. Die Arbeit von Kirsten Schmidt sei ihnen dabei sehr ans Herz gelegt. Regina Binder Literatur Binder, R. (2005). Ethische Konzepte und Wertungswidersprüche im (österreichischen) Tierschutzrecht). DVG (Hrsg.), Tagung der Fachgruppen „Tierschutzrecht“ und „Tierzucht, Erbpathologie und Haustiergenetik“, Nürtingen, 24.-25. 2. 2005 (10-20). Binder, R. und v. Fircks, W.-D. (2008). Das österreichische Tierschutzrecht. 2. Aufl. Wien: Manz. Ferrari, A. (2006). Genetically modified Laboratory Animals in the Name of the 3Rs? ALTEX 23, 4/06, 294-307. 2.14 Gary Steiner: Animals and the Moral Community: Mental Life, Moral Status, and Kinship 232 Seiten, New York: Columbia University Press, 2008, Euro 29,99 In seinem Buch “Animals and the moral community” setzt sich Gary Steiner – John Howard Harris Philosophieprofessor an der nordamerikanischen Bucknell Universität – mit dem Zusammenhang zwischen Theorien über den mentalen und moralischen Status von Tieren auseinander. Bereits in seinem Buch „Anthropocentrism and its Discontents: The moral Status of aniAltexethik 2009 031-071-AltexLiteraturb.indd 51 mals in the History of Western Philosophy“ (2005) behandelte Steiner diese Frage aus geschichtsphilosophischer Perspektive. Damit knüpft er an eine der aktuellsten Diskussionen im Bereich der Tierethik an: die Diskussion über die ethische Relevanz der kognitiven Fähigkeiten von Tieren. Die Popularität dieser Fragestellung zeigt sich u.a. anhand anderer Publikationen, die im aktuellen ALTEXethik Literaturbericht rezensiert werden (siehe insbesondere das Buch von Francione, das Steiner übrigens in seiner Danksagung nennt). Steiners Buch besteht aus sechs Kapiteln: Die ersten drei sind einer Kritik der verbreiteten Theorie über den Geist der Tiere und zugleich der Etablierung einer neuen Interpretation einer solchen Theorie gewidmet. In den drei folgenden Kapiteln diskutiert er die praktischen Probleme einer Theorie, die den moralischen Status auf den mentalen Status aufbaut, lehnt diese ab und skizziert einen „kosmischen Holismus“ als Perspektive für die Gewährleistung eines angemessenen Tierschutzes. Im ersten Kapitel setzt sich Steiner mit der wichtigsten zeitgenössischen Theorie der Philosophie des Geistes auseinander. Vertreter dieser Theorie (wie bspw. McDowell, Davidson, Dennett und Malcom) verweisen auf einen Unterschied in der Komplexität der kognitiven Fähigkeiten von Tieren und Menschen; sie leugnen zugleich, dass Tiere zur Intentionalität oder konzeptuellen Abstraktion fähig sind. Dabei erinnert uns Steiner, dass die eigentliche Herausforderung darin besteht, das triviale cartesianische Vorurteil, d.h. die Gleichsetzung der Tiere mit Maschinen, gegenüber der Intelligenz von Tieren beizubehalten, ohne ihnen ein höheres Niveau an Intelligenz zuzuschreiben, als sie eigentlich zeigen (25). Die zeitgenössische ethologische Diskussion hat sich für die Überwindung des behavioristischen Ansatzes ausgesprochen, indem sie sich zu einer kognitiven Ethologie gewandelt hat. Der behavioristische Ansatz besagt, dass man keine definitive Antwort zur Frage des mentalen Lebens von Tieren geben kann, und dass deshalb die Beobachtung von Verhalten der angemessene Weg sei. Eine solche Überlegung setzt die Überzeugung voraus, dass es tatsächlich möglich ist, die Komplexität des mentalen tierischen Lebens mit wissenschaftlichen Instrumenten (vor allem durch Analogie) zu erforschen. Andere Autoren haben in der Tat viele gute Gründe genannt, um eine solche Möglichkeit erkenntnistheoretisch zu verteidigen: Donald Griffin, einer der Gründer der kognitiven Ethologie, hat erklärt, dass Tiere aufgrund ihrer physiologischen Ähnlichkeit und ihrer evolutionären Kontinuität mit den Menschen denken können; Ruth Millikan hat zwischen Repräsentationen, wie Präpositionen oder Gedanken, und allgemeiner Intentionalität unterschieden. Damit klassifiziert sie unterschiedliches Tierverhalten (siehe Kapitel 2). Für Steiner stellt das Alltagswissen in der Wahrnehmung tierischen Verhaltens die implizite Basis dieser Theorie dar, auf die dann viele Autoren wie Searle und Nussbaum immer wieder zurückgreifen (42). Im dritten Kapitel skizziert Steiner seine eigene Theorie. Diese zielt darauf ab, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen zwei Auffassungen herzustellen: Einerseits zwischen der „intellektuellen“ Auffassung tierischer Fähigkeiten, die Tieren begriffliche Abstraktion und propositionale Einstellungen zuschreibt, und andererseits der „informationalen-prozessualen“ Auffassung, die zur Erklärung dieser Fähigkeiten jeglichen Bezug auf 51 13.12.2009 15:45:24 Uhr Literaturbericht Selbstbewusstsein oder Intentionalität von Tieren ablehnt. Indem er auch in der ontologischen Bezeichnung der Trennlinie zwischen Menschen und Tieren immer das wichtige Ziel der Überwindung von Anthropozentrismus vor Augen hat, erklärt er, dass Tiere nur Wahrnehmungsrepräsentationen (perceptual representations) haben können, die zu bestimmten Zielen durch komplexe Zusammenhänge und nicht durch begriffliche Assoziation verbunden sind. Dadurch gründet Steiner seine Auffassung auf die Theorie Humes über Assoziation, indem zwischen Vorstellungen und Tatsachenurteilen unterschieden wird: Tiere können nur Tatsachenurteile bilden (79ff). Dies ermöglicht Steiner zu erklären, warum Tiere nur in Anwesenheit von konkreten Stimuli über „entfernte Ereignisse“ und nicht über ihre eigene Wahrnehmungsrepräsentationen denken können. Im vierten Kapitel bezeichnet er die Fähigkeit, Wahrnehmungserfahrung zu haben, als hinreichende aber nicht notwendige Bedingung für die Anerkennung des moralischen Status (in einer Fußnote erklärt er die Absicht, sein nächstes Buch dem Thema des moralischen Status der nicht leidensfähigen Natur zu widmen). In Bezug auch auf die von Francione schon entwickelten Argumente der Kritik gegen den „similar-minds“Ansatz lehnt Steiner explizit jeden Versuch ab, die moralische Relevanz der Tiere durch den Rekurs auf ihre mentalen Fähigkeiten zu gründen und setzt sich kritisch mit den wichtigsten Positionen der liberalen Tradition (wie z.B. Locke, Kant und Regan) auseinander. Im Unterschied aber zu Francione begründet er diese Theorie nicht so sehr in einer Rechtstheorie, sondern er ist davon überzeugt, dass Tierrecht eine holistische Kosmologie als Hintergrund benötigt. Der Fehler der liberalen Ansätze besteht Steiner zufolge in ihrem Versuch, den moralischen Status von Tieren im Hinblick auf eine Kategorie auszuweiten, die eigentlich nur der menschlichen Sphäre angehört: auf soziale Gerechtigkeit (105). Dagegen entwickelt Steiner im fünften Kapitel einen Ansatz um den Begriff von kosmischer Gerechtigkeit, indem die fundamentale Abhängigkeit aller Lebewesen im Mittelpunkt steht, stark zu machen. Kosmische Gerechtigkeit erfordert eine komplette Veränderung unseres Verhältnisses zur Natur durch die Anerkennung der natürlichen Kontinuität und Verwandtschaft der Lebewesen. Im letzten Kapitel setzt er sich mit der liberalen Kritik zum Holismus auseinander, die er als faschistisch und diskriminierend gegenüber den Rechten der Einzelnen kritisiert: Francione bezieht sich einerseits auf Schopenhauer, der die Kontinuität zwischen Menschen und Tieren in ihrer Erfahrung von Leiden betont. Nach Schopenhauer partizipieren sowohl Menschen als auch Tiere am Willen zum Leben. Zugleich bezieht sich Francione auch auf die Dialektik von Hegel, in der das Individuum mit seinem Eintritt in die Rechtsgemeinschaft alle Oppositionen und Interessenkonflikte zwischen sich und der Gemeinschaft aufhebt. Mit diesen beiden Ansätzen sieht er die Möglichkeit einer Gemeinschaft der Gleichwertigen unabhängig von der Spezieszugehörigkeit. Kosmische Gerechtigkeit erfordere die Ablehnung der Gewalt gegenüber Tieren (wie sie sich durch eine vegane Lebensweise ausdrückt), sowie soziale Gerechtigkeit es in Bezug auf Menschen tut (163). Der erste Teil des Buches bietet eine präzise Zusammenfassung der wichtigsten Fragen über den tierischen Geist in der ak52 031-071-AltexLiteraturb.indd 52 tuellen Debatte, sowie interessante Anregungen über die Grenzen kognitiver Ethologie. Seine eigene Theorie über tierische Kognition, die selbstverständlich viel reicher als meine knappe Beschreibung ist, liefert gleichzeitig eine interessante Interpretation von Verdiensten und Grenzen der Erkenntnistheorie von Hume und regt eine weitere Diskussion an. Insbesondere lässt dieses Buch uns mit der Frage zurück, inwieweit tatsächlich die ethologischen Studien zu kognitiven Fähigkeiten von Tieren für den politischen Tierschutz relevant sind. Der zweite Teil des Buches enthält eine interessante Auseinandersetzung mit der liberalen Tradition sowie eine präzise Begründung seiner Position. Steiner setzt sich eher mit der theoretischen Herausforderung seiner Position auseinander und thematisiert weniger ausführlich die praktischen Konsequenzen eines kosmischen Holismus (außer der Verteidigung von Veganismus), was man sich als Leser aber auch wünschen würde. Arianna Ferrari 3 Ethik interdisziplinär 3.1 Frans de Waal: Primaten und Philosophen. Wie die Evolution die Moral hervorbrachte 220 Seiten, München: Hanser, 2008, Euro 19,90 Zu erfahren, dass der Mensch seine Existenz nicht einem besonderen Schöpfungsakt verdankt, sondern vom Affen abstammt, war nach Sigmund Freud eine der großen Kränkungen, die die Menschheit hinnehmen musste. Nun soll auch noch unsere Moral von den ungeliebten Vorfahren herrühren; eine Behauptung, die seit geraumer Zeit nicht nur ins Feuilleton, sondern auch in die seriöse wissenschaftliche Literatur Eingang gefunden hat. Dort, wo Charles Darwin aufhörte, beginnt der Primatenforscher Frans de Waal. Letzterer will zeigen, dass die Moral ein Evolutionsprodukt ist und sich nicht erst seit der Existenz der menschlichen Spezies nachweisen lässt. Dies belegt er durch eindrucksvolle Tierbeobachtungen. Er berichtet von einem erwachsenen Schimpansen, der ein Kleinkind vor dem Ertrinken retten wollte, obwohl Schimpansen nicht schwimmen können. Ein anderer tröstet einen Artgenossen, der gerade im Kampf unterlegen war; ein weiterer beobachtet, wie seine Tante vergeblich versucht, Reifen wegzuräumen und interpretiert offenbar, dass sie an das Wasser im unteren Reifen kommen will. Er räumt sie alle weg und schafft den Reifen mit dem Wasser zu ihr. Ein anderer wiederum bringt einen verletzten Vogel in den oberen Bereich des Geheges und hilft ihm beim Wegfliegen. So reihen sich Beispiele an Beispiele in den hier vorliegenden „Tanner-Lectures“ de Waals an der amerikanischen Princeton University im Jahre 2003/2004. Altexethik 2009 13.12.2009 15:45:24 Uhr Literaturbericht Bekannte Philosophen wie Peter Singer und Philip Kitcher bekamen in den ebenfalls abgedruckten Beiträgen Gelegenheit, sich mit de Waals Ausführungen auseinander zu setzen. Die bedeutendste unter denen, die de Waals kommentieren, ist Christine M. Korsgaard. Auf ihre scharfsinnigen Einwände muss eingegangen werden. Sie arbeitet die Unterschiede von Tieren und Menschen in moralischer Hinsicht heraus. Menschen hätten im Gegensatz zu Tieren die Fähigkeit zur normativen Selbstbestimmung, zur Autonomie. Erst auf dieser Ebene trete die Moral hervor, die nicht allein unseren Intentionen zu verdanken sei, sondern Korsgaard bestimmt sie als „Funktion der Ausübung unserer Selbstbestimmung“. Dies schlage sie als Antwort auf de Waals Frage vor, was denn an unserem Verhalten anders sei als an dem der nichtmenschlichen Spezies und uns damit zu moralischen Wesen mache. Die Autonomie sei zugleich die Quelle unserer Fähigkeit zum Bösen wie zum Guten. Tiere hingegen könnten nicht für ihre Handlungen verantwortlich gemacht und verurteilt werden, wenn sie ihren stärksten Impulsen und ihren Instinkten folgten. Tiere seien nicht niederträchtig, sondern stünden jenseits des moralischen Urteils. De Waal erhielt Gelegenheit, auf alle Einwände und Kritiken zu antworten. Seine Replik ist eine grundlegende Darstellung seiner Moralauffassung, die das Lesenswerteste an dem ganzen Buch ist, sieht man einmal von Korsgaards Beitrag ab. In diesem Teil führt er aus, dass seine Theorie eine Kontinuitätstheorie ist: Moral entwickle sich von der einfachen Form bei Tieren zur höheren bei Menschen. Die Moral habe drei Ebenen: 1. Die moralischen Gefühle, 2. die soziale Sanktionierung beim Regelverstoß, 3. Beurteilung und Überlegung. Er gehe davon aus, dass die ersten 1½ Ebenen bei Primaten bereits vorlägen. Moralische Gefühle seien etwa die Fähigkeit zur Empathie, die Neigung zur Reziprozität, Sinn für Fairness und Harmonie. Weiterhin: Moralische Sanktionen sind in Primatenkolonien bereits zu beobachten. Mit der dritten Ebene widerspricht er Korsgaard nicht, sondern stimmt ihr zu, dass diese der menschlichen Spezies vorbehalten ist. Korsgaard würde widersprechen, dass wir schon die erste moralische Ebene mit den Primaten teilten. Hier kritisiert sie die Untersuchungsmethode de Waals, die sich lediglich in Beobachtung erschöpfe: Ein Kapuzineraffe wies die ihm angebotene Gurke zurück, wenn seine Partnerin eine Weintraube angeboten bekam. Protestiert er nun gegen die Ungerechtigkeit, wie de Waal interpretiert oder spekuliert er einfach auf die Traube, fragt Korsgaard. Teilen Schimpansen die Nahrung mit denen, die sie gegroomt haben, aus Dankbarkeit oder weil sie durch das Groomen entspannt sind? Das sind offene Fragen, die in dem Buch aufgeworfen werden und uns, die Wissenschaft und das Feuilleton noch länger beschäftigen werden. Das Buch ist deshalb lesenswert, weil es das Pro und Contra in dieser Debatte gut präsentiert. Detlef Horster Altexethik 2009 031-071-AltexLiteraturb.indd 53 3.2 Marc Bekoff: Das Gefühlsleben der Tiere. Ein führender Wissenschaftler untersucht Freude, Kummer und Empathie bei Tieren 234 Seiten, Bernau: animal learn Verlag, 2008, Euro 20,00 Bekoff unterstützt die These von der Existenz vielfältiger Emotionen bei nicht-menschlichen Tieren. Er gliedert sein Buch in sechs Kapitel, wovon sich das erste mit Argumenten für die Gefühle der Tiere und deren Bedeutung beschäftigt. An das zweite Kapitel (Kognitive Ethologie und das Studium des Verstandes und der Herzen von Tieren) schließt sich Kapitel drei (Tierische Leidenschaften: Was Tiere fühlen) und schließlich ein viertes Kapitel zu Gerechtigkeit, Empathie und Fairplay bei Tieren an. Bekoff schließt mit zwei Kapiteln, in denen er auf Antworten für Skeptiker und auf Ethische Entscheidungen eingeht. Damit steht die Frage, was wir mit unserem Wissen über die Gefühle von Tieren tun, am Ende seines Buches. Wer als Laie das Buch zur Hand nimmt (und womöglich auch noch den Umgang mit Tieren gewöhnt ist), wird sicherlich viele eigene Erlebnisse bestätigt sehen. Nähert man sich aber als Wissenschaftler und Experte diesem Buch, dann muss man sich eventuell an die Herangehensweise des Autors erst gewöhnen – kann aber einiges lernen, was in der sonst trockenen Fachliteratur verloren geht. Ethische Fragen zu stellen, so Bekoff, läge beispielsweise „in der besten Tradition der Wissenschaft“ und an mitfühlender Wissenschaft und mitfühlenden Wissenschaftlern wäre nichts Falsches (44f.). Dass man lange keine Emotionen bei Tieren gefunden habe, läge daran, dass man Gefühle nicht unter einem Mikroskop sehen könne. In Wirklichkeit sei der Versuch, gegen ihre Existenz zu argumentieren, „schlechte Biologie“. Die Forschung der Evolutionsbiologie, Kognitiven Ethologie und Sozialen Neurowissenschaften unterstützte die Ansicht, dass „sich bei zahlreichen Spezies [Emotionen] als Adaptionen entwickelt [haben]. Sie dienen als sozialer Kitt, der Tiere miteinander verbindet. Zusätzlich stabilisieren und regulieren Gefühle eine Vielzahl sozialer Begegnungen […] und sie erlauben es Tieren sich angepasst und flexibel selbst zu schützen.“ (14) Selbstverständlich bestehen hinsichtlich von Emotionen Unterschiede zwischen den Arten, die etwa in den unterschiedlichen Gehirngrößen begründet liegen. Es gäbe allerdings keinen Nachweis dafür, dass diese Differenzen bedeuten, dass Tiere mit einer geringeren Gehirnmasse im Vergleich zur Körpermasse kein reiches Gefühlsleben hätten: „Statt anzunehmen, dass Fische weniger fühlen als Mäuse und Mäuse weniger fühlen als Schimpansen oder dass Ratten nicht so emotional sind wie Hunde oder Wölfe oder, ganz allgemein, dass Tiere weniger fühlen (und weniger wissen und weniger leiden) als Menschen, lassen Sie uns annehmen, dass zahlreiche Tiere vielfältige Emotionen haben und alle Formen von Leid empfinden, möglicherweise sogar in einem größeren Ausmaß als der Mensch.“ (43) Bekoffs vielfältige Beispiele und Forschungsergebnisse erzählen auf den folgenden Seiten etwa von trauernden Elstern, die am Straßenrand angesichts einer tot gefahrenen Artgenossin 53 13.12.2009 15:45:24 Uhr Literaturbericht ein ähnliches Verhalten zeigten, wie wir es von Elefanten kennen (21). Neben den vielen Tierbeispielen führt Bekoff außerdem in die (nicht-invasiven) Methoden der Ethologie ein, betont den Wert der Freilandforschung und trifft wichtige Unterscheidungen, beispielsweise die zwischen Primär- und Sekundäremotionen (27f.). Bei letzteren handele es sich um komplexere Emotionen, die höhere Gehirnzentren in der Großhirnrinde mit einbeziehen. Das Individuum denkt über sie nach und entscheidet, wie es mit ihnen umgehen soll, es gewinnt dadurch Flexibilität in der Reaktion auf sich ändernde Situationen und stellt eine Verbindung zwischen Gefühlen und Handlungen her (28f.). Hier kann der Leser bereits ahnen, dass es Bekoff im Folgenden sicherlich auch um Sekundäremotionen bei Tieren gehen wird. Komplexeren Gefühlen wendet sich der Autor spätestens in seinem Kapitel über Sinn für Humor und Ehrfurcht bei Tieren, etwa in der Mitte des Buches, zu. Er kommentiert Beispiele wie den Wasserfall- und Regentanz von Schimpansen oder beschäftigt sich etwa mit Trauer bei Tieren als dem „Preis für enge soziale Bindungen“ (87). Bereits vor dem vierten Kapitel hat der Autor also Beispiele und Argumente für Emotionen angeführt, die über Primäremotionen hinausgehen. Nun wendet er sich Gerechtigkeit, Empathie und Fairplay zu. Hierbei handelt es sich um eines von Bekoffs Spezialgebieten. Besonders im Zusammenhang mit dem Spielverhalten von Hunden, Koyoten und Wölfen hat er sich selbst intensiv mit diesen Phänomenen beschäftigt. Er stellt die Frage in den Mittelpunkt, ob Tiere Moralfähigkeit besitzen, in dem Sinne, dass sie nach Absprachen handeln. Bekoff geht ausführlich auf die Charakteristika und die Funktionen des Spiels ein (hier, wie auch an einigen anderen Stellen, hatten die Übersetzer wohl Mühe, angemessene deutsche Formulierungen zu finden und hätten vielleicht besser die englischen Begriffe beibehalten) und stellt etwa Rollentausch, Selbstbehinderung und Spielsignale wie die Vorderkörpertiefstellung bzw. Spielverbeugung dar. Außerdem weist er im Laufe des Kapitels sein Verständnis von Moral als pro-sozialem Verhalten klar aus. Das Spiel der Tiere, so meint er, folge der goldenen Regel ("Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu"), was Empathie und gegenseitigen Austausch erfordere (111). „Die zur Fortsetzung eines Spiels nötige Ebenbürtigkeit und Fairness unterscheidet es von anderen Formen des kooperativen Verhaltens (wie Jagen und Versorgen). Spiel ist vielleicht der einzige Gleichmacher. Wenn wir Gerechtigkeit und Moral als soziale Regeln und Erwartungen definieren, die Unterschiede zwischen Individuen ausgleichen, um die Harmonie in der Gruppe zu gewährleisten, dann beobachten wir genau das, wenn Tiere miteinander spielen.“ (114). Wichtig ist Bekoff, dass es sich bei dem bisher beschriebenen um moralische Werte handelt. Ethische Werte werden im Gegensatz dazu erst im moralphilosophischen Nachsinnen darüber, „warum das Gute gut ist“ gewonnen. Sie seien „ein ausgesprochen menschliches Phänomen“ (112f.). Immer mehr Biologen, Neurowissenschaftler, Philosophen und Ethologen würden – entgegen dem traditionellen „Exklusivrecht“ des Menschen auf Moral – anfangen zu denken, dass „Moral eine allgemein anwendbare Strategie ist, die sich bei vielen Spezies entwickelt hat. Ich behaupte nicht, dass tierisches 54 031-071-AltexLiteraturb.indd 54 Moralverhalten dasselbe ist wie menschliches. Mein Ansatz ist eher der, dass das Phänomen, das man als ‚Moral’ bezeichnet, für das Sozialleben eine weit reichende biologische Notwendigkeit darstellt. Wie Gefühle ein Geschenk unserer Vorfahren sind, so sind es auch die grundlegenden Bestandteile der Moral: nämlich Kooperation, Empathie, Fairness, Gerechtigkeit und Vertrauen“ (111). Ab Kapitel 5 nimmt das Buch noch einmal eine Wende. Bekoff spricht nun verstärkt über ethische und wissenschaftstheoretische Fragen. Wertfreie Forschung, so meint er, gäbe es nicht. Die ethische Einstellung jedes Wissenschaftlers beeinflusse, wie er Studien durchführe, Daten erkläre und diese interpretiere (137). Damit stellen sich zentrale Fragen: Haben Persönlichkeit, Intuitionen und Gefühle eines Forschers jemals einen Platz in der Wissenschaft? „Wann wird aus subjektivem Wissen objektive Wahrheit“ und „wie viel Forschung und welche Art von Forschung ist notwendig, um etwas zu beweisen? […] Kann es in der Wissenschaft einen Ort für Subjektivität geben, die der ‚objektiven Wahrheit’ nicht schadet?“ Bekoff meint, die persönlichen Wahrheiten seien zulässig: „wenn sie anerkannt und ausgewiesen werden, sind sie der Objektivität nicht abträglich“ (137f.). Skeptiker, die bisweilen die Unwissenschaftlichkeit von Anekdoten oder die Vermenschlichung von Tieren (Anthropomorphismus) kritisieren, fragt Bekoff: Woher kommt es, dass Astronomen „glühend und poetisch über den Nachthimmel und ihre Liebe zu den Sternen“ sprechen und sich dadurch anderen mitteilen können, ohne Angst haben zu müssen, dass ihre Gefühle dazu führen könnten, „dass irgendjemand die Zuverlässigkeit ihrer Daten in Zweifel zieht“? Bis jetzt seien Ethologen nicht in den Genuss des Zugeständnisses gekommen, dass sie zugleich leidenschaftlich und peinlich genau sein könnten (146). Wenn man versuche, herauszufinden, was im Kopf eines Hundes vorgeht, müsse man anthropomorphisch sein, sich aber um die Perspektive des Hundes bemühen. Über Tiere als einen Haufen von Hormonen, Neuronen und Muskeln zu sprechen, ohne jeden Zusammenhang mit dem was sie tun und warum sie es tun herzustellen, könne nicht der angemessenere Weg sein (149). Bekoff geht sogar so weit zu sagen: „Wenn wir nicht vermenschlichen, gehen uns wichtige Informationen verloren“ (150). Die Herausforderung, das Verhalten einer Spezies zu verstehen, liege nun einmal auch darin, dass sie aus einem bestimmten Grund wirken wie wir. „Das bedeutet nicht, menschliche Werte zu projizieren. Es heißt, die Merkmale, die wir mit ihnen gemein haben, zu ̔primatisieren̓. […] wir stellen Gemeinsamkeiten fest und verwenden die menschliche Sprache, um mitzuteilen was wir beobachten.“ (151) Entscheidend sei, mit dem Anthropomorphismus „bewusst, mitfühlend und biozentrisch“ umzugehen und immer „den Standpunkt der Tiere zu bewahren“ (151). Obwohl Anekdoten und Geschichten nicht reproduzierbar und durch persönliche Beteiligung und eigene Einsichten geprägt sind, plädiert Bekoff auch hier dafür, dass sie unerlässlich sind. Ihr Wert liege darin, dass ihre systematische Analyse wiederum zu Daten führen könne, die ihrerseits reproduzierbar sind, indem Experimente durchgeführt werden, die die Altexethik 2009 13.12.2009 15:45:25 Uhr Literaturbericht Situation nachstellen. Außerdem gelte gerade im Bereich der Emotionen, dass diese nicht in einem Vakuum entstünden, sondern aus einem Kontext heraus: „Sie werden durch Ereignisse verursacht, denen Konsequenzen folgen. Sie richtig zu beschreiben bedeutet, eine Geschichte zu erzählen […] wenn wir immer mehr solche Geschichten sammeln, schaffen wir eine solide Verhaltens-Datenbank.“ (147) Bekoff kommt zu dem Ergebnis, dass wir inzwischen über das Gefühlsleben von Tieren genug wissen würden, um Änderungen in der Art und Weise, wie wir Tiere behandeln, herbeizuführen (159). Abschließend führt er deshalb verschiedene Bereiche vor Augen, in denen wir Tiere verwenden und ausnutzen: im Labor (wo er bemängelt, dass sich weder die 3-R-Prinzipien noch Mindeststandards an Haltungsbedingungen durchgesetzt haben), auf Farmen (wo gemessen an der Anzahl die meisten Tiere leiden, obwohl uns der Abschied von der Fleischwirtschaft als vegetarische Lösung zur Verfügung steht) und in Zoos (deren Artenschutz und Bildungsauftrag den Autor nicht überzeugen). Auch in freier Wildbahn sind wir aufgefordert, Tiere in ihren letzten verbleibenden Lebensräumen zu schützen (190f). Inhaltlich spricht Bekoff viele interessante Punkte an und vertieft diejenigen, die ihm wichtig sind, zu überzeugenden Argumenten. Gleich zu Beginn des Buches verwendet er allerdings die emotionale Verbundenheit zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Tieren einmal erstaunlich unkritisch innerhalb seiner Argumentation: in Tiergestützten Therapien zeigten Tiere ihre heilende Kraft für autistische und sozial zurückgezogene Menschen. Die heftige Kritik von Tierethikern und Verhaltensforschern gegen eine Verwendung von Wild- und Zootieren (besonders von Delphinen) innerhalb solcher Therapien bleibt leider unerwähnt. Für viele Experten ist der medizinische Erfolg dieser Therapien nicht erwiesen und eine artgerechte Haltung solcher Tiere in Gefangenschaft unmöglich. Ansonsten zeichnet sich sein Buch aber durch viele Besonderheiten aus: es besticht durch eine differenzierte Argumentation, die sich auf die kognitive Kontinuität und Anpassungsüberlegungen für Emotionen bei Tieren, inklusive komplexer Emotionen, stützt. Dabei wird immer Wert darauf gelegt, dass Ähnlichkeiten mit Emotionen beim Menschen bestehen, was zwar nicht bedeutet, dass diese Emotionen gleich sind, wohl aber gleichwertig, wenn es um ethische Überlegungen geht. Bekoffs Buch überzeugt durch eine Vielzahl interessanter Anekdoten und Forschungsergebnisse, durch die Zusammenführung komplexer ethologischer, ethischer und wissenschaftstheoretischer Fragestellungen und vor allem durch einen Autor, der mit Begeisterung und Ehrlichkeit Position bezieht. Seine Plädoyers für eine mitfühlende Forschung, die Überwindung des Widerspruchs zwischen objektiver Wissenschaft und subjektivem Wissen, die Anerkennung des Wertes von Anekdoten, die Naturalisierung selbst solch komplexer Phänomene wie der Moralfähigkeit und sein Einsatz für die Durchsetzung der 3-R-Prinzipien sowie der fünf Freiheiten des Tierschutzes sind in ihrer Direktheit und Klarheit sympathisch und bestechend. Judith Benz-Schwarzburg Altexethik 2009 031-071-AltexLiteraturb.indd 55 3.3 Europäische Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen (Hrsg.): E. Rehbinder, M. Engelhard, K. Hagen, R. B. Jørgenson, R. Pardo-Avellaneda, A. Schnieke und F. Thiele Pharming. Promises and risks of biopharmaceuticals derived from genetically modified plants and animals 343 Seiten, Berlin und Heidelberg: Springer, 2009, Euro 68,99 Neben dem Einsatz transgener Tiere in der biomedizinischen Forschung bzw. in der Grundlagenforschung und gentechnischen Eingriffen zur Optimierung der Leistungen von Nutztieren ist das Pharming(Gene-) oder Molecular Pharming der dritte Hauptanwendungsbereich für biotechnologische Eingriffe in das tierliche Genom. Die Technologie des Pharmings ermöglicht es, z.B. in Milch, Blut oder Urin transgener Tiere artfremde Proteine zu produzieren, die als Wirkstoffe in Arzneimitteln oder aber auch in der Lebensmittelherstellung verwendet werden können. Die von einem interdisziplinär zusammengesetzten Autorenteam verfasste Studie beleuchtet das Thema Pharming aus verschiedensten Perspektiven und ist die erste umfassende Auseinandersetzung mit diesem zunehmend an Bedeutung gewinnenden Produktionsverfahren. Neben den biologischen und technologischen Grundlagen und der öffentlichen Akzeptanz des Pharmings, der Risikobewertung, der ethischen Evaluierung und den rechtlichen Rahmenbedingungen werden auch mögliche Tierschutzprobleme eingehend erörtert. Das Wissen der Bevölkerung über Biologie, Genetik und Gentechnik im Allgemeinen und über Pharming im Besondern kann durchaus als mangelhaft bezeichnet werden. Die Einstellung zum Pharming beruht daher selten auf Faktenwissen, sondern wird vielfach von der individuellen Weltanschauung geprägt, sodass neben tiefem Misstrauen auch euphorischutopische Erwartungen anzutreffen sind. Dies erstaunt wenig, da das Thema Pharming in der öffentlichen Diskussion bzw. in der medialen Berichterstattung kaum präsent ist. Die Autoren fordern daher ganz zu Recht eine Umsetzung der „3Ds“ – dialogue, discussion, debate – zwischen Öffentlichkeit und scientific community; dabei wäre ergänzend darauf hinzuweisen, dass einem solchen Diskurs nur dann keine manipulative Absicht vorgeworfen werden kann, wenn nicht nur die erwarteten Vorteile, sondern auch die möglichen Risiken offen thematisiert und beründete Vorbehalte tatsächlich ernst genommen werden. In diesem Zusammenhang weisen die Autoren darauf hin, dass nicht zuletzt auch dem Gesetzgeber eine bedeutende Rolle im Prozess der öffentlichen Meinungsbildung zukommt: „[…] a transparent und unbiased regulatory framework could play a major role in avoiding mishaps and alienating the public.“ (153) Das Kapitel über die rechtlichen Rahmenbedingungen des Pharmings zeigt allerdings, dass Regulative, die diesen Anforderungen entsprechen, sowohl auf der Ebene der 55 13.12.2009 15:45:25 Uhr Literaturbericht Europäischen Union als auch in den Mitgliedstaaten bislang weitgehend fehlen. Die Rechtslage hinkt vielmehr der technologischen Entwicklung nach, ist in den meisten Staaten lückenhaft und unklar und vermittelt alles andere als ein Gefühl der Rechtssicherheit. Ein Beispiel für diese durchaus unbefriedigende Situation ist der Schutz der für Zwecke des Pharmings verwendeten transgenen Tiere: Lediglich die Herstellung eines neuen transgenen oder mutanten Stammes stellt – nach österreichischem und deutschem Recht – bis einschließlich der F2 einen genehmigungspflichtigen Tierversuch dar, obwohl in allen Folgegenerationen unvorhersehbare Schäden bzw. Spätfolgen auftreten können. In der Anwendungsphase unterliegen die für das Pharming verwendeten Tiere nicht mehr den tierversuchsrechtlichen, sondern – ebenso wie konventionell genutzte Tiere – den allgemeinen tierschutzrechtlichen Bestimmungen, obwohl diese keine besonderen Vorkehrungen für transgene Tiere bzw. für spezifische Probleme des Pharmings treffen. Anders als im Rahmen der biomedizinischen Forschung, die Krankheitsmodelle verwendet, werden für Zwecke des Pharmings grundsätzlich gesunde Tiere benötigt. Dennoch zeigt der vorliegende Band, dass diese Technologie mit einer Vielzahl von Tierschutzproblemen verbunden sein kann: Je nach angewandter Methode ist die Entwicklung eines transgenen Stammes mit verschiedenen invasiven Eingriffen (z.B. Entnahme von Eizellen, Embryonentransfer, Genotypisierung) bzw. Belastungen (wie Schwergeburtsneigung, Totgeburten, Missbildungen) verbunden. Ein besonderes Problem besteht in der „Produktion“ von Tieren, die nicht dem erwünschten genetischen Anforderungsprofil entsprechen und daher gleichsam als „Überschuss“ getötet werden. Wenn die dem Pathozentrismus verpflichteten Autoren in dieser Praxis kein „eigentliches Tierschutzproblem“ zu erkennen vermögen (vgl.115), so weist dies auf das Defizit dieses Tierschutzkonzepts hin (vgl. dazu auch die Rezension von K. Schmidts „Tierethische Probleme in der Gentechnik“ in diesem Heft). Im Zusammenhang mit dieser Problematik gilt es zu bedenken, dass sowohl das deutsche als auch das österreichische Tierschutzrecht nicht nur das Wohlbefinden, sondern auch das Leben der Tiere als geschütztes Rechtsgut anerkennen und der Tierschutz als bedeutsames öffentliches Interesse gilt. Aus dieser (anthropozentrischen) Tierschutzperspektive stellt die Tötung von Tieren einen Kostenfaktor dar, der im Rahmen der ethischen Beurteilung des Pharmings zu berücksichtigen ist (so auch APC 2003, 47). In der Produktionsphase ist an Tierschutzprobleme im Zusammenhang mit Haltung und Management zu denken; zwar treten haltungsbedingte Tierschutzprobleme auch in konventioneller landwirtschaftlicher Haltung auf, doch kann die Unterbringung von Nutzieren in pharmazeutischen Einrichtungen mit spezifischen Einschränkungen verbunden sein. Und schließlich ist daran zu denken, dass auch die Gewinnung der produzierten Proteine mit belastenden Eingriffen (z.B. Blutabnahmen) verbunden sein kann. Mit noch komplexeren Unsicherheitsfaktoren ist die Risikofolgenabschätzung für die Umwelt verbunden. Was die ethische Evaluierung des Pharmings betrifft, äußern sich die Autoren daher vorsichtig bis kritisch. Während z.T. behauptet wird, 56 031-071-AltexLiteraturb.indd 56 dass biotechnologische Verfahren im Vergleich zur konventionellen Tierzucht keine neuen Tierschutzprobleme schaffen würden (vgl. Gjerris, Olsson und Sandøe, 2006, 99), stellen die Autoren des vorliegenden Bandes fest: „[…] [the] claim […] that using animals for food production is indeed morally similar to using them for farming purposes […] is wrong. At least with respect to certain ecological risks and certain welfare concerns, animal and plant pharming are in a morally relevant way dissimilar to conventional means of using animals and plants for human purposes.” (195) Daraus folgt naturgemäß nicht, dass das Pharming unter ethischen Gesichtspunkten in Bausch und Bogen abzulehnen wäre, doch ist den Autoren beizupflichten, wenn sie die ethische Vertretbarkeit des Pharmings von der Durchführung einer gewissenhaften Güterabwägung sowie von einer umfassenden Risikoabschätzung abhängig machen und darüber hinaus besondere Sicherheitsvorkehrungen fordern. So empfehlen die Verfasser, dem hohen Risiko für den Tierschutz durch eine Befristung der Genehmigungen für die Herstellung transgener Tiere auf einen Zeitraum von höchstens 12 Monaten Rechnung zu tragen, wie dies in z.B. Kanada der Fall ist; vor und während der Produktionsphase sollte darüber hinaus ein sorgfältiges Monitoring der Tiere unter Tierschutzgesichtspunkten verpflichtend sein. Da nicht nur die mit dem Pharming verbundenen Risiken hoch und deren wissenschaftliche Bewertung unsicher ist, sondern diese Technologie auch durch eine hohe Variabilität charakterisiert ist, wird weiters empfohlen, Pharming nur nach Durchführung einer Einzelfallbeurteilung anzuwenden. Im Rahmen dieser Fall-zu-Fall-Prüfung müssen der Produktionszweck, der Nutzen des gewonnenen Produkts, das potentielle Tierleid – insbesondere in der Phase der Entwicklung der transgenen Tiere – und, im Fall des Pflanzen-Pharmings, das spezifische Risiko der unbeabsichtigten Verbreitung des Pharming-Gens berücksichtigt und gegeneinander abgewogen werden. Vor dem Hintergrund des pathozentrischen Tierschutzkonzepts plädieren die Autoren dafür, dass das mögliche Tierleid im Rahmen dieser Güterabwägung verstärkt berücksichtigt werden sollte (vgl.188). Schließlich sprechen sich die Autoren für klare rechtliche Rahmenbedingungen aus, die auf transparenten Beurteilungskriterien beruhen. Gerade diese Empfehlung wird allerdings nur schwer einzulösen sein, da im Bereich neuer Technologien rechtliche (und erst recht moralische) Erwägungen erfahrungsgemäß nur allzu rasch von der Wirklichkeit überholt werden und vor der Macht des Faktischen – wozu nicht zuletzt auch ökonomische Interessen zählen – kapitulieren müssen. Regina Binder Literatur Animal Procedures Committee (APC) (2003). Review of CostBenefit Assessment in the Use of Animals in Research. Gjerris, M., Olsson A. and Sandøe, P. (2006). Animal biotechnology and animal welfare. In Council of Europe Publishing (ed.), Ethical Eye: Animal Welfare (89-110). (Besprechung im Literaturbericht 2007/08, ALTEX 4/2008, 270-271). Altexethik 2009 13.12.2009 15:45:25 Uhr Literaturbericht 3.4 Vaughan Monamy: Animal Experimentation. A Guide to the Issues 116 Seiten, Cambridge: University Press, 2009, Euro 20,99 Das Buch, das in einer überarbeiteten 2. Auflage neu erschienen ist, richtet sich in erster Linie an Studierende der Lebenswissenschaften. Es soll darüber hinaus aber auch Laien und Forschenden eine allgemein verständliche Einführung in die grundlegenden gesellschaftlich diskutierten Themen in Zusammenhang mit Tierversuchen bieten. In Kapitel 1 (Einführung) umreißt Vaughan Monamy kurz die Zielsetzung und wesentliche Gliederung des Buches und gibt Begriffsdefinitionen. Er verschreibt sich dabei der Aufgabe, dass kein Studierender der Biowissenschaften ohne eine formale Ausbildung in Theorien und Praktiken die Universität verlassen sollte, die einen humanen Umgang mit Versuchstieren fördern. In Kapitel 2 fasst der Autor auf nur 8 Seiten die Geschichte der Tierversuche zusammen. Er spannt einen Bogen zwischen den Alexandrinischen Physikern im 3. Jahrhundert v. Chr. bis zu den modernen Biowissenschaften. Dabei betont er insbesondere die vollkommen mitleidslose Sichtweise des „Dunklen Zeitalters“ („Dark Age“), von der Antike bis ins 16. Jahrhundert. Bereits in diesem Kapitel werden dem Leser auch die ersten ethischen Kontroversen beschrieben. Dabei stellt Monamy die dominierenden humanistischen Sichtweisen vor und setzt Schwerpunkte bei christlichen Standpunkten und dem Cartesianismus, der die dominante anthropozentrisch ausgerichtete Sichtweise auf ein völlig mechanistisches Verständnis von Tieren, denen jedwedes Bewusstsein abgesprochen wurde, zuspitzte. Tierexperimente des 19. und 20. Jahrhunderts werden dabei vorwiegend unter dem Aspekt geschildert, dass diese grundlegende medizinische Erfolge ermöglicht hätten. Der Autor leitet aus diesen Errungenschaften der Vergangenheit eine grundsätzliche Legitimität auch gegenwärtiger und zukünftiger Tierversuche ab. Unreflektiert benutzt er hier ethische Argumente zu einem unbedarften „der Zweck-heiligt-die Mittel“-Pragmatismus. In Kapitel 3 widmet sich Monamy unter der Überschrift „Opposition to Animal Experimentation“ einem historischen Abriss der Anti-Tierversuchsbewegung. Interessanterweise lokalisiert er deren Wurzeln in einer wissenschaftlichen Kritik seitens professioneller Physiologen, die solchen Versuchen einen Nutzen für den Menschen abgesprochen hätten. Öffentliche Kritik habe erst später eingesetzt. In diesem und im nachfolgenden Kapitel 4 (zum moralischen Status von Tieren) werden ethische Standpunkte zum Thema Tierversuche von Descartes über Kant bis Singer und Regan zusammengefasst. Das ermöglicht dem mit der Thematik weniger vertrauten Leser, sich einen schnellen, leider aber auch oberflächlichen und zum Teil falschen Eindruck der diversen Positionen zu verschaffen. So geht der Autor davon aus, dass Tom Regan, der sich gegen eine Ausbeutung aller Nutztiere ausspricht, nur Säugetiere für schutzwürdig halte. Wirklich erfreulich ist hingegen der deutAltexethik 2009 031-071-AltexLiteraturb.indd 57 liche Hinweis von Monamy, dass Singer immer wieder fehl interpretiert wird, wenn man ihm unterstellt, er propagiere, geistig behinderte Menschen anstelle von Tieren in Versuchen einzusetzen. Denn mit dieser Behauptung wird auch heute immer noch vielerorts gegen Singer polemisiert. Monamy gibt zu erkennen, dass er sich bei der Diskussion der verschiedenen ethischen Positionen auf ungewohntem Terrain bewegt. Dies wird insbesondere deutlich, wenn moralphilosophische Gedankengänge unter dem Aspekt bewertet werden, ob sich diese dafür eignen, unmittelbar in ordnungspolitische Maßnahmen überführt zu werden: „…pragmatism was of far greater importance than finding a universally applicapble ethic for use when considering research animals.“ (55) Hiermit beschreibt er die Sichtweise einer australischen Juristin, mit der er sich aber zweifellos identifiziert, wenn er den Pragmatismus wissenschaftlichen Handelns gegen die philosophische Frage nach einer adäquaten Tierethik ausspielt. Kapitel 5 ist mit „Animal use“ überschrieben und beschreibt im Wesentlichen die verschiedenen Anwendungsgebiete von Tierversuchen. Aus der Perspektive von Ethik und Tierschutz kann dieser Teil nicht überzeugen. Zum einen wird der Leidensaspekt nahezu vollständig ausgeblendet. Dass Tierversuche für die betroffenen Tiere erst einmal durch Schmerzen, Leiden oder Schäden gekennzeichnet sind, wird nicht ausreichend gewürdigt, geschweige denn, dass dem Leser verdeutlicht würde, welches Ausmaß dieses Leiden – qualitativ und quantitativ – hat. Stattdessen werden auch an dieser Stelle medizinische Errungenschaften der Vergangenheit als Pauschalrechtfertigung für Tierversuche bemüht. Am Beispiel der Entwicklung des Polioimpfstoffes führt Monamy allerdings genau diesen Ansatz – und damit auch seine in Kapitel 2 geführte Argumentation – ad absurdum. Denn er beschreibt zutreffend, dass erst die Viruskultivierung in menschlichen Gewebekulturen die Impfstoffproduktion ermöglicht habe. Dieses Ergebnis hätte einen guten Ansatzpunkt geboten, um die Übertragbarkeit von Tierversuchen auf Menschen zu diskutieren, was der Autor jedoch unterlässt. In diesem Kapitel findet der Leser dann auch etwas zum Thema Gentechnik. Die Entwicklungen in diesem Bereich waren dem Umschlagtext nach der Hauptgrund für die Neuauflage des Buches: „ ... this second edition has been updated to include discussion of genetically modified organisms and associateds ethical and welfare issues that surround the breeding programmes in such research.“ Wer angesichts dieser Ankündigung auf die betreffende Textstelle stößt, wird jedoch enttäuscht. Gerade einmal etwas mehr als eine Seite hat der Autor dem Thema gewidmet. Inhaltlich unzureichend stellt er fest, dass es besondere ethische Gesichtspunkte und Tierschutzaspekte in diesem Bereich gebe. Weitergehende Informationen oder gar einen Überblick über die diesbezüglichen Diskussionen bleibt er schuldig. Stattdessen widmet er nahezu die Hälfte des betreffenden Textes einer rein technischen Schilderung verschiedener gentechnischer Methoden und konstatiert den wachsenden Anteil von gentechnisch basierten Verfahren am Gesamtspektrum der Tierversuche. Auch hier wird leider das Tierleid nicht erwähnt, und weitere Probleme (z.B. die leidenden Zuchttiere, die niemals verwendet werden) werden in einem Halbsatz nur mehr angedeutet. 57 13.12.2009 15:45:25 Uhr Literaturbericht In Kapitel 6 beabsichtigt Monamy, eine Übersicht über die Gesetzgebung verschiedener Länder zu Tierversuchen zu geben. Deren Auswahl ist allerdings erheblich begrenzt, nämlich auf das Vereinte Königreich (aus historischen Gründen – dort gab es weltweit die ersten Gesetze zu Tierversuchen), Australien und Neuseeland sowie die USA. Hier hätte man sich schon einen etwas breiteren Blickwinkel gewünscht, um zumindest einen Eindruck davon zu bekommen, wie es bspw. in Kontinentaleuropa oder in den sogenannten Schwellenländern aussieht. Da Monamys bisherige Betrachtungen über historische, gesellschaftliche und philosophische Wurzeln des Umgangs mit Tierversuchen in dieses Kapitel zur Gesetzgebung münden, wäre eine differenzierte Analyse zumindest der wenigen vorgestellten Rechtsakte angezeigt. Unverständlicherweise verzichtet er darauf und hinterlässt beim uninformierten Leser den Eindruck, die bestehenden Gesetze würden alle wesentlichen ethischen Anforderungen angemessen berücksichtigen. Beispielsweise suggeriert er, die derzeit existierenden Ethikkommissionen seien in der Lage, gesellschaftliche Diskussionen zu Tierversuchen korrekt widerzuspiegeln. In Kapitel 7 geht es um Alternativen zu Tierversuchen im Sinne der 3R. Nach einem kurzen Hinweis auf einige (wenige) Institutionen, die sich mit Alternativmethoden befassen, schließt sich ein ebenfalls kurzer Exkurs zu dem zugrundeliegenden Standardwerk von Russell und Burch an. Es folgt ein Verweis auf gesetzliche Anforderungen, welche die Anwendung der 3R verlangen, anschließend werden Beispiele für die 3R gegeben. Hierbei stellt Monamy leider bis auf Ausnahmen Methoden aus den 1980er-Jahren vor. Seine willkürlich anmutende Auswahl war in großen Teilen bereits zum Zeitpunkt der Erstauflage überholt. Da die Alternativmethodenforschung in den letzten 20 Jahren einen regelrechten Boom erlebt hat und dabei von modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen und Technologien profitierte, wäre eine vollständige Überarbeitung dieses Kapitels für die 2. Auflage angebracht gewesen. In Kapitel 8 stellt der Autor seine Schlussfolgerungen vor. Er betont dabei zwar seine Intention, dass Tierversuche immer von moralischen Erwägungen begleitet sein sollten. Dass seine Ausführungen hierbei jedoch nur im engeren Sinne der 3R, nicht aber bezüglich grundlegender ethischer Aspekte weiterhelfen, wird ebenso klar. Er wiederholt seine These der gesellschaftlichen Bedeutung von Tierversuchen, insbesondere auch im Bereich der Produktprüfung. Er spricht hier auch die Verwendung von Tieren für menschliche Zwecke in anderen Bereichen als der Nutztierhaltung an und relativiert auf diese Weise explizit die aus seiner Sicht hohen ethischen und gesetzlichen Ansprüche an Tierversuche. Diese Argumentation lässt seinen moralischen Appell für Tierschutz in der Forschung fragwürdig erscheinen. Denn genau diese Argumentation setzen Wissenschaftler rund um den Globus gegen Reglementierungen im Tierversuchsbereich ein, und insbesondere bei der von Monamy genannten Zielgruppe für sein Buch – Studierende – dürfte sie nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Dass Tierversuche einen Sonderfall innerhalb der menschlichen Nutzung von Tieren darstellen, da sie per se darauf abzielen (oder es zumindest systematisch in Kauf nehmen), dass Tieren Schmerzen, Leiden und Schäden zugefügt werden, erwähnt der Autor ebenso wenig, wie er es für 58 031-071-AltexLiteraturb.indd 58 nötig hält, die zahlreich vorhandenen Gegenargumente zu einer solchen Rechtfertigungsethik zumindest zu erwähnen. Das Buch schließt mit auf 5 Unterpunkten basierenden 2-seitigen ethischen Richtlinien der neuseeländischen Organisation ANZCCAART und richtet sich dabei noch einmal ausdrücklich an Studierende, die mit Tieren arbeiten. Schon der Umfang dieser Leitlinien offenbart, dass es sich hierbei nur um erste Hinweise handeln kann. Und ihr Niveau ist eher bescheiden (z.B. Punkt Nr. 3 auf S. 103: „Consider the regulatory framework and obey the law”). Sinnvoller – oder als Ergänzung geeignet – wäre es gewesen, zumindest einige Informationsquellen (Literatur, Institutionen, ggf. auch Webseiten) aufzulisten, die zu den verschiedenen „Issues“ im Bereich der Tierversuche weitergehende Informationen liefern und dann eventuell tatsächlich das leisten, was Monamy für sein Buch in Anspruch nimmt, nämlich als Basis für eine ausgewogene Meinungsbildung zu dienen. Denn wie er selbst schreibt (89): „A thorough knowledge of the relevant literature is essential.“ Dies aber gilt für alle Aspekte von Tierversuchen und nicht nur für das Refinement, in dessen Zusammenhang er diese Aussage trifft. Fazit: Die Stärke dieses Buches liegt sicherlich in seiner Kürze. Auf gut 100 Seiten wird versucht, einen relativ umfassenden Überblick über wesentliche wissenschaftliche, rechtliche, historische, philosophische und gesellschaftspolitische Aspekte von Tierversuchen zu geben. Problematisch ist, dass der Autor zwar verschiedene ethische Blickwinkel zitiert, aber selbst in seiner Position verharrt, nach der Tierversuche prinzipiell ethisch vertretbar sind, insofern die 3R beachtet werden. Wesentliche Thesen und Schlussfolgerungen des Buches folgen diesem Ansatz. Sie stellen damit keine ausgewogene Informationsgrundlage dar, auch wenn Monamy dies suggeriert. Weitestgehend ausgespart bleibt bei ihm die grundsätzliche Perspektive des Tierschutzes, die man auch nicht von ihm erwarten kann. Dennoch bleibt es sein Versäumnis, die Tatsache nicht angemessen zu würdigen, dass Tierversuche immenses Leid bei den verwendeten Tieren verursachen und zwar millionenfach, weltweit. Die Frage, inwieweit das Vorhandensein von Alternativen den massiven Tierverbrauch in den Wissenschaften nicht moralisch fragwürdig macht, bleibt offen. In diesem Zusammenhang hat der Autor den Aspekt nicht-wissenschaftlicher Alternativen völlig außer Acht gelassen: Kann nicht einfach auf ein Produkt verzichtet werden (oder ein bereits zugelassenes verwendet), wenn eine Neuzulassung nur über Tierversuche möglich ist? Können gesundheitspolitische Weichenstellungen nicht zumindest manche Tierversuche vollkommen überflüssig machen (so wie z.B. eine bessere Verfügbarmachung menschlicher Organe die Organproduktion in Tieren bzw. die Xenotransplantationsforschung erübrigen würde)? Derartige Blickwinkel überschreiten eindeutig den Horizont dieses Buches. Doch wenn sich der Autor schon in philosophisch-ethische Themen hinauswagt und eine umfassende und ausgewogene Meinungsfindung propagiert, hätten auch solche Aspekte einer Erwähnung bedurft. Die im Umschlagtext genannte Begründung für eine Neuauflage, nämlich die Berücksichtigung und Diskussion der VerAltexethik 2009 13.12.2009 15:45:26 Uhr Literaturbericht wendung transgener Tiere und der damit verbundenen Probleme muss verwundern, denn dieser Aspekt erfährt wenig Beachtung. Auch bezüglich anderer Themen wäre eine umfassende Modernisierung des Inhaltes angezeigt. „Animal experimentation – a guide to the issues” führt den Leser zu verschiedenen einschlägigen Problemfeldern im Tierversuchsbereich. Mitunter gelingen dabei flotte und weite Vorstöße, bisweilen macht es auf halbem Wege Halt, gelegentlich führt es in die Irre, und mancher Pfad bleibt unbegangen. Der Leser sollte sich diesem Guide nur anvertrauen, insofern er seinen eigenen moralischen Kompass im Blick behält. Roman Kolar 3.5 P. Michael Conn and James V. Parker: The Animal Research War 224 Seiten, New York City: Palgrave Macmillan, 2008, Euro 28,99 Die beiden Autoren P. Michael Conn und James V. Parker berichten, wie tierexperimentelle Forscher durch eine radikale Randgruppe der Tierversuchsgegner schikaniert und bedroht werden und argumentieren, dass es sich hierbei um eine Form des Terrorismus handelt. Sie zeigen auf, welche Ausmaße dieser „Terror“ gegen tierexperimentell Forschende in den letzten 20 Jahren speziell in den USA und in Großbritannien angenommen hat und weisen auf die potentiellen Folgen für den medizinischen Fortschritt hin. Conn ist stellvertretender Direktor und Forscher am nationalen Primatenforschungszentrum in Oregon und u.a. Professor für Physiologie und Pharmakologie an einer Universität in Oregon. Er schildert ausführlich seine persönlichen Erfahrungen, die er machte, als er das Ziel extremistischer Tierversuchsgegner wurde. Sein Koautor Parker, ein Ethiker, hat sich als Pressesprecher des nationalen Primatenforschungszentrums in Oregon fast 20 Jahre lang mit der Tierrechtsbewegung auseinandergesetzt. Heute befindet er sich im Ruhestand, schreibt aber regelmäßig Artikel, in denen er die Öffentlichkeitsarbeit im Bereich Tierversuche untersucht. Das Buch der beiden beginnt mit Begriffserklärungen und -abgrenzungen. In den ersten beiden Kapiteln berichtet Conn en détail über die Anfeindungen, Belästigungen und Morddrohungen und über die Gewalt gegen ihn und andere tierexperimentell arbeitende Wissenschaftler in den USA. Im Kapitel 3 wird die Tierrechtsbewegung von damals bis heute zusammengefasst. Kapitel 4 analysiert die Strategien, nach denen diese extremistische Randgruppe der Tierversuchsgegner vorgeht. In den Kapiteln 5 und 6 geht es um die „Opfer“ durch den „Animal Research War“. Hier werden u.a. zwei Fallbeispiele von Wissenschaftlern angeführt, die derart massiv von Tierversuchsgegnern bedroht wurden, dass sie schließlich ihre Forschung aufgaben. Des Weiteren fürchten beide Autoren um die Auswirkungen dieser Aktionen auf den wissenschaftlichen Nachwuchs. Einige der größten Erfolge Altexethik 2009 031-071-AltexLiteraturb.indd 59 der Medizingeschichte dienen als Argument für die Notwendigkeit von Tierversuchen. Kapitel 7 beleuchtet die Rechte der Tiere und die unterschiedlichen Auffassungen diesbezüglich. Des Weiteren werden hier kurz die relevanten Rechtsvorschriften für die Durchführung von Tierversuchen in den USA inklusive der 3R erwähnt. Im letzten Kapitel wird endlich auf das Kernproblem eingegangen: die mangelhafte öffentliche Diskussion über Tierversuche. Laut den beiden Autoren leistet dies Gerüchten Vorschub, welche die extremistischen Tierschützer dann als Legitimation für ihre im Buch als „direct actions“ bezeichneten Übergriffe auf tierexperimentell Forschende verwenden. Die Autoren berichten, dass die Universitäten selten Gelder zur Verfügung stellen, um die Öffentlichkeit über den Nutzen der Forschung zu unterrichten. Im Gegenteil würden es die Hochschulen vermeiden, der Öffentlichkeit mitzuteilen, dass Tierversuche einen Großteil ihrer Forschung ausmachen. Die mangelnde Transparenz über dieses sehr emotionale Thema führt den Autoren zufolge dazu, dass Tierversuche zum „dirty little secret“ werden, welches dann von den Tierversuchsgegnern gegen die Forscher verwendet wird. Am Ende des Buches befinden sich zwei Anhänge. Informativ für Leser, die nicht aus den einschlägigen Fachkreisen kommen, ist der Anhang A, in dem 20 oft von Laien gestellte Fragen zu Tierversuchen von den Autoren beantwortet werden. In Anhang B sind die umfangreichen Quellen aufgelistet. Die primäre Motivation, dieses Buch zu schreiben, scheint für Michael Conn vermutlich darin gelegen zu haben, sich sein eigenes Leid und seine Wut über das, was ihm widerfahren ist, von der Seele zu schreiben. Darüber hinaus soll das Buch sicherlich der Aufklärung der Öffentlichkeit dienen, da die Autoren ja richtig erkannt haben, dass Transparenz beim Thema „Tierversuche“ unerlässlich ist. Somit ist das Buch ein wichtiger Beitrag zum Anstoß einer längst überfälligen Diskussion. Und obwohl es ein derart radikales Vorgehen von Tierversuchsgegnern gegen Forscher in Deutschland nicht gibt, ist dies der Punkt, an dem das Buch auch für Deutschland eine hohe Relevanz entwickelt. Denn auch hier fehlt es oft an einer öffentlichen und sachlichen Diskussion über das Thema Tierversuche. Allerdings ist das Buch selbst nicht ganz frei von emotionalen Argumenten und unglücklichen Verallgemeinerungen. So wird die durchaus differenzierte Tierrechtsbewegung mit ihren radikaleren Verästelungen pauschal gleichgesetzt. Und das äußerst heterogene Feld der Tierversuche wird generalisierend als unerlässlich beschrieben. Alternativmethoden werden mit einigen Sätzen als für die biomedizinische Forschung unbrauchbar abgehandelt. Des Weiteren fehlt jede Differenzierung der Tausenden von verschiedenen Tierversuchen, die allein in Deutschland durchgeführt werden und von denen jeder einzelne auf seine Unerlässlichkeit und ethische Vertretbarkeit überprüft werden muss – und das aus gutem Grund. Darüber hinaus sind leider wichtige Kapitel im Buch zu kurz geraten. So das Kapitel über die Gesetze und die 3R. Dies vermittelt den Eindruck, hier gäbe es keinen Verbesserungsbedarf, weder in der Gesetzgebung noch in der Umsetzung. Eine konstruktive Diskussion zu diesem Thema müsste jedoch genau hier ansetzen, denn hier liegen die Probleme – und darauf reagiert die Öffentlichkeit, wenn auch vielleicht nicht immer angemessen. 59 13.12.2009 15:45:26 Uhr Literaturbericht Vielleicht schreiben die Autoren ja noch einen zweiten Band, in dem aufgezeigt wird, was wirklich in der Praxis getan wird – oder eben auch nicht. Einerseits, um Tierversuche zu reduzieren und wo immer möglich zu ersetzen. Und andererseits, um die Haltung und die Zucht von Versuchstieren so artgemäß und so verhaltensgerecht wie möglich zu gestalten und Schmerzen und Leiden der Versuchstiere auf ein unerlässliches Maß zu reduzieren. Die 3R und deren Weiterentwicklung vermehrt in das Licht der Öffentlichkeit zu rücken, nimmt die Forscher einmal mehr in die Pflicht, die Möglichkeiten der 3R vollständig auszuschöpfen. Dies ist unsere ethische Verpflichtung den Tieren gegenüber, die uns zum Wohle der Menschheit helfen den biomedizinischen Fortschritt voranzutreiben. Kathrin Herrmann 3.6 Udo Friedrich: Menschentier und Tiermensch. Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter 437 Seiten, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2009, Euro 59,90 Der Autor ist Professor für Ältere Deutsche Sprache und Literatur an der Universität Göttingen. Das Buch ist als Band 5 der fünfteiligen Reihe „Historische Semantik“ des Vandenhoeck & Ruprecht-Verlags erschienen. Der Band Menschentier und Tiermensch gliedert sich in fünf aus jeweils einigen Kapiteln und Unterkapiteln bestehenden Teile und enthält 10 Abbildungen. Im ersten Teil werden kulturwissenschaftliche Fragestellungen erörtert und darin Zusammenhänge zwischen beispielsweise Ackerbau und Jagd hergestellt und mittelalterliche Natur- und Kulturkonzepte beleuchtet. Im folgenden Teil „Anthropologischer Rahmen – Grenzziehungsdiskurs“ wird unter anderem ein Abriss über die mittelalterliche Wissenschaft vom Menschen gegeben und Grenzfiguren zwischen Mensch und Tier exemplarisch herausgestellt. Der dritte Teil behandelt in zwei separaten Blocks politische Aspekte, die der Verfasser mit „Herrschaft über das Tier“ und „Annäherungen an das Tier“ überschreibt. Hier werden beispielsweise die Domestizierung und Instrumentalisierung von Tieren und die Jagd thematisiert. Im vierten Teil unternimmt der Autor einen Diskurs in literarische Fallstudien. Mimesis und „Tierwerden“ erörtert der Autor am Beispiel des Nibelungenlieds. Im fünften und letzten Teil gibt Friedrich in seinem Resümee eine Zusammenfassung über Anlass und wesentliche Aspekte seiner Studie. Der Autor zitiert aus dem Werk „Tier“ von Macho: „Das agrarische Zeitalter entfaltete sich als das Zeitalter der tierischmenschlichen Wunschmaschinen, der vielgestaltigen Symbiosen und ambivalenten Verwaltungsmöglichkeiten…, als das Zeitalter der Tiergötter und Teufelsbiester…, Tierkreiszeichen und Wappentiere…, kurzum: als das Zeitalter der detaillierten Heraus60 031-071-AltexLiteraturb.indd 60 bildung subtiler kultureller Profile von Tierarten oder typischen Gemeinschaften von Menschen und Tieren“ (17) und lässt die Vielgestaltigkeit der nicht zuletzt durch die menschliche Phantasie entstandenen tiermenschlichen Mischwesen und die bis ins heutige Zeitalter reichende Ausbeutung der Tiere durch den Menschen erahnen. Am literarischen Beispiel des Romans „Partonopier und Meliur“ von Konrad von Würzburg, der „Geschichte eines jugendlichen Helden, der über zahlreiche Stationen, Trennungen und Wiedervereinigungen Geliebte und Herrschaft erringt“ (375), umreißt der Autor die Rolle von Tiervergleichen. So wird nach Aussage des Verfassers die metaphorische Anbindung von Ritterart an Tierqualitäten raumsemantisch inszeniert. Zur Untermauerung führt der Autor die Beschreibung einer Szene an: „Selbst der frühkindliche Partonopier, Inbegriff höfischer Vollkommenheit…, wird schon früh mit Tiervergleichen und -metaphern umstellt, gewissermaßen als Markierung latenter animalischer Anlagen. Schon bei der ersten Verirrung im Wald besitzt die Raumsemantik der Wildnis ihr körperliches Analogon im Falkenblick des Helden.“ (378f.) Nicht nur in literarischen Fallstudien oder in der Geschichte sind die engen Übergänge zwischen Mensch und Tier thematisiert. Auch heute projiziert der Mensch häufig bestimmte menschliche Eigenschaften auf Tiere oder auch umgekehrt. Das Buch ist insofern eine ausgesprochen umfassende Zusammenschau zahlreicher Aspekte und Fallstudien der Grenzbeziehung zwischen Mensch und Tier, die der Autor aus theologischen, literarischen und politischen Blickwinkeln beleuchtet. Es gibt sehr aufschlussreiche Einblicke nicht nur in den Grenzbereich der Spezies, sondern verdeutlicht auch ganz allgemein die Beziehung zwischen Mensch und Tier in der Geschichte, die bis heute teilweise noch Gültigkeit hat. Gerade die Tatsache, dass der Übergang zwischen Mensch und Tier nicht nur in der Literatur fließend ist, regt uns Menschentiere zum Nachdenken über unseren Umgang mit den Tiermenschen an. Es wird deutlich, dass es zwischen Mensch und Tier keine fixe Grenze gibt und eine Grenzüberschreitung zwischen Mensch und Tier schwer auszumachen ist. Indes wird eine andere Grenzüberschreitung sichtbar. Die Diskurse lassen die Folgerung zu, dass der Mensch mit seinem Machtergreifen über Tiere und deren Nutzung zu eigenen Zwecken ganz klar eine ethische Grenze überschreitet. Silke Bitz 3.7 Rainer E. Wiedenmann: Tiere, Moral und Gesellschaft. Elemente und Ebenen humanimalischer Sozialität 462 Seiten, Wiesbaden: VS Verlag, 2009, Euro 49,90 Rainer E. Wiedenmann vertritt zur Zeit den Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie und soziologische Theorie an der Katholischen Universität EichstättAltexethik 2009 13.12.2009 15:45:26 Uhr Literaturbericht Ingoldstadt. In seiner erst jetzt in Buchform veröffentlichten und umfassend überarbeiteten Habilitationsschrift aus dem Jahr 1997 plädiert er dafür, Tiere in der Soziologie nicht länger zu marginalisieren. Statt als passive Objekte humangesellschaftlicher Interaktionsprozesse gelten ihm Tiere als aktive Teilnehmer gesellschaftlicher Interaktion und Organisation. Mensch-TierSozialverhältnisse werden von beiden Seiten gleichermaßen gestiftet. Wiedenmann verwendet dafür den Begriff der „humanimalischen Sozialität“. Die Teilhabe daran wird auf höhere Tiere eingeschränkt, die auf gewisse Weise an den konstituierenden Kommunikationsprozessen teilnehmen können. Vorderhand würde man erwarten, dass der Autor naturwissenschaftlich-etholgische Befunde beibringt und systematisiert, um das Konzept der „humanimalischen Sozialität“ zu begründen und auszuarbeiten. Sein Anliegen ist aber ein anderes. Er will die soziologische Theorie, namentlich die Systemtheorie Parsonsscher und Luhmannnscher Prägung, fortentwickeln, um sie für den Bereich des Humanimalischen zu öffnen. Ziel ist „zu zeigen, wie Mensch-Tier-Sozialverhältnisse (Elemente, Formen und Prozesse humanimalischer Sozialität) nicht-reduktionistisch, d.h. im Rahmen eines Mehrebenensystems konzipiert werden können“ (56). Nach zwei einleitenden Kapiteln, in denen die Randständigkeit des Tieres in der Soziologie exponiert und problematisiert wird (14-107), klopft er dementsprechend die gängigen Strukturbegriffe der Systemtheorie auf ihre Tauglichkeit bzw. ihren Ergänzungsbedarf für die Beschreibung von Mensch-TierInteraktionen ab, angefangen beim Kommunikationsprozess als Element des Sozialen bis hin zu symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien als übergreifende, makrosoziale Bezugspunkte: „Zum Mehrebenenaufbau humanimalischer Sozialität“ (109-172), „Humanimalische Interaktionssysteme“ (173-248), „Tiermoralische Orientierungsmuster: Kontexte und Konstitutionsbedingungen“ (249-355). Ein Knackpunkt der Luhmannschen Kommunikationstheorie, auf die Wiedenmann zunächst Bezug nimmt, ist die – nicht ganz leicht zu fassende – strukturelle Kopplung zwischen Kommunikation und Bewusstsein. Einerseits operieren diese als selbstbezügliche (rekursive) Systeme völlig unabhängig voneinander, anderseits sind für Luhmann Kommunikation und Sinnbezüge ohne (sprachliches) Bewusstsein nicht denkbar und vice versa. Luhmann erkennt mithin nicht jede Form der Verhaltensabstimmung als Kommunikation im Rahmen seiner Theorie an, sondern nur solche, die über die Unterscheidung von Mitteilung (kommunikativem Handeln) und Information (Thema, Inhalt der Mitteilung) vermittelt werden. Ausgeschlossen wird dadurch insbesondere auch das, was man „unbewusste Kommunikation“ nennen könnte. Wiedenmann gibt zwar Hinweise, dass man ausgehend von Merleau-Ponty oder Waldenfels (leibliches Verhalten, autochtoner Sinn) zugunsten der Tiere dagegen argumentieren könnte. Es gelingt ihm aber nicht, dies konsistent in den Baukästen der Systemtheorie unterzubringen. Es bleibt beim „es ist vielleicht nicht abwegig“ (116) oder gar: die entsprechenden Instrumente können hier nicht erörtert werden (114). Wiedenmann legt unter dem Strich kein Konzept des Humanimalen vor, sondern weist eher die Fragen auf, die es in künftigen Forschungsprojekten zu klären gilt, um zu einem solchen zu kommen. Altexethik 2009 031-071-AltexLiteraturb.indd 61 Instruktiver ist die Studie dort, wo Wiedenmann auf rein soziokulturelle Kontexte fokussiert, also auf den eingeschränkten Blickwinkel des Binnenmenschlichen zurückgeht. Das gilt beispielsweise für die Betrachtung der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien (332ff). Die Idee der Kommunikationsmedien hatte Talcot Parsons in die Soziologie eingeführt. Darunter kann man eine Art Leitcode oder Leitmetapher verstehen, durch die soziale (Sub-)Systeme am Laufen gehalten werden. Für das Wirtschaftssystem nennt Parsons zum Beispiel das Medium „Geld“, für das politische System die „Macht“. Luhmann hat für den Bereich von Intimbeziehungen „Liebe“ und für das Wissenschaftssystem „Wahrheit“ hinzugefügt. Vereinfacht ausgedrückt, kann man so verdeutlichen, warum es mit zunehmender Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaft dazu kam, dass die Wissenschaft sich nur noch auf die Frage konzentriert, was wahr und falsch ist, während moralische oder religiöse Kriterien für die Erzeugung von Wahrheit immer weniger relevant wurden. Dies könnte, so die Annahme, eine Teilerklärung dafür sein, warum Heimtiere auf der einen Seite geliebt und verhätschelt werden, während Versuchstiere scheinbar frei von moralischen Bedenken als Messinstrumente missbraucht werden. Im sechsten und letzten Hauptkapitel werden zwei historischsoziologische Fallstudien zum Wandel der Mensch-Tier-Beziehungen präsentiert: „Milieuspezifische Tiermoralen der Frühneuzeit“ (357-399). Thematisch geht es um die tiermoralischen Orientierungen in der frühneuzeitlichen höfischen Gesellschaft und im englischen Nonkonformismus. Auch wenn sich Wiedenmann hier ebenfalls auf die soziokulturellen Kontexte beschränkt und ein Zusammenhang mit humanimalischen Strukturelementen auf der Mikroebene kaum auszumachen sein dürfte, ist die Darstellung dennoch interessant: Wiedenmann kann zeigen, warum kommunalistische Sozietäten wie Quäker oder puritanische Sekten ein besseres Milieu für den Tierschutz bieten als zum Beispiel die Höfische Kultur, bei der trotz aller Kulturleistungen vor allem im Umgang mit Wildtieren „eine dauerhafte Internalisierung subjektbezogener Moralstandards“ (402) nicht stattgefunden hat. Beispielhaft dafür sind die Jagd und Tierquälereien im Rahmen höfischer Spiele. Mit den asketischen Maximen von Puritanern und Quäkern ließen sich tierquälerische Belustigungen nicht vereinbaren. Die Nutzung von Tieren in der Landwirtschaft wurde bei diesen Gruppen gezielt gefördert, allerdings wurden die Tiere schon aus Gründen rationaler Betriebsführung vergleichsweise sorgsam behandelt. Interessengleichheit und strenge (Selbst-)Kontrollmechanismen sorgten dafür, dass einmal erlangte Tierschutzüberzeugungen dann auch eingehalten und verinnerlicht wurden. Der Einfluss solcher Gruppen trug maßgeblich zur Entstehung der Tierschutzbewegung und zur Gründung der ersten großen Tierschutzorganisationen im England des frühen 19. Jahrhunderts bei. Das Engagement Wiedemanns für eine tierbezogene Soziologie ist aus Sicht des Tierschutzes überaus zu begrüßen. Für die Tierschutzpraxis dürfte die vorliegende Schrift allerdings kaum fruchtbar werden. Die Arbeit richtet sich an Spezialisten, die mit der Terminologie der soziologischen Systemtheorie vertraut sind und sich dafür interessieren, die theoretischen Hinweise Wiedemanns aufzugreifen und weiterzudenken. Wer sich für 61 13.12.2009 15:45:27 Uhr Literaturbericht soziokulturell-historische Studien zur Mensch-Tier-Beziehung interessiert, ist mit Wiedenmanns Aufsatzsammlung „Die Tiere der Gesellschaft“ (ISBN 3-89669-916-4, UVK-Verlag, Konstanz, 2002) sicherlich besser beraten. Darin findet sich auch eine prägnante Darstellung der zuletzt angesprochenen Fallstudien sowie ein kurzes Plädoyer für eine Soziologie humanimalischer Sozialverhältnisse. Roman Kolar 3.8 Jodey Castricano (ed.): Animal Subjects. An Ethical Reader in Posthuman World 324 Seiten, Canada: Wilfrid Laurier University Press, 2008, Euro 29,99 Die Kulturtheorie setzt sich mit der menschlichen Kultur auseinander. Es scheint daher zunächst selbstverständlich, dass sie den Menschen in den Fokus stellt und aus anthropozentrischer Perspektive argumentiert. Aus dieser Sichtweise allerdings hat sie nach Meinung der kanadischen Kulturtheoretikerin Jodey Castricano den kulturellen Umgang des Menschen mit dem Nicht-Menschlichen vernachlässigt. Der von ihr herausgegebene Sammelband hat deshalb zum Ziel, diesen „social and theoretical lag in cultural studies“ aufzuholen (1). Die gesammelten Aufsätze intendieren, die „anthropocentric boarders“ dieser interdisziplinären „Disziplin“ zu sprengen (5), wobei sie allesamt auf das Verhältnis zwischen Mensch und Tier fokussieren und die nicht-animalische Natur ausklammern. Während die theoretisch motivierten Beiträge eine „critique of cultural studies regarding the ethical treatment of non-human animals“ formulieren (12), münden manche eher praktisch motivierte Beiträge in konkrete Handlungsanweisungen zum ethisch korrekten Umgang mit Tieren (so z.B. Anne Innis Daggs Forschungsbericht Blame and Shame? How Can We Reduce Unproductive Animal Experimentation?). Castricano vereint eine Vielfalt an unterschiedlichen thematischen, interpretativen und methodischen Zugängen zur Tierfrage. Entsprechend darf der Band nicht den Anspruch erheben, ein einheitliches Bild zu zeichnen. Die Vielfältigkeit der Beiträge tritt insbesondere in der weit reichenden Auswahl der reflektierten Thematiken zu Tage. Die Beiträge bearbeiten die Tierfrage an derart unterschiedlichen Themenstellungen wie Tierfabriken (Donna Halaway: Chicken), soziobiologischen Theorien (Rod Preece: Selfish Genes, Sociobiology and Animal Respect), Naturparks (John Sorenson: Monsters: The Case of Marineland), dem Werk von Mary Wollstonecraft (Barbara K. Seeber: „I sympathize in their pains and pleasures“), einem Fall perverser Tierquälerei (Lesli Bisgould: Power and Irony) oder der Unsterblichkeit der tierischen Seele (Johanna Tito: On Animal Immortality). Die Aufsätze divergieren aber auch aufgrund unterschiedlicher Interpretationen philosophischer Positionen. So legen 62 031-071-AltexLiteraturb.indd 62 beispielsweise Paola Cavalieri und Cary Wolfe (A Missed Opportunity: Humanism, Anti-Humanism and the Animal Question bzw. Thinking Other-Wise) die Philosophie von Jacques Derrida auf gänzlich unterschiedliche Art aus und bewerten sie folglich entsprechend anders: Während Cavalieri Derrida vorwirft, den „philosophical vegetarianism“ nicht ablehnen zu können und so „at one stroke the entire problem of the value of animal life“ auszulöschen (107), beruft sich Wolfe gerade auf diesen Denker, um Daniel Dennetts materialistischen Funktionalismus zurückzuweisen (132ff.). Obschon bei der Mehrheit der Beiträge die philosophischethische Argumentation überwiegt, widerspiegelt der Sammelband insgesamt den methodischen Reichtum, den die Kulturtheorie zu bieten hat. So verbindet Dawne McCance in Anatomy as Speech Act in lehrreicher Weise eine medizin- und kulturhistorische Analyse mit philosophischer Kritik. Anhand der Darstellung der Genese der modernen Anatomie vermag sie aufzuzeigen, wie Descartes’ Philosophie, die als Grundstein der anthropozentrisch dominierten Moderne gilt, in die historische Situation eingebettet ist. Wie McCance unterlegen auch etliche andere Autorinnen und Autoren ihre Argumentation mit Erzählungen oder literarischen Beispielen. Der literarische Zugang wirkt insofern als adäquate Methode, als von allen Beitragenden die Grundansicht geteilt wird, dass ein gerechter Umgang mit Tieren nicht durch rationale Erwägungen, sondern durch Mitgefühl begründet und motiviert werden muss. Der moralische Imperativ sei „grounded in empathy, not reason“, wie Angus Taylor in Electric Sheep and the New Argument from Nature diese geteilte Ausgangsbasis auf den Punkt bringt. Wollte man die gesammelten Beiträge unter ein philosophisches Label gestellt sehen, so wäre das wohl am ehesten jenes einer pathozentrisch erweiterten Gefühlsethik. Zur Einstimmung in die theoretische Reflexion dieser Intuition ist der ironisch verfasste Beitrag von Donna Haraway geschickt gewählt. Haraway weckt die Gefühle, die den folgenden Aufsätzen als Ausgangsbasis für Kritik an unterschiedlichen Theorien, Weltbildern und kulturellen Praxen dienen. Michael Allen Fox und Lesley McLean nehmen diesen Grundgedanken explizit auf und plädieren in ihrem Beitrag Animals in Moral Space für eine neue Konzeption des moralischen Raums, der Tiere integriert. Ein Öffnen dieses physischen und phänomenologischen Raums würde „unprecedented forms of interaction“ mit Tieren erlauben (158). Dadurch, so die These, könnten neue Möglichkeiten der „cross-species intersubjectivity“ entstehen (159). Um Intersubjektivität zwischen Mensch und Tier herstellen zu können, rekurrieren sie auf Empathie und auf den „emotional part of […] cognition“ (163). Leider führen sie kaum aus, was Empathie genau bedeutet und wie und mit welchen nicht-menschlichen Wesen wir mitleiden können und sollten. Die Diskussion eines Gedichts von Gwen Harwood sowie die Schilderung von Tierexperimenten vermögen zwar durchaus Mitgefühl zu wecken, doch die phänomenologische Analyse dieser Gefühle bleibt oberflächlich. Es wird folglich auch nicht klar, inwiefern ihre Ausführungen wirklich ein „foothold for a new ethics“ bereitstellen (146). Ein anderes Fundament der traditionellen Ethik wird von David Sztybel in Animals as Persons kritisch untersucht. Seine Altexethik 2009 13.12.2009 15:45:27 Uhr Literaturbericht These lautet, dass die „traditional definition of ‚person’ […] unaccebtably anthropomorphic“ ist (241). Ausgehend von der Annahme, dass wir einer Person gegenüber ein ihr gebührendes Verhalten schulden, will er folglich den Personenbegriff erweitern. Personsein sieht Sztybel nicht an Rationalität gebunden. Person ist vielmehr „that-which-experiences“ (246). Weil Tiere – wie auch schwer behinderte Menschen – personale Erfahrungen haben, müssen sie als Personen betrachtet und entsprechend behandelt werden. Ob ein Wesen Erfahrungen hat, wissen wir, indem wir evaluieren „whether, if we had their experiences, we would call them personal experiences“ (247). Dies sei nur durch empathisches Mitfühlen herauszufinden. Es ist m.E. allerdings fraglich, ob ein solches Gedankenexperiment hinreicht, um Tieren den Status des Personseins zusprechen zu können. Vernachlässigt wird dabei beispielsweise der Unterschied zwischen einer „bloß“ bewussten Erfahrung wie „Es schmerzt“ und einer selbstbewussten Erfahrung wie „Ich habe Schmerzen“. Es ist folglich auch nicht ersichtlich, weshalb Tiere zwingend als Personen aufgefasst und behandelt werden sollten. Genügte es nicht zu begründen, dass wir ihnen gegenüber bestimmte Verpflichtungen haben, dass sie moralische Objekte sind – ohne sie als Personen zu beschreiben – und somit als moralische Subjekte, die für ihr Verhalten Verantwortung zu tragen haben? Man gewinnt den Eindruck, dass Sztybel wie auch etliche andere Beitragende die Grundintuitionen etwas gar emphatisch verteidigen und so aus einer vermeintlichen Selbstverständlichkeit heraus argumentieren. Dabei verwenden sie viel Raum für Kritik an bestehenden Ansichten und Theorien, wodurch konstruktive Überlegungen leider zu kurz kommen. So reflektiert Sztybel nebst der Unterscheidung zwischen moralischem Subjekt und Objekt beispielsweise auch nicht, was es bedeutet, dass ein Wesen etwas empfindet. Theoretische Unterscheidungen und Grundlagenarbeit werden kaum geleistet oder auf Gemeinplätze reduziert. Exemplarisch zeigt sich diese Überemphase vielleicht am besten an der von der Herausgeberin unkritisch zitierten Prognose von Wolfe, wonach unsere Nachkommen in hundert Jahren „with much the same horror and disbelief“ auf den gegenwärtigen Umgang mit Tieren blicken werden, wie wir heute auf die Sklaverei und den Genozid des zweiten Weltkriegs schauen (11). Es ist m.E. aber höchst fraglich, ob man die in der westlichen Kultur verbreiteten und wahrlich frappanten Ungerechtigkeiten gegenüber Tieren mit dem abscheulichen Umgang mit den Juden im Nationalsozialismus und anderen verfolgten Minderheiten vergleichen darf. Die von Castricano gesammelten Beiträge vermögen aufzuzeigen, dass die Kulturtheorie etwas zur Lösung der Tierfrage beitragen und dabei in vielfältiger Weise erweitert werden kann. Allerdings erhält man den Gesamteindruck, dass aufgrund des großen Engagements für einen gerechteren Umgang mit Tieren das Feingefühl für theoretische Details leider etwas vernachlässigt wird. Marius Christen Altexethik 2009 031-071-AltexLiteraturb.indd 63 4 Theologische Ethik 4.1 Eugen Drewermann: Über die Unsterblichkeit der Tiere. Hoffnung für die leidende Kreatur 68 Seiten, Düsseldorf: Patmos Verlag, 2008, Euro 7,95 Der Text von Eugen Drewermanns vorliegendem Buch erschien zu allererst im Jahre 1989 im Walter-Verlag als Nachtrag seines Werkes „Ich steige hinab in die Barke der Sonne. Meditationen zu Tod und Auferstehung“. Ein Jahr später veröffentlichte der Verlag eine Auskoppelung dieses Nachtrags unter dem gegenüber dem Originaltext leicht veränderten Titel Über die Unsterblichkeit der Tiere. Hoffnung für die leidende Kreatur, mit einem Geleitwort der 2002 verstorbenen deutschen Schriftstellerin Luise Rinser. Knapp zwanzig Jahre später liegt nun eine Neuauflage des schmalen Bandes vor. Die Fassung von 2008 unterscheidet sich von jener von 1990 kaum. Nur das statistische Material über die Zahl der Tiere in Massentierhaltung und Laborversuchen wurde aktualisiert: In der Neuausgabe müssen nach Drewermann beispielsweise „jährlich ca. 100 Millionen Tiere … aller nur erdenklichen Arten jedes Jahr ihr Leben für ebenso sinnlose wie grausame Experimente lassen“ (28f.), in der Ausgabe von 1990 waren es immerhin noch ca. 300 Millionen Tiere. Drewermann kommt unzweifelhaft das Verdienst zu, die Tiervergessenheit des Christentums wie kein anderer zeitgenössischer Theologe im deutschsprachigen Raum seit zwei Jahrzehnten lautstark und leidenschaftlich kritisiert und einen barmherzigen Umgang mit der nichtmenschlichen Schöpfung eingemahnt zu haben. Der vorliegende Band ist ein klares Zeugnis dafür. Drewermann wirft darin der katholischen Kirche vor, mit ihrer Einstellung zur menschlichen Geburtenkontrolle – d.h. ihrem Verbot künstlicher Antikonzeptiva – in Kauf zu nehmen, dass Lebensraum und Vielfalt von Tier- und Pflanzenarten durch die menschliche Überbevölkerung rücksichtslos reduziert werden. Er legt dar, dass es der christlichen Theologie bis heute nicht gelungen sei, „sich mit dem evolutiven Weltbild der modernen Naturwissenschaft anzufreunden“ (30, Hervorhebung im Original), und dass sie immer noch eine einseitige Anthropozentrik vertrete, wonach „die ganze Schöpfung dem Menschen zu dienen“ (28) hat. Einen wesentlichen Beitrag zu dieser Abwertung der Tiere hat nach Drewermann die christliche Lehre von der Unsterblichkeit der Seele geleistet. Denn die grundlegende Bedingung für die bei uns übliche Tierausbeutung liege „in dem christlichen Glaubenssatz, dass allein der Mensch ein unsterbliches Leben besitzt, während die Tiere nichts sind als verbrauchbares Material zum Nutzen des Menschen als des Herrn der Schöpfung in Zeit und Ewigkeit“ (28). Drewermann plädiert dafür, Immanuel Kants Postulat von der Unsterblichkeit der Seele auf die Tiere auszuweiten: Die Tiere müssten als unsterblich vorgestellt werden, damit sie als Träger eigener Rechte im Jenseitsgericht die menschliche Rücksichts63 13.12.2009 15:45:27 Uhr Literaturbericht losigkeit ihnen gegenüber bezeugen können. Er unterstreicht und illustriert diese Forderung mit dem Hinweis auf die ägyptische Mythologie, für die die Tiere als Botschafter oder Verkörperungen des Göttlichen galten und ihre Misshandlung als Sünde. Folgerichtig stand den Tieren zu, Menschen wegen ihrer Verstöße gegen die Achtung der Tiere im Jenseits anzuklagen. Drewermanns Buch ist vorrangig paränetischer Natur. Es stellt eine eindrucksvolle, engagierte ethische Mahnrede dar, die die ungezähmte Anthropozentrik christlicher Dogmatik und Moral anklagt und zu überwinden versucht. Ob das allerdings dadurch gelingen kann, dass man die theologisch hochkomplexe Lehre von der so genannten „Unsterblichkeit der Seele“ auf die Tiere ausdehnt, bezweifle ich, allein schon aus dem pragmatisch-religionssoziologischen Grund, dass diese Glaubenslehre das Bewusstsein heutiger Christinnen und Christen nicht mehr zentral prägt. Spekulative dogmatische Überlegungen zur Unsterblichkeit von Tierseelen durch die Ausweitung von Kants Postulat der Unsterblichkeit von Menschenseelen zu untermauern, ist zudem nur für jene hilfreich, die Kants ursprüngliche Ausführungen verstehen und für überzeugend halten. Dem Text hätte eine gründlichere Überarbeitung und Aktualisierung gut getan: Seit seiner Ersterscheinung vor zwanzig Jahren hat sich im Bereich der theologischen Tierethik einiges getan. Der Hinweis auf Joseph Bernhardt, Francis Jammes und auf den (dem Katholizismus zugeneigten) Juden Franz Werfel als führende Vertreter einer konkurrierenden tierfreundlichen Minderheitstradition erscheint doch ziemlich lückenhaft, und die angeführten Textauszüge klingen sprachlich antiquiert (z.B. Werfels Ode von den leidenden Tierchen [sic!]). Zu guter Letzt eine kurze Bemerkung zu Luise Rinsers Geleitwort: Auch hier steht Wichtiges und Richtiges. Aber Rinsers Behauptung „Hindus und Buddhisten essen kein Fleisch …, weil sie wissen, dass auch im Tier ‚Atman‘ ist: der göttliche Hauch“ (13), ist eindeutig falsch und das in zweifacher Hinsicht: Zahlreiche Hindus und Buddhisten essen Fleisch (sogar der Dalai Lama ist kein strenger Vegetarier), und die Lehre von „Atman“ ist zwar für den Hinduismus zentral, wird aber vom Buddhismus abgelehnt. Kurt Remele 5 Rechtsfragen und Rechtsentwicklung 5.1 Gieri Bolliger, Antoine F. Goetschel, Michelle Richner und Alexandra Spring: Tier im Recht transparent 559 Seiten, Zürich, Basel, Genf: Schulthess Juristische Medien AG, 2008, CHF 49,00 Heimtierhaltung ist keine reine Privatangelegenheit, sondern hat eine gesellschaftliche und zunehmend auch juristische Bedeutung. So steht denn auch im Zentrum der neuen Schweizer Tierschutzgesetzgebung die Verantwortung der Tierhalter für die ihnen anvertrauten 64 031-071-AltexLiteraturb.indd 64 Tiere. Von ihnen wird verlangt, dass sie die natürlichen Ansprüche und Bedürfnisse ihrer Tiere kennen. Um das zum 1. September 2008 in Kraft getretene vollständig überarbeitete Schweizer Tierschutzrecht bekannt und für alle, die mit Tieren umgehen, auch anwendbar zu machen, hat die Stiftung für das Tier im Recht (TIR) einen universellen Ratgeber zur Heimtierhaltung herausgegeben. In einem breit angelegten ersten Kapitel wird der Leser behutsam an die Grundfragen Was ist Tierschutz? Was versteht man unter Tierschutzrecht? Was sind seine Leitprinzipien? etc. herangeführt. Hier erfährt der Leser zum Beispiel, dass Hamster und Meerschweinchen nach der Einteilung des Tierschutzrechtes als nicht domestiziert und damit als Wildtiere gelten. Komprimiert und dennoch leicht verständlich verschafft das Buch einen Überblick über das ethisch ausgerichtete Schweizer Tierschutzrecht, seine Neuerungen, Leitprinzipien, Ziele, Zuständigkeiten, Stärken und Schwächen. Verweise auf Unterschiede z.B. zum deutschen Tierschutzrecht, in welchem die Tötung eines Wirbeltieres ohne vernünftigen Grund strafbar ist und der Geltung internationalen Tierschutzrechts stellen den Bezug zum europäischen Tierschutzrecht her. In einem eigenen Abschnitt (Kap. 1.2.2.) wird die ausdrückliche Aufnahme des Schutzes der Tierwürde als eine der tragenden Säulen im Schweizer Tierschutzrecht thematisiert. Dieses allgemeine Verfassungsprinzip, das zu achten das Bundesverfassungsgericht dem Bund bereits seit 1992 im Hinblick auf Missbräuche in der Gentechnologie auferlegt worden ist, wird von den Autoren mit kritischen Bildern vermenschlichter Tierdarstellungen unterlegt. Sie drücken besser als viele Worte aus, weshalb die Würde des Tieres als Eigenwert im Umgang mit ihm zu achten ist. Eingriffe in die Würde der Tiere werden künftig – vergleichbar dem vernünftigen Grund nach deutschem Recht – im Wege einer Güterabwägung im Einzelfall nach ihrer Rechtfertigung zu bewerten sein. Geschützt sind alle Tiere als Mitgeschöpfe in ihrem Selbstzweck, weshalb es nun verboten ist, sie bloß als Mittel für menschliche Zwecke zu verwenden. Tiefgreifende Eingriffe in ihr Erscheinungsbild, Erniedrigungen und Instrumentalisierungen bedeuten eine Würdemissachtung und werden durch eine neu eingeführte Strafbestimmung wie andere Tierquälereien bestraft. Auswüchse in der Tierzucht oder sexuell motivierte Handlungen sind seit September 2008 sogar expressis verbis verboten. Als weitere Neuerungen des Schweizer Tierschutzrechts wird auf die konkreter festgelegten Bestimmungen zur Haltung von Katzen, Pferden, Schafen, Ziegen, Fischen und Panzerkrebsen sowie den Mindestanforderungen für die erlaubnisfreie Haltung von Wildtieren in privater Hand (Hamster, Chinchillas, Wellensittiche, Kanarienvögel oder Koifische) verwiesen. Das Sozialleben und die Bewegungsbedürfnisse der Tiere werden nun stärker berücksichtigt. Neben Informationen über differenzierte Übergangsvorschriften und Sachkundenachweise oder die Pflicht der gewerblichen Tierverkäufer, den Erwerber eines Tieres nun schriftlich über die Bedürfnisse und Haftungsansprüche der Tiere aufzuklären, wird der Leser darüber informiert, dass das Bundesamt für Veterinärwesen mit Merkblättern und über die neu geschaffene Website www.tiererichtighalten.ch viel Praxiswissen über die richtige Haltung verschiedener Heim-, Nutz- und Wildtierarten bereithält. Im zweiten Teil des ersten Kapitels wird anhand von Beispielsfällen dargestellt, wann von einer Misshandlung zu sprechen ist, Altexethik 2009 13.12.2009 15:45:27 Uhr Literaturbericht wie Tierquälereien und andere Tierschutzdelikte bestraft werden, welche Geldbußen durchschnittlich ausgesprochen wurden, wie der behördliche Vollzug des Tierschutzrechtes aussieht und welche Aufgaben der Tieranwalt wahrnimmt. Nach diesen „allgemeinen Erläuterungen“ handeln die Kapitel 2 bis 15 alle relevanten Problemkreise rings ums Tier ab. Dies beginnt mit den Vorüberlegungen vor dem Erwerb eines Heimtieres, den Pflichten als Tierhalter, Haftungs- und Versicherungsfragen, Zucht und Handel mit Heimtieren, Eigentumsfragen, Mietrechtsund Nachbarschaftsfragen, Tiere am Arbeitsplatz, Tiere auf Reisen und im Straßenverkehr, Tiere im Sport, beim Tierarzt, Tiere aus dem Tierheim, Probleme mit Wildtieren, und dem Thema Tierheim bis hin zu Fragen über den Tod des Tieres und seine legale, würdevolle Bestattung. Auch heikle Themen wie der in einzelnen Regionen praktizierte Verzehr von Hunde- und Katzenfleisch oder sexuell motivierte Handlungen mit Tieren (Zoophilie und Zoosadismus) werden dabei nicht ausgespart. Zahlreiche wissenswerte Tipps, wie das Recht auf Arbeitsfreistellung wegen unaufschiebbaren Pflegemangels am Haustier oder Informationen über einen Fonds der Schweizer Tierärzte für die Behandlungskosten von Findeltieren, sind nicht nur hochinteressant, sondern regen zur Nachahmung auch in Deutschland an. Auf weit über 500 Seiten gelingt es dem durchweg aus Juristen bestehenden Autorenteam ganz ohne Nennung von Gesetzesartikeln ihr enormes Fachwissen über die Mensch-Tier-Beziehung, insbesondere über die juristischen Aspekte und Folgen menschlichen Handelns anhand von Beispielfällen aus der Beratungspraxis der TIR kurzweilig und laienverständlich darzustellen und Lösungen anzubieten. Wo eine unstreitige Konfliktlösung nicht mehr möglich ist, werden Ratschläge für die behördliche oder gerichtliche Rechtsverfolgung (Kapitel 1.3/1.4 und Kapitel 15) erteilt. Das Nachschlagewerk wird abgerundet durch einen farblich abgesetzten Infoteil mit wichtigen Adressen und Links zu den Vollzugsbehörden, Meldestellen für Findeltiere, Heimtierdatenbanken, Tierschutzorganisationen, Tierversicherungen etc. Sinnvolle Hilfsmittel sind die Mustervorlagen im Anhang, wovon insbesondere der ausführliche Kaufvertrag über ein Tier, die Vereinbarung zur Heimtierhaltung als Anlage zum Wohnraummietvertrag sowie eine Checkliste für eine Strafanzeige wegen Tiermisshandlung besonders hervorzuheben sind. Mit einer modernen Aufmachung, klaren Struktur, optisch gekennzeichneten Merksätzen und Praxistipps ergänzt durch anschauliches Bildmaterial wird jedem Leser ein umfassender, keineswegs spröder Durchgang durch die komplexen ethischen und juristischen Probleme, die bei der Tierhaltung erwachsen, ermöglicht. Dass bei der Darstellung der Tierschutzrechtslage gänzlich auf Gesetzestexte verzichtet wurde, ist kein Manko, da anhand von zahlreichen Verweisen und Links dem interessierten Leser der Zugang zu den Rechtsvorschriften, weiterführenden Erkenntnisquellen oder Interessensvertretungen laufend im Text zur Verfügung gestellt werden. Das als Praxishandbuch gedachte Nachschlagewerk richtet sich nicht nur an Heimtierhalter, zumal viele Ausführungen auch auf Zoo- und Nutztiere übertragbar sind. Mit dem zu recht gewählten Titel ist das Buch in seiner Art im deutschsprachigen Raum einzigartig und für jeden am Tierschutz Interessierten absolut empfehlenswert. Roman Kolar Altexethik 2009 031-071-AltexLiteraturb.indd 65 5.2 David Favre: Animal Law: Welfare, Interests, and Rights 520 Seiten, USA: Aspen Publications, 2008, Euro 40,99 David Favre, der seit mehr als 30 Jahren Tierrecht, Artenschutzrecht und Vermögensrecht am College of Law der Michigan State University lehrt und eine der umfangreichsten Internetressourcen zum Thema Tierrecht ins Leben gerufen hat (http://www. animallaw.info/), legt ein umfangreiches Kompendium vor, das sich mit dem Tier in der US-amerikanischen Rechtsordnung befasst. Obwohl der Autor ausdrücklich auch den interessierten Laien ansprechen möchte, ist das als Casebook konzipierte Werk in erster Linie ein Lehr- und Lernbehelf für Studenten der „animal law courses“, die aus dem Lehrangebot amerikanischer Universitäten nicht mehr wegzudenken sind. An Hand von Rechtsnormen und Einzelfallentscheidungen amerikanischer Gerichte werden verschiedene Tierschutzprobleme wie das Aussetzen und Vernachlässigen von Tieren, Tierkämpfe und Animal Hoarding, aber auch die Haftung von Tierärzten und verfahrensrechtliche Hürden, wie z.B. die eingeschränkte Klagelegitimation in Tierschutzfällen, behandelt. Das Hauptinteresse des Autors gilt jedoch der Rechtsstellung des Tieres im Zivilrecht, das dem Tier nach wie vor Sachstatus zuschreibt und es folglich ermöglicht, Eigentum an Tieren zu begründen. Das für das Rechtssystem zentrale Organisationsprinzip des Eigentums prägt die Rechtsbeziehung zwischen Mensch und Tier und steht gleichzeitig in einem unauflösbaren Spannungsverhältnis zum Konzept des tierlichen Eigenwerts („intrinsic value“) und zur Anerkennung des Tieres als empfindungsfähiges Lebewesen („sentient being“, „Mitgeschöpf“). Obwohl das Eigentumsrecht an Tieren bereits in den geltenden (US-amerikanischen wie europäischen) Rechtsordnungen eine Reihe von Einschränkungen erfährt, die der Besonderheit von Tieren als leidensfähige, aber auch als potentiell gefährliche Lebewesen Rechnung trägt (z.B. Tierschutzrecht, Vorschriften zur Gefahrenabwehr im Sicherheitspolizeirecht), wäre eine formalrechtliche Klärung der Rechtsstellung von Tieren im Sinne der Beseitigung normativer Widersprüche zwischen verschiedenen Rechtsmaterien wünschenswert, wie auch die von Favre vorgestellten Fallbeispiele aus dem Scheidungs-, Erb- und Schadenersatzrecht zeigen. Die gänzliche Beseitigung des Sachstatus von Tieren hält Favre jedenfalls derzeit für unrealistisch. Im Unterschied zu E. Eadie (vgl. die Besprechung der Studie „Animal Suffering and the law“ in diesem Heft) plädiert Favre für eine mit der Rechtsordnung kompatible Neudefinition des Rechtsstatus von Tieren. Der veränderte gesellschaftliche Stellenwert der Tiere erfordert es nach Auffassung des Autors, neben dem Eigentum an (unbelebten) Sachen und dem Eigentum an Immaterialgütern (z.B. geistigem Eigentum) Tiere als Eigentumskategorie sui generis („living property“) anzuerkennen: „The category of living property is easily distinguished from the other property categories as physical, moveable living objects – not human – that have an inherent self interest in their 65 13.12.2009 15:45:28 Uhr Literaturbericht continued well-being and existence.“ (36) Im amerikanischen Caselaw, dem besondere Bedeutung für die Weiterentwicklung der Rechtsordnung zukommt, wurden bereits 1979 Überlegungen in diese Richtung angestellt: „This court now overrules prior precedent and holds that a pet is not just a thing but occupies a special place somewhere in between a person and a piece of personal property.” (136) Durch das Tierschutzrecht erfährt die freie Verfügungsbefugnis des Eigentümers, die das Eigentumsrecht charakterisiert, mehr oder weniger marginale Einschränkungen. Die Geschichte der US-amerikanischen Tierschutzgesetzgebung geht auf die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück; wie in Europa war das historische Tierschutzrecht der USA zunächst auf wenige, ökonomisch wertvolle Tierarten sowie auf den Schutz dieser Tiere vor Übergriffe durch Dritte beschränkt. Die amerikanische Tierschutzgesetzgebung weist jedoch bis heute Einschränkungen ihres Geltungsbereiches auf, die vor dem Hintergrund der europäischen Rechtsentwicklung unverständlich erscheinen: So nehmen sowohl die Tierschutzgesetze der amerikanischen Bundesstaaten als auch der Federal Animal Welfare Act nicht nur Jagd bzw. Fischerei und Schädlingsbekämpfung, sondern auch die Haltung landwirtschaftlicher Nutztiere („farming or a generally accepted animal husbandry or farming practice involving livestock“) aus ihrem Geltungsbereich aus. In diesem Zusammenhang stellt sich freilich nicht nur die Frage nach der sachlichen Rechtfertigung dieser Ausnahme, sondern auch nach ihrer Notwendigkeit: „[…] is it really necessary to impose cruel conditions on agricultural animals in order to raise food animals? If the answer is no, then why is there a blanket exemption for farming practices?” (242) Wie E. Eadie betont auch Favre, dass der Schutz der Tiere in der Europäischen Union besser gewährleistet wäre als in den USA: „The laws of the European Union are much more protective of the interests of animals“. (311) Dieses Pauschal-urteil, das sich keineswegs auf einen inhaltlichen Vergleich der Tierschutzstandards stützt, bedarf aus europäischer Perspektive freilich einer Differenzierung: So unterliegen z.B. die Hühnermast als landwirtschaftliche Nutzung von Tieren nicht dem amerikanischen Tierschutzrecht, doch werden Mindestanforderungen an die Hühnermast – ähnlich wie bis vor kurzem auch in Deutschland – durch brancheninterne Vereinbarungen definiert (vgl. 301f.). Vergleicht man die durch das National Chicken Council, der Vereinigung US-amerikanischer Hühnermäster, festgelegten höchstzulässigen Besatzdichten mit dem Mindestplatzangebot der Masthühner-Richtlinie, so wird man feststellen, dass den in der EU gemästeten Broilern kaum mehr Bewegungsfreiheit zugestanden wird als ihren amerikanischen Art- bzw. Leidensgenossen. Da die Rechtsordnung auf der moralischen Überzeugung der Gesellschaft beruht bzw. einen Minimalkonsens dieser Überzeugung darstellt, muss zunächst geklärt werden, welcher moralische Status eine Gesellschaft den nicht-menschlichen Tieren zuschreibt. Wie weit die Meinungen in dieser Frage auseinander gehen, zeigen die Forderungen der Tierrechtsbewegung, gegen die auch in den USA mit den Mitteln der Terrorismusbekämpfung vorgegangen wird. Den 2006 in den USA verabschiedeten „Animal Enterprise Terrorism Act“ kommentiert der Autor 66 031-071-AltexLiteraturb.indd 66 nicht; er stellt lediglich die Frage in den Raum, welche Interessen ein solches Gesetz wohl zu schützen berufen sei ... Das vorliegende Werk, das durch die Materialfülle beeindruckt, Leser mit geringen Vorkenntnissen aber wohl z.T. auch überfordert, wirft zahlreiche, mitunter provokante und irritierende Fragen auf: „Is it degrading for nonhuman animals to be considered human property?“ (95) oder „What might the animal-human relationship be in 50 years?“ (101) Das Buch ermuntert den Leser, unter subtiler Anleitung des Autors die Stellung des Tieres im historisch gewordenen Rechtssystem kritisch zu reflektieren und eigene Perspektiven bzw. Lösungsansätze zu entwickeln. Gerichte und Behörden schenken Fällen, in denen Interessen von Tieren auf dem Spiel stehen, im Allgemeinen wenig Aufmerksamkeit (vgl.35). Daran wird sich nur dann etwas ändern, wenn tierrelevante Rechtsmaterien und Fragestellungen nachhaltig Eingang in die Studienpläne der rechtswissenschaftlichen und veterinärmedizinischen Ausbildungsstätten finden, das Bewusstsein der künftigen Entscheidungsträger für die spezifischen Probleme geschärft und die Klage- bzw. Beschwerdelegitimation in Angelegenheiten des Tierschutzes erweitert wird. Bücher wie das vorliegende können dazu einen entscheidenden Beitrag leisten. Regina Binder 5.3 Edward N. Eadie: Animal suffering and the law: national, regional, and international 280 Seiten, West Lakes, South Australia: Seaview Press, 2009, $ 39,00 Der Wirtschaftswissenschafter und Jurist Edward N. Eadie, der es sich zum Ziel gesetzt hat, das Tierleid sowohl mit den Mitteln des Rechts als auch durch Information und Bewusstseinsbildung zu verringern (Umschlagtext), legt ein Übersichtswerk über das Tierschutzrecht auf internationaler Ebene und in ausgewählten nationalen Rechtsordnungen vor. Der Autor gibt einen Überblick über allgemeine Begriffe des Tierschutzes und Tierschutzkonzepte, behandelt die Entwicklung der Tierschutzgesetzgebung und thematisiert die Rolle internationaler Organisationen (z.B. der World Organisation for Animal Health, OIE) sowie der NGOs bei der Verbesserung des Tierschutzes. Neben der australischen Tierschutzgesetzgebung geht der Autor auch auf Tierschutzregelungen in Neuseeland, den USA und in der Europäischen Union ein. Schließlich enthält der Band ein Kapitel über verschiedene Regelwerke (Codes of Practice), die als „accepted standards of animal management“ für den Umgang mit Tieren vielfach von großer praktischer Bedeutung sind, aber nur selten thematisiert werden. Was die Stellung des Tieres im Recht betrifft, so weist Eadie unter Bezugnahme auf die einschlägigen Arbeiten des amerikaAltexethik 2009 13.12.2009 15:45:28 Uhr Literaturbericht nischen Rechtswissenschafters G. Francione und übereinstimmend mit D. Favre (vgl. die Besprechung des Bandes „Animal Law“ in diesem Heft) darauf hin, dass die Defizite im Bereich des Tierschutzes ursächlich auf den Umstand zurückzuführen sind, dass Tiere im rechtlichen Sinn als Sachen gelten (oder, wie z.B. nach dem deutschen und österreichischen Zivilrecht, in aller Regel wie solche zu behandeln sind). Eine Änderung bzw. Aufwertung des rechtlichen Status der Tiere wäre daher eine grundlegende Bedingung für eine systemische Verbesserung ihres Schutzes. Obwohl die Rechtsordnung die Rechtspersönlichkeit keineswegs ausschließlich Menschen vorbehält, sondern sie z.B. auch bestimmten Körperschaften zuerkennt, stellt der Autor zu Recht fest, dass die Umsetzung der Forderung, (bestimmten) Tieren Rechtspersönlichkeit zuzuerkennen schon auf Grund der weitreichenden ökonomischen und sozialen Konsequenzen als unrealistisch bezeichnet werden muss. Im Unterschied zu D. Favre, der zwar ebenfalls diese Auffassung vertritt, aber dennoch eine moderate Neudefinition des Rechtsstatus der Tiere für erstrebenswert hält, spricht sich Eadie dafür aus, die Nutzung von Tieren zu bestimmten Zwecken zu verbieten und damit anzuerkennen, dass einige Interessen von Tieren nicht gegen menschliche Interessen aufgewogen werden dürfen (35). Die Praxis zeigt nämlich, dass sich die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes „unnötiges“ bzw. „vermeidbares“ Leiden („unnecessary suffering“) als zentrale Schwierigkeit in der Umsetzung bzw. Anwendung des Tierschutzrechts erweist. Zumeist wird ein Rechtfertigungsgrund in Gestalt „notwendiger“ oder „unvermeidbarer“ Leidzufügung bereits dann bejaht, wenn daraus nur irgendein Nutzen für den Menschen generiert wird oder auch nur zu erwarten ist (34). Die Einbeziehung deontologischer, d.h. ausnahmslos geltender und folglich unverhandelbarer Grenzen der Tiernutzung bzw. der Schmerz- bzw. Leidzufügung ist als Ergänzung eines grundsätzlich auf einer Interessenabwägung basierenden Regulativs äußerst wünschenswert, da sie der Tiernutzung deutlich sichtbare, aber gleichzeitig durchaus gesellschaftsverträgliche Grenzen auferlegt. Die Bedeutung wissenschaftlicher Erkenntnisse über Biologie, Verhalten und Bedürfnisse von Tieren für die Weiterentwicklung des (rechtlichen) Tierschutzes ist heute unbestritten. Da der Begriff der Wissenschaftlichkeit gerade im Hinblick auf Forschungsarbeiten im Bereich des Tierschutzes häufig auf die Sammlung und Auswertung mess- bzw. wägbarer Daten und Fakten verengt wird (z.B. Stressbeurteilung durch Messung des Cortisolspiegels), plädiert Eadie für einen weiten Wissenschaftsbegriff: „[…] the scientific community [should] become more receptive to anecdotal evidence and anthropomorphic interpretation as important factors in appreciating animal capacities“ (22). Ein ausschließlich positivistischer Wissenschaftsbegriff wird dem Tier als ganzheitliches Lebewesen nicht gerecht; dem Autor ist daher darin zuzustimmen, dass auch systematisch gesammelte anekdotische Berichte über Tiere und ihre Verhaltensweisen einen Erkenntniszuwachs bedeuten können, was auch Verhaltensforscher wie D. R. Griffin, J. M. Masson und zum Teil auch M. Bekoff zeigen. Skepsis scheint allerdings gegenüber der Forderung nach einer anthropomorphen Betrachtung der Tiere angebracht, da durchAltexethik 2009 031-071-AltexLiteraturb.indd 67 aus auch die wohlmeinende Vermenschlichung nichtmenschlicher Lebewesen zu einer Verkennung und Missachtung ihrer autochthonen Bedürfnisse führen kann. Im Gesamtzusammenhang des – pathozentrisch ausgerichteten – Tierschutzrechts kommt dem Begriff „sentient being” („empfindungsfähiges Lebewesen“, „Mitgeschöpf“), der sowohl im Tierschutzprotokoll zum Vertrag von Amsterdam als auch in einzelnen nationalen Tierschutzgesetzen Europas anzutreffen ist, große Bedeutung zu. Grundsätzlich ist Eadie beizupflichten, wenn er daraus schließt, dass das Tierschutzprotokoll ein günstigeres politisches Klima zur Durchsetzung von Verbesserungen im europäischen Tierschutzrecht erwarten lasse (24f.). Hingegen vermisst man den Hinweis, dass sich dieses, immerhin dem Primärrecht zugehörige Dokument bislang kaum positiv auf die Qualität der tierschutzrelevanten Rechtsakte der Europäischen Union ausgewirkt hat, wie etwa das Beispiel der Richtlinie 2007/43/EG (sog. „MasthühnerRichtlinie“) zeigt. Umso mehr erstaunt es, wenn Eadie das Tierschutzprotokoll als „remarkable progress achieved in EC law“ (136) bezeichnet. In der aktuellen Tierschutzdiskussion wird dem Erfordernis eines auf freiwilligem Verhalten des Einzelnen basierenden präventiven Tierschutzes häufig größere Bedeutung beigemessen als dem rechtlichen Tierschutz, der Regelverletzungen mit staatlichen Zwangsmitteln sanktioniert. Erfreulicherweise betont Eadie nachdrücklich, dass Erziehung bzw. Information einerseits und Gesetzgebung andererseits gleich wichtige und gleichberechtigte Strategien auf dem Weg zu Verbesserungen des Tierschutzes darstellen. Dem ist uneingeschränkt beizupflichten. Die Bevölkerung wird nur dann öffentlichen Druck erzeugen, wenn ihr Bewusstsein für Tierschutzprobleme geschärft wird. Öffentlicher Druck aber ist der Motor für Fortschritte im Bereich des Tierschutzes, wie R. Garner in seiner politikwissenschaftlichen Untersuchung „Political Animals“ (1998) aufgezeigt hat. Für die Weiterentwicklung des rechtlichen Tierschutzes sind daher die „Three Ps – public, press and parliament“ – Öffentlichkeit, Medien und Gesetzgeber – von entscheidender Bedeutung (46). Insgesamt macht das Buch einmal mehr die Vielschichtigkeit der Fragestellungen, die sich rund um das Thema des Tierschutzrechts stellen, deutlich: „The provision of adequate and effective legal protection for animals against suffering inflicted by humans involves a great diversity of related issues and is enormously complex.“ (241). Es enthält zahlreiche interessante und im deutschsprachigen Raum z.T. auch wenig bekannte Detailinformationen; insgesamt ist es aber leider ein wenig überfrachtet und unübersichtlich geraten, sodass die Orientierung dem Leser nicht immer leicht fällt. Etwas weniger wäre in diesem Fall mehr gewesen! Regina Binder Literatur Francione, G. (1995). Animals, Property, and the Law. Philadelphia: Temple University Press. Garner, R. (1998). Political Animals: Animal Protection Politics in Britain and the United States. Basingstoke, Hampshire: Palgrave Macmillan. 67 13.12.2009 15:45:28 Uhr Literaturbericht 5.4 Dominik Lang: Sodomie und Strafrecht: Geschichte der Strafbarkeit des Geschlechtsverkehrs mit Tieren 266 Seiten, Frankfurt am Main: Peter Lang Verlag, 2009, Euro 45,50 Sexuelle Handlungen mit Tieren bilden seit Urzeiten einen festen Bestandteil fast aller Kulturen und Religionen und gelten daher als Urphänomene der menschlichen Gesellschaft. Dennoch löst die Vorstellung entsprechender Kontakte heute meist ein Gefühl der Befremdung bis hin zu Abscheu aus. Im Altertum und der Frühzeit oftmals akzeptiert, wird Geschlechtsverkehr mit Tieren – der auch als Sodomie, Bestialität oder Zoophilie bezeichnet wird – heutzutage weitgehend tabuisiert. Vor dem Hintergrund dieses widersprüchlichen Denkens zeigt Dominik Lang in seiner von der Universität Tübingen abgenommenen juristischen Dissertation die Entwicklung des Tatbestands der Sodomie und dessen Auslegung im Gebiet des heutigen Deutschlands auf. Rechtsvergleichend betrachtet der Autor dabei auch die entsprechende Entwicklung in anderen Regionen Europas, wobei er sich insbesondere auf die Analyse des Strafgrunds und die Form der Strafe innerhalb der verschiedenen Epochen und Rechtsgebiete konzentriert und diese auf ihren jeweiligen Ursprung zurückführt. Nach einer Übersicht über den kulturgeschichtlichen Stellenwert des Themas, in deren Rahmen der Autor aufzeigt, wie sexuelle Vereinigungen von Menschen, Tieren und Göttern in etlichen Sagen, Mythen, Legenden und Märchen vorkommen, führt er den Leser auf eine ausführliche Tour d̓horizon über die Strafbarkeit der Sodomie in Europa, indem er nacheinander die verschiedenen Rechtsordnungen von der Antike über das Hoch- und Spätmittelalter bis in die Neuzeit analysiert. Die sorgfältige Untersuchung zeigt auf, wie die Ursprünge der Strafbarkeit des Geschlechtsverkehrs mit Tieren bereits im Alten Testament liegen (das die Tat mit der Steinigung des menschlichen Täters und der Tötung des betroffenen Tieres bedroht), während weder die Hochkulturen Vorderasiens und Ägyptens noch die alten Griechen und Römer oder die heidnischen Germanen, Kelten und Slawen darin eine strafbare Handlung sahen. Der mosaische Gesetzgeber nahm die Sodomie (neben anderen Sexualdelikten) in seinen Strafkatalog auf, um das Volk „rein“ zu halten und gegenüber den übrigen „unreinen“ Völkern abzugrenzen. Dieses Motiv der Identitätsstiftung wurde dann vom frühen Christentum wieder aufgenommen und die Sodomie über die Jahrhunderte hinweg mehr und mehr zur am härtesten geahndeten Sünde erklärt, deren Verdammungswürdigkeit sich tief ins christliche Bewusstsein des ersten Jahrtausends setzte. In der Neuzeit dehnte sich der Tatbestand dann zunehmend von sexuellen Handlungen mit Tieren auch auf weitere Handlungen aus, wobei unter anderem Homosexualität, Analverkehr, Masturbation, Beischlaf mit NichtChristen, Leichenschändung, Teufelsbuhlschaft oder Verkehr mit Statuen strengstens bestraft wurden. Die Form der Strafe lag zunächst über viele Jahrhunderte in kirchlichen Bussen, sodann – mit räumlich und zeitlich fliessenden 68 031-071-AltexLiteraturb.indd 68 Übergängen – für bis zu 1000 Jahre vor allem im Verbrennen des Täters, wobei das missbrauchte Tier – insbesondere aus Furcht vor der Entstehung von Mischwesen sowie zur Löschung der Erinnerung an die Tat – in der Regel ebenfalls verbrannt wurde. Erst in der Neuzeit wich der Feuertod schliesslich „milderen“ Sanktionen wie der Enthauptung oder arbiträren Strafen und schliesslich stetig abnehmenden Zuchthaus- oder Gefängnisstrafen. Um 1800 entstand allmählich eine Kluft zwischen dem romanischen Rechtsraum, in dem die Sodomie bis spätestens Ende des 19. Jahrhunderts infolge der fortschreitenden Säkularisierung der Religionsverbrechen für straflos erklärt wurde, und dem nordisch-germanisch-angelsächsischen Sprachraum, dessen Staaten bis weit ins 20. Jahrhundert an der Strafbarkeit festhielten. Veränderungen sind über die Jahrhunderte hinweg allein hinsichtlich Form und Grund der Bestrafung sowie im Hinblick auf das Geschlecht der Täter zu bemerken, weil eine Vielzahl von Gesetzen zwar die männliche, nicht jedoch die weibliche Sodomie unter Strafe stellte. Abschliessend liefert der Autor einen Überblick über die Strafbarkeit der Sodomie in der heutigen Zeit. Während die Handlung innerhalb Europas nur noch in England, Wales und Nordirland strafrechtliche Konsequenzen hat, haben alle anderen Staaten die Strafbarkeit aufgehoben. Dabei fällt auf, dass der generelle Schutz der missbrauchten Tiere – ausser in jenen Fällen, in denen eigentliche Tierquälereien vorliegen, d.h. den Tieren erhebliche körperliche Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden – nach wie vor kein Thema zu sein scheint. Eine bedeutsame Ausnahme hiervon, die Langs Arbeit bereits bei ihrem Erscheinen nicht mehr ganz aktuell bleiben lässt, darf an dieser Stelle nicht unerwähnt werden: Nach vielen Jahrzehnten der grundsätzlichen Straflosigkeit hat der Schweizer Gesetzgeber sexuelle Handlungen mit Tieren nämlich wieder unter Strafe gestellt, indem das nationale Tierschutzrecht Zoophilie seit September 2008 ausführlich verbietet. Der Grund hierfür liegt nicht in religiösen Überlegungen. Die Strafbarkeit ist vielmehr ein Aspekt des Schutzes der Tierwürde, die in der Schweiz sowohl in der Verfassung als auch im Tierschutzgesetz verankert ist. Für die Strafbarkeit ist es daher nicht relevant, ob einem betroffenen Tier im Rahmen der Tat auch physische Schmerzen oder Schäden zugefügt werden oder nicht. Dieser kleine Makel tut jedoch der Tatsache keinen Abbruch, dass Langs Dissertation einen sehr wichtigen Beitrag zur rechtshistorischen Aufarbeitung des Themas bedeutet. Dem Autor ist es vorzüglich gelungen aufzuzeigen, wie das Unrechtsbewusstsein hinsichtlich sodomitischer Handlungen stets von gesellschaftlichen Anschauungen abhing, die massgeblich durch den Wandel der sozialen und religiösen Strukturen geprägt wurden. Damit hat er die geschichtliche Entwicklung des Tatbestands der Sodomie vor allem in den Kontext von Kultur- und Sozialgeschichte gesetzt und damit grössere Zusammenhänge verdeutlicht, was in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung bislang mehrheitlich unterblieben ist. Um „nicht ein rein theoretisches Geschichtsbild entstehen zu lassen“ (19), prüft der Autor zudem auch immer wieder die Umsetzung der jeweiligen Strafnormen in der Praxis. Gesamthaft liegt eine sehr sorgfältige Auseinandersetzung mit der Materie vor, die nicht nur durch ihre minutiöse Quellenarbeit und einen entsprechend umfassenden Fussnotenapparat besticht, sondern interdisziplinär sowohl rechtshistorische, als auch religions- und sozialgeschichtliche Aspekte gebührend berücksichtigt. Altexethik 2009 13.12.2009 15:45:29 Uhr Literaturbericht Dominik Lang liefert mit seiner Arbeit einen wertvollen Beitrag zu einer traditionell heiklen Fragestellung. Ausserdem überzeugt sie durch einen klaren Aufbau, sprachliche Sicherheit und die Gründlichkeit der Aufarbeitung der einzelnen Teilaspekte. Sie ist in Inhalt und Sprache anspruchsvoll, dennoch aber gut lesbar und – was angesichts des Themas keine Selbstverständlichkeit ist – wohltuend sachlich. Gieri Bolliger Literatur Beauchamp, Tom L., Orleans, F. Barbara, Dresser, Rebecca et al. (2008). The Human Use of Animals – Case studies in Ethical Choice. USA: Oxford University Press, second Edition. 300 Seiten. ISBN-13: 978-0-19-534019-8, € 29,99 Bekoff, Marc (2008). Das Gefühlsleben der Tiere. Ein führender Wissenschaftler untersucht Freude, Kummer und Empathie bei Tieren. Bernau: animal learn Verlag. 234 Seiten. ISBN-13: 9783936188424, € 20,00 Bolliger, Gieri, Goetschel, Antoine F., Richner, Michelle und Spring, Alexandra (2008). Tier im Recht transparent. Zürich, Basel, Genf: Schulthess Juristische Medien AG. 559 Seiten. ISBN-13: 978-37255-5620-5, CHF 49,00 Borchers, Dagmar und Luy, Jörg (Hrsg.) (2009). Der ethisch vertretbare Tierversuch. Kriterien und Grenzen. Paderborn: mentis. 309 Seiten. ISBN: 978-3-89785-668-4, € 29,80 Brand, Cordula, Engels, Eve-Marie, Ferrari, Arianna und Kovács, László (Hrsg.) (2008). Wie funktioniert Bioethik? Interdisziplinäre Entscheidungsfindung im Spannungsfeld von theoretischem Begründungsanspruch und praktischem Regelungsbedarf. Paderborn: mentis. 341 Seiten. ISBN 978-3-89785-577-9, € 39,80 Brandt, Reinhard (2009). Können Tiere denken? Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. Edition Unseld 17. 159 Seiten, ISBN-13: 9783518260173, € 10,00 Brenner, Andreas (2009). Leben. Stuttgart: Reclam Verlag, Grundwissen Philosophie. 120 Seiten. ISBN-13: 978-3150203286, € 9.90 € Castricano, Jodey (ed.) (2008). Animal Subjects. An Ethical Reader in Posthuman World. Canada: Wilfrid Laurier University Press. 324 Seiten. ISBN-13: 9780889205123, € 29,99 Cavalieri, Paola (ed.) (2009). The Death of the Animal: A Dialogue. New York: Columbia University Press. 149 Seiten. ISBN: 9780231145527, € 14,99 Conn, Michael P. and Parker, James V. (2008). The Animal Research War. New York City: Palgrave Macmillan. 224 Seiten. ISBN: 978-0-230-60014-0, € 28,99 De Waal, Frans (2008). Primaten und Philosophen. Wie die Evolution die Moral hervorbrachte. München: Hanser. 220 Seiten. ISBN: 978-3-446-23083-5, € 19,90 Drewermann, Eugen (2008). Über die Unsterblichkeit der Tiere. Hoffnung für die leidende Kreatur. Düsseldorf: Patmos Verlag. 68 Seiten. ISBN-13: 978-3491210080, € 7,95 Düwell, Markus, Birnbacher, Dieter et al. (Hrsg.) (2009). Medizinethik und Empirie – Standortbestimmungen eines spannungsreichen Verhältnisses. Zeitschrift Ethik in der Medizin. Nr. 3/2009. Heidelberg: Springer Zeitschriften Nr. 481. 87 Seiten. ISSN: 09357335 (Print) 1437-1618 (Online) € 52,50 Eadie, Edward N. (2009). Animal suffering and the law: national, Altexethik 2009 031-071-AltexLiteraturb.indd 69 regional, and international. West Lakes, South Australia: Seaview Press. 280 Seiten. ISBN: 978-174008-528-1, $ 39,00 Europäische Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlichtechnischer Entwicklungen (Hrsg.) (2009). Pharming. Promises and risks if biopharmaceuticals derived from genetically modified plants and animals. Rehbinder, E., Engelhard, M., Hagen, K. et al. Berlin und Heidelberg: Springer. 343 Seiten. ISBN: 978-3-540-85792-1, € 68,99 Favre, David (2008). Animal Law: Welfare, Interests, and Rights. USA: Aspen Publications. 520 Seiten. ISBN-13: 978-0735573123, € 40,99 Fischer, Tina-Louise (2008). Menschen- und Personenwürde. Über die Notwendigkeit eines neuen Würdebegriffs. Münster: LIT Verlag. 120 Seiten. ISBN 978-3-8258-1486-1, € 19,90 Forster, Wallace David (2009). Am Beispiel des Hummers. ZürichHamburg: Arche Literatur Verlag, aus dem Amerikanischen von Marcus Ingendaay. 79 Seiten. ISBN: 3716026115, € 12,00 Francione, Gary L. (2008). Animals as Persons: Essays on the Abolition of Animal Exploitation. New York: Columbia University Press. 256 Seiten. ISBN: 978-0-231-13951-9, € 19,99 Fraser, David (2008). Understanding Animal Welfare. United Kingdom: John Wiley & Sons. 336 Seiten. ISBN: 978-1-4051-3695-2, € 44,90 Friedrich, Udo (2009). Menschentier und Tiermensch. Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht. 437 Seiten. ISBN: 978-3-525-36704-9, € 59,90 Haynes, Richard P. (2008). Animal Welfare. Competing Conceptions and Their Ethical Implications. 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Gruber (Küsnacht), Claus Günzler (Karlsruhe), Kathrin Herrmann (Berlin), Detlef Horster (Hannover), Roman Kolar (Neubiberg), Ingrid Kuhlmann-Eberhart (Witzenhausen), Erwin Lengauer (Wien), Jörg Luy (Berlin), Petra Mayr (Bad Münder), Cecilia Muratori (München), Kurt Remele (Graz), Silke Schicktanz (Göttingen), Kirsten Schmidt (Bochum), Norbert Walz, (Nürnberg), Jean-Claude Wolf (Fribourg) Neue Mitglieder: Prof. Dr. Dieter Birnbacher Geboren 1946 in Dortmund. Studium der Philosophie, Anglistik und der Allgemeinen Sprachwissenschaft in Düsseldorf, Cambridge und Hamburg; Promotion 1973, Habilitation 1988. Von 1993 bis 1996 Professor für Philosophie an der Universität Dortmund, seit 1996 an der Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf. Arbeitsschwerpunkte Ethik, Angewandte Ethik, Anthropologie. Vizepräsident der Schopenhauer-Gesellschaft e.V., Frankfurt/M. Mitglied der Zentralen Ethikkommission der Bundesärztekammer. Stellv. Mitglied der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer. Wichtigste Buchveröffentlichungen: Die Logik der Kriterien. Analysen zur Spätphilosophie Wittgensteins, 1974; Verantwortung für zukünftige Generationen, 1988; Tun und Unterlassen, 1995; Analytische Einführung in die Ethik, 2003; Bioethik zwischen Natur und Interesse, 2006; Natürlichkeit, 2006; Schopenhauer, 2009. Lic. phil. Marius Christen Geboren 1980 in Solothurn (Schweiz). Studium der Philosophie, Nachhaltigkeitswissenschaften (Mensch-Gesellschaft-Umwelt) und Geschichte in Basel und Berlin; 2006 Abschlussarbeit zu Maurice Merlau-Pontys Intersubjektivitätstheorie als Grundlegung einer Moralphilosophie im Vergleich zu Immanuel Kants‚ „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“. Seit 2007 vom Schweizerischen Nationalfonds geförderte Doktorarbeit zu den philosophischen Grundlagen von Nachhaltigkeit am Programm für Nachhaltigkeitsforschung der Universität Basel, betreut durch Prof. Dr. Paul Burger. Seit 2008 assoziiertes Mitglied des Graduiertenprogramms ‚Menschliches Leben‘ der Universitäten Bern und Basel. Kathrin Herrmann Geboren 1976 in Ulm. Von 1997 bis 2003 Studium der Veterinärmedizin an der Freien Universität Berlin und an der Universität Zürich. Nach Erhalt der Approbation im Juli 2003 Mitarbeit in Hilfsprojekten von Tierärzte ohne Grenzen e.V. in Kenia und im Südsudan. Zwischen 2005 und 2007 Tätigkeit als praktische Tierärztin für Klein- und Heimtiere in Spanien und Deutschland. Seit 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Veterinärwesen des Landesamtes für Gesundheit und Soziales in Berlin. Zuständig für die Genehmigung und Überwachung von Tierversuchsvorhaben und Versuchstierhaltungen. Berufsbegleitende Weiterbildung zur Fachtierärztin für Tierschutz und Tierschutzethik. 70 031-071-AltexLiteraturb.indd 70 Altexethik 2009 13.12.2009 15:45:29 Uhr Literaturbericht Prof. Dr. Detlef Horster 1942 in Krefeld geboren und in Kempen am Niederrhein aufgewachsen; Drogistenlehre und anschließend Chemielaborant; 1966 Abitur am Erzbischöflichen Friedrich-Spee-Kolleg in Neuß; Studium in Köln und Frankfurt/M.; 1973 erstes Juristisches Staatsexamen am OLG in Düsseldorf; 1976 Promotion zum Dr. phil. im Fach Soziologie; 1979 Habilitation mit der venia legendi für „Sozialphilosophie“; Lehre und Forschung an den Universitäten Utrecht (Niederlande), Kassel, Berlin (Humboldt-Universität), Port Elizabeth (Südafrika), Zürich und bis 2007 Professor für Sozialphilosophie an der Leibniz Universität Hannover, mit den Schwerpunkten Moral- und Rechtsphilosophie. Prof. Dr. Kurt Remele Geboren 1956 in Bruck/Mur (Österreich). Studium der katholischen Theologie und der Anglistik/ Amerikanistik in Graz und Bochum: wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ruhr-Universität Bochum (1984-1990): pädagogischer Mitarbeiter am Sozialinstitut Kommende in Dortmund (1990-1992): seit 1992 am Institut für Ethik und Gesellschaftslehre der Universität Graz, seit 2001 ao. Universitätsprofessor. Leopold Kunschak-Preis (2002). Kardinal-Innitzer-Förderungspreis (2002). Fulbright Scholar an der Catholic University of America (2003), Visiting Professor am Department of Philosophy der University of Minnesota (2007). Gründungsmitglied der Akademie für Tier-MenschBeziehungen in Graz. Fellow des Oxford Centre for Animal Ethics. Wichtigste Publikationen: Ziviler Ungehorsam. Eine Untersuchung aus der Sicht christlicher Sozialethik, Münster 1992; Tanz um das goldene Selbst? Therapiegesellschaft, Selbstverwirklichung und Gemeinwohl, Graz 2001; Zwischen Apathie und Mitgefühl. Religiöse Lehren aus tierethischer Perspektive, in: Tierrechte. Eine interdisziplinäre Herausforderung, Erlangen 2007, 254-270. Verheiratet, 3 Kinder. Dr. phil. Kirsten Schmidt Geboren 1972 in Hagen. 1991-97 Studium der Biologie an der Ruhr-Universität Bochum (Abschluss Diplom), anschließend Studium der Philosophie. 2007 Promotion mit der Arbeit „Tierethische Probleme der Gentechnik. Zur moralischen Bewertung der Reduktion wesentlicher tierlicher Eigenschaften“. Seit 2006 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich „Angewandte Ethik“ am Institut für Philosophie der Ruhr-Universität Bochum, arbeitet dort seit 2009 im Rahmen eines DFG-Projektes zum Thema Genkonzepte und genetischer Essentialismus. Arbeitsgebiete und wissenschaftliche Interessen: Philosophie der Biologie (vor allem Philosophie der Genetik), Tier- und Bioethik, Philosophie des Geistes. Altexethik 2009 031-071-AltexLiteraturb.indd 71 71 13.12.2009 15:45:30 Uhr