Bauen als Klimaschutz: Warum die

Transcription

Bauen als Klimaschutz: Warum die
#
9. Oktober 2008
Warum die Bauwirtschaft vom Klimawandel profitiert
Die Bemühungen, den Klimawandel zu verlangsamen, bedeuten Chancen für einzelne Branchen. Dazu zählen die Bauwirtschaft und ihre Zulieferindustrien, denn zur Reduktion von CO2-Emissionen sind
häufig Baumaßnahmen nötig.
!"
#
#
$%
&
In drei
Szenarien mit unterschiedlich starker Umweltregulierung schätzen wir das gesamte auf Klimawandel und Umweltpolitik zurückzuführende Bauvolumen in Deutschland bis zum Jahr 2030 auf EUR 150 Mrd. bis EUR 340 Mrd. (siehe Grafik).
' ()
*"
#
+
,"
"
Auf die
Sanierung des Wohnungsbestands dürfte etwa die Hälfte aller Baumaßnahmen
entfallen – vorausgesetzt, die zahlreichen Hemmnisse werden überwunden.
-
.
"
+
Das
Baupotenzial zur energetischen Sanierung von Gewerbeimmobilien, Bildungseinrichtungen oder Gesundheitsimmobilien ist zwar deutlich geringer (rd. EUR 50
Mrd.), es lässt sich aber wahrscheinlich einfacher heben.
#
Mehr Wetterextreme dürften in
Zukunft zu mehr Bauschäden führen. Die damit verbundenen Aufräum- und Reparaturarbeiten sowie präventive Maßnahmen bringen ebenfalls Aufträge für Bauwirtschaft und Baustoffzulieferer.
Autoren
Josef Auer
+49 69 910-31878
[email protected]
Eric Heymann
+49 69 910-31730
[email protected]
Tobias Just
+49 69 910-31876
[email protected]
!
"
In den kommenden Jahrzehnten sind umfangreiche Investitionen in den deutschen Kraftwerkspark erforderlich, die Bautätigkeit auslösen. Der Klimawandel wirkt als Katalysator zur Stärkung Erneuerbarer Energien.
&
$
!"
Durch Klimawandel und Klimapolitik induzierte Bauleistungen bis 2030 in Deutschland
Mrd. EUR, in heutigen Preisen
450
Editor
Tobias Just
300
Publikationsassistenz
Sabine Berger, Sabine Kaiser
Status-quo-Szenario
Wohnungsbau
Ausgabenlimit-Szenario
Sonstiger Hochbau
Infrastruktur
Gesamt
Bauleistungen
Kraftwerke
Bauleistungen
Gesamt
Bauleistungen
Kraftwerke
Bauleistungen
Gesamt
0
Bauleistungen
Kraftwerke
DB Research Management
Norbert Walter
150
Bauleistungen
Deutsche Bank Research
Frankfurt am Main
Deutschland
Internet: www.dbresearch.de
E-Mail: [email protected]
Fax: +49 69 910-31877
Klimaschock-Szenario
Schäden
Kraftwerke
Quelle: DB Research
Aktuelle Themen 433
2
9. Oktober 2008
Bauen als Klimaschutz
'
1.
Einleitung .................................................................................................................................................. 4
2.
Wirkungskanäle des Klimawandels auf die Bauwirtschaft in Deutschland ....................................... 5
3.
Drei Szenarien für Deutschland .............................................................................................................. 9
4.
Prognose für die Entwicklung des Kraftwerksparks in Deutschland ................................................. 12
5.
4.1
Szenario 1: Status-quo..................................................................................................................... 12
4.2.
Szenario 2: Ausgabenlimit ............................................................................................................... 16
4.3
Szenario 3: Klimaschock .................................................................................................................. 18
Hochbau: Energieeffizienz der Gebäude gewinnt an Bedeutung........................................................ 19
5.1.
Klimaschutz im Wohnungsbau......................................................................................................... 20
5.2
Sonstiger Hochbau mit weniger Potenzial ....................................................................................... 25
5.3
Zwischenfazit.................................................................................................................................... 29
6.
Wenige Infrastrukturinvestitionen durch Klimawandel und -politik induziert ................................... 30
7.
Mehr Schäden durch Wetterextreme bedeuten Aufträge für Bauwirtschaft ...................................... 33
8.
Schlussbetrachtung ................................................................................................................................. 35
Ausgewählte Literatur ..................................................................................................................................... 37
Diese Studie wurde im Auftrag des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie und des Bundesverbands der
Deutschen Zementindustrie erstellt. Die inhaltliche Verantwortung liegt ausschließlich bei Deutsche Bank
Research.
9. Oktober 2008
3
Aktuelle Themen 433
/
Menschliche Aktivitäten verursachen
Klimawandel
Die überwiegende Mehrheit der Naturwissenschaftler ist überzeugt,
dass die durch menschliche Aktivitäten verursachten Treibhausgasemissionen einen wesentlichen Beitrag zum Klimawandel leisten.
Trotz aller nach wie vor vorhandenen Unsicherheiten über Tempo,
Ausmaß und konkrete Folgen des Klimawandels gelten einige
Trends für die nächsten Jahrzehnte als sehr wahrscheinlich. Dazu
zählen der Anstieg der Durchschnittstemperatur auf der Erde, eine
Verschiebung der regionalen Niederschlagsmuster sowie eine Zunahme von lokalen extremen Wetterereignissen (Stürme, Starkniederschläge, Hitzeperioden, Dürren usw.). In der längeren Frist wird
der Meeresspiegel spürbar steigen (laut Intergovernmental Panel on
Climate Change (IPCC) um rd. 20 bis 60 Zentimeter bis 2100). Für
Deutschland werden unter anderem heißere und trockenere Sommer sowie mildere Winter mit mehr Niederschlägen prognostiziert.
Zudem dürfte auch hierzulande die Zahl von Starkniederschlägen,
Hitzewellen und anderen Wetterextremen zunehmen.
0 1 " #
"
CO2-Konzentration auf Mauna Loa (Hawaii) in Teile pro Million
400
Monatswerte
Trend
380
360
340
320
300
1958 1963 1968 1973 1978 1983
1988 1993
1998 2003 2008
Quelle: Mauna Loa Observatory
Klimawandel kann allenfalls verlangsamt werden
/
Wichtig ist, dass der Klimawandel in den nächsten Jahren allenfalls
verlangsamt, aber nicht gestoppt werden kann. Selbst wenn es gelänge, die globalen Treibhausgasemissionen sehr kurzfristig rapide
zu senken, würde die Temperatur auf der Erde u.a. aufgrund von
Wirkungsverzögerungen der bereits ausgestoßenen Gase um etwa
0,6°C weiter steigen. Das von der internationalen Staatengemeinschaft anvisierte Ziel, den Temperaturanstieg auf 2°C gegenüber der
vorindustriellen Zeit zu begrenzen, gilt daher als ambitioniert – zumal die Durchschnittstemperatur in den letzten 150 Jahren bereits
um etwa 0,7°C zugenommen hat.
Abweichung der glob. Durchschnittstemp. vom Mittelwert 1961-1990 in °C
0,6
0,4
0,2
0
-0,2
-0,4
-0,6
-0,8
1850 1865 1880 1895 1910 1925 1940 1955 1970 1985 2000
Quelle: Climate Research Unit
4
9. Oktober 2008
Bauen als Klimaschutz
Einflüsse des Klimawandels und der Klimapolitik steigen
Umweltpolitik gewinnt an Bedeutung
Verbrauch fossiler Energieträger wird
verteuert
Erneuerbare Energien werden
gefördert
Anpassung an Folgen des Klimawandels wird wichtig
Es ist bereits erkennbar, dass der Klimawandel auf immer mehr
Wirtschaftsbereiche einen direkten oder indirekten Einfluss hat. In
vielen Sektoren gilt dies noch stärker für regulatorische Maßnahmen
des Staates, die dem Ziel dienen, den Prozess des Klimawandels zu
verlangsamen oder seine potenziell negativen Folgen abzumildern.
Gerade in Europa sind bereits Weichen gestellt worden, die die grobe Richtung der Klima- und Umweltpolitik für die nächsten Jahre
vorgeben. Aber auch in anderen Ländern gewinnt Umweltpolitik
inzwischen eine wachsende Bedeutung. Zwar gibt es Unsicherheiten über konkrete Maßnahmen und regional unterschiedliche
Schwerpunkte. Dennoch zeichnen sich einige generelle Trends ab:
So wird der Verbrauch fossiler Energieträger tendenziell verteuert,
erneuerbare Energien kommen dagegen weiter in den Genuss von
staatlicher Förderung; dies geschieht natürlich auch aus Gründen
der Versorgungssicherheit. Ferner dürften Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz ergriffen werden, die sich in vielen Fällen
wegen der steigenden Energiepreise auch ohne staatliche Hilfe
rechnen. Sie helfen, den Klimawandel zu verlangsamen. Schließlich
werden auch Maßnahmen gegen die negativen Folgen des Klimawandels stärker gefördert (Stichwort: Anpassung).
Im Jahr 2007 hat Deutsche Bank Research einen einführenden Bericht über die Auswirkungen von Klimawandel und -politik auf ver1
schiedene Branchen veröffentlicht. Ein Ergebnis war, dass die
Bauwirtschaft in mehrfacher Hinsicht vom Klimawandel begünstigt
sein dürfte. In dieser neuen Studie wird diese Argumentation aufgegriffen, und es werden konkrete Bewertungen vorgenommen. Im
Folgenden analysieren wir die Effekte des Klimawandels sowie verschiedene Politikantworten sowohl auf den Wohnungsbau und den
gewerblichen Hochbau als auch auf den Bereich Infrastruktur (vor
allem Verkehrsinfrastruktur, Küsten- und Hochwasserschutz). Zudem versuchen wir, die Folgen von Wetterextremen – inklusive der
daraus resultierenden Schäden – für die Bautätigkeit abzuschätzen.
Unsere Analyse basiert auf drei Szenarien, welche sich maßgeblich
durch den jeweils unterstellten Energiemix und die politische Zielrichtung unterscheiden.
Die anstehende Modernisierung des Kraftwerksparks in Deutschland, die auch, aber natürlich nicht ausschließlich, durch klimapolitische Stellschrauben motiviert wird, führt zu Aufträgen für die Bauwirtschaft; etwa 30% bis 40% der Investitionskosten beim Kraftwerksbau entfallen auf Bauleistungen. Daher ist die Modernisierung
des Kraftwerksparks in Deutschland ebenfalls Gegenstand unserer
Untersuchung. Ziel der Studie ist es, die realen Effekte für die Bauwirtschaft (zusätzliche Bauleistungen) zu quantifizieren. Der Prognosehorizont ist das Jahr 2030.
2
3
Unsere Untersuchung basiert auf der Annahme, dass für die Analyse des Klimawandels zwei Dimensionen zu berücksichtigen sind:
die klimatisch-natürliche sowie die regulatorisch-marktwirtschaftliche
Dimension. Während erstere die reinen Klimawirkungen umfasst,
schließt letztere staatliche Maßnahmen ein, die den Klimawandel
1
9. Oktober 2008
Siehe Heymann, Eric (2007). Klimawandel und Branchen: Manche mögen’s heiß!
Deutsche Bank Research. Aktuelle Themen 388. Frankfurt am Main.
5
Aktuelle Themen 433
verlangsamen und seine negativen Folgen abmildern sollen. Beide
Dimensionen wirken direkt auf die Bauwirtschaft.
Klimawirkungen für Bauwirtschaft tendenziell positiv
Milde Winter reduzieren Produktionsstillstände
Für die Bauwirtschaft in Deutschland würden steigende Temperaturen in den Wintermonaten die Baubedingungen spürbar verbessern.
Fallen die Winter häufiger mild aus, kommt es kaum zu witterungsbedingten Produktionsstillständen. Dies senkt die Kosten und erhöht
die Planungssicherheit in der Branche. In den letzten beiden Wintern berichtete das deutsche Bauhauptgewerbe deutlich seltener
von ungünstigen Wetterlagen als im langfristigen Durchschnitt. In
sehr heißen Sommern könnte dagegen die Arbeitsproduktivität in
der Bauwirtschaft leiden. Über eine flexiblere Arbeitszeitregelung
z.B. mit längeren Pausen zur Mittagszeit und früherem Arbeitsbeginn am Morgen wäre dann nachzudenken.
'
#
2
Berichte des deutschen Bauhauptgewerbes über "ungünstige Wetterlage"
Anteile der Antworten mit "Ja" in %
100
80
60
40
20
0
92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08
ifo-Konjunkturtest: Frage nach "ungünstiger Wetterlage"
Durchschnitt der Monate Dezember bis Februar (1992 bis 2008)
Quelle: ifo Institut
Beton als wenig anfälliger Straßenbelag könnte profitieren
Das Ausmaß von Straßenschäden wird ebenfalls maßgeblich durch
das Wetter beeinflusst. So wird in milden Wintern der Einsatz von
Streusalz erheblich eingeschränkt; auch Frostschäden halten sich in
Grenzen. Dies bedeutet geringere Straßenschäden und damit weniger Reparaturaufträge für die Bauwirtschaft. Im Gegensatz dazu
führen lang anhaltende Hitzwellen zu einem schnelleren Entstehen
von Spurrillen insbesondere auf Autobahnen mit einem hohen Anteil
von Schwerlastverkehr; diese müssen häufiger durch die Bauwirtschaft beseitigt werden. Asphalt ist als Straßenbelag dabei anfälliger
als Beton. Daher könnte Beton in den nächsten Jahren im Straßenbau häufiger zum Einsatz kommen. Zudem werden (teure) Systeme
diskutiert, die den Straßenbelag im Winter erwärmen und im Sommer kühlen, um diesen Effekten vorzubeugen.
Vorteilhaft für die deutsche Bauwirtschaft ist zudem, dass in den
nächsten Jahren mehr in den Küsten- und Hochwasserschutz investiert wird. Die an die Nordsee angrenzenden Bundesländer planen
für die nächsten Jahre umfangreiche Maßnahmen zum besseren
Küstenschutz oder haben bereits mit diesen begonnen. Zudem dürfte in Regionen mit einem hohen Risiko für Überschwemmungen
durch hohe Pegelstände von Flüssen (z.B. Gebiete entlang der
Flüsse Rhein, Mosel, Donau, Elbe, Oder) mehr in den Hochwasserschutz investiert werden (z.B. Deiche, Regenwasserauffangbecken).
Denn durch die steigende Wahrscheinlichkeit von länger anhaltenden Starkregenfällen oder mehr Niederschlägen im Winter nimmt
die Hochwassergefahr zu.
6
9. Oktober 2008
Bauen als Klimaschutz
Mehr Wetterextreme, mehr Schäden, mehr Aufträge
Wetterextreme bewirken vorübergehende Sonderkonjunkturen
Trotz vorbeugender Maßnahmen ist es wahrscheinlich, dass in den
nächsten Jahren die Schäden an Gebäuden und Infrastruktur durch
extreme Wetterereignisse (v.a. Überschwemmungen und Stürme)
zunehmen werden. Dies löst regionale, temporäre Sonderkonjunkturen für die Bauwirtschaft und verwandte Branchen wie das Bauhandwerk aus, denn die entstandenen Schäden werden in der Regel wieder beseitigt. So bescherte laut Zentralverband des deutschen Dachdeckerhandwerks der Wintersturm Kyrill Anfang 2007
der Branche in vielen Regionen Zusatzaufträge. Werden durch Wetterextreme umfangreiche Schäden verursacht, können die positiven
Effekte für das Baugewerbe sehr lange anhalten. Dies war z.B. beim
Oder-Hochwasser von 1997 oder dem Elbe-Hochwasser von 2002
der Fall. Hier dauerte es jeweils mehrere Jahre, bis die Schäden im
insgesamt zweistelligen Milliardenbereich beseitigt waren.
Unterm Strich sind die klimatischen Einflüsse auf die Bauwirtschaft
in Deutschland positiv zu bewerten. Bessere Baubedingungen in
den Wintermonaten sowie Zusatzaufträge dank der vorbeugenden
Baumaßnahmen und der Beseitigung von Schäden nach Wetterextremen lassen ein steigendes Bauvolumen erwarten. Davon profitiert auch die Baustoffindustrie als Zulieferer.
Förderprogramme und steigende Energiepreise begünstigen
Bauwirtschaft
Klima- und energiepolitische Maßnahmen werden Bauwirtschaft stärker
begünstigen als der Klimawandel
selbst
Besonders bedeutsam für die wirtschaftliche Entwicklung von Wirtschaftszweigen sind neben den oben beschriebenen Klimawirkungen die klima- und energiepolitischen Rahmenbedingungen – also
die zweite Dimension des Klimawandels. Die Ziele der EU und
Deutschlands zur Reduktion von Treibhausgasen bis 2020 sind in
Grundzügen vorgegeben: Die EU will ihre Treibhausgasemissionen
bis dahin um mindestens 20% gegenüber 1990 reduzieren. Falls
sich andere Länder ebenfalls zu ambitionierten Reduktionszielen
verpflichten, will die EU ihre Emissionen sogar um 30% verringern.
Deutschland setzt sich in diesem Fall eine Emissionsreduktion um
40% zum Ziel. Auch in den Jahren nach 2020 ist ein stetiger Rückgang der Emissionen angestrebt.
Die deutsche Bundesregierung hat sich im Sommer 2007 in Meseberg auf ein 29 Eckpunkte umfassendes „Integriertes Energie- und
Klimaprogramm“ verständigt. Dieses Programm ist der wichtigste
Hebel, um das angekündigte Reduktionsziel zu erreichen. Wenngleich es zuletzt einige Hängepartien dabei gab, das Programm in
Gesetze und Verordnungen umzuwandeln, erwarten wir dennoch,
dass es sich hier nur um zeitliche Verzögerungen handelt. Eine
komplette Abkehr vom Meseberg-Programm würde die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung in der Klimapolitik stark beschädigen.
Viele Meseberger Punkte betreffen direkt die Bauwirtschaft und das
Bauhandwerk: Dazu zählt das CO2-Gebäudesanierungsprogramm,
mit dem die energetische Sanierung von Gebäuden im Bestand
gefördert werden soll. Dieses Programm wird auf EUR 1,4 Mrd. pro
Jahr aufgestockt. Die energetische Sanierung von Bestandsgebäuden ist einer der wichtigsten Hebel für den Klimaschutz in Deutschland, zumal sich viele Investitionen in die Energieeffizienz von Gebäuden angesichts steigender Energiepreise sehr schnell rechnen.
Das Bundesumweltministerium schätzt, dass die durchschnittlichen
Energiekosten von Wohngebäuden in Deutschland durch verbesserte Isolierung von Dach und Fassade sowie effizientere Heizungssysteme halbiert werden könnten. Auch die verschärfte Energieeinsparverordnung zielt auf die Effizienz von Neubauten (30% weniger
9. Oktober 2008
7
Aktuelle Themen 433
Energieverbrauch) und Gebäuden im Bestand ab. Weitere Programme haben die energetische Sanierung von vermieteten Mehrfamilienhäusern, von „sozialer Infrastruktur“ (z.B. Schulen, Kindertagesstätten) sowie von Bundesgebäuden im Fokus. Neben diesen
vom Bund initiierten Maßnahmen existieren auf Landes- und kommunaler Ebene vielfältige Förderprogramme, etwa zur Erhaltung der
Ortskerne (z.B. Dorferneuerungsprogramm); auch hier sind energe2
tische Sanierungen von Gebäuden grundsätzlich förderungswürdig.
Angebote aus einer Hand für Kunden
vorteilhaft
Neben der Bauwirtschaft profitieren auch andere baunahe Branchen
von diesem Trend zur Steigerung der Energieeffizienz von Gebäuden. Dazu zählen u.a. Fenster- und Fassadenbauer, Teile des Bauhandwerks (Heizungsbauer, Dachdecker usw.), Architekten oder
Energieberater. Vor allem für private Kunden sind Angebote aus
einer Hand und verlässliche Investitionsrechnungen für energetische Baumaßnahmen wichtig.
Im Eckpunkteprogramm von Meseberg ist zudem der Ausbau erneuerbarer Energien und der Kraftwärmekopplung sowie die Förderung von CO2-armen Kraftwerkstechnologien als Ziel formuliert.
Auch dies ist für die Bauwirtschaft relevant, weil die Realisierung
dieser Ziele naturgemäß nur mit Bauleistungen möglich ist.
Emissionshandel zentrales umweltpolitisches Instrument
Emissionshandel gewinnt spätestens
nach 2012 auch außerhalb der EU an
Bedeutung
Wir erwarten, dass der Emissionshandel dauerhaft eines der wichtigsten umweltpolitischen Instrumente in der EU bleibt. Spätestens
nach 2012 gewinnt der Emissionshandel nach unserer Einschätzung auch über die EU-Grenzen hinaus an Bedeutung. Im Laufe
des nächsten Jahrzehnts dürfte sich ein globaler Markt für Emissionszertifikate etablieren.
Da die Höhe des Preises für Emissionszertifikate wichtig für den
Energiemix im Stromsektor ist, unterstellen wir in den verschiedenen
Szenarien unterschiedliche Preisentwicklungen. Grundsätzlich
rechnen wir bis 2030 mit steigenden Zertifikatspreisen. Das Ausmaß
wird natürlich wesentlich vom letztlich beschlossenen Reduktionsziel für Treibhausgase in der EU bestimmt (-20% oder -30%). Darüber hinaus spielen u.a. das Tempo des technischen Fortschritts
oder die Preisentwicklung einzelner Energieträger eine wichtige
Rolle. Die künftige Preisentwicklung hängt also nicht zuletzt von
politischen Entscheidungen ab. Grundsätzlich unterstellen wir, dass
der Zertifikatspreis im gesamten Zeitraum etwa zwischen EUR 25
3
und EUR 50 pro Tonne CO2 liegen wird (siehe Kapitel 3). In allen
Szenarien nehmen wir ferner an, dass die flexiblen projektbezogenen Mechanismen des Kyoto-Protokolls (Clean Development Mechanism und Joint Implementation) von den EU-Ländern umfangreich genutzt werden dürfen. Da hierbei die Emissionsreduktions2
3
8
Das Bundesumweltministerium listet in der Broschüre „Fördergeld für Energieeffizienz und erneuerbare Energien“ aus dem Jahr 2007 etwa 900 verschiedene Förderprogramme auf.
Diese Preisspanne passt in etwa zu den Ausführungen in der vom BDI in Auftrag
gegebenen McKinsey-Studie „Kosten und Potenziale der Vermeidung von Treibhausgasemissionen in Deutschland“. Danach können die Treibhausgasemissionen
in Deutschland bis 2030 (bei Festhalten am Ausstieg aus der Kernenergie) um
44% gegenüber 1990 gesenkt werden, wenn die Abscheidung und Lagerung von
CO2 (Carbon Capture and Storage, CCS) zu Kosten von EUR 30 bis EUR 55 pro
Tonne CO2-Äquivalent möglich ist. Der International Monetary Fund (IMF) setzt in
seinem aktuellen World Economic Outlook vom April 2008 einen linearen Anstieg
des Preis für CO2 auf USD 86 pro Tonne im Jahr 2040. Demzufolge läge der CO2Preis im Jahr 2030 bei etwa USD 60 pro Tonne. Unter anderen Annahmen sind natürlich auch höhere Zertifikatspreise denkbar. Siehe hierzu: Curien, Isabelle and
Mark C. Lewis (2008). Carbon Emissions – It Takes CO2 to Contango. Deutsche
Bank Global Markets Research. London.
9. Oktober 2008
Bauen als Klimaschutz
kosten relativ gering sind, hat dies einen dämpfenden Effekt auf den
Zertifikatspreis.
Ausnahmen von Versteigerungspflicht notwendig
Die Ausgestaltung des Emissionshandels dürfte gerade für die Baustoffindustrie große Relevanz haben. Die EU plant eine Versteigerung der Emissionszertifikate ab dem Jahr 2013. Für den Stromsektor soll der Versteigerungsanteil von Beginn an 100% betragen, was
– ceteris paribus – CO2-ärmere Energieträger begünstigen würde.
Für Sektoren aus dem Produzierenden Gewerbe ist eine schrittweise Erhöhung des Versteigerungsanteils geplant. Ausnahmeregelungen für energieintensive Wirtschaftszweige stehen zur Diskussion,
falls wichtige Emittenten außerhalb der EU keine ambitionierten
Reduktionsziele formulieren.
4"
"
"
Anteil der Energiekosten am Bruttoproduktionswert in %, 2006
Herstellung von Zement
17,1
Herstellung von Kalk
23,8
Herstellung von gebranntem Gips
22,1
Verarbeitendes Gewerbe insg.
1,8
Quelle: Statistisches Bundesamt
Aus unserer Sicht wären solche Ausnahmeregelungen bei einem
klimapolitischen Alleingang der EU notwendig, da ansonsten der
Produktionsstandort EU für einige Branchen zu teuer würde. Produktionsverlagerungen ins außereuropäische Ausland mit negativen
Folgen für das globale Klima und den Arbeitsmarkt in der EU wären
zu befürchten. Sinnvolle Kriterien für Ausnahmeregelungen von der
Versteigerungspflicht wären – neben der energieintensiven Produktion – die Herstellung homogener und international handelbarer
Produkte sowie ein intensiver internationaler Wettbewerb. Diese
Merkmale treffen auf viele Baustoffe (z.B. Zement, Kalk, Gips) zu.
So weist die deutsche Zementindustrie darauf hin, dass sie bei einem Zertifikatspreis von EUR 35 pro Tonne CO2-Zusatzbelastungen
in Höhe von etwa EUR 900 Mio. pro Jahr zu tragen hätte, falls sie
die Emissionszertifikate zu 100% ersteigern müsste; dies entspricht
etwa 45% des Jahresumsatzes der Branche. Die Investitionstätigkeit in den genannten Branchen wird dadurch gedämpft, dass die
EU erst 2010 entscheiden will, ob Ausnahmen gewährt werden und
welche Wirtschaftszweige davon profitieren sollen.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Klima- und Umweltpolitik
in der EU und Deutschland aller Voraussicht nach kein Strohfeuer
sein wird. Daher gilt es für alle Wirtschaftszweige, sich auf die neuen Rahmenbedingungen einzustellen. Für die Bauwirtschaft sind die
Chancen eindeutig höher als die Risiken.
3
Energiepreise beeinflussen auch
Planung von Siedlungs- und
Verkehrsinfrastruktur
+#
3
In den letzten 35 Jahren gewannen Prognosen über den künftigen
Energieverbrauch erheblich an Bedeutung. Ausgangspunkt war die
erste globale Ölpreiskrise 1973/74, denn sie stellte die Zuverlässigkeit der Energieversorgung erstmals in Frage. Auch für die Bauwirtschaft ist dieses Datum von besonderer Relevanz. Immerhin bestimmen die Energiepreise wie nur wenige andere Einflussfaktoren die
Planung von Siedlungs- und Verkehrsinfrastrukturen, Baustile, die
Bau- und Instandhaltungskosten sowie die Zusammensetzung, den
Bestand und die Fortentwicklung des Kraftwerksparks, der wiederum auf die Fertigung in unterschiedlichen Industriezweigen ausstrahlt.
In der Retrospektive ist festzustellen, dass die Prognosen über den
künftigen Energieverbrauch in Deutschland regelmäßig die tatsächliche Entwicklung überzeichneten. Für diesen Befund sind viele
Faktoren ursächlich; dazu zählen der Preisanstieg für Energie, der
technische Fortschritt, der mehr Effizienz bei Energieerzeugung und
-nutzung ermöglichte, der gesellschaftliche und ökonomische Wan-
9. Oktober 2008
9
Aktuelle Themen 433
del, steuerliche Anreize, steigendes Umweltbewusstsein sowie gesetzgeberische Vorgaben. Ein besonderer Glücksfall – nicht nur in
diesem Zusammenhang – war freilich auch die Überwindung der
deutschen Teilung. Diese eröffnete große Einsparpotenziale in allen
Bereichen der Energienutzung – vom Wärmemarkt bis hin zum industriellen Bedarf, wo unverzichtbare Strukturmaßnahmen halfen,
den Energieverbrauch zu senken.
Basisannahmen zu Energiepreisen, Demografie und
Wirtschaftswachstum
5
Unsere Prognose zur Entwicklung des Kraftwerksparks in Deutschland bis zum Jahre 2030 basiert auf folgenden ökonomischen und
demografischen Eckwerten:
/6
7
Energiepreise dauerhaft hoch
% an Primärenergieverbrauch, 2007
6,6
11,1
33,8
11,7
14,1
22,7
Mineralöl
Erdgas
Steinkohle
Braunkohle
Kernenergie
Erneuerbare
8
Quelle: AG Energiebilanzen
+
,(
!
Aufgrund der mengenmäßigen Dominanz des Ölmarktes für die
Weltenergieversorgung ist der Ölpreis auch maßgebend für alle
anderen Energieträger. Deshalb dürften nach unserer Einschätzung
auch die Preise der anderen fossilen Energieträger anziehen. In
Deutschland gilt das insbesondere für Erdgas, da eine Ölpreisbindung des Gaspreises verankert ist. Der Preisanstieg der fossilen
Energieträger induziert wiederum höhere Preise der Sekundärenergie Elektrizität in Deutschland. Die kostengünstige heimische
Braunkohle dämpft allenfalls den Preisanstieg.
#
,
Mio.
83
78
73
68
06
10
14
18
22
26
30
Quelle: Stat. BA
Wir erwarten bis 2030 einen Anstieg des Ölpreises auf USD 200 pro
Barrel. Auf der Nachfrageseite erwarten wir einen tendenziellen
Anstieg aufgrund des steigenden Energiehungers in den neuen
Wachstumszentren, insbesondere in den bevölkerungsreichen Ländern China und Indien. Die zunehmende Kaufkraft der Haushalte
sorgt hier dafür, dass ohnehin vorhandene Bedürfnisse wie der
Wunsch nach höherwertigen Produkten und Mobilität auch nachfragewirksam werden. Dem steigenden Energiebedarf steht ein global
zunehmend unsicheres Angebot gegenüber. Eine Ursache liegt in
den geologisch immer schwieriger und damit teurer zu erschließenden Vorkommen, z.B. zunehmend auf hoher See. Hinzu kommen
Einflussfaktoren wie die in den nächsten Dekaden zu erwartende
Stärkung der OPEC sowie ein verständliches Interesse der kartellfreien Förderländer (z.B. Russland) an steigenden Ölpreisen. Die
Annahme eines hohen Ölpreises resultiert mithin aus der Erwartung
einer tendenziell schneller steigenden Ölnachfrage im Vergleich
zum Ölangebot.
9
Sinkende Bevölkerungszahl in Deutschland
Die Bevölkerungszahl für Deutschland schrumpft von 82,2 Mio. Personen im Jahr 2007 auf 77,2 Mio. im Jahr 2030, also um 5 Mio. bzw.
6%. Bei dieser Prognose ist ein Zuwanderungssaldo von 100.000
Personen jährlich unterstellt. Der Rückgang der Bevölkerungszahl in
Deutschland wurde in den letzten zehn Jahren in der Regel unterschätzt und berücksichtigt noch nicht, dass die aktuelle Bevölkerungszahl zu hoch ausgewiesen sein dürfte. Deshalb ist es kein
Wunder, dass Energieprognosen aus diesem Jahrzehnt – z.B. die
4
von EWI/Prognos – einen geringeren Rückgang der Bevölkerungszahl zugrunde legten. Das hatte wiederum den Effekt, dass der zu
erwartende Energieverbrauch eher überschätzt wurde. Eine niedrigere Bevölkerungszahl tangiert alle Baubereiche in ähnlicher Weise:
Prinzipiell bedeuten weniger Energiekonsumenten auch einen ge4
10
Vgl. EWI/Prognos (2005). Die Entwicklung der Energiemärkte bis zum Jahr 2030.
Herausgeber: Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit. Berlin.
9. Oktober 2008
Bauen als Klimaschutz
4
#
"
ringeren Energieverbrauch – sei es im Wohnungs-, Wirtschaftsoder dem öffentlichen Bau.
2
Zahl der Haushalte, 2005=100,
Szenario mit geringer Zuwanderung
110
100
90
80
West-D.
2005
2020
Ost-D.
2035
70
2050
Berlin wurde weder bei Ost- noch bei Westdeutschland erfasst.
Quellen: BBR, Destatis, DB Research
:
Diesem Trend wirkt allerdings die Tatsache entgegen, dass die Zahl
der privaten Hauhalte weiter zulegt, denn ceteris paribus steigt dadurch der Energiebedarf pro Kopf. Dahinter verbirgt sich die Beobachtung, dass die Zahl der Singlehaushalte und Kleinfamilien zunimmt. Verantwortlich dafür sind mehrere Trends wie die allmähliche
Auflösung traditioneller Großfamilien. Eine Rolle spielen überdies
die steigenden Mobilitätserfordernisse infolge der immer arbeitsteiligeren Wirtschaft bei zudem sinkender Arbeitsplatzsicherheit. Insgesamt steigt die Zahl der Haushalte in Deutschland von 2007 bis
2017 um knapp 700.000 auf dann 40,2 Mio.; danach beginnt auch
die Zahl der Haushalte zu sinken. Bis zum Jahr 2030 sinkt die Zahl
der Haushalte wieder auf das heutige Niveau. Im Betrachtungszeitraum steigt die Haushaltszahl nur noch im Westen (bis 2030 um gut
700.000), während sie in Ostdeutschland (inklusive Berlin) in ähnlicher Größenordnung sinkt. Der Wohnflächenbedarf pro Kopf der
Bevölkerung wächst aber weiterhin.
Moderates Wirtschaftswachstum erwartet
Neue Arbeitsplätze am ehesten im
Dienstleistungssektor
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland wird bis 2030 zwar
steigen, allerdings nur mit geringer Dynamik. Wir erwarten bis 2020
ein jahresdurchschnittliches Wachstum des BIP um preisbereinigt
5
1,5%. In den Folgejahren dürfte das BIP-Wachstum nur noch 1%
p.a. erreichen. Für das Wirtschaftswachstum eher pessimistisch
stimmt uns die infolge der Alterung der Bevölkerung und der abnehmenden Bevölkerungszahl sinkende Zahl der Erwerbstätigen.
Neue Arbeitsplätze entstehen am ehesten im Dienstleistungssektor.
Aber natürlich bleiben auch die industriellen Kerne rund um die Automobilindustrie, den Maschinenbau, die Elektrotechnik, Chemie
und Pharmazie sowie die stromintensive Metallerzeugung und verarbeitung erhalten.
Künftiger Zertifikatspreis beeinflusst Kraftwerkspark
Unsere Szenarien über die künftige Entwicklung des Kraftwerksparks fußen auf obigen Basisannahmen. Für die Unterschiede in
den Szenarien sind letztlich verschiedene Preissetzungen für Emissionszertifikate maßgeblich. Wir differenzieren grob drei mögliche
Entwicklungslinien, die wiederum auf den Kraftwerkspark ausstrahlen und damit die Bauwirtschaft tangieren:
— Szenario 1 (Status-quo): Infolge des programmgemäßen Ausbaus des Emissionshandels dürfte der Zertifikatspreis bis 2020
unter EUR 30 pro Tonne liegen, danach aber auf über EUR 30
steigen. In diesem Szenario wird am planmäßigen Ausstieg aus
der Kernenergie in Deutschland festgehalten.
— Szenario 2 (Ausgabenlimit): Eine neue Energiepolitik einer
neuen Regierung führt zu einer Verlängerung der Laufzeiten bestehender Kernkraftwerke. Die anhaltend hohe Bedeutung der
Kernenergie in Deutschland hat auch – im Vergleich zu Szenario
1 – eine größere Relevanz der Kernenergie in der EU zur Konsequenz. Per saldo hat dies einen dämpfenden Effekt auf den
Zertifikatspreis, denn die Reduktionskosten für die Energiewirtschaft fallen geringer aus. Folglich bleibt der Zertifikatspreis
im gesamten Prognosezeitraum unter der EUR 30-Marke.
5
9. Oktober 2008
Vgl. Hofmann, Jan et al. (2007). Deutschland im Jahr 2020. Neue Herausforderungen für ein Land auf Expedition. Deutsche Bank Research. Aktuelle Themen
382. Frankfurt am Main.
11
Aktuelle Themen 433
— Szenario 3 (Klimaschock): In diesem Szenario unterstellen wir
verschärfte nationale und internationale Klimaschutzziele und dafür umgesetzte drakonische Maßnahmen insbesondere für die
Zeit nach 2020; dies erfolgt unter dem Eindruck des sich stärker
konkretisierenden Klimawandels. Folglich dürfte sich der Zertifikatspreis schneller und stärker erhöhen und zum Ende unseres
Prognosehorizonts auf EUR 50 pro Tonne steigen.
;
/6
+ "
% an Bruttostromerzeugung in
Deutschland, 2007
4,8
14,1
24,5
* "
11,7
22,1
Braunkohle
Steinkohle
Kernenergie
Erdgas
Erneuerbare
Übrige*
* inkl. Mineralöl. Quellen: AG Energiebilanzen,
Statistisches Bundesamt, DB Research
+ "
$1=
1
!
3
4.1 Szenario 1: Status-quo
22,8
2 1
#
"
<
>
in %
DK
FI
LV
NL
HU
Szenario 1 ist quasi eine Status-quo-Betrachtung. Für die Fortentwicklung des deutschen Kraftwerksparks ist die unterstellte Beibehaltung des Kernenergieausstiegs ein wichtiges Datum. Immerhin
trug die Kernenergie 2007 noch 22% zur Stromerzeugung in
Deutschland bei. Wichtig ist zudem das engagierte Energie- und
Klimaprogramm der deutschen Bundesregierung, das künftig auf die
Stromerzeugungsstrukturen ausstrahlen wird. Es umfasst so wichtige Fördergesetze wie die Novellen des Erneuerbaren-EnergienGesetzes (EEG) und des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes
(KWKG). Die deutschen Energie- und Klimaziele sind ambitioniert.
Sie werden mittelfristig dazu führen, dass Deutschland, das in Teilbereichen wie der Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) von
einer relativ niedrigen Ausgangsbasis startet, zu anderen europäischen Ländern aufschließen kann. Wir erwarten, dass Deutschland
den Anteil des KWK-Stroms – wie schon in den Meseberger Eckpunkten vereinbart – bis 2020 auf 25% verdoppeln wird und bis
2030 auf 30% weiter ausbaut. Die gemeinsame Erzeugung von
Elektrizität und Wärme erschließt bisher brach liegende Potenziale
für mehr Energieproduktivität und Klimaschutz.
SK
Bedeutungsgewinn für Erneuerbare
CZ
PL
AT
EE
PT
EU-25
DE
LT
LU
ES
BE
IT
SE
SI
GB
FR
IE
GR
0
20
40
*letztes verfügbares Jahr.
Quellen: Eurostat 2006; BKWK
12
60
?
Das EEG hat bereits in den letzten Jahren stark auf den deutschen
Stromerzeugungsmix ausgestrahlt. Lag der Anteil der Erneuerbaren
an der Elektrizitätserzeugung 2000, also im Jahr des Inkrafttretens
des EEG, noch bei gut 6%, so stieg er bis 2007 auf beachtliche
14%; das ist schon jetzt mehr als die 12,5%, die ursprünglich für
2010 angepeilt wurden. Die 2009 wirksam werdende EEG-Neujustierung wird den Trend hin zu Erneuerbaren keineswegs brechen,
lediglich den Steigungswinkel etwas abflachen, da die Degression
im Durchschnitt etwas stärker ausfällt als bislang. Wir erwarten,
dass Erneuerbare bereits 2020 etwa 30% zur Stromerzeugung beisteuern können. Nach unserer Kalkulation dürfte der zu erwartende,
dynamische technische Fortschritt – nicht nur bei Wind- und Bioenergie, sondern auch bei Photovoltaik und Geothermie – die auf
mittlere Sicht absehbar niedrigeren EEG-Fördersätze überkompensieren. Nach 2020 dürfte die Förderung der regenerativen Stromerzeugung pro erzeugter kWh wesentlich geringer ausfallen als heute.
Dennoch könnte der Anteil dank des technischen Fortschritts 2030
etwa 37% erreichen. Dann werden – freilich abhängig von Standort
und Technologie – Neuanlagen im Bereich alternativer Stromquellen
wie Wind, Bioenergie und teilweise selbst Photovoltaik vielfach
schon ohne Förderung auskommen. Die Förderung für Erneuerbare
könnte also um das Jahr 2030 allmählich auslaufen.
Der Anteil der Erneuerbaren an den Stromerzeugungskapazitäten in
Deutschland dürfte 2030 schon bei rd. 60% liegen. Die Expansion
9. Oktober 2008
Bauen als Klimaschutz
2
% an Wärmebereitstellung in
Deutschland
7
1
Spannend ist die Frage, wie die Lücke geschlossen wird, die durch
den Wegfall der Kernenergieerzeugung im Elektrizitätsangebot entsteht. Noch Anfang des Jahrzehnts herrschte die Erwartung vor,
dass Erdgas in der Stromerzeugung wichtiger wird und einen Großteil der Lücke ausfüllen kann. Für Erdgas sprachen zu jener Zeit
sehr wettbewerbsfähige Preise infolge des niedrigen Ölpreises.
0
Kohle bleibt wichtiges Standbein bei Energieerzeugung
6
5
4
3
2
1998
2000
2002
2004
2006
Quelle: BMU
+ "
#
/
1
% an Bruttostromverbrauch in
Deutschland
16
14
12
10
8
6
4
2
0
1998
2000
2002
2004
2006
Quelle: BMU
der Erneuerbaren, insbesondere der Windkraft, macht die Absicherung der Spitzenlastzeiten zu einer Herausforderung. Für die Absicherung des Spitzenbedarfs sind traditionelle Kraftwerkskapazitäten
erforderlich. Per Saldo wächst der deutsche Kraftwerkspark bis
6
2030 von derzeit 143.000 MW auf etwa 180.000 MW.
//
Heute ist diese Einschätzung angesichts der dramatischen Ölpreisexplosion so nicht mehr aufrecht zu erhalten. Erdgas ist nicht mehr
die Wunschenergie Nummer eins im Kraftwerksneubau. Infolge des
von uns für 2030 unterstellten Ölpreises verliert Erdgas in den
kommenden Jahren betriebswirtschaftlich weiter an Attraktivität.
Steigt der Preis von Erdgas sogar schneller als der von Erdöl, was
einige Volkswirte erwarten, vergrößert dies die Mix-Probleme. Da
Erdgas jedoch ein relativ emissionsarmer Energieträger ist – gerade
im Vergleich zur Kohle, könnte der Emissionshandel den Kostennachteil gegenüber der Kohle prinzipiell (über-)kompensieren. Nach
unserem Kalkül reichen aber die im Betrachtungszeitraum unterstellten Zertifikatspreise nicht aus, damit Erdgas in der Gesamtbetrachtung der Kosten mit der preisgünstigen Kohle gleich ziehen
kann.
Im Unterschied zur Ebene der Großkraftwerke sehen wir künftig
allerdings zusätzliche Einsatzpotenziale für Erdgas im Rahmen der
dezentralen Kraft-Wärme-Kopplung. Dafür sprechen die relativ einfache Transportierbarkeit über gut ausgebaute Netze und die hohe
Akzeptanz bei der Bevölkerung. Im Unterschied zur Industrie, die
oftmals auch Kohle für KWK einsetzen dürfte, werden in Wohnsiedlungen und im ländlichen Raum wohl eher Erdgas und Biorohstoffe
7
Chancen eingeräumt.
Stromverbrauch legt zunächst weiter zu
2
"
," +
1
%
50
und
mehr
Künftige
Technik
Deuschland
42
Welt
30
China/
Russland
Kalkulation des Investitionsbedarfs
23
0
20
Im Zeitraum bis 2030 dürfte der Stromverbrauch zunächst noch
steigen, später aber relativ konstant bleiben. Die Elektrizitätserzeugung könnte 2030 zu etwa 37% auf alternativen Energien basieren.
Beendet ist dagegen die Stromproduktion auf Basis der Kernenergie, die zuvor einen positiven Beitrag zur Entschärfung der CO2Problematik lieferte. Den Beitrag der Kernenergie in der Grundlast
wird vor allem die Braunkohle substituieren.
40
Quellen: Euracoal, GVSt
60
/
Zur Abschätzung des Investitionsbedarfs im Kraftwerkspark bis 2030
ist ein Blick zurück auf die letzten Jahre und die derzeit bekannten
Kraftwerksprojekte aufschlussreich:
Seit Anfang des Jahrzehnts liegen die der Energieversorgung zuzurechnenden Bauinvestitionen in einem Band zwischen EUR 3,2 Mrd.
6
7
9. Oktober 2008
Vgl. BDEW (2008). Energie-Info. Entwicklung der Energieversorgung 2007. Februar (2008). Tabelle 6. In der zitierten Netto-Kraftwerkskapazität enthalten sind
rund 9.000 MW Kapazitäten der Industriekraftwerke und 30.000 MW insbesondere
EEG-Kapazitäten privater Betreiber (z.B. Wind- oder Solaranlagen).
Vgl. Auer, Josef (2008). Die Kraft-Wärme-Kopplung. Ein Eckpfeiler des deutschen
Energie- und Klimaprogramms. Deutsche Bank Research. Aktuelle Themen Nr.
415. Frankfurt am Main.
13
Aktuelle Themen 433
Investitionsvolumen wird im Kraftwerkspark zunehmen
und EUR 3,7 Mrd. p.a. Es gibt Gründe anzunehmen, dass die ausgewiesenen Investitionsvolumina in Zukunft eher zunehmen. Erstens ist die Dynamik des Kraftwerksbaus noch immer verzerrt durch
die deutsche Wiedervereinigung, die in den 1990er Jahren Strukturanpassungen im Kraftwerkspark brachte, die noch heute nachwirken. Zweitens hat sich der internationale Markt für Kraftwerke in den
letzten Jahren dramatisch verändert. Wichtig ist in diesem Zusammenhang vor allem das starke Wachstum in den Emerging Markets,
das den Anlagenbauern einen globalen Nachfrageschub beschert.
Verschärfend kommt hinzu, dass der neue globale Boom die Kraftwerksbauer recht unvorbereitet trifft, denn über viele Jahre hinweg
wurde kaum in Humankapital und Fertigungskapazitäten investiert.
Drittens sorgen neben dem jetzt relativ engen Markt für Kraftwerke
zusätzliche Faktoren für spürbare Preissteigerungen. So verteuert
die Preisexplosion bei Stahl und Nicht-Eisen-Metallen (z.B. Nickel)
den Kraftwerksbau. In der Summe resultieren daraus für die Planung von Kraftwerkskapazitäten höhere Investitionskosten. Die Kalkulation wird damit nicht nur aufgrund der steigenden und volatileren
Brennstoffkosten sehr viel anspruchsvoller, sondern auch durch den
wachsenden Fixkostenblock.
Bis zu 90 neue Kraftwerke bis 2018
Nach der Statistik des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) investierte die deutschen Elektrizitätswirtschaft
2007 mit EUR 6,7 Mrd. fast EUR 2 Mrd. mehr als im Vorjahr (EUR
4,8 Mrd.) und damit mehr als in den letzten 11 Jahren. Von den Investitionen entfielen auf den Kraftwerksbau EUR 2,2 Mrd. (2006:
EUR 1,5 Mrd.), also rund 40%. Den Löwenanteil von EUR 3,3 Mrd.
(2006: EUR 2,6 Mrd.), also knapp der Hälfte, verschlang aber der
Netzausbau.
Realisierung der Kraftwerksprojekte
keineswegs sicher
Laut BDEW ist in der Zeit von 2008 bis 2018 mit der Inbetriebnahme
von rd. 90 (zum Teil auch kleineren) Kraftwerken zu rechnen. Dafür
ist in heutigen Preisen für Kraftwerke eine Investitionssumme von
EUR 50 bis 60 Mrd. erforderlich. Die einzelnen Projekte befinden
sich aktuell im Bau, in der Planung oder auch erst im Genehmigungsverfahren. Die erwartete Leistung dieser Kraftwerke beträgt
8
addiert über 36.000 MW.
Die Realisierung der genannten Kraftwerksprojekte ist allerdings
keineswegs sicher. Sie setzt nämlich die gesellschaftliche Akzeptanz
sowie energie- und umweltpolitische Kalkulierbarkeit voraus. In den
letzten Monaten werden in diesem Kontext immer wieder Zweifel
geäußert. Hinzu kommt, dass aufgrund der strukturell gestiegenen
Preise für Neuanlagen bereits im letzten Jahr erste Warnungen aufkamen, dass vielen Kraftwerksprojekten das Aus drohe. Die Gründe
waren der überhitzte Markt insbesondere für Großanlagen, aber
9
auch die galoppierenden Produktionskosten.
Rege Investitionstätigkeit im deutschen Kraftwerkspark
Nach unserer Einschätzung wird es in der Zeit insbesondere bis
2020 zu einer regen Investitionstätigkeit im deutschen Kraftwerkspark kommen. Erstens zwingen schärfere Klimaschutzvorgaben die
Versorger zur Modernisierung bzw. zum Ersatz ihrer Kohlekraftwerke. Interessant wird die Zeit ab etwa 2015. Dann dürfte mehr Klar8
9
14
Vgl. BDEW (2008). Im Bau oder in Planung befindliche Kraftwerke. Stand: 30. Mai
2008.
Vgl. Flauger, Jürgen. Kraftwerks-Projekten droht das Aus. Handelsblatt. 5. September 2007. Der hier ausgewiesene Anstieg der Preise von Steinkohlekraftwerken von EUR 820 je kW Leistung im Jahr 2004 auf EUR 1.500 je kW im Jahr 2007
erscheint gleichwohl die tatsächliche Entwicklung etwas zu überzeichnen.
9. Oktober 2008
Bauen als Klimaschutz
+! #
0 1A
"
1
heit bestehen, ob und welche Technologien der CO2-Abscheidung
wirklich funktionieren. Sollte der Durchbruch gelingen, wird danach
kein Kohlekraftwerk in Deutschland mehr ohne die neuen Techniken
genehmigt werden. Die neuen klimagünstigen Technologien machen
die Kohlekraftwerke freilich teurer. Zweitens sind Investitionen seitens der Stadtwerke zu erwarten. Die Eigenerzeugung in neuen
Anlagen macht sie unabhängiger von den hohen und schwankungsanfälligen Preisen im Stromgroßhandel. Drittens kommt natürlich der vereinbarte Kernenergieausstieg hinzu. Hier sind Investitionen zur Kompensation der wegfallenden Kapazitäten unverzichtbar.
EUR/t CO2
Photovoltaik
Wind
Wasser
CO2-Abtrennung
Neue Kohlekraftwerke
0
200
400
600
800
Quellen: Euracoal, RWE
. #
,"
/
! "@
Nennspannung 380 kV
Neubau Höchstspannungsleitung
In der Dekade bis 2030 dürften die Investitionen in neue Kraftwerke
dann etwas weniger stürmisch verlaufen. Da es Großkraftwerke
künftig immer schwerer haben, werden dezentrale Einheiten mehr
Chancen haben. Der Stromverbrauch dürfte nach 2020 stagnieren.
Kassø (DK) - Hamburg Nord - Dollern
Ganderkesee - Wehrendorf
Neuhagen - Bertikow / Vierraden
- Krajnik (PL)
Lauchstädt - Redwitz
Umfangreiche Investitionen im Netzausbau stehen an
Diele - Niederrhein
Aufgrund der langen Lebensdauer der Stromnetze und der vielfältigen Zusammenhänge zwischen Kraftwerksbau und Netzausbau
sind ausgeprägte Investitionszyklen auch im Netzgeschäft zu beobachten. In den 1960er Jahren erforderte die Erschließung des
„Speckgürtels“ der Städte hohe Netzinvestitionen. In den 1970ern
beschleunigte der Ölpreisschock den Netzausbau. In den 1990ern
brachte die Modernisierung der ostdeutschen Netze einen Investitionsschub. Bereits in den letzten Jahren sind die Investitionen in die
Elektrizitätsnetze stark gestiegen. Bis 2030 zeichnen sich erhebliche
Netzinvestitionen ab. Neben den zyklischen Instandhaltungsmaßnahmen induzieren neue Megatrends zusätzliche Netzinvestitionen.
Dazu zählt die politisch gewollte Expansion und Integration der neuen Energien. So ist für den Transport der absehbar großen Strommengen aus den Offshore-Windanlagen in Norddeutschland in die
Verbrauchszentren des Südens ein Ausbau des Hochspannungsleitungsnetzes dringend erforderlich. Die Deutsche Energie-Agentur
(dena) schätzt den Bedarf auf rund 850 Kilometer, die möglichst
rasch gebaut werden müssen. Eine größere Rolle spielt in Zukunft
auch der internationale Stromhandel, der wachsende physische
Lieferungen mit sich bringt. Ein funktionsfähiger europäischer Binnenmarkt für Elektrizität ist ohne den Ausbau und die Modernisierung der europäischen Netzinfrastruktur nicht vorstellbar. Deutschland kommt aufgrund seiner Lage im Herzen Europas und der
schieren Größe seines Elektrizitätsmarktes dabei eine Schlüsselrolle
zu.
Wahle - Mecklar
Hamburg / Krümmel - Schwerin
Neuenhagen - Wustermark
Niederrhein/Wesel - Landesgrenze NL
Niederrhein - Utfort - Osterath
Osterath - Weißenthurm
Wehrendorf - Gütersloh
Gütersloh - Bechterdissen
Lüstringen - Westerkappeln
Kruckel - Dauersberg
Dauersberg - Hünfelden
Marxheim - Kelsterbach
Bünzwangen - Lindach
Umrüstung Höchstspannungsleitung (auf 380 kV)
Redwitz - Grafenrheinfeld
(derzeit 220 kV)
Weier - Villingen (derzeit 110 kV)
Neckarwestheim - Mühlhausen
(derzeit 220 kV)
Lindach - Goldshöfe (derzeit 110 kV)
Zubeseilung Höchstspannungsleitung
Bergkamen - Gersteinwerk
Kriftel - Eschborn
Neubau Interkonnektor
Eisenhüttenstadt - Baczyna (PL)
Quellen: BMWi; Uluçay, Ali (2008), in:
Energy Weekl y, Nr . 25, S. 5
9. Oktober 2008
Per Saldo erwarten wir, dass bis 2020 rund die Hälfte der Stromerzeugungskapazitäten zu substituieren ist. Wie die zitierten Zahlen
des BDEW zeigen, geben die derzeitigen Planungen (bis 2018)
dieses Kapazitätsvolumen noch keineswegs her. Deshalb muss in
den kommenden Jahren merklich nachgelegt werden. In unserem
Szenario unterstellen wir, dass die Elektrizitätswirtschaft die erforderlichen Investitionen auch tätigt und politische wie gesellschaftliche Widerstände (z.B. Bürgerinitiativen) grundsätzlich überwunden
werden können.
/
Vom Netzausbau wird die Bauwirtschaft in erheblichem Maße begünstigt; sei es beim Aufstellen der Masten mit leistungsfähigen
Fundamenten oder der Verlegung der Stromkabel unter Erde durch
Tiefbauaktivitäten. Von den 850 Kilometern Hochspannungsleitungen, die für den Ferntransport des Offshore-Stroms möglichst
schnell gebaut werden müssen, entfallen 250 Leitungskilometer auf
Erdkabel. Dies wurde im Zusammenhang mit dem im Juni 2008
verabschiedeten zweiten Teil des Energie- und Klimaprogramms
15
Aktuelle Themen 433
verabredet. Die (mit geschätzt etwa EUR 70 Mio. Mehrkosten relativ
teure) Entscheidung entschärft Konflikte, die der geplante Neubau
von Hochspannungsleitungen in Niedersachsen und über den
Rennsteig im Thüringer Wald heraufbeschworen hatte.
Kraftwerkspark wird um gut ein Viertel
ausgebaut
Insgesamt rechnen wir in unserem ersten Szenario bis 2030 mit
einem Ausbau des Kraftwerksparks um gut ein Viertel. Dieser resultiert keineswegs aus einer höheren Stromnachfrage, sondern z.B.
aus der Expansion der Windenergie. Überdies legen wir unserer
Kalkulation die in den letzten Jahren merklich gestiegenen Preise
für Kraftwerke und Baustoffe zugrunde. Auf dieser Basis resultieren
im Status-quo-Szenario Investitionen in den deutschen Kraftwerkspark und die Elektrizitätsnetze in Höhe von EUR 230 Mrd. Darin
enthalten sind Bauinvestitionen von summiert etwa EUR 80 Mrd.
4.2 Szenario 2: Ausgabenlimit
Größerer Bürgerprotest gegen neue
Projekte erschwert Kapazitätsausbau
Szenario 1 basiert auf der Erwartung, dass der Kraftwerkspark und
seine Modernisierung die Stromversorgung in Deutschland im Betrachtungszeitraum gewährleisten kann. Diese Erwartung wird aufgrund einer Reihe überraschender Ereignisse in letzter Zeit immer
öfter kritisch hinterfragt. Nachdenklich stimmen nicht zuletzt die
jüngsten Vorgänge rund um den Aufbau neuer Stromerzeugungskapazitäten in Deutschland. Hatte es früher vor allem die Kernenergie
schwer, muss mittlerweile auch die Kohle um jeden Standort kämpfen. Offensichtlich ernten Neubauprojekte immer häufiger Bürgerproteste und zeitintensive Klageverfahren. Mittlerweile gibt es bereits einen Fall, wo sich die Bürger sowohl gegen ein Kohlekraftwerk
als auch gegen einen Windpark entschieden haben. Bei solchen
politischen Bedingungen sind dann offenbar weder Großkraftwerke
noch eine weitere Dezentralisierung erwünscht.
Für die deutsche Stromversorgung erhält die sich abzeichnende
Neubaublockade im Kraftwerkssektor eine ganz besondere Brisanz
durch den vereinbarten Kernenergieausstieg. Auf politischer Ebene
ist jedoch eine Konstellation erkennbar, welche die Vereinbarung
aufheben würde, sofern sie die erforderliche Mehrheit bei der nächsten Bundestagswahl zustande brächte. Insofern erscheint es nicht
nur zweckmäßig, sondern dringend geboten zu sein, auch die Bedeutung einer Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken für die
Stromversorgung in Deutschland zu thematisieren.
+ "
25.000
Hilfreich für die Folgeabschätzung ist in diesem Zusammenhang
10
eine Untersuchung der dena. Diese differenziert mehrere Fälle der
Kraftwerks- und Netzplanung in Deutschland, wobei ein wichtiges
Unterscheidungsmerkmal die Annahme „ohne“ bzw. „mit Laufzeitverlängerung“ ist.
20.000
Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Kernenergie?
15.000
Die Vorteile einer Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke in
Deutschland um angenommen 20 auf durchschnittlich 52 Jahre sind
evident. Besonders plausibel ist ein Szenario „mit Laufzeitverlängerung“ bei sinkendem deutschem Stromverbrauch infolge einer erfolgreichen Umsetzung der aktuellen Energie- und Klimapolitik der
Bundesregierung.
!
Szenario: Energieprogramm Bundesregierung mit Atomausstieg; noch
benötigte gesicherte Leistung in MW
10.000
5.000
0
-5.000
2005 2010 2015 2020 2025 2030
- ist Überdeckung; + ist Unterdeckung
Quelle: dena
/8
Bei den Fallunterscheidungen „ohne“ und „mit Laufzeitverlängerung“
werden gleiche Annahmen für den Ausbau der erneuerbaren Energien und der KWK unterstellt. So steigen die Anteile der Erneuerba10
16
Vgl. dena (2008). Zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Prämissen und
Schlussfolgerungen der dena-Studie vgl. Matthes, Felix und Hans-Joachim Ziesing
(2008) und Podewils, Christoph (2008).
9. Oktober 2008
Bauen als Klimaschutz
ren und der KWK an der Stromerzeugung bis 2020 planmäßig auf
30% bzw. 25% – und danach weiter an. Keine Unterschiede werden
bei der Realisierung der geplanten Kraftwerke gemacht. Deshalb
lassen sich die Konsequenzen allein das auf Kriterium „ohne“ und
„mit Laufzeitverlängerung“ zurückführen.
— Im Falle des planmäßigen Atomausstiegs, also „ohne Laufzeitverlängerung“, tritt ab 2012 eine Versorgungslücke auf, denn die
Jahreshöchstlast der Kraftwerkskapazitäten kann die erwartete
Stromnachfrage nicht mehr vollständig decken. 2020 beträgt die
Stromlücke bereits etwa 12.000 MW und 2030 rd. 22.000 MW.
+ "
!
Szenario: Energieprogramm Bundesregierung mit Laufzeitverlängerung; noch
benötigte gesicherte Leistung in MW
8.000
6.000
4.000
2.000
0
-2.000
-4.000
-6.000
2005 2010 2015 2020 2025 2030
- ist Überdeckung; + ist Unterdeckung
Quelle: dena
/9
— Im Falle der 20-jährigen Laufzeitverlängerung dagegen liegt die
gesicherte Leistung der bestehenden konventionellen Kraftwerke
über den gesamten Betrachtungshorizont merklich höher. Das
hätte den Vorteil, dass bis 2020 – und auch noch 2025 – der erwartete Strombedarf durch die verfügbaren Kraftwerkskapazitäten mehr als befriedigt werden kann. Eine Stromlücke entsteht
erst danach; sie beträgt allerdings auch 2030 kaum mehr als
5.700 MW. Da die Lücke erst spät auftritt, wäre noch reichlich
Zeit zum Gegensteuern.
Nach unserer Einschätzung sollte aus einer linearen Verlängerung
der Laufzeiten um 20 Jahre keineswegs der Schluss gezogen werden, dass tatsächlich jedes Kernkraftwerk um exakt diese Zeitspanne weiter betrieben wird. Da die aufgestellten Kraftwerke bezüglich
Alter, angewendeter Technologien und Instandhaltungskosten variieren, ist es wahrscheinlich, dass das eine oder andere Kraftwerk
schon vor den zugebilligten zusätzlichen 20 Jahren vom Netz genommen wird. Auch für den Weiterbetrieb der Anlagen sind Optimierungen relevant. Deshalb kann es von Fall zu Fall durchaus zweckmäßig sein, Modernisierungen nicht mehr vorzunehmen, sollten die
damit zusammenhängenden Kosten durch den zu erwartenden Ertrag nicht mehr gedeckt werden.
Alles in allem rechnen wir im Szenario mit Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke mit merklich geringeren Investitionskosten in
den Kraftwerkspark als in Szenario 1. Daher nennen wir dieses
Szenario Ausgabenlimit. Die im Betrachtungszeitraum unterstellte
Verfügbarkeit von rd. 20.000 MW Kernkraftwerkskapazitäten vermindert den Bedarf für Investitionen zur Absicherung der Grundlast.
Auch die klimapolitisch gewünschte Expansion der Erneuerbaren
dürfte unter den Bedingungen der verlängerten Laufzeiten etwas
schwächer ausfallen als in Szenario 1. Wir erwarten zwar bis 2020
einen Anstieg des Anteils der Erneuerbaren an der Stromversorgung
auf 30%, aber bis 2030 dann „nur noch“ eine Zunahme auf 35%.
Dies koinzidiert mit einem Anteil der Erneuerbaren an den installierten deutschen Kraftwerkskapazitäten von 52%. Die gesamten Kapazitäten könnten 2030 bei 155.000 MW liegen.
Investitionskosten spürbar niedriger
als im Status-quo-Szenario
9. Oktober 2008
Dank der verlängerten Laufzeiten der Kernkraftwerke liegen die
Investitionskosten in diesem Szenario nach unseren Berechnungen
mit gut EUR 190 Mrd. spürbar niedriger als in Szenario 1. Das ist
wenig überraschend, denn die Kernenergie steuert immerhin etwa
ein Siebtel der heutigen Elektrizitätserzeugungskapazität bei. Die
längeren Laufzeiten ersparen vorübergehend einen Teil der Investitionen in den fossilen Kraftwerkspark und reduzieren das Expansionstempo der Erneuerbaren. Die mit dem Ausgabenlimit-Szenario
einhergehenden Bauinvestitionen betragen nach unserer Kalkulation immer noch etwa EUR 65 Mrd.
17
Aktuelle Themen 433
2
+ "
,
#
4.3 Szenario 3: Klimaschock
*
#/
% an regenerativer Elektrizitätserzeugung in Deutschland, 2007
0,1
25,0
27,0
3,5
44,4
Wasserkraft
Windenergie
Photovoltaik
Biomasse
Geothermie
Quellen: BEE, BBE
/:
Zunehmende Klimaprobleme führen in diesem Szenario zu einer
schärferen Klimapolitik in Deutschland, Europa und dem Rest der
Welt, insbesondere in der Zeit nach 2020. Deshalb dürfte sich der
Zertifikatspreis im Vergleich zu den beiden anderen Szenarien merklich schneller und stärker erhöhen und zum Ende unseres Prognosehorizonts auf bis zu EUR 50 pro Tonne steigen.
Die neue Klimapolitik verändert den Mix der Elektrizitätserzeugung
auf vielfältige Weise. Zu den Gewinnern zählen alle erneuerbaren
Energien. Die politischen Impulse ermöglichen eine Expansion der
klimafreundlichen Erneuerbaren an der Elektrizitätserzeugung auf
44%. Bei der Windenergie kommen die Impulse zunächst vom Repowering von Altanlagen. Spätestens ab Mitte der nächsten Dekade
steuern dann leistungsfähige Offshore-Windparks steigende Beiträge zur Stromversorgung bei. Die von der Windenergiebranche bis
2020 erwartete installierte Kapazität von 10.000 MW OffshoreWindkraft erscheint realisierbar. In der Dekade danach dürfte die
ursprünglich bereits für 2020 erwartete Windleistung von 20.000
MW vor der deutschen Küste übertroffen werden. Wir erwarten,
dass dann auch die Stromnetze fit sind für den Transport der großen
Windstrommengen über weite Distanzen.
Dezentralisierung der Energieversorgung
Start erster Projekte virtueller Kraftwerke ermutigend
In Deutschland wurden in diesem Jahrzehnt
mehrere Projekte unter dem Schlagwort des
virtuellen Kraftwerks begonnen und auch umgesetzt.1 Eines der ersten getesteten virtuellen
Kraftwerke ist das Ende 2004 in Betrieb gegangene Unna-Kraftwerk. Die Projektbeteiligten sind die Stadtwerke Unna, die EUS GmbH
und ABB New Ventures. Es verbindet 5 BHKW,
1 Wasserkraftwerk, 1 Photovoltaikanlage und 2
Windparks und kommt auf eine Jahresproduktion von 26 GWh. Unna galt bereits früh als
„gelungenes Beispiel für rationelle Energieverwendung und -verteilung“.2
1
Für einen Überblick über die einzelnen Projekte vgl. Arndt,
Ulli; von Roon, Serafin; Wagner, Ulrich (2006). Virtuelle
Kraftwerke: Theorie oder Realität? In BWK, Jg. 58, Nr. 6,
S. 52-57.
2
Janzing, Bernward (2005). Kraftwerke im Keller. In
Petermann, Jürgen (Hrsg.). Sichere Energie im 21.
Jahrhundert. S. 289-293, hier S. 293.
Die steigende Stromerzeugung auf Basis von Bioenergien – oft auch
unter Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung – trägt insbesondere
auch im ländlichen Raum zur Dezentralisierung und Sicherheit der
Stromversorgung bei. Ein Wachstumsfeld – freilich auf niedriger
Basis – bleibt auch die Solarenergie. Die in den Anfangsjahren noch
starke, später aber spürbar sinkende Förderung der Photovoltaik
heizt den technischen Fortschritt dieser derzeit noch sehr teuren
Technologie an. Da es im Rahmen der Förderung keinen Deckel für
die Mengen gibt, ist ein wachsender Anteil an der Stromproduktion
programmiert. Am Ende des Betrachtungszeitraums kommt die
Technik selbst in Deutschland ohne Förderung aus. Das gilt nicht
nur für Solarparks in der Fläche, sondern auch für Dachanlagen.
Der Boom der Photovoltaik kommt dem Handwerk zugute. Überdies
werden in Zukunft innovative Architekten Neubauprojekte standardmäßig mit Aggregaten zur Nutzung von Sonnenenergie ausstatten.
Im Unterschied zu den neuen Erneuerbaren dürfte die Strommenge
auf Basis von Wasserkraft auch 2030 kaum höher als heute liegen,
da die verfügbaren Wasserpotenziale schon weitgehend erschlossen sind.
Wir erwarten zwar Fortschritte bei den Techniken zur Speicherung
von Strom – von Pump- und Druckluftspeichern bis hin zu Batterien
z.B. in Fahrzeugen. Allerdings dürfte auch 2030 noch ein Großteil
der oftmals nicht genau planbaren Strommengen aus regenerativen
Quellen nicht über längere Zeit kommerziell zu speichern sein. Eine
Ausnahme ist hier Biogas.
Auf dem Weg hin zur Etablierung leistungsfähiger virtueller Kraftwerke ist man bis 2030 bereits ein großes Stück weiter. Hier erwarten wir projektwirtschaftlichen Fortschritt. Da der Umbau der Stromerzeugungsstrukturen aber viele Jahrzehnte benötigt, liegt ein großer Teil des Weges zur Modernisierung der Elektrizitätswirtschaft
noch vor uns. Das Zusammenschalten der unterschiedlichen regenerativen Stromquellen erlaubt zwar ein Ausbalancieren der Strommengen. Aufgrund der bis Ende des Betrachtungszeitraums immer
noch mangelnden Durchdringung in der Fläche dürften virtuelle
Kraftwerke jedoch geringe Bedeutung haben.
18
9. Oktober 2008
Bauen als Klimaschutz
! #
'000 MW
200
150
Die im Vergleich zu den anderen Szenarien spürbar höheren Preise
für Emissionszertifikate bringt Erdgas bei der Kalkulation neuer konventioneller Kraftwerke wieder zurück ins Spiel. Der Kostennachteil
von Erdgas bei den Brennstoffkosten wird dank der im Vergleich zur
Kohle günstigeren CO2-Bilanz und dem damit niedrigeren Bedarf an
Zertifikaten kompensiert. Folglich steigt der Anteil von Erdgas an der
Stromerzeugung, während Kohle künftig eine geringere Rolle spielt.
100
Größere Erfolge beim Energiesparen
50
0
KlimaschockSzenario
AugabenlimitSzenario
StatusquoSzenario
Quelle: DB Research
- ,
"
!
.
/<
#
Mrd. EUR
250
200
150
100
50
0
StatusquoSzenario
AusgabenlimitSzenario
KlimaschockSzenario
Bauinvestitionen
gesamt
Quelle: DB Research
C
"
0 1
'
"
Anteil an CO2-Gesamtemisionen, 2004
/?
In unserem Klimaschockszenario kalkulieren wir, dass bisher ungenutzte Potenziale zur Reduzierung des Stromverbrauchs, nicht zuletzt im Segment der privaten Haushalte, aktiviert werden. Die Palette ist breit: Sie umfasst z.B. die Warmwasserbreitung, Stand-byFunktionen bei elektronischen Konsumgütern oder Küchengeräte.
Im Ergebnis haben die Initiativen für einen sparsameren und effizienteren Umgang mit Energie in den Privathaushalten, der Industrie und im Mittelstand die Konsequenz, dass der Stromverbrauch in
Deutschland bis 2030 um ein Zehntel niedriger liegt als heute.
Die auch künftig noch unzureichenden Speichermöglichkeiten für
regenerativ erzeugte Elektrizität und die nicht flächendeckend verfügbaren virtuellen Kraftwerke machen neue Stromerzeugungskapazitäten für Verbrauchsspitzen nötig. In letzter Konsequenz werden
die Kraftwerkskapazitäten in Deutschland bis 2030 auf 192.000 MW
wachsen – fallen also 7% höher aus als im Status-quo-Szenario.
Den mit Szenario 3 einhergehenden Investitionsbedarf veranschlagen wir mit EUR 225 Mrd. Die Investitionssumme ist das Ergebnis
gegenläufiger Trends. So kosten die aufgrund der höheren Preise
für Emissionszertifikate attraktiveren Gaskraftwerke im Vergleich zu
neuen Kohlekraftwerkskapazitäten weniger, die Investitionskosten
fallen also niedriger aus. Im Gegensatz dazu kosten die im Vergleich zu den beiden anderen Szenarien stärker expandierenden
Stromerzeugungskapazitäten auf Basis regenerativer Energien
mehr. Der dank verstärkter Einspar- und Effizienzinitiativen geringere Elektrizitätsverbrauch dämpft dagegen den Investitionsbedarf. Ein
niedrigerer Stromkonsum, höhere Anteile der Erneuerbaren und
dezentralen Versorgungsstrukturen ersparen auch einen Teil des
erforderlichen Netzausbaus. Per Saldo sind in unserem Klimaschock-Szenario Bauinvestitionen von EUR 75 Mrd. erforderlich.
8 4"
B
#
#
'
7%
7%
6%
17%
63%
Sonstige CO2-Emissionen
Wohngebäude (Wärme)
Wohngebäude (Strom)
Nichtwohngebäude (Wärme)
Nichtwohngebäude (Strom)
Quelle: IWU
9. Oktober 2008
Nach Berechnungen des Instituts Wohnen und Umwelt (IWU) entfallen etwa 37% der deutschen CO2-Emissionen auf den Immobiliensektor: 23% auf Wohnimmobilien und 14% auf Nichtwohngebäude.
Die große Bedeutung des Immobilienbestands ist nicht überraschend, da Immobilien die mit Abstand größte reale Vermögensklasse in Deutschland darstellen. Das Nettoanlagevermögen in
Deutschland (zu Wiederbeschaffungspreisen) belief sich Anfang
2008 auf EUR 7,6 Bill., davon entfallen EUR 3,9 Bill. auf Wohnimmobilien und EUR 2,7 Bill. auf Nichtwohnimmobilien. Die meisten
Wohnimmobilien werden zudem über einen längeren Zeitraum genutzt als Nichtwohnimmobilien, und die Anreize zum Energiesparen
sind geringer als beispielsweise bei Gewerbeimmobilien (dazu später mehr). Daher ist es nicht verwunderlich, dass das Emissionsvolumen im Wohnungssegment deutlich größer ausfällt als im Nichtwohnsegment. Gesamtdeutsche Einsparziele lassen sich wohl nur
19
Aktuelle Themen 433
erreichen, wenn auch eine kohärente Strategie zur Energiereduktion
bei Immobilien verfolgt wird.
Im Folgenden werden die oben skizzierten Szenarien auf die Immobiliensegmente übertragen. Es werden Einsparpotenziale geschätzt
und daraus die Baupotenziale abgeleitet. Darüber hinaus werden
mögliche Maßnahmen präsentiert, denn allein aufgrund überlegener
Wirtschaftlichkeit lässt sich gerade im Wohnsegment das Klimaziel
der Bundesregierung wohl nicht erreichen.
+
5.1 Klimaschutz im Wohnungsbau
2
Der Wunsch nach einer angemessenen Wohnung gehört zu den
wichtigsten Bedürfnissen des Menschen. Und weil man so viel Zeit
zu Hause verbringt, ist uns Wohnkomfort viel wert: gut ein Viertel
der Konsumausgaben in Deutschland werden für Wohnen veranschlagt. Allein der hohe Anteil des Wohnimmobiliensektors an den
CO2-Emissionen impliziert enorme Chancen für den Klimaschutz,
denn kleine Effizienzgewinne je Wohneinheit werden in der Summe
zu einer sehr bedeutsamen Größe. Tatsächlich gibt es sogar sehr
große Effizienzpotenziale im deutschen Wohnungsbestand.
Nettoanlagevermögen zu Wiederbeschaffungspreisen, Mrd. EUR
4.500
4.000
3.500
3.000
2.500
2.000
1.500
1.000
500
0
Gebäudebestand
91 93 95 97 99 01 03 05 07
Wohnbauten
Nichtwohnbauten
übrige Anlagegüter
Quelle: Statistisches Bundesamt
D
2"
/
E
Wohnfläche in Mio. m², nach Altersgruppen
1979-2006
1958-1978
1949-1957
1919-1948
vor 1918
0
Einfamilienhaus
500
1.000
1.500
Mehrfamilienhaus
Quelle: Destatis
In Deutschland gibt es knapp 39 Mio. Wohneinheiten in fast 18 Mio.
Wohngebäuden. Hinzu kommen noch 782.000 Wohneinheiten in
Nichtwohngebäuden (diese werden jedoch analytisch bei Nichtwohngebäuden berücksichtigt). Der gesamte Wohnflächenbestand
(in Wohngebäuden) beläuft sich auf gut 3,3 Mrd. m² Wohnfläche,
also 86 m² je Wohneinheit.
Von den insgesamt rd. 39 Mio. Wohneinheiten sind gut 30% nach
1978 errichtet worden, und knapp 60% aller Wohnungen befinden
sich in Mehrfamilienhäusern. Für die energetische Sanierung relevant ist jedoch nicht die Zahl der Wohneinheiten, sondern die gesamte Wohnfläche: Knapp 40% aller Flächen sind jünger als 30
Jahre, und über 50% aller Flächen sind in Ein- und Zweifamilienhäusern (inkl. Reihenhäusern). Dies impliziert, dass Wohnungen in
Einfamilienhäusern im Durchschnitt um fast 50% größer sind als
Wohnungen in Mehrfamilienhäusern und dass die Wohnungen seit
11
dem zweiten Weltkrieg im Schnitt immer größer geworden sind.
Der Wohnflächenbestand wird in den nächsten Jahren trotz rückläufiger Bevölkerungszahl weiter zunehmen, denn zum einen bedeutet
eine alternde Gesellschaft kleinere durchschnittliche Haushaltsgrößen und zum anderen ist der Trend zu mehr Wohnfläche je Haushalt
noch nicht gestoppt. Wir rechnen mit moderat steigenden Wohnungsgrößen je Haushalt (+7% bis 2030). Insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern gibt es nach wie vor einen erheblichen
Nachholbedarf, der noch über Jahrzehnte für steigende Wohnfläche
12
je Haushalt sorgen dürfte. Bei einer jährlichen Nettozuwanderung
von 100.000 Personen dürfte die Wohnflächennachfrage in
Deutschland bis 2030 um 8% zunehmen (bei einer Nettozuwanderung von 200.000 Personen pro Jahr läge der Nachfragezuwachs
bei rd. 11,5%).
11
12
20
Einfamilienhäuser, die nach 2002 fertig wurden, sind um über 60% größer als
Einfamilienhäuser aus der Nachkriegszeit. Bei Wohnungen in Mehrfamilienhäusern ist der Flächenzuwachs mit knapp 50% etwas geringer und entwickelte sich
erst nach der Jahrtausendwende sprunghaft. Bemerkenswert ist auch, dass die
durchschnittliche Wohnung, die direkt nach dem Krieg gebaut wurde, etwas kleiner
war als die Wohnungen, die vor dem Krieg gebaut wurden (und noch bestehen).
Vgl. hierzu Just, Tobias (2003). Außerdem Bräuninger, Dieter et al. (2007).
9. Oktober 2008
Bauen als Klimaschutz
=
Stetige Erneuerung des Immobilienbestands als Klimaschutz
"
Wohnflächennachfrage Deutschland,
Heizwärmenachfrage, 2006=100
108
106
104
102
100
98
2006 2010 2014 2018 2022 2026 2030
Wohnflächennachfrage
Heizwärmebedarf
Der Heizwärmebedarf sinkt früher, da abgerissene
Wohnungen und durch Fortzug leer stehende
Wohnungen eine deutlich geringere Effizienz aufweisen als neu gebaute Wohnungen.
Quellen: Destatis, IWU, DB Research
&
Heizung plus Warmwasser, kWh/(m²Jahr)
2002-2006
1995-2001
1984-1994
1979-1983
1969-1978
1958-1968
Für den Heizwärmebedarf der kommenden Jahre lässt sich ein
Benchmark-Szenario auf der Basis dieser Nachfrageprognose konzipieren: Diesem liegt zugrunde, dass wegen der verringerten Nachfragezuwächse auch die Zahl der Neubauten zurückgehen wird.
Gleichzeitig werden nicht marktgängige Wohnungen abgerissen.
Dies waren seit der Jahrtausendwende rd. 50.000 Einheiten pro
Jahr. Diese Zahl dürfte in Zukunft steigen, da Wohnungen in Fortzugsregionen immer häufiger leer bleiben. Es ist plausibel, dass die
Neubauwohnungen einem deutlich höheren Wärmeschutzstandard
entsprechen als die abgerissenen Wohnungen. Wir haben mit 80
kWh pro m² und Jahr für Neubauwohnungen gerechnet; das entspricht einer Modernisierung mit Komponenten gemäß der neuen
13
Energieeinsparverordnung. Die Größe einer neuen Wohnung wurde mit 132 m² veranschlagt, die einer abgängigen Wohnung mit 86
14
m². Für eine abgerissene Wohnung setzten wir einen (eingesparten) Heizwärmebedarf von 170 kWh pro m² und Jahr an. Zum Vergleich: Heute werden in einer durchschnittlichen Wohnung in
15
Deutschland 135 kWh pro m² und Jahr verbraucht. Dies entspricht
bei gut 3,3 Mrd. m² Wohnfläche einem gesamten Heizwärmebedarf
von rd. 450 Mrd. kWh pro Jahr.
Der stetige Ersatz von Wohnungen führt zu einer Schonung des
Klimas, denn trotz des Anstiegs der Wohnflächennachfrage um 7%,
nimmt der Heizwärmebedarf nur sehr geringfügig zu und liegt im
Jahr 2030 sogar unterhalb des heutigen Niveaus – ohne eine einzige zusätzliche Sanierungsmaßnahme! Durch diesen Prozess sinkt
der mittlere Heizwärmebedarf von heute 135 kWh auf 124 kWh pro
m² und Jahr. In unserer Einschätzung der klimabedingten Baueffekte rechnen wir diese Bautätigkeit nicht mit ein, da sie (wahrscheinlich) überwiegend auch ohne Klimawandel durchgeführt worden
wären. Dieses Referenzszenario ist sehr konservativ, da angenommen wurde, dass die Neubautätigkeit von derzeit gut 200.000
Wohneinheiten pro Jahr allmählich auf die Hälfte im Jahr 2030 sinkt.
Das Durchschnittsalter im Wohnungsbestand steigt also deutlich,
was die Sanierungsnotwendigkeit erhöht. Würde man über die
nächsten 25 Jahre jährlich 250.000 Wohneinheiten (nach derselben
Maßgabe) neu bauen, würde der Heizwärmebedarf auf 94% des
heutigen Niveaus sinken und der Heizwärmebedarf pro m² und Jahr
16
auf nur noch 118 kWh.
1949-1957
Mögliche Baumaßnahmen
1919-1948
vor 1918
0
100
Einfamilienhaus
200
300
400
Mehrfamilienhaus
Quelle: Fraunhofer Institut für Bauphysik, 2007
Sehr viele energetische Modernisierungsmaßnahmen rechnen sich
dann, wenn sowieso eine Baumaßnahme erfolgen muss und die
Einsparmöglichkeiten wegen der hohen Energiepreise stark ausfallen. Im Zuge der ersten gesetzlichen Regelungen zum Wärmeschutz von Gebäuden 1977 wurden die Anforderungen an energiesparendes Bauen immer weiter verschärft. Heute liegt der Energiebedarf bei rd. 60 bis 80 kWh pro m² und Jahr (entspricht 6 bis 8
13
14
15
16
9. Oktober 2008
Vgl. zu den Zahlen IWU (2007).
Diese Zahlen sind der aktuellen amtlichen Statistik angelehnt worden: die durchschnittliche Neubauwohnung ist 132 m² groß, die durchschnittliche Bestandswohnung 86 m².
Der größte Teil der Einsparung folgt der energetischen Sanierung der Wohnungen,
ein bedeutend kleinerer Einspareffekt beim Heizwärmebedarf resultiert aus der
klimatischen Verschiebung zu milderen Wintern.
Nach neuen Studien liegen die Kosten für den Neubau von energetisch modernen
Gebäuden nicht systematisch über jenen von „nicht-grünen“ Gebäuden. Davis
Langdon (2007).
21
Aktuelle Themen 433
Litern Öl). Vor diesen Maßnahmen lag der Bedarf häufig vier- bis
sechsmal höher.
Einzelmaßnahmen reichen oft nicht
aus, um Energieziele zu erreichen
Sehr häufig lässt sich der heutige Standard durch geeignete bauliche Maßnahmen auch im Bestand erreichen. Eine einzige bauliche
Veränderung reicht hierfür freilich nicht: In der untenstehenden Box
werden mögliche Modernisierungsmaßnahmen aufgelistet: Das
größte Einsparvolumen bietet die Erneuerung der Heizung (typische
Wärmeverluste bei ungedämmten Haus: 30% bis 35%), die Sanierung der Außenwand (20% bis 25%) sowie des Daches (20% bis
17
25%) und der Fenster (15% bis 20%).
Es wird bereits hier deutlich, dass nicht alle Maßnahmen gleich
sinnvoll sind: So liegen die Kosten je eingesparter kWh bei einer
Dämmung des obersten Geschosses bei nur 2,8 Eurocent, bei der
Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung jedoch mehr als zwölfmal
höher. Verschiedene Maßnahmen dürften sich also nur dann rechnen, wenn die Energiepreise noch stärker ansteigen, spürbar niedrigere Kosten durch technischen Fortschritt möglich werden und/oder
der Gesetzgeber massive Eingriffe vornimmt. Offensichtlich richtet
sich das Bauvolumen also nach den oben beschriebenen Szenarien.
&(
&"
)
Bereich
Maßnahme
Maßnahmenkosten gesamt
(brutto)
Energieeinsparung
bezogen auf Wohnfläche
Wärmedämmverbundsysteme
114 EUR/m²
41 kWh/(m² Jahr)
Zwischen- und
Aufsparrendämmung
Dämmauflage (begehbar)
136 EUR/m²
23 kWh/(m² Jahr)
50 EUR/m²
31 kWh/(m² Jahr)
Dämmung unter der Decke
32 EUR/m²
11 kWh/(m² Jahr)
Fenster
Wärmeschutzverglasung
571 EUR/m²
9 kWh/(m² Jahr)
Lüftung
Anlage mit Wärmerückgewinnung
Thermische Solaranlage
5.950 EUR/Wohneinheit
16 kWh/(m² Jahr)
2.380 EUR/Wohneinheit
11 kWh/(m² Jahr)
Brennwertkessel
703 EUR/Wohneinheit
8 kWh/(m² Jahr)
Holzpellet-Kessel
1.687 EUR/Wohneinheit
177 kWh/(m² Jahr)
Außenwand
Dach
Oberste Geschossdecke
Kellerdecke
Warmwasserbereitung
Wärmeerzeugung
Beispiel für ein Mehrfamilienhaus mit 1.000 m² Wohnfläche. Einsparmöglichkeiten lassen sich nicht aufaddieren, da es sich um Berechnungen von
Einzelmaßnahmen handelt.
Quellen: IWU (2007), Knissel (2007)
' ")
!
!"
Umsetzen der Szenarien
#
Es wurde bereits in zahlreichen Studien gezeigt, dass sich sehr viele
Baumaßnahmen zur Energiereduktion dann rechnen, wenn sowieso
18
eine Baumaßnahme durchgeführt werden soll. Dies hat nach Aussagen des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie 2006 und
19
2007 jeweils zu über 200.000 Wohnungssanierungen geführt. Dieses Resultat ist auch auf die staatliche Förderung im Wohnungsbereich zurückzuführen. Das Fraunhofer Institut für Bauphysik (2007)
kommt zu dem Ergebnis, dass diese Fördermaßnahmen pro Jahr zu
einer Energieeinsparung von 2,3 Mrd. kWh führen. Dies entspricht
gut einer Million Tonnen CO2 – freilich ohne die im Zuge der Umbaumaßnahmen anfallenden Zusatzemissionen. Der Abzug hierfür
dürfte jedoch gerade im Wohnungsbau vernachlässigbar sein.
Einsparpotenzial Endenergieverbrauch
Wohngebäude (Angaben bis zu x%)
vor 1900
1900-1918
1919-1945
1945-1959
1960-1969
1970-1976
1977-2006
0
50
100
Quellen: Energieagentur NRW, IWU
9
17
18
19
22
8
Vgl. hierzu Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Energie des Bundeslands
Nordrhein-Westfalen, http://www.mein-haus-spart.de/page.asp?RubrikID=4563.
McKinsey (2007), IWU (2007), Voigtländer (2008).
Knipper (2008).
9. Oktober 2008
Bauen als Klimaschutz
Förderprogramme des Bundes
Marktanreizprogramm
Gefördert werden thermische Solaranlagen zur
Warmwassererzeugung, zur Raumheizung
sowie zur kombinierten Warmwasserbereitung
und Raumheizung, außerdem Wärmepumpen
und automatisch beschickte kleine Biomassekessel (Holzpellets, Hackschnitzel, Scheitholz).
KfW-CO2-Gebäudesanierungsp.-Kredit
Finanziert wird die Sanierung von Altbauten
(Wärmedämmung, neue Fenster, Heizung)
mindestens auf Neubau-Niveau nach der
Energieeinsparverordnung (EnEV) im Rahmen
von sog. Maßnahmepaketen.
KfW-CO2-Gebäudesanierungsp.-Zuschuss
Gefördert wird die Sanierung von Ein- und
Zweifamilienhäusern oder von Eigentumswohnungen (Wärmedämmung, neue Fenster,
Heizung) mindestens auf Neubau-Niveau nach
der Energieeinsparverordnung (EnEV) im
Rahmen von sog. Maßnahmepaketen.
KfW-Programm Ökologisch Bauen
Gefördert werden die Errichtung, Herstellung
oder der Ersterwerb von KfW-Energiesparhäusern und von Passivhäusern sowie der
Einbau von Heizungstechnik auf Basis erneuerbarer Energien, Kraft-Wärme-Kopplung,
Nah-/Fernwärme bei Neubauten.
KfW-Programm Wohnraummodernisieren
Gefördert werden einzelne Modernisierungsund Instandsetzungsarbeiten an Wohngebäuden (Standard- und Öko-Plus-Maßnahme).
Hierzu gehört u.a. der Wärmeschutz der Gebäudeaußenhülle, die Erneuerung der Heizungstechnik auf Basis Erneuerbarer Energien
sowie der Einsatz von Kraft-Wärme-Kopplung.
KfW-Programm Solarstromerzeugen
Gefördert wird das Errichten und Erweitern
sowie der Erwerb einer Photovoltaik-Anlage
bzw. der Erwerb eines Anteils an einer
Photovoltaik-Anlage im Rahmen einer GbR.
Vor-Ort-Beratung
Gefördert wird eine umfassende Beratung,
bezüglich baulicher Wärmeschutz sowie Wärmeerzeugung und -verteilung unter Einschluss
der Warmwasserbereitung und der Nutzung
Erneuerbarer Energien.
Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)
Regelt den vorrangigen Anschluss / Abnahme
von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus
Erneuerbaren Energien und aus Grubengas im
Bundesgebiet an die Netze sowie die Übertragung und Vergütung dieses Stroms durch die
Netzbetreiber.
Wärme in Schulen und Kirchen
Gefördert wird der Mehraufwand beim Einsatz
von Wärme aus Erneuerbaren Energien z.B.
Anlagenteile oder elektronische Anzeigetafeln
in allgemein zugänglichen Räumen.
Quelle: Fachinformationszentrum Karlsruhe
(www.energiefoerderung.info)
Allerdings darf man sich durch die hohen absoluten Zahlen nicht
täuschen lassen: 200.000 sanierte Wohnungen sind nur 0,5% des
gesamten deutschen Wohnungsbestands, auch das eingesparte
Energievolumen entspricht nur einem halben Prozent des gesamten
Energiebedarfs im Wohnungsbereich. Werden bis zum Jahr 2030
weiterhin 200.000 Wohnungen pro Jahr energetisch saniert, würden
weniger als 5 Mio. Wohneinheiten auf den energetisch neuesten
Stand kommen, also ein Achtel des gesamten Wohnungsbestands,
bzw. nicht einmal 20% des Altbaubestands (mit Baujahr vor 1979).
Das wäre viel zu wenig, um die Einsparziele zu erreichen.
Folgerichtig wird in der Prognose von McKinsey (2007) die Sanierungsquote auf 1,7% mehr als verdoppelt, was von den Autoren
selber als ambitioniert bezeichnet wird. Auch Bardt, Demary und
Voigtländer (2007) machen deutlich, dass das aktuelle Fördervolumen wohl nicht reicht, um die Einsparziele der Bundesregierung zu
erreichen. Man benötigt entweder den „neuen“ klimabewussten
Bürger oder eine deutliche Verteuerung der Energie.
Öffentliche Förderung ist mit Einschränkungen sinnvoll
Öffentliche Förderung ist zwar grundsätzlich sinnvoll, denn es liegen
offensichtlich externe Umweltkosten vor, die der Markt bei der
20
Preisbildung nicht berücksichtigt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass
öffentliche Förderung der allein selig machende Weg sein darf. Es
ist richtig, dass es Anreize zum Energiesparen auf Seiten von Mietern und Vermietern gibt.
In allen drei Szenarien gibt es einen Mix aus marktwirtschaftlichen
und Förderimpulsen. Im ersten Status-quo-Szenario dürften durch
die Förderpolitik viele zusätzliche Maßnahmen rentierlich werden;
die Sanierungsrate steigt von heute 0,5% auf 1,4% pro Jahr. Das
entspricht 2,2% des gesamten Wohnungsbestands, der vor 1979
erbaut wurde. Im Jahr 2030 würden dann 32% des Wohnungsbestands auf den 7-Liter-Standard saniert worden sein.
Im zweiten Ausgabenlimit-Szenario ist die Regierung stärker bemüht, die Finanzierungslasten gering zu halten. Fördervolumen
werden daher begrenzt, und die Sanierungsquote wird bis 2030 auf
0,7% des Wohnungsbestands pro Jahr nur sehr leicht erhöht. Dies
entspricht einer Sanierungsrate von 1,1%, des Altbaubestands (vor
1979 erbaut). Bis 2030 wären dann 16% aller Wohnungen energetisch saniert – nicht gerade ein anspruchsvolles Ziel. Allerdings wird
der 7-Liter-Haus-Standard bei allen Sanierungsmaßnahmen erzielt.
Es wird neben der sowieso erfolgten Sanierung durch Neubaumaßnahmen eine zusätzliche energetische Sanierung erreicht.
Das dritte Klimaschock-Szenario ist das anspruchsvollste. Hier werden 2,1% aller Wohnungen pro Jahr energetisch erneuert, sodass
im Jahr 2030 die Hälfte aller Wohnungen saniert wäre, also drei
Viertel aller Wohnungen, die vor 1979 erbaut wurden. Dies ist nur
erreichbar, wenn die starken Energiepreisanstiege durch sehr umfangreiche Politikmaßnahmen flankiert würden.
Einsparpotenzial = Baupotenzial
Die umfangreichen Baumaßnahmen im Bestand bedeuten je nach
Szenario eine Energieeinsparung von 11,5% (AusgabenlimitSzenario) bis 33% (Klimaschock-Szenario) gegenüber 2007. Hier
sind bereits die Veränderungen aus zusätzlichen Neubaumaßnah20
9. Oktober 2008
Tatsächlich dürfte es sich bei der Antwort auf den Klimawandel sogar um ein globales öffentliches Gut handeln. Bei öffentlichen Gütern erzielen Marktmechanismen allein unbefriedigende Ergebnisse.
23
Aktuelle Themen 433
men und Abrissen enthalten, die aus der Änderung des Flächenbedarfs resultieren. Das heißt, selbst wenn man den steigenden Flächenbedarf je Haushalt und die vorübergehend noch steigende Zahl
an Haushalten berücksichtigt, könnte eine sehr energische Energiesparpolitik durch Baumaßnahmen im Bestand zu einem Rückgang
des Energieverbrauchs um über 30% gegenüber heute führen.
' ")
+!
!"
"
# >
1+#
Für die Einschätzung des Baupotenzials wurde die Sanierung auf
den 7-Liter-Standard unterstellt. Eine solche Sanierung für einen
besseren Wärmeschutz verursacht im Mittel nach Angaben des
Instituts für Wohnen und Umwelt Kosten in der Größenordnung von
fast 200 EUR/m². Da diese Sanierungsmaßnahmen in der Regel
dann durchgeführt werden, wenn sowieso eine Sanierung ansteht,
setzen wir die Kosten nicht in voller Höhe an, sondern „nur“ 122
EUR/m² für die energetische Sanierung (v.a. Dämmung der Fassade, des Daches, neue Fenster etc.). Zusätzlich ließe sich durch eine
bessere Wärmeversorgung weitere Energie sparen. Hierfür wurde
der Einbau eines Blockheizkraftwerkes unterstellt. Dieser verursacht
Kosten in Höhe von rd. 15 EUR/m². Schließlich ließen sich durch ein
umfangreiches Umrüsten auf thermische Solaranlagen zur Wasserbereitung Investitionen von 30 EUR/m² realisieren.
"
Heizwärme und Warmwasser
in kWh pro Jahr, 2007=100
105
100
95
90
85
80
75
70
65
60
Pro Jahr würden allein für die Sanierungsmaßnahmen zum besseren Wärmeschutz zwischen gut EUR 3 Mrd. (Szenario 2) und EUR
knapp 10 Mrd. (Szenario 3) entstehen. Bis 2030 würden Investitionen in Höhe von insgesamt EUR 73 Mrd. (Szenario 2) und EUR 220
Mrd. (Szenario 3) anfallen.
2007 2011 2015 2019 2023 2027
Ausgabenlimit-Szenario
Status-quo-Szenario
Klimaschock-Szenario
*Inklusive Neubau- und Abrissmaßnahmen, die aus
normalem Abgang und steigender Wohnflächennachfrage folgen.
:
Quelle: DB Research
!"
#
2"
")
Rechnen wir den Einbau von Blockheizkraftwerken sowie das umfangreiche Umrüsten von Solaranlagen hinzu, würde das kumulierte
Investitionsvolumen im Wohnungsbereich sogar zwischen knapp
EUR 100 Mrd. (Szenario 2) und etwas weniger als EUR 300 Mrd.
(Szenario 3) bis 2030 liegen. Diese Maßnahmen sind freilich in unserer Abschätzung zur Erneuerung des Kraftwerksparks berücksichtigt; sie spielen daher für die weitere Schätzung des Bauvolumens
im Wohnungsbereich keine Rolle mehr.
Die größten und sichersten Impulse resultieren aus der Gebäudedämmung (Fassade, Dach, Keller) und aus dem Einbau neuer
Fenster. Insbesondere die Nachfrage nach Dämmstoffen und
Leichtbetonsteinen dürfte angekurbelt werden, weniger jene von
Ziegeln und Massivbeton, denn nach Angaben der Energieagentur
NRW erreicht ein 2 cm starker Dämmstoff oder ein 6 cm starker
Leichtbetonstein dieselbe Dämmwirkung wie 90 cm Klinker oder 105
cm Massivbeton. Für Innendämmung, die Dämmung von Dächern
und Kellern kommen daher in der Regel nur Dämmstoffe oder allenfalls Leichtbetonsteine oder Nadelhölzer in Frage.
1
Jährliches zusätzliches Baupotenzial
in Mrd. EUR pro Jahr
14
12
10
8
6
Bewerten der Maßnahmen
4
Der deutliche Anstieg der Sanierungsrate im Klimaschock-Szenario
(Nr. 3) ist aus heutiger Sicht sehr ambitioniert. Dieser Anstieg würde
erfordern, dass es massive Änderungen im deutschen Mietrecht
gäbe, damit der beste Anreiz zur energetischen Sanierung, nämlich
21
das eigene Interesse der Mieter und Vermieter, zum Tragen käme.
2
0
Status-quo- AusgabenSzenario
limitSzenario
Energieeffizienz
KlimaschockSzenario
Energieerzeugung
Warmwasser
Quellen: IWU, DB Research
<
Das Status-quo-Szenario für den Wärmeschutz (ohne die Maßnahmen für Energieerzeugung und Warmwasserversorgung) dürfte
plausibel sein. Die Impulse wären mit EUR 144 Mrd. bis 2030 zwar
immer noch enorm (gut EUR 6 Mrd. pro Jahr), das ehrgeizige Ziel
der Bundesregierung bis 2020 die CO2-Emissionen um 40% gegen21
24
Vgl. v.a. Bardt, Demary, Voigtländer (2007).
9. Oktober 2008
Bauen als Klimaschutz
über 1990 zu reduzieren, würde aber wahrscheinlich im Wohnungsbereich verfehlt.
Re-Urbanisierung
Ziel sollten dichtere Siedlungsstrukturen sein
Doppelte Dividende für das Klima
+"
,
;
4"
,"
B+
Nutzflächen, 2007
Gesamt: 2,1 Mrd. m²
Für die Bauwirtschaft hieße dies, dass es zwar umfangreiche Mehrinvestitionen im Rahmen der Sanierung im Bestand gäbe. Gleichzeitig würden jedoch umfangreiche Neubaumaßnahmen verdrängt,
entweder weil in der Peripherie weniger Baubedarf entsteht oder
weil der Flächenverbrauch je Haushalt weniger schnell zunimmt.
Darüber hinaus gäbe es eine Verschiebung innerhalb der Bauwirtschaft, denn innerstädtisches Wohnen wäre viel häufiger Wohnen in
Mehrfamilienhäusern und seltener in Ein- und Zweifamilienhäusern.
Für das Klima könnte freilich eine doppelte Dividende eingefahren
werden: Erstens wird der Energieverbrauch in den kleineren Wohnungen gesucht. Zweitens reduzieren kompakte Wohnstrukturen
auch die Verkehrsleistungen. Die Emissionen aus dem Verkehr
könnten also ebenfalls vermindert werden. Umzüge von älteren
Menschen werden in Zukunft sehr wahrscheinlich zunehmen. Ein
Massenphänomen ist indes nicht zu erwarten; bisher jedenfalls gibt
es nur sehr wenig empirische Anhaltspunkte dafür, dass ältere Menschen häufiger umziehen als in der Vergangenheit.
5.2 Sonstiger Hochbau mit weniger Potenzial
7%
5%
25%
Das Umweltbundesamt stellt in einer Studie von 2007 zu Recht fest,
dass in der Vergangenheit alle Energiesparerfolge durch den wachsenden Flächenverbrauch überkompensiert wurden. Ein wichtiger
Aspekt hierbei ist die Remanenz von älteren Menschen, die in ihren
Wohnungen und Häusern auch nach dem Auszug ihrer Kinder jahrzehntelang wohnen bleiben. Ihnen steht also deutlich mehr Wohnfläche pro Kopf zur Verfügung als vor dem Auszug der Kinder. Das
Bundesamt leitet daraus die Forderung ab, Anreize für ältere Menschen zu schaffen, im Alter in kleinere Wohnungen zu ziehen. Das
Ziel sollten dichtere Siedlungsstrukturen sein. Tatsächlich gibt es
bereits dann kaum noch zusätzliche Flächennachfrage, wenn man
annimmt, dass die über 55-Jährigen in den nächsten Jahrzehnten
ihren Flächenverbrauch pro Haushalt konstant auf heutigem Niveau
22
halten.
29%
11%
23%
Gebäude des Bildungswesens
Gebäude des Gesundheitswesens
Fabrik- und Werkstattgebäude
Handels- und Lagergebäude
Büro- und Verwaltungsgebäude
Sonstige Gebäude
Quellen: ifo-Institut, BulwienGesa, DB Research
?
Wenn also in der Sanierung von Wohngebäuden ein Sanierungsvolumen von über EUR 140 Mrd. schlummert, stellt sich die Frage, ob
ein ähnlich großes Potenzial auch im sonstigen Hochbau zu heben
ist. McKinsey (2007) schätzt, dass das Einsparpotenzial bei Büros
und Schulen zusammen weniger als ein Sechstel des Einsparpo23
tenzials im Wohnsegment ausmacht. Die deutlich geringere Bedeutung ist plausibel, erreichen doch alle Nicht-Wohnhochbauten
(also nicht nur Büro- und Bildungseinrichtungen) gerade einmal
einen Anteil am gesamten Nettobauvermögen von 26%. Das entspricht in etwa dem Anteil, den Mehrfamilienhäuser am gesamten
Nettobauvermögen haben. Auf Büros und Gebäude des Bildungswesens entfallen sogar nur 7% des Nettobauvermögens, bzw. ein
24
Zehntel des Wohnungsbauvermögens. Die Schätzung von McKinsey könnte also bedeuten, dass der relative Nachholbedarf dort
noch höher ausfällt als im Wohnbereich, ist doch das ermittelte anteilige Einsparvolumen größer als die anteilige Größe der AssetKlasse.
22
23
24
9. Oktober 2008
Vgl. Bräuninger et al. (2007).
Bei einer Dämmung auf den 7-Liter-Standard.
Die Daten stammen aus ifo-Institut (2005).
25
Aktuelle Themen 433
Nutzfläche in Nichtwohnbauten
2
liegt bei über 2 Mrd. m
Die Schätzung von McKinsey vernachlässigt allerdings, dass die
gesamte Nutzfläche in sonstigen Hochbauten deutlich größer ist als
der Büro- und Schulbestand. Insgesamt dürfte es in Nichtwohnbau25
ten eine Nutzfläche von 2,1 Mrd. m² geben. Da die offizielle Statistik im sonstigen Hochbau weniger detailliert ist als jene für den Wohnungsbestand, kann dies nur eine grobe Schätzung sein. Auf der
Basis der EUROPARC-Studie von Euroconstruct (1999), mit der
versucht wurde, den europäischen Gebäudebestand zu schätzen,
wurde der deutsche Flächenbestand im sonstigen Hochbau erfasst.
Die EUROPARC-Werte wurden mit segmentspezifischen Wachstumsraten fortgeschrieben und dort, wo es verlässliche Daten für
Teilbereiche gab (Büro und Einzelhandel), korrigiert.
Büro-, Handels- und Industriegebäude
Projekt Greentowers:
Der Umbau der Deutschen Bank Zentrale in
Frankfurt am Main
Bis 2010 werden die Türme der Deutschen
Bank in Frankfurt am Main modernisiert. Dies
ist europaweit das größte Umbauprojekt eines
Gebäudes. Dabei entsteht eines der umweltfreundlichsten Hochhäuser der Welt.
Kernelemente der Modernisierung
— Neues Lichtsteuerungssystem
— Effiziente Tageslichtnutzung
— Solartechnologie deckt zu 50% den
Warmwasserverbrauch
— Atmende Fassaden und bessere Verglasung senken Wärmeverlust
— Kühldecken mit Betonkernaktivierung
— Fernwärme (Kraft-Wärme-Kopplung)
— Heizung und Kühlung durch KälteWärme-Kopplung
— Regenwassersammlung und internes
Wasserrecycling
— Recycling der Materialien (98%)
Ergebnisse des Umbaus
—
—
—
—
Heizenergie sinkt um 67%
Stromverbrauch sinkt um 55%
CO2-Ausstoß sinkt um 55%
Frischwasserverbrauch sinkt um 15%
durch Regenwassernutzung und um 43%
durch Wasserrecycling
Quelle: Deutsche Bank (www.greentowers.de)
In Deutschland gibt es rd. 350 Mio. m² Bürofläche (Bruttogeschoss26
fläche, BGF) und 117 Mio. m² Einzelhandelsfläche. Hinzu kommen
rd. 1 Mrd. m² Nutzflächen in Fabriken, Werkstätten, Lagerflächen
und sonstigen Handelsgebäuden. In der Nutzflächenschätzung EUROPARC von 1999 zeigte sich, dass der Flächenbestand in Büro-,
Handels- und Industriegebäuden etwas jünger war als jener in
Wohngebäuden; zwei Drittel aller Gebäude war älter als 20 Jahre.
Dies ist plausibel, da die Nutzungszyklen in gewerblichen Immobilien kürzer sind als jene von Wohnungen und sie sich in den letzten
Jahrzehnten sogar weiter verkürzt haben. Darüber hinaus gibt es
bei Gewerbeimmobilien eine größere Flexibilität im Mietrecht, sodass ein möglicher Investitionsstau im Konjunkturaufschwung leichter aufgelöst werden kann; rentierliche Umbaumaßnahmen werden
schneller durchgeführt.
Für die weitere Potenzialschätzung nehmen wir an, dass sich der
Anteil der älteren Gebäude (hier: älter als 20 Jahre) am Gesamtbestand seit 1999 von rd. 60% bis 2007 auf etwa 63% leicht erhöht
27
hat. Diese Einschätzung ist auch mit den Aussagen des Difu
(2008) kompatibel; demnach sind 38% aller Bürogebäude von Privaten nach 1990 gebaut worden, allerdings nur 14% der Verwaltungs28
gebäude der öffentlichen Hand.
Für die Einschätzung des gesamten Baupotenzials wurde unterstellt, dass von den gesamten 350 Mio. m² Büroflächen (davon rd.
230 Mio. m² Nutzfläche) gut 20 Mio. m² Nutzfläche auf die öffentliche Hand entfallen. Bei der öffentlichen Hand dürften 85% der Verwaltungsgebäude älter sein als 20 Jahre, bei den Privaten sind es
gut 60%. Wie groß das Einsparpotenzial bei 20 Jahre alten Bürogebäuden sein kann, zeigt der Umbau der Zentrale der Deutschen
Bank in Frankfurt (Fertigstellung 1984); 50% der CO2-Emissionen
25
26
27
28
26
Gegebenenfalls wurden Einsparmöglichkeiten in der Studie von McKinsey, die in
Industriebauten und Handelsimmobilien stecken, nicht dem Einsparpotenzial im
Gebäudesektor, sondern dem Einsparpotenzial in den anderen Sektoren zugerechnet.
Die Daten zu Büroflächen basieren auf Schätzungen der BulwienGesa AG für das
Frühjahrsgutachten der Immobilienweisen 2003 und wurden mit der mittleren
Wachstumsraten der letzten zehn Jahre für Bürobestandsflächen fortgeschrieben.
Rechnet man nur mit den Mietflächen nach gif, kommt man für Deutschland auf rd.
285 Mio. m² Büroflächen (Bulwien, 2004). Die Einzelhandelsflächen stammen vom
Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE).
Implizit bedeutet dies, dass die Abrissquote kleiner ist als die Neubauquote und
dass v.a. Gebäude abgerissen werden, die älter sind als 20 Jahre. Tatsächlich ist
dies angesichts der Baurezession in den späten 1990er Jahren sogar eine konservative Annahme.
Angaben für die öffentliche Hand basieren hier freilich nur auf einer Stichprobe für
die Stadt Stuttgart (Difu, 2008, S. 146f).
9. Oktober 2008
Bauen als Klimaschutz
lassen sich hier durch geeignete Maßnahmen (siehe Box S. 26)
reduzieren.
Mehr Potenzial im Büro- als im
Einzelhandelssegment
Energetische Sanierung von Bildungseinrichtungen: Ein PPP-Projekt für
Schulen im Kreis Offenbach
Das Projekt:
Die Hochtief Construction AG saniert von 2005
bis 2009 insgesamt 50 Schulen mit über 280
Gebäuden und einer Bruttogeschossfläche von
fast 290.000 m². Über die Sanierungszeit werden die Schulen bis zum Jahr 2019 durch
Hochtief PPP Solutions und Hochtief PPP
Schulpartner GmbH betrieben. Neben Maßnahmen zur Wasserreduktion wurden Energiesparlampen eingebaut, Fassaden und Dächer
gedämmt. Außerdem wurde der Wärmeschutz
von Fenstern und Türen erhöht und u.a. Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung installiert.
Die Einsparergebnisse:
— Zwischen 2004 und 2006 sank der Wasserverbrauch um fast 20%.
— Der Wärmeverbrauch sank von 2004 bis
2006 um 30%.
— Die CO2-Emissionen wurden zwischen
2004 und 2006 um fast 20% vermindert.
Die Kosten:
Nach Angaben von Hochtief belaufen sich die
Kosten des Sanierungsprogramms auf rd. EUR
130 Mio., knapp die Hälfte davon entfällt auf
die energetische Sanierung (EUR 14,9 Mio. für
die Fassade, EUR 17,5 Mio. für neue Fenster,
knapp EUR 6 Mio. für die Dachdämmung und
rund EUR 27,0 Mio. für die technische Gebäudeausrüstung).
Quelle: Hochtief PPP Solutions GmbH
Unter der Annahme, dass zumindest diese Altbauten in den nächsten Jahren energetisch saniert werden und unter der weiteren Annahme, dass pro sanierten Quadratmeter Nutzfläche zusätzliche
Sanierungskosten in Höhe von EUR 106 anfallen (diese Kosten
setzt das Difu für die Sanierung von Schulgebäuden an), lässt sich
das gesamte Baupotenzial im Bürosegment auf EUR 15,3 Mrd. veranschlagen (rd. 144 Mio. m² Nutzfläche multipliziert mit 106 EUR
29
pro m²). Für die Sanierung von Einzelhandelsgebäuden dürfte rd.
ein Drittel zusätzlich aufgewendet werden müssen, also etwa EUR
5,3 Mrd. Schwierig einzuschätzen ist das Baupotenzial in Industriebauten. Angesichts der enormen Flächen könnten bei Industriebauten theoretisch EUR 75 Mrd. Bauausgaben fällig werden (fünfmal so
viel wie im Bürobereich). Es ist jedoch wahrscheinlich, dass im Bereich des Maschinenparks größere Einsparreserven existieren als
bei Gebäuden. Dann würden Unternehmer auch erst dort investieren. Das tatsächliche Baupotenzial läge dann deutlich unter diesen
EUR 75 Mrd. Wir setzen das Baupotenzial für Industrieimmobilien
auf EUR 30 Mrd. (40% des Ausgangsvolumens) fest.
Für einen großen Teil der Nutzer und Eigentümer gibt es einen sehr
großen Anreiz, energetische Sanierungen dann durchzuführen,
wenn sie sich rechnen. Da gewerbliche Mietverträge flexibler sind
als wohnungswirtschaftliche, ist es plausibel, dass Sanierungsmaßnahmen im Gewerbesegment rascher durchgeführt werden können
als im Wohnbereich.
Im Status-quo-Szenario werden bis 2030 zwei Drittel aller alten Gebäude energetisch saniert. Dann beliefe sich das Baupotenzial im
Gewerbeimmobiliensegment auf etwa EUR 34 Mrd. Im Ausgabenlimit-Szenario nehmen wir an, dass bis zum Jahr 2030 ein Drittel des
gesamten Gebäudebestands aus energetischer Sicht auf den heutigen Stand gebracht wird. Das gesamte Baupotenzial läge dann bei
insgesamt EUR 17 Mrd. Und im Klimaschock-Szenario mit dem
größten Anpassungsdruck würden alle alten Gebäude bis 2030 saniert. Dann würde das gesamte Potenzial von EUR 51 Mrd. auch
umgesetzt. Dies ist dahingehend noch eine konservative Schätzung,
da implizit unterstellt wurde, dass man in den nächsten 22 Jahren
an heute modernen Gebäuden keine weiteren energetischen Verbesserungen durchführen könnte.
Schulen und Universitäten
Die bereits zitierte Studie von Euroconstruct (1999) hat für den gesamten Gebäudebestand im Bildungswesen eine Fläche von 141,1
Mio. m² ermittelt. Schreibt man dies mit geschätzten Zu- und Abgängen fort, erhält man für 2007 einen Gebäudebestand von 157
Mio. m². Das Deutsche Institut für Urbanistik (2008) ermittelt einen
Flächenbestand in deutschen Schulen von knapp 70 Mio. m² im
Jahr 2005. Da hier Universitäten und sonstige Bildungseinrichtungen fehlen, ist es stimmig, dass der Wert kleiner ausfällt als die
Schätzung auf Basis der Daten von Euroconstruct. Es könnte aber
29
9. Oktober 2008
Deutlich geringere Einsparvolumen folgen aus einer anderen Angabe des Difu,
nach der sich die Einsparmöglichkeiten je kWh/m² und Jahr auf rd. 50 Eurocent
zusätzlich belaufen (falls eine Sanierung sowieso durchgeführt werden müsste;
Angaben zu Einsparkosten gemäß Difu (2008), S. 159. Dann würde das Sanierungspotenzial im Bürosegment insgesamt lediglich EUR 9 Mrd. betragen. In Relation zu den Kosten im Wohnungssegment oder in anderen Nichtwohnsegmenten
scheint dies viel zu gering zu sein. Daher verwenden wir im Weiteren die oben
ausgewiesenen Werte.
27
Aktuelle Themen 433
auch als Indiz gewertet werden, dass die Fläche von 157 Mio. m²
wohl eher eine Obergrenze darstellt.
Contracting
Beim Contracting schließt der Energienutzer
(Contractingnehmer) einen Vertrag mit einem
Partner (Contractor), der Dienstleistungen in
Form von Beratung, Planung, Finanzierung
und/oder Betrieb von Anlagen über einen
vorher vereinbarten Zeitraum liefert.
Im Wesentlichen werden zwei Formen unterschieden:
(1) Energieliefer-Contracting oder AnlagenContracting:
Hierbei liefert der Contractor vorher
vereinbarte Energieleistungen (z.B.
Wärme, Strom) und erhält dafür eine
monatliche Zahlung. Der Contractor besitzt
die Anlagen.
(2) Energieeinspar-Contracting oder Performance-Contracting:
Bei dieser Contracting-Form optimiert der
Contractor alle Prozesse der Energieversorgung und erhält dafür einen Teil der
Kostenersparnis.
Für die weitere Abschätzung wurden die Anpassungsszenarien mit
spezifischen Sanierungsquoten verwendet (Szenario 1: 1,4% p.a.;
Szenario 2: 0,7% p.a. und Szenario 3: 2,1% p.a.). Das bedeutet,
dass im Jahr 2030 im Szenario 2 erst 16% des Bestands energetisch saniert wären, im Szenario 1 rd. ein Drittel und im Szenario 3
knapp die Hälfte. Setzt man pro sanierten Quadratmeter Nutzfläche
Zusatzkosten von EUR 106 an (Difu), lässt sich das zusätzliche
Bauvolumen aus der energetischen Sanierung berechnen. Wichtig
ist, dass es sich hierbei nur um die für die energetische Sanierung
anfallenden Zusatzkosten handelt, vorausgesetzt eine reguläre Modernisierung erfolgt zeitgleich. Die gesamten Baukosten inklusive
der sowieso anfallenden Modernisierungskosten dürften mindestens
30
doppelt so hoch ausfallen. Im Status-quo-Szenario belaufen sich
die Sanierungszusatzkosten auf gut EUR 5 Mrd., im AusgabenlimitSzenario auf knapp EUR 3 Mrd. und im Klimaschock-Szenario auf
gut EUR 8 Mrd. Die vollständige energetische Sanierung der Gebäude im gesamten Bildungssektor würde ein Bauvolumen von
EUR 16 Mrd. induzieren.
Es ist abschließend festzuhalten, dass der energetische Sanierungsbedarf nur einen Bruchteil des gesamten Investitionsbedarfs
bei Gebäuden in Bildungseinrichtungen darstellt, denn der demografische Wandel wird Abrisse und Umnutzungen von Schulgebäuden
erzwingen. Es werden zusätzliche Umbaumaßnahmen und Ersatzinvestitionen notwendig sein, und es müssen Maßnahmen im
Brandschutz und zur Barrierefreiheit getroffen werden. Die Baumaßnahmen für die energetische Sanierung dürften nach aktuellen
Berechnungen des Difu nur knapp ein Zehntel des gesamten Investitionsbedarfs im Bildungssektor ausmachen.
Insbesondere beim Einspar-Contracting sind
die Mechanismen zum Energieeinsparen (nach
Maßgabe des vorher vereinbarten Amortisationszeitraums) anreizkompatibel. Das heißt,
der Auftragnehmer handelt aus eigenem Interesse im Sinne des Auftraggebers. So werden
Kosten und Umweltlasten reduziert.
Krankenhäuser
Grundsätzlich lohnen sich Contracting-Modelle
bei größeren Immobilienbeständen, da hierbei
die Anlaufkosten auf hinreichend viele Objekte
verteilt werden (z.B. Wohnungsgesellschaften,
kommunale Gebäudebestände). Vorliegende
Auswertungen zum Einsparpotenzial sind zwar
sicherlich noch nicht repräsentativ, die vorliegenden Projektdaten legen jedoch nahe, dass
das Einsparvolumen in der Größenordnung
von rd. 30% bei kommunalen Gebäuden sowie
bei Wohnungsbeständen liegen dürfte.
Auf der Basis der Analyse von Euroconstruct läge der Flächenbestand von Immobilien im Gesundheitssektor bei knapp 115 Mio. m²,
er betrüge also rd. drei Viertel des Gebäudebestands im Bildungssektor. Bei vergleichbar hohen Sanierungsquoten und ähnlich hohem Energiesparpotenzial wie im Bildungssektor ließe sich daraus
folgern, dass bei Gesundheitsimmobilien ein Sanierungspotenzial in
der Größenordnung von knapp EUR 2 Mrd. (AusgabenlimitSzenario), etwa EUR 4 Mrd. (Status-quo-Szenario) bis annähernd
EUR 6 Mrd. im Klimaschock-Szenario aktiviert werden könnte.
Bei Wohnungsunternehmen gibt es freilich
enge rechtliche Grenzen; häufig lassen sich
die Vorteile des Contracting nur nutzen, wenn
dies in den Mietverträgen explizit verankert
wurde. Dies engt das Contracting-Potenzial
dann häufig zunächst auf die neuen Mietabschlüsse ein.
Allerdings ermittelt das Difu, dass im Bestand von Krankenhäusern
anteilsmäßig deutlich weniger Sanierungspotenzial stecken dürfte
als in Bildungseinrichtungen. In der Schätzung des Difu wird der
Bedarf an energetischer Sanierung bei (kommunalen) Krankenhäusern auf nur EUR 700 Mio. oder knapp 3% des gesamten Bauinvestitionsbedarfs veranschlagt. Wie oben erwähnt, lag der Anteil der
energetischen Sanierungsinvestitionen am gesamten Investitionsbedarf bei Schulgebäuden bei über 8%. Dies würde den Schluss
Quellen: Dena, EnergieEffizienzAgentur Rhein-Neckar, EUMB
Pöschk
30
28
Im Beispiel der 50 Schulen im Kreis Offenbach, die durch Hochtief saniert werden,
liegt der Anteil der energetischen Sanierungskosten bei etwa der Hälfte der gesamten Sanierungskosten. Allerdings fallen diese Kosten mit EUR 227 je Quadratmeter relativ hoch aus. Dies könnte daran liegen, dass die Zurechnung auf
energetische Sanierung und sowieso anfallende Modernisierung in der Difu-Studie
anders erfolgte als bei Hochtief. Die hier verwendeten Schätzwerte sind wohl eher
konservativ.
9. Oktober 2008
Bauen als Klimaschutz
A
.
#
nahelegen, dass unsere Potenzialschätzung eher am oberen Rand
31
der Erwartungen liegen könnte.
"
Sport, Kultur und Freizeit
Energetisches Sanierungspotenzial bis
2030, in Mrd. EUR
Neben den hier berücksichtigen Gebäudetypen gibt es zusätzliches
Sanierungspotenzial z.B. in Schwimmbädern, Kulturgebäuden sowie
in Sportstätten. So schätzt das Difu den Baubedarf zur energetischen Sanierung der Schwimmbäder auf insgesamt EUR 3,3 Mrd.
Den gesamten Gebäudebestand im Bereich Sport, Kultur und Freizeit schätzt Euroconstruct (1999) als doppelt so groß ein wie jenen
für Gesundheitsimmobilien. Daher ist es plausibel, dass für die Sanierung von Kulturgebäuden mindestens eine ähnlich große Summe
veranschlagt werden muss wie für die Sanierung der Schwimmbäder. Dies gilt insbesondere auch deswegen, weil gerade Kulturgebäude sehr alt sind. Da die vorliegende Statistik in diesem Bereich
unzureichend ist, unterscheiden wir nicht nach Szenarien; insgesamt werden knapp EUR 7 Mrd. für die energetische Sanierung
angesetzt. Gerade bei öffentlichen Bauten wird ein großes Potenzial
durch Energieeinspar-Contracting erwartet.
80
70
60
50
40
30
20
10
0
Status-quo- AusgabenSzenario
limitSzenario
KlimaschockSzenario
Büroimmobilien
Einzelhandel
Industrieimmobilien
Schulen
Krankenhäuser
Sonstige
5.3 Zwischenfazit
Quelle: DB Research
'
'
"
!"
Das gesamte Baupotenzial in Gebäuden beläuft sich auf über EUR
100 Mrd. im konservativen Ausgabenlimit-Szenario, auf fast EUR
200 Mrd. im Status-quo-Szenario und auf rd. EUR 290 Mrd. im Klimaschock-Szenario. Selbst im konservativen Szenario 1 summiert
sich also das Sanierungsvolumen auf jährlich fast EUR 5 Mrd. –
dies sind natürlich allein die zusätzlich für die energetische Sanierung notwendigen Maßnahmen; sozusagen der Nettoeffekt. Die
jährlichen Bauinvestitionen würden um über 2% über dem Vergleichswert ohne zusätzliche Sanierungserfordernisse liegen müssen – im expansiven Szenario 3 sogar um 6%.
#
Zusätzliches Bauvolumen bis 2030,
in Mrd. EUR
Hierbei wurde für Wohnimmobilien nur die energetische Sanierung
zugrunde gelegt, da die Maßnahmen im Bereich Energieerzeugung
bereits im vorherigen Kapitel subsumiert wurden. Nimmt man Maßnahmen zur Warmwasserversorgung hinzu, die im Nichtwohnbereich nicht gesondert erfasst wurden, könnte das gesamte Bauvolumen sogar um knapp 25% höher ausfallen.
300
250
200
150
100
50
0
StatusquoSzenario
AusgabenlimitSzenario
KlimaschockSzenario
Sonstige
Gewerbeimmobilien
Wohngebäude (Energieeffizienz)
Quelle: DB Research
/
Die Szenarien wurden einheitlich gerechnet, gleichwohl ist es plausibel, dass gerade im gewerblichen Immobilienbestand das Potenzial schneller und effektiver gehoben werden kann als im Wohnsegment, denn die Konflikte zwischen Mieter und Vermieter sind
immer dann geringer, wenn Sanierungsmaßnahmen sich sowieso
rechnen. Zudem sind Maßnahmen des Energieeinspar-Contracting
im Wohnungsbereich schwerer umzusetzen als im Nichtwohnbereich, da es engere Grenzen für die Überwälzung der Investitionskosten gibt. Im Wohnsegment fehlt damit zum Teil ein effizientes
Instrument. Dies könnte bedeuten, dass Szenario 3 für den Nichtwohnbereich die beste Annäherung an eine künftige Entwicklung
darstellt, während es im Wohnsegment eher das Szenario 2 wäre.
31
9. Oktober 2008
Dass unsere Schätzung deutlich höher ausfällt, liegt auch daran, dass sich das
Difu allein auf kommunale Krankenhäuser konzentriert.
29
Aktuelle Themen 433
&
0 1
A
9 2
"
"
CO2-Emissionen in der EU-27 nach
Sektoren, 1990 = 100
140
120
100
80
60
90 92 94 96 98 00 02 04
Energie
Industrie
Verkehr
Haushalte
Quelle: EU-Kommission
()
CO2-Emissionen in der EU-27 in Mrd.
Tonnen
1,8
1,6
1,4
1,2
1,0
0,8
0,6
90 92 94 96 98 00 02 04
Energie
Industrie
Verkehr
Haushalte
Quelle: EU-Kommission
.
#
A
Energiebedingte CO2-Emissionen in
Deutschland, 1990 = 100
120
110
100
90
80
-
1!"
,
"
#
Innerhalb der EU ist der Verkehrssektor der einzige Bereich, in dem
in den letzten Jahren die CO2-Emissionen stetig gestiegen sind.
Dagegen sank der Ausstoß der Energiewirtschaft, der Industrie und
der privaten Haushalte im Durchschnitt der letzten Jahre. Deutschland schneidet in dieser Hinsicht zwar erheblich besser ab als die
EU: Zwischen 1999 und 2006 sind die CO2-Emissionen des Verkehrssektors in Deutschland um fast 14% gefallen, was allerdings
zum Teil auf Tanktourismus in Nachbarländern zurückzuführen ist.
Die spezifischen Emissionen pro Verkehrsleistungseinheit sanken
sogar noch stärker. Gleichwohl ist der Anteil des Verkehrssektors an
den Gesamtemissionen in Deutschland heute spürbar höher als
Anfang der 1990er Jahre. Zudem ist mit weiterem Verkehrswachs32
tum zu rechnen. Dies gilt insbesondere für den grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr, den Luftverkehr und den Seeverkehr.
Aus den genannten Gründen sind im Meseberger Programm auch
Maßnahmen zur Reduktion der Emissionen aus dem Verkehrssektor
enthalten. Diese haben vor allem die Verbesserung der Energieeffizienz von Fahrzeugen, die stärkere Nutzung von Biokraftstoffen, die
Umstellung der Bemessungsgrundlage bei der Kfz-Steuer auf den
CO2-Ausstoß, eine emissionsabhängige Staffelung der Lkw-Maut
oder die Einbeziehung des Luft- und des Seeverkehrs in den Emissionshandel zum Ziel. Innovative Lösungen zur Verkehrslenkung
und -steuerung z.B. durch Telematik oder Road Pricing sind ebenfalls immer wieder in der Diskussion. Im Masterplan Güterverkehr
und Logistik der Bundesregierung ist eine Verlagerung von Verkehren auf die Schiene auch aus ökologischen Gründen angestrebt, da
der Schienenverkehr im Vergleich zum Straßen- und Luftverkehr
33
weniger Emissionen pro Verkehrsleistungseinheit aufweist. Hierfür
wäre die Intensivierung des Wettbewerbs auf der Schiene sicherlich
hilfreich. Dies signalisieren die Marktanteilsgewinne der Schiene in
Deutschland, die vor allem auf mehr Verkehre privater Eisenbahnunternehmen zurückzuführen sind.
Mehr Verkehrsinfrastruktur erhöht Effizienz der Volkswirtschaft
Die genannten Maßnahmen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors betreffen die Bauwirtschaft – wenn
überhaupt – nur am Rande. Gleichwohl bestehen Anknüpfungspunkte zur Bauwirtschaft. Unbestritten ist nämlich, dass chronische
Überlastungen der Verkehrsinfrastruktur zu unnötigen Treibhausgasemissionen führen; von negativen Auswirkungen auf die Effi34
zienz der Volkswirtschaft durch Staus ganz zu schweigen. Sowohl
der Straßen- als auch der Luftverkehr sind von Engpässen bei der
Infrastruktur betroffen. So schätzt der Verband der Automobilindustrie (VDA), dass rd. ein Viertel des deutschen Autobahnnetzes unter
Engpässen leidet. Etwa 12 Mrd. Liter Kraftstoff würden durch Eng-
70
60
32
50
90 92 94 96 98 00 02 04 06
33
Energiewirtschaft
Industrie
Verkehr
Private Haushalte, Sonstige
Quelle: Umweltbundesamt
30
34
Nach der aktuellen Prognose des Bundesverkehrsministeriums (BMVBS) legt die
Verkehrsleistung in Deutschland bis 2025 im Personenverkehr um 18% und im
Güterverkehr um etwa 70% zu.
Vgl. Allianz pro Schiene (2008). Umweltschonend mobil – Bahn, Auto, Flugzeug,
Schiff im Umweltvergleich. Berlin.
Die volkswirtschaftlichen Kosten durch Staus in Deutschland werden auf etwa
EUR 100 Mrd. pro Jahr geschätzt. Siehe hierzu Centrum für angewandte Wirtschaftsforschung Münster (2008). Bedeutung der Infrastrukturen im internationalen
Standortwettbewerb und ihre Lage in Deutschland. Gutachten im Auftrag des BDI.
Münster.
9. Oktober 2008
Bauen als Klimaschutz
35
*
0 1
"
,
"
pässe in der Verkehrsinfrastruktur jährlich unnötig verbraucht. Das
entspricht knapp 18% des Kraftstoffverbrauchs im Straßenverkehr in
Deutschland oder etwa 30 Mio. Tonnen CO2-Emissionen. Ein weiteres Beispiel: Die Lufthansa AG verweist darauf, dass Warteschleifen
und sonstige Anflugverzögerungen, die auf Infrastrukturengpässe
zurückzuführen sind, etwa 3% ihres gesamten Kerosinverbrauchs
36
ausmachen.
9
CO2 in Gramm pro Personenkilometer
250
191
200
141
150
100
66
50
0
Schienenverkehr
Flugverkehr
Straßenverkehr
8
Quelle: Allianz pro Schiene
0 1
'
,
"
9
CO2 in Gramm pro Tonnenkilometer
120
97
100
80
60
35
40
23
20
0
Schienenverkehr
Straßenverkehr
Schifffahrt
9
Quelle: Allianz pro Schiene
*
*
"
,
,
9
Dieseläquivalent in Liter pro '000
Personenkilometer
73
34
60
40
20
0
Schienenverkehr
Flugverkehr
Straßenverkehr
Quelle: Allianz pro Schiene
Die meisten Erweiterungsinvestitionen in der Verkehrsinfrastruktur
führen mittel- bis längerfristig also zu mehr Verkehrsaufkommen und
höheren Emissionen. Daher ist es aus unserer Sicht nicht gerechtfertigt, solche Investitionen als positive Effekte des Klimawandels
quasi auf der „Habenseite“ der Bauwirtschaft zu verbuchen. Das
bedeutet jedoch nicht, dass Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur
unwichtig wären – im Gegenteil: Ein Hochlohnland in Deutschland
muss über eine gute Infrastruktur verfügen, um seine Standortvorteile in der Mitte Europas nutzen zu können.
Öffentliche Verkehrsmittel zwiespältig
80
56
Diese Beispiele zeigen, dass es ökologisch und ökonomisch unsinnig ist, Engpässe in der Verkehrsinfrastruktur zu belassen; daher ist
unter anderem die Erweiterung von ausgewählten Autobahnteilstücken um einen Fahrstreifen im Rahmen der so genannten
A-Modelle zu begrüßen. Gleichwohl führt der Ausbau von der Verkehrsinfrastruktur längerfristig in den meisten Fällen zu einem größeren Verkehrsaufkommen und damit auch zu mehr Emissionen (so
genannter induzierter Verkehr). So weist der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU) darauf hin, dass „zusätzliche Straßenkapazitäten (…) in erheblichem Maße durch induzierten Verkehr
37
ausgelastet“ werden. Dies ist u.a. auf kürzere Reisezeiten, Komfortgewinne und Kraftstoffersparnisse dank eines reibungsloseren
Verkehrsflusses begründet. Das Phänomen ist nicht auf den Straßenverkehr beschränkt, sondern gilt grundsätzlich für alle Verkehrsträger. Ein offensichtliches Beispiel ist der geplante Ausbau des
Frankfurter Flughafens. Sobald die dritte Landebahn fertiggestellt
sein wird, wird die Wachstumsrate beim Passagier- und Frachtaufkommen am Airport Frankfurt höher als in den letzten Jahren ausfallen, als der Flughafen wegen der Kapazitätsrestriktionen nur unterdurchschnittlich expandieren konnte. Bis zum Jahr 2020 wird eine
Zunahme der Passagierzahl auf über 80 Mio. pro Jahr erwartet –
gegenüber gut 54 Mio. im Jahr 2007.
:
Zwiespältig fällt das Urteil über Investitionen in die Infrastruktur für
weniger umweltschädliche Verkehrsträger (z.B. ÖPNV) aus. Diese
können das Wachstum bei anderen Verkehrsträgern verlangsamen
und unter bestimmten Voraussetzungen regional zu einem absoluten Rückgang führen (z.B. Umsteigen von Pendlern vom eigenen
Auto auf Busse und Bahnen). Das gesamte Verkehrsaufkommen
dürfte aber dennoch steigen. Da die Energieeffizienz der Verkehre
bei entsprechender Auslastung des ÖPNV höher ist als beim Motorisierten Individualverkehr (MIV), entfalten nachfragegerechte
ÖPNV-Angebote – relativ zu einem vom MIV dominierten Verkehrssystem – positive ökologische Wirkungen. Das Difu schätzt den
35
36
37
9. Oktober 2008
Vgl. VDA (2007). CO2-Minderungen im deutschen Verkehrssektor – eine Zwischenbilanz. Frankfurt am Main.
Vgl. Lufthansa AG (2007). Balance. Frankfurt am Main.
SRU (2005). Umwelt und Straßenverkehr. Sondergutachten. Berlin. Gleichwohl
gibt es auch Studien, die zu dem Ergebnis kommen, dass in bestimmten Fällen die
Schadstoffemissionen nach dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur auch längerfristig sinken können. Vgl. hierzu SINTEF (2007). Environmental consequences of
better roads. Trondheim.
31
Aktuelle Themen 433
Investitionsbedarf im ÖPNV in Deutschland zwischen 2006 und
2020 auf insgesamt gut EUR 38 Mrd. Davon entfallen etwa EUR
20 Mrd. auf die Infrastruktur. Nur ein kleiner Teil davon wird jedoch
durch Klimawandel und -politik ausgelöst, da die Investitionen notwendig sind, um die Funktionsfähigkeit des ÖPNV zu gewährleisten.
Technischer Fortschritt im Straßenbau zu erwarten
*
'
,
,
Die erhofften Emissionsreduktionen im Verkehrssektor sollten in den
nächsten Jahren in erster Linie durch massive Effizienzsteigerungen
der Fahrzeuge sowie bessere Verkehrslenkung und -steuerung erreicht werden. Dennoch könnte die Bauwirtschaft in den nächsten
Jahren zusätzliche, durch den Klimawandel bedingte Umsätze
durch einen häufigeren Einsatz neuartiger Straßenbeläge oder effizienterer Reparaturverfahren erzielen. So hat die hessische Landesregierung 2007 eine Technologie im Rahmen des Hessischen Klimaschutzwettbewerbs ausgezeichnet, die Zeit-, Kosten- und Energieersparnisse bei der Straßenerneuerung sowie im Straßenneubau
ermöglicht.
9
Dieseläquivalent in Liter pro Tonnenkilometer
50
39
40
30
13
12
20
10
0
Schienenverkehr
Straßenverkehr
Schifffahrt
Quelle: Allianz pro Schiene
<
Der technische Fortschritt dürfte sich in diesem Segment in den
nächsten Jahren beschleunigen. Wichtige Stichworte sind Verringerung des Rollwiderstands durch geeignete Straßenbeläge, weniger
Material- und Energieeinsatz im Straßenbau sowie eine längere
Lebensdauer von Straßen. Nach unserer Schätzung beläuft sich das
zusätzliche Bauvolumen durch den Einsatz neuer Verfahren und
Produkte im Straßenbau bis zum Jahr 2030 jedoch allenfalls auf
insgesamt etwa EUR 1 bis 2 Mrd. Ein Grund dafür dürfte in den
gegenüber traditionellen Verfahren voraussichtlich dauerhaft höheren Kosten liegen. Nur falls es der Bau- und Baustoffindustrie gelänge, die Kosten auf ein wettbewerbsfähiges Niveau zu senken,
könnte das zusätzliche Bauvolumen größer ausfallen. Die Innovationskraft der Branche und die Akzeptanz neuer Technologien bei der
öffentlichen Hand sind also gefragt.
Hohe Investitionen in Küsten- und Hochwasserschutz in
Deutschland zu erwarten
Angesichts der Erfahrung großer Hochwasserereignisse in der jüngeren Vergangenheit sowie vielfältiger Prognosen über das steigende Risiko von Überschwemmungen in Flussgebieten und von häufigeren und/oder kräftigeren Sturmfluten an den Küsten infolge des
Klimawandels sind die Maßnahmen zum Hochwasser- und Küstenschutz in Deutschland in den letzten Jahren intensiviert worden.
2005 ist das Hochwasserschutzgesetz in Kraft getreten. Es sieht
u.a. vor, dass die Bundesländer Pläne aufstellen, um den Hochwasserschutz zu verbessern. Zudem sollen Überschwemmungsgebiete
ausgewiesen werden, in denen die Möglichkeiten zur Bebauung
stark eingeschränkt werden. In den letzten Jahren haben viele Bundesländer bereits umfangreiche Maßnahmen im Bereich Küstenund Hochwasserschutz getätigt. Dies war teilweise auch deshalb
notwendig, um Schäden an existierenden Schutzeinrichtungen nach
besonders gravierenden Überschwemmungen zu beseitigen.
Deiche erhöhen, Überschwemmungsflächen schaffen, Sperrwerke bauen
32
Grundsätzlich dürfte der Küsten- und Hochwasserschutz in den
nächsten Jahren hohe politische Priorität genießen. Dies wirkt positiv auf die Bauwirtschaft, da ein Großteil des technischen Hochwasserschutzes direkt mit Baumaßnahmen verbunden ist. Dazu zählen
das Erhöhen oder Sanieren von bestehenden Deichen, ihre Rückverlagerung, um neue Überschwemmungsflächen zu schaffen, sowie der Bau von anderen Hochwasserschutzeinrichtungen (z.B.
Sperrwerken), Rückhalte- oder Auffangbecken.
9. Oktober 2008
Bauen als Klimaschutz
Bauvolumen für Küstenschutz:
EUR 10 bis 14 Mrd.
Analysiert man die Investitionen der Bundesländer in den Küstenund Hochwasserschutz in den letzten Jahren sowie geplante Maßnahmen für die Zukunft, dann kommt man in etwa auf ein Investitionsvolumen von durchschnittlich rd. EUR 800 bis 900 Mio. pro
38
Jahr. Unterstellt man, dass dieses Niveau im Durchschnitt der
Jahre bis 2030 in etwa konstant bliebe (inklusive Wartung und Reparatur) sowie dass rd. 60% bis 75% der Maßnahmen auf Bauleistungen entfallen, dann errechnet sich ein Bauvolumen im Küstenund Hochwasserschutz von insgesamt rd. EUR 10 bis 14 Mrd. Dieser Betrag ist, wie auch in den anderen Teilbereichen, natürlich nicht
ausschließlich auf den Klimawandel zurückzuführen, da viele Maßnahmen ohnehin durchgeführt werden müssen. Gleichwohl ist der
Bezug zum Klimawandel in diesem Fall eindeutig. Das Bauvolumen
schätzen wir in allen Szenarien gleich hoch ein, da der Küsten- und
Hochwasserschutz unabhängig von den unterstellten Prämissen ist.
: &
Wetterbedingte Naturkatastrophen
nehmen zu
+
2
7
Extreme Wetterereignisse hat es auf der Erde schon immer
gegeben, und die Menschheit wird auch in Zukunft mit ihnen leben
müssen. Beim Blick auf die Statistiken der führenden Rückversicherungsgesellschaften über die Entwicklung der Zahl von Naturkatastrophen zeigt sich jedoch eindeutig ein steigender Trend; dies gilt
sowohl global als auch für Deutschland. Auffällig ist, dass die Zahl
der geologisch bedingten Naturkatastrophen (z.B. Erdbeben, Vulkanausbrüche) im Zeitablauf weitgehend konstant geblieben ist,
während die wetterbedingten Naturkatastrophen im Durchschnitt der
letzten Dekaden tendenziell zunahmen. Darin wird ein empirischer
Beleg für den Klimawandel gesehen.
&
.
"!
3
Anzahl der Ereignisse
50
40
30
20
10
0
70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 00 02 04 06
Erdbeben
Sturm
Überschwemmung
Sonstige*
* Z.B. Hitze- und Kälteperioden, Waldbrände, Lawinen, Erdrutsche
Quelle: Münchener Rück
?
Auch die durchschnittliche Höhe der Schäden, die durch Naturkatastrophen in Deutschland verursacht wurden, ist in den vergangenen Jahrzehnten tendenziell gestiegen. Allerdings ist der Trend hier
nicht so eindeutig wie bei der Zahl der Naturkatastrophen. Zudem
spielen Ausreißer wie das Elbe-Hochwasser von 2002 eine größere
38
9. Oktober 2008
Die Zahlen basieren auf Stellungnahmen der jeweils für den Hochwasserschutz
zuständigen Ministerien oder Landesbehörden sowie zum Teil auf eigenen Schätzungen. Eine aggregierte Statistik über die Investitionen in den Küsten- und
Hochwasserschutz in Deutschland mit einheitlicher Abgrenzung ist uns nicht bekannt.
33
Aktuelle Themen 433
Rolle. Nach Berechnungen der Münchener Rück liegen die jahresdurchschnittlichen Schäden durch Naturkatastrophen in Deutschland zwischen 1990 und 2007 bei etwa EUR 2,7 Mrd. (in Preisen
von 2007).
+
(
#
Schäden durch Naturkatastrophen in Deutschland
Mrd. EUR, in Preisen von 2007
18
Gesamtschäden
Versicherte Schäden
15
12
9
6
3
0
70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 00 02 04 06
Quelle: Münchener Rück
Nicht nur Klimawandel steigert Schadenshöhe durch Wetterereignisse
Für die in Deutschland, aber auch global steigende Schadenshöhe
durch Naturkatastrophen sind natürlich nicht nur die sich ändernden
Umweltbedingungen wie der Klimawandel verantwortlich. Weitere
Gründe liegen u.a. in der weltweiten Zunahme von Bevölkerungszahl, Einkommen und Vermögen oder der zunehmenden Besiedlung
von exponierten Gebieten (z.B. Küsten, Flussufer, Erdbebenregionen). Dadurch steigen die Anfälligkeit gegenüber Naturkatastrophen
sowie die Schadenshöhe.
Baupotenzial in Höhe von insgesamt EUR 25 bis 50 Mrd. bis
2030 durch wetterbedingte Naturkatastrophen
Schadensbeseitigung
wichtiges Aufgabenfeld
Für die Bauwirtschaft bedeuten Naturkatastrophen aller Art in den
meisten Fällen zusätzliche Aufträge. Selbst im Falle schwerster Zerstörungen an Gebäuden und Infrastruktur nach solchen Ereignissen
beginnt in der Regel relativ rasch der Wiederaufbau – wenn auch
nicht unbedingt immer an gleicher Stelle. Daher ist die Entwicklung
der Schäden, die durch wetterbedingte Naturkatastrophen verursacht werden, wichtig für unseren Untersuchungsgegenstand. Nach
unserer Schätzung beläuft sich das Bauvolumen durch die Beseitigung von Schäden sowie Wiederaufbaumaßnahmen nach wetterbedingten Naturkatastrophen in Deutschland bis zum Jahr 2030 auf
insgesamt etwa EUR 25 bis 50 Mrd. Zum Vergleich: Allein durch das
Elbe-Hochwasser 2002 entstand ein materieller Schaden in Höhe
von über EUR 11 Mrd. in Deutschland. Unserer Schätzung liegen
mehrere Annahmen zugrunde. So unterstellen wir, dass
— die durchschnittliche Schadenshöhe durch wetterbedingte Naturkatastrophen in Deutschland bis 2030 zwischen EUR 2,5 und
3 Mrd. pro Jahr liegt, was einer leichten Zunahme gegenüber
dem Mittelwert seit 1990 entspricht;
— etwa 50% bis 75% der Gesamtschäden auf Gebäude und Infrastruktur entfallen und somit für die Bauwirtschaft relevant sind;
— im Durchschnitt der betrachteten Periode etwa 40% der Schäden
versichert sind und zwischen 90% und 100% dieser Schäden
wieder beseitigt werden;
— rd. 60% der Gesamtschäden dagegen nicht versichert sind,
gleichwohl aber 80% bis 90% dieser Schäden wieder entfernt
werden (da z.B. im Falle von Schäden an der Verkehrsinfrastruk-
34
9. Oktober 2008
Bauen als Klimaschutz
tur die öffentliche Hand Eigentümer ist) und damit für die Bauwirtschaft nachfragewirksam werden.
Es liegt in der Natur der Dinge, dass das geschätzte Bauvolumen
weder regional noch zeitlich gleichmäßig verteilt sein wird und auch
nicht bei der Kapazitätsplanung der Bauunternehmen berücksichtigt
werden kann. Schließlich sei auch an dieser Stelle nochmals betont,
dass das kalkulierte Bauvolumen nicht allein auf den Klimawandel
zurückzuführen ist, da nicht jedes Wetterereignis durch den Klimawandel verursacht wird. Es besteht aber der direkte Zusammenhang
aufgrund der höheren Wahrscheinlichkeit für Wetterextreme.
< +
Klimawandel kann entgegengewirkt
werden
Es gibt einen breiten Konsens unter Wissenschaftlern, dass der
Mensch zumindest für einen großen Teil des bevorstehenden Klimawandels verantwortlich ist. Im Umkehrschluss bedeutet dies
dann auch, dass es Möglichkeiten geben muss, durch Verhaltensänderungen dem Klimawandel entgegenzuwirken. Entsprechend
gibt es offenbar bedeutende politische Handlungsfelder. Unsere
Szenarienauswahl hat drei Dinge illustriert: Erstens, politische Weichenstellungen sind sehr relevant sowohl für die Klimawirkungen als
auch für die damit verbundenen Bauinvestitionen. In unserem Status-quo-Szenario belaufen sich die gesamten mit dem Klimawandel
assoziierten Bauausgaben bis 2030 kumuliert und zu heutigen Preisen auf gut EUR 245 Mrd. Dies entspricht in etwa den gesamten
Bauinvestitionen in Deutschland im Jahr 2007. Im KlimaschockSzenario, bei dem das energischste Handeln der Regierenden
zugrunde liegt, belaufen sich die zusätzlichen Bauausgaben sogar
auf etwa EUR 340 Mrd.
&
$
!"
Durch Klimawandel und Klimapolitik induzierte Bauleistungen bis 2030 in Deutschland
Mrd. EUR, in heutigen Preisen
450
300
150
Status-quo-Szenario
Wohnungsbau
Ausgabenlimit-Szenario
Sonstiger Hochbau
Infrastruktur
Gesamt
Bauleistungen
Kraftwerke
Bauleistungen
Gesamt
Bauleistungen
Kraftwerke
Bauleistungen
Gesamt
Bauleistungen
Bauleistungen
Kraftwerke
0
Klimaschock-Szenario
Schäden
Kraftwerke
Quelle: DB Research
9. Oktober 2008
/
35
Aktuelle Themen 433
Sanierung des Wohnungsbestands ist
größte Herausforderung
Den größten Anteil hieran hat die Sanierung des Wohnungsbestands. Da rd. 23% des gesamten CO2-Ausstoßs auf den Energieverbrauch in Wohnungen zurückzuführen ist, lassen sich die ehrgeizigen Klimaziele der Bundesregierung wahrscheinlich nur erreichen,
wenn sich die energetische Sanierung von Wohnraum für Investoren
auch rechnet. Gerade für Vermieter gibt es noch nicht hinreichende
Anreize für eine energetische Sanierung. Strengere Auflagen alleine
reichen nicht aus, falls diese die Last einseitig den Investoren aufbürden. Dies würde nämlich nur dazu führen, dass sich Investoren
noch mehr zurückhalten werden. Eine Überwälzung der Investitionen auf die Mieter nach Maßgabe der Energieeinsparung ist notwendig, denn so können auch im Mietwohnungsbau Preise effiziente Signale geben.
Bemerkenswert sind auch die Auswirkungen durch die Erneuerung
des Kraftwerksparks. Hier wirkt der Klimawandel über den Energiemix auf das mögliche Bauvolumen.
Chancen durch Know-how Export
auch im Ausland
Der Klimawandel bedingt also umfangreiche Bautätigkeit in
Deutschland. Alle Gewerke werden davon profitieren. Dort, wo in
Gebäuden Energiereserven schlummern, liegen die größten Baupotenziale. Gerade weil der Klimawandel ein globales Phänomen ist,
sind die Chancen für die Bauwirtschaft nicht alleine auf Deutschland
beschränkt. Die Bauwirtschaft ist gut beraten, nicht nur weitere Expertise im energiesparenden Bauen zu entwickeln, sondern diese
auch aggressiv international zu kommunizieren. Denn mit jeder zusätzlichen Information über die Folgen des Klimawandels und im
Falle weiterer Bestätigung des anthropogenen Elements hierbei,
wächst der Handlungsdruck in anderen Ländern. Deutsche Umweltgesetze werden dann zum Exportschlager und die Expertise im
energiesparenden Bauen als Folge davon ebenfalls. Wie enorm das
globale Baupotenzial sein könnte, lässt sich dadurch erahnen, dass
nur etwa 3% der weltweiten CO2-Emissionen in Deutschland entstehen.
Josef Auer (+49 69 910-31878, [email protected])
Eric Heymann (+69 910-31730, [email protected])
Tobias Just (+49 69 910-31876, [email protected])
36
9. Oktober 2008
Bauen als Klimaschutz
Ausgewählte Literatur
Allianz pro Schiene (2008). Umweltschonend mobil – Bahn, Auto,
Flugzeug, Schiff im Umweltvergleich. Berlin.
Auer, Josef (2008). Die Kraft-Wärme-Kopplung. Ein Eckpfeiler des
deutschen Energie- und Klimaprogramms. Deutsche Bank
Research. Aktuelle Themen 415. Frankfurt am Main.
BDEW (2007). Energiemarkt Deutschland. Zahlen und Fakten zur
Gas- und Stromversorgung. Dezember 2007.
BDEW (2008). Im Bau oder in Planung befindliche Kraftwerke.
Stand: 30. Mai 2008.
Bardt, Hubertus et al. (2008). Immobilien und Klimaschutz –
Potenziale und Hemmnisse. Institut der deutschen Wirtschaft
Köln. IW-Trends 2/2008. Köln.
Bulwien, H. (2004). Der Immobilienmarkt in Deutschland: Struktur
und Funktionsweise. Verband deutscher Hypothekenbanken.
August (2004). Berlin.
Bräuninger, Dieter et al. (2007). Wohnungsfinanzierung in
Deutschland: vier Trends. Deutsche Bank Research. Aktuelle
Themen 398. Frankfurt am Main.
Centrum für angewandte Wirtschaftsforschung Münster (2008).
Bedeutung der Infrastrukturen im internationalen
Standortwettbewerb und ihre Lage in Deutschland. Gutachten im
Auftrag des BDI. Münster.
Curien, Isabelle und Mark C. Lewis (2008). Carbon Emissions – It
Takes CO2 to Contango. Deutsche Bank Global Markets
Research. London.
dena (2008). Kurzanalyse der Kraftwerks- und Netzplanung in
Deutschland bis 2020 (mit Ausblick auf 2030). Berlin.
Davis Langdon (2007). Cost of green revisited. Reexaming the
feasibility and cost impact of sustainable design in the light of
increased market adoption. July 2007.
Deutsches Institut für Urbanistik (2008). Der kommunale Investitionsbedarf 2006 bis 2020: Endbericht (Entwurf). Berlin.
Diefenbach, Nikolaus (2008). Förderprogramme und ihre CO2Minderung am Beispiel des CO2-Gebäudesanierungsprogramms
der KfW. Institut Wohnen und Umwelt. Präsentation auf der
Fachtagung „Energieeffizienz im Gebäudebestand – Datenlage
und Entwicklungen“ in Darmstadt.
EWI/Prognos (2005). Die Entwicklung der Energiemärkte bis zum
Jahr 2030. Herausgeber: Bundesministerium für Wirtschaft und
Arbeit. Berlin.
Flauger, Jürgen (2007). Kraftwerks-Projekten droht das Aus.
Handelsblatt. 5. September 2007. Düsseldorf.
Heymann, Eric (2007). Klimawandel und Branchen: Manche
mögen’s heiß! Deutsche Bank Research. Aktuelle Themen 388.
Frankfurt am Main.
Hofmann, Jan et al. (2007). Deutschland im Jahr 2020. Neue
Herausforderungen für ein Land auf Expedition. Deutsche Bank
Research. Aktuelle Themen 382. Frankfurt am Main.
Höppe, Peter (2007). Trends bei Schäden durch Naturkatastrophen
– welche Rolle spielt der Klimawandel. Präsentation auf der
9. Oktober 2008
37
Aktuelle Themen 433
Fachtagung „Klimawandel und Branchen: Auswirkungen und
Chancen für die Wirtschaft. München.
Institut für Wohnen und Umwelt (2007). Energieeffizienz im
Wohngebäudebestand – Techniken, Potenziale, Kosten und
Wirtschaftlichkeit. Darmstadt.
IPCC (2007). Climate Change 2007: Synthesis Report. Genf.
Johns, Sven R. (2008). Die Klimaschutzdebatte wird das
beherrschende Thema 2008 in der Immobilienwirtschaft. In:
Ummen/Johns (Hrsg.). Immobilien Jahrbuch 2008. Berlin.
Just, Tobias (2003). Demografie lässt Immobilien wackeln.
Deutsche Bank Research. Aktuelle Themen 283. Frankfurt am
Main.
Knipper, Michael (2008). Argumentationslinie des Hauptverbands
der Deutschen Bauindustrie e.V. für die Pressekonferenz der
bautec. 11. Februar 2008. Berlin.
Lufthansa AG (2007). Balance. Frankfurt am Main.
Matthes, Felix und Hans-Joachim Zieising (2008). Die Entwicklung
des deutschen Kraftwerksparks und die aktuelle Debatte um die
künftige Strombedarfsdeckung. Ein Diskussionsbeitrag. Berlin.
Podewils, Christoph (2008). Zombie der Elektrizitätswirtschaft. In
Photon. Heft 6/2008. Aachen.
Rußig, Volker et al. (2005). Die volkswirtschaftliche Bedeutung der
Immobilienwirtschaft. ifo Institut für Wirtschaftsforschung.
München.
Sachverständigenrat für Umweltfragen (2005). Umwelt und
Straßenverkehr. Sondergutachten. Berlin.
SINTEF (2007). Environmental consequences of better roads.
Trondheim.
Statistisches Bundesamt (2008). www.destatis.de.
The European Union Road Federation (2007). Sustainable Roads.
Discussion Paper. Brüssel.
Troge, Andreas (2007). Die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung und ihre Wirkungen auf die Immobilien. In Ummen/
Johns (Hrsg.). Immobilien Jahrbuch 2008. Berlin.
Umweltbundesamt (2006). Was Sie über vorsorgenden
Hochwasserschutz wissen sollten. Dessau.
Vahlenkamp, Thomas et al. (2007). Kosten und Potenziale der
Vermeidung von Treibhausgasemissionen in Deutschland: Eine
Studie von McKinsey & Company, Inc., erstellt im Auftrag von
„BDI initiativ – Wirtschaft für Klimaschutz“. Berlin.
Verband der Automobilindustrie (2007). CO2-Minderungen im
deutschen Verkehrssektor – eine Zwischenbilanz. Frankfurt am
Main.
38
9. Oktober 2008
Der absehbaren Verknappung fossiler Energien ist mit intelligenten Zukunftsstrategien zu begegnen. Auf
längere Sicht wird nur ein breiter Fächer von Maßnahmen die Sicherheit der Energieversorgung ermöglichen.
Das Gebot der Stunde heißt, alle verfügbaren Hebel zu nutzen: Diversifikation der Energieträger und Technologien sowie Mobilisierung aller Einspar-, Reaktivierungs- und Effizienzsteigerungsstrategien. Eng verknüpft mit
dem Energiesektor ist die globale Herausforderung des Klimawandels. In den nächsten Jahren werden vielfältige Maßnahmen ergriffen, um den Klimawandel zu verlangsamen und seine negativen Folgen abzumildern.
Dies wird einen spürbaren Einfluss auf große Teile von Wirtschaft und Gesellschaft haben.
Emissionshandel in Amerika: Die US-Klimapolitik am Scheideweg
Aktuelle Themen 424 .............................................................................................................................27. Juni 2008
Klimawandel und Tourismus: Wohin geht die Reise?
Aktuelle Themen 416 ............................................................................................................................. 5. März 2008
Die Kraft-Wärme-Kopplung: Ein Eckpfeiler
des deutschen Energie und Klimaprogramms
Aktuelle Themen 415 ............................................................................................................................. 3. März 2008
Windenergie − Deutschland weltweit führend
Aktuelle Themen 399 ...................................................................................................................... 22. Oktober 2007
Klimawandel bewältigen: Die Rolle der Finanzmärkte
Aktuelle Themen 397 ................................................................................................................. 24. September 2007
Klimawandel und Branchen: Manche mögen’s heiß!
Aktuelle Themen 388 ...............................................................................................................................4. Juni 2007
Unsere Publikationen finden Sie kostenfrei auf unserer Internetseite www.dbresearch.de
Dort können Sie sich auch als regelmäßiger Empfänger unserer Publikationen per E-Mail eintragen.
Für die Print-Version wenden Sie sich bitte an:
Deutsche Bank Research
Marketing
60262 Frankfurt am Main
Fax: +49 69 910-31877
E-Mail: [email protected]
© Copyright 2008. Deutsche Bank AG, DB Research, D-60262 Frankfurt am Main, Deutschland. Alle Rechte vorbehalten. Bei Zitaten wird um Quellenangabe
„Deutsche Bank Research“ gebeten.
Die vorstehenden Angaben stellen keine Anlage-, Rechts oder Steuerberatung dar. Alle Meinungsaussagen geben die aktuelle Einschätzung des Verfassers
wieder, die nicht notwendigerweise der Meinung der Deutsche Bank AG oder ihrer assoziierten Unternehmen entspricht. Alle Meinungen können ohne vorherige
Ankündigung geändert werden. Die Meinungen können von Einschätzungen abweichen, die in anderen von der Deutsche Bank veröffentlichten Dokumenten,
einschließlich Research-Veröffentlichungen, vertreten werden. Die vorstehenden Angaben werden nur zu Informationszwecken und ohne vertragliche oder
sonstige Verpflichtung zur Verfügung gestellt. Für die Richtigkeit, Vollständigkeit oder Angemessenheit der vorstehenden Angaben oder Einschätzungen wird
keine Gewähr übernommen.
In Deutschland wird dieser Bericht von Deutsche Bank AG Frankfurt genehmigt und/oder verbreitet, die über eine Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht verfügt. Im Vereinigten Königreich wird dieser Bericht durch Deutsche Bank AG London, Mitglied der London Stock Exchange, genehmigt
und/oder verbreitet, die in Bezug auf Anlagegeschäfte im Vereinigten Königreich der Aufsicht der Financial Services Authority unterliegt. In Hongkong wird dieser
Bericht durch Deutsche Bank AG, Hong Kong Branch, in Korea durch Deutsche Securities Korea Co. und in Singapur durch Deutsche Bank AG, Singapore
Branch, verbreitet. In Japan wird dieser Bericht durch Deutsche Securities Limited, Tokyo Branch, genehmigt und/oder verbreitet. In Australien sollten Privatkunden eine Kopie der betreffenden Produktinformation (Product Disclosure Statement oder PDS) zu jeglichem in diesem Bericht erwähnten Finanzinstrument
beziehen und dieses PDS berücksichtigen, bevor sie eine Anlageentscheidung treffen.
Druck: HST Offsetdruck Schadt & Tetzlaff GbR, Dieburg
Print: ISSN 1430-7421 / Internet: ISSN 1435-0734 / E-Mail: ISSN 1616-5640