1 Tagungsbeobachtung von Claudia Hummel
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1 Tagungsbeobachtung von Claudia Hummel
Tagungsbeobachtung von Claudia Hummel (Institut für Kunst im Kontext, Universität der Künste, Berlin) transkribiert von Kathrin Teichmann Vielen Dank für die Einladung, diese Tagung als Tagungsbeobachterin zu begleiten. Beobachtung ist niemals punktuell. Sie verbindet sich immer mit zuvor gemachten Erfahrungen, Erkenntnissen aus der eigenen Bildungs‐, bzw. Berufsbiografie. Daher koppeln sich die Beobachtungen von der Tagung mit den Erfahrungen, die ich zuvor im Feld gemacht habe und ich werde Ihnen im Folgenden Beobachtungen schildern, bezüglich dem, was hier für mich in den letzten zwei Tagen anwesend war, und auch bezüglich dem, was fehlte. Meine Beobachtungen sind auch mit verschiedenen Perspektiven verbunden: Die erste Beobachtung ist aus der Perspektive einer Akteurin im Feld der Kulturellen Bildung, die zwischen 2008 und 2010 an einer Forschungsarbeit über mögliche Kooperationen zwischen Schulen und Kultureinrichtungen in Berlin, mitgearbeitet hat. Ich beobachte: die Pionierphase ist vorbei. Die Kooperationsformen von Schulen, Kulturinstitutionen und Künstler_innen der ersten Phase, die ich zwischen 2006 und 2009 ansiedeln würde, sind teilweise wieder verschwunden. Zahlreiche andere Kooperationen und Programme haben diese ersetzt. Es besteht vielerorts ein breites Wissen über die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten von künstlerisch‐edukativer Arbeit im Kontext Schule. Das Feld hat sich professionalisiert. Ich beobachte eine große Anzahl an Personen, die in Ministerien oder Stiftungen tätig sind, die Stellen schaffen für weitere Personen, die in Ministerien oder Stiftungen und in neuen Trägerorganisationen oder Universitäten tätig sind, zum Zwecke der Entwicklung und Umsetzung von Kultureller Bildung. Ich beobachte Kulturagent_innen, die in der Zusammenarbeit mit diesen Trägerorganisationen und den Schulen Berufe erfunden haben, die es vorher noch nicht gab. Ich beobachte, dass die Frage, wo diese neu erfundenen Berufe sicher ausgeübt werden können, noch nicht geklärt ist. 1 Die nächste Beobachtung erfolgt aus der Perspektive einer Künstlerin: Ich beobachte hier auf der Tagung nicht, (aber draußen sehr wohl) Künstler_innen, die von den positiven Effekten der Wechselwirkung berichten, die die künstlerisch‐edukative Arbeit mit ihrer künstlerischen Arbeit haben und dass sie diese Verantwortung und die gesellschaftliche Rolle, im Feld der Bildung zu arbeiten, gerne übernehmen. Ich beobachte draußen, wie die erste Generation an Künstler_innen müde geworden ist, weil sie keine Anträge mehr stellen wollen und verbindlichere Strukturen der Zusammenarbeit brauchen. Ich beobachte, langsam das Entstehen stetigerer Strukturen der Zusammenarbeit mit Künstler_innen, etwa durch die Idee eines Residenzstipendiums an einer Schule. Ich beobachte aus der Perspektive der Kunstvermittlerin auch, dass der Bezug zur Gegenwartskunst im Feld der Kulturellen Bildung kaum erwähnt wird und erfüllt zu sein scheint, durch die Gegenwart von Künstler_innen. Ich beobachte weiter aus der Perspektive der Lehrerin, die ich auch einmal war und im universitären Zusammenhang ja auch noch bin, gestern Abend auf dieser Tagung einen jungen Lehrer, der von seinem Glück berichtet, an einer Schule zu arbeiten, in welcher er selbst daran mitgearbeitet hat, Fächergrenzen aufzuheben und Arbeitsbereiche zu entwickeln, in welchen – auch mittels ästhetischer Arbeitsweisen – gelernt werden kann. Ich beobachte, dass sich die Modelle der Wirkungsforschung aber in der Regel auf die Wirkung bei den Kindern und Jugendlichen bezieht und auf die Wirkung auf das System Schule. Ich will nun keine Wirkungsforschung vorschlagen, die sich auf die Figur der Lehrerin oder des Lehrers fixiert. Aber ich frage mich, wie der Figur des/der Lehrer_in in all den Veränderungen ein größerer Raum zur Entwicklung und zur Gestaltung gegeben werden kann, damit sie nicht nur die Ausführende von Programmen ist. Was wäre – jetzt habe ich einen Vorschlag für die Förderpolitik – wenn das nächste Förderprogramm für (Kulturelle) Bildung Jahresstipendien für Lehrer_innen ausschreiben würde und zwar großzügige: zwei Stellen pro Schule an allen 34.000 2 Schulen des Landes, zum Beispiel in der Form, dass bei voller Bezahlung und halbem Deputat durch Lehrer_innen eine pädagogische Freiheit beansprucht werden kann – das ist eine Parallelerscheinung zur künstlerischen Freiheit – um selbst als Impulsgebende mit entwickeln und neu gestalten zu können. Ich frage mich, ob dadurch temporäre autonome Zonen für die künstlerisch‐edukative Arbeit / oder auch einfach die edukative Arbeit entstehen würden, die der heute in einem Vortrag geforderten Ruhe in der Arbeit, die dringend notwendig ist, einen Raum geben würden. Ich hätte mich damals als Kunstlehrerin sehr gefreut über einen solchen Raum zu verfügen, in welchem ich nicht dem Begründungszwang ausgeliefert bin, ob ich nun Lehrerin oder Künstlerin bin, sondern, in welchem ich gestalten kann, was innerhalb des Kontextes möglich und nötig ist. Dann habe ich mich bemüht, eine Beobachtungsperspektive als Schülerin zu entwickeln, aber dies ist mir nicht gelungen, es ist zu lange her. Das erspare ich Ihnen. Und deswegen kommt jetzt meine letzte Beobachtung aus der Perspektive einer Hobbyhistorikerin im Kontext künstlerisch‐edukativer Arbeit. Diese Perspektive der Hobbyhistorikerin hängt damit zusammen, dass ich am Institut für Kunst im Kontext an der Berliner Universität der Künste unterrichte. Hervorgegangen ist dieses Institut aus dem sogenannten „Modellversuch Künstlerweiterbildung“, der im Jahr 1976 gegründet wurde, also vor 40 Jahren. Bereits 2005 fand in der nGbK Berlin eine Symposion statt mit dem Titel „Inventing the Wheel: Das Rad erfinden – Partizipatorische Praxis in der Kunst seit 1970“. Dieses Symposion fand anlässlich einer Ausstellung über die künstlerisch‐edukative Arbeit der britischen Künstlerin Loraine Leeson zwischen 1975 und 2005 statt. Es wurde von meiner ehemaligen Institutskollegin Katja Jedermann und von Carmen Mörsch kuratiert. Etliche Künstler_innen und Pädagog_innen auf diesem Symposium wussten von künstlerisch‐edukativen Praxen ausgehend von den Bewegungen und Programmen in Westdeutschland in den 1970er Jahre zu berichten. Auch meine weiteren Recherchen zeigen, es gibt Literatur über Arbeitsweisen der damaligen Zeit und auch noch die damaligen Akteur_innen. Und das alles zusammen betrachtet lässt 3 mich die Frage stellen: Warum eigentlich musste die Geschichte der Kulturellen Bildung wiedererfunden werden? Warum arbeiten wir heute so referenzfrei, obgleich es etwas ähnliches damals schon gab: ein Programm für Künstler_innen in Schulen, finanziert mit 10 Mio DM vom damaligen BMBW zwischen 1976 und 1982, Studiengänge, die entwickelt wurden, wie der Modellversuch Künstler‐ weiterbildung. Auch die Geschichte der theaterpädagogischen Studiengänge begründet sich meines Wissens in dieser Zeit. Und ich frage mich: wie könnte der Wirkungsforschung eine historische Forschung über die künstlerisch‐edukative Arbeit hinzugefügt werden, die nicht nur Diskurse der Legitimierung schafft, sondern, durch den Vergleich, eine Aufmerksamkeit in Bezug auf jetzt notwendige politische Handlungen, damit es gelingen kann, dass wir in 40 Jahren nicht wieder an der Stelle sind, das Rad der Kulturellen Bildung neu zu erfinden. 4