Festschrift zum Jubiläum - Evangelische Diakoniestiftung Herford
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Festschrift zum Jubiläum - Evangelische Diakoniestiftung Herford
Westfälischer Herbergsverband e.V. 125 Jahre – 1885 bis 2010 Festschrift zum Jubiläum 2 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Impressum Impressum Festschrift 125 Jahre 1885 bis 2010 Westfälischer Herbergsverband e.V. Friesenring 32/34 48147 Münster Tel.: 0251/2709-331 Fax: 0251/2709-573 Mail: [email protected] Web: www.diakonie-rwl.de Verantwortlich Jan Orlt, Geschäftsführer Fotos Andre Zelck, Archiv Redaktion und Layout Redaktionsbüro 3k Horstmannshof 18 49326 Melle Tel.: 05428/929361 Fax: 05428/929362 Mail: [email protected] Druck Druckerei Buschmann GmbH & Co. KG Nevinghoff 18 48147 Münster Tel.: 0251/28989-17 Fax: 0251/28989-49 Mail: [email protected] Web: www.druckerei-buschmann.de Festschrift Grußwort Grußwort der BAG Wohnungslosenhilfe Der Westfälsiche Herbergsverband e.V. (WHV) hat in den letzten 25 Jahren eine große Bandbreite von Themen abgedeckt und wichtige Impulse für die Region Westfalen gesetzt. Dies wird an den Beiträgen dieser Festschrift deutlich. Die Bedeutung der Region und der einzelnen Orte in der Wohnungslosenhilfe nimmt zu. Dies ist natürlich Ausdruck der föderalen Struktur Deutschlands, aber noch mehr der starken Tendenz zur Dezentralisierung der Strukturen sozialen Leistungserbringung. Dies wird vor allem in der wichtigen Rolle der Region bei der Aushandlung von Leistungstypen deutlich. Hier hat der WHV maßgeblich Einfluss genommen und im Interesse der wohnungslosen Menschen immer wieder für unbürokratische Lösungen gestritten. Seit Ende der 1990er Jahre gibt es aufgrund dieser Gesamtentwicklung eine neue Arbeitsteilung zwischen Bundesverbänden und Regionalverbänden. Regionalverbände müssen sich starker als früher auch politisch einmischen und auf dem Feld der Sozialpolitik ihres Bundeslandes präsent sein. Während Bundesverbände wie die BAG Wohnungslosenhilfe zunehmend gefordert sind, sich auf die hohe Geschwindigkeiten im Gesetzgebungsprozess auf Bundesebene einzustellen und darauf mit Lobbyarbeit zu reagieren, können sie sich nicht gleichzeitig in der notwendigen Weise in der Region oder gar vor Ort einbringen. Schon immer war dieser Aspekt von Bedeutung, aber heute besonders. 3 Das Grundsatzprogramm der BAG W stellt die lokale Hilfesystementwicklung vor Ort schon in seinem Titel in den Mittelpunkt: für eine bürger- und gemeindenahe Wohnungslosenhilfe. Der WHV hat die fachpolitischen Grundlinien des Grundsatzprogramms in seinen Fachdebatten konstruktiv aufgenommen und mit seinen Möglichkeiten die Gedanken in die Regionen und Orte getragen. Er hat damit einen großen und wichtigen Beitrag zur Einheit der Standards und der Qualität der Wohnungslosenhilfe geleistet. Im Namen des Vorstands und des Präsidiums der BAG W gratuliere ich dem WHV herzlich zu seinem 125-jährigen Jubiläum. Er hat bewiesen, dass er sich den neuen Herausforderungen stellen kann, und dies wird er auch in den nächsten 25 Jahren tun. Wir freuen uns auf die Fortsetzung der guten Zusammenarbeit. Dr. Thomas Specht (Geschäftsführer BAG W) 4 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Grußwort Grußwort „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! (…) Wenn du in deiner Mitte niemanden unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag.“ (Jesaja 58, 7ff.) Sehr geehrte Damen und Herren, es ist mir eine Freude anlässlich des 125-jährigen Jubiläums des Westfälischen Herbergsverbandes e.V. für diese Festschrift ein Vorwort zu schreiben. 1985 hat der Westfälische Herbergsverband e.V. (WHV) an seinem Gründungsort in Bielefeld-Bethel sein 100-jähriges Jubiläum gefeiert. Gefeiert wurden100 Jahre Geschichte der Wohnungslosenhilfe und gleichzeitig mit Clemens Theodor Perthes und Friedrich von Bodelschwingh, zwei Urvätern der Diakonie, 100 Jahre Geschichte der Diakonie insgesamt. Da die ersten 100 Jahre der wechselvollen Geschichte des Westfälischen Herbergsverbandes e.V. und der Geschichte der Wohnungslosenhilfe eben zu jenem 100-jährigen Jubiläum 1985 schon in Schriftform gefasst wurden, ist die nun in Ihrer Hand befindliche Festschrift zum 125-jährigen Jubiläum ein Rückblick auf die letzten 25 Jahre. Beim Lesen entsteht der Eindruck, dass die letzten 25 Jahre nicht weniger abwechslungsreich und aufregend waren als die 100 Jahre davor. Vielleicht war in den 1980er Jahren die einschneidendste Entwicklung der Beginn der ambulanten Hilfen und der damit verbundene heftige fachliche Diskurs. Sicher nicht weniger „revolutionär“ war das Engagement im Wohnungsbau in den 1990er Jahren als Antwort auf die damalige Not an brauchbaren Wohnungen. Aber auch alle anderen Themen, die diese Festschrift in Auszügen aus Dokumenten des Westfälischen Herbergsverbandes e.V. benennt und in Erinnerung bringt, zeichnen einen beeindruckenden Weg der beständigen Weiterentwicklung der Hilfen für Menschen, die ganz am Rande dieser Gesellschaft stehen. Abgerundet wird dies durch die persönlichen Berichte der Kollegen und Kolleginnen, die die letzten 25 Jahre selbst miterlebt und vor allem selbst gestaltet haben. Neben seiner besonderen Rolle bei der Weiterentwicklung der Wohnungslosenhilfe, nicht nur in Westfalen sondern bundesweit, ist der Westfälische Herbergsverband e.V. als Fachverband der Diakonie in Westfalen und Lippe und seit 2008 der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe auch sichtbarer Ausdruck strukturierter Mitgliederbeteiligung. Der Westfälische Herbergsverband e.V. hat wie alle Fachverbände in den Strukturen des Landesverbandes die Aufgabe, die Wünsche, Vorstellungen und Ideen der Mitglieder des Landesverbandes zu sammeln, zu bündeln und ihnen in Kirche und Diakonie und gegenüber den Leistungsträgern und der Politik eine Stimme zu geben. Dies hat der Westfälische Herbergsverband e.V. auch in den letzten 25 Jahren immer in Augenhöhe mit den Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten in hervorra- Festschrift Grußwort gender Weise getan. Dafür möchte ich mich in besonderer Weise bedanken. Am 01. Juli 2008 wurde mit der Gründung der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe e.V. ein schon einige Jahre früher begonnener Prozess des Zusammenwachsens der Diakonischen Werke im Rheinland, in Westfalen und Lippe auch nach außen sichtbar. Dabei war und ist es eine besondere Herausforderung, zum Teil Jahrhunderte alte Traditionen mit modernen Anforderungen einer lebendigen Diakonie zu verbinden. Durch seine nun 125-jährige Geschichte steht der Westfälische Herbergsverband e.V. geradezu als Synonym für diese Herausforderung, neue Wege zu beschreiten, ohne seine Wurzeln dabei aus den Augen zu verliefen. Diese Wurzeln liegen in einer biblisch begründeten Diakonie, die im Horizont des Reiches Gottes darauf ausgerichtet ist, dass alle teilhaben an der von Gott gegebenen Fülle des Lebens. Ich wünsche dem Vorstand des Westfälischen Herbergsverband e.V. und seinen Mitgliedern Gottes Segen auf diesem Weg. Günther Barenhoff (Sprecher des Vorstandes der Diakonie RheinlandWestfalen-Lippe e.V.) 5 6 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Inhalt Inhalt Grußworte 3 4 Grußwort der BAG Wohnungslosenhilfe Grußwort des Diakonischen Werkes 7 1983 25 Jahre Sozialberatungsstelle Hamm des Perthes-Werkes 9 1989 Fragemente ambulanter Hilfe 1992 13Ergebnisse der Umfrage „Tagessatz“ der Beratungsstelle Herford 1987 bis 1991 1993 17Sinn und Zweck kirchlich-diakonischer Baumaßnahmen 1994 19Überlegungen zur Weiterentwicklung der Gefährdetenhilfe im Diakonischen Werk von Westfalen 1997 25 Geschäftsbericht 33Zur Situation Wohnungsloser und obdachloser Frauen in NRW 2000 35 Betreutes Wohnen 37Leistungstypen der stationären und ambulanten Hilfe gemäß § 72 BSHG 39Medizinische Versorgung wohnungsloser und von Armut betroffener Menschen 42Fundraising-Konzepte für das Projekt „Aufsuchende Hilfen zur Krankenpflege“ des Diakonischen Werkes Dortmund 48 Zehn Jahre Arbeitsgelegenheiten 2002 57Grundsätze der Arbeit – Gemeinsam gegen Armut, Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit 2003 63Gestaltung des Zusammenlebens im öffentlichen Raum – Eine Arbeitshilfe 2008 66Die Gerechtigkeit hat eine Lücke – Grundsatzposition des Vorstandes 2009 68 Müssen wir ins SGB II? 2010 73 Immer unterwegs 75 Meine Zeit in der Wohnungslosenhilfe 77Gut versorgt – Hauswirtschaft in stationären Einrichtungen 79Blitzlichterinnerungen – aus 40 Jahren Wohnungslosenhilfe und WHV 80 Beginn der Arbeit in Münster 2 39 78 81 82 82 83 Sonstiges Impressum Mehr Glück – Gedicht Meine Tür Öffnen – Gedicht Logierbesuch Autoren Vorsitzende und Geschäftsführer Organigramm Festschrift Sozialberatungsstelle Hamm 25 Jahre Sozialberatungsstelle Hamm des Perthes-Werkes Mitte der 1980er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurden in Westfalen die ersten Beratungsstellen für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten eröffnet. Eine ganz neue Form der Hilfe begann… A. Die Anfänge Am 7. Februar 2008 ist unsere Sozialberatungsstelle in Hamm 25 Jahre alt geworden. Nachhaltig gefordert worden war in den Jahren vor 1983 eine Beratungsstelle für Personen in besonderen sozialen Schwierigkeiten von der mittlerweile nicht mehr bestehenden „Arbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe“ mit ihrem damaligen Vorsitzenden Wilhelm Brinkhoff, wobei man hier natürlich die Beratung und Vermittlung von haftentlassenen Personen im Auge hatte. Schließlich zeigte auch die Stadt Hamm ein zunehmendes Interesse an einer solchen Beratungsstelle. Hier wurde jedoch die einigermaßen fachfremde Vorstellung entwickelt, die Beratungsstelle solle vorrangig nachts und an Wochenenden tätig sein zur Betreuung von Nichtsesshaften, wenn die übrigen Wohlfahrtsverbände geschlossen haben. Als sich die Einrichtung einer Beratungsstelle deutlicher abzeichnete, wurden im Sommer und Herbst 1982 erste konzeptionelle Überlegungen angestellt (an denen sich auch bereits der Unterzeichner – damals im Perthes-Haus beschäftigt – beteiligte): Übereinstimmung wurde darüber erzielt, dass der Schwerpunkt der Arbeit bei der Prophylaxe liegen solle, und zwar gelte es hautsächlich, Nichtsesshaftigkeit von Hammer Bürgern zu verhindern. 7 Am 7. Februar 1983 wurde dann die Beratungsstelle für Personen in besonderen sozialen Schwierigkeiten als Ein-Mann-Betrieb im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme eröffnet. Ihr erster Leiter war der Diakon und Sozialarbeiter Martin Klein. Angesiedelt war das Ganze zunächst als Provisorium im Perthes-Haus, das damals noch an der Antonistraße stand. Zum 1. Dezember 1983 konnte die Beratungsstelle in eigene Räumlichkeiten auf der Feidikstraße 73 umziehen. Dieser Umzug war auch deswegen notwendig geworden, weil sich das Perthes-Haus Ende 1983 weit außerhalb des Stadtinnenbereichs, in der LudwigTeleky-Straße, ansiedelte. Am 15. Mai 1984 wurde die Mitarbeiterzahl mit der Einstellung des Sozialarbeiters Uwe Rampel aufgestockt. Martin Klein schied zwei Jahre später aus und wechselte als Leiter einer Nichtsesshafteneinrichtung nach Nienburg an der Weser. Als sein Nachfolger trat der Unterzeichner zum 1. Juli 1986 in die Beratungsstelle ein. Ende 1986 musste die Beratungsstelle aufgrund einer kurzfristig angesetzten Kündigung von Seiten des damaligen Vermieters ein neues Domizil suchen. Zu dieser Kündigung war es gekommen, nachdem am 1. April 1986 in einem der Räume die Zimmerdecke heruntergebrochen war und eine Mitarbeiterin des Perthes-Hauses sowie ein Klient verletzt worden waren. Die anschließenden Rechtsstreitigkeiten hatten den Hauseigentümer wohl derart verärgert, dass er uns kündigte. Unter ziemlichem Zeitdruck mussten wir auf Wohnungssuche gehen, wurden aber zum Glück rascher fündig, als wir zu hoffen wagten. Das neue Objekt in der Wilhelmstraße 176 war jedoch mit mancherlei Schönheitsfehlern behaftet: Es war zu weit weg von der Stadtmitte und baulich größtenteils unbefriedigend, konnte also auf Dauer den Ansprüchen einer Beratungsstelle nicht genügen. Zum 1. Januar 1988 gab es einen weiteren Mitarbeiterwechsel, als für Uwe Rampe, der zum Perthes-Haus ging, die Sozialpädagogin Sigrid Kübler-Molitor in die Beratungsstelle eintrat. 8 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Sozialberatungsstelle Hamm Nach langem Suchen konnten wir 1989 geeignetere Räume für unsere – nunmehr „Sozialberatungsstelle“ genannte – Einrichtung in der Ostenallee 8 finden, mit ausreichender Ausstattung und nahe genug zur Stadtmitte hin. Der Umzug erfolgte am 30. Juni 1989. Hier sind wir bis heute geblieben. Zum 1. Januar 1991 wechselte Sigrid Kübler-Molitor ins PerthesHaus, wo sie zunächst die Nachbetreuung sowie die stellvertretende Heimleitung übernahm, seit Dezember 1997 dann die Heimleitung selbst innehat. Für sie trat die Sozialpädagogin Monika Martin in die Sozialberatungsstelle ein. Im November 1991 ging schließlich ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung, indem wir mit Gertrud Manderla eine halbtags tätige Verwaltungskraft einstellen konnten. Hierdurch erfuhren wir eine spürbare Entlastung von den reinen Verwaltungstätigkeiten und hatten auf diese Weise mehr Zeit für Gespräche mit unseren Klientinnen und Klienten. Volker Handt Aus: 25 Jahre Sozialberatungsstelle Hamm des Perthes Werkes, Hamm 2008 , S. 1-2 Festschrift Fragmente ambulanter Hilfe Fragmente ambulanter Hilfe Mit dem Stichwort „Alltagsfragmente“ will ich Gegebenheiten eines Arbeitsalltags innerhalb und außerhalb unserer Beratungsstelle schildern: temporäre Bruchstücke von Begegnungen, Eindrücken und Empfindungen. Fragmente lassen insofern weder generalisierende Aussagen über die Beziehung Betroffener/Sozialarbeiter noch über das übrige Aufgabenfeld einer Beratungsstelle zu. Zunächst, so dachte ich, verbieten das gesellschaftliche Rekrutierungsfeld von Wohnungslosigkeit sowie die gesellschaftlichen Bedingungen zur Förderung von Armutskarrieren einen Darstellungsversuch, in dessen Mittelpunkt – wenn auch nur fragmentarisch – der Einzelfall steht, denn allzu voreilig könnte vielleicht aus einem individualisierenden Problem aufriss persönlich defizitäres oder schicksalhaft bedingtes Verhalten abgeleitet werden, das dann möglicherweise auf die Gesamtheit einer so genannten Randgruppe unserer Gesellschaft übertragen werden könnte. Vielleicht entdeckt unser Leser aber gerade in diesen am Einzelfall orientierten Fragmenten auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die defizitär sind und ein individualisierendes Problemverständnis widerlegen helfen. An einem Donnerstag, den... 1. Nach der kurzen morgendlichen Dienstbesprechung im Kollegenkreis der hauptamtlichen Sozialarbeiter teilt mir einer unserer Zivildienstleistender (ZDL) mit, dass die Schwester von Herrn P. angerufen hätte und den Wunsch geäußert habe, dass ich ihren Bruder, der nach einem tragischen Unfall den rechten Fuß verloren hat, im evangelischen Krankenhaus Dortmund-M. besuchen möchte. 9 Vor ca. zehn Tagen hatte ich bereits morgens in den Stadtteilnachrichten der Tageszeitung die flüchtige Notiz gelesen, dass der arbeitslose Günter P. von einem Eilzug erfasst worden sei und mit schweren Verletzungen ins nächste Krankenhaus eingeliefert werden musste. Dabei hatte ich nicht zu glauben gewagt, dass es Günter sein könnte, den ich seit drei Jahren aus meiner Beratungsarbeit heraus kenne. Günter, 34 Jahre, suchte mich nur in den Herbst- und Wintermonaten auf; er bat dann um meine Unterstützung, wenn es darum ging, Kontakt mit dem Sozialamt aufzunehmen, um seine bescheidene Arbeitslosenunterstützung aus Sozialhilfemitteln ergänzen zu helfen oder ihn kurzfristig in der städtischen Übernachtungsstelle unterzubringen. Günter ist ungelernter Arbeiter und hat einen Sprachfehler. In den Frühjahrs- und Sommermonaten hatte er es nach eigenem stolzen Bekunden „nicht nötig“, das Sozialamt „anzubetteln“. Als Losverkäufer auf Jahrmärkten besserte er dann seine Arbeitslosenhilfe auf, erarbeitete sich die ergänzende HzL (Hilfe zum Leben). Manchmal konnte ich ihn begrüßen, wenn ich mit meiner Familie über so einen Jahrmarkt schlenderte. „Bis bald“, war dann immer sein freundliches, verkniffenes Abschiedskürzel. Ich hatte nicht zu glauben gewagt, dass es Günter sein könnte. Doch das Telefonat mit der Schwester lässt die verdrängte Ungewissheit zur erschütternden Gewissheit werden: Neben der Sprachbehinderung nun auch noch eine Körperbehinderung. Gespräche mit Ärzten, Sozialdiensten und mit der Schwester werden folgen. Klar, dass ich Günter so schnell als möglich besuchen werde, in den nächsten Tagen. 2. Um 10.00 h stehe ich am Krankenbett von Wolfgang Z.. Bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr ist Wolfgang ins Krankenhaus Dort 10 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Fragmente ambulanter Hilfe mund-W. eingeliefert worden und zum zweiten Mal mit ähnlich lautender Diagnose: Nach Frakturen am rechten Unterarm und Knöchel linkes Bein ist es dieses Mal das linke Wadenbein, das gebrochen ist. Wie ich es nicht anders erwartet hatte, liegt Wolfgang nur mit einem einfachen OP-Hemd bekleidet in seinem Krankenbett, nicht im Besitz von Seifen- und Toilettenartikeln, von den Mitpatienten als Sozialfall wohl schon längst ausgemacht. Vorsorglich habe ich die nötigen Utensilien, ein bisschen Menschenwürde in Plastiktüten, zum Krankenzimmer mitgebracht. Mithilfe beim Ausfüllen des Unfallbogens der Krankenkasse, ein kurzes Gespräch mit Wolfgang und ein „Auf Wiedersehen bis nächste Woche.“ Einmal in der Woche besuche ich Wolfgang in seiner bescheidenen 2-Zimmer-Wohnung in Dortmund-M. Wolfgang steht unter Gebrechlichkeitspflegschaft beim Jugendamt der Stadt Dortmund, Abt. Erwachsenenvormundschaft; seinen Pfleger kennt er persönlich nicht, wohl aber akzeptiert er die Vereinbarungen, nach denen ich stellvertretend für das Jugendamt, jedoch ohne Bestallung, die „Gebrechlichkeitspflegschaft“ ausübe. Zu lange kennen wir uns, Wolfgang und ich, als dass Wolfgang in mir die bloße Amtsperson sehen würde. Vor vier Jahren kam er erstmalig nach Dortmund zu mir in die Beratungsstelle, ohne festen Wohnsitz, schon damals unter Gebrechlichkeitspflegschaft beim Landratsamt R. stehend. Wolfgang bezieht eine EU-Rente, die weit über dem Sozialhilfesatz liegt, und so war es nach kurzer Unterbringung in der städtischen Übernachtungsstelle möglich, für ihn ein möbliertes Zimmer in der westlichen Dortmunder Innenstadt anzumieten. Wolfgang, 44 Jahre alt, ungelernter Arbeiter, 162 cm groß, wiegt nur 62 kg, sieben Jahre Volksschulbesuch, während dieser Zeit zwei oder dreimal wegen Sprachschwierigkeiten sitzen geblieben; Spätaussied- ler aus Oberschlesien, sein Vater ist im Krieg gefallen. Wolfgang hat Alkoholprobleme, ist unter Alkoholeinwirkung sehr freigiebig und großzügig, aber auch leichtfertig und großkotzig im Umgang mit Geld; dahinter steht sicherlich der fortwährende Wunsch nach Aufmerksamkeit, Anerkennung und Nähe. Diese Einstellung ist Wolfgang bald zum Verhängnis geworden, als er nach einem Kneipenbummel aus „Mitleid“, wie er sagte, den wohnungslosen Peter N. in der neuen Wohnung aufgenommen hatte. Fortan war Wolfgang miesesten Zuhälterpraktiken ausgesetzt: Schläge, Tritte, völlige Abgabe der EU-Rente an N., eskalierende Gewalt, die darin gipfelte, dass Wolfgang von N. mit heißem Fett über schüttet worden ist. Polizeieinsätze, Anzeigen wegen schwerer Körperverletzung, Nötigung, Hausfriedensbruch usw. konnten das Martyrium zunächst auch nicht beenden. Erst ein Wohnungsbrand erlöste Wolfgang. Diese Geschehnisse sind nun vier Jahre her und in dieser schlimmsten Phase habe auch ich oft große Angst gehabt, wenn ich Wolfgang besucht hatte. Seit vier Jahren wohnt Wolfgang in DortmundM., in der wohlwollenden Obhut des Vermieterpaares. Er erhält Essen auf Rädern, und meinen wöchentlichen Besuch, der heute im Krankenhaus stattgefunden hat. 3. Zurück in der Beratungsstelle erwartet mich Herr P.. Herr P. spricht erstmalig bei uns vor und wirkt im Erstgespräch sehr unsicher. Er habe ja noch nie in seinem Leben jemanden um Hilfe bitten müssen, aber nun ginge das wohl nicht mehr anders. Das Arbeitsamt habe ihm den Bezug seines Arbeitslosengeldes vorläufig versagt, da er für das Arbeitsamt nicht erreichbar sei; draußen habe er von einem Bekannten gehört, dass man sich hier im Diakonischen Werk polizeilich anmelden könne. Ich korrigiere sofort den Tipp von draußen und teile Herrn P. mit, dass Festschrift Fragmente ambulanter Hilfe er sich bei uns nicht polizeilich anmelden könne, wohl aber die Anschrift unserer Beratungsstelle als ladbare postalische Anschrift für sich in Anspruch nehmen könne, vorausgesetzt, es fände sich keine andere Möglichkeit. Im Beichtton berichtet dann Herr P., dass er die eheliche Wohnung nach der Scheidung von seiner Frau vor zwei Monaten habe verlassen müssen, und stellen Sie sich vor: „23 Jahre war ich verheiratet, und noch vor 11/4 Jahren habe ich bei Hoesch gearbeitet.“ Seit dem Rausschmiss aus der Wohnung habe er wechselweise bei Freunden und Bekannten übernachten können, aber auf Dauer ginge das wohl nicht mehr und schon drei Wochen habe er kein Geld mehr vom Arbeitsamt erhalten. „Können Sie mir bitte jetzt diese Bescheinigung für das Arbeitsamt ausstellen?“ Die Situation wird für Herrn P. zunehmend unangenehmer, ich spüre dies und will ihn nicht mit weiteren Fragen überstrapazieren. Der Rest ist dann Routinehandeln: Ausstellen der Erreichbarkeitsbescheinigung für das Arbeitsamt, der vergebliche telefonische Versuch – wie immer – die Leistungsabteilung des Arbeitsamtes zu erreichen, um einen Vorschuss für Herrn P. zu bewirken, Telefonat mit dem Sachbearbeiter der Abt. 50/4 des Sozialamtes, der sich freundlicherweise dazu bereit erklärt, Herrn P. Sozialhilfe auszuzahlen für den Fall, dass dieser morgen beim Arbeitsamt wieder keine Zahlung erhalten sollte. Ein freundliches „Auf Wiedersehen Herr P., und sollten Sie weitere Schwierigkeiten mit dem Arbeitsamt bekommen, so kommen Sie morgen oder in den nächsten Tagen ...“ und ich vermute, dass Herr P. gezwungenermaßen zunehmend auf Fremdhilfe angewiesen sein wird. 4. Peter N. lässt keine Atempause zu. Peter, 24 Jahre alt, betritt noch während meiner Verabschiedung von Herrn N. mein Arbeitszimmer, setzt sich und dreht eine Zigarette. „Hallo, da bin ich wieder, bin heute entlassen worden, soll mir eine Wohnung suchen“, sind seine 11 ersten Mitteilungen. Ich kenne Peter seit drei Jahren, ich kenne seine Distanzlosigkeit, die nicht böswillig ist, ich weiß um seine Schwierigkeiten in der Nähe-/Distanzregulierung. Ich bitte ihn höflich, aber bestimmend, mein Arbeitszimmer zu verlassen, und mit Blick auf meinen Terminkalender mich heute Nachmittag um 15.00 h noch einmal aufzusuchen. Peter folgt bereitwillig meiner Bitte und verlässt mein Zimmer. Ärger kommt in mir hoch: Da wird er wieder aus der Psychiatrie entlassen, ohne dass eine nachgehende Betreuung oder die materielle Sicherstellung des Lebensunterhaltes geregelt sind, leider kein Einzelfall, und in jüngster Zeit ist dieses Entlassungsmuster bei psychisch Kranken auch in unserer Beratungsstelle verstärkt zu beobachten. Dieses Mal, so denke ich, darf es Peter nicht so ergehen wie nach seiner letzten Entlassung. Zunächst das raue Klima in der städtischen Übernachtungsstelle und danach die unhaltbaren Zustände in seinem späteren unmittelbaren Wohnumfeld (Schlafstellenwesen – Konzentration von Personen mit persönlichen und sozialen Schwierigkeiten auf engstem Raum in einem abbruchreifen Haus), die dazu beigetragen haben, dass Peter als Rückfallpatient schon nach kurzer Zeit wieder in die Psychiatrie eingeliefert werden musste. 5. 14.00 h: Vereinbarter Gesprächstermin mit Herrn G., 49 Jahre. Noch vor drei Jahren übte er seinen Lehrberuf aus, nahezu 30 Jahre ununterbrochen. Stolzer Besitzer einer Eigentumswohnung mit 1/2-Anteil gemeinsam mit seiner Frau, ebenfalls 1/2-Anteil-Besitzerin, Sekretärin in einem mittelständischen Unternehmen. Kurz vor der Silberhochzeit verstarb die Ehefrau plötzlich. Zwangsversteigerung der Wohnung mit finanziellem Verlust, Schulden, Lohnpfändung, Alkohol, Entlassung aus dem Beruf. Eine Mietwohnung konnte Herr G. nur drei Monate halten, dann folgte die Zwangsräumung. Der Alkohol wird nach dem Tod der Ehefrau zum ständigen Wegge- 12 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Fragmente ambulanter Hilfe fährten. Aus einem Gelegenheitstrinker wird ein chronisch exzessiver Trinker mit Kontrollverlust. Neben der physischen und psychischen Abhängigkeit vom Alkohol gesellt sich im D-Zug-Tempo der soziale Abbau. Seit ca. 1 1/4 Jahre ist Herr G. ohne festen Wohnsitz. In die städtische Übernachtungsstelle geht er nicht mehr, nachdem er dort vor zwei Monaten zusammengeschlagen worden ist. Vor zwei Tagen hat er die Wohnung eines Bekannten verlassen müssen, Streiterei wegen Geld war der Auslöser. Die Witwerrente und die ergänzende Arbeitslosenhilfe sind zu schnell von Herrn G. aufgebraucht, als dass in der gegenwärtigen Situation ein kleines möbliertes Zimmer hätte angemietet werden können. Herr G. macht „Platte“. Herr G. überrascht mich heute mit der Mitteilung, dass er sich entschieden habe, eine Therapie antreten zu wollen, er müsse den Tod seiner Frau doch einmal überwinden. Zwar haben Herr G. und ich in den vergangenen Wochen auch immer wieder das Thema „Alkohol“ aufgegriffen, und manchmal hat es auch den Anschein, dass er die Möglichkeit eines Therapieantritts ernst nehme, aber es dominierten doch die Widersprüchlichkeiten zwischen Tun und Wollen. Die plötzliche Entschlossenheit überrascht mich umso mehr, und mir kommen wieder Zweifel: Er hat nie den Anschluss an eine Auffanggruppe der Suchtkrankenhilfe gesucht, aber wie sollte er auch dies tun können, ohne festen Wohnsitz, ungepflegtes Äußeres und wohin sollte er sich nach den Sitzungen in der Auffanggruppe auch begeben? Ist die Therapie für ihn nur eine vorgestellte Möglichkeit zum Empfang von Versorgungsleistungen, wie Essen und Unterkunft, quasi die Ideallösung zur Behebung seiner schier ausweglosen sozialen Situation? Vielleicht aber hat er doch endlich die Illusionen aufgegeben, kontrolliert trinken zu können, er hat mir ja zu verstehen gegeben: „So geht das nicht mehr weiter, so mache ich mich doch kaputt, ich muss den Tod meiner Frau doch endlich überwinden.“ Er hat vielleicht doch erkannt, dass er es aus eigener Kraft wohl nicht schaffen wird, abstinent zu werden, er braucht Fremdhilfe. Die zerfahrene persönliche und soziale Lebenslage erfordern eine Sofortlösung, die die etablierte Suchtkrankenhilfe so schnell nicht anbieten kann. Trotz meiner Zweifel an der Motivationsbereitschaft kann ich für Herrn G. einen Platz zur klinischen Entgiftung in einem Dortmunder Vorortkrankenhaus finden. Morgen früh ist Aufnahmetermin und ich werde Herrn G. besuchen müssen in den nächsten 14 Tagen, um ggf. den nahtlosen Übergang vom Krankenhaus in eine therapeutische Einrichtung sicherzustellen, und das wird nicht einfach sein. 6. Peter N. öffnet um 15.00 h meine Zimmertür, ohne zuvor angeklopft zu haben, setzt sich und dreht eine Zigarette. „Hallo, da bin ich wieder...“ Klaus Schröder aus: Veröffentlichungen zur Armut und Wohnungslosigkeit, Hrsg.: Klaus Schröder und andere 31. Jg., Dortmund 1989, S. 91-93 Festschrift Umfrageergebnisse Ergebnisse der Umfrage „Tagessatz“ der Beratungsstelle Herford 1987 bis 1991 Rechtskonforme Sozialhilfegewährung war zu Zeiten des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) ein Dauerthema der Hilfen. Dabei wurde bis zum Ende der Ära des BSHG 2005 viel erreicht. Heute beginnt mit dem SGB II und dem SGB XII, wie das BSHG heute heißt, vieles von Neuem. Mit der Situation der Wohnungslosen – hier insbesondere der alleinstehenden Wohnungslosen – und der Hilfe für diese Menschen können wir aktuell nicht zufrieden sein. Wir haben weder einheitliche Hilfen noch einheitliche Regelungen, die es ansatzweise ermöglichen würden, von einem Hilfesystem zu sprechen. Diese Kritik müssen sich übrigens sowohl öffentliche als auch freie Träger der Hilfe gefallen lassen. Wie sieht nun die Hilfe heute aus, und welche Entwicklungen lassen sich aus den letzten fünf Jahren ablesen? Mit allen Einschränkungen, die wegen der Unvollkommenheit unserer Umfrage bedacht werden müssen, lassen sich folgende Grundaussagen treffen: Es gibt inzwischen weitgehend kreiseinheitliche Regelungen, die allerdings nicht überall konsequent eingehalten werden. Leider bewegen sich diese Regelungen, was die Tagessätze angeht, in recht unterschiedlicher Höhe. 1991 bewegten sich die Tagessätze von 8 DM im Kreis Lippe (nicht am Wochenende) über 10 DM in Höxter und Paderborn (dort sollte für 1992 die Anhebung auf 16 bzw. 17 DM erfolgen) und 12 DM in Minden und Gütersloh bis hin zu 16 DM in Herford und Bielefeld. 13 14 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Umfrageergebnisse Was dabei bis auf Herford und Bielefeld unklar bleibt, ist die „Berechnungsgrundlage“ der Tagessätze; in der Rechtsprechung gibt es inzwischen klare Kriterien, diese finden aber in Ostwestfalen höchstens rudimentär Eingang in die Praxis der Verwaltungen. Die beiden „Kreise“ mit den Tagessätzen, die sich aus dem Regelsatz eines Haushaltsvorstands ableiten und damit nachvollziehbar sind, machen allerdings bei der Hilfegewährung eine Einschränkung: So genannte „Durchreisende“, eine Kategorie, die Sie in keinem Gesetz finden werden, erhalten nur einmal im Leben eine Barleistung, anschließend nur noch Esspakete, es sei denn, sie bleiben am Ort und „gliedern sich ins Hilfesystem ein.“ Damit sind wir auch bei der Art der Hilfegewährung. Überwiegend ist inzwischen die Barleistung, aber immerhin ein Drittel der Gemeinden gewährt ausschließlich Sachleistung bzw. hat eine „zweigeteilte“ Regelung. Und die Gewährung wird in der Regel nicht individuell begründet und mit entsprechendem Bescheid auch schriftlich nachvollziehbar gestaltet, sondern es wird eine „gruppenspezifische Betrachtungsweise“ vorgenommen, die aber vom Bundesverwaltungsgericht schon 1986 als nicht rechtskonform eingestuft wurde. Schätzt man die Zahl der Hilfenachfragen in Ostwestfalen-Lippe in einem Jahr, so kommt man auf etwa 10.000 bis 15.000 Nachfragen im Jahr 1991. Nimmt man die in der NRW-Studie über die alleinstehenden Wohnungslosen für den Regierungsbezirk Detmold hochgerechnete Zahl von 5.000 alleinstehenden Wohnungslosen, so zeigt sich, dass wir hier eine Größenordnung haben, die wohl in etwa die Realität trifft, denn in unserer Umfrage sind zum Teil auch Mehrfachauftritte mitgezählt. Es wird aber hier schon ein großes Problem deutlich: Die Gruppe der Wohnungslosen wird statistisch kaum erfasst und so sind auch keine verlässlichen Zahlen vorhanden. Man ist hier weitgehend auf Schätzung, Spekulation und Vermutung angewiesen. Auch hier macht sich übrigens das Fehlen einer „Armutsstatistik“ für eine gezielte Sozialpolitik auf kommunaler wie regionaler Ebene negativ bemerkbar. Ein wichtiges Thema in allen Diskussionen ist immer wieder die „Mobilität“ der Hilfesuchenden; in den Gesprächen taucht dann oftmals der Begriff der „Sogwirkung“ auf. Die NRW-Studie hat ergeben, dass für Ostwestfalen-Lippe über 90 Prozent der Hilfesuchenden angegeben haben, dass sie sich nur in der Region aufhalten. Und für diese Mobilität ist wahrscheinlich das Hilfeangebot ein entscheidender Verursachungsfaktor (dies wurde z.B. auch sehr deutlich durch die so genannte Hessenstudie 1986 aufgezeigt). Es lässt sich aus den Zahlen für die einzelnen Jahre recht gut ablesen, wie die „Verbesserung“ oder auch die Verschlechterung“ in einzelnen Orten oder Kreisen eine fast gleichmäßige Verlagerung aus bzw. in die anliegenden Kreise mit sich bringt. Somit ist die „Sogwirkung“ immer auch eine „Schubwirkung“. Leider wird in der Diskussion verkannt, dass diejenigen Orte, die von einer „Sogwirkung“ betroffen zu sein glauben, in der Regel lediglich die vom Gesetz vorgeschriebenen Hilfen anbieten und damit dem Geist und Buchstaben des BSHG gerecht werden; die „schiebenden“ Kreise demgegenüber aber eigentlich eine Verletzung des BSHG betreiben und sich auf Kosten anderer Kreise eines Problems entsorgen. Bei dieser ganzen Frage spielt übrigens auch die Befristung des Aufenthalts an einem Ort eine Rolle. Wer sich nur ein bis drei Tage in der Übernachtung aufhalten darf, ist in der Regel gezwungen, einen Ortswechsel vorzunehmen, wenn er nicht im Freien schlafen will. Und wie schwierig es ist, in einem System ohne einheitliche Regelungen Hilfen für die alleinstehenden Wohnungslosen aufzubauen, mögen Sie ersehen aus der Tatsache, dass der Kreis Herford z.B. die Erhöhung der Regelsätze im Sommer 1992 nicht auf den Tagessatz Festschrift Umfrageergebnisse umgelegt hat aus Furcht, dass noch mehr Hilfesuchende kämen, da in den Nachbarkreisen die Tagessätze niedriger sind. An diesem Beispiel wird deutlich, wie sich die Frage der Hilfegewährung an der jeweils unteren Grenze orientiert und damit eine Ablösung vom BSHG-Prinzip der Bedarfsdeckung geschieht. Nicht nur meines Erachtens nach eine Orientierung, die eindeutig dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes widerspricht und auch dafür sorgt, dass notwendige Hilfen, auf die die Hilfesuchenden ja oftmals auch einen Rechtsanspruch haben, nicht verwirklicht werden können. Und wenn denn die „Logik der unteren Grenze“ konsequent wäre, dann müsste zur Zeit in Ostwestfalen-Lippe eine Vereinheitlichung des Tagessatzes auf 8 DM ohne Probleme zu machen sein, damit niemand mehr in die Verlockung käme, in einen anderen Kreis zu wechseln, weil es dort ein paar Mark mehr gibt. Die „Logik der unteren Grenze“ nimmt dann aber die Verletzung einer Rechtsnorm in Kauf. Die Bekämpfung der „Sogwirkung“ in Ostwestfalen-Lippe wäre dann gelungen – mit dem Effekt des „Verschiebens“ nach Niedersachsen oder nach Südwesten. Und so kann sich die „Logik der unteren Grenze“ weiter fortpflanzen, denn warum sollten Kreise in Niedersachsen oder im südlichen Westfalen die „geschobenen“ Hilfesuchenden anders behandeln, als wir es in Ostwestfalen tun? Man sieht also sehr deutlich, dass wir über den Weg der Einzellösung von Kreis zu Kreis schließlich die Hilfesuchenden im Kreis drehen. Eine Lösung, die angemessene Hilfen ermöglicht, kann nur in einer gemeinsamen Anstrengung gefunden werden, die sich an den Vorgaben des Gesetzes und der Rechtsprechung orientiert, und die übrigens vielfältige gesetzlich legitimierte Möglichkeiten bietet, einem tatsächlichen oder vermuteten Missbrauch angemessen zu begegnen. Solange wir aber vereinzelt nach Lösungen suchen, wie wir für uns, für unser Sozialamt oder für unseren Kreis eine „Sogwirkung“ vermeiden können, werden wir einen erheblichen Teil des Hilfe 15 systems blockieren mit dem „Abwehren“ und „Aufspüren“ von so genannten Missbräuchen, die oftmals nur Ausdruck davon sind, dass die gewährten Hilfen nicht ausreichen, den vorhandenen Bedarf zu decken. Da auch immer von den Kosten die Rede ist, haben wir uns die Mühe gemacht und auf der Basis unserer Umfrage versucht, den Mehraufwand zu berechnen, der allen Kreisen in Ostwestfalen-Lippe entstehen würde, wenn eine Anhebung der Tagessätze auf 16 DM geschehen wäre. Wir sind dabei für 1991 auf eine Summe von insgesamt 75.000 DM gekommen, wobei wir eine so genannte Missbrauchsquote von 20 Prozent angenommen haben. Nach unserer Erfahrung, die wir 1988 in einer datengeschützten Umfrage erhärtet haben, liegt die Missbrauchsquote – das, was oftmals als Doppelbezug oder „Abkassieren“ bezeichnet wird – bei zwei bis vier Prozent: eine Quote, die allgemein in der Sozialhilfe zu finden ist, und die z.B. bei der Steuerehrlichkeit weit überschritten wird. Unsere Berechnungen haben weiterhin eine Belastung der einzelnen Kreise von fünf bis 15.000 DM pro Jahr ergeben. Und dies sind eigentlich keine zusätzlichen Belastungen, denn es handelt sich ja um Pflichtleistungen des BSHG zur Bedarfsdeckung, die vom örtlichen Sozialhilfeträger schon heute geleistet werden müssten. Zum Abschluss meiner Ausführungen möchte ich deshalb die Frage stellen, ob wir es uns tatsächlich nicht leisten können, diese Leistungen zu erbringen, damit wir endlich die Basis für eine Hilfe schaffen, die den Wohnungslosen wieder eine Perspektive eröffnet und sie nicht in eine Situation des Ortswechsels bringt, den wir ihnen dann als „Nichtsesshaftigkeit“ vorwerfen. Auf der einen Seite können Sie sicherlich Verbitterung bei mir heraushören, dass es bis heute nicht gelungen ist, die „Sonderregelsätze für Nichtsesshafte“, die nirgendwo gesetzlich legitimiert sind, aufzuheben; andererseits hoffe ich aber, dass unsere heutige 16 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Umfrageergebnisse Diskussion wenigstens mittelfristig zu einer Vereinheitlichung führt und Perspektiven aufzeigt, wie wir dem gemeinsamen Auftrag gerecht werden können, Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten tatsächlich zu organisieren und damit auch den alleinstehenden Wohnungslosen wirkliche Hilfen anzubieten, ohne sie durch unser Angebot sofort wieder als „Sonderfälle“ auszugrenzen. Andreas Wolf aus einem Referat Osnabrück, im Oktober 1992 Wanderbuch Heinz Böcker, 1933 in Bielefeld Festschrift Sinn und Zweck kirchlicher Baumaßnahmen Sinn und Zweck kirchlich-diakonischer Baumaßnahmen „Wenn wir für unsere Klienten keine Wohnungen finden, bauen wir diese eben selbst.“ In den 1990er Jahren des vergangenen Jahrhunderts versuchte die Wohnungslosenhilfe der Diakonie der herrschenden Wohnungsnot mit dem Bau eigener Wohnungen etwas entgegenzusetzen. In dem Maße, wie sich die Wohnungsnot zuspitzt, werden diakonische Hilfen in zweifacher Hinsicht negativ beeinflusst: • Sie verlieren ihre Funktion. Ohne eine angemessene und dauerhafte Versorgung der Hilfesuchenden mit Wohnraum bleiben die diakonischen Hilfen wirkungslos. • Bedingt durch die Wohnungsnot laufen unsere Dienste Gefahr, Menschen, die auf unsere Provisorien und befristeten Hilfen nicht verzichten können, weil sie keine geeigneten Wohnungen finden, weiteren Hilfebedarf zu attestieren, sogar neue Hilfeformen zu entwickeln. Die Finanzierung zusätzlicher Hilfen ist heute oftmals leichter zu erreichen als die Ablösung der Provisorien durch bedarfsgerechten und normalen Wohnraum. Um als Diakonie in Zukunft handlungsfähig zu bleiben, ist eine große kontinuierliche Kraftanstrengung geboten. Bleibt die Diakonie dem existentiellen Recht eines jeden Einzelnen auf eine menschenwürdige Wohnung verpflichtet, muss sie ihre Mitwirkungspflicht zur Gestaltung einer neuen Wohnungspolitik als ein Bestandteil der Sozialpolitik auf allen Ebenen nutzen. Angesichts des gegenwärtigen Ausmaßes der Wohnungsnot ist jedoch klar, dass die Diakonie nur partiell und beispielhaft an der Lösung dieses gesellschaftlichen Problems mitwirken kann. Zur 17 Erarbeitung von Lösungsvorschlägen und eigenen, modellhaften Projekten wird in dem „Versuch einer Standortbestimmung“ der Diakonie in Westfalen von 1988 aufgefordert. Für die Entwicklung diakonischer Wohnhilfen bedeutet dies, dass die Qualität des zu schaffenden Wohnraums wichtiger sein muss als die Quantität. Gerade diakonische Wohnhilfen müssen geeignet sein, öffentlich zu unterstreichen, dass es nötig und möglich ist, auch für auf dem Wohnungsmarkt benachteiligte Personen menschenwürdigen und preiswerten Wohnraum zu schaffen. Durch diese Zielvorgaben ergeben sich Anforderungen an die diakonischen Wohnhilfen: • Um menschenwürdigen Wohnraum zu schaffen, ist es unerlässlich, die unterschiedlichsten Interessen der BewohnerInnen – Familien, Alleinstehende, Alte, Behinderte, etc. – zu berücksichtigen. • Die Mieterinteressen der BewohnerInnen sind dauerhaft und wirkungsvoll zu schützen. • Den Bewohnerlnnen sind weitgehende Beteiligungsrechte bei der Gestaltung ihres Lebensraumes einzuräumen. • Die Wohnungen müssen den üblichen städtebaulichen und ökologischen Standards entsprechen, um so wirkungsvoll die Bildung neuer Ghettos zu verhindern. • Die Vermietung von Wohnraum ist von der persönlichen Hilfe und Beratung zu trennen. Nur so sind mietrechtliche und sozialarbeiterische Probleme, wie z.B. der häufige Rollenkonflikt bei entsprechenden vertraglichen Koppelungen von Vermieterln und Beraterln, zu vermeiden. • Um für auf dem Wohnungsmarkt benachteiligte Haushalte neben der Wohnung auch gezielte und bedarfsorientierte Angebote der persönlichen Hilfe vorzuhalten, ist eine Vernetzung und eine gezielte Kooperation mit den vor Ort vorhandenen sozialen Einrichtungen erforderlich. 18 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Sinn und Zweck kirchlicher Baumaßnahmen Neben der Ökonomie sind die Konzeption und die fachliche Ausrichtung diakonischer Wohnprojekte für auf dem Wohnungsmarkt benachteiligte Haushalte von zentraler Bedeutung. Träger, die planen, sich entsprechend zu engagieren, können über das Diakonische Werk von Westfalen konkrete Beratungs angebote abfragen. Wie die oben genannten Grundsätze im konkreten Projekte umzusetzen und zu gewichten sind, ist Schwerpunkt der Beratung. Unter welchen Umständen und in welchem Umfang die geplanten Projekte oder deren Entwicklung mit diakonischen Mitteln gefördert werden können, ist ebenfalls Bestandteil der Beratung. Ausgehend von der Situation vor Ort müssen sich kirchlich-diakonische Träger mit der Frage beschäftigen, in welcher Rechtsform sie sich auf dem Wohnungsmarkt engagieren wollen. Der Bau und die Verwaltung von Wohnungen verlangen ein hohes Maß an Kompetenz und Professionalität. Das nötige Know-how muss von vielen diakonischen Trägern erworben werden, um zu verhindern, dass gut gemeinte Initiativen scheitern. Um dies zu erreichen, gibt es zwei Möglichkeiten: • Durch gezielte Kooperationen mit kommunalen oder genossenschaftlichen Wohnungsgesellschaften ist ein Großteil der nötigen Dienstleistungen – Bauträgerschaft, Wohnungsverwaltung, etc. – auf einem professionellen Niveau abzudecken. • Unter Umständen wird es effektiver und auch kostengünstiger sein, bereits vorhandene Dienstleistungen innerhalb der Diakonie auszubauen oder durch die Gründung neuer Rechtsträger – zum Beispiel e.V., gGmbH – zu verselbstständigen. Martin Henke aus: Diakonie und Wohnungsbau, Schaffen und Finanzieren von Wohnraum, Ein Arbeitsheft Hrsg.: Diakonisches Werk von Westfalen Münster, 1993 , S. 4-5 Festschrift Überlegungen Überlegungen zur Weiterentwicklung der Gefährdetenhilfe im Diakonischen Werk von Westfalen – Aufbaujahre der ambulanten Arbeit Die Geschichte der ambulanten, am Wohnort ausgerichteten Hilfen war langwierig, steinig, von vielen hitzigen Diskussionen begleitet und vor allem erfolgreich. – Ein Rückblick Bestandsaufnahme Ende der 1970er Jahre wurde durch die Geschäftsstelle des Diakonischen Werkes Westfalen eine Bestandsaufnahme über die Arbeitsfelder der Gefährdetenhilfe gemacht. Die Ergebnisse wurden der Vertreterversammlung – dem obersten Verbandsgremium – 1980 unter dem Titel „Überlegungen zur Weiterentwicklung der Gefährdetenhilfe im Diakonischen Werk von Westfalen“ vorgelegt. Zusammenfassend hieß es: „Die Gefährdetenhilfe ist derzeit symptomorientiert. Eine symptomorientierte Hilfe individualisiert die Probleme und verschleiert zugleich – bewusst oder unbewusst – die Ursachen und den gesellschaftlichen Hintergrund, die zur Gefährdung und zur Benachteiligung führen. Das Thema der zunehmenden Armut in der Bundesrepublik Deutschland wird in der Diakonie noch weitgehend tabuisiert. Unsere heutige Gefährdetenhilfe ist weitgehend unpolitisch.“ Die Symptomorientierung spiegelte sich wider in den verschiedenen Fachverbänden, die die einzelnen Arbeitsfelder repräsentieren: • Evangelische Konferenz für Straffälligenhilfe in Westfalen • • • • 19 Arbeitsgemeinschaft für Suchtkrankenhilfe Westfälischer Herbergsverband e.V. Ev. Arbeitskreis für Jugendschutz Nordrhein-Westfalen Landesgruppe der Evangelische Bahnhofsmission in Westfalen Für die Arbeit mit wohnungslosen Familien (Obdachlose) und für die Arbeit mit Prostituierten (Mitternachtsmission) fühlte sich kein Fachverband zuständig. Weiter hieß es auf der Vertreterversammlung: „Unser derzeitiges Hilfesystem arbeitet reagierend. Unsere Hilfe setzt dann ein, wenn die Probleme manifest geworden sind. Eine vorbeugende, verhindernde, präventiv arbeitende Gefährdetenhilfe kennen wir nicht. Die einzelnen Teilbereiche der Gefährdetenhilfe haben sich mit zunehmender Professionalisierung immer weiter auseinander entwickelt. Festzustellen ist, dass die verschiedenen Hilfeangebote unkoordiniert nebeneinander stehen. Eine gezielte Zusammenarbeit gibt es gegenwärtig kaum“. Soziale Situation und Persönlichkeitsstruktur Hierzu auf der Vertreterversammlung 1980: „Die Gefährdeten sind hinsichtlich ihrer Benachteiligung und persönlichen Schwierigkeiten sehr verschieden. Gemeinsam ist für fast alle jedoch die soziale Lage, diese ist gekennzeichnet durch • das Fehlen einer ausreichenden materiellen Existenzgrundlage, • die Abhängigkeit vom sozialen Hilfesystem, • das Ausgesondertsein in die Gruppe der sozial Abgesunkenen. Alle Gefährdeten haben einen sozialen Abstieg in eine gesellschaftliche Randlage durchgemacht. Besonderes Merkmal der Randgruppe der Gefährdeten ist, dass sie ihren Mitgliedern keine positive soziale Zugehörigkeit vermitteln kann. Gefährdete werden emotional heimatlos. Anders ist das z.B. bei der Gruppe der Landfahrer und 20 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Überlegungen Zigeuner, die ihren Mitgliedern in der sozialen Randlage eine von ihnen positiv erlebte soziale und emotionale Zugehörigkeit vermittelt. Sozialer Abstieg, insbesondere in eine nicht anerkannte Randposi tion, bleibt nicht ohne Folgen für die Persönlichkeitsstruktur: • Der Gefährdete verliert seine soziale Identität, seine Anbindung in ein festes Normgefühl; Verhaltensunsicherheit ist die Folge. • Seine Misserfolgserlebnisse, das häufige Scheitern zerstören das Selbstwertgefühl, die Angst, die Antriebsstruktur, die Hoffnung. • Aufgrund des psychischen und sozialen Drucks, der inneren Konflikte und der Vereinsamung entstehen neue Schäden: Neurosen, Alkoholerkrankungen, Verhaltensstörungen u.ä. dieses Prozesses standen oder ob sie sich im Laufe dieses Prozesses entwickelt haben. Mit dem Vorgang des sozialen Abstiegs haben sich die psychischen und sozialen Schwierigkeiten kumuliert. Entsprechend sind die Mehrfachschädigungen und mehrere Handicaps verschiedener Art typisch für die Gefährdeten. Gerade die Problemstellung der Obdachlosigkeit zeigt relativ deutlich, wie durch gesellschaftliche Defizite Menschen schrittweise in Randgruppen geführt, krank gemacht und als Außenseiter gemieden werden. Es zeigt sich, dass die vorher skizzierten Gefährdungsmomente jeden – in besonderer Belastungssituation – erfassen können. Die neue soziale Lage erzeugt aber auch als solche neue Schwierigkeiten und prägt sein Verhalten: • Es wird für ihn auch materiell schwieriger, wieder Fuß zu fassen, nicht zuletzt, weil der Gefährdete durch seine Vorgeschichte, seine Adresse, sowie oft auch durch die körperliche Zeichnung stigmatisiert ist. • Das Milieu bringt neue Risiken: Unfälle mit Alkohol, Schlägereien, Kriminalisierung. • Der Gefährdete gewöhnt sich an das Lebensmuster eines Mittel-, Obdach- und Bindungslosen, er wächst kontinuierlich in ein abweichendes Rollenverhalten hinein. • Der Gefährdete lernt Techniken, um aus dieser Situation das Beste zu machen, das System der Gefährdeten-/Nichtsesshaftenhilfe so geschickt wie möglich auszunutzen und allen Anforderungen an seine Person auszuweichen. Er entwickelt oft eine Art „Bettlermentalität“ (Prostitution der Armut, Geschäft mit dem schlechten Gewissen der Gesellschaft). Die Flucht in die Sucht, die Flucht aus sozialen Verpflichtungen sind bisweilen Begleiter aller Gruppen, wie auch mangelndes Verständnis für die Rechte und das Eigentum anderer. Am Ende des Prozesses des sozialen Abstiegs steht also ein ganzes Bündel von psychischen und sozialen Schwierigkeiten, bei denen nicht mehr zu unterscheiden ist, ob sie bereits ursächlich am Anfang Ausgehend von der Analyse des Hilfesystems und der sozialen und psychischen Situation der Betroffenen wurden Leitvorstellungen für eine zukünftige Arbeit entwickelt. Bei den so genannten „Nichtgefährdeten“, den „Normalen“, sind die Konflikte begrenzter, und sie verfügen über ein größeres Repertoire von Konfliktlösungen. Eigentlich müssten die „Normalen“ in Gefährdeten das eigene Bild sehen, aber die Angst vor dieser Radikalität lässt die „Normalen“ das verhasste eigene Ich in den anderen projizieren. Von daher ist aller Schwarzmalerei, hier die Guten, da die Bösen, hier die Normalen da die Gefährdeten, zu widersprechen. Für den Christen kann die Frage nach dem Bild vom gefährdeten Menschen ausschließlich nur im Zusammenhang und mit der Frage nach der eigenen Existenz beantwortet werden. Leitvorstellungen für eine zukünftige Arbeit Festschrift Überlegungen Stärkung der Selbstmöglichkeiten „Die Hilfe muss, wenn sie nicht reagierende Hilfe bleiben soll, dorthin verlegt werden, wo die Menschen, die wir erreichen wollen, die Mehrheit ihrer sozialen Bezüge haben. Das kann der Stadtteil, das Dorf oder die Kirchengemeinde sein. Ziel der gemeindebezogenen Arbeit ist es, auf der Basis personaler und emotionaler Bezüge Lernprozesse einzuleiten. Gemeindebezogene Arbeit gliedert Hilfesuchende nicht aus, sondern sucht nach Hilfemöglichkeiten • durch Aktivierung der Eigenmöglichkeiten des Hilfesuchenden, • durch Zusammenschluss von Hilfesuchenden zu Selbsthilfegruppen, durch ergänzende Hilfen, durch Ehrenamtliche und • durch Einschalten von Fachberatungen und Therapieangeboten. Die gemeindebezogene Arbeit sieht die persönlichen Probleme des einzelnen. Die Lösung des Problems erfolgt aber nicht durch betreuende Fürsorge, sondern durch ein offensives Angebot zur Eigenhilfe, bei dem der Betroffene lernt, allein oder gemeinsam mit anderen eine Lösung zu suchen. Wenn Aktivierung Betroffener, Selbsthilfe und ehrenamtliche Arbeit Vorrang haben, bedeutet dies nicht, dass die gesellschaftliche Solidaritätsverpflichtung eingeschränkt wird. Die Diakonie ist gegen neokonservative Kräfte, die Lebensrisiken wie z.B. Krankheit, Behinderung und Arbeitslosigkeit privatisieren und Verantwortung für Lösungen dem Einzelnen überlassen wollen. Vorrang der Selbsthilfe und der ehrenamtlichen Arbeit bedeutet auch nicht, dass die professionelle soziale Arbeit eingeschränkt wird. Sie muss vielmehr neu beschrieben werden. Die professionellen Mitarbeiter der Diakonie müssen gesellschaftliche Entwicklungen beobachten, analysieren, öffentlich machen und das Umfeld aktivieren. Für die professionelle Arbeit bedeutet dies, dass Bürgernähe Vorrang hat vor Spezialisierung. Gleichzeitig muss die Arbeit theologisch 21 reflektiert werden, d.h., es muss erfahrbar werden, was das allgemeine Diakonat für den Einzelnen und für die Gemeinde bedeutet.“ Orientierung an Lebenslagen Als weitere Zielvorstellung wurde der Übergang vom bisherigen regierenden symptom- und einzelfallorientierten Ansatz der Hilfe zu einem funktionalen Ansatz, bezogen auf die verschiedenen Lebenslagen bzw. Problemfelder, beschrieben. Problemfeld Wohnung Auf der Vertreterversammlung 1980 wurde hierzu geäußert: „Wenn zum Beispiel bekannt ist, dass das zentrale Problem der Nichtsesshaften, Obdachlosen und Strafentlassenen die fehlende Wohnung ist, dann kann es nicht primäre Aufgabe der Diakonie sein, dieses gesellschaftliche Versagen durch Bereitstellung von persönlichen Hilfen in Form von Heimplätzen für Nichtsesshafte oder durch Humanisierung von Obdachlosenunterkünften zu kaschieren. Zentrale Aufgabe der Diakonie der 1980er Jahre muss es sein, eine politische Lösung zu finden. Die Reform des sozialen Wohnungsbaus und damit die Reform des Bodenrechts ist überfällig. Ein neuer sozialer Wohnungsbau muss so angelegt sein, dass mit diesem Programm zugleich ein Beitrag zur Bekämpfung der Armut in der Bundesrepublik geleistet wird. Dies bedeutet auch, dass nicht weiterhin einseitig die Familie gefördert werden darf, sondern dass auch die Gruppen der Alleinstehenden und andere Formen von Lebensgemeinschaften gleichberechtigt in die Förderung einbezogen werden. Eine durchgreifende Änderung des sozialen Wohnungsbaus wird nur möglich sein bei einer Änderung des derzeit gültigen Bodenrechts. Die Forderungen der Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ‚Soziale Ordnung des Baubodenrechts‘ aus dem Jahre 1973 müssten endlich politisch durchgesetzt werden. Neben dieser politischen Arbeit kann und muss die Diakonie auch 22 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Überlegungen eigene Beiträge zur Lösung des Wohnungsproblems leisten. Auf örtlicher Ebene können Vereine als Lobby für die Bereitstellung und Schaffung von Wohnraum für Randgruppenangehörige auftreten. Weitere Aufgaben dieser Vereine könnten sein Übernahme von Mietvorauszahlungen, Mietausfallgarantien, Hilfen bei der Renovierung und Einrichtung von Wohnungen und regelmäßige persönliche Kontakte zu den neuen Mietern.“ Zielvorstellungen für die Weiterentwicklung der Gefährdetenhilfe beschloss der Geschäftsführende Vorstand des Diakonischen Werkes in Westfalen am 11. Mai 1981, ein fünfjähriges Sonderprogramm zur Weiterentwicklung der damaligen „Nichtsesshaftenhilfe“ zu starten. Das Sonderprogramm wird aus kirchlich/diakonischen Mitteln finanziert. Der gesamte Beihilfebedarf für das Fünfjahresprogramm wird auf 4.305.000 DM geschätzt. Ein erster Betrag in Höhe von einer Mio. DM wird beschlossen. Problemfeld Arbeit Das Sonderprogramm „Weiterentwicklung der Nichtsesshaftenhilfe“ war für die westfälische Kirche und ihre Diakonie ein außerordentlicher und ungewöhnlicher Schritt. Erstmalig wurde ein gesamter diakonischer Arbeitsbereich über eine mittelfristige Laufzeit einbezogen. Erstmalig war ebenfalls die vorgesehene Anlauffinanzierung für die Personalkosten der ambulanten Hilfen. Mit diesem Programm setzte die westfälische Kirche ein sichtbares Zeichen ihrer Verantwortung für die besonders Benachteiligten in unserer Gesellschaft. Neben den fehlenden Wohnungen stellt die fehlende Arbeit ein Hauptproblem dar. Unser Wirtschaftssystem benutzt die Randgruppen als Arbeitsreserven. Mangelnde Bildung und Ausbildung erleichtern die Verfügbarkeit. Aber auch Faktoren wie Alter und Behinderung können zur Ausgliederung aus dem Arbeitsleben führen. Auch diese Gruppen sind potentiell Gefährdete. Es ist keine Lösung, alle Gefährdeten zu Behinderten zu machen und sie in „beschützten Werkstätten“ zu beschäftigen. Mit dieser Lösung erfahren weder die Gefährdeten noch die jetzt in den beschützten Werkstätten Tätigen Gerechtigkeit. Problemfeld Beratung und Bildung Wenn diakonische Hilfe keine vertreibende Hilfe sein soll, müssen die Beratungsangebote dort erfolgen, wo der Beratungsanspruch besteht. Aus diesem Grunde wird ein flächendeckendes Beratungs angebot gefordert. Das westfälische diakonische Schwerpunktprogramm für den Bereich der Nichtsesshaftenhilfe Der Westfälische Herbergsverband hat sich seit Mitte der 1970er Jahre intensiv mit der Weiterentwicklung der Hilfen für Wohnungslose auseinandergesetzt. Aufgrund der auf der Vertreterversammlung 1980 beschlossenen Nicht verschwiegen werden soll, dass bei der Beschlussfassung über das Sonderprogramm der besondere Nachholbedarf an Qualifizierung in diesem Arbeitsbereich aller Beteiligten deutlich vor Augen stand. Neben der Absicht, von diakonischer Seite her deutliche Zeichen zu setzen, war die Frist so bemessen, dass eine politische Lösung – besonders für die ambulanten Hilfen (Absicherung durch die zuständigen Kostenträger: örtliche und überörtliche Sozialhilfeträger) – möglich wurde. Schwerpunkte des Sonderprogrammes Das Sonderprogramm hat vier Schwerpunkte: • Qualifizierung der stationären Hilfe, • Aufbau der ambulanten Hilfen, • Schaffung zusätzlicher Wohnungsangebote, • Aufbau von Arbeitsangeboten im Bereich des so genannten zweiten Arbeitsmarktes. Festschrift Überlegungen 23 Ausgehend von dem damaligen Diskussionsstand fühlte sich der Westfälische Herbergsverband nun für die alleinstehenden Wohnungslosen zuständig. nische Werk von Westfalen den Bau bzw. den Erwerb von Ersatzeinrichtungen für das „Haus Birkenkamp“ in Herford und das „PerthesHaus“ in Hamm. Dies erklärt, dass die Projekte • Marl-Brassert – Neuorientierung der Gefährdetenhilfe bzw. Soziale Arbeit in Form eines ortsnahen Selbsthilfeprojektes, • Aufbau der Schuldnerberatung und eines zentralen Entschuldungsfonds, • Übergreifende Initiativen auf dem zweiten Arbeitsmarkt zusätzlich zu dem beschlossenen Sonderprogramm entwickelt und umgesetzt wurden. Darüber hinaus konnten in fast allen stationären Einrichtungen Modernisierungsmaßnahmen mitfinanziert werden. Qualifizierung der stationären Arbeit Ambulante Hilfen Wichtigstes Planziel war die Qualifizierung des Raumangebotes. Die Diakonie sprach sich mit ihrem Schwerpunktprogramm für ein flächendeckendes Netz von Beratungsstellen für Wohnungslose aus. Dabei ließ sie sich von der Überzeugung leiten, dass nur ein flächendeckendes Angebot eine vertreibende bzw. eine nichtsesshaft machende Hilfe verhindert. Der Heimbereich für Hilfen für Wohnungslose unterliegt nicht den Bestimmungen des Heimgesetzes vom 01.01.1975. Aus diesem Grunde hat auch die Heimmindestbauverordnung für den stationären Bereich der Wohnungslosenhilfe keine Gültigkeit. Das Sonderprogramm der westfälischen Diakonie förderte insbesondere die Anpassung der Wohnflächen der Heimbewohner an die Bestimmungen des Heimgesetzes. Hiernach müssen Wohnplätze für eine Person mindestens einen Wohnschlafraum mit einer Wohnfläche von 12 qm, Wohnplätze für zwei Personen einen solchen mit einer Wohnfläche von 18 qm umfassen. Für Übernachter (Mehrbettzimmer) sollte der Mindestwohnraum 8 qm pro Person betragen. Gleichzeitig wurde festgelegt, dass keine Ausweitung des stationären Gesamtangebotes erfolgen sollte. Eine Bestandsaufnahme machte deutlich, dass in zwei Einrichtungen selbst bei intensivsten Umbaumaßnahmen keine befriedigende Lösung gefunden werden konnte. Daher unterstützte das Diako- Zusammenfassend kann gesagt werden, dass mit einem Gesamtaufwand von fast 2.000.000 DM Beihilfen eine wesentliche Verbesserung der Standards der stationären Hilfen erreicht werden konnte, der angestrebte Endpunkt – die Anpassung der Wohnstandards an die Bestimmungen des Heimgesetzes – aber nicht gelang. Mit dieser Auffassung stand die Diakonie aber im Gegensatz zu den fachlichen Vorstellungen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe als überörtlichen Träger der Sozialhilfe und denen der meisten örtlichen Sozialhilfeträger. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe unterstützte zum damaligen Zeitpunkt nur die zentralen Beratungsstellen in Dortmund und Bielefeld-Bethel und war auch nach vielen Gesprächen nur zu der Konzession bereit, evtl. die eine oder andere weitere zentrale Beratungsstelle mitzufinanzieren. Diese Einstellung stand in klarem Gegensatz zu der diakonischen Position, die davon ausging, dass die Hilfe dort angeboten werden müsse, wo die Not entstehe. 24 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Überlegungen Das Planziel des diakonischen Schwerpunktprogramms war es, neben den bestehenden Fachberatungsstellen in Bielefeld-Bethel und Dortmund weitere elf Beratungsstellen zu schaffen. Diese Beratungsstellen sollten den Auftrag haben, Beratung, persönliche Betreuung und Behandlung anzubieten. Außerdem war vorgesehen, in ihrem Umfeld zusätzliche Wohnungsangebote und alternative Arbeitsangebote zu entwickeln. Um diese Aufgaben leisten zu können, sollen die Beratungsstellen zwei Fachkräfte beschäftigen. Durch die Kumulierung von Haushaltsmitteln bestehend aus Beihilfen des Diakonischen Werkes von Westfalen, Kollektengeldern der westfälischen Landeskirche und Beihilfen des Bundesfachverbandes für Nichtsesshaftenhilfe konnte eine weitreichende Hilfe organisiert werden. Trotz dieser Hilfen gelang es nicht, alle Beratungsstellen von Anfang an mit zwei FachberaterInnen zu besetzen. Erfreulicherweise konnten bis Ende 1983 acht weitere Beratungsstellen geschaffen werden. 1985 – zum Abschluss des Schwerpunktprogramms – arbeiteten im Bereich der westfälischen Diakonie 17 Beratungsstellen nach § 72 BSHG. Inzwischen hatte der Fachausschuss für Soziales und Gesundheit des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe in seiner Sitzung am 06.09.1984 beschlossen, regionale Beratungsstellen für Personen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten bis zur Höhe von 30 Prozent der laufenden Kosten, im Einzelfall mit bis zu 36.000,-- DM zu fördern. Hinter diesem Beschluss verbirgt sich die sachliche und fachliche Bejahung der Beratungsarbeit nach § 72 BSHG durch die örtlichen und den überörtlichen Sozialhilfeträger. Im gleichen Zeitraum gelang es darüber hinaus, das Wohnungsangebot im Umfeld einiger Beratungsstellen und stationärer Einrichtungen zu verbessern, zusätzlich Arbeitsprojekte zu entwickeln, die Schuldnerberatung landesweit aufzubauen sowie einen zentralen Entschuldungsfonds zu errichten. Festschrift Geschäftsbericht Wenig erfolgreich waren die Versuche, professionelle Arbeit zu entspezialisieren und eine stadtteilnahe gemeinwesenorientierte Arbeit mit Präventivcharakter aufzubauen. Selbsthilfeprojekte als Ergänzung zur professionellen Arbeit waren zumindest in den 1980er Jahren für viele Träger ein Unding. Zusammenfassend kann gesagt werden: Die westfälische Diakonie verfügte zum Ende des Schwerpunktprogramms über das dichteste Netz von Beratungsstellen nach § 72 BSHG innerhalb der Bundesrepublik. Die wirtschaftliche Vorleistung in Form der Anlauffinanzierung für die Beratungsstellen, verbunden mit einer intensiven konzeptionellen und politischen Arbeit, hat bewirkt, dass das Hilfesystem für die besonders benachteiligte Gruppe der wohnungslosen Alleinstehenden deutlich verbessert werden konnte. Martin Schofer aus: Hilfen vor Ort – 10 Jahre Beratungsstellen für Wohnungslose in Westfalen-Lippe, VSH-Verlag, Bielefeld 1994 S. 38-46 25 Geschäftsbericht Neun Jahre lang hat Martin Henke die Geschicke des Westfälischen Herbergsverbandes e.V. als Geschäftsführer geprägt. Sein ganz persönlicher Rückblick erzählt viel über die Entwicklungen in seiner aktiven Zeit. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist weniger ein Geschäftsbericht über die letzten zwölf Monate als vielmehr eine persönliche Reflexion meiner neunjährigen Tätigkeit für den WHV und das Diakonische Werk Westfalen (DWW). Ich hoffe, das Ergebnis ist für Sie von Interesse, ich jedenfalls habe mir Mühe gegeben, die Dinge aufzugreifen, die nicht nur für mich von Interesse sind. Und von allzu heftiger Selbsterfahrung und der Klage darüber halte ich ja auch nichts. Wie sagte der Philosoph Günter Anders: Wenn es mir schlecht geht – was geht es mich an? Erwarten Sie keine kleine Verbandsgeschichte der letzten Jahre. Gestatten Sie mir einen großzügigen Blick auf unsere Geschichte, auf die rahmensetzende Politik, auf einige Aspekte unserer Praxis und auf unsere Perspektiven. Diese Aufzählung vermittelt Ihnen bereits einen ersten Hinweis, wie viel Wichtiges fehlen wird, und so wird uns noch genug für die Diskussion bleiben. Die Diakonie feiert 1998 ihr 150-jähriges Bestehen, und das im großen Stil; in Berlin, und der Bundeskanzler soll kommen. Ebenfalls zum 150. Mal jährt sich 1998 das Erscheinen des „Kommunistischen Manifestes“, ein Anlass, der für die Diakonie wohl ebenfalls bedeutsam ist, der aber wohl kaum gefeiert werden wird. Ein ganz zentraler Anstoß für die seinerzeitige „Professionalisierung“ christlicher Liebestätigkeit war das damals herrschende Wohnungs elend. Allerdings ging es weniger um die Behebung des Elends als vielmehr um die Abwehr und Schwächung der sich formierenden 26 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Geschäftsbericht Arbeiterbewegung mittels „Bausachen zur Hebung und Förderung des bürgerlichen Lebens“1 wie es Wichern, einer der Gründerväter der Diakonie und der bürgerlichen Sozialreformen, nannte. So hinterließ er uns die Herbergen zur Heimat, und die Arbeiterkolonien von Bodelschwinghs kamen dazu. Was uns heute überholt und unverständlich weit weg vom Wohnungsmarkt und der normalen Existenz erscheint (ich meine das Paradox einer befristeten Unterkunft zur Überwindung der Wohnungslosigkeit), galt damals zu Recht als gehobener Standard. Für die Wanderarbeiter stellten diese sauberen, preiswerten Einrichtungen einen Fortschritt dar.2 Von den Schlafbaracken z.B. der königlichen Kanalkommission in Westfalen zu jener Zeit lässt sich nichts Vergleichbares sagen. Sozialreformerische Ansätze zur Versorgung der Kanalarbeiter mit Unterkünften (weit unterhalb des Standards der Arbeiterkolonien) setzten sich erst nach zum Teil verheerenden Epidemien durch. Auch hier hatte der patriarchale Obrigkeitsstaat die „Pazifizierung der Arbeitermassen“ zum Ziel, so der damalige Oberpräsident der Provinz Westfalen von Bennigsen.3 Eben diesem Reflex des Bürgertums auf bedrohliche revolutionäre Umtriebe verdanken wir heute unsere Arbeitsplätze und diese Veranstaltung. Rückblickend müssen wir uns aber zugute halten, dass wir – zum Teil gegen unseren Widerstand – Bestandteil der staatlichen Daseinsvorsorge wurden. Zwar protestierten wir gegen die Integration der Wanderarbeiter in die Arbeitslosenversicherung, auch protestierten wir gegen den Fall der Arbeitspflicht mit der Einführung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), doch die sich entwickelnden Normen des Sozial- und Rechtsstaates Deutschland bestimmten immer mehr unsere Praxis. Die Anerkennung und Realisierung dieser Normen sorgte auch für beachtliche Innovationen in unserem Arbeitsfeld. Die „Kommunalisierung“ der „Nichtsesshaften“ durch unsere Hilfe: Ambulante Beratungsangebote wurden mit dem Ziel entwickelt, Wohnungslose an die bestehenden Rechtssysteme anzuschließen. Wie viel Mittel wurden wohl durch diese Arbeit für Wohnungslose erschlossen? Und strukturell wird noch schwerer wiegen, dass die kommunale Sozialpolitik und -planung erst durch diese Arbeit befähigt wurde, die Belange Wohnungsloser überhaupt zu berücksichtigen. Oder die wachsende Zahl der Wohnprojekte. Das Neue und Innovative für die Diakonie ist nicht der Wohnungsbau (den gab es schon früher für Siedler, Flüchtlinge und beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg), sondern seine Einbringung in und sein Anschluss an das geltende Recht des BGB. Nicht das Dach für Arme und Obdachlose ist neu, sondern der Rechtsstatus bei der Nutzung. Die Innovation besteht in der Tatsache, in Obdachlosen nicht mehr das Objekt der Bedrohung oder das Objekt zur Gefahrenabwehr zu erkennen, sondern das bürgerliche Subjekt, eine Mieterin, einen Mieter mit Rechten und Pflichten. Die Perspektiven der Wohnungslosenhilfe sind, wie für den gesamten Sozialbereich, schlecht. Machen wir uns nichts vor, die Zeiten der integrierenden Sozialpolitik, der Vollbeschäftigung, sind vorbei. An das Versprechen des Bundeskanzlers, bis zum Jahr 2000 die Arbeitslosigkeit zu halbieren, glaubt keiner, es wird nicht einmal in die Liste „Wahllügen und Skandale“ der Bundesregierung aufgenommen, weil diese Liste niemand mehr führt. Business as usual. Derweil warnt das Kieler Institut für Weltwirtschaft, dass die aktuelle konjunkturelle Entspannung – dank des Exportbooms – nur vorübergehend sei, und die nächste Krise bestimmt komme, und dann sei mit wesentlich mehr Arbeitslosen zu rechnen. Die Meldung fand sich auf Seite zwei des Wirtschaftsteiles der FAZ, gleichsam als Beruhigung, denn die erste Seite war der Abkühlung an den Börsen Festschrift Geschäftsbericht gewidmet. Mehr Arbeitslose verheißen aber inzwischen eben höhere Renditen. Der Ökonom K. Gailbraith bringt das Wesen dieses Kapitalismus auf den Punkt, wenn er sagt, „Nicht mehr Arbeit macht Geld, nur noch Geld macht Geld.“ Und davon ist ja sehr viel da. Der tägliche Umsatz an den deutschen Wertpapierbörsen liegt bei etwa 30 Milliarden Mark. Zwar wird nur mit einem Bruchteil davon gehandelt, aber ebenso klar ist doch, dass täglich etliche Milliarden der Spekulation zur Verfügung stehen. Geld, das eben von den Einkommensmillionären stammt, die keine Steuern mehr zahlen müssen. Lassen wir mal die Parolen der Politik beiseite („Leistung muss sich lohnen.“ / „Die Renten sind sicher.“ / „Der Aufschwung kommt.“) und schauen uns die ökonomischen Veränderungen der letzten zwei Jahrzehnte an, dann fällt die Revolution der Werte auf. Die Umstellung der ökonomischen Politik zu Beginn der 1980er Jahre, von Thatcher und Reagan nicht zu Unrecht als Revolution bezeichnet, wurde lange als bloße Akzentverschiebung unterschätzt: Von der Nachfrage zum Angebot, von reichlichem zu knappem Geld, von niedrigen zu hohen Zinsen etc. Zu fassen versuchte man diese Zeichen mit Begriffen wie Postmoderne oder Postfordismus. Tatsächlich ging es um eine neue Ordnungspolitik. Gemeinwohl gibt es gar nicht mehr. (Thatcher: „So etwas wie das Soziale gibt es nicht, es gibt nur das Individuum und die Familie.“) Im Zentrum der neuen Ordnungspolitik stehen die Eigentümer der großen Geld- und Wertpapiervermögen, und das höchste zu schützende Gut ist die Geldwertstabilität. Um die zu gewährleisten, sind mehr Polizisten effektiver als Beschäftigungsprogramme, eine Rechnung, die nach Thatcher und Reagen nun auch Kohl und Schröder herbeten. Der Polizeistaat als Wahlversprechen, denn an mehr Arbeitsplätze durch die Politik glaubt ohnehin niemand mehr. 27 Die Wohnungslosen bekommen es zu spüren. In immer mehr Städten wird der Ruf nach Vertreibung von Bettlern wieder lauter. Wir erleben die plumpe Negation der unserer Gesellschaft ehemals als Grundlage dienenden bürgerlichen Werte. Aus „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit (Solidarität)“ der französischen Revolution wurde: Entliberalisierung, Entegalisierung, Entsolidarisierung. Sie werden vielleicht fragen, wieso ich Ihnen diese Binsenweisheiten erzähle? Was es soll, dieses Ausholen zur großen Politik? Geht es nicht um einen Bericht eines Fachverbandes? Die Antwort ist einfach: Weil die Wohnungslosenhilfe, die Freie Wohlfahrtspflege und die gesamte Sozialpolitik auf diese neue Ordnungspolitik keine Antwort, geschweige denn eine Strategie zur Gegenwehr haben. Der Staat wird sich künftig weiter zurückziehen. Nicht einmal die grundlegendsten Funktionen wird er mehr für arme Bürgerinnen und Bürger garantieren können. Sehen Sie sich die wachsende Armut bei den Menschen an, die aus dem Produktionsprozess herausfallen, oder die leeren öffentlichen Kassen. Und zum Thema Reformstau ist darauf hinzuweisen, dass die Steuerquote der Unternehmen von 1980 bis 1994 von 34 auf 19 Prozent gesunken ist, ohne dass die versprochenen Effekte – mehr Arbeitsplätze – eingetreten wären. Während der Reform des Sozialstaates (inzwischen ein Synonym für Kürzung, Abbau, Zerschlagung) ist es den Regierenden gelungen, uns mit einer Effizienzdiskussion den Kopf zu verdrehen. Die BWL-isierung der sozialen Arbeit soll Leistungsreserven erschließen. Dann bekämpfen wir noch den Missbrauch bei den Leistungsempfängern, und schon sind die benötigten Summen gespart, um die öffentlichen Kassen zu sanieren. Der Glaube an einen Lottogewinn ist realistischer als dieser Irrglaube. Der ehemalige VW- und Ford-Vorstand Goeudevert beschreibt es so: „Solche strukturellen Veränderungen lassen sich nicht allein mit modernen Managementmethoden 28 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Geschäftsbericht lösen. Deshalb warne ich eindringlich vor einer unkritischen Übernahme von Wirtschaftstechniken in die Wohlfahrt. Wenn es keinen sozialen Ausgleich zum heutigen Kapitalismus oder, wie die Amerikaner sagen, Turbokapitalismus gibt, dann fahren wir gemeinsam gegen die Wand.“ Diese Klarsicht würde ich uns in der Diakonie wünschen. Die Qualität und Funktion der Wohnungslosenhilfe ist nicht vom Wettbewerb des Marktes abhängig, wie es ein großer diakonischer Träger im Vorwort zu seinem letzten Jahresbericht formulierte und sich mit diesem Argument gegen den „staatlichen Dirigismus und Bürokratismus“ z.B. durch den § 93 BSHG wehrte. Seine Argumentation ist für einen diakonischen Träger aus zwei Gründen problematisch: 1. Ein Problem armer Leute besteht gerade darin, dass sie nicht wettbewerbsrelevant agieren können. Wenn ein Obdachloser, aus welchen Gründen auch immer, die Beratungsstelle am Ort nicht aufsuchen möchte, wo soll er hin? Er hat keine Wahl. 2. Wer angesichts der neuen Ordnungspolitik sagt: Staat, lass mich in Ruhe, lass den Wettbewerb über Sinn und Unsinn meines Angebotes entscheiden, ist entweder naiv oder Mitglied der F.D.P. Er ignoriert die für unsere Arbeit ganz wesentliche Tatsache des Dreiecksverhältnisses bestehend aus Leistungsberechtigten, Leistungserbringern und Leistungsträgern. Wer hier den Staat „heraushaben“ will (so habe ich besagtes Vorwort verstanden), ohne freilich auf die staatlichen Subventionen verzichten zu wollen (so gesehen vergleichbar der Wirtschaft), isoliert die Obdachlosen von den Diskussionen und Kämpfen zur staatlichen Daseinsvorsorge. Er enthält den Obdachlosen somit demokratische und soziale Grundrechte vor und steht dann wieder ungebrochen in der Tradition der Wanderarmen- und Nichtsesshaftenhilfe. Nein, um zu einer höheren Qualität in der Wohnungslosenhilfe zu kommen, brauchen wir nicht den Wettbewerb und den Markt, sondern Innovationen, deren Ziele und Kosten wir mit der Gesell- schaft auszuhandeln haben. Bezüglich der Perspektiven der Wohnungslosenhilfe glaube ich, dass das inzwischen 25 Jahre alte Programm der Hilfe nichts von seiner Gültigkeit verloren hat: Dahin gehen, wo die Obdachlosen sind, annehmbare Hilfen entwickeln, bestehende Rechte durchsetzen, Obdachlosigkeit zum Thema kommunaler Praxis, Politik und Planung machen, Hilfen, insbesondere die Not- und Elendshilfen nicht isoliert lassen, sondern in systematische und rechtlich begründete Hilfeansätze weiterentwickeln. Und dieses Programm hat ja auch in vielen Orten und Landstrichen die Lebens- und Hilfeperspektiven der Obdach- und Wohnungslosen spürbar verbessert. Diese Grundsätze über Bord zu werfen, ist falsch, aber wir brauchen Innovationen. Auf die veränderte Nachfrage (durch mehr Frauen, mehr Jugendliche etc.) müssen wir uns einstellen. Wir müssen unsere Kompetenz und Wirksamkeit erhöhen. Die vielerorts zu verspürende Aufgeregtheit und Einschüchterung über die anstehenden Veränderungen durch die §§ 93 ff. BSHG sind nachvollziehbar und berechtigt. Es geht um Kürzungen, und ich sehe keine gesellschaftliche Kraft, die dies in nächster Zeit ändern wollte oder könnte. Aber eine Alternative zur Aushandlung der Vereinbarungen zur Leistung, zur Vergütung und zur Kontrolle haben wir nicht. Wir haben auch nichts zu verbergen. Wir sollten vielmehr selbstbewusst und offensiv für unser Programm der Wohnungslosenhilfe streiten. Wer sich zurückzieht, landet im Abseits. Das ist nicht im Interesse der Obdach- und Wohnungslosen. Die den §§ 93 ff. BSHG zugrundeliegenden Sparbemühungen sind nicht der Endpunkt einer Entwicklung, sondern eine Zwischenetappe. Die Kürzungen werden weitergehen. Der verzweifelte Versuch der Wohlfahrt, der Kirchen, der Gewerkschaften und weniger Sozialpolitiker, von dem Konzept der sozialen Marktwirtschaft zu retten, was zu retten ist (z.B. mit dem Wort der Kirchen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland), ist zum Scheitern verurteilt. Stattdes- Festschrift Geschäftsbericht sen müssen diese Kräfte, und also auch wir, versuchen, das Denkund Diskussionsverbot bezüglich einer Gesellschaft mit größerer Verteilungsgerechtigkeit zu überwinden. Aber wer diese Frage aufwirft, kommt nicht umhin, nach Kontrolle und Disziplinierung der schaltenden und waltenden Eliten zu rufen. Auch das kann Mehrheiten bei Wahlen bringen, nehmen wir Frankreich und Großbritannien als Hoffnungszeichen. Sollte es sich allerdings um dasselbe Stück, dieselbe Bühne und nur um eine neue Schauspielertruppe handeln, müssen wir anderes überlegen. In meinen, zugegebenermaßen vagen Überlegungen spielt ein ausgebauter Rechtshilfeansatz eine zentrale Rolle. Der italienische Rechtsphilosoph Noberto Bobbio bezeichnet das 20. Jahrhundert als das Zeitalter der Rechte. Und gerade bezogen auf die Entwicklung diakonischer Praxis spricht vieles für diese Sichtweise. Entwickelt hat sich die Praxis zwischen den Antipoden der „Inneren Mission“, die den Schlüssel für das Wohlergehen jedes Einzelnen in seinem rechten Gauben wähnte, und eben der Vision des kommunistischen Manifestes, das die „freie Assoziation aller Individuen“ nur vor dem Hintergrund der Zerschlagung des Staates und seiner Normen für realisierbar hielt. Wie sieht es aber heute mit eben diesen Rechten, den sozialen Rechten aus? Wir müssen erstens festhalten, dass die aus diesen Rechten abgeleitete Politik für einen beachtlichen Wohlstand, eine von vielen Ländern beneidete soziale Stabilität und Frieden gesorgt hat. Zweitens gelten hierzulande einklagbare soziale Grundrechte dennoch bestenfalls als unerfüllbares Ideal, viele sehen in ihnen sogar eine Bedrohung der Freiheit. In den Verfassungsdebatten nach der Vereinigung stellte z.B. der Präsident des sächsischen Landtages zu den Verfassungszielen Arbeit und Wohnung fest: „Freilich stellen diese Staatsziele keine Grundrechte dar, so dass durch sie niemand einen einklagbaren Anspruch auf Arbeit, Wohnung und so weiter erhält.“4 29 Nach dem Krieg wurde das in einigen Ländern anders diskutiert, so gibt es in Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Bremen sehr wohl das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf Arbeit, in einigen Ländern auch sehr wohl ein Recht auf eine Wohnung und nicht nur das Grundrecht auf ihre Unverletzlichkeit. Auch die UNO-Menschrechtsdeklaration vom Dezember 1948 umfasst das Recht auf soziale Sicherheit (Artikel 22), das Recht auf Arbeit (Artikel 23) und das Recht auf Wohnung (Artikel 25). Diese Bestandteile der Deklaration wurden von der Bundesrepublik nie in Frage gestellt. Und man stritt mächtig um deren Verbindlichkeit. Doch 1966 einigte man sich innerhalb der UNO auf zwei Pakte, einen zu den politischen und einen zu den wirtschaftlich-sozialen Rechten: „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht jedes Einzelnen auf die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt durch frei gewählte oder angenommene Arbeit zu verdienen, an.“5 Seit 1976 sind beide Konventionen in Kraft. Mit der Aufnahme der Bundesrepublik und der DDR 1973 traten beide deutsche Staaten diesen Pakten bei und verpflichteten sich „mit allen geeigneten Mitteln, vor allem durch Gesetzgebung, die volle Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu erreichen.“6 Mit der Ratifizierung gelangte der Pakt „in den Rang eines deutschen Bundesgesetzes, das Vorrang vor Rechtsvorschriften, Satzungen und allen Landesnormen hat und sowohl Grundgesetz, Verwaltung und Gerichte bindet?“7, wie der Völkerrechtler Markus Zöckler unterstreicht. Warum ist das so wenig bekannt und so wenig diskutiert? Warum listen Menschrechtsorganisationen die Verletzungen des Paktes der politischen Rechte auf und nicht die Verletzungen des Paktes zu den wirtschaftlich-sozialen Rechten? Wir hören von allen Parteien, dass zur Sicherung sozialer Errungenschaften nicht mehr Rechte die Grundlage bilden, sondern der aktuelle Haushalt. Und von dieser Botschaft, dass kein Geld da sei, 30 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Geschäftsbericht lassen sich alle blenden. Tatsächlich ist aber mehr als genug Geld da. Die Gewinne der Unternehmen explodieren, das Sparguthaben der Deutschen hat inzwischen die Fünf-Milliardengrenze überschritten. Doch ein Ende des einmal eingeschlagenen Deregulierungskurses scheint nicht in Sicht. Die Programme klingen dabei immer verlockender und verheißen Erfolge über Erfolge. So sorgt seit Jahren jedes Gesetz für mehr Arbeitsplätze – die Arbeitslosen merken es nur nicht. Auf der letzten Tagung der BAG-Wohnungslosenhilfe verkündete ein Vertreter des BM-Bau, die 20.000,- DM-Eigenheimförderung für einen Doppelverdienerhaushalt mit einem Jahreseinkommen von 240.000,- DM sorge für Arbeitsplätze, und deswegen müssten die Mittel für den sozialen Mietwohnungsbau um 1/3 reduziert werden. Aber wie krank unsere Gesellschaft inzwischen ist, lesen wir ja alle täglich in den Zeitungen. Was machen wir als Diakonie mit den sozialen Grundrechten bzw. mit den offensichtlichen Verletzungen durch eine falsche Politik? Warum werden steigende Zahlen von Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängerinnen und Wohnungslosen zwar anklagend und warnend, aber eben nicht als Verletzung sozialer Grundrechte dargestellt. Warum erkämpfen wir keinen Erklärungsnotstand bei den Politikern wie z.B. bei der Verletzung der politischen Grundrechte? Ich glaube, dass dies der Diakonie gut anstehen würde. Unsere „Option für die Schwachen“ wahrzunehmen, „Anwalt der Benachtei ligten“ zu sein, dies alles sollte noch viel mehr Gewicht in unserer täglichen praktischen Arbeit, auf Verbandsebene in der Arbeit vor Ort erhalten. Laut und deutlich erhob übrigens auch die Bundesbetroffeneninitiave in der BAG-Wohnungslosenhilfe diese Forderung. Indem wir unsere Hilfe demokratisieren, also für mehr Transparenz, Beteiligung, Mitsprache und Mitbestimmung sorgen, erhöhen wir unsere Legitimität, eine andere, sozialere Politik zu fordern. Das Thema ist aus meiner Sicht brandaktuell. Denken Sie an die vielen neuen, freien Initiativen für Arme und Obdachlose, die Tafeln, Suppenküchen und Treffs. Einerseits sind sie Ausdruck einer humanen Haltung, nach der bei Not geholfen und nicht nach der Polizei gerufen wird. So gesehen sind diese Ansätze denen der Inneren Mission vor 150 Jahren sehr verwandt. Andererseits ist natürlich jede private Hilfe als Ersatz für fehlende oder falsche staatliche Daseinvorsorge überfordert, das zumindest lässt sich nach 150 Jahren Diakonie ganz sicher feststellen. Daher muss, und diese Wiederholung gestatten Sie mir, die Durchsetzung sozialer Grundrechte unbedingt Auftrag diakonischer Hilfe bleiben. Ich gebe Noberto Bobbio recht und seinen zuversichtlichen Ausblick an Sie weiter: „Der Drang nach einer immer größer werdenden Gleichheit unter den Menschen ist unaufhaltsam. Jede Überwindung dieser oder jener Diskriminierung, auf Grund welcher die Menschen in Über- und Untermenschen, in Zähmende und Bezähmte, in Reiche und Arme, in Herren und Knechte unterteilt worden sind, stellt eine, wenngleich keine notwendige, sondern nur mögliche Etappe auf dem Weg der Zivilisierung dar. ( ... ) Es versteht sich, dass man, will man den Sinn dieser großartigen historischen Bewegung erfassen, den Kopf über die alltäglichen Scharmützel erheben und höher hinauf und weiter in die Ferne blicken muss.“8 Meine Damen und Herren, das waren grob die Spannungsfelder und Denkwelten in denen ich mich in den letzten neun Jahren als Ihr Geschäftsführer bewegt habe. Gestatten Sie mir zum Schluss ein paar persönliche Worte. Ich habe dem WHV und dem DWW sehr viel zu verdanken. Was ich bin, bin ich zum großen Teil durch diese Zusammenarbeit mit Ihnen geworden. Stellvertretend möchte ich mich bei den Vorsitzenden Hans Bachmann, Peter Fenner und Karl-Hermann Köster bedanken. Unmöglich kann ich alle Kolleginnen und Kollegen aus dem Vorstand, Festschrift Geschäftsbericht 31 den AKs und Fachausschüssen nennen, aber ohne Ihre aktive Arbeit wäre ich hier im Staub des Papiers krank geworden. Zudem verdanke ich dieser Arbeit viele Freunde, mit denen ich manches Problem beraten, vielleicht auch mal eins gelöst habe, Freunde die immer für mich da waren, ich will einige outen: Reinhard van Spankeren, Raimund Klinkert, Hannes Kiebel. Andreas Wolf, Norbert Halbeisen, Gunter Braun, Sigrid Kübler-Molitor, Helmut Blees, Jörg Obereiner, ich will und kann nicht alle nennen. Ich bitte die nicht Aufgezählten um Entschuldigung. Nennen will ich unbedingt meinen Vorgänger Friedhelm Hasenburg, der all die Jahre meine Arbeit beobachtet hat, und sein Zuspruch war für mich die höchste Anerkennung. Bevor es jetzt aber zu gemütlich wird, möchte ich auch auf einige Streits aufmerksam machen. Ich gebe zu, dabei auch meinen Spaß gehabt zu haben, die mir verliehenen Titel „Totengräber der stationären Hilfe“ und ,,rote Socke“ werde ich in Andenken hochhalten. Das alles ist aber wirklich zweitrangig zu den Leistungen, die meine Frau für mich und für Sie erbracht hat. Alle Gedanken und Texte, die ich geliefert habe, sind erst durch ihre Kritik das geworden, was sie nun sind. Für mich war es ein wahnsinniges Glück, zu Hause nicht nur reproduzieren zu können, sondern auch Zeit und Gelegenheit für Reflexion und intellektuellen Austausch zu haben. Persönlich muss ich mich bei Uwe Hampel-Pöhler und dem PerthesWerk bedanken, ohne deren Flexibilität ich nicht zwei Jahre im MAGS hätte arbeiten können. Und meinem Nachfolger Jan Orlt wünsche ich, dass er so kollegial, offen und fair von Ihnen aufgenommen wird wie ich damals. Ich habe ihn als einen Kollegen kennen gelernt, der das für diesen Job nötige Handwerkszeug hat. Das wird jetzt, glaube ich, dringend im WHV gebraucht. Der Hintergrund, das Fachwissen sind Sie und zu Ihrem Geschäftsführer kommt es nur durch Sie. In den letzten Tagen und Wochen habe ich viele kleine und große Dankeschöns erhalten, was mich sehr geehrt hat. Dafür und für die gute Zusammenarbeit mit Ihnen will ich mich bei Ihnen bedanken. Ich wünsche Ihnen allen für die anstehende Arbeit die notwendige Kraft, Beharrlichkeit und Gottes Segen. Fußnoten 1 Wichern beschäftigte sich mit der katastrophalen Wohnsituation „armer Leute“ in Hamburg. Die Enge, der Lärm und Dreck waren für ihn eine sittliche 32 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Geschäftsbericht Gefährdung. Vergl.: Wiehern, J. H.: Bausachen zur Hebung und Förderung des sittlichen Lebens. In: ders., Sämtliche Werke, Bd. V, Hamburg 1971. Eine heute noch spannende und lesenswerte Kritik der bürgerlichen Sozialreformer, wann und warum diese gerade das Wohnungselend zum Ausgangspunkt ihres Handelns nahmen, hat Engels geliefert. Vergl.: Engels, F.: Zur Wohnungsfrage. In: Marx, Engels Werke (MEW), Bd. 18, Berlin 1962. 2 Vergl.: 75 Jahre Wilhelmsdorf 1882 -1957. Aufgabe und Weg der ersten Deutschen Arbeiterkolonie, Herausgegeben von der Betheler Zweiganstalt Eckardtsheim bei Bielefeld, Bielefeld 1958. 3 Vergl.: Krabbe, W. R.: Arbeitssituation und soziale Lage der Arbeiter beim Bau des Dortmund-EmsKanals. In: Das Schiffshebewerk Henrichenburg. Westfälisches Industriemuseum, Schriften Band 1, Dortmund 1985, S. 19 ff. 4 siehe: Dahn, D.: Soziale Grundrechte sichern, In: Freitag, Nr.28, Berlin 1997, S. 8. 5 Dästner, C.; Die Grundrechte und das Grundgesetz, Köln, Stuttgart, Berlin 1996, S. 137. 6 Dästner, c.: a.a.O. S. 145. 7 Dahn, D.: a.a.O. 8 Bobbio, N.: Rechts und Links. Gründe und Bedeutung einer politischen Unterscheidung, Berlin 1994, S. 93 ff Martin Henke Geschäftsbericht gehalten auf der Mitgliederversammlung des WHV, 15. Dezember 1997 Festschrift Wohnungslose Frauen Zur Situation wohnungsloser und obdachloser Frauen in NRW Sehr lange galt die Hilfe der Wohnungslosenhilfe ausschließlich alleinstehenden Männern. Erst langsam wurden auch wohnungslose Frauen und ihre besonderen Bedarfe wahrgenommen und die Hilfe darauf ausgerichtet. Das Hilfesystem für wohnungs- und obdachlose Menschen orientiert sich seit über 100 Jahren traditionell am Bedarf des alleinstehenden männlichen Wohnungslosen. Hilfen für Frauen hatten – wenn überhaupt vorhanden – von Anfang an pädagogische Ziele. So ging es den privatwohltätigen Frauenvereinen zur Jahrhundertwende und danach vorrangig darum, die Tugend und Sittlichkeit von Frauen zu schützen. Die Wohnungsnot der Dienstmädchen, so genannten „alten Jungfern“ und „ledigen Mütter“ wurde erst in zweiter Linie wahrgenommen und häufig durch eine Eheschließung behoben. So kommt es, dass kein flächendeckendes Angebot an Hilfeeinrichtungen für wohnungslose Frauen und Mädchen entstanden ist. Für Männer existieren dagegen in fast allen größeren Städten Übernachtungseinrichtungen und eine Vielzahl von stationären Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe. Der Bedarf von Frauen und Männern unterscheidet sich Lange Zeit begnügte man sich mit der Einschätzung, dass das, was für Männer angeboten werde, wohl auch für Frauen das Richtige sei. Erst allmählich setzt sich die Erkenntnis durch, dass das auf Männer zugeschnittene Hilfeangebot viele Frauen abhält, Hilfe überhaupt in Anspruch zu nehmen. In den 60 ambulanten Beratungsstellen für alleinstehende Wohnungslose in Nordrhein-Westfalen schwankt der 33 Frauenanteil je nachdem, ob spezielle Angebote nur für Frauen gemacht werden oder nicht, zwischen fünf und 30 Prozent. Über 90 Prozent aller Angebote, die sich an Männer und Frauen richten, werden von Frauen weniger häufig und weniger intensiv genutzt. Überall dort, wo spezielle Angebote nur für Frauen geschaffen wurden, werden diese auch genutzt. Mehr Schutz Besonders wohnungslose Frauen, die auf der Straße leben, brauchen mehr Schutz als Männer, und sie brauchen Schutz auch vor Männern. Wohnungslose Frauen haben unterschiedlichste Gewalterfahrungen, viele von ihnen wurden (im Elternhaus, in der Partnerschaft, auf der Straße) misshandelt, missbraucht und gedemütigt, und häufig führte gerade die Flucht vor diesen Lebensbedingungen direkt in die Wohnungslosigkeit. Betrachtet man zugleich die Selbstverständlichkeit, mit der wohnungslosen Frauen Kost und Logis gegen sexuelle Willfährigkeit geboten werden, wird das hohe Abgrenzungsbedürfnis gegenüber der „männlichen Wohnungslosenszene“ verständlich. Bei der Nutzung von Einrichtungen, die Männern und Frauen offen stehen, lässt sich immer wieder feststellen, dass Frauen Gefahr laufen, „angemacht“ oder belästigt zu werden und vor Übergriffen nicht sicher sein können. In der Konsequenz führt dies zu einer deutlichen Unterversorgung von wohnungs- und obdachlosen Frauen. Hygiene Zu dem frauenspezifischen Bedarf, der durch niedrigschwellige Angebote leicht gedeckt werden kann, gehört ein offensichtlich höheres Interesse wohnungsloser Frauen an persönlicher Hygiene. Gleichzeitig ist diese Alltäglichkeit ein weiterer Grund dafür, dass reine „Männereinrichtungen“ von Frauen oft gemieden werden. Die Bereitstellung der hygienischen Grundversorgung – Hygieneartikel, 34 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Wohnungslose Frauen Möglichkeiten, sich zu duschen, zu pflegen oder Wäsche zu waschen – trägt zu einer spürbaren Verbesserung der Situation wohnungsloser Frauen bei. Selbsthilfepotential bei Frauen größer Frauen sind auch heute noch meist allein für das „Alltagsmanagement“ in Beziehung, Partnerschaft und Familie zuständig. Dies führt dazu, dass sie eher als Männer bereit sind, Provisorien zu akzeptieren und nach vorübergehenden Notlösungen für sich, die Kinder und die Familie zu suchen. Ihr Bedarf bleibt dadurch lange verborgen, die akute Notlage wird nicht offenkundig. Gleichzeitig verhalten Frauen sich bei der Wohnungssuche aber aktiver als Männer, sie nehmen Hilfeangebote offensiv wahr und sind eher in der Lage, ihre Situation aus eigenen Kräften zu verbessern. Ihr Verbleib im Hilfesystem ist dadurch deutlich kürzer als bei Männern. Armut und Arbeitslosigkeit verstärken Abhängigkeiten Wie anfangs bereits beschrieben, besteht ein enger Zusammenhang zwischen weiblicher Wohnungsnot, ihrer geringeren Erwerbsbeteiligung, fehlenden Ausbildungs- und geringeren Verdienstmöglichkeiten. Heute sind 90 Prozent aller Teilzeitarbeitsplätze mit Frauen besetzt. Die höhere Flexibilität – in der Regel zugunsten der Familie und der Kinder – hat ihren Preis: eine schlechtere existentielle Absicherung. Die Zunahme sozialversicherungsfreier 610,- DM-Jobs wirkt sich hierauf ebenfalls unmittelbar aus. Als besonders problematisch für die betroffenen Frauen erweisen sich die strukturellen Benachteiligungen im Erwerbsleben in Trennungssituationen. Vor allem Alleinerziehende ohne eigenes Einkommen haben geringere Chancen, sich mit Wohnraum zu versorgen und diesen ohne fremde Hilfe aus eigenen Kräften zu bewirtschaften. Mit individuellen Hilfeangeboten allein ist dieses Problem nicht zu lösen. Neben unmittelbar wirksamen Wohnhilfen benötigen wohnungslose Frauen zur dauerhaften Überwindung ihrer Notsituation daher Hilfen und Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche, bei Ausbildung, (Weiter-)Qualifizierung und Beschäftigung sowie Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit. Kinder und Partnerschaften Frauen in Wohnungsnot sind selten ganz alleinstehend: Es sind Frauen mit Freundschaften, mit Partnerwünschen, mit festen Freunden, es sind Frauen mit Kindern, die eine gemeinsame Unterbringung für sich und die Familie suchen, und Frauen, die um das Sorgerecht für ihre fremduntergebrachten Kinder kämpfen. Insbesondere für Frauen mit Kindern existieren innerhalb der Hilfe für Wohnungslose nur sehr wenige Angebote. Vor Gewalt und Bedrohung finden sie in Frauenhäusern Zuflucht, doch Frauenhäuser haben nicht vorrangig die Aufgabe, wohnungslose Frauen mit Wohnraum zu versorgen. Hier gilt es, Einrichtungen für Frauen mit Kindern, aber auch für Paare, zu öffnen und neue Wohn- sowie Erwerbsmöglichkeiten, z.B. für Alleinerziehende, zu konzipieren. Nicht zuletzt aber benötigen Frauen, deren Wohnungsnot häufig im Zusammenhang mit familiären Krisen oder Partnerschaftskonflikten auftritt, auch gezielte persönliche Hilfen zur Bewältigung dieser Problemsituationen. Jutta Henke aus: Ein Dach über dem Kopf, Hilfen für wohnungslose Frauen in Nordrhein-Westfalen, Hrsg.: Ministerium für Gleichstellung von Frau und Mann des Landes NRW Düsseldorf 1997, S. 8-10 Festschrift Betreutes Wohnen Betreutes Wohnen Das jüngste Kind der Angebotsfamilie der Wohnungslosenhilfe in Westfalen ist das Betreute Wohnen. Wesensmerkmal des Betreutes Wohnen ist die persönliche Hilfe für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeit in der eigenen mietvertraglich gesicherten Wohnung. Vorwort Betreutes Wohnen steht für die jüngere Entwicklung der Westfälischen Wohnungslosenhilfe. Es gehört mit zu den Eckpfeilern der Gesamtkonzeption eines bedarfsgerechten Hilfesystems für Personen in besonderen Lebensverhältnissen, die mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, das Ende der 1970er Jahre gemeinsam mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe entwickelt worden war. Betreutes Wohnen ist ein Zeichen des Zuwachses an Bedeutung ambulanter Hilfen. Es ergänzt somit in effizienter Weise die vorgehaltenen stationären und teilstationären Hilfeangebote. Handlungsleitend ist die Integration vor Ort, im Quartier. Die Selbstbestimmung der Hilfeberechtigenden in ihrer jeweils eigenen Wohnung ist signifikantes Merkmal. 35 sen, einen Fachausschuss Betreutes Wohnen zu berufen und diesen zu beauftragen, eine insbesondere für die Praxis vor Ort nutzbare und fachliche klare Empfehlungsgrundlage zum Betreuten Wohnen zu erarbeiten. Der Fachausschuss legt hiermit sein Arbeitsergebnis vor. Der Vorstand des Westfälischen Herbergsverbandes e.V. dankt den Fachausschussmitgliedern für die geleistete Arbeit. Über das vorgelegte Arbeitsergebnis hinaus gab es vielfältige Anregungen, kritisch über den Begriff „Betreuung“ und dessen historische Deutungen, Bedeutungen und teilweise missbräuchliche Verwendung nachzudenken. Wir haben aber letztlich auf eine Darstellung der Diskussion zu Gunsten der Lesbarkeit der Arbeitshilfe für die praktische Umsetzung verzichtet. Zudem ist der Begriff „betreutes Wohnen“ gem. § 72 BSHG zurzeit im Hilfefeld eindeutig definiert und anerkannt. Münster, im März 2000 Betreutes Wohnen versteht sich als eigenständige Hilfeform im Verbund der Wohnungslosenhilfe. Es ist eigenständiger Leistungstyp im Rahmen der Verhandlungen und Vereinbarungen zum § 93 ff. BSHG. Die Entgeltvereinbarungen werden zwischen dem Träger des Hilfeangebotes und dem örtlichen Träger der Sozialhilfe abgeschlossen. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe wird in der Regel an den Verhandlungen beteiligt, da er gemäß § 2a AG BSHG NRW die entstehenden Aufwendungen für Personen, die „sesshaft“ werden wollen, übernimmt Dieses Hilfeangebot ist noch nicht flächendeckend eingeführt – gleichzeitig gibt es bei zahlreichen Hilfeanbietern vielfaches Interesse zur Konzeptionierung und Durchführung. Auf diesem Hintergrund hat der Vorstand des Westfälischen Herbergsverbandes e.V. beschlos- Raimund Klinkert 1. Vorsitzender WHV Jan Orlt Geschäftsführer Begriffsbestimmung Betreutes Wohnen – eine Definition Betreutes Wohnen ist die Verbindung einer selbständigen Lebensführung in Räumen, die aufgrund privatrechtlicher Gestaltung eigenverantwortlich genutzt werden, mit einer planmäßig organisierten regelmäßigen Beratung und persönlichen Hilfe durch Fachkräfte. Es stellt einen eigenständigen Arbeitsbereich innerhalb der Wohnungslosenhilfe dar. 36 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Betreutes Wohnen Ausgestaltungskriterien • • • • • • • • • Die Hilfe geschieht auf freiwilliger Basis. Über die Durchführung wird eine (schriftliche) Vereinbarung getroffen. Über die Beendigung der Betreuung ist zwischen den Beteiligten eine Verständigung zu erzielen. Betreutes Wohnen kann sowohl in eigenen, durch den Hilfeberechtigenden auf dem Wohnungsmarkt angemieteten Wohnungen angeboten werden, als auch in Wohnungen, die von einem Träger der Freien Wohlfahrtspflege aufgrund privatrechtlicher Gestaltung durch den Betreuten eigenverantwortlich im Sinne des Mietrechtes genutzt werden. Funktionsverschiebungen zwischen Vermietung und Betreuung, die zu Lasten des Hilfeberechtigenden gehen, sind zu vermeiden. Die Massierung mehrerer Wohneinheiten in einem Gebäude sollte vermieden werden. Die Hilfeberechtigenden regeln die Angelegenheiten des täglichen Lebens sowie ihre Lebensgestaltung in eigener Verantwortung. Dazu gehört auch der selbständige Umgang mit den individuell zur Verfügung stehenden Einkünften. Die Finanzierung des Betreuten Wohnens durch die Sozialhilfeträger umfasst nur die Kosten des Betreuungsangebotes. Der Lebensunterhalt ist gesondert durch die Hilfesuchenden zu finanzieren (z.B. eigenes Einkommen, Hilfe zum Lebensunterhalt). Der Verantwortungsbereich der Fachkräfte erstreckt sich auf die fachgerechte Durchführung der persönlichen Hilfe. Neben individuell vereinbarten Besuchskontakten gibt es keine Rund-um-die-Uhr-Bereitschaft, nächtliche Rufbereitschaft oder Wochenenddienste. Jan Orlt Aus: Betreutes Wohnen, Hrsg.: Westfälischer Herbergsverband e.V. Münster, März 2000, S. 4-5 Festschrift Leistungstypen Leistungstypen der stationären und ambulanten Hilfe gemäß § 72 BSHG Mitte der 1990er Jahre wurde im Bundessozialhilfegesetz eine Regelung eingeführt, die es erforderte, die Leistungen detailliert zu beschreiben und die Erbringung und Vergütung vertraglich zu regeln. So sind im Jahre 2000 die Leistungstypen entstanden. Vorwort Am 20. September 1999 hat die so genannte Verhandlungsgruppe B3 „Ambulante Hilfen“ im Rahmen der Verhandlungen zur Umsetzung der §§ 93 ff. BSHG den Katalog der Leistungstypen der ambulanten Hilfe gemäß § 72 BSHG für NordrheinWestfalen abschließend beraten und verabschiedet. Am 01. Oktober 1999 hat denselben Schritt die so genannte Verhandlungsgruppe B2 „Bildung von Leistungstypen“ für den Katalog der Leistungstypen der stationären Hilfe gemäß § 72 BSHG für Nordrhein-Westfalen vollzogen. 37 den Leistungstypen, die Ihnen helfen sollen, die Ergebnisse zu bewerten und für Ihre eigene Arbeit zu nutzen. Die Entwicklung der qualitativen Beschreibung von Leistungen/ Leistungstypen ist nur ein – wenn auch grundlegender - Teil der Verhandlungen zur Umsetzung der §§ 93 ff. BSHG zwischen den Anbietern (private Träger und Träger der Freien Wohlfahrtspflege) auf der einen Seite und den örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträgern in Nordrhein-Westfalen auf der anderen Seite. Die Gesamtverhandlungen zur Umsetzung der §§ 93 ff. BSHG in NordrheinWestfalen sind noch nicht abgeschlossen. Je nach den Ergebnissen der Verhandlungen zu einem Landesrahmenvertrag und den Verhandlungen zur Bildung der drei Vergütungsbestandteile Grundpauschale, Maßnahmepauschale und Investitionskosten kann es erforderlich werden, die in dieser Veröffentlichung enthaltenen Leistungstypbeschreibungen zu überarbeiten und in Details zu verändern. Wir gehen im Moment davon aus, dass mindestens bis zur Unterzeichnung eines Landesrahmenvertrages in Nordrhein-Westfalen, in dem auch nach der jetzigen Planung und Bereitschaft aller Verhandlungspartner der ambulante Bereich geregelt werden soll, diese in dieser Veröffentlichung enthaltenen Leistungstypen den Standard für die Hilfe gemäß § 72 BSHG darstellen. Damit ist die qualitative Beschreibung der Zielgruppen (Hilfebedarfsgruppen) und Leistungen für die Hilfe gemäß § 72 BSHG auf Landesebene zunächst abgeschlossen. Zur Entstehung Mit dieser Veröffentlichung wollen wir Ihnen die Beratungsergebnisse zu den stationären und ambulanten Leistungstypen zu Ihrer Information und Verwendung zur Verfügung stellen. Gleichzeitig enthält diese Veröffentlichung einige Hinweise zur Entstehungsgeschichte der Leistungstypen und zum weiteren Umgang mit Auf der Grundlage der im Dezember 1998 vom Westfälischen Herbergsverband e.V. veröffentlichten Leistungstypen1 hat die so genannte Verhandlungsgruppe B1 „Bildung von Leistungstypen“ für die stationäre Hilfe gemäß § 72 BSHG bis Ende 1998 einen Katalog von Leistungstypen vereinbart und in den Bereichen „Zielgruppe“ und „Hilfeziele“ beschrieben. 38 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Leistungstypen Dieser Katalog war dann zum Jahreswechsel 1998/1999 im Rahmen der ersten Umsetzungsvereinbarung Gegenstand eines so genannten Pre-Testes. Ziel des Pre-Testes war es, die Anwendungstauglichkeit der Leistungstypen in der Praxis zu erproben und zu prüfen, ob mit den Leistungstypen die Realitäten der Einrichtungen abgebildet werden können. Nach Auswertung des Pre-Testes, zu dem eine ausführliche Dokumentation der Beckhof-Konferenz vom 29. April 1999 in Hamm vorliegt2, konnten alle Beteiligten als Ergebnis festhalten, dass der Katalog der stationären Leistungstypen der Hilfe gemäß § 72 BSHG in der Lage ist, die Hilfelandschaft vollständig abzubilden. Zwischen Mai und September 1999 hat eine kleine Arbeitsgruppe besetzt mit • Herrn Johannes Lippert, Landschaftsverband Westfalen-Lippe • Frau de Clercq, Landschaftsverband Rheinland • Herrn Andreas Sellner, Diözesan-Caritasverband Köln • Herrn Jan Orlt, Diakonisches Werk Westfalen/Westfälischer Herbergsverband e.V. die Leistungstypen gemäß den Verabredungen der B1 Gruppe mit der Beschreibung der Bereiche „Art und Umfang“, „Qualitätsanforderungen“ und „personelle und sachliche Ausstattung“ fertiggestellt. Zum Katalog insgesamt haben sich als Konsequenz aus dem Pre-Test noch zwei grundlegende Änderungen ergeben: • Es wurde auf einen Leistungstyp (30) „Integrationshilfe mit Tagesstrukturierung“ zugunsten einer ergänzenden Formulierung im Leistungstyp 26 „Hilfe zur Arbeit“ verzichtet. • Die Leistungstypen für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten mit einer Suchtproblematik und für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten mit psychischen Beeinträchtigungen wurden in einen Leistungstyp zusammengefasst. Für die Leistungstypen der Hilfe nach § 72 BSHG können Merkmale beschrieben werden, die allen Leistungstypen immanent sind. Die Leistungstypen unterscheiden sich über dieses „Grundsetting“ hinaus in ihren spezifischen Ausrichtungen und Ausprägungen. Anders als vom Westfälischen Herbergsverband e.V. vorgeschlagen, wurden diese Merkmale für den jetzt gültigen Stand der Beratungen aus den einzelnen Leistungstypen herausgelöst und in so genannten „Vorbemerkungen“, die für alle Leistungstypen gültig sind, dem Katalog vorangestellt. Zur Frage der Berücksichtigung besonderer Leistungen für Frauen wurde in den Verhandlungen vereinbart, in allen Leistungstypen in der Zeile „Modifikation“ den Hinweis „spezielle Angebote für schwangere und allein erziehende Frauen“ aufzunehmen (dies gilt nicht für den Leistungstyp 26). Nach Rückkoppelung der Beratungsergebnisse mit den Mitgliedsverbänden hat die Arbeitsgruppe am 01. Oktober 1999 der B1-Gruppe ihre Ergebnisse zur abschließenden Beratung und Beschlussfassung vorgelegt. Der nächste Schritt im Umgang mit den Leistungstypen der stationären Hilfe gemäß § 72 BSHG sieht vor, die qualitative Beschreibung zu quantifizieren, d.h. im Ergebnis festzulegen, wie viel Personal für die Erbringung der Leistungen notwendig ist. In 1999 gab es erste Modelle zur Berechnung von Personalschlüsseln und damit von Maßnahmepauschalen, die sich jedoch für die Praxis als nicht umsetzbar erwiesen haben. Die Verhandlungen werden im Jahr 2000 vermutlich bis zum Jahresende andauern. Festschrift Medizinische Versorgung Fußnoten 1 vergl. „Katalog der Leistungstypen der Hilfe für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten gemäß § 72 BSHG“, WHV, 1998 2 vergl. „Der Pre-Test – Ergebnisse und Bewertung“, WHV, Mai 1999 aus: Hilfe für Wohnungslose Menschen, Westfälischer Herbergsverband e.V Januar 2000, S. 2-5 Mehr Glück Hätte meine Wiege in einem Obdachlosenasyl gestanden, gehörte ich heute wohl auch zu den „Asozialen“. Hätte ich meine Kindheit und Jugend in Heimen verbracht, wäre ich vermutlich auch auf die schiefe Bahn geraten. Wäre ich im „Milieu“ aufgewachsen, hätte ich wahrscheinlich auch eine kriminelle „Karriere“ gemacht. Es ist nicht mein Verdienst, dass ich Ein „anständiger“ Mensch geworden bin. Ich hatte mehr Glück oder weniger Pech im Leben gehabt als andere, über die ich den Stab breche. Christian Kipping 39 Medizinische Versorgung wohnungsloser und von Armut betroffener Menschen Wohnungslose und von Armut betroffene Menschen gehen nicht zum Arzt oder werden nicht behandelt oder haben kein Geld für eine Behandlung. Ende der 1990er Jahre machte sich vor allem die Wohnungslosenhilfe in ganz Deutschland auf den Weg, diesem Notstand durch aufsuchende medizinische Projekte abzuhelfen und den Anschluss der Klienten an die Regelversorgung zu versuchen. Es ist bis heute ein Dauer thema der Wohnungslosenhilfe. Ausgangssituation Studien haben belegen können, dass alleinstehende wohnungslose Menschen in weitaus höherem Maße als andere Personen der Bevölkerung von körperlichen wie auch psychischen Erkrankungen betroffen sind (so Locher 1990; Eikelmann, et al. 1992; Trabert 1994; Podschus & Dufeu 1995; Fichter, et al. 1996; Becker, et al. 1999). Die Ursachen dafür liegen in den Lebensbedingungen, denen die wohnungslosen Menschen in der Wohnungslosigkeit ausgesetzt sind, in Erkrankungen, die sie vor ihrem Wohnungsverlust erlitten haben, in der gesundheitlichen Selbsteinschätzung der wohnungslosen Menschen und in strukturellen Zugangsbarrieren zum etablierten medizinischen Versorgungssystem (Kunstmann, et al. 1996). Schwierigkeiten bei der Sicherstellung einer adäquaten medizinischen Versorgung wohnungsloser Menschen haben sich in der Vergangenheit vor allem aufgrund der schlechten Erreichbarkeit und der unzureichenden Therapiermöglichkeiten unter den Lebensbedin- 40 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Medizinische Versorgung Festschrift Medizinische Versorgung 40 gungen einer fehlenden Wohnung als Rückzugs- und Schonraum ergeben. Hinzu kommen begrenzte Möglichkeiten, wohnungslose Menschen zu einer Behandlung zu motivieren sowie strukturelle Probleme des Systems der kassenärztlichen Versorgung. Dies belegt nachdrücklich auch der Abschlussbericht über die in Bochum, Dortmund, Bielefeld und Münster von 1996 bis Ende 1997 durchgeführten Modellprojekte. „43,1 Prozent der Projektnutzer hatten keinerlei ärztliche Versorgung. Bei der Hälfte dieser Gruppe (20,2 Prozent aller Nutzer) war zudem der Krankenversicherungsschutz ungeklärt“ (Abschlußbericht des Modellprojektes Aufsuchende Gesundheitsfürsorge für Obdachlose, Kunstmann 1998, S.42). Die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe haben gem. § 72 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) das Ziel, Menschen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Die hierfür zur Verfügung stehenden Maßnahmen sind: Beratung und persönliche Betreuung, die Beschaffung und Erhaltung einer Wohnung, die Beschaffung und Erhaltung einer Arbeits- oder Ausbildungsstelle sowie Hilfen zur Begegnung und Gestaltung der Freizeit (§ 72 BSHG und Durchführungsverordnung zu § 72 BSHG). Dauerhafte körperliche, psychische und soziale Gesundheit setzt in erster Linie den Schutz durch eine Wohnung und materielle Existenzsicherung sowie die Entwicklung von Lebensperspektiven voraus. Diesen Aspekten wird deshalb in der Beratungs- und Betreuungsarbeit wohnungsloser Menschen eine sehr hohe Priorität beigemessen. Daneben ist es auch erforderlich, Hilfen zur Bewältigung akuter gesundheitlicher Problemlagen sicherzustellen. Entsprechend dem gesetzlichen Auftrag, „auf die Inanspruchnahme der für [den Hilfeempfänger] in Betracht kommenden Sozialleistungen hinzuwirken“ (§ 7 Durchführungsverordnung zu § 72 BSHG), versuchen die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe wohnungslose Menschen Festschrift Medizinische Vesorgung auch im Hinblick auf die medizinische, gesundheitliche Versorgung zu aktivieren. Sie arbeiten dazu mit niedergelassenen Ärzten, Selbsthilfegruppen und mit Kliniken der Regelversorgung zusammen. An vielen Orten versuchen multiprofessionelle Teams, überwiegend durch aufsuchende Hilfe die gesundheitliche Versorgung vor allem für wohnungslose Menschen zu verbessern. Die medizinische Erst- und Grundversorgung geschieht dabei ohne Vorbedingungen auch bei unklarem Versicherungsstatus. Diese Angebote finanzieren sich zum Teil im System der kassenärztlichen Versorgung über so genannte Ausnahmeermächtigungen. Darüber hinaus sind häufig weitere Finanzierungswege, z.B. über Spendenmittel, zur Aufrechterhaltung der Arbeit notwendig. Wir stellen fest, • • • dass sich die Diskussion in der Fachöffentlichkeit in einem Spannungsfeld zwischen folgenden Aussagen und Positionen bewegt. Das System der kassenärztlichen Versorgung ist funktionsfähig und für den Personenkreis wohnungsloser Menschen leistungsfähig. Es muss daher Ziel aller Anstrengungen sein, die Betroffenen zur Nutzung des Regelsystems zu motivieren. Das System der kassenärztlichen Versorgung kann keine angemessene medizinische Versorgung wohnungsloser Menschen sicherstellen. Es muss daher Ziel sein, eine ergänzende Versorgung zu etablieren und eine eigene medizinische Zusatzqualifikation zu entwickeln.Dieses Spannungsfeld wird mit örtlich unterschiedlichen Polarisierungen in allen Diskussionen um die Frage der medizinischen Versorgung wohnungsloser Menschen deutlich. Konsens besteht in den Diskussionen in der Feststellung, dass es an der Schnittstelle zwischen dem „Leben in besonderen Lebensverhältnissen“ (Leben auf der Straße, Leben in Armut) und dem System der 41 kassenärztlichen Versorgung einen Bruch gibt, der die medizinische Versorgung des Personenkreises erschwert wenn nicht gar verhindert. Betroffen sind auch Menschen, die zwar eine Wohnung haben, aber aufgrund besonderer Lebensverhältnisse, verbunden mit sozialen Schwierigkeiten bisher keinen Zugang zum System der kassenärztlichen Versorgung finden bzw. mit den gleichen Schwierigkeiten kämpfen wie wohnungslose Menschen. Die Postition des Westfälischen Herbergsverbandes e.V. Die besondere gesundheitliche Situation wohnungsloser Menschen muss stärker als bisher beachtet werden. Die Sicherstellung der medizinischen Versorgung wohnungsloser Menschen ist vorrangig in den bestehenden Hilfesystemen weiter zu entwickeln. Dies sollte in der Ausgestaltung einer in Ansätzen schon vorhandenen engen Kooperation der bestehenden Hilfesysteme „Kassenärztliche Versorgung“ und „Wohnungslosenhilfe“ geschehen. Aus: Medizinische Versorgung wohnungsloser und von Armut betroffener Menschen – Positionspapier des WHV Hrsg.: Westfälischer Herbergsverband e.V., Jan Orlt Münster, Juli 2000 42 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Fundraising Konzepte Fundraising-Konzepte für das Projekt „Aufsuchende Hilfen zur Krankenpflege“ des Diakonischen Werkes Dortmund 1. Ausgangslage Das ehemalige Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS) hat im November 1996 das Förderkonzept „Beispielhafte Hilfen zur dauerhaften Wohnraumversorgung für Wohnungsnotfälle“ verabschiedet. Die Landesregierung hatte es sich dabei zur Aufgabe gemacht, gemeinsam mit den Gemeinden, den Trägern der Freien Wohlfahrtspflege und anderen Initiativen nach Wegen zu suchen, bestehende Möglichkeiten der Prävention offensiv zu nutzen, um Wohnungsnotfälle zu vermeiden. Für einen befristeten Zeitraum von zwei bis drei Jahren und mit einem finanziellem Förderungsbetrag von 80 Prozent bzw. 70 Prozent der anerkannten Personalkosten und zehn Prozent der anerkannten Sachkosten wurden jeweils unterschiedliche „Bausteine“ (nicht alle Bausteine enthielten eine Sachkostenpauschale) zu folgenden drei Schwerpunkten gefördert. 1. Stärkung der Prävention zur Vermeidung von Wohnungsnot fällen 2. Maßnahmen sozialer Wohnprojekte für Wohnungsnotfälle 3. Entwicklung aufsuchender Beratungs- und Hilfeangebote für Wohnungsnotfälle. Für die externe Projektbegleitung des Förderkonzeptes hatte das Land NRW im November 1996 im Institut für Landesund Stadtent- wicklungsforschung (ILS) in Dortmund die Programmgeschäftsstelle „Wohnraumversorgung für Wohnungsnotfälle“ eingerichtet, die über Bewilligung oder Ablehnung der gestellten Projektanträge entschied, darüber hinaus aber auch die potenziellen Antragsteller im Vorfeld beriet. Das Diakonische Werk Dortmund bekundete von Anfang an großes Interesse an dem Förderkonzept und erhielt nach Antragstellung die Bewilligung für folgende zwei Projekte: 1. Projekt „Aufsuchende Beratung“ 2. Projekt „Aufsuchende Hilfen zur Krankenpflege“ Die Notwendigkeit zur Entwicklung und Umsetzung von FundraisingKonzepten ergab sich für beide Projekte in Anbetracht der Teilfinanzierung durch das Land NRW von selbst. Die zusätzlich zu erbringenden finanziellen Mittel für Personal- und Sachkosten konnten darüberhinaus wegen der angespannten Haushaltslage vom Diakonischen Werk Dortmund als Maßnahmeträger aus Eigenmitteln nicht aufgebracht werden und mussten deshalb zusätzlich akquiriert werden. Exemplarisch dazu werden im Folgenden vier Fundraisung-Konzepte für das Projekt „Aufsuchende Hilfen zur Krankenpflege“ dargestellt. Für dieses Projekt wurden 80 Prozent der Personalkosten für eine Krankenpflegekraft vom Land NRW übernommen, eine Sachkostenpauschale war nicht ausgewiesen. Mit der systematischen Einwerbung von zusätzlichen Spendenmitteln für ein zeitlich befristetes Projekt war folgerichtig der Auftrag impliziert, mit einer glaubhaften Außendarstellung des Projektanliegens nicht nur potenzielle Geld- und Sachspenden kurzfristig zu gewinnen, sondern sie nach Möglichkeit dauerhaft von der Projekt idee zu überzeugen und zu binden. Festschrift Fundraising Konzepte Fundraising ist insofern im höchsten Maße Beziehungsarbeit zu potenziellen Spendern und zu Multiplikatoren des Projektanliegens. Der regelmäßige Kontakt zur regionalen Presse ist dabei von besonderer Bedeutung, denn nur mit ihrer Unterstützung gelingt es, den Bekanntheitsgrad eines besonderen Anliegens zu erhöhen. Das Projekt „Aufsuchende Hilfen zur Krankenpflege“ wurde im April 1998 in einer Pressekonferenz vorgestellt. Der erste Umsetzungsschritt für ein Fundraising-Konzept war damit realisiert. Das Projekt wurde einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht. Weitere Umsetzungsschritte auf unterschiedlichen Ebenen sollten folgen. 2. Mitteleinwerbung über Kirchengemeinden Fundraising bezeichnet (...) zusammenfassend alle Aktivitäten, die sich auf die Beschaffung von Ressourcen (Zeit, Geld. Sachmittel) für einen bestimmten Zweck richten.“1 Bei der ersten systematischen Umsetzung eines Fundraising-Konzeptes galt der Blick zunächst „den eigenen Reihen“, d.h. vor allem den kirchengemeindlichen Ressourcen, und zwar aus folgenden Gründen: 1. Das Diakonische Werk Dortmund hat mit seinen vielfältigen sozialen Dienstleistungsangeboten in den Kirchengemeinden einen guten Ruf. 2. Die krankenpflegerische Hilfe für obdachlose Menschen ist kein abstraktes Konzept, sondern sichtbarer Ausdruck konkreter diakonischer Hilfe für die Ärmsten der Armen. 3. Diese Projektbotschaft ist für den potenziellen Spender nachvollziehbar. Persönliche Betroffenheit und das Gefühl, obdachlosen Menschen helfen zu wollen, sind für viele Gemeindeglieder die emotionalen Motive zum Spenden. Geben (Spenden) und Nehmen (immaterielle Gründe) stehen im Einklang. 43 Fundraising ist Beziehungsarbeit, ein ständiger kommunikativer Austauschprozess zwischen Fundraiser und Spender. Methodisch wurde dieser Austauschprozess in den Kirchengemeinden in Form von Vorträgen in unterschiedlichen Arbeitskreisen umgesetzt. Daneben wurden einige ausgewählte Kirchengemeinden schriftlich über das Projekt informiert mit dem Angebot, das Projekt durch die Projektmitarbeiter in den jeweiligen kirchlichen Arbeitskreisen vorzustellen. Die Resonanz auf die erbrachten Fundraisingaktivitäten in den Kirchengemeinden war beachtlich: Bis August 2000 wurden Beträge in fünfstelliger Höhe gespendet. Es handelt sich dabei um • Direktspenden einzelner Kirchengemeinden, • Einzelspenden, darunter von einem Ehepaar, das anlässlich seiner Geburtstage auf Präsente zugunsten des Projektes verzichtete. Die Wertschätzung und Anerkennung für die vom Spender erbrachte Leistung gebietet sich im Rahmen von Fundraisingaktivitäten von selbst; wiederholt muss sich der Fundraiser bei den Spendern dafür schriftlich oder mündlich bedanken. 3. Mitteleinwerbung über Haussammlungen Mit dem Projekt „Aufsuchende Hilfen zur Krankenpflege“ für obdachlose Menschen bietet das Diakonische Werk Dortmund eine Leistung an, die mit ihrem modellhaften Charakter in der Landeskirche von Westfalen einzigartig ist. Diese Leistung sollte weiterhin öffentlichkeitswirksam präsentiert werden in der berechtigten Hoffnung, dass sie entsprechend honoriert werde. 44 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Fundraising Konzepte Fundraising bedeutet in diesem Zusammenhang nicht nur das Einwerben von mildtätigen Spenden für irgendeinen Zweck, sondern für eine besondere konkrete Leistung, deren Wert und Nutzen sich das Diakonische Werk Dortmund als Leistungsanbieter bewusst ist. Einzelspenden für die Wohnungslosenhilfe des Diakonischen Werkes Dortmund in 1999. Unter dem Motto „Stark für Schwache“ begann am 14. November 1998 in Dortmund und Lünen die Adventssammlung 1998. Die Adventssammlung ist eine Haussammlung, bei der ehrenamtliche Mitarbeiter im direkten Gesprächskontakt an der Haustür bei dem Spender für einen guten Zweck werben. Die eingehenden Spendenbeträge werden nach einem bestimmten Verteilerschlüssel zwischen örtlichen Kirchengemeinden, örtlicher Diakonie und dem Diakonischen Werk von Westfalen aufgeteilt. Den guten Zweck präsentierte die Diakonie in einem besonderen Fallblatt. Die erfolgversprechendste Fundraising-Aktivität ist die dauerhafte Gewinnung von Geld-, Sach- und Zeitspendern für die eigene Organisation. Sie ist dann erreicht, wenn aus einem anfänglich interessierten Sympathisanten für die eigene Organisation ein Anhänger und Förderer wird, der sich in letzter Konsequenz mit den Zielen der Organisation identifiziert und sich aktiv an der Umsetzung partieller Organisationsziele beteiligt. Dieses auch Relationship-Fundraising2 bezeichnete Tun ist aber nur unter zwei wesentlichen Voraussetzungen realisierbar: • Es muss ein permanenter Dialog zwischen werbender Organisation und potenziellem Spender in Gang gesetzt werden und aufrechterhalten bleiben. • Es muss der werbenden Organisation gelingen, dem potenziellen Spender einen emotionalen Bezug zu der Organisation zu vermitteln. Als ein effektives Leistungsangebot wurden exemplarisch die Hilfen für wohnungslose Menschen benannt. Das Projekt „Aufsuchende Hilfen zur Krankenpflege“ wurde dabei besonders hervorgehoben. Das selbstbewusste Auftreten der „Diakonie“ in der Öffentlichkeit („Stark für Schwache“) führte zu einem beachtlichen Ergebniserlös und wurde anteilmäßig dem Haushaltsbereich der Wohnungslosenhilfe des Diakonischen Werkes Dortmund (ZBS) zugeordnet. 4. Fundraising als kommunikativer Prozess, dargestellt am Beispiel eines Dortmunder Lions Club Mit der Umsetzung des Fundraising-Konzeptes „Haussammlung“ ist es dem Diakonischen Werk Dortmund als NP(Non Profit)-Organisation in besonderer Weise gelungen, auf Einmaligkeit, Qualität und Nutzen eines speziellen Dienstleistungsangebotes (Wohnungslosenhilfe) öffentlichkeitswirksam hinzuweisen. Auf der Grundlage der AIDA-Formel dazu folgendes gelungene Beispiel für das Projekt „Aufsuchende Hilfen zur Krankenpflege“ des Diakonischen Werkes Dortmund: Durch die Berichterstattung über das Projekt in der örtlichen Presse aufmerksam geworden, lud ein Dortmunder Lions Club im November 1998 die Geschäftsführerin des Diakonischen Werkes Dortmund zu einem Vortrag über das Projekt ein (Attention). Die Methoden der persönlichen Ansprache vor der Haustür sowie die sachliche Information via Faltblatt waren ein Marketing-Mix, der zu einer erfolgreichen Spendenakquisition führte und bei vielen Spendern das Gefühl vermittelt hatte, in eine lohnenswerte Sache investiert zu haben oder in Zukunft investieren zu wollen. Möglicherweise ist ein Indiz das im Vergleich zu 1998 erhöhte Aufkommen von Im Vorfeld dieses Vortrages wurden der Geschäftsführerin zwei Praxisbeispiele geschildert, die die Projektmitarbeiterin am Vortag unter tragischen Begleitumständen erlebt hatte. Diese zwei Fallbeispiele trug die Geschäftsführerin den Lions-Clubmitgliedern vor. Bewusst hat sie es dabei vermieden, das Konzept des Projektes in seinen Einzelheiten theoretisch zu erläutern, denn die Benennung Festschrift Fundraising Konzepte konkreter Fallbeispiele wirkt auf den potenziellen Spender überzeugender als die bloße theoretische Darstellung eines spezifischen, für den möglichen Spender kaum nachvollziehbaren Sachverhaltes (Interest). 14 Tage später informierte sich das für die Öffentlichkeitsarbeit des Lions Club zuständige Mitglied vor Ort über die Hilfeangebote des Diakonischen Werkes Dortmund für Wohnungslose. Bei dieser Gelegenheit teilte er mit, dass die Mitglieder des Lions Club sich für eine aktive Unterstützung und finanzielle Förderung des Projektes entschieden hätten (Desire). Das Diakonische Werk Dortmund hatte mit dem Lions Club einen aktiven Unterstützer, Freund und Partner der eigenen Organisation gewonnen. Das weitere interaktive Geschehen zwischen dem Lions Club und dem Diakonischen Werk Dortmund ist an dieser Stelle nur kurz skizziert (Action): 1. Benefizkonzert des Lions Club am 04.03.1999 zu Gunsten des Projektes „Aufsuchende Hilfen zur Krankenpflege“ 2. Presseerklärung des Lions Club über die Unterstützung des Projektes am 19.04.1999 3. Visitationen von Lions Clubmitgliedern in den Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe des Diakonischen Werkes Dortmund im Mai und September 1999 4. Zweites Benefizkonzert des Lions Club zu Gunsten des Projektes am 27.02.2000 5. Zusage des Lions Club, bei der großen Benefizgala aller Dortmunder Lions Clubs in der Spielbank Dortmund-Hohensyburg am 24.11.2000 für das Projekt zu sammeln. 6. Dankesschreiben, ständiger Informationsaustausch untereinander (Relationship-Fundraising) 45 5. Door-Opening-Versuche für Social-Sponsoring Das Projekt „Aufsuchende Hilfen zur Krankenpflege“ endet zum 31.03.2001. Wegen seiner guten Akzeptanz bei wohnungslosen Menschen und der von einer breiten Öffentlichkeit erfahrenen Wertschätzung und Unterstützung soll das Projekt nach dem Willen der Geschäftsführung des Diakonischen Werkes Dortmund nach Projektende fortgeführt werden. Gegenwärtig werden dazu unterschiedliche Überlegungen angestellt. Die Gründung eines eingetragenen Vereins als neuer Maßnahmeträger ist angedacht, für den das Land NRW bereits eine weitere dreijährige Teilfinanzierung in Aussicht geteilt hat. Eine Alternative dazu ist eine zeitlich befristete Finanzierung der Arbeit der „Aufsuchenden Hilfen zur Krankenpflege“ über SocialSponsoring. Damit ist jedoch ein Finanzierungsfeld angesprochen, auf dem das Diakonische Werk Dortmund über unzureichende Erfahrung verfügt. Nach Bruhn ist Sponsoring „die gezielte Bereitstellung von Geldund/oder Sach- und/oder Dienstleistungen für Einzelpersonen, Organisationen, Veranstaltungen oder sonstige Projekte zur Erreichung autonomer Ziele“.3 Im Gegensatz zu Spenden, die in der Regel altruistisch erfolgen, ist Sponsoring ein Geschäft, das gekennzeichnet ist durch Leistung und Gegenleistung und das vertraglich geregelt ist. Durch Sponsoring erwartet ein Unternehmen in erster Linie einen Imagegewinn für sich, d.h. der gute Ruf, der einer sozialen Organisation oder einem speziellen sozialen Projekt dieser Organisation vorauseilt, soll für das Unternehmen im Rahmen eines Imagetransfers Nutz- und Gewinnbringend umgesetzt werden. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass nicht jedes beliebige Projekt von Unternehmen gefördert wird, sondern nur solche, die klar und eindeutig konzipiert, innovativ und öffentlichkeitswirksam sind, für die 46 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Fundraising Konzepte es sich unternehmerisch rentiert, eine Geld-, Sach- oder Zeitspende zu investieren. Das Projekt „Aufsuchende Hilfen zur Krankenpflege“ kann die beschriebenen Merkmale und damit die Voraussetzungen für eine mögliche gezielte Unternehmensförderung aufweisen. Das Diakonische Werk Dortmund als Maßnahmeträger für das Projekt „Aufsuchende Hilfen zur Krankenpflege“ hat regional einen guten Ruf und gilt zudem als seriöser Vertragspartner, eine notwendige Voraussetzung für Social-Sponsoring. Bei der Suche nach einem potenziellen Sponsor mussten weitere drei wesentliche Auswahlkriterien bedacht werden: • Das zu fördernde Projekt muss mit der Unternehmensphilosophie des Sponsors übereinstimmen, es muss zur Imageverbesserung des Unternehmens beitragen. • Unternehmen und Diakonisches Werk Dortmund müssen als Vertragspartner zueinander passen. • Es sollte ein regionales Unternehmen sein, denn die meisten Unternehmen legen großen Wert darauf, in ihrer Stadt, in ihrer Region in einen guten Zweck zu investieren. Das Diakonische Werk Dortmund hat sich für eine Kontaktaufnahme mit einem Versicherungsunternehmen entschieden, und zwar aus folgenden Gründen: • Ein expandierendes Unternehmen, das wohlhabenderen Bevölkerungsschichten mit seiner Angebotspalette u.a. privaten Krankenversicherungsschutz anbietet, könnte mit einem medienwirksamen sozialen Engagement für eine völlig konträre Zielgruppe (Wohnungslose) einen Imagegewinn erzielen. • Eine Zusammenarbeit zwischen dem Diakonischen Werk Dortmund und dem Versicherungsunternehmen ist grundsätzlich vorstellbar. • Der regionale Bezug ist gewährleistet. Zunächst musste jedoch eine Door-Opening-Möglichkeit gefunden werden, eine Aufgabe, die sich in der Kontaktanbahnungsphase zu Unternehmen als die schwierigste Aufgabe erweist. Diese Möglichkeit konnte umgesetzt werden. Eine Projektskizze und ein persönliches Anschreiben des Door-Opener wurden zunächst informell an den Vorstand des Unternehmens weitergeleitet. Die unternehmerische Entscheidung für eine finanzielle Unterstützung des Projektes „Aufsuchende Hilfen zur Krankenpflege“ steht gegenwärtig noch aus. Die Geschäftsführung des Diakonischen Werkes Dortmund hat noch keinen offiziellen Kontakt zu der Versicherungsgruppe aufgenommen und will das Ergebnis des informellen Bemühens abwarten. 6. Schlussfolgerungen Fundraising ist kein Zauberwort, sondern ein Marketing-Instrument, das zunehmend an Bedeutung gewinnt. Fundraising bietet vor allem jenen NP-Organisationen die Chance einer zusätzlichen Akquisition von Geld-, Sach- und Zeitspenden, die sich des Wertes und Nutzens ihrer Dienstleistungsangebote bewusst sind und gleichzeitig bereit sind, durch eine überzeugende Außendarstellung neue Menschen als Freunde und Förderer für diese Dienst leistungsangebote dauerhaft zu gewinnen. Erfolgreiches Fundraising setzt einen ständigen lebendigen Dialog zwischen werbender Organisation und potenziellem Spender voraus und fordert dabei insbesondere vom Fundraiser ein hohes Maß an ausdauernder Kommunikationsbereitschaft und -fähigkeit. Fundraising ist methodisch vielfältig und zeitintensiv und kann nicht nebenbei „erledigt“ werden. Festschrift Fundraising Konzepte Bei immer knapper werdenden öffentlichen Mitteln für soziale Aufgaben erweist sich Fundraising jedoch, auch im Segment der institutionellen Wohnungslosenhilfe, als nützlicher und zusätzlicher Impulsgeber für künftige Herausforderungen. Fußnoten 1 T. Weiler: „Praxis Fundraising“, Lemmer-Verlag, 1998, S. 147 2 Vgl. A. Scheibe-Jaeger: „Finanzierungshandbuch für Non-Profit-Organisationen“, Walhalla-Verlag 1998, S. 116 3 Zitiert aus: S. Hatscher: „Kollekten, Spenden, Sponsoring“, Quell-Verlag, Stuttgart, 1998, S.28 Klaus Schröder aus: wohnungslos, 42. Jg., 4/2000, S. 149-152 47 48 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Zehn Jahre Arbeitsgelegenheiten Zehn Jahre Arbeitsgelegenheiten dann kommen Sie mal näher!! Ich erzähl Ihnen in der Zwischenzeit ein bisschen von mir und dann von dem, was ich hier tue. „Pantoffelwerkstätten“ hießen die kleinen Werkräume in den stationären Einrichtungen, weil die Klienten dort in ihren Pantoffeln hingehen konnten. Die Angebote halfen den Tag zu verkürzen – Arbeit finden konnten die Männer (und wenige Frauen) damit nicht. Dass sollte sich 1990 mit der Entwicklung und Umsetzung des Konzeptes der Arbeitsgelegenheiten gänzlich und bis heute erfolgreich ändern… Ich bin über fünfzig Jahre alt, ledig weil geschieden, habe den Hauptschulabschluss, hatte eine Lehre angefangen, bin dann aber Arbeiter geworden. In einer Einrichtung befinde ich mich zum fünften Mal, lebe jetzt hier in einem Doppelzimmer, das Bad ist über den Flur. Ich bin seit mehr als vier Jahren arbeitslos und gehöre zu den Superlangzeitarbeitslosen. In diese Werkstatt gehe ich ganz gern, sie ist ja nicht weit von meinem Zimmer entfernt. Deshalb muss ich auch nicht viel mitnehmen. Das sehen sie ja! Ausstattungs-Checkliste: Arbeitsplatz E-Hof 1988: Küchentisch, Küchenstuhl mit Schaumstoffunterlage, Wachmaschinenmotor, Schraubenzieher, Fußschalter von Nähmaschine, Lüsterklemmen, Hintergrund: Alte Badezimmerlampe Der Heimleiter hatte mir gesagt, ich solle hier erst mal arbeiten, er würde mich dann immer mal woanders einsetzen. Persönliche Ausstattung: Parallello Braun-gelb karierte Hausschuhe Plastiktüte mit Thermoskanne, Aschenbecher, Bildzeitung Meine sehr geehrten Damen und Herren, lieber Herr Lippert, lieber Herr Pastor Ruschke, lieber Andreas Hutter, liebe Sabine Riddermann, im Rahmen unseres heutigen Festprogramms habe ich die Aufgabe übernommen, zurückzuschauen. Retro ist heute wieder absolut modern. Mein Name ist Horst Fleißig, ich freue mich, dass Sie sich für meine Arbeit und meinen Arbeitsplatz interessieren. Ich habe allerdings nicht mit so vielen gerechnet, heute im November 1989. Na, Hier gibt es einen Werkstattleiter, den kenne ich aber auch ganz gut, weil der an den Wochenenden Wochenenddienst hat oder auch Hausmeisterdienste im Heim drüben verrichtet. Hier in der Werkstatt geht es ganz piano zu: Wir sind 48 Personen und kennen uns ja alle aus dem Heim, darunter sind auch einige Rentner. Die sagen immer, mit den Rentnern könnteste was tun, weil die regelmäßig kommen und die Arbeit ohne zu murren erledigen. Ist schon klar: Unsereins muss mal zur Bewährungshilfe, zum Wohnungsamt, zum Arbeitsamt dauernd, bist eigentlich ständig auf Achse. Trotzdem arbeiten wir hier 40 Stunden in der Woche. Ich mach zurzeit diese Lüsterklemmen für die Lampenindustrie. Dann machen wir noch Möbelleuchten, Fahrzeugleuchten, verpacken Plastikspielzeug, bauen Fahrradklingeln zusammen, alles was so kommt. Ziemlich einfache Arbeit und immer gleich ein paar tausend Stück, eigentlich ziemlich stupide. Manchmal, wenn ich mich am Tag hier so richtig eingearbeitet habe, kommt die Hausmutter und holt mich in die Küche, weil schnell Kartoffeln geschält oder Gemüse geputzt werden muss, damit Festschrift Zehn Jahre Arbeitsgelegenheiten mittags etwas auf den Tisch kommt. Der Werkstattleiter hat das nicht gern, weil er dann nicht weiß, wie er die angenommene Arbeit zeitlich und von der Menge her schaffen soll. Aber so ist das. Die Hausmutter ist ja die Frau vom Chef. Was fragst du, ob man hier auch schwänzen kann? Man, dann kommt gleich der Heimleiter an. Hier ist Arbeitspflicht, sagt der immer, das war schon unter Bodelschwingh so, wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen! Also, hier läuft alles über Arbeit. Sonst kämen die da drüben auch gar nicht klar. Was soll man denn auch machen den ganzen Tag, da fangen viele an zu saufen. Die helfen dir hier auch, dass du wieder eine Arbeitsstelle findest, aber mit der Adresse, bei so vielen Arbeitslosen und wenn man dich dann fragt, was du gearbeitet hast, dann kannst nur sagen Behindertenarbeit. Ich glaube, da läuft nicht mehr viel. Also, weil ich zu lange in Einrichtungen dieser Art gelebt habe, gibt‘s später eine schmale Rente, ich hab zu wenig geklebt. Wie bitte, Sie fragen mich nach meinem Verdienst? Das mag ich gar nicht laut sagen. Hier verdient man bei 40 Stunden in der Woche bis zu 127,-- im Monat, natürlich ohne Sozialversicherung. Die rechnen das immer genau so aus, dass man keinen Aufwendungsersatz zahlen muss. Also keinen Beitrag aus seinem Einkommen an den Kosten der materiellen Hilfe. So heißt das wohl. Und wenn du sie fragst, wo denn das ganze schöne Geld bleibt, das wir erwirtschaften, dann gibt es immer die gleiche Antwort: 70 Prozent der Nettoerlöse gehen an den Landschaftsverband zurück, zur Minderung der Aufwendungen für die stationäre Hilfe, also als Einnahmen im Pflegesatz. Der Rest wird ausgezahlt, und dann kommt dabei nur eine Prämie herum. Da fragst du dich doch, wer eigentlich ein Interesse an Erlösen hat oder an einer guten Produktivität des Einzelnen. Und so haben sie mir einmal erklärt: Alle Werkstätten des Trägers haben insgesamt 1988 DM 830.191,-- 49 Gesamterlösen erwirtschaftet, Sie haben davon 310.412,-- Aufwendungen abgezogen und nur 191.942 in Form von Prämien bezahlt. Bei durchschnittlich 142 Werkstattplätzen macht das 112,64 monatlich im Durchschnitt. Daneben arbeiten aber noch über 100 Leute täglich in den Hauswirtschaften. Die kriegen eine etwas höhere Prämie oder mal ein Pack Tabak mehr oder eine Stück Plockwurst. Dafür haben die keine Arbeitszeit und müssen oft auch sonntags oder für Besuchergruppen parat sein. Eigentlich dachte ich immer, das wäre Sozialhilfe. Insgesamt finde ich das weder sozial noch eine besonders gute Hilfe. Die haben aber versprochen, dass bald alles anders wird. Sie nennen das die Neuorganisation der Arbeitsgelegenheiten. Jacke ausziehen, Schuhe wechseln. Krawatte richten. Horst Fleißig war der „Durchschnittsbefragte“ der Studie zur Arbeitssituation in den v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel aus dem Jahr 1988. Als Kritik an dem damaligen Hilfeverständnis und gleichzeitig als Veränderungswünsche der Betroffenen werden hier deutlich genannt: • die fehlende Zielrichtung der Hilfe, • die ungewöhnlichen, wirklichkeitsfernen Arbeitsbedingungen, • die monotone Arbeit, • die unzeitgemäße Geschäftsausstattung mit zum Teil zwar kreativen aber unprofessionellen Vorrichtungen, • der unabgesprochene Wechsel des Arbeitsortes, • die Wahrnehmung von Arbeit als Zwang oder Strafe, • die unüblichen, atypischen und völlig intransparente Entlohnung, • die fehlenden Arbeitnehmer- und Versicherungsrechte, • die mangelnde Arbeitssicherheit, • die fehlende Perspektive, • die fehlende Beteiligung an der Gestaltung, 50 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Zehn Jahre Arbeitsgelegenheiten • der fehlende Anreiz und die daraus resultierende geringe Arbeitsmotivation, und angesichts relativ großer Desillusionierung auch geringe Ausstiegsmotivation, vom System generierte Armseligkeit und damit auch in vielen Fällen Maßnahmeabbrüche, weil sich die Menschen an anderen Orten z.B. in Niedersachsen (Niedersächsischer Erlass Arbeit seit 1985) eine Verbesserung ihrer Situation versprachen, es besteht die Gefahr, dass der Imagevergleich mit Knastarbeit Dequalifizierungsprozesse verstärkt. • • • So, meine Damen und Herren, was haben wir 1989 zusammen mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe, der ganz besonders mit Herrn Lippert „Motor“ der Neuorganisation war, entwickelt. Ich nenne Ihnen keine Zahlen, sondern nur grobe Entwicklungen. Wesentliche Grundvoraussetzung war die Entwicklung und Verabredung einer Konzeption, mit der Hilfen zur Erlangung und Sicherung eines Platzes im Arbeitsleben als Überschrift die Zielrichtung angaben. Das Ziel ist die Integration auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durch Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten, die sich aus spezifischen Lebenslagen ergeben. Insofern haben wir die Maßnahme in die Module „Orientierung“, „Qualifizierung“ und „Betreute Arbeit“ unterteilt und konzeptionell gefüllt. Wir haben uns damals auch leiten lassen von Entwicklungen bei den modernen Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch das Arbeitsamt. Wichtiger Kernpunkt der Überlegungen war die Trennung der Lebensbereiche Wohnen und Arbeiten und das Durchbrechen des „Pantoffelwerkstattcharakters“. Mit der Organisationsform der teilstationären Einrichtung wurden Investitionen möglich hinsichtlich der grundsätzlichen Ausstattung der Arbeitsgelegenheiten mit baulichen Ressourcen, Fahrzeugen, Maschinen, Werkzeugen etc. Der Personalschlüssel ähnelte stark den damals gültigen Regelungen von durch die Europäische Gemeinschaft kofinanzierten Maßnahmetypen. Damit waren Grundvoraussetzungen geschaffen, um eine vernünftige, arbeitsmarktlich ausgerichtete Qualifizierungsarbeit neu zu entwerfen. Mit zusätzlichen Mitarbeitern entwickelte sich zunehmend eine betriebswirtschaftliche Ausrichtung der Arbeit, es verbesserte sich die Ertragssituation durch professionellere Arbeitsakquise und Preisverhandlung mit potenziellen Auftraggebern, es entstanden neben den klassischen Werkstattplätzen eine Vielzahl an Projekten und kleineren befristeten Maßnahmen. Die Werkstatt ist heute sozusagen Synonym für eine Vielzahl arbeitsmarktlich relevanter Beschäftigungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten, mit denen die verzweifelte Monotonie der Beschäftigung früherer Jahre aufgehoben werden konnte und unterschiedliche Arbeitsanforderungen in differenzierten Tätigkeiten möglich wurden. Ich nenne Ihnen das beachtliche Spektrum der in Westfalen-Lippe vorgehaltenen Qualifizierungsmaßnahmen: Fahrradstation, Stadtverschönerung, Möbelbörsen, Kunstschmiede, Polsterei, industrielle Montagearbeiten, Verpackungen, grüne Dienstleistungen, Schlosserei, Tischlerei, Polsterei, Erstellung von Häusern für und mit Obdachlosen und Wohnungslosen, Garten- und Landschaftspflege, Baudienstleistungen, Malen und Tapezieren, Glas- und Gebäudereinigung, Bewerbungstrainings, Bildungsangebote wie z.B. Computerkurse etc.. Über die gängigen zusätzlichen Fördermöglichkeiten wie ABM, Arbeit statt Sozialhilfe etc. konnten europäische Mittel aus den Programmen Horizont, Integra und Cover eingeworben werden. Diese neue Bewegung in der Wohnungslosenhilfe wurde unterstützt durch die Freigabe der Erlöse zur Ausschüttung an die Wertschöpfer unter Abzug der so genannten betriebsbedingten Aufwendungen. Damit wurden die Erträge nicht mehr pauschal mit 70 Prozent an den Festschrift Zehn Jahre Arbeitsgelegenheiten Sozialhilfeträger zurückgeführt, sondern ausgeschüttet und dem „normalen“ Aufwendungsersatz unterzogen. Mit dieser Änderung verbesserte sich die Motivation der Maßnahmeteilnehmer und die gesamte Produktivität. Freilich: Die Zahlung von Tariflohn ist auch heute nur durch Kombination mit anderen Fördermittel z.B. des Arbeitsamtes oder aus dem Förderkomplex der §§ 18 ff. BSHG möglich. Aber wir haben in Westfalen-Lippe trotzdem ein sehr bedeutendes Ziel erreicht. Nach Ablauf der Orientierung (im Regelfall nach drei Monaten) setzt die Sozialversicherungspflicht ein! Der weitaus größte Teil der Betroffenen ist somit – wenn auch mit relativ kleinen Beiträgen – an das Sozialversicherungssystem angeschlossen oder erwirbt bestimmte Ansprüche gegenüber der Arbeitsverwaltung. Für all diese positiven Entwicklungen mussten weitergehende Rechtsklärungen erzielt werden, die wir gemeinsam zwischen dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe und dem Fachverband herstellen mussten und zu einvernehmlichen Lösungen führen konnten, z.B. steuerrechtliche Fragen, arbeitsförderungsrechtliche Fragen und sozialversicherungsrechtliche Aspekte. Hilfen zur Erlangung und Sicherung eines Platzes im Arbeitsleben existieren in den Städten: Soest, Hamm, Paderborn, Lüdenscheid, Gevelsberg, Herford, Siegen und Bielefeld mit insgesamt 525 teilstationären Plätzen. Daran beteiligt sind fünf Träger. Je nach der Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik in den beteiligten Regionen ist es unterschiedlich gelungen, die Arbeitsgelegenheiten als Bestandteil der regionalen Arbeitsmarktpolitik zu integrieren. Aber immerhin geschieht das an einigen Orten und führt zu der außerordentlich sinnvollen Kombination von Mitteln des kommunalen Sozialhilfeträgers mit überörtlichen Mitteln, mit EG-Mitteln oder mit Mitteln der beteiligten Arbeitsämter. Die Arbeitsgelegenheiten entwickeln sich zu nehmend zu Qualifizierungsträgern für in ganz besonderer Weise vom 51 Arbeitsmarkt ausgegrenzte Arbeitslose. Und so fällt die Zielgruppe z.B. auch unter neue Finanzierungsmöglichkeiten des Europäischen Strukturfonds, das so genannte Politikfeld B, mit dem Möglichkeiten zur Vermeidung der Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt mit finanziert werden. Das beschreibe ich Ihnen, um Ihnen zu verdeutlichen, welche Dynamik tatsächlich in den zehn Jahren, die hinter uns liegen, in diesem Teil der Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten eingetreten sind. Meine Damen und Herren, in den Arbeitsprojekten wurde mit der Trennung der Lebensbereiche Wohnen und Arbeiten auch begonnen, die Menschen nicht in erster Linie als Wohnungslose zu betrachten, sondern ihre Probleme und sozialen Schwierigkeiten als Auswirkung von Langzeitarbeitslosigkeit zu begreifen und in die Hilfestrategien einzubeziehen. Das ist eine fundamental andere Sichtweise, mit der ich mir auch die grundsätzlich anderen Konflikte in Arbeitsgelegenheiten im Vergleich z.B. mit den Konflikten in stationären Einrichtungen erkläre. Dort bestehen häufig Beziehungskonflikte untereinander, aber auch zwischen Hilfeempfängern und Helfern. Es spielen sich Übertragungsphänomene ab, bei denen frühere Muster z.B. Vater/Kind-Rollen erneut eskalieren. Diese Phänomenen oder auch Gewaltphänomene, aggressive Lebensäußerungen sind in den Arbeitsgelegenheiten weitaus seltener. Dort geht es um Arbeit und die muss bis zu einem bestimmten Liefertermin und in Zusammenarbeit erledigt werden. Der Konkretionsgrad des Alltages ist ein anderer, es geht um Sachen, um erfolgsorientierte Zusammenarbeit, um Termine, um Qualität, die Recht und Pflichten im Arbeitsleben sind deutlicher zu vermitteln als die Funktionsweisen des grundsätzlichen Zusammenlebens. Notfalls gilt Arbeitsrecht. Repetitive Tätigkeiten in stereotypen, notwendigen Abläufen können nicht der Beliebigkeit des Handelns zugeordnet werden. Es geht also ferner um Anleitung, die Steigerung der Flexibilität, das Akzeptieren von Anweisungen, den richtigen Umgang mit dem Arbeitsmaterial, der angemessenen Einteilung der eigenen Energie, die Verantwortung für 52 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Zehn Jahre Arbeitsgelegenheiten den eigenen Arbeitsplatz und das ganze Gefüge, das Lernen, Chancen am Arbeitsmarkt zu entdecken und wahrzunehmen. Es geht um die Sicherung der Existenz. Arbeit wohl eher akademisch. Es wird um neue Berufe in neuen Branchen gehen und in neuen Konstellationen rechtlich, tarifrechtlich, mediengesteuert etc. Meine Damen und Herren, auch wenn es nicht immer so scheint, noch immer basieren alle Systeme der sozialen Sicherung auf Erwerbsarbeit. Wir bemühen uns sogar, das Ehrenamt mit einem Punktesystem zu entgelten, um daraus die Vorzüge der aus Erwerbsarbeit resultierenden sozialen Sicherung zu erlangen. Also auch Ehrenamt ist Arbeit. Ich persönlich glaube nicht an den Bedeutungsverlust der Arbeit. Wir haben also guten Grund, uns nicht beirren zu lassen, und den Menschen, die zu uns kommen, zu assistieren, wenn es Ihnen darum geht, daran teilzuhaben. Mit den Hilfen zur Erlangung und Sicherung eines Platzes im Arbeitsleben haben wir in Westfalen-Lippe neben der ambulanten Hilfe und stationären Angeboten eine dritte Säule geschaffen, um die man uns trotz aller wünschenswerten Veränderungen und Fortentwicklungen weithin beneidet. Meine Damen und Herren, in der Diskussion um die Zukunft der Arbeit haben wir nun zahlreiche Entwürfe. Ich nenne Ihnen plakativ einige davon: Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft, die Zukunft der Arbeit liegt nicht im Beruf, die Tugend der Orientierungslosigkeit, Faktor vier, die seelischen Kosten der Arbeit, die neue Bürgerarbeit, die Krise der Arbeit, der Kampf um Lohn und Leistung wird auch immer noch geführt und viele Metaphern mehr. Wir sprechen von Patchwork-Karrieren, und Marx wird wieder bemüht: „...heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden…“, von der Verteilung der Arbeit, von 630,-DM-Jobs, Mac-Jobs, in der Arbeitsmarktpolitik kennen wir schillernde, bunte Konzeptionen zur Verminderung der Arbeitslosigkeit, Fähigkeitenprofil, Potenzialanalysen, Kompetenzförderung, Trainings in Assessment Centern, Personalentwicklung und passgenaue Vermittlung und vieles mehr. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Wenn man sich vor Augen führt, dass nach wie vor alle Systeme der sozialen Sicherung auf Beiträgen aus klassischer Erwerbsarbeit basieren – ein wenig bröckelt es zur Zeit durch die private Beteiligung an der Alterssicherung –, dann scheint die Diskussion vom Ende der An den Bürger Das im Dunkeln die dort leben So du selbst nur Sonne hast, dass für dich sie Lasten heben neben ihrer eignen Last, dass du frei durch ihre Ketten, Tag erlangst durch ihre Nacht, was wird von der Schuld dich retten, dass du daran nicht gedacht! Karl Kraus Raimund Klinkert Gebal GmbH Bielefeld Festschrift Zehn Jahre Arbeitsgelegenheiten Zehn Jahre Arbeitsgelegenheiten – was gewesen ist – Sehr geehrte Gäste! Zu Beginn meines Beitrages möchte ich zunächst dem Westfälischen Herbergsverband e.V. danken, dass er das zehnjährige Bestehen der teilstationären Angelegenheiten zum Anlass genommen hat, in einem Festakt daran zu erinnern. Die Arbeitsgelegenheiten sind für den Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) inzwischen ein etablierter, im Wesentlichen problemfreier Bestandteil des Hilfeangebotes. Damit besteht auch die Gefahr, dass in der Praxis auftretende Unstimmigkeiten und Probleme über Einzellösungen bereinigt werden, eine tiefergehenden Reflexion über Zustand und die Wirkungsweise des gesamten Hilfeangebotes aber in der Routine und dem Leistungsdruck der täglichen Arbeit unterbleibt. Die Initiative des Westfälischen Herbergsverbandes e.V. hat mich veranlasst, mich mit diesen im sozialen Leistungsrecht grundlegenden Fragestellungen einmal zu beschäftigen. Dafür nochmals meinen Dank. Ich werde also nicht eines der üblichen Grußworte vortragen, sondern der Frage nachgehen, ob die mit der Neukonzeption der Hilfen zur Erlangung und Erhaltung eines Platzes im Arbeitsleben und der Überführung der früheren in die Wohnbereiche integrierten Arbeitshilfen in ein eigenständiges Hilfesystem vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe als überörtlichen Träger der Sozialhilfe verfolgten Ziele tatsächlich erreicht wurden. In den 1980er Jahren rückten angesichts der Veränderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und des verstärkten Einsatzes der Hilfen zur Arbeit im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt auch die damals noch nahezu ausschließlich in vollstationären Einrichtungen der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten angebotenen Arbeitshilfen verstärkt in den Mittelpunkt der Fachdiskussion. Allgemein wurde die Qualität dieser Leistung als ungenügend 53 beurteilt, insbesondere das Missverhältnis zwischen der Leistung der in ihnen tätigen Hilfeempfänger und der Gegenleistung in Form von Entgelt und sozialer Absicherung war Gegenstand der Kritik. Ich bewerte es als einen großen Verdienst der damaligen politischen Vertretung des LWL, diese Diskussion aufgegriffen und – trotz nicht unerheblicher Widerstände – der Verwaltung den Auftrag gegeben zu haben, zu der Problematik zu berichten und Vorschläge zu einer Verbesserung des Hilfeangebotes vorzulegen. In der daraufhin erstellten Vorlage wurde auf folgende – aus Sicht des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe – schwerwiegende Mängel der damaligen Konzeption, der Struktur und der Standards der Arbeitshilfen hingewiesen: • Die konzeptionelle Grundlage der Arbeitshilfen bildet (immer noch) der historische Ansatz der Arbeiterkolonien, mittellos Umherziehenden gegen den Einsatz ihrer Arbeitskraft Unterkunft, Verpflegung und ein kleines Taschengeld zur Verfügung zu stellen und damit die Chancen für die Rückkehr in ein normales Arbeitsleben zu erhöhen. Dieser Ansatz trägt weder den gewandelten gesellschaftlichen Vorstellungen Rechnung noch der veränderten Situation der Bewohner der Einrichtungen, deren Schwierigkeiten nicht mehr in bloßer vorübergehender Arbeitslosigkeit bestehen. • Beschäftigt wird jeder, unabhängig von seiner Leistungsfähigkeit und Bedarfslage. Die gezahlten so genannten Prämien stehen in keinem erkennbaren Verhältnis zur tatsächlich erbrachten Leistung. Eine Beziehung zur Normalität des Arbeitslebens ist nicht mehr erkennbar. • Der überwiegende Teil der Erlöse muss wegen des vereinbarten Finanzierungssystems zur Minderung des über die Pflegesätze zu finanzierenden Aufwandes für den Betrieb der Einrichtungen eingesetzt werden. Leistungsgerechte Entgelte werden aber nicht als Bestandteil des für die Pflegesatzermittlung maßgeblichen Aufwandes berücksichtigt. • Die Arbeitshilfen stellen ein isoliertes in sich geschlossenes 54 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Zehn Jahre Arbeitsgelegenheiten • System eines besonderen Arbeitsmarktes dar. Zwischen ihnen und dem allgemeinen Arbeitsmarkt besteht keine Verbindung. Hilfen zum Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt werden praktisch nicht gewährt. Sie wirken deshalb desintegrierend und erschweren es, die Ziele der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten zu erreichen. Auch bei leistungsfähigen und leistungsbereiten Beschäftigungen wird keine Sozialversicherungspflicht begründet, auch dies steht im Widerspruch zu den Zielen der Hilfe. Die Verwaltung entwickelte dann Ziele, die mit einer Neustrukturierung des Hilfeangebotes unter Berücksichtigung von Aufgaben und Zielsetzung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten erreicht werden sollten und Vorstellungen zur zukünftigen Finanzierung der Arbeitshilfen. Wesentliche Zielvorstellungen waren: • Erarbeitung einer an den Aufgaben und Zielen der Hilfe nach § 72 BSHG erarbeiteten Fachkonzeption • Organisatorische und finanzielle Loslösung von den Heimbereichen, verbunden mit einer Aufgabe der teilweisen Erlösabführung zur Deckung der Kosten des Heimbetriebes. Stattdessen sollen die erarbeiteten Erlöse im Grundsatz in voller Höhe als Entgelte an die arbeitenden Bewohner der Arbeitsgelegenheiten ausgeschüttet werden. • Neudefinition der Zielgruppe mit einer Beschränkung auf Personen, die erwerbsfähig sind, aber im Arbeitsleben besondere soziale Schwierigkeiten haben. • Ausrichtung des Hilfeangebotes auf Vermittlung in den allgemeinen Arbeitsmarkt. • Begründung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsverhältnisse und Entwicklung eines leistungsbezogenen an ortsüblichen Entgelten orientierten Entgeltsystems. Nach Beratung gaben die parlamentarischen Gremien den Auftrag zu entsprechenden Verhandlungen mit dem Fachverband und den interessierten Trägern zur Erarbeitung einer neuen Fach- und Festschrift Zehn Jahre Arbeitsgelegenheiten Finanzierungskonzeption auf der Basis der Vorschläge, obwohl deutlich war, dass eine Realisierung nicht ohne finanzielle Mehrbelastungen des LWL möglich sein würde. Die Verhandlungen mit den Leistungsanbietern und ihren Verbänden verliefen in weiten Bereichen problemlos, sie konnten innerhalb von drei Monaten abgeschlossen werden. Eine intensivere Diskussion ergab sich insbesondere bei • der Definition der Zielgruppe, hier ging es um die Frage, ob Personen einbezogen werden sollen, die dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und am Arbeitsplatz keine Hilfe nach § 72 BSHG bedürfen, dennoch aber keine Arbeit finden. • der Definition der Aufgabe der Arbeitsgelegenheiten, insbesondere die enge Orientierung an der gesetzlichen Regelung zu den Hilfen zur Erlangung und Erhaltung eines Platzes im Arbeitsleben im Rahmen der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und schließlich • die Frage einer Leistungsverpflichtung des Trägers der Sozialhilfe für die (Mit-)Finanzierung von Entgelten und Beiträgen zur Sozialversicherung. Die Verhandlungsergebnisse wurden Anfang 1990 in den parlamentarischen Gremien des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe beraten. Als Eckpunkte der neuen Fachkonzeption und der Neustrukturierung der Finanzierung trug die Verwaltung vor • die organisatorische und finanzielle Trennung von den vollstationären Einrichtungen, also die Schaffung eines selbständigen Leistungsangebotes für Hilfen zur Erhaltung und Erlangung eines Platzes im Arbeitsleben einschließlich einer Öffnung für externe Hilfebedürftige, also für Personen, die nicht gleichzeitig stationäre Hilfe in den Einrichtungen der so genannten Nichtsesshaftenhilfe in Anspruch nahmen. • Die Beschränkung der Zielgruppe auf Personen, die vorübergehend Hilfen nach § 72 BSHG zur Erlangung und Erhaltung eines • • • • • 55 Platzes im Arbeitsleben bedürfen verbunden mit dem Ausschluss von Personen, die wegen Erwerbsunfähigkeit, Behinderung oder Alters dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen und von Personen, die ohne Hilfen nach § 72 BSHG auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelt werden können. Gliederung der Arbeitsgelegenheiten in die Bereiche Orientierung, Qualifizierung und Betreutes Arbeiten. Präzisierung der Aufgabenstellung der teilstationären Arbeitsgelegenheiten auf Bedarfsermittlung (bezogen auf die Integration in das Arbeitsleben), Hilfeplanerstellung, Vermittlung der auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verlangten Sozialtugenden, Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie der Erhalt dieser Qualifikation durch Arbeit unter Bedingungen, die denen des allgemeinen Arbeitsmarktes angepasst sind und Vermittlung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Herausnahme tagesstrukturierender Hilfen für Heimbewohner mit dem Ziel, die Produktivität der teilstationären Arbeitsgelegenheiten zu erhöhen. Verwendung der Erlöse grundsätzlich nur für Entgeltzahlungen und leistungsgerechter – möglichst an den tarifvertraglichen Regelungen orientierter – Entgelte sowie die Begründung von Mitgliedschaften in der Sozialversicherung. Verbesserte Personalstandards, insbesondere Leitung mit kaufmännischer oder betriebswirtschaftlicher Ausbildung und Festlegung eines Mindestanteils der Fachkräfte für soziale Betreuung (Sozialarbeiter/innen) an der Gesamtzahl des Betreuungspersonals. Der mit der Umsetzung verbundene finanzielle Aufwand wurde mit ca. 6,7 Millionen DM jährlich beziffert, dies bedeutete eine Steigerung von ca. 4,5 Millionen DM jährlich. In den folgenden Jahren ließ sich der Sozialausschuss mehrfach über die Umsetzung und die Ergebnisse des Fachkonzeptes der teilstatio- 56 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Zehn Jahre Arbeitsgelegenheiten nären Arbeitsgelegenheiten berichten. In dem 1993 gegebenen Zwischenbericht, der sich auf die Dokumentation der Einrichtungen für das Jahr 1992 stützte, führte die Verwaltung aus, dass die bis dahin gemachten Erfahrungen eine Bewertung der Fachkonzeption als grundsätzlich richtig zulasse, gleichzeitig räumt sie aber ein, dass wesentliche Ziele bis dahin nur eingeschränkt erreicht wurden. Sie nennt ferner zwei Problembereiche, die umgehend einer Lösung zugeführt werden müssen, und zwar zum einen die Bereitstellung eines Angebotes tagesstrukturierenden Hilfen für Personen, die nicht der Zielgruppe des Hilfeangebotes angehören, weil die Entwicklung eines entsprechenden Angebotes in den Wohnbereichen aus verschiedenen Gründen nicht möglich war, sowie zum anderen das Fehlen eines Hilfeangebotes für angemessene Beschäftigung für Leistungsempfänger, die grundsätzlich keine Hilfen zur Erlangung und Erhaltung eines Platzes im Arbeitsleben bedürfen, aber kaum Aussicht haben, einen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erhalten, weil sie zu dessen Problemgruppen gehören. Beide Probleme wurden inzwischen durch Veränderungen der Fachkonzeption gelöst, tagesstrukturierende Hilfen wurden in den Leistungskatalog der teilstationären Einrichtungen aufgenommen und unter einschränkenden Bedingungen die Leistungen von Hilfen zu einer angemessenen Beschäftigung für begründete Einzelfälle zugelassen. Werden die vor zehn Jahren mit der Neukonzeption der Arbeitsgelegenheiten vom überörtlichen Träger angestrebten Ziele mit dem inzwischen erreichten Stand verglichen, so ergibt sich folgendes Fazit: • Die Verselbständigung dieses Hilfezweiges hat dessen Entwicklung gefördert und zu einer deutlich verbesserten Einbindung in das örtliche System der Hilfen für Problemgruppen des Arbeitsmarktes geführt. Ferner ist es den Einrichtungen in unterschiedlichem Maße gelungen, ihren Tätigkeitsbereich über die Hilfe nach § 72 BSHG hinaus auf die Erbringung von Leistungen im Rahmen der Hilfe zur Arbeit nach Unterabschnitt 2 der Hilfe zum • • • Lebensunterhalt und auf weitere Arbeitshilfen für spezielle Personengruppen auszuweiten. Die Arbeitsgelegenheiten haben sich also aus ihrem früheren isolierten Sonderstatus als besonderer und geschlossener Arbeitsmarkt lösen können und damit die Voraussetzungen für bessere Chancen ihrer Leistungsempfänger zur Integration in übliche Arbeitsverhältnisse geschaffen. Der Anteil sozialversicherter Leistungsbezieher an der Gesamtzahl der in den teilstationären Arbeitsgelegenheiten Beschäftigten liegt zurzeit bei ca. 35 Prozent. Wird berücksichtigt, dass inzwischen für einen Teil der Hilfeempfänger die Begründung eines Versicherungsverhältnisses in der Sozialversicherung nicht in Betracht kommt, weil er Hilfe zur Tagesstrukturierung erhält, so ist dies ein durchaus befriedigendes Ergebnis. Zwar ist es insgesamt zu einer spürbaren Erhöhung der gezahlten Entgelte gekommen, der Anteil der Leistungsempfänger, die tarifvertraglich oder in Anlehnung an überörtliche Entgelte entlohnt werden, ist mit ca. 16 Prozent jedoch geringer als erhofft. Ursächlich hierfür scheint neben dem hohen Anteil leistungsgeminderter Beschäftigter die Schwierigkeit zu sein, profitable Aufträge in nennenswertem Umfang zu akquirieren. Die Arbeitsgelegenheiten stehen hier nicht nur im Wettbewerb mit anderen Anbietern. Ihre besondere Struktur und Aufgabenstellung stellt vielmehr ein zusätzliches Erschwernis bei der Steigerung der Produktivität dar. Eine Vermittlung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist weiterhin verhältnismäßig selten. Die Bilanz sähe bei diesem Ziel vermutlich etwas besser aus, würden auch Personen mit berücksich tigt, die nicht in die Arbeitsgelegenheiten aufgenommen werden, weil sich bereits während der Aufnahmeberatung ergibt, dass sie ohne vorhergehende oder begleitende persönliche Hilfen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vermittlungsfähig sind. Gemessen an dem Grad der Übereinstimmung zwischen der mit der Neuordnung der Arbeitshilfen für Personen in besonderen sozialen Schwierigkeiten vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe als Festschrift Grundsätze der Arbeit überörtlichen Träger der Sozialhilfe verfolgten Zielen und dem gegenwärtigen Stand kann trotz nur teilweiser Zielerreichung von einem befriedigenden Ergebnis gesprochen werden. Ich wage auch keine Prognose, ob weitere Verbesserungen erreicht werden können; zuviel interne und externe Faktoren haben darauf Einfluss. Eins darf aber mit Befriedigung und auch mit ein wenig Stolz festgestellt werden: Gemessen an den vor Gründung der Arbeitsgelegenheiten bestehenden Zuständen ist zu einer ganz erheblichen Qualitätsverbesserung für die Leistungsberechtigten gekommen. Entscheidenden Anteil daran hatten und haben die Träger, die sich auf das Risiko eines Neuanfangs eingelassen haben und das Engagement des Fachpersonals dieser Arbeitsgelegenheiten. Ihnen möchte ich auch im Namen von Herrn LR Dr. Baur zum Abschluss ganz besonders danken. Johannes Lippert aus: Dokumentation zum Festakt des Westfälischen Herbergsverbandes e.V. in der Sozialwerkstatt zu Lüdenscheid am 08. November 2000, S. 11-23 57 Grundsätze der Arbeit Gemeinsam gegen Armut, Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit Zweimal in den vergangenen 25 Jahren haben Vorstand und Mitglieder die Grundsätze der Arbeit des Westfälischen Herbergsverbandes e.V. überarbeitet und weiterentwickelt.Die gültige Fassung der Grundsätze der Arbeit entstand 2001/2002. Vorwort Der Auftrag des Westfälischen Herbergsverbandes e.V. ist der Einsatz für die Einhaltung des Grundrechtes auf ein menschenwürdiges Leben, insbesondere auf eine Teilhabe von Menschen mit einem Hilfebedarf nach § 72 BSHG am Leben in der Gemeinschaft und/oder für das Recht auf Wohnen und Arbeit. Die Hilfeangebote der Mitglieder basieren auf den Rechtsvorschriften der Sozialgesetzbücher. Unser Verständnis dieser Grundideen und wie wir an deren Verwirklichung mitwirken wollen, beschreiben wir in den vorliegenden Grundsätzen. Die Grundsätze sollen Orientierung für das Handeln des Verbandes, der Träger und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der evangelischen Wohnungslosenhilfe geben. Die im September 2001 vom Vorstand und im April 2002 von der Mitgliederversammlung verabschiedeten Grundsätze basieren auf den „Grundsätzen der Arbeit“ des Westfälischen Herbergsverbandes vom November 1993. Die Überarbeitung der Satzung des Westfälischen Herbergsverbandes e.V., die Diskussion des Grundsatzprogramms der BAG Wohnungslosenhilfe e.V. und die Novellierung der Durchführungsver- 58 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Grundsätze der Arbeit ordnung zum § 72 BSHG waren letztendlich Anstoß, das Grundsatzprogramm von 1993 einer kritischen Überarbeitung zu unterziehen und den veränderten rechtlichen und fachlichen Gegebenheiten anzupassen. Die Grundsätze versuchen insgesamt, die in den letzten 15 Jahren vom Westfälischen Herbergsverband e.V., von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V., der Evangelischen Obdachlosenhilfe e.V., der Öffentlichen und Freien Wohlfahrtspflege in Nordrhein-Westfalen und des Deutschen Städtetages entwickelten inhaltlichen und fachlichen Standards in Inhalte und Ziele für den Westfälischen Herbergsverband e.V. und seine Mitglieder umzusetzen. Mit unseren gesellschaftlichen Deutungen und fachlichen Empfehlungen erheben wir nicht den Anspruch, die Wirklichkeit vollständig und einzig möglich zu erfassen. Wir sind bewusst parteilich und halten uns bereit, bei anderen Erfahrungen unsere Position zu überarbeiten. Wir sind uns außerdem bewusst, dass unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit, unsere Aufgaben und Ziele auch für andere ausgegrenzten Bürgerinnen und Bürger zutreffen. Auch diese Bürgerinnen und Bürger bedürfen der Solidarität. Wir haben im Grundsatzprogramm durchgehend darauf verzichtet, spezifische Bedarfe von Frauen zu benennen. Wir gehen davon aus, dass bedarfsgerechte Angebote immer auch spezifische Bedarfe bestimmter Personengruppen berücksichtigen. Ausgangssituation Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für die diakonische Wohnungslosenhilfe haben sich im letzten Jahrzehnt nachhaltig verändert. Festschrift Grundsätze der Arbeit Die Entwicklung hin zu einer komplexen Informationsgesellschaft verbunden mit der zunehmenden Globalisierung wirtschaftlicher Prozesse hat Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik im vereinten Deutschland. Die politische Diskussion seit Beginn der 1990er Jahre war geprägt von der Auseinandersetzung um die ökonomischen, sozialen und vor allem fiskalischen Folgen der Vereinigung. Dies führte zu einer radikalen Wende und zu Einschnitten in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die geprägt waren durch eine deutliche Umverteilung der Lasten zu Ungunsten sozial ausgegrenzte Bürgerinnen- und Bürger-Gruppen der Gesellschaft. Seit Mitte der 1990er Jahre dominiert unter dem Stichwort „Zwang zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte“ eine Politik des Leistungsabbaus sozialer Sicherungssysteme. Die gegenwärtige Diskussion um eine Reform und Konsolidierung des Sozialstaates, die mit einer wirtschaftlich schwierigen Lage, zu hohen Sozialausgaben und der damit einhergehenden Verschuldung der öffentlichen Haushalte begründet wird, führt zu einer Konzentra tion auf Fragen des Wirtschaftswachstums. Vernachlässigt wird die Frage nach sozialer Gerechtigkeit als einer sozialstaatlichen Gestaltungsaufgabe. Die Einseitigkeit bei der Verteilung der Lasten und der Privilegien in unserer Gesellschaft stellt den Sozialstaat in Frage. Die ungleiche Verteilung der ausreichend vorhandenen Ressourcen lässt die „soziale Schere“ immer weiter auseinander klaffen. In den letzten zwanzig Jahren ist mit der Armut zugleich der Reichtum in Deutschland gewachsen. Beispiele hierfür sind einerseits die anhaltende Massenarbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Überschuldung einkommensarmer Haushalte sowie die Armut von Kindern und Jugendlichen. Auf der anderen Seite ist das Geldvermögen von Privatanlegern überdurchschnittlich gewachsen. 59 Der Ausschluss vieler Menschen von der Teilhabe an der gesellschaftlichen Entwicklung stellt die demokratischen Grundlagen des Gemeinwesens in Frage. Unsere Gesellschaft entwickelt sich von einer Solidargemeinschaft hin zu einer individualisierten Gesellschaft. Die Privatisierung bei der Absicherung sozialer Risiken (Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit usw.) ist nur eine Folge des insgesamt kälter werdenden gesellschaftlichen Klimas. Es ist Aufgabe von Kirche und Diakonie, den Skandal der einseitigen Verteilung der Lasten zu Ungunsten der Schwächeren öffentlich zu machen und für die Schließung von Gerechtigkeitslücken einzutreten. Der Westfälische Herbergsverband e.V. sieht in der bestehenden Wohnungsnot einen Ausdruck struktureller Armut. Ein wesentliches Ziel der ambulanten und (teil-) stationären Woh„Es ströme aber das Recht wie nungslosenhilfe ist es Wasser und die Gerechtigkeit deshalb, die Kluft zwischen Arm und Reich ins wie ein nie versiegender Bach“ öffentliche Bewusstsein zu Amos 5, 24 bringen und der Ausgrenzung der Menschen mit einem Hilfebedarf nach § 72 BSHG entgegen zu wirken. Durch konkrete Hilfen wollen die Mitglieder des Westfälischen Herbergsverbandes e. V. an der Beseitigung der Wohnungslosigkeit, der Armut und der sozialen Ausgrenzung mitwirken. Die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe in Westfalen und Lippe müssen Orte sein, an die sich Menschen mit einem Hilfebedarf nach § 72 BSHG wenden und ihren berechtigten Forderungen Ausdruck verleihen können. Dies geschieht nicht zuletzt durch die Unterstützung bei der Verwirklichung garantierter Rechtsansprüche. 60 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Grundsätze der Arbeit Über die Jahre kann eine Wellenbewegung bei der Zahl der als wohnungslos registrierten Menschen festgestellt werden. Diese steht in direkter Abhängigkeit zum bezahlbaren Wohnraumangebot. Insgesamt ist ein leichter Rückgang in der Wohnungslosenstatistik zu verzeichnen. Dieser Rückgang ist nicht zuletzt als Erfolg der Arbeit und der Qualifizierung der Dienste und Einrichtungen im Fachverband zu werten. Das Netz der ambulanten Hilfen ist nahezu flächendeckend ausgebaut und hat ebenfalls zu einer Veränderung der stationären Wohnungslosenhilfe (Differenzierung, Dezentralisierung und Regionalisierung) und zum Ausbau weiterer Hilfeformen (teilstationäre Angebote, Streetwork, ambulante medizinische Hilfen) geführt. Unsere Wurzeln Älter als die Diakonie und ihre Wohnungslosenhilfe ist die Not der in Armut lebenden Frauen und Männer. Unabhängig vom Ab- und Ausbau sozialer Hilfen in den letzten 20 Jahren und ihrer Entwicklung wächst oder vermindert sich die Not der Menschen mit einem Hilfebedarf nach § 72 BSHG über die Durchlässigkeit und die Zyklen des Arbeits- und Wohnungsmarktes. Die Evangelische Wanderarmenfürsorge stand von Beginn an in der Tradition eines bürgerlichen Hilfeverständnisses. Das heißt: Es galt bei den Männern das „arbeitsscheue und schmarotzende Vagabundentum“ zu vertreiben und/oder zu disziplinieren, bei den Frauen, das „sittliche Wohlergehen“ zu fördern. Nicht die Integration dieser Männer in den Arbeits- und Wohnungsmarkt galt als Ziel der Hilfe, vielmehr war man der Überzeugung, dass die Heime der Wanderarmenfürsorge selbst die angemessene Wohn- und Arbeitsform darstellten. Die so isolierte Arbeit war mit dafür verantwortlich, dass sich Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten kaum gesellschaftliche und öffentliche Hilfen erschließen konnten. Dieses System unkontrollierter Abhängigkeiten und gegenseitiger Verpflichtungen führte während des nationalsozialistischen Unrechtssystems zu unheilvollen Allianzen, in denen die Evangelische Wanderarmenfürsorge Bestandteil der faschistischen Verfolgung und Vernichtung wohnungsloser Bürgerinnen und Bürger wurde. Zu unseren Wurzeln gehören aber auch das Streben nach sozialer Gerechtigkeit und das Einfordern der Menschenrechte für arme Mitbürgerinnen und Mitbürger. Erst das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) von 1960/61 verpflichtete auch die „Nichtsesshaftenhilfe“ zu dem Ziel, ihrer Klientel ein Leben zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. Die konsequente Anwendung des Bundessozialhilfegesetzes initiierte einen enormen Innovationsschub in der Wohnungslosenhilfe. Erstmals waren nicht die von kommunalen und anderen Stellen betriebene Vertreibung und somit eine faktische Entkommunalisierung Ziele der Hilfe, sondern der Anschluss an bestehende Gesetze und Leistungssysteme, also die Rekommunalisierung und Wiedereingliederung von Menschen mit einem Hilfebedarf nach § 72 BSHG. „Barmherzigkeit ohne das Widerlager des (Menschen-) Rechts war und ist Klassenkampf. So wird es auch weiterhin bleiben, wenn die Frage nach den Menschenrechten Wohnungsloser dort verstummt, wo die ‚Hilfe‘ für sie beginnt“. Hartwig Drude In den 1970er Jahren fand dieses neue Hilfeverständnis auch in einem Begriffswechsel Ausdruck: Der Begriff des „Nichtsesshaften“ wurde abgelöst durch den Begriff des ,,(alleinstehenden) Wohnungslosen“ . Festschrift Grundsätze der Arbeit Seit den 1980er Jahren bis heute hat sich das Hilfesystem konsequent weiterentwickelt und differenziert und sich damit auch fachlich dem Ziel der Rekommunalisierung und „Wiedereingliederung“ genähert. Neben der stationären Hilfe hat sich mit ambulanten Hilfeangeboten ein zweites Unterstützungsnetzwerk etabliert. Regional, am Lebensort der Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten orientierte Beratung, Wohnungsvermittlung und Wohnungssicherung haben die Ideologie der angeblichen Wohnunfähigkeit dieser Menschen praktisch widerlegt und eine Hilfe zum Bleiben wesentlich unterstützt. Die stationäre Hilfe hat durch die Entwicklung differenzierter Hilfeangebote für bestimmte Problemlagen, systematische Nachsorge, dezentrale, wohnquartiernahe Heimplätze und durch bauliche Verbesserungen weitgehend das klassische Heimverständnis aufgegeben. Werte, Ziele und Aufgaben • • • • • Mit spezialisierten Hilfeangeboten für Frauen, junge Erwachsene, Langzeitwohnungslose und Arbeitslose ist es gelungen, gezielter zu helfen. Heute ist die Zwangsmobilität der Menschen mit einem Hilfebedarf nach § 72 BSHG deutlich zurückgegangen, die Hilfe zum Bleiben als erklärtes Ziel der Wohnungslosenhilfe hat gewirkt. Wohnungslosenhilfe ist durch intensive Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit heute Teil der öffentlichen politischen Debatte geworden, auch wenn sie immer wieder auf die „sozial- und wohnungspolitische“ Tagesordnung gesetzt werden muss. • • • Formen bürgerschaftlichen Engagements wie Straßenzeitungen und Tafeln sind sowohl das Ergebnis der Öffentlichkeitsarbeit als auch Ausdruck der gestiegenen Sensibilität in der Gesellschaft. 61 • Die diakonische Wohnungslosenhilfe achtet das Wunsch- und Wahlrecht der Menschen mit einem Hilfebedarf nach § 72 BSHG. Die diakonische WohnungslosenWohnung ist nicht hilfe gestaltet die Hilfen entsprealles, aber ohne chend der Würde des Menschen. Wohnung ist alles Die verfassungsgemäßen Prinnichts. zipien des sozialen Rechtsstaats sind Grundlage‘ unseres Hilfeverständnisses. Die Umsetzung der Rechtsnorm und die Weiterentwicklung des Rechts auf der Basis unserer Grundsätze sind voranzutreiben. Sofern Menschen mit einem Hilfebedarf nach § 72 BSHG sich nicht selbst für ihre Rechte einsetzen können, nehmen wir diese Aufgabe stellvertretend wahr. Die Hilfe ist überprüfbar. Zu diesem Zweck sind verbindliche Standards und Ziele entwickelt. Die erreichten Standards der Wohnungslosenhilfe werden ständig überprüft und gesichert. Die Leistungen der Dienste und Einrichtungen sind als Angebote beschrieben, dabei sind die Bedarfe der Menschen mit einem Hilfebedarf nach § 72 BSHG maßgebend. Art und Umfang der Hilfe sind mit miteinander vereinbart. Um den Menschen mit einem Hilfebedarf nach § 72 BSHG, der Öffentlichkeit und uns selber Rechenschaft über unsere Hilfen abgeben zu können, wird die Hilfe einrichtungs- und verbandsbezogen dargestellt. Wir setzten uns für eine transparente Dokumentation der Hilfe ein. Der Ausgrenzung von Menschen mit einem Hilfebedarf nach § 72 BSHG durch Sonderbehandlungen und Sonderregeln treten wir entgegen. Beschaffung und Erhalt einer Wohnung, Erlangung und Sicherung eines Ausbildungs- und Arbeitsplatzes und die Förderung sozialer Beziehungen ist vorrangiges Ziel der Hilfe. 62 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Grundsätze der Arbeit • Wir informieren die Öffentlichkeit über wichtige Ereignisse und Entwicklungen in der Wohnungslosenhilfe, um die mit der Wohnungslosigkeit einhergehende Armut und Ausgrenzung ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen. Immer mehr Menschen mit einem Hilfebedarf nach § 72 BSHG nehmen neben den gesetzlich garantierten Hilfen auch andere Angebote in Anspruch. Wir wirken daraufhin, dass sich „Erlaubt ist, was politisch diese Hilfen in der westfämehrheitsfähig ist und lischen und lippischen Diakonie nicht als Hilfen zur wirtschaftlich lohnt.“ Ausgrenzung entwickeln, sondern sich an den Lebenslagen Menschen mit einem Hilfebedarf nach § 72 BSHG orientieren. Wir setzen uns dafür ein, Formen bürgerschaftlichen Engagements in der Wohnungslosenhilfe zu entwickeln. Alle Menschen mit einem Hilfebedarf nach § 72 BSHG erhalten adäquate Hilfen‘ zur Beschaffung ihrer persönlichen und behördlichen Dokumente. Zur gesellschaftlichen Teilhabe gehört auch und gerade die Mitwirkung der Menschen mit einem Hilfebedarf nach § 72 BSHG in der Wohnungslosenhilfe. Beteiligung, z.B. durch Heimbeiräte und Formen des Beschwerdemanagements sind in allen Einrichtungen zu entwickeln und zu fördern. • • • • • • Unsere Einrichtungen und Dienste sind für Menschen mit einem Hilfebedarf nach § 72 BSHG jeglichen Glaubens offen. Wir halten uns bereit, für jeden Menschen der zu uns kommt, Spiritualität im Alltag erfahrbar zu machen. Prävention ist Bestandteil all unserer Hilfeangebote. Die Arbeit des Westfälischen Herbergsverbandes e.V. wird im Sinne der oben beschriebenen Grundsätze gestaltet. Auf die relevanten Entscheidungsgremien in Diakonie, Kirche und Politik nehmen wir in diesem Sinne Einfluss. Aus: Grundsätze der Arbeit Gemeinsam gegen Armut, Ausgrenzung und Wohnungslosigkeit Hrsg: Westfälischer Herbergsverband e. V., Verantwortlich: Jan Orlt, beschlossen vom Vorstand am 27.September 2001 verabschiedet von der Mitgliederversammlung am 16. April 2002, S. 3-9 Festschrift Gestaltung des Zuammenlebens Gestaltung des Zusammenlebens im öffentlichen Raum Eine Arbeitshilfe Alkohol, Menschenansammlungen, Armut – ist das in der Fußgängerzone, im Bahnhof im Stadtpark verboten? Die Antwort ist eindeutig: NEIN, es ist nicht verboten und es lässt sich auch nicht verbieten. Da es aber aus vielerlei Gründen nicht erwünscht ist, gibt es immer wieder Diskussionen und Versuche, Verbote auszusprechen. Zu diesem Dauerthema der Wohnungslosenhilfe hat sich der WHV 2003 eindeutig positioniert. 63 Lärm, Belästigungen oder Betteln steigert das (berechtigte oder unberechtigte) Gefühl von Bedrohung oder Beeinträchtigung. Damit wächst das öffentliche Interesse an einer „Regelung“ des ordnungsgemäßen Gemeingebrauches. Um Sicherheit und Ordnung garantieren zu können, gibt es seit Jahrzehnten kommunale Maßnahmen ( Bußgeldbescheide, Platzverweise, Aufenthaltsverbote ), die den Aufenthalt auf öffentlichen Plätzen und das Zusammenleben im öffentlichen Raum regeln. Problembeschreibung Seit der Innenministerkonferenz der Länder 1997 hat sich die Situation für diese Randgruppen verschärft. Mit straßenrechtlichen Satzungen und Gefahrenabwehrverordnungen werden Instrumentarien zur Regelung des Aufenthaltes auf öffentlichen Plätzen und Straßen geschaffen, die bestimmte Bevölkerungsgruppen noch stärker ausgrenzen und den Wohnungslosen das Bleiben in einer Kommune erschweren. Die Menschen, die die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe im Bereich des Westfälischen Herbergsverbandes e.V. aufsuchen, sind häufig wohnungslos oder leben in unzumutbaren Wohnverhältnissen. Sie sind von Armut und gesellschaftlicher Ausgrenzung betroffen. Die Bildung von Ordnungspartnerschaften innerhalb einer Kommune dient dem Ziel, mit polizei- und ordnungsrechtlichen Maßnahmen das schwindende subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger zu stärken. Das Fehlen einer Rückzugsmöglichkeit und das Fehlen von Privatsphäre sind kennzeichnend für die Wohnungslosigkeit. Wer keine eigene Wohnung hat, lebt ständig in der Öffentlichkeit und immer unter der öffentlichen Kontrolle. Wer durch sein Erscheinungsbild als Wohnungsloser auffällt, wird häufig vertrieben, bestenfalls geduldet. Um soziale Kontakte zu knüpfen und sich im Schutz einer Gruppe aufhalten zu können, entstehen in jeder Stadt Treffpunkte, die von verschiedenen sozialen Randgruppen (Wohnungslose, Punker, Junkies) genutzt werden. Die Privatisierung öffentlicher Räume (überdachte Einkaufspassagen, abgeschlossene Einkaufszentren, Privatisierung von Bahnhöfen) schafft Rechtsräume, die von kommunalen Satzungen nicht erfasst werden. Mit Ausübung des Hausrechtes schwindet für Randgruppen in der Regel die Möglichkeit des Aufenthaltes und damit die Nähe zum innerstädtischen Zentrum. Der Zugang zur Infrastruktur der Innenstädte wird durch die Vertreibung für wohnungslose und von Armut betroffene Bürger weiter erschwert. Je größer die Zahl der Personen, die diesen Treffpunkt regelmäßig aufsuchen, desto massiver wird das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger beeinflusst. Übermäßiger Alkoholgenuss, Empfehlungen und politische Forderungen Wirtschaftliche Interessen und das beeinträchtigte Sicherheitsgefühl von Bürgerinnen und Bürgern können zur Stigmatisierung, zur 64 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Gestaltung des Zuammenlebenns Kriminalisierung und zur Vertreibung wohnungsloser und von Armut betroffener Bürger aus den „attraktiven Zonen“ der Innenstädte führen. • • • In diesem stattfindenden Prozess muss die Wohnungslosenhilfe als Interessenvertreterin wohnungsloser Menschen deutlich Stel lung beziehen, sich einmischen und Forderungen an die Politik stellen. Eine etwaige Mitarbeit der Wohnungslosenhilfe in einer Ordnungs partnerschaft oder in einem kriminalpräventiven Rat kann unseres Erachtens nur erfolgen, wenn von allen beteiligten Akteuren folgender Konsens besteht und beachtet wird: • gleiches Stimmrecht (Geschäftsordnung) • keine Vertreibung von Wohnungslosen, Drogensüchtigen, Armen und Kranken • abgestimmtes Handeln bei Wahrung der originären jewei ligen Zuständigkeit Mit dieser Grundhaltung wurden in Münster die Einführung eines privaten Sicherheitsdienstes und die Installation von Videokameras im Bahnhofsumfeld verhindert. Gesprächsbereitschaft und Dialogfähigkeit haben bei der Bewältigung der Aufgabe, Lösungsansätze zu erarbeiten, die das friedliche Nebeneinander aller Menschen bei der Nutzung der öffentlichen Räume fördert, eine zentrale Wichtigkeit. Diese Gesprächsbereitschaft ist allen möglichen handelnden Akteuren anzubieten. Es ist auch Aufgabe der Wohnungslosenhilfe, Fälle von Ausgrenzung und Vertreibung aus dem öffentlichen Raum in die Diskussion der örtlichen Arbeitskreise und/oder örtliche Hilfeverbünde einzubringen. Beispiele solch aktueller Anlässe von Ausgrenzung und Vertreibung aus öffentlichen Räumen können sein: • Sicherheitsdiskussion rund um den Bahnhof, in bestimmten Parks und Einkaufszonen, • Fixerutensilien auf dem Spielplatz, kommunalpolitische Initiative zur Verschärfung der Straßensatzung, der öffentlich geäußerte Wunsch nach Einführung privater Sicherheitsdienste im öffentlichen Raum, Diskussionen über Videoüberwachung und vieles mehr. Bei diesen Diskussionen und Bestrebungen kann und muss sich die Wohnungslosenhilfe einmischen und Lösungen anbieten. Mit der Teilnahme an Diskussionsforen, an Runden Tischen, bei Veranstaltungen von Bürgerinitiativen, über Leserbriefe und durch andere Aktivitäten muss die Wohnungslosenhilfe die Auffassung vertreten, dass Ausgrenzen und Vertreiben von „Randständigen“ und wohnungslosen Personen die Situation dieser Menschen verschärft und sie zusätzlich belastet. Aus ihrer Arbeit bringt sie die Erfahrung und das Wissen ein, dass Begegnung, Unterstützung und Teilhabe Lösungsansätze zur Entschärfung sozialer Konflikte sind. Die Wohnungslosenhilfe argumentiert für den Erhalt des öffentlichen Raumes als Kultur- und Begegnungsort für alle Menschen. Eine wesentliche Kompetenz der Wohnungslosenhilfe ist ihr Beitrag zur Entdramatisierung und zur Versachlichung des Geschehens. Je stärker Wohnungslosenhilfe vor Ort vernetzt ist, je mehr Bündnis partner sie einbeziehen kann, umso überzeugender ist sie. Wohnungslosenhilfe kann auf bestehende Konzepte vertrauen und sie auch bekannt machen. • Besonders das Vorhalten niedrigschwelliger Dienste (z.B. Tagesaufenthalt, Wärmestuben) und aufsuchender Hilfen und ihre gezielte Koordination reduziert Probleme und bietet den betroffenen Menschen Ausstiegswege ausKrankheit, Abhängigkeit, Behinderung und sozialer Not an. • Bei der Schaffung solcher Dienste müssen Politiker und gegebenenfalls Geschäftsleute als Bündnispartner gewonnen werden. Festschrift Gestaltung des Zusammenlebens Wohnungslosenhilfe muss auch die Grenzen der „Machbarkeit“ aufzeigen. Armut, Krankheit, Behinderung, Unterversorgung und Benachteiligung sind einerseits individuelle Lebenslagen, andererseits sind sie auch gesellschaftliche Prozesse, die nicht kurzfristig aufzulösen sind. Von der Politik erwartet die Wohnungslosenhilfe • • • • Offenheit für den Dialog, die Zurkenntnisnahme der Bedürfnisse und der Problemlagen so genannter Randgruppen, Hilfen bei der Finanzierung leidens- und bedarfsgerechter und annehmbarer Hilfen, die Beteiligung der Wohnungslosenhilfe bei der Gestaltung des öffentlichen Raumes mit dem Ziel eines Interessenausgleiches aller Bürgerinnen und Bürger. Die Wohnungslosenhilfe ist auch in der Lage Einfluss auf die Stadtplanung zu nehmen, um repressive Maßnahmen zu vermeiden. Dabei kann sie an der Entwicklung von Konzepten zur baulichen Gestaltung eines Platzes oder eines anderen öffentlichen Raumes mitwirken und beispielsweise auf Vorschläge zur Beschäftigung wohnungs- und arbeitsloser Menschen in eben diesem Bereich hinweisen. aus: Gestaltung des Zusammenlebens im öffentlichen Raum – Eine Arbeitshilfe Hrsg.: Westfälischer Herbergsverband e.V., Verantwortlich: Jan Orlt, Münster, März 2003, S. 5, 19-21 65 66 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Gerechtigkeit hat eine Lücke Die Gerechtigkeit hat eine Lücke Grundsatzposition des Vorstandes Ist unsere Gesellschaft gerecht? Ist unser Sozialleistungs system gerecht? Dieser Frage ist der Vorstand in den Jahren 2007 und 2008 nachgegangen und hat eine beachtete Grundsatzposition erarbeitet. Alle Menschen sind Gottes Ebenbilder, darin sind sie einander gleich. Die Würde und der Wert des Lebens sind Gottes Geschenk. Armut kann diese Würde nicht beeinträchtigen, und Reichtum fügt ihr nichts hinzu. Allerdings gibt es Lebenssituationen in Armut, die der Würde des Menschen Hohn sprechen und auch ein falsches Vertrauen auf Reichtum. Wir sind von Gott aneinander gewiesen und tragen füreinander Verantwortung. Menschen vom gemeinsamen Leben auszuschließen und Teilhabe zu verweigern, ist Sünde vor Gott. Gott traut uns zu, unser Land gerecht zu gestalten und seinen Reichtum zum Wohle aller einzusetzen. In diesem Geist äußern wir uns zur Situation der Menschen in unserem Lande und erwarten, dass Armut bekämpft und Reichtum in die Pflicht genommen wird. In den Armen begegnet uns Christus. „Reiche und Arme begegnen einander – der Herr hat sie alle gemacht.“ (Spr 22.2) Die Entwicklung hin zu einer komplexen Informationsgesellschaft verbunden mit der Globalisierung wirtschaftlicher Prozesse hat Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik im vereinten Deutschland. Seit Mitte der 1990er Jahre dominiert unter dem Stichwort „Zwang zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte“ eine Politik des Leistungsabbaus sozialer Sicherungssysteme, die u.a. durch eine deutliche Umverteilung der Lasten zu Ungunsten sozial ausgegrenzter Bürgerinnen und Bürger geprägt ist. Die anhaltende Diskussion um eine Reform und Konsolidierung des Sozialstaates, die mit einer wirtschaftlich schwierigen Lage, zu hohen Sozialausgaben und der damit einhergehenden Verschuldung der öffentlichen Haushalte begründet wird, führt zu einer Konzentration auf Fragen des Wirtschaftswachstums. Aber auch wirtschaftliches Wachstum hat in den vergangenen Jahren nicht zu einer gerechten Beteiligung aller am Markteinkommen geführt. Nach wie vor ist die Frage nach sozialer Gerechtigkeit eine sozialstaatliche Gestaltungsaufgabe. Die Einseitigkeit bei der Verteilung der Lasten und der Privilegien in unserer Gesellschaft stellt den Sozialstaat in Frage. Die ungleiche Verteilung der ausreichend vorhandenen Ressourcen1 lässt die „soziale Schere“ immer weiter auseinander klaffen. In den letzten zwanzig Jahren ist mit der Armut zugleich der Reichtum in Deutschland gewachsen. Anhaltende Massenarbeitslosigkeit, Wohnungsnot für bestimmte Zielgruppen, Überschuldung einkommensarmer Haushalte und die Armut von Kindern und Jugendlichen stehen einem überdurchschnittlichen Wachstum der Geldvermögen von Privatanlegern gegenüber. Der Ausschluss vieler Menschen von der Teilhabe an der gesellschaftlichen Entwicklung stellt die demokratischen Grundlagen des Gemeinwesens in Frage. Unsere Gesellschaft entwickelt sich von einer Solidargemeinschaft hin zu einer individualisierten Gesellschaft. Die Privatisierung bei der Absicherung sozialer Risiken (Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit usw.) ist nur eine Folge des insgesamt kälter werdenden gesellschaftlichen Klimas. Es ist Aufgabe von Kirche und Diakonie, den Skandal der einseitigen Verteilung der Lasten zu Ungunsten der Schwächeren öffentlich zu machen und für die Schließung der Gerechtigkeitslücke einzutreten. Festschrift Gerechtigkeit hat eine Lücke Auch für den Westfälische Herbergsverband e.V. ist es ein wesentliches Ziel, die Kluft zwischen Arm und Reich ins öffentliche Bewusstsein zu bringen und der Ausgrenzung entgegen zu wirken. Dabei richten wir unseren Blick vor allem auf die (Lebens-)bereiche Gesundheit, Arbeit, Chance auf Verwirklichung, Wohnen, materielle Existenzsicherung und Bildung. Münster, den 06. März 2008 Der Vorstand Fußnote 1 Die – finanziell gesehen – untere Hälfte der Gesellschaft verfügt über einen Anteil von nur 3,4 Prozent am Markteinkommen. Das Einkommen eines Arbeiters im produzierenden Gewerbe wuchs vom Jahr 2005 auf 2006 um 1,7 Prozent (34.000 € Brutto), während die Vorstandsvorsitzenden der DAX-Konzerne im Jahr 2006 14 Prozent mehr verdienten als im Jahr davor (durchschnittlich 4,3 Mio. Euro brutto). Quelle: GEO-Umfrage 10/2007 67 68 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Müssen wir ins SGB II? Müssen wir ins SGB II? Diskussion 2005 wurde aus dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) das SGB XII, und es trat mit dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ ein neues Gesetz in Kraft. Gedacht war das SGB II unter dem Ruf „Hilfe aus einer Hand“ als die Bündelung bis dahin verschiedener Gesetze für arbeitslose Menschen. Für die Hilfe für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten gemäß §67ff SGB XII war es der Beginn geteilter Zuständigkeiten und vieler, vieler Abstimmungsprobleme. Pro und Contra der Integration von Menschen in besonderen Schwierigkeiten in die Grundsicherung für Arbeitssuchende • zu einem Ergebnis ausdiskutiert werden kann. keine Moderatoren für die Arbeitsgruppen gefunden zu haben, da potentielle Kandidaten und Kandidatinnen lieber subjektiv mit diskutieren wollten als objektiv zu moderieren. Im Plenum haben wir in drei Blöcken zu drei Fragestellungen zunächst Positionen gesammelt und notiert und anschließend in einer Abstimmung mit je drei Stimmen ein Meinungsbild erstellt. Die Fragestellungen waren: • Welche Positionen zum Thema gibt es? • Was heißt das für die politische Arbeit in Richtung der Landschaftsverbände, der Ministerien und der Bundesebene? • Was heißt das für die praktische Arbeit? Diskussion Auf den folgenden Selten sind die gesammelten Positionen und das Abstimmungsergebnis (Meinungsbild) dokumentiert. Am Nachmittag haben wir die klassische Form der Fachtagung mit der Aufteilung in Arbeitsgruppen verlassen und sind im Plenum zusammen geblieben. Die Gesamtzahl der Anwesenden war laut Teilnahmeliste 42 Personen = 126 Stimmen. Diese Entscheidung ist aus mehreren Gründen gefallen und hat sich im achhinein als sowohl praktikabel als auch richtig erwiesen. Die Gründe für die Entscheidung waren: • das vermutet große Meinungsspektrum der Teilnehmenden, • das vermutet große Interesse der Teilnehmenden, möglichst viele Positionen kennen zu lernen, • die Vermutung, dass das Thema auch nicht in Kleingruppen bis Aus den Additionen lässt sich einschränkend vermuten, dass entweder nicht alle Anwesende von ihren drei Stimmen Gebrauch gemacht haben und/oder nicht alle Anwesenden eine Position durch Handheben dokumentiert haben. Festschrift Müssen wir ins SGB II? Welche Positionen gibt es? Position Meinungsbild Prozent Jeder hat das Recht auf Arbeit entsprechend seiner Ressourcen – dies gewährleistet im Grundsatz das SGB II. 14 23,22 Nicht für jeden Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten ist das Thema Arbeit der (erste) Hebel zur Integration – „Schutz(raum)“ vor SGB II. 14 23,22 Das Problem ist die Auflösung der Hilfen aus einer Hand, die es im BSHG noch gab. 2 3,33 Wenn individuell besondere soziale Schwierigkeiten im Vordergrund stehen (= Problembündel so dicht, dass es erst entwirrt werden muss), müssen diese Priorität haben – allein im SGB XII. 18 30,00 Positiv an der Entwicklung – Die Situation der Menschen kommt wieder in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. 1 1,67 Wir müssen uns an der Normalität orientieren, so schlecht diese auch ist. 5 8,33 Nicht das Gesetz ist schlecht, sondern die Anwendung. 3 5,00 SGB II und SGB XII haben die gleichen Ziele --> SGB II kann auch Hilfen für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten anbieten, das müssen wir einklagen. 3 500 60 69 70 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Müssen wir insSGB II? Was heißt das für die politische Arbeit in Richtung der Landschaftsverbände, der Ministerien und der Bundesebene? Position Meinungsbild Prozent 4 6,90 Sich dafür einsetzen, dass Hilfe aus einer Hand unter Federführung Hilfeplan § 67 passiert. 10 17,24 Klären, wie wir erklären, dass ein besonderes Problem für Menschen in stationärer Hilfe besteht. 3 5,17 Sauber trennen, wo Klientenrechte und wo Trägerrechte betroffen sind – oder wo beides passiert. 3 5,17 Schnittstellen rechtlich prüfen (lassen) 23 39,44 Sozialpolitik ansprechen – Tut alles, um das Problem generell zu lösen (Schnittstellengesetz). 10 17,24 Andere Ressourcen als den Staat erschließen (Stiftungen etc.) 0 0 öffentlich skandalisieren 5 8,62 Arbeit anders definieren: u.a. Werben für die Aussage: Arbeit ist nicht gleich Erwerbsarbeit Erwerbsfähigkeit anders definieren. Definieren der Formel „unter normalen Bedingungen des Arbeitsmarktes“ 58 Festschrift Müssen wir ins SGB II? 71 Was heißt das für die praktische Arbeit? Meinungsbild Prozent Das Konzept der stationären Hilfe wieder enger stricken Position 0 0 Unser Verhältnis zum Thema Sanktionen / Fordern und Fördern klären 24 36,92 Auflösen der stationären Hilfe 3 4,62 Vom Einzelfall her argumentieren / intensive Einzelfallprüfung 16 24,62 Prüfen, ob Klagen angezeigt sind 17 26,15 Klienten zurück in die Flure der Gesundheitsämter u.a. begleiten, Gutachten einfordern und damit wieder Aufmerksamkeit erregen. 5 7,69 65 Fazit Es sind viele Kolleginnen und Kollegen gekommen! Wir haben zwei sehr interessante Vorträge gehört, die ich zur Nachlese wärmstens empfehle! Wir sind uns begegnet, haben diskutiert, gelacht und (ich hoffe) gut gegessen. Und wir waren gar nicht so weit auseinander in unseren Meinungen, wie es das Tagungsthema und einzelne Gespräche im Vorfeld haben vermuten, vielleicht sogar haben befürchten lassen. Das hat mich am meisten beeindruckt. Alles in allem also eine rundum gelungene Veranstaltung – was will man/frau mehr! Die meiste Zustimmung fanden diese drei, etwas um den Gesamteindruck der Diskussion erweiterte Aussagen: • Im Zusammenspiel von SGB II und SGB XII bedarf es einer besonderen Würdigung von besonderen sozialen Schwierigkeiten nach der Definition des SGB XII in Federführung und Verantwortung des SGB XII. • Die Idee des Gesetzes geht – die Ausführung ist fehlerhaft --> Schnittstellen müssen geprüft werden – vermutlich über die Gerichte. 72 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Müssen wir ins SGB II? • Wir müssen unser Verhältnis zum Thema „Sanktionen“ und zum Thema „Fordern und Fördern“ klären... Keines der Themen bzw. keine der Forderungen wird sich von alleine erfüllen. Wir müssen also weiter etwas tun. Es bleibt eine Aufgabe des Westfälischen Herbergsverband e.V. bei aller Einigkeit, aber nicht zu verschweigenden Unterschiedlichkeiten in den Positionen, diese Diskussion fortzusetzen und Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Umsetzung in der Praxis weiter zu unterstützen. Münster, den 11. Februar 2009 Jan Orlt, Geschäftsführer aus: Dokumentation eines Fachtages am 29. Januar 2009 in Münster Hrsg.: Westfälischer Herbergsverband e.V. S. 28-32 Festschrift Erinnerungen Erinnerungen 125 Jahre wird der Westfälische Herbergsverband e.V. alt. 25 Jahre sind seit dem 100-jährigen Jubiläum vergangen. Einige Kollegen und Kolleginnen sind genau diese 25 Jahre, zum Teil schon länger, dabei und haben uns für diese Festschrift ihre Erinnerungen aufgeschrieben, die wir auf den folgenden Seiten präsentieren. Immer unterwegs Schäferhof – Bodelschwingh-Haus – Jödebrunnen – Gut Dauelsberg – Wegwende – Käsdorf – Herberge zur Heimat – Drevermannstift – Perthes-Haus – Haus Birkenkamp – Haus Maria Veen – RudolfWinzer-Haus – Christopherus-Heim – Lühlerheim – Heinrich-Oberwinter-Haus –Antoniusheim – Petrusheim – Hugo-Roth-Haus – Dornahof – Erlacher Höhe – Herzogsägmühle Simonshof – Eremitage Bretzenheim – Quellenhof… …eine persönliche, willkürliche Auswahl von klingenden Namen, die Anfang der 1980er Jahre zu Beginn meiner sozialarbeiterischen Tätigkeit in der Wohnungslosenhilfe in Bielefeld-Bethel eine große Bedeutung hatten. Seitdem hat sich Vieles und Grundlegendes verändert. Die damalige Großeinrichtung (ca. 130 stationäre Plätze, am Rande der Stadt und schon ländlich gelegen) war historisch gewachsen. Die Grundfesten der Einrichtung schienen in jener Zeit nahezu unverrückbar – das gemeinschaftliche Essen im Speisesaal, die Kleiderkammer und die Nähstube, die zentrale wöchentliche Geldauszahlung, die nicht immer freiwillige Geldeinteilung u.a. mit unfreiwilligem bargeldlosen Einkauf in dem kleinen hauseigenen Lädchen, die Landwirtschaft und die „Klammerbude“ (Werkstatt für Kleinmontage-Wäscheklammern), das Mehrbettzimmer auch im Übergangsbereich, die 73 Verpflichtung zur Abgabe der Krankenscheine und der verordneten Medikamente, das absolute Alkoholverbot mit häufigen Alkoholexzessen in der Umgebung der Einrichtung. Dort sind mir noch Menschen buchstäblich „auf Wanderschaft“ begegnet. Sie erzählten mir, dass sie bestimmte Touren hätten. Die Runden, die sie drehten, ähnelten sich sehr. Die eher kleinere führte durch Westfalen, bisweilen bis nach Niedersachsen oder Hamburg hinauf. Die andere, südliche Runde erstreckte sich über Hessen bis nach Baden-Württemberg und Bayern. Der Verlauf der „Wanderungen“ richtete sich natürlich nach der Lage von Einrichtungen. Große Städte wurden in der Regel gemieden. Heime mit guter Verpflegung und sonstiger Versorgung waren gefragt. An einen Tagessatz für Durchwanderer war noch nicht zu denken. Das System der stationären Hilfen war darauf eingestellt. Das waren die „nichtsesshaften“ Menschen, bei denen immer wieder „die Schuhe im Schrank klapperten.“ Nun muss ich vermerken, dass die Einrichtung nicht immer freiwillig verlassen wurde. „Flugscheine“ – fristlose disziplinarische Entlassungen – waren nichts Ungewöhnliches. Die Entscheidung zu einer disziplinarischen Entlassung folgte nicht immer einer fachlichen Bewertung der Situation. Aufgrund des Verhaltens der Betroffenen (z.B. Aggressionen unter Alkoholeinfluss und durch Probleme im Mehrbettzimmer) und aufgrund der fehlenden Betreuungsmöglichkeiten der Einrichtung mit nur wenigen qualifizierten Mitarbeitenden war das oft die Ultima Ratio. Im Laufe der Jahre traf ich dann Menschen, die wiederkehrten. Durch Beobachtungen und durch Gespräche mit den Bewohnern über ihre Lebenssituation entstand für mich ein geschlossenes Bild der Zusammenhänge. Oft wurden Bewohner im alkoholischen Entzug aufgenommen. Nach einer mehr oder weniger qualifizierten Entgiftung nahmen sie sich für ihren weiteren Lebensweg in der folgenden (relativen) Abstinenzphase einiges vor. Bei dem Leben „unterwegs auf der Straße“ blieben der Zahnersatz, die Brille oder der Ausweis 74 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Erinnerungen schon einmal auf der Strecke. Auch die Behandlung von Verletzungen oder Krankheiten war kaum möglich. Probleme wurden jetzt angegangen und dringende persönliche Angelegenheiten geregelt. Doch irgendwann war der Suchtdruck zu groß und dem „Griff zur Flasche“ war nicht zu widerstehen – der Beginn der nächsten Trinkphase. Bei vermehrtem, übermäßigem Genuss kommt es unweigerlich wieder zu Problemen mit anderen Bewohnern oder der Hausordnung und den Mitarbeitenden. Die zwangsläufige Folge: die disziplinarische Entlassung und Hausverbot, ohne Unterkunft und festen Wohnsitz, der alkoholischer Absturz sowie, früher oder später, ein Ortswechsel in Richtung der nächsten Einrichtung. Ohne qualifizierte Hilfe war es mit etwas Anstrengung zu schaffen, sich den (Heim-)Bedingungen etwa vier bis sechs Wochen anzupassen und das Alkoholproblem zu kontrollieren. Mancher Bewohner wartete den Rausschmiss nicht erst ab und verließ uns vorher („unkoordinierter Abgang“). Doch viele konnten nicht anders und mussten die fristlose Entlassung und das Hausverbot in Kauf nehmen, in der Regel ein halbes oder ein ganzes Jahr. Das Weitere ist eine einfache Rechnung: Wie viele Einrichtungen müssen in dieser Weise durchlaufen werden, bis das jeweilige Hausverbot abgelaufen ist? Es gibt aber noch andere Gründe, die die Bewohner dazu bewegten, die stationären Einrichtungen wieder zu verlassen. Ohne festen Wohnsitz sind (Ein-)Schreiben z.B. von Justizbehörden bei Schulden und Strafverfahren nicht zustellbar und „Hausbesuche“ nicht möglich. Sicherungshaftbefehle werden ausgestellt, aber ihre Vollstreckung ist eher Zufall. Doch mit der behördlichen Anmeldung in einer Einrichtung kommen nach einer gewissen Zeit auch die entsprechenden Schreiben ins Haus oder die Polizei steht vor der Tür. Es wird Zeit, wieder zu gehen. Die Hilfen für wohnungslose Menschen haben sich in vielfältiger Weise entwickelt. Die Unterbringung in den stationären Einrichtungen ist deutlich verbessert, und die Beratung und Begleitung setzt unter anderem direkt bei diesen Problemlagen an. So muss (oder müsste) zumindest aus diesen Gründen kaum noch jemand auf die „Wanderschaft“. Doch müssen wir aufmerksam bleiben, damit wir keinen Menschen mutwillig oder fahrlässig durch Art und Form unsere Hilfe vertreiben. Klaus Loevenich Bielefeld, 13. Juli 2010 Festschrift Erinnerungen Meine Zeit in der Wohnungslosenhilfe In der Nichtseßhaftenhilfe, wie die Wohnungslosenhilfe damals noch genannt und geschrieben wurde, bin ich seit dem 1. April 1981 tätig. Diese Tätigkeit ist für mich nicht zum Aprilscherz geworden und darüber bin ich bis heute froh. Als ausgebildete Sozialpädagogin fand ich es damals – nach der Arbeit mit geistig behinderten Kindern und jungen Erwachsenen – interessant, mit erwachsenen Männern zu arbeiten und dabei beruflich viel Neues zu lernen. Mein Start in der Wohnungslosenhilfe führte mich in eine große stationäre Einrichtung. Kurz zuvor war dort der kostendeckende Pflegesatz eingeführt worden, und es konnten viele neue Stellen geschaffen und besetzt werden. Schnell musste ich erfahren, dass es dort eher darum ging, den Alltag der Einrichtung aufrecht zu erhalten: Arbeit/Beschäftigung der Bewohner (ausschließlich Männer) in der Klammerbude, der Landwirtschaft oder im Garten; Haushelfer (Kalfaktoren) waren für die Sauberkeit in Zimmer, Fluren und Sanitärräumen verantwortlich. Morgendliches Wecken der Bewohner gehörte zu den Routineaufgaben; ebenso aufzupassen, dass es keine alkoholischen Entgleisungen gab. Selbstverständlich war der Alkoholkonsum in den Einrichtungen verboten, und es gehörte zu den Aufgaben der Sozialen Arbeit, die Einhaltung dieses Verbotes zu überwachen und ggf. einzuschreiten. Dies bedeutete, den Alkohol zu konfiszieren und Saufgelage aufzulösen. Vor mir gab es kurzfristig eine andere Frau, die als Sozialarbeiterin dort arbeitete; gleichzeitig mit mir gab es dort eine Diakonisse, mit der ich mich gut über männliches und weibliches Rollenverhalten austauschen und es reflektieren konnte. Weitere Frauen gab es in der Küche und in der Waschküche. Anfangs gehörten zu meinen Aufgaben im Wochenenddienst auch die Körperpflege der Altenheimbewohner sowie die Medikamentenvergabe. 75 Wer die Woche über beim Alkoholkonsum oder betrunken erwischt worden war, erhielt keine Taschengeldauszahlung, sondern einen „Schüttelscheck“, mit dem er im hauseigenen Kiosk seinen Bedarf an Tabakwaren, Kaffee und Hygieneartikel decken konnte. Die Vermittlung in Wohnung oder Arbeit geschah eher zufällig, meist auf Initiative der Betroffenen. Eine systematische Hilfeplanung wie heute war nicht üblich. Über die Sozialberichte wurden die Betroffenen informiert; mit ihnen erstellt, um zu reflektieren und die Hilfe voranzutreiben, wurden sie nicht. Damit waren viele soziale Fachkräfte unzufrieden, und es begann die Zeit des Wandels und des Paradigmenwechsels. Beratungsstellen und Beratungsangebote sind zu dieser Zeit entstanden, und es tobten harte Auseinandersetzungen bis hin zu persönlichen Beschimpfungen zwischen den Vertretern der stationären und der ambulanten Hilfen. Als ich an meiner ersten Beckhof-Konferenz teilnahm, vermutlich 1982 oder 1983, saß ich neben einem Vertreter der ambulanten Hilfe, der, nachdem er herausfand, dass ich stationär arbeitete, mich übelst dafür beschimpfte, dass ich in einem solchen System arbeitete. Anfang der 1990er Jahre bin ich, nach Erfahrungen in der ambulanten Wohnungslosenhilfe, wieder sehr bewusst in die stationäre Hilfe zurückgegangen, allerdings dann mit Leitungsverantwortung ausgestattet. So hatte ich und habe ich bis heute Gelegenheit, an der Gestaltung und Organisation der Hilfe für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten mitzuwirken und neben differenzierten stationären Hilfen auch für ambulante Angebote zu sorgen. In den stationären Einrichtungen sind heute vielerorts Einbettzimmer, gar kleine Wohneinheiten mit Küche und Bad, eigener Zimmer- und Haustürschlüssel, eigner Briefkasten, Alkoholkonsum im eigenen Zimmer, individuelle Hilfeplanung, Mitwirkung und Mitgestaltung am Hilfeprozess und ambulante Nachsorgeangebote (und noch Vieles mehr) Selbstverständlichkeiten. Zu den Selbstverständlichkeiten gehört es auch, die Hilfesuchenden so schnell und nachhaltig wie möglich in die Eigenständigkeit zu führen und an weitere ambulante Angebote anzuschließen. Die heutige Wohnungslosenhilfe ist keine 76 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Erinnerungen Männerhilfe mehr, sondern in der Lage, wohnungslosen Männern und wohnungslosen Frauen angemessene Hilfeangebote zur Verfügung zu stellen. Was mich heute noch ärgert: • Beratungsstellen und stationäre Hilfeangebote scheinen nur dort wirklich Hand in Hand zu arbeiten, wo sie unter einer Leitung stehen. Ansonsten ist es eher ein friedliches Nebeneinander, bei dem man sich ab und zu mal in Anspruch nimmt. • Über das Nettoprinzip werden seitens des Kostenträgers finanzielle Risiken auf die Träger stationärer Hilfen verlagert. • Finanznot und veränderte Einstellungen und Haltungen führen zu politischen Beschlüssen, die mit großer Kraft seitens der Verwaltung umgesetzt werden. Die Träger der Hilfen sind nicht mehr Mitgestalter von Veränderungsprozessen, sondern werden zu Leistungsanbietern, deren Hilfen immer differenzierter werden. Großenteils können sie auf die Vorgaben von Politik und Verwaltung nur reagieren. Nur damit ich nicht falsch verstanden werden: nichts gegen Veränderungen – aber Beteiligung ist nicht nur im Hilfeprozess Voraussetzung für ein gutes Gelingen. Sigrid Kübler-Molitor Hamm, im Juli 2010 Festschrift Erinnerungen Gut versorgt Hauswirtschaft in stationären Einrichtungen Von 1981 bis 2001 arbeitete ich unter anderem als Hauswirtschaftsleitung in einer stationären Einrichtung mit ca.130 Plätzen mit Aufnahme/Übergangsbereichen, Wohnheimen und einem so genannten Altenheim für alte und chronisch kranke Bewohner. Die Hauswirtschaft war zuständig für die Verpflegung, die Reinigung, die Hauswäsche und persönliche Wäsche, die Nähstube und Kleiderkammer sowie für die atmosphärische Ausstattung. Wir verfügten über einen großen gemeinsamen Speisesaal für alle Bewohner mit ca. 120 Plätzen. Dieser teilte sich in einen großen und einen kleineren Bereich auf. Der letztere war für die Bewohner des Altenheims reserviert, da dieser über einen Flur direkt mit dem Altenheim verbunden war. Die Essenzeiten jeweils 15 bis 20 Minuten: Frühstück 7:30 Uhr (Wochenende 8:30 Uhr) Mittagessen 12:00 Uhr Abendbrot 18:00 Uhr. Die Speisen wurden von uns weitgehend frisch zubereitet und zu den Essenszeiten tischweise bereitgestellt. Mindestens eine Mitarbeiterin bzw. ein Mitarbeiter aus der Sozialarbeit musste bei den Mahlzeiten im Speisesaal anwesend sein und die Mahlzeiten eröffnen. Über einen langen Zeitraum geschah dies über Mikrofon mit einem Gebet. Im Speisesaal gab es eine Sitzordnung, die die zuständige Hauswirtschaftsmitarbeiterin mit den Bewohnern erstellte. So wurde weitest gehend gewährleistet, dass die Bewohner zusammen saßen, die miteinander umgehen konnten. Bei so vielen 77 Menschen gab es natürlich gelegentlich Konflikte zu schlichten. Und manchmal musste jemand aus dem Speisesaal verwiesen werden. Wir deckten alltags die Tische unter anderem mit folgenden Lebensmitteln ein: Margarine, von den Bewohnern Wagenschmiere genannt; morgens „Muckefuck“, Brot, Milchsuppe und Schmalz, eine Scheibe Wurst oder Käse; abends den beliebten roten oder gelben Tee. Mittwoch und Sonntag früh bekamen die Bewohner ein Ei und ein Brötchen zusätzlich, sonntags dann endlich auch Bohnenkaffee. Abends bereiteten wir neben der Kaltverpflegung auch noch eine warme Kleinigkeit (z.B. Bratkartoffeln) zu. Am Sonntag gab es mittags zusätzlich ein Stück Kuchen. Samstags und sonntags erhielten die Bewohner für abends ein Brotpäckchen, mit Rücksicht auf die Sportschau und andere Freizeitaktivitäten. Zur Fußball-EM und -WM passten wir die Essenszeiten den Spielen an, oder es gab die bereits erwähnten Brotpäckchen. Etliche Bewohner arbeiteten in der dazu gehörigen Landwirtschaft und im hauseigenen Garten. Sie wurden von uns alltags um 10:00 Uhr mit Schmalzstullen versorgt. Zusätzlich zu den Schlafbereitschaften der Hausleitung und der Sozialarbeit, wachten besonders ausgewählte Bewohner in der Nacht zur Registrierung von besonderen Vorkommnissen und zur Alarmierung der Mitarbeitenden im Notfall. Diese Nachtwächter musste immer besonders umsorgt werden und erhielten für die Nacht eine reichhaltige Extra-Verpflegung. Aber es gab noch weitere besondere Situationen, in denen die Küchenmitarbeitenden besondere Aufgaben hatten. So bekam jeder Bewohner zu seinem Geburtstag einen selbstgebackenen Geburtstagskuchen an seinen Sitzplatz gestellt. Für erkrankte Bewohner bereiteten wir bei Bedarf gesondert Speisen, und diejenigen, die sterbenskrank waren, erhielten über uns Wunschkost. Die Milch bekamen wir täglich „zapffrisch“ aus der eigenen Landwirtschaft. Jeden Abend kam ein Bewohner – „Katzenvater“ genannt – 78 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Erinnerungen zu uns in die Küche, um sich für die Versorgung der vielen Katzen der Einrichtung Milch abzuholen. Er kümmerte sich liebevoll all die Jahre um die Katzen (bis zu 15 Tiere) und bezahlte von seinem eigenen Geld Tierarztkosten. Der Bestand ergab sich durch zugelaufene, zum Teil ausgesetzte Tiere. Um diesen ein wenig einzudämmen, führten wir einmal sogar eine größere Kastrationsaktion durch. Meine Tür Öffnen Wo ich hinschaue, sehe ich Menschen in leiblicher und seelischer Not Ich kann versuchen, sie nicht zu sehen, – aber sie schauen mich an. Ich kann versuchen, ihnen aus dem Weg zu gehen, – sie aber begegnen mir. Ich kann versuchen, ihnen klarzumachen, dass ich nicht helfen kann, – aber sie warten auf meine Hilfe. Vater, lass mich meine Türen öffnen für jeden, der bei mir anklopft. Lass mich ihm keine Steine geben, sondern Brot! Christian Kipping Der eigene Gartenbereich lieferte uns zu bestimmten Zeiten viel Obst, Gemüse und Kräuter. Nicht selten saßen wir nachmittags in der Gemüseküche, um die Massen z.B. an Bohnen zu verarbeiten, und es kam gelegentlich eine Sozialarbeiterin hinzu, um uns mal für eine halbe Stunde zu helfen. In dieser Zeit wurde dann überwiegend über dienstliche Angelegenheiten gesprochen, sozusagen eine informelle Dienstbesprechung. Im Gegenzug halfen wir dann der Kollegin, wenn in einem Bewohnerzimmer wieder einmal das Essen „durch das Zimmer lief“ und alle Bemühungen nicht fruchteten, dass der Bewohner die alten Lebensmittel und Essensreste wegwarf. Ein paar liebevoll konsequente Worte von uns und leichtes Aufbegehren des Bewohners, und wir durften dann doch die Essenreste entsorgen. Dies wäre heute aus vielerlei Hinsicht undenkbar, alleine schon durch die veränderten Hygiene-Richtlinien, aber auch durch die striktere Trennung der Arbeitsbereiche. Jetzt gibt es die hauswirtschaftliche Beratung zur Förderung der Selbstständigkeit, die in solchen Fällen tätig wird. Heute, gut 25 Jahre später, hat sich die Einrichtung durch Zusammenlegung mit anderen Einrichtungen, durch Dezentralisierung und Differenzierung grundlegend verändert. Der zentrale stationäre Bereich ist sehr verkleinert. Die Bewohner können sich die Verpflegung bei unterschiedlichen Anbietern bestellen oder essen in den Firmenkantinen, bei Fast-Food-Ketten, in Bäckereien, usw. Was vor Jahren zaghaft begann, ist in den meisten Wohnbereichen selbstverständlich: Die Bewohner müssen nun auch ihre Lebensmittel einkaufen, einige kochen selbst. Auch hier findet jetzt natürlich hauswirtschaftliche Beratung statt. Elke Jesdinsky Bielefeld, im Juli 2010 Festschrift Erinnerungen Blitzlichterinnerungen aus 40 Jahren Wohnungslosenhilfe und WHV 1970: Ersatzdienst (heute Zivildienst) in der Herberge zur Heimat des Perthes-Werkes in Soest: Mehr als 50 Männer, die Hälfte davon in zwei Schlafsälen. Außer den Hauseltern nur der Zivi und ein ungelernter Mitarbeiter. Oft mit 50 betrunkenen Männern alleine im Haus. Ca. 8,00 DM Pflegekostenzuschuss pro Tag und Mann. Viel Gewalt, viele Hausverbote, Laufkarten, Warnmeldungen. Die Menschen gehen von Einrichtung zu Einrichtung. Dichte, intensive persönliche Nähe. Übernachter machen Pflichtarbeit im barmherzigen Holzstall. Erst dann bekommen sie ihre „Fleppen“ zurück. Die anderen arbeiten in der Werkstatt, und viele sind nach ein paar Tagen vermittlungsfähig. Wir „vermieten“ für Tage, Stunden, Wochen an Bauern, Speditionen, Kohlenhandlungen, Tiefbau usw. Jeden Tag neue Einteilung. Das Geld geht zunächst an die Einrichtung. Einige erlangen daraus ein festes Arbeitsverhältnis für Tage, Monate, Jahre. Nicht wenige werden „resozialisiert“. Im Vergleich zu heute: tagtägliche, schlimme Rechtsbrüche – obwohl der Begriff nicht auftaucht. Aber auch eine große Nähe und Offenheit der Männer für persönlichste Themen. Und: Sie und die Einrichtung gehörten zur Stadt dazu! Wenn auch problematisch, so aber doch mehr Inklusion als heute. 1978: Nach Nebenjobs in der Arbeiterkolonie Heimathof Homborn (spannendes Miterleben, dass sozialrechtlich aus Gefährdetenhilfe Rechtsansprüche werden – von vielen Profis missäugt) und Anerkennungsjahr im neuen Männerwohnheim des Perthes-Werkes in Soest nun ausgebildeter Sozialarbeiter. Davon gibt es noch wenige in der Wohnungslosenhilfe. Nun wieder im Heimathof. Intensive Auseinandersetzung mit Rechtsansprüchen – Bildung Heimrat – „Aufstand“ gegen die Hauselterngeneration – Problematisierung Pflichtarbeit. 79 Fazit des Heimathofes: „Nichtsesshaftenhilfe produziert Nichtsesshaftigkeit“ als mobilen Hospitalismus. Folgerung: 1. Wir benötigen ambulante Hilfen. 2. Wir benötigen Wohnungen. 3. Stationäre Hilfe muss reduziert werden – und die noch verbleibenden Einrichtungen/Plätze müssen sich spezialisieren und genau sagen, was sie wie für wen machen wollen. Direkte Folgerungen für den Heimathof: Massiver Einsatz zur Verankerung von Beratungsstellen für wohnungslose Menschen, Reduzierung der Platzzahl, Aufnahme nur noch über andere Beratungsdienste, Umbau zur Sozialtherapeutischen Einrichtung für wohnungslose Männer mit einer Alkoholproblematik. Individuelle und strukturelle „Beackerung“ der Versäulungen zwischen Wohnungslosen- und Suchtkrankenhilfe. Eine spannende, tolle und gelungene Aufbauzeit, die 1995 nach Schwerpunktverschiebung auf konsequent regionale Ausrichtung ihre vorläufige Konsolidierung erreicht. 2010: Weit über 1.000 Menschen haben seit 1978 den Heimathof in äußerlich gesicherte Verhältnisse – überwiegend eine eigene Wohnung – verlassen. Wohnungslosigkeit ist insgesamt zurückgegangen. Toll. Armut nimmt zu. Insgesamt keine großen Flügelkämpfe mehr in der Wohnungslosenhilfe – aber auch kein großer Pepp mehr. Auch die ambulante Hilfe ist in die Jahre gekommen… Die Träger werden sozialtechnokratischer… Dem Heimathof stehen spannende Prozesse bevor: Noch weitere Dezentralisierung/Regionalisierung. Deutliche Verbesserung der Inklusionschancen. Und, und, und... Bin gespannt darauf, wer dazu 2035 anlässlich „150 Jahre WHV“ etwas schreibt. Klaus Gresförder Bielefeld, 2010 80 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Erinnerungen Beginn der Arbeit in Münster Die Arbeit mit alleinstehenden Obdachlosen in Münster begann im Juni 1982. Ich startete zunächst in den Räumen des Evangelischen Gemeindedienstes im Diakonischen Werk Münster. Eine eigene Bleibe für die neu eingerichtete Fachberatungsstelle existierte noch nicht. Auch im Haus des Gemeindedienstes stand für mich als Beraterin kein eigenes Büro zur Verfügung: Mein „flexibles Büro“ bestand aus einem Rollwagen mit Hängemappen, den ich bei Bedarf – heißt bei Vorsprache eines/einer Klienten/Klientin oder für Schreibarbeiten usw. – in irgendein gerade nicht genutztes Büro schob. Also war auch ich „obdachlos“ und zog mit meiner Habe immer dorthin, wo mir jemand (s)einen Platz zur Verfügung stellte. Die Suche nach einer „Wohnung“, also Büroräumen, war zunächst meine Hauptaufgabe. Am Anfang fand meine Arbeit mit Obdachlosen vorwiegend auf der Straße statt. Ich suchte die Menschen an den Plätzen, ihren bekannten Treffpunkten auf und versuchte, meine Hilfen anzubieten. Hilfen, die bis dahin als ambulante Form in der Stadt unbekannt waren. Eine enge Zusammenarbeit gab es mit der Bischof-Hermann-Stiftung als Trägerin von Übernachtung und stationärer Einrichtung für Männer. Nach einiger Zeit konnten dann Büroräume in der von-Vincke-Straße angemietet werden. Damit war ich zwar nicht mehr „obdachlos“, aber nach wie vor „alleinstehend“. Durch die regelmäßigen Kontakte im „Arbeitskreis Westliches Westfalen“ des WHV, damals mit dem Geschäftsführer Friedhelm Hasenburg, wurde rasch deutlich, dass ich in Münster zwar alleine in diesem Bereich arbeitete, aber die ambulante Wohnungslosenhilfe in verschiedenen Städten ebenfalls im Aufbau war. Der fachliche Austausch mit diesen KollegInnen bot mir wichtige erste Orientierung. Der Zustand „alleinstehend“ wurde durch Einstellung der Mitarbeiterin Jessica Schmitz, die einer katholischen Lebensgemeinschaft angehörte, beendet. Nicht nur ich hatte durch die Anmietung der Büroräume eine feste Adresse, auch wohnungslose Frauen und Männer verfügten über meine Büroanschrift nun über eine Erreichbarkeitsanschrift für Ämter usw.. Dadurch war es für sie möglich, Arbeitslosengeld oder Sozialleistungen zu beanspruchen und zu erhalten. Den großen Warteraum in der Fachberatungsstelle nutzten die BesucherInnen auch als Treffpunkt, als Tagesaufenthalt. Er bot ihnen die Möglichkeit, sich aufzuhalten, Kaffee zu trinken, den gerade schlechten Witterungsverhältnissen zu entfliehen. Nicht nur die Vermittlung in Wohnung, sondern auch in Arbeit gehörte zu unseren Aufgaben. Es kam eine enge Zusammenarbeit mit der Firma HFR-Rümpelfix zustande, die Reha-Arbeitsplätze anbot und „unsere Männer“ mittels verschiedener Maßnahmen in die dort angebundene Fahrradwerkstatt einband. Ausbildungsverträge waren ebenso möglich wie unterschiedliche Entlohnungssysteme. Parallel zu der Arbeit in den anderen Beratungsstellen und in Absprache mit dem örtlichen Sozialamt wurde unser Aufgabenbereich dahingehend erweitert, dass auch Verhinderung von Obdachlosigkeit ins Aufgabenspektrum aufgenommen wurde. Teilweise wurden Menschen mit entsprechender Problemlage vom Sozialamt zu uns vermittelt. Auch die Betreuung und Begleitung (nun) ehemals Obdachloser in ihrer (gefährdeten) Wohnung war eine dieser Aufgaben. Hannelore Holzwarth Backnang im Oktober 2010 Festschrift Erinnerungen Logierbesuch Am Morgen ist im Kindergarten eine Scheibe eingeschlagen, ein paar Mark, die in der Küche liegen geblieben waren, fehlen. „Ein Dieb!“ flüstern die Kinder und genießen es, in „Lebensgefahr“ eben noch schnell über die spitzen Glasscherben zu steigen, bevor gefegt wird. „Im Gefängnis gibt es Essen aus dem Krankenhaus, nicht nur Brot“, das hat neulich der Polizist auf der Wache erzählt, und da kommt er nun jedenfalls bald hin, der Einbrecher. Die Scheibe wird erneuert, das Geld ein- und die Haustür zweimal abgeschlossen. Am Morgen klafft ein Loch dort, wo die Glasscheibe hingehört. Fein säuberlich hat der oder die Unbekannte den frischen Kitt aus den Fugen gekratzt und die Scheibe herausgenommen. In der Küche fehlt das Radio, außerdem sind Butter und Käse aus dem Kühlschrank verschwunden. Butter und Käse? „Der Dieb hat unser Frühstück gegessen“, empören sich die Kinder ob dieser Ungeheuerlichkeit. Mit einigen Bedenken wird die Scheibe wieder eingesetzt, am Morgen liegt sie auf der Treppe, ja, aus dem Kühlschrank fehlt Marmelade, und wo ist der Kellerschlüssel? Mit runden Augen fragen die Kinder: „Schläft der Einbrecher in der Kuschelecke?“, aber ihre eifrige Spurensuche verläuft ergebnislos. Sechs Nächte lang wiederholt sich das gleiche Spiel. 81 „Ulla hat den Dieb gefangen“, melden dann aber eines Tages die Kinder, und wirklich: Beherzt war die Erzieherin in den Keller gestiegen, feucht ist er und schlecht beleuchtet. Ein Gewirr leicht leckender Wasserrohre an den niedrigen Decken, Moder, Gerümpel, Spinnweben und ein paar Mäuse – und da saß er, im Heizungskeller, neben sich das Radio aus der Küche und Essensreste, in einer Ecke andere Reste, „ganz doll hat das gestunken“, sie scheucht ihn raus, und dann hat der Spuk tatsächlich ein Ende. „Das geht ja auch nicht, dass der in unserem Keller wohnt“, schütteln weise die Kinder den Kopf, und es geht eben wirklich nicht. Da muss er eben woanders... „Wo wohnt der Mann jetzt?“ Jutta Henke Aus: Jeder Mensch braucht eine Wohnung, Projektzeitung Hrsg.: Diakonisches Werk Westfalen 82 125 Jahre Westfälischer Herbergsverband Autoren / Organisation Autoren Vorsitzende WHV Klaus GresförderLangjähriger Leiter der Wohnungslosenund Suchtkrankenhilfe von Bethel vor Ort Volker Handt Sozialberatungsstelle des Perthes-Werkes, Hamm Jutta Henke Leiterin des Sozialberatungsdienstes der Evangelischen Diakoniestiftung Herford, Vorsitzende WHV Martin HenkeGeschäftsführer des Westfälischen Herbergsverbandes e.V. von 1988 bis 1997 Hanne HolzwarthDiplom Sozialarbeiterin, ehemalige Mitarbeiterin der Beratungsstelle Münster Elke JesdinskyVerwaltung, Sozialdienst im Stiftungsbereich Integrationshilfen, v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel Raimund Klinkert1. Vorsitzender WHV, Dezember 1998 bis Dezember 2006 Johannes LippertLandschaftsverband Westfalen-Lippe, Münster Sigrid Kübler-MolitorVerbundleiterin Evangelisches PerthesWerk e.V. Klaus LoevenichQualitätsmanagement im Stiftungsbereich Integrationshilfen, v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel, (ehemals tätig in der stationären Wohnungslosenhilfe und der nachgehenden Hilfe) Jan Orlt Geschäftsführer WHV Martin SchoferSozialarbeiter, ehemaliger Geschäftsführer im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche von Westfalen Klaus Schröder Diplom Sozialarbeiter, Dortmund Andreas WolfSozialberatungsdienst der Evangelischen Diakoniestiftung Herford Pastor Hans BachmannDezember 1984 bis September 1990 Pastor Peter-Christian Fenner September 1990 bis Dezember 1994 Karl-Hermann Köster Dezember 1994 bis Dezember 1998 Raimund Klinkert Dezember 1998 bis Dezember 2006 Jutta Henke seit Dezember 2006 Geschäftsführer WHV Friedhelm Hasenburg Januar 1979 bis 1988 Martin Henke 1988 bis 1995 Uwe Hampel-Pöhler September 1995 bis Juli 1997 Martin Henke Juli 1997 bis November 1997 Jan Orlt seit Dezember 1997 Festschrift Organigramm Organigramm 83 Diakonisches Werk Westfälischer Herbergsverband e.V. Friesenring 32/34 48147 Münster Telefon 02 51 - 27 09 - 3 31 Telefax 02 51 - 27 09 - 5 73 E-Mail [email protected] Internet www.diakonie-rwl.de