Kulturhauptstadt Europas – Ein Instrument zur Revitalisierung von
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Kulturhauptstadt Europas – Ein Instrument zur Revitalisierung von
Lisa Hollmann Kulturhauptstadt Europas – Ein Instrument zur Revitalisierung von Altindustrieregionen Evaluierung der Kulturhauptstädte „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ und „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ Arbeitspapiere zur Regionalentwicklung Elektronische Schriftenreihe des Lehrstuhls Regionalentwicklung und Raumordnung Band 11 Herausgeber: Prof. Dr. Gabi Troeger-Weiß Apl. Prof. Dr. Hans-Jörg Domhardt Technische Universität Kaiserslautern April 2011 Selbstverlag Lehrstuhl Regionalentwicklung und Raumordnung Technische Universität Kaiserslautern Kulturhauptstadt Europas – Ein Instrument zur Revitalisierung von Altindustrieregionen Evaluierung der Kulturhauptstädte „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ und „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ In: Arbeitspapiere zur Regionalentwicklung (Internet) – Elektronische Schriftenreihe des Lehrstuhls Regionalentwicklung und Raumordnung der Technischen Universität Kaiserslautern Band 11 Selbstverlag Lehrstuhl Regionalentwicklung und Raumordnung Technische Universität Kaiserslautern NE: Troeger-Weiß, G.; Domhardt, H.-J. (Hrsg.) ISSN: 1869-3814 Kontakt: Herausgeber: Prof. Dr. Gabi Troeger-Weiß Apl. Prof. Dr. Hans-Jörg Domhardt Lehrstuhl Regionalentwicklung und Raumordnung Pfaffenbergstraße 95 67663 Kaiserslautern Schriftleitung: Dipl.-Ing. Swantje Grotheer Lehrstuhl Regionalentwicklung und Raumordnung Pfaffenbergstraße 95 67663 Kaiserslautern Anfragen: Andreas Neu Sekretariat des Lehrstuhls Regionalentwicklung und Raumordnung Pfaffenbergstraße 95 67663 Kaiserslautern Telefon 0631-205-3435 Telefax 0631-205-2551 [email protected] Umschlaggestaltung: Alison Alexander, Kaiserslautern. Vorwort Der Strukturwandel von Altindustrieregionen stellt diese vor umfassende raumstrukturelle Herausforderungen, die zusätzlich mit einem häufig negativen, industriell geprägten Image einhergehen. Das Instrument Kulturhauptstadt Europas wurde daher von einer Reihe altindustriell geprägter Städte eingesetzt, um die Anpassungsprozesse an den Strukturwandel zu beschleunigen und eine Verbesserung des Außenimages zu erreichen. Vor diesem Hintergrund evaluiert die interessante Diplomarbeit von Lisa Hollmann anhand von zwei Beispielen die Auswirkungen der Kulturhauptstadt-Auszeichnung und der damit verbundenen Projekte auf die altindustriellen Räume. Die Ex-Post-Evaluation der Kulturhauptstadt “Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe” und die On-Going-Evaluation der Kulturhauptstadt “Ruhr 2010, Essen für das Ruhrgebiet” liefern sehr interessante Ergebnisse. Für die weitere Diskussion sind insbesondere die in der Arbeit formulierten Handlungsempfehlungen für andere altindustriell geprägte Regionen von Bedeutung, da in diesen deutlich aufgezeigt wird, in welcher Form das Instrument der Kulturhauptstadt Europas zielorientiert für eine nachhaltige kulturgestützte Entwicklung auf regionaler Ebene eingesetzt und genutzt werden kann. Kaiserslautern, im April 2011 Prof. Dr. habil. Gabi Troeger-Weiß Apl. Prof. Dr. Hans-Jörg Domhardt Technische Universität Kaiserslautern Fachbereich Raum- und Umweltplanung Lehrstuhl Regionalentwicklung und Raumordnung Diplomarbeit Kulturhauptstadt Europas – Ein Instrument zur Revitalisierung von Altindustrieregionen Evaluierung der Kulturhauptstädte „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ und „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ Lisa Hollmann Diplomarbeit Kulturhauptstadt Europas – Ein Instrument zur Revitalisierung von Altindustrieregionen Evaluierung der Kulturhauptstädte „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ und „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ Februar 2011 Verfasserin: Lisa Hollmann [email protected] Technische Universität Kaiserslautern Fachbereich Raum- und Umweltplanung Lehrstuhl Regionalentwicklung und Raumordnung Betreuung: Univ. Prof. Dr. habil. Gabi Troeger-Weiß Dr. Ing. Kirsten Mangels Danksagung Mein herzlicher Dank gilt Frau Professor Gabi Troeger-Weiß und Frau Dr. Kirsten Mangels für ihre engagierte Betreuung. Des Weiteren bedanke ich mich bei allen Interwiepartnern für interessante und aufschlussreiche Expertengespräche. Schließlich bedanke ich mich bei meiner Familie und meinem Freund für die unablässige Unterstützung. Inhaltsübersicht INHALTSÜBERSICHT INHALTSVERZEICHNIS ABBILDUNGSVERZEICHNIS TABELLENVERZEICHNIS ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS 1 EINFÜHRUNG 1.1 Zielsetzung der Arbeit 1.2 Vorgehensweise und Methodik der Arbeit 2 ALTINDUSTRIEREGIONEN 2.1 Einordnung des Begriffs Altindustrieregion 2.2 Entstehung von Altindustrieregionen 2.3 Strategien zur Revitalisierung von Altindustrieregionen 2.4 Zwischenfazit 3 GEMEINSCHAFTSAKTION KULTURHAUPTSTADT EUROPAS 3.1 Einordnung der Europäischen Kulturhauptstadtinitiative 3.2 Entwicklung der Europäischen Kulturhauptstadtinitiative 3.3 Kultur als Handlungsfeld der Europäischen Kulturhauptstadtinitiative 3.4 Erfahrungen ehemaliger Kulturhauptstädte Europas 3.5 Zwischenfazit 4 EVALUATION DER KULTURHAUPTSTADT „GLASGOW 1990, CULTURAL CAPITAL OF EUROPE“ 4.1 Altindustrieregion Glasgow 4.2 Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe” 4.3 Auswirkungen der Kulturhauptstadt Glasgow 1990 auf die Altindustriestadt Glasgow 4.4 Zwischenfazit 5 EVALUATION DER KULTURHAUPTSTADT „RUHR 2010, ESSEN FÜR DAS RUHRGEBIET“ 5.1 Altindustrieregion Ruhrgebiet 5.2 Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ 5.3 Auswirkungen der Kulturhauptstadt RUHR 2010 auf die Altindustrieregion Ruhrgebiet 5.4 Zwischenfazit 6 FAZIT UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN 6.1 Anknüpfungspunkte zwischen Altindustrieregionen und der Kulturhauptstadt Europas 6.2 Gegenüberstellung der Kulturhauptstädte Glasgow 1990 und RUHR 2010 6.3 Handlungsempfehlungen zum effizienten Einsatz der Kulturhauptstadt Europas in Altindustrieregionen 7 AUSBLICK LITERATURVERZEICHNIS ANHANG I I II V V VI 1 3 4 9 9 11 19 24 25 25 28 36 38 42 43 43 63 69 78 81 81 106 115 129 131 131 134 140 143 VII XIX Inhaltsverzeichnis INHALTSÜBERSICHT I INHALTSVERZEICHNIS II ABBILDUNGSVERZEICHNIS V TABELLENVERZEICHNIS V ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS VI 1 2 3 EINFÜHRUNG 1 1.1 Zielsetzung der Arbeit 1.2 Vorgehensweise und Methodik der Arbeit 3 4 ALTINDUSTRIEREGIONEN 9 2.1 Einordnung des Begriffs Altindustrieregion 2.2 Entstehung von Altindustrieregionen 2.2.1 Wirtschaftstheoretische Erklärungsansätze 2.2.1.1 Theorie der Langen Wellen 2.2.1.2 Produktzyklus Hypothese 2.2.1.3 Konzept der Regionalen Lebenszyklen 2.2.2 Fallbeispielbasierte Erklärungsansätze 2.2.2.1 Externe Einflussfaktoren 2.2.2.2 Interne Einflussfaktoren 2.3 Strategien zur Revitalisierung von Altindustrieregionen 2.3.1 Wirtschafstheoretische Entwicklungsstrategien 2.3.1.1 Traditionelles Wachstumsmodell 2.3.1.2 Konzept der Kreativen Milieus 2.3.1.3 Theorie der Kreativen Klasse 2.3.2 Fallbeispielbasierte Entwicklungsstrategien 2.3.2.1 Strategien der Externen Diversifizierung 2.3.2.2 Strategien der Internen Diversifizierung 2.3.2.3 Zugpferdstrategien 2.4 Zwischenfazit 9 11 12 12 14 15 17 17 18 19 20 20 20 21 22 22 23 23 24 GEMEINSCHAFTSAKTION KULTURHAUPTSTADT EUROPAS 25 3.1 Einordnung der Europäischen Kulturhauptstadtinitiative 3.1.1 Idee und Zielsetzung 3.1.2 Organisation und Auswahlverfahren 3.2 Entwicklung der Europäischen Kulturhauptstadtinitiative 3.2.1 Entwicklung der politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen 3.2.1.1 Rechtliche Entschließung aus dem Jahr 1985 3.2.1.2 Rechtlicher Beschluss aus dem Jahr 1999 3.2.1.3 Rechtlicher Beschluss aus dem Jahr 2006 3.2.2 Entwicklung der künstlerischen und konzeptionellen Ausgestaltung 3.2.2.1 Kulturhauptstädte Europas der Jahre 1985 bis 1989 3.2.2.2 Kulturhauptstädte Europas der Jahre 1990 bis 2006 3.2.2.3 Kulturhauptstädte Europas ab dem Jahr 2007 25 25 26 28 II 28 28 29 31 31 32 32 33 3.3 Kultur als Handlungsfeld der Europäischen Kulturhauptstadtinitiative 3.3.1 Einordnung des Kulturbegriffs 3.3.2 Kultur im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadtinitiative 3.4 Erfahrungen ehemaliger Kulturhauptstädte Europas 3.4.1 Ziele der Kulturhauptstädte Europas 3.4.2 Auswirkungen der Kulturhauptstädte Europas 3.4.2.1 Auswirkungen auf den Städtebau und die Infrastruktur 3.4.2.2 Auswirkungen auf das Image und den Tourismus 3.4.2.3 Auswirkungen auf die Ökonomie 3.5 Zwischenfazit 4 EVALUATION DER KULTURHAUPTSTADT „GLASGOW 1990, CULTURAL CAPITAL OF EUROPE“ 4.1 Altindustrieregion Glasgow 4.1.1 Abgrenzung des Untersuchungsraumes 4.1.2 Wirtschaftliche Entwicklung 4.1.2.1 Wirtschaftlicher Aufschwung 4.1.2.2 Wirtschaftlicher Niedergang 4.1.3 Ansätze der Stadtentwicklungspolitik 4.1.3.1 Phasen der Stadtentwicklungspolitik 4.1.3.2 Zentrale Projekte der Stadtentwicklung 4.1.4 Strukturelle Herausforderungen im Jahr 1986 4.1.4.1 Wirtschaft und Arbeitsmarkt 4.1.4.2 Städtebau und Stadtbild 4.1.4.3 Außenimage und Tourismus 4.2 Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe” 4.2.1 Vorbereitungsphase 4.2.1.1 Rechtliche Grundlagen 4.2.1.2 Bewerbungsverfahren 4.2.2 Konzeption „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe” 4.2.2.1 Organisatorische Ausgestaltung 4.2.2.2 Inhaltliche Ausgestaltung 4.3 Auswirkungen der Kulturhauptstadt Glasgow 1990 auf die Altindustriestadt Glasgow 4.3.1 Wirtschaftsstruktur und Arbeitsmarkt 4.3.1.1 Auswirkungen 4.3.2 Städtebau und Stadtbild 4.3.2.1 Auswirkungen 4.3.3 Außenimage und Tourismus 4.3.3.1 Auswirkungen 4.4 Zwischenfazit 5 36 36 36 38 38 39 39 40 41 42 43 43 43 45 45 49 51 51 54 55 56 58 61 63 63 63 63 65 65 66 69 69 69 72 72 74 74 78 EVALUATION DER KULTURHAUPTSTADT „RUHR 2010, ESSEN FÜR DAS RUHRGEBIET“ 81 5.1 Altindustrieregion Ruhrgebiet 5.1.1 Abgrenzung des Untersuchungsraumes 5.1.2 Wirtschaftliche Entwicklung 5.1.2.1 Wirtschaftlicher Aufschwung 81 81 84 84 III 6 5.1.2.2 Wirtschaftlicher Niedergang 5.1.3 Strukturpolitische Entwicklungsansätze 5.1.3.1 Entwicklungsphasen der Strukturpolitik 5.1.3.2 Internationale Bauausstellung Emscher Park 5.1.4 Strukturelle Herausforderungen im Jahr 2006 5.1.4.1 Wirtschaftsstruktur und Arbeitsmarkt 5.1.4.2 Altindustrielle Areale und Brachflächenentwicklung 5.1.4.3 Außenimage und Tourismus 5.2 Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ 5.2.1 Vorbereitungsphase 5.2.1.1 Rechtliche Grundlagen 5.2.1.2 Bewerbungsverfahren 5.2.2 Konzeption „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet Kulturhauptstadt Europas 2010“ 5.2.2.1 Organisatorische Ausgestaltung 5.2.2.2 Inhaltliche Ausgestaltung 5.3 Auswirkungen der Kulturhauptstadt RUHR 2010 auf die Altindustrieregion Ruhrgebiet 5.3.1 Wirtschaftsstruktur und Arbeitsmarkt 5.3.1.1 Programmfeld „Kreativwirtschaft – stärken“ 5.3.1.2 Weitere Auswirkungen 5.3.2 Altindustrielle Areale und Brachflächenentwicklung 5.3.2.1 Programmfeld „Metropole – gestalten“ 5.3.2.2 Weitere Auswirkungen 5.3.3 Außenimage und Tourismus 5.3.3.1 Programmfeld „Feste – feiern“ 5.3.3.2 Weitere Auswirkungen 5.4 Zwischenfazit 115 116 116 118 120 121 123 123 124 125 129 FAZIT UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN 131 6.1 Anknüpfungspunkte zwischen Altindustrieregionen und der Kulturhauptstadt Europas 6.1.1 Die Kulturhauptstadt als Anstoß 6.1.2 Die Kulturhauptstadt als Auszeichnung 6.1.3 Die operationalisierte Kulturhauptstadt 6.2 Gegenüberstellung der Kulturhauptstädte Glasgow 1990 und RUHR 2010 6.2.1 Vergleich der beiden Altindustrieregionen 6.2.2 Vergleich der beiden Kulturhauptstädte 6.2.3 Vergleich der Auswirkungen durch die Kulturhauptstädte 6.3 Handlungsempfehlungen zum effizienten Einsatz der Kulturhauptstadt Europas in Altindustrieregionen 6.3.1 Zielorientierter Einsatz 6.3.2 Definition der kulturellen Potenziale 6.3.3 Nachhaltige Einbindung 7 AUSBLICK 87 90 90 92 96 96 101 103 106 106 106 107 109 109 112 131 131 132 133 134 134 135 136 140 140 140 141 143 LITERATURVERZEICHNIS VII ANHANG XIX IV Abbildungsverzeichnis Abb. 1 Aufbau der Arbeit Abb. 2 Modell Theorie der Langen Wellen 13 Abb. 3 Modell Produktzyklus Hypothese 15 Abb. 4 Kulturhauptstädte Europas von 1985 bis 2010 35 Abb. 5 Glasgow Stadtgebiet und Stadtteile 44 Abb. 6 Glasgow and Clyde Valley Conurbation 45 Abb. 7 Entwicklung der Arbeitsplätze aufgeteilt nach Wirtschaftssektoren 57 Abb. 8 Nutzungsmöglichkeiten industrieller Brachflächen in der Region Strathclyde 1986 60 Abb. 9 Entwicklung des Tourismus 62 Abb. 10 Räumliche Verteilung der wichtigsten Bauprojekte 73 Abb. 11 Entwicklung des Tourismus ausgehend vom Jahr 1989 75 Abb. 12 Entwicklung des Tourismus aus dem Ausland ausgehend vom Jahr 1989 76 Entwicklung der Besucherzahlen aufgeteilt nach Museen, Galerien und Theatern, Konzerten 77 Abb. 14 Ruhrgebiet Kreise und Kreisfreie Städte 82 Abb. 15 Ruhrgebiet Regierungsbezirke und Landschaftsverbände 83 Abb. 16 Teilgebiet des Ruhrgebiets 83 Abb. 17 IBA Emscher Park Leitthemen 94 Abb. 18 Entwicklung des Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner 97 Abb. 19 Entwicklung der Bruttowertschöpfung aufgeteilt nach Wirtschaftssektoren 98 Entwicklung der Sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aufgeteilt nach Wirtschaftssektoren 99 Abb. 13 Abb. 20 7 Abb. 21 Entwicklung der Arbeitslosenquote 100 Abb. 22 Entwicklung der Touristen pro Tausend Einwohner 105 Abb. 23 Aufbau der RUHR.2010 GmbH „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ 110 Tabellenverzeichnis Tab. 1 Entwicklung der Brachflächen in Glasgow Tab. 2 Entwicklung der Brachflächen im Ruhrgebiet V 59 103 Abkürzungsverzeichnis Abb. Abbildung BIP Bruttoinlandsprodukt bspw. beispielsweise BWS Bruttowertschöpfung bzw. beziehungsweise ECOC European Capital of Culture etc. et cetera EG Europäische Gemeinschaft EU Europäische Union ha Hektar IBA Internationale Bauausstellung m² Quadratkilometer RUHR.2010 RUHR.2010 GmbH „Essen für das Ruhrgebiet“ Saar-Lor-Lux Saarland-Lothringen-Luxemburg sog. sogenannt Tab. Tabelle UK United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland USA United States of America VI 1 Einführung Die vorliegende Diplomarbeit nimmt die Kulturhauptstadt Europas „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ zum Anlass um der Frage nachzugehen, inwieweit die Auszeichnung Kulturhauptstadt Europas zur Revitalisierung altindustriell geprägter Regionen beitragen kann. Altindustrielle Räume sind oftmals problembehaftete Räume. „The term old industrial regions has often been developed in the academic community to explain how regions […] have shifted from industrial growth regions of the nineteenth century to declining post–industrial regions at the beginning of the twenty–first century.”1 Die häufig monostrukturierten Industrieregionen erfahren einen wirtschaftlichen Niedergang der dominierenden Industrien, was wiederum eine strukturübergreifende Krise in der gesamten Region auslöst. Diese Regionen entwickeln sich zu Altindustrieregionen, welche unter anderem durch wirtschaftliche Probleme (bspw. hohe Arbeitslosigkeit), städtebauliche Missstände (bspw. leer stehende Industrieanlagen) sowie ökologische Defizite (bspw. kontaminierte Brachflächen oder mangelnde Freiflächen) gekennzeichnet sind. Die altindustriellen Strukturen gilt es zu modernisieren, so dass die regionalen Akteure umfassenden Handlungsfeldern gegenüber stehen.2 „Seit etwa Mitte der 1990er Jahre mehren sich in Europa die Stellungnahmen, die dem Kultursektor auch auf zahlreiche nicht unmittelbar kulturbezogenen Entwicklungen erhebliche Bedeutung zusprechen – und ihn vor diesem Hintergrund zum neuen Hoffnungsträger von Kommunen, Regionen oder ganzen Ländern küren.“3 Kultur, modifiziert von der reinen klassischen Kultur zur weit gefassten Massenkultur, wird zunehmend in der Stadt- und Regionalentwicklung genutzt. In unterschiedlichster Weise, etwa als weicher Standortfaktor zur Verbesserung des Images oder als Wirtschaftsfaktor zur Etablierung der Kultur- und Kreativwirtschaft, wird Kultur im Rahmen der Stadt- und Regionalentwicklung eingesetzt. „Gerade in denjenigen Städten und Regionen, die bisher nicht mit ausgewiesenen (klassischen) Kulturgütern ausgestattet sind – namentlich in den hier näher betrachteten altindustriellen […] Räumen –, wird Kultur als ein Instrument für Wandel und Modernisierung betrachtet und genutzt.“4 Die Initiative Kulturhauptstadt Europas stellt in diesem Zusammenhang ein populäres Instrument der kulturgestützten Stadt- und Regionalentwicklung dar. „The European Capital of Culture (ECOC) […] is a powerful tool for cultural development that […] offers unprecedented opportunities for acting as a catalyst for city change.“5 Bis einschließlich des Jahres 2010 wurde der Titel „Kulturhauptstadt Europas“ an insgesamt 42 Städte verliehen. Zu den Titelträgern zählte unter anderem die Stadt Glasgow im Jahr 1 2 3 4 5 Harrison, John (2009): Breaking down the Barriers to Growth Economic Development, Culture, And Old Industrial Regions, in: Benneworth, Paul & Hospers, Gert (Hrsg.): The Role of Culture in the Economic Development of Old Industrials Regions, Zurüch, S.5. Vgl. Gelhar, Martina (2010b): Altindustrieregionen zwischen Verfall und Neuorientierung, in: Geographische Rundschau, Heft 2 2010, S.4–9. Oerters, Kathrin & Mittag, Jürgen (2009):Kreativwirtschaft und Kulturhauptstadt Katalysatoren urbaner Entwicklung in altindustriellen Ballungsregionen?, in: Quenzel, Gudrun (Hrsg.): Entwicklungsfaktor Kultur – Studien zum kulturellen und öknomischen Potential der europäischen Stadt, Bielefeld, S. 61. Ebenda, S.85. Palmer, Robert (2004): European Cities and Capitals of Culture – Study prepared for the European Commission Part I+II, Brüssel, S.188. 1 1990, die Stadt Lille im Jahr 2004 und die Region Ruhrgebiet im Jahr 2010. Diese altindustriell geprägten Städte und Regionen haben im Rahmen der Kulturhauptstadt, Kultur gezielt zur Überwindung altindustrieller Hemmnisse im Strukturwandel eingesetzt.6 Jeder dieser Titelträger gestaltete die Kulturhauptstadt, aufbauend auf seiner individuellen Entwicklung und Problemlage, in unterschiedlicher Art und Weise. Die jeweils spezifischen Effekte der einzelnen Kulturhauptstädte wurden im Rahmen zurückliegender Untersuchungen teilweise bereits erforscht. Dennoch bleibt die Frage, ob die Kulturhauptstadt Europas als Instrument zur Revitalisierung von altindustriell geprägten Räumen geeignet ist, unbeantwortet. Die Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ und die Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ aus dem Jahr 2010, stellen in diesem Zusammenhang besonders prägnante Fallbeispiele dar. Beide Titelträger nehmen in der Entwicklung der Europäischen Kulturhauptstadtinitiative eine Pionierstellung ein. Sowohl Glasgow als auch das Ruhrgebiet standen zum Zeitpunkt der Auszeichnung zur Kulturhauptstadt Europas Herausforderungen, begründet durch den industriellen Niedergang und Folgeerscheinungen eines schwierigen Strukturwandels, gegenüber. Glasgow war die erste Altindustriestadt, welche überhaupt zur Kulturhauptstadt Europas ernannt wurde. Zudem setzte Glasgow den Titel erstmals gezielt als Instrument der Stadt- und Regionalentwicklung ein. Rund 20 Jahre später wurde das Ruhrgebiet, ebenfalls altindustriell geprägt, zur ersten Kulturhauptstadt Europas ernannt, die den Titel durch enge Kooperation auf regionaler Ebene ausgestaltete. Nicht nur eine Stadt sondern die gesamte ehemalige Industrieregion, bestehend aus 53 Kommunen, wurde zur Kulturhauptstadt Europas ernannt.7 Bei beiden Fallbeispielen stellt sich die Frage inwieweit die Kulturhauptstadt positive Auswirkungen für die Bewältigung der spezifischen Herausforderungen generieren konnte. Anhand der Gegenüberstellung der Kulturhauptstadt 1990 mit der „Kulturhauptregion“ 2010 soll der Frage nachgegangen werden, welche Faktoren ausschlaggebend für eine erfolgreiche Revitalisierung altindustrieller Räume durch das Instrument Kulturhauptstadt Europas sind. Aufbauend auf theoretischen Analysen und den beiden Fallbeispielen kann die Frage hinsichtlich der generellen Möglichkeiten, die das Instrument Kulturhauptstadt Europas für die Revitalisierung von Altindustrieregionen bietet, diskutiert werden. 6 7 Vgl. Oerters, Kathrin & Mittag, Jürgen (2009): a.a.O. Vgl. Mittag, Jürgen (2008b): Die Idee der Kulturhauptstadt Europas Vom Instrument Europäischer Identitätsstiftung zum tourismusträchtigen Publikumsmagneten, in: Mittag Jürgen (Hrsg.): Die Idee der Kulturhauptstadt Europas Anfänge, Ausgestaltung und Auswirkungen Europäischer Kulturpolitik. Essen.S.55–96. 2 1.1 Zielsetzung der Arbeit Das übergeordnete Ziel der Arbeit ist es, die Möglichkeiten des Instruments Kulturhauptstadt Europas zur Unterstützung von Altindustrieregionen bei der Bewältigung ihrer spezifischen Herausforderungen im Strukturwandel darzustellen. Die beiden Kulturhauptstädte „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ und „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“, werden als Fallbeispiele herangezogen. Zusammenfassend sollen die spezifischen Herausforderungen von Altindustrieregionen erarbeitet und die Möglichkeiten, die das Instrument Kulturhauptstadt Europas zur Bewältigung dieser Probleme bietet, herausgearbeitet werden. Aufbauend auf theoretischen Untersuchungen und zielgerichteter Evaluationen der beiden Fallbeispiele werden Handlungsempfehlungen formuliert, die zum effizienten Einsatz des Instruments Kulturhauptstadt für Altindustrieregionen beitragen können. Zur Erreichung des übergeordneten Ziels werden drei Teilziele verfolgt. Das erste Teilziel besteht in der theoretischen Analyse des Raumtypus Altindustrieregion und des Instruments Kulturhauptstadt Europas. Aus theoretischer Perspektive wird eine erste Einschätzung hinsichtlich der Möglichkeiten zum Einsatz des Instruments Kulturhauptstadt Europas in Altindustrieregionen gezogen. Das zweite Teilziel ist, eine zielgerichtete Evaluation der beiden Fallbeispiele. Die Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ wird einer Ex-Post-Evaluation und die Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ einer On-GoingEvaluation unterzogen. Bei den praktischen Beispielen folgt jeweils eine Bewertung hinsichtlich der Auswirkungen, welche die jeweilige Kulturhauptstadt auf die Altindustriestadt bzw. die Altindustrieregion hatte. Das dritte Teilziel umfasst die Zusammenführung der theoretischen und praktischen Erkenntnisse. Aufbauend auf der Analyse des Raumtypus Altindustrieregion und der Gemeinschaftsaktion Kulturhauptstadt Europas und der Gegenüberstellung der beiden Fallbeispiele werden Handlungsempfehlungen für Altindustrieregionen zum effizienten Einsatz des Instruments Kulturhauptstadt Europas formuliert. In Anlehnung an die Zielsetzungen dienen folgende Fragestellungen als Leitfaden: Was sind Altindustrieregionen? Durch welche Strukturmerkmale zeichnen sich Altindustrieregionen aus? Welchen Herausforderungen stehen Altindustrieregionen gegenüber? Welche Handlungsmöglichkeiten bieten sich Altindustrieregionen zur Unterstützung eines effizienten Strukturwandels? Was ist die Europäische Gemeinschaftsaktion Kulturhauptstadt Europas? In welcher Art und Weise wird Kultur im Rahmen der Kulturhauptstadtinitiative eingesetzt? Welche Möglichkeiten eröffnet das Instrument Kulturhauptstadt Europas, um Altindustrieregionen bei ihren Herausforderungen zu unterstützen? Konnte die Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ den Titel zur Stärkung eines effektiven Strukturwandels einsetzen? Welchen Herausforderungen stand die altindustriell geprägte Stadt Glasgow vor Ernennung zur Kulturhauptstadt gegenüber? In welcher Art und Weise wurde die Kulturhauptstadtinitiative ausgestaltet? Welche Auswirkungen wurden durch die Kulturhauptstadt erzielt? Konnte die Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“, den Titel zur Stärkung eines effektiven Strukturwandels einsetzen? Welchen Herausforderungen stand das altindustriell geprägte Ruhrgebiet vor Ernennung zur Kulturhauptstadt gegenüber? In welcher Art und Weise wurde die Kulturhaupt3 stadtinitiative ausgestaltet? Welche Erfahrungen und Einschätzungen lassen sich hinsichtlich der Auswirkungen der Kulturhauptstadt ableiten? Welche Möglichkeiten bietet das Instrument „Kulturhauptstadt Europas“ um Altindustrieregionen bei der Bewältigung ihrer spezifischen Herausforderungen im Strukturwandel zu unterstützen? Welche Handlungsempfehlungen ergeben sich für zukünftige Kulturhauptstädte mit altindustriellen Strukturen zum effizienten Einsatz des Instruments Kulturhauptstadt Europas? 1.2 Vorgehensweise und Methodik der Arbeit In Anlehnung an die untersuchungsleitenden Fragen gliedert sich die Vorgehensweise in fünf Bausteine. Einführend werden in einem vorangehenden Abschnitt die Ausganslage, die darauf aufbauenden Zielsetzungen und Fragestellungen sowie die Vorgehensweise und Methodik beschrieben. Im ersten Teil werden die Eigenschaften des Raumtypus „Altindustrieregion“ erläutert. Im ersten Schritt wird der Begriff Altindustrieregion analysiert und die charakterisierenden Strukturmerkmale des Raumtypus Altindustrieregion herausgestellt. Im zweiten Schritt werden die Gründe zur Entstehung von Altindustrieregionen, anhand eines wirtschaftstheoretischen Ansatzes und eines fallbeispielbasierten Ansatzes, untersucht. Im dritten Schritt folgt eine Untersuchung von Strategien zur Revitalisierung von Altindustrieregionen. Diese Untersuchung basiert ebenfalls auf einem wirtschaftstheoretischen und einem fallbeispielbezogenen Ansatz. Schließlich wird ein zusammenfassendes Fazit gezogen, in welchem die allgemeinen Herausforderungen und Probleme denen Altindustrieregionen gegenüber stehen, herausgestellt werden. Methodisch basiert der erste Teil auf einer Analyse von Literatur,-Dokumenten- und Internetquellen. Im zweiten Teil wird die europäische Gemeinschaftsaktion Kulturhauptstadt Europas dargestellt. Im ersten Schritt werden die Idee, die Zielsetzung, die Organisation und das aktuelle Auswahlverfahren der Gemeinschaftsaktion dargelegt. Im zweiten Schritt wird die Entwicklung der Initiative Kulturhauptstadt Europas erörtert. Im dritten Schritt folgt eine Untersuchung des zentralen Faktors Kultur, der als Haupthandlungsfeld der Kulturhauptstadt Europas gilt. Im vierten Schritt wird untersucht welche Auswirkungen die Kulturhauptstadt Europas auf Städte und Regionen hat. Dies geschieht in Anlehnung an die im ersten Kapitel erörterten Herausforderungen, denen Altindustrieregionen häufig gegenüber stehen. Schließlich wird ein zusammenfassendes Fazit gezogen, in welchem erste Möglichkeiten der Kulturhauptstadt Europas für die Unterstützung von Altindustrieregionen herausgestellt werden. Methodisch basiert der zweite Teil auf einer Analyse der Literatur,-Dokumentenund Internetquellen. Sowohl Primärliteratur, in Form Europäischer Rechtsbeschlüsse, sowie Sekundärliteratur werden verwendet. Für den vierten Schritt wird die von der Europäischen Union in Auftrag gegebenen Studie „European Cities and Capitals of Culture - Study prepared for the European Commission Part I+II“ zielorientiert ausgewertet. Im dritten Teil wird die ehemalige Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den regionalen Strukturwandel 4 evaluiert. Im ersten Schritt werden die wirtschaftlichen Entwicklungsphasen der Region Glasgows hin zur Altindustrieregion dokumentiert. Daran anschließend werden wichtige Herausforderungen, denen die Stadt Glasgow in der Zeit vor der Ernennung zur Kulturhauptstadt gegenüber stand, erarbeitet und erläutert. Im zweiten Schritt wird die Entwicklung und Konzeption der Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ dokumentiert. Im dritten Schritt folgt eine gezielte Untersuchung der Auswirkungen der Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ auf die zentralen Problematiken, denen die Stadt Glasgow vor Ernennung zur Kulturhauptstadt gegenüber stand. Schließlich wird ein zusammenfassendes Fazit gezogen, in denen die Auswirkungen der Kulturhauptstadt Europas auf die altindustrielle Stadt Glasgow bewertet werden. Methodisch basiert der dritte Teil auf der Anwendung einer Ex-Post-Evaluation. Die Ex-Post-Evaluation, auch summative Evaluation genannt, umfasst die systematische und transparente Bewertung eines Projekts eines Prozesses oder eines Programms das bereits abgeschlossen ist. Ziel ist es, eine abschließende Evaluierung durchzuführen und die Auswirkungen von Projekten hinsichtlich einer Zielerreichung zu bewerten.8 Im Rahmen der Evaluation werden insbesondere Literatur- Dokumenten- und Internetquellen verwendet und ausgewertet. Im vierten Teil wird die Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den regionalen Strukturwandel evaluiert. Im ersten Schritt wird die wirtschaftliche Entwicklung der Region hin zur Altindustrieregion dokumentiert. Darauf aufbauend werden wichtige Herausforderungen, denen die Region in der Zeit vor der Ernennung zur Kulturhauptstadt Europas gegenüberstand, herausgearbeitet und erläutert. Im zweiten Schritt folgt eine Darstellung der Konzeption der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“. Im dritten Schritt erfolgt eine gezielte Auswertung inwieweit die Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ sich auf die Problematiken, denen das Ruhrgebiet vor der Ernennung zur Kulturhauptstadt gegenüber stand, ausgewirkt hat. Schließlich wird ein zusammenfassendes Fazit gezogen, in denen die Auswirkungen der Kulturhauptstadt Europas auf das altindustriell geprägte Ruhrgebiet bewertet werden. Methodisch basiert der vierte Teil auf der Anwendung einer On-Going-Evaluation. Die On-Going-Evaluation, auch formative Evaluation genannt, umfasst die systematische und transparente Bewertung eines Projekts, eines Prozesses oder eines Programms, das noch nicht abgeschlossen ist. Ziel ist es, eine begleitende Evaluierung durchzuführen und die Auswirkungen des Projekts, des Programms oder des Prozesses parallel zum fortlaufenden Geschehen hinsichtlich einer Zielerreichung zu bewerten.9 Im Rahmen der Evaluation werden neben der Analyse von Literatur,-Dokumenten- und Internetquellen, leitfadengestützte Expertengespräche durchgeführt. Die ausgewählten Experten werden mittels einer vorbereiteten Liste offener Fragen (Leitfaden) befragt.10 Im letzten Teil werden die Erkenntnisse, die durch die theoretischen Untersuchungen und die praktischen Evaluationen gewonnen wurden, reflektiert. Im ersten 8 9 10 Vgl. Birnkraut, Gesa (2011): Evaluation im Kulturbetrieb, Wiesbaden. Vgl. Ebenda. Vgl. Gläser, Jochen (2009): Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse, Wiesbaden. 5 Schritt werden die Erkenntnisse aus den theoretischen Analysen der ersten beiden Bausteine zusammen gefasst. Im zweiten Schritt folgt eine Gegenüberstellung der beiden Kulturhauptstädte „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ (Baustein drei) und „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ (Baustein vier). Darauf aufbauend werden im dritten Schritt Handlungsempfehlungen für einen effizienten Einsatzes des Instruments Kulturhauptstadt Europas in Altindustrieregionen formuliert Methodisch basiert der letzte Teil auf einer argumentativen Auseinandersetzung mit den in den vorherigen Teilen gewonnenen Erkenntnissen. Abschließend wird ein Ausblick zu weiteren Forschungsfeldern dieser Thematik gezogen. 6 Abb. 1 Aufbau der Arbeit Einführung Teil 1 + Teil 2: Theoretische Grundlagen Teil 3 + Teil 4: Fallbeispiele Analyse mittels Literatur,- Dokumenten,- Internetrecherche Ex-Post Evaluation On-Going Evaluation Raumtypus Kulturhauptstadt Altindustriestadt Altindustrieregion Altindustrieregion Europas Glasgow: Ruhrgebiet: Herausforderungen Herausforderungen Generelle Generelle Möglichkeiten Kulturhauptstadt 1990: Kulturhauptstadt 2010: Herausforderungen von zur Ausgestaltung der Ausgestaltung Ausgestaltung Altindustrieregionen Kulturhauptstadt Auswirkungen Auswirkungen Europas Anknüpfungspunkte der Gegenüberstellung der Kulturhauptstadt Europas in Kulturhauptstädte Glasgow 1990 und Altindustrieregionen RUHR 2010 Teil 5: Handlungsempfehlungen Ausblick Entwurf: Eigene Darstellung, Frankfurt 2010 7 8 2 Altindustrieregionen Im Folgenden werden die wesentlichen Eigenschaften des Raumtypus Altindustrieregion erläutert. Im ersten Schritt wird der Begriff Altindustrieregion analysiert und die charakterisierenden Strukturmerkmale des Raumtypus Altindustrieregion herausgestellt. Im zweiten Schritt werden die Gründe zur Entstehung von Altindustrieregionen, anhand eines wirtschaftstheoretischen Ansatzes und eines fallbeispielbasierten Ansatzes, untersucht. Bei beiden Ansätzen handelt es sich um eine zielorientierte Auswahl von Erklärungsansätzen. Im dritten Schritt folgt eine Untersuchung von Strategien zur Revitalisierung von Altindustrieregionen. Diese Untersuchung basiert ebenfalls auf einem wirtschaftstheoretischen und einem fallbeispielbezogenen Ansatz und stellt ebenso eine zielorientiere Auswahl an Revitalisierungsmaßnahmen dar. Schließlich wird ein zusammenfassendes Fazit gezogen, in welchem die allgemeinen Herausforderungen und Probleme, denen Altindustrieregionen gegenüber stehen, herausgestellt werden. 2.1 Einordnung des Begriffs Altindustrieregion Für den Begriff „Altindustrieregion“ gibt es in der Fachliteratur bis heute keine allgemeingültige Definition. Vielmehr eröffnet sich eine Vielzahl an synonym verwendeten Begrifflichkeiten, die von „altindustriellen Räumen“11 über „altindustrialisierte Gebiete“12 bis hin zu „Altindustrieregionen“13 reicht. Eine linguistische Betrachtung dieser Fülle an Begrifflichkeiten lässt auf drei wesentliche Eigenschaften schließen: Es handelt sich um räumliche Einheiten die sich funktional oder strukturell von ihren Nachbarräumen abgrenzen. Die Größenordnung reicht dabei von kleinräumigen Einheiten (bspw. Zonen) bis hin zu großräumigen Einheiten (bspw. Regionen).14 Die industrielle Prägung gilt als klares Abgrenzungsmerkmal dieser räumlichen Einheiten. Als industrielle Standorte weisen sie eine hohe Dichte an Industriebetrieben auf, die aufgrund ihrer räumlichen Dominanz strukturbeherrschend und charakterisierend auf den Raum wirken. Es bestehen intensive Wechselwirkungen zwischen den angesiedelten Industrien und den Strukturen des Raumes.15 Alte Industrien kennzeichnen dabei solche Industriebestände, die aus ehemaligen Industrialisierungsphasen stammen. Die in diesen Branchen produzierten Produkte befinden sich am Ende ihres Lebenszyklus und sind zunehmend von konjunkturel- 11 Gelhar, Martina (2010a): Erneuerung altindustrieller Räume, in: Geographische Rundschau, Heft 2 2010, S.3 12 Friedrichs, Jürgen (1994): Revitalisierung von Städten in Altindustrialisierten Gebieten Ein Modell und Folgerungen, in: Geographische Zeitschrift, Band 82 1994, S.133. 13 Schrader, Manfred (1993): Altindustrieregion der EG, in: Schätzle, Ludwig (Hrsg.): Wirtschaftsgeographie der Europäischen Gemeinschaft, Paderborn, S.110. 14 Vgl. Bätzing, Werner (o.J.): Zum Begriff und zur Konzeption von Region aus der Sicht der Geographie, Online–Dokument: http://www.geographie.uni–erlangen.de/docs/region.pdf, Stand 24. Januar 2011. 15 Vgl. Mikus, Werner (1978): Industriegeographie – Themen der allgemeinen Industrieraumlehre, Darmstadt. 9 len und strukturellen Problemen betroffen.16 Fehlende Umstrukturierungs- und Anpassungsprozesse führen zum ökonomischen Niedergang der dominierenden Industrien. Ehemals prosperierende Industrieräume entwickeln sich zu problembehafteten altindustriellen Räumen, welche weniger durch ihr „Alter“ im historischen Sinne, als vielmehr durch ihr „Alter“ im Sinne mangelnder struktureller und räumlicher Regenerationsfähigkeit gekennzeichnet sind.17 Es wird deutlich, dass der Typus Altindustrieregion durch vielfältige Wechselwirkungen der wirtschaftlichen, sozialen und räumlichen Strukturen geprägt ist. Dies führt dazu, dass der wirtschaftliche Niedergang der regionalen Schlüsselindustrien schnell zu einer Krise für die gesamte Region wird. Der ökonomische Abschwung löst weitere Strukturprobleme wie Arbeitslosigkeit, Bevölkerungsabwanderung oder die Entstehung großer Brachflächenareale aus. Die Region gerät in eine Abwärtsspirale von tiefgreifenden, sich gegenseitig verstärkenden Problemen. Als Anschauungsbeispiele solcher sich gegenseitig verstärkenden Prozesse können die Entwicklungen des ehemals prosperierenden Montanreviers Ruhrgebiet in Deutschland, des altindustriellen Schiffbaustandorts Glasgow in Schottland oder der einst textilindustriell geprägten Region Nord Pas de Calais in Frankreich herangezogen werden. Jede dieser Altindustrieregionen ist durch eine individuelle Entwicklung und einem Bündel regionsspezifischer Strukturmerkmalen geprägt.18 Insofern kann der Typus Altindustrieregion nicht eindeutig definiert werden, sondern wird in der Literatur anhand generalisierter Merkmale abgegrenzt. Demnach sind Altindustrieregionen insbesondere durch folgend Merkmale geprägt. Frühe Industrialisierung: Die Region wurde zu einem frühen Zeitpunkt industrialisiert. Monostrukturierte Wirtschaftsstruktur: Die regionale Wirtschaft stützt sich auf wenige Industriebranchen. Innerhalb dieser Branchen dominieren wenige und stark spezialisierte Großbetriebe, während Mittel- und Kleinbetriebe deutlich unterrepräsentiert sind. Die vorhandenen Branchen schrumpfen sowohl in absoluter Anzahl als auch mit ihrem Anteil an der Wertschöpfung. Die Produktionsstruktur der dominierenden Branchen befindet sich in einer späten Phase oder am Ende des Produktlebenszyklus. Industrielle Verdichtung: Die Region weist eine überdurchschnittlich hohe Industriedichte im Vergleich zum nationalen und europäischen Durchschnitt auf. Bedingt durch Betriebsverlagerungen und Betriebsschließungen steigt der Anteil industrieller Brachflächen. Die Siedlungsstruktur ist teilweise durch problematische Gemengelagen von Wohnnutzung und (ehemaliger) industrieller Nutzung gekennzeichnet. Spezialisierte Infrastrukturausstattung: Innerhalb der Region besteht eine dichte und umfassende Infrastruktur. Diese ist primär auf die Bedürfnisse der „alten“ Industriebetriebe ausgerichtet. Beschäftigungsprobleme: Der Anteil der Industriebeschäftigten an den Gesamtbeschäftigten liegt deutlich über dem nationalen und europäischen 16 17 18 Vgl. Gelhar, Martina (2010b): Altindustrieregionen zwischen Verfall und Neuorientierung, in: Geographische Rundschau, Heft 2 2010, S.4–9. Vgl. Junkernheinrich, Martin (1989): Ökonomische Erneuerung alter Industrieregionen – Das Beispiel Ruhrgebiet, Diskussionspapier der Gesellschaft für interdisziplinäre Forschung Nr.8, Bochum. Vgl. Gelhar, Martina (2010b): a.a.O. 10 Durchschnitt. Bedingt durch den Niedergang vieler Industriebetriebe steigt die Arbeitslosigkeit von ehemaligen Industrieangestellten in der Region. Soziodemographische Probleme: Die Region weist im Vergleich zum nationalen und europäischen Durchschnitt eine überdurchschnittlich hohe Einwohnerdichte auf. Einhergehend mit allgemeinen demographischen Trends schrumpft die Bevölkerungsanzahl und der Anteil der alten Menschen steigt. Diese Entwicklung wird, bedingt durch die steigende Arbeitslosigkeit, durch selektive Abwanderungen junger Menschen verstärkt. Innerhalb der Region bezieht ein steigender Anteil der Einwohner staatliche Transferleistungen. Umweltprobleme: Aufgrund der jahrzehntelangen industriellen Nutzung ist die Region durch hohe Umweltschäden gekennzeichnet. Insbesondere die entstehenden industriellen Brachflächen sind stark kontaminiert und von Altlastenproblemen betroffen. Imageprobleme: Als traditionelle Industrieregion wird die Region oft negativ wahrgenommen. Der strukturelle Umbruch innerhalb der Region, bedingt durch den wirtschaftlichen Niedergang, verursacht ein negatives Selbstimage bei der regionalen Bevölkerung. Das Außenimage der Region ist weiterhin durch die (ehemaligen) Industrieanalagen und durch die strukturellen Problematiken dominiert. Insbesondere hinsichtlich der Lebensqualität wird die Region von außen oft negativ wahrgenommen.19 Je nach Altindustrieregion, sind die vorangegangenen Merkmale in unterschiedlichem Maße ausgeprägt. Als entscheidendes und übergreifendes Merkmal des Typus Altindustrieregion wird in der Literatur die „mangelnde Fähigkeit, [betont, wonach] die Hemmnisse, die einer strukturellen Anpassung gegenüberstehen, aus eigener Kraft“20 nicht überwunden werden können.21 Der notwendige Strukturwandel bleibt aus, was „gemessen am Anpassungsbedarf [auf eine] nicht hinreichende Anpassungsfähigkeit“22 der Region zurückzuführen ist. Es besteht also ein regionaler Anpassungsstau, der viele der vorangegangen Problematiken bestärkt oder auslöst.23 Dabei ist die Typisierung zur Altindustrieregion „zeitlich bis zur Auflösung des Anpassungstaus begrenzt“24. Eine Altindustrieregion befindet sich also in einem laufenden Prozess und bleibt nur solange „alt“ bis sie durch aktive oder passive Sanierung einen erfolgreichen Strukturwandel einleiten und strukturübergreifend umsetzen kann. Die Grenzen zwischen einer Altindustrieregion mit starken Strukturproblemen und einer altindustriell geprägten Region, die sich in einem positiven Strukturwandel befindet, sind daher nicht eindeutig zu differenzieren.25 2.2 Entstehung von Altindustrieregionen Für die Entstehung von Altindustrieregionen gibt es verschiedenste Erklärungsansätze. Sowohl wirtschaftstheoretische Erklärungsansätze als auch fallbeispielbasierte Erklärungsansätze geben wichtige Erkenntnisse über die Entstehung von 19 20 21 22 23 24 25 Vgl. Hamm, Rüdiger & Wienert Helmut (1990): Strukturelle Anpassung altindustrieller Regionen im internationalen Vergleich, Berlin. / Schrader, Manfred (1993): a.a.O. / Gelhar, Martina (2010b): a.a.O. Schrader, Manfred (1993): a.a.O., S.112. Vgl. Ebenda. Junkernheinrich, Martin (1989): a.a.O., S.3. Vgl. Ebenda. Hamm, Rüdiger & Wienert Helmut (1990): a.a.O., S.21. Vgl. Ebenda. 11 Altindustrieregionen. Die folgende Untersuchung basiert auf einer zielorientierten Auswahl an Entwicklungstheorien und Fallbeispielen. 2.2.1 Wirtschaftstheoretische Erklärungsansätze Als Erklärungsansatz für den Niedergang ehemals prosperierender Industrieregionen wurden bis heute vielfältige, sich zum Teil ergänzende Entwicklungstheorien erarbeitet. Bisher gibt es jedoch keinen allgemeingültigen Erklärungsansatz der alle wesentlichen Entwicklungselemente der Entstehung von Altindustrieregionen erfasst. Vielmehr beschäftigt die Thematik unterschiedlichste wissenschaftliche Fachdisziplinen. Da der wirtschaftliche Niedergang ausschlaggebend für die Entwicklung von Altindustrieregionen ist, steht die regionalwirtschaftliche Perspektive im Fokus dieser Arbeit. Die „Theorie der Langen Wellen“, die „Produktzyklushypothese“ und das „Konzept der Regionalen Lebenszyklen“ zeigen in diesem Zusammenhang wichtige Erklärungsansätze zur Entstehung von Altindustrieregionen auf. 2.2.1.1 Theorie der Langen Wellen Die Theorie der Langen Wellen ist ein makroökonomischer Erklärungsansatz, der ursprünglich auf die Arbeiten des Wirtschaftswissenschaftlers Kondratieff und ergänzend auf die Arbeiten des Nationalökonom Schumpeter zurück zu führen ist. Als zentrale Aussage besagt die Theorie der Langen Wellen, dass „grundlegende technische Neuerungen (Basisinnovationen) in zyklischen Abständen gehäuft („in Schwärmen“) auftreten und lange Wachstumsschübe („lange Wellen“) auszulösen vermögen“26. Als Basisinnovationen gelten Produkt- und Prozessinnovationen, die wesentliche Veränderungen in bestehenden Wirtschaftsbranchen bewirken. Diese werden von dynamischen Unternehmern etabliert, die einen wirtschaftlichen Aufschwung, also eine Lange Welle, initiieren. Der Abschwung dieser Welle tritt dann ein wenn die Innovationskraft der neu etablierten Technologien erschöpft ist.27 Neuen historisch-deskriptiven Untersuchungen zufolge werden seit der Industrialisierung zum Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart fünf Lange Wellen unterschieden, dargestellt in Abb. 2. Jede dieser Wellen weist eine Zykluslänge von 50-60 Jahren auf. Die erste Welle wurde durch Basisinnovationen in der Dampfkraft, Textilindustrie und Eisenindustrie getragen, gefolgt von Neuerungen in der Eisen- und Stahlindustrie, der zweiten Welle. Die dritte Welle basierte auf Innovationen in der Automobil-Elektro- und Chemischen Industrie, während Erneuerungen in der Elektronikindustrie und der Petrochemie die Entwicklung der vierten Lange Welle bestimmten. Als Basisinnovation für eine fünfte Lange Welle werden Erfindungen der Mikroelektronik und der Bio-Gentechnologie eingeschätzt. Die räumlichen Auswirkungen dieser langjährigen Prozesse sind in großräumigen Schwerpunktverlagerungen der ökonomischen Aktivitäten auszumachen. Jede neue Welle hat einen neuen räumlichen Produktionsschwerpunkt etabliert. Als Zentrum der Basisinnovationen der ersten Welle wurden ausschließlich Regionen in Großbritannien lokalisiert. Die zweite Welle etablierte neben Deutschland insbesondere Produktionsschwerpunkte in den Vereinigten Staaten von Amerika, während die wirtschaftlichen Zentren der dritten Welle hauptsächlich in Deutschland, den Vereinigten Staaten von Amerika und England 26 27 Schätzl, Ludwig (1993): Regionalentwicklung der EG im Überblick, in: Schätzl, Ludwig (Hrsg.): Wirtschaftsgeographie der Europäischen Gemeinschaft, Paderborn, S.30. Vgl. Ebenda. 12 vorzufinden waren. Die vierte Welle verortete die Produktionsräume hauptsächlich in Europa, den Vereinigten Staaten von Amerika und Japan.28 Abb. 2 Modell Theorie der Langen Wellen Basisinnovationen Niveau wirtschaftlicher Aktivitäten Dampfkraft Textilindustrie Eisenind. 1.LangeWelle 1800 Groß Britannien Eisenbahn Dampfschiff Eisen- und Stahlind. 2.LangeWelle 1850 Deutschland USA Automobilind. Chemische Ind. Elektrizität 3.LangeWelle 1900 USA Deutschland England Elektrizität Petrochemie Mikroelektr. Bio- und Gentechnologie 4.LangeWelle 1950 USA Japan Europa 2000 ? Ausgangspunkt wesentlicher Innovationen Entwurf: Eigene Darstellung, Frankfurt 2010 Quelle: Schätzl, Ludwig (1993): Regionalentwicklung der EG im Überblick, in: Schätzl, Ludwig (Hrsg.): Wirtschaftsgeographie der Europäischen Gemeinschaft, Paderborn, S.30. Für die Entstehung von Altindustrieregionen ist die Erkenntnis bedeutend, dass jede neue Welle ihr eigenes räumliches Zentrum generiert. Die jeweils dominanten Industrien konzentrierten sich an regionalen Standorten und es entwickeln sich meist monostrukturierte Industrieballungen. Mit Einsatz der nächsten Welle verlieren die Standorte der alten Welle an Bedeutung, da sie als „traditionelle […] Standorte aus der Perspektive der neuen Wachstumsindustrien wie besetzte Gebiete“29 erscheinen. Die alten Standorte entwickeln sich zu Altindustrieregionen, sollten sie es nicht schaffen innovative Branchen der neuen Wellen anzusiedeln. 28 29 Vgl. Neumair, Haas (2006): Internationale Wirtschaft, Oldenburg. Zit. in: Franz, Martin (2007): Brachflächenentwicklung und die institutionelle Dimension von Nachhaltigkeit – Das Beispiel Oberschlesien, Münster, S.56. 13 2.2.1.2 Produktzyklus Hypothese Die Produktzyklus Hypothese ist ein mikroökonomischer Erklärungsansatz, der federführend vom Wirtschaftswissenschaftler Vernon entwickelt wurde. Die Kernaussage der Produktzyklushypothese besagt, dass „Produkte nur eine begrenzte Lebendsauer besitzen und einen mehrphasigen Lebenszyklus durchlaufen, wobei sich beim Übergang von der Entwicklungs- und Einführungsphase, über die Wachstums-, die Reife- bis zur Schrumpfungsphase die Produktions- und Absatzbedingungen verändern.“30 Die Darstellung in Abb. 3 verdeutlicht diesen Verlauf. Die Anforderungen an einen optimalen Produktionsstandort für eine kostengünstige Güterproduktion ändern sich also je nach Lebensphase des Produkts. Während der ersten Phase (Entwicklungs- und Einführungsphase) sind hohe Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen und gut ausgebildete Fachkräfte erforderlich. In der zweiten und dritten Phase (Wachstumsund Reifephase) erfolgt eine zunehmende Standardisierung des Produkts und dessen Herstellungsverfahrens. Die Nachfrage steigt und damit auch die Anzahl konkurrierender Unternehmer. Das Produkt tritt in die Massenproduktion, wodurch ein steigender Wettbewerb hinsichtlich der Produktqualität und des Produktpreises einsetzt. Die Produktionsfaktoren wie Lohn- und Energiekosten gewinnen einhergehend mit der Wahl des Produktionsstandorts an Bedeutung. Viele Betriebe verlagern ihre Produktion von teuren Forschungs- und Entwicklungsstandorten hin zu kostengünstigeren Produktionsstandorten. Die Produktionsstandorte werden zunächst intraregional und interregional in die Peripherie verschoben. Hin zur vierten Phase (Schrumpfung) werden die Produktionen auch international in Niedriglohnländer verlagert.31 Für die Entwicklung von Altindustrieregionen sind zwei Erkenntnisse bedeutend. Zum einen unterliegen auch Industrieprodukte den veränderten Anforderungen an den Produktionsstandort. Insofern altern mit dem Lebenszyklus der Produkte ebenfalls die dafür geschaffenen Standortstrukturen. Sobald sie den veränderten Anforderungen nicht mehr entsprechen, droht die Abwanderung der Produktionsbetriebe. Zum zweiten verdeutlicht die Theorie die begrenzte Lebensdauer von Industrieprodukten. Eine monostrukturierte Region wird auf kurz oder lang mit der Schrumpfung ihrer Schlüsselproduktionen konfrontiert. Wenn der Schrumpfungsphase keine innovativen Produktinnovationen entgegen gesetzt werden können, drohen solchen Produktionsstandorten die Entwicklung zu Altindustrieregionen. 30 31 Schätzl, Ludwig (1993): a.a.O., S.34. Vgl. Ebenda. 14 Abb. 3 Modell Produktzyklus Hypothese Wachstum II Reife II Schrumpfung IV Produktion Entwicklung und Einführung I Agglomerationsraum Umland der Agglomeration Periphere Regionen Niedriglohnländer Optimaler Produktionsstandort Entwurf: Eigene Darstellung, Frankfurt 2010 Quelle: Schätzl, Ludwig (1993): Regionalentwicklung der EG im Überblick, in: Schätzl, Ludwig (Hrsg.): Wirtschaftsgeographie der Europäischen Gemeinschaft, Paderborn, S.30. 2.2.1.3 Konzept der Regionalen Lebenszyklen Das Konzept der Regionalen Lebenszyklen wurde unter anderem von dem Wirtschaftswissenschaftler Rees erarbeitet. Das Konzept vergleicht die regionalen Entwicklungen, im Sinne regionaler Lebenszyklen mit den Produktlebenszyklen nach der Produktzyklus Hypothese. „Over time, the spatial manifestation product cycles may result in regional cycles of growth and decline“32. Die Anlehnung der regionalen Entwicklung an die wirtschaftliche Entwicklung zeigt sich insbesondere bei monostrukturierten Regionen. Demnach wird ein regionaler Entwicklungszyklus definiert als „ein von Nachbarregionen unterscheidbarer wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entfaltungsprozess bestimmter ökonomisch-sozialer Leitstrukturen (z.B. Montankomplex), der die vier Phasen der quantitativen Zunahme (Aufschwung), der Stagnation (Reife), der Schrumpfung von Wachstumsraten (Verfall) und schließlich des qualitativen Umbruchs durchläuft (Strukturbruch). […] 32 Zit. in: Bathelt, Harald & Glückler Johannes (2002): Wirtschaftsgeographie – Ökonomische Beziehungen in räumlicher Perspektive, Stuttgart, S.235. 15 [Diesem Prozess] liegen unternehmerische, politische und soziale Rahmenbedingungen und Handlungsmuster zugrunde.“33 Es bestehen also intensive Verflechtungen zwischen der regionalen Wirtschaft, der Politik und der Gesellschaft. Die regionalen Strukturen werden an der dominierenden Industrie ausgerichtet, so dass die Region die Phasen vom Aufschwung bis zum Verfall parallel zu ihrer Wirtschaftsentwicklung durchläuft.34 Für die Entstehung von Altindustrieregionen ist die Erkenntnis bedeutend, dass die wirtschaftlichen Strukturen eng mit weiteren regionalen Strukturbereichen verflochten sind. Insbesondere in monostrukturierten Regionen spiegeln sich die Phase des wirtschaftlichen Niedergangs in der regionalen Entwicklung wieder. Um den regionalen Abwärtstrend zu unterbrechen, müssen diese Regionen rechtzeitig einen umfassenden Strukturwandel durchführen, um eine Entwicklung hin zu Altindustrieregionen zu vermeiden. Die dargestellten Wirtschaftstheorien bieten erste Erklärungsansätze für den Niedergang ehemals prosperierender Wirtschaftsregionen. Die Theorien verdeutlichen, dass insbesondere monostrukturierte Wirtschaftsregionen besonders stark von dem unweigerlichen Abschwung einer Langen Welle, der Schrumpfungsphase von Schlüsselprodukten sowie deren regionalen Auswirkungen negativ betroffen sind. Die Gefahr eines wirtschaftlichen „Niedergangs [erscheint] umso größer, je weniger dominierende Branchen in einer Region vorherrschen“35. Ein ausgewogener Branchenmix wird dadurch zum entscheidenden Faktor, um branchenspezifische Schrumpfungen und Abschwünge innerhalb einer Region zu kompensieren. Basierend auf der vorangegangenen Argumentation kann die Entstehung von Altindustrieregionen also auf die starke Monostrukturierung ehemaliger Industrieregionen und die unweigerlichen wirtschaftlichen Effekte (Wellenbewegungen, Produktlebenszyklen, Regionale Lebenszyklen) zurück geführt werden. An dieser Argumentation gibt es jedoch einige Kritikpunkte. So wird die Annahme eines wellenförmigen, gleichmäßigen Verlaufes des wirtschaftlichen Wandels kritisiert. Eine „quasi-naturgesetzliche Regelhaftigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung“36 gilt bisher nicht als empirisch belegt. Hinzu kommt, dass die Gesetzmäßigkeiten des Produktzyklus nicht auf die scheinbar ewige Lebensdauer von Produkten der Grundstoffindustrie und Nahrungsmittelindustrie übertragen werden können. Darüber hinaus unterbricht und verjüngt der Einsatz neuer Technologien oft den Lebenszyklus von Produkten. Der Zeitpunkt der Schrumpfungsphase kann somit aktiv beeinflusst und hinausgezögert werden.37 Produktgruppen einer Branche können durch den Einsatz neuer Techniken also durchaus unterschiedliche Lebensphasen aufweisen und dadurch unterschiedliche Wirtschaftsleistungen innerhalb einer Region erbringen.38 Schließlich wird dem Konzept des regionalen Lebenszyklus entgegen gehalten, dass die phasenhafte Entwicklung einer Region nur als Sonderfall gilt. Dazu müssten in der Region 33 34 35 36 37 38 Zit. in: Franz, Martin (2007): a.a.O., S.56. Vgl. Hamm, Rüdiger & Wienert Helmut (1990): a.a.O. Schrader, Manfred (1993): a.a.O., S.125. Gabe, Wolf (1998): Industrie, in: Kulke, Elmar (Hrsg.): Wirtschaftsgeographie Deutschlands, Stuttgart, S. 118. Vgl. Häußermann, Hartmut (1992): Ökonomie und Politik in alten Industrieregionen, in: Häußermann, Hartmut (Hrsg.): Ökonomie und Politik in alten Industrieregionen Europas, Berlin, S.10–34. Vgl.Schrader, Manfred (1993): a.a.O. 16 ausschließlich Industrien der gleichen Branche, zusammengesetzt aus Unternehmen des gleichen Erfolges, mit Produkten der gleichen Lebensphase, angesiedelt sein. Zusammenfassend zeigt sich, dass die erläuterten Entwicklungstheorien wichtige Anhaltspunkte für die Entstehung von Altindustrieregionen aufzeigen, hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit dennoch kritisch hinterfragt werden müssen.39 2.2.2 Fallbeispielbasierte Erklärungsansätze Aufbauend auf den theoretischen Erklärungsansätzen werden in der Literatur häufig regionale Fallbeispiele herangezogen (Bspw. Ruhrgebiet: Vgl. Junkernheinrich, Martin (1989)), um die Entstehung von Altindustrieregionen konkret zu untersuchen.40 Dies ermöglicht das Aufzeigen konkreter Einflussfaktoren, die für den Niedergang ehemals prosperierende Industrieregionen maßgeblich sind. Für die Entstehung von Altindustrieregionen sind diesen Erkenntnissen zufolge sowohl externe Einflussfaktoren als auch endogene Einflussfaktoren bedeutend. Als regionsexterne Einflüsse gelten solche Einflüsse, die von außen auf eine Region eintreffen. Im Sinne „exogener Schocks“41 sind dies meist signifikante Veränderungen der Rahmenbedingungen, begründet durch globale Trends oder politische Interventionen. Als regionsinterne Einflussfaktoren gelten solche Prozesse, die innerhalb einer Region zur Verfestigung der Strukturen beitragen und die regionale Bereitschaft und Fähigkeit zur Anpassung an neue Rahmenbedingungen behindert. Diese Hemmnisse sind insbesondere durch die regionalen Ressourcen, die regionalen Akteure und durch das Image der Region geprägt.42 2.2.2.1 Externe Einflussfaktoren Wichtige externe Einflussfaktoren, welche die Industriewirtschaft weltweilt, die Entwicklung von Altindustrieregionen jedoch insbesondere, betreffen sind der Bedeutungsverlust traditioneller Standortfaktoren, der Wandel der Nachfragestruktur und die konjunkturelle Reagibilität.43 Beim Bedeutungsverlust der traditionellen Standortfaktoren stehen die abnehmende Rohstoffbindung und die sinkenden Transportkosten den an Bedeutung zunehmenden Produktionskosten (Lohn-, Energie- und Umweltkosten etc.) gegenüber. Insbesondere traditionelle Standorte der Grundstoffindustrien und Massengüterproduktion sind von diesem Trend negativ betroffen. Produktionsbetriebe werden von den alten Industriestandorten hin zu neuen und kostengünstigeren Produktionsstandorten verlagert.44 Der Wandel der Nachfragestruktur umfasst die weltweit veränderte private und staatliche Nachfrage hin zu technologisch hochwertigen Produkten. Diese Güter können von den traditionellen Branchen meist nicht hergestellt werden. Nur wenigen Betrieben gelingt bspw. der Wandel vom Stahlerzeuger hin zum Hochtechnologiekonzern. Folglich entwickeln sich viele ehemalige industrielle Wachstumsbranchen zu Schrumpfungsbranchen einer Region.45 Die konjunkturelle Reagibilität wirkt sich ebenfalls negativ auf die traditionellen und konsumfernen Branchen aus. Betriebe 39 40 41 42 43 44 45 Vgl. Bathelt, Harald & Glückler Johannes (2002): a.a.O. Vgl. Junkernheinrich, Martin (1989): a.a.O. Hamm, Rüdiger & Wienert Helmut (1990): a.a.O., S 25. Vgl. Junkernheinrich, Martin (1989): a.a.O. Vgl. Schrader, Manfred (1993): a.a.O. Vgl. Gelhar, Martina (2010b): a.a.O. Vgl. Schrader, Manfred (1993): a.a.O. 17 der Schwer-oder Montanindustrie können auf konjunkturelle Einbrüche nur bedingt mit Produkt- und Preisdifferenzierungen reagieren. Besonders in monostrukturierten Regionen wirkt dieser Effekt schnell negativ auf die gesamte Region. Weitere, meist national bestimmte, externe Einflussfaktoren sind politische Maßnahmen und rechtliche Rahmenbedingungen. Politische Interventionen tragen oft zur Verfestigung der alten Strukturen in Altindustrieregionen bei. Staatliche Subventionen und politische Sonderregelungen vermindern häufig die Bereitschaft von Wirtschaftsregionen zur Anpassung an global veränderte Rahmenbedingungen. Der Status Quo einer national bedeutenden Schlüsselindustrie wird aus Gründen der Arbeitsplatzsicherung und Gewerbeeinnahmen künstlich erhalten und eine dynamische Weiterentwicklung vieler Wirtschaftsregionen damit verhindert. Rechtliche Rahmenbedingungen im Sinne des Bau- und Planungsrechts oder des Umweltrechts haben ebenfalls oft eine hemmende Wirkung auf die Weiterentwicklung von Wirtschaftsregionen. Politisch bestimmte Sonderregelungen des Umweltschutzes oder planungsrechtliche Regelungen, bspw. Bestandschutz, tragen häufig zur Verfestigung der alten Strukturen bei.46 2.2.2.2 Interne Einflussfaktoren Interne Einflussfaktoren, die sich auf die Entwicklung von Wirtschaftregionen im Allgemeinen und auf die Entwicklung von Altindustrieregionen im Besonderen auswirken, sind die Verfügbarkeit von Flächen, eine gute Infrastruktur und qualifizierte Arbeitskräfte. Die Verfügbarkeit von Flächen ist in alten Industrieregionen sowohl quantitativ als auch qualitativ problematisch. Aufgrund der hohen Dichte an industriellen Betrieben gibt es nur wenige Freiflächen, die zudem meist den angesiedelten Großbetrieben gehören. Diese stehen Neuansiedlungen innovativer Branchen oft skeptisch gegenüber und nutzen die Flächen primär als Vorrats- oder Spekulationsgrundstücke.47 Einhergehend mit dem wirtschaftlichen Niedergang werden zwar vermehrt Flächen frei, die jedoch wiederum qualitative Mängel aufweisen. Unzureichende Erschließung, Parzellierung und hohe Umwidmungskosten stehen einer Neuvermarktung der Flächen oft gegenüber. Darüber hinaus sind viele Brachflächen mit Altlasten kontaminiert. Da die Verursacher nicht mehr auszumachen sind, obliegen die hohen Wiederaufbereitungskosten oft den finanzschwachen Kommunen.48 Ähnliche Probleme weist die Infrastrukturausstattung vieler Altindustrieregionen auf. Die Infrastruktur wurde an den Bedürfnissen der alten Industriebetriebe ausgerichtet und entspricht daher nicht den Ansprüchen neuer Wachstumsbranchen. Diese sind weniger auf Binnenwasser- und Schienenanbindungen sondern auf effektive Straßen- und Luftverkehrsanbindungen angewiesen. Qualifizierte Arbeitskräfte sind für die Ansiedlung von Betrieben aus neuen Wachstumsbranchen sehr wichtig. Die Arbeitskräfte in Altindustrieregionen sind oft durch eine einseitige Qualifikationsstruktur gekennzeichnet, die nicht den Ansprüchen neuer Wachstumsbranchen entspricht.49 Hinzu kommt, dass die regionalen Lohn- und Lohnnebenkosten in Altindustrieregionen oft sehr hoch sind. Je nach Industriebranche gelten unterschiedliche Arbeitsbedingungen und arbeitsrechtliche Sonderregelungen. Dies ergibt für die bestehenden Altindustriebetriebe einen Wettbewerbsnachteil und hemmt die Ansiedlung neuer Betriebe. Weiterhin entscheidend für die Regionalentwicklung sind die regionalen Akteure. 46 47 48 49 Vgl. Junkernheinrich, Martin (1989): a.a.O. Vgl. Schrader, Manfred (1993): a.a.O. Vgl. Junkernheinrich, Martin (1989): a.a.O. Vgl. Hamm, Rüdiger & Wienert Helmut (1990): a.a.O. 18 Die Kooperation der Unternehmer, Gewerkschaften und Politiker beruht auf jahrelanger Zusammenarbeit. Die Akteure sind von der Bedeutung der angesiedelten Schlüsselindustrien überzeugt und bilden gemeinsam starke Interessengemeinschaften. Die bestehenden Strukturen sollen möglichst konserviert werden um den Status Quo zu erhalten. Externer Anpassungsdruck wird durch politische Interventionen oft vermindert und dadurch die Bereitschaft zur Anpassung an neue Rahmenbedingungen verhindert.50 Schließlich ist das Image einer Wirtschaftsregion entscheidend für dessen Weiterentwicklung. In Altindustrieregionen ist häufig sowohl das Selbst- als auch das Außenimage negative behaftet. Dies behindert die Anziehung von neuen Investoren, qualifizierten Arbeitskräften und unterstützt stattdessen die Abwanderung junger und qualifizierter Arbeitskräfte. Altindustrieregionen werden häufig nach innen als auch nach außen als Regionen mit einer veralteten Wirtschaftsstruktur, einer schlechten Lebensqualität und hohen Umweltproblemen wahrgenommen.51 Die erläuterten Einflussfaktoren verdeutlichen, dass die wirtschaftliche Entwicklung einer Region sowohl von außen als auch von innen stark beeinflusst wird. Externe Einflüsse verändern die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen kontinuierlich. Um wettbewerbsfähig zu bleiben müssen sich sowohl die Unternehmen als auch die Wirtschaftsstandorte den neuen Rahmenbedingungen anpassen. Dabei spielen die internen Strukturen eine wichtige Rolle. Entscheidend ist, dass die regionalen Akteure die veränderte Rahmenbedingung erkennen und die regionalen Strukturen anhand der neuen Anforderungen ausrichten. Dieser Argumentation folgend ist der Niedergang ehemals prosperierender Wirtschaftsregionen auch auf die mangelnde Fähigkeit oder Bereitschaft einer regionalen Anpassung zurück zu führen. Altindustrieregionen entstehen also aufgrund regionsinterner Hemmnisse zur Veränderung der „veralteten“ Strukturen. Obwohl dieser Erklärungsansatz zur Entstehung von Altindustrieregionen schlüssig ist, bleibt die Umsetzung einer rechtzeitigen Anpassung der regionalen Strukturen an neue Rahmenbedingungen in der Realität oft schwierig. Essentielle externe Entwicklungen werden oft erst spät als solche erkannt und somit kann erst zeitverzögert darauf reagiert werden. Hinzu kommt, dass jede Region durch individuelle Strukturen geprägt ist und demnach die internen Hemmnisse unterschiedlichste Gründe haben. Insofern bieten die erläuterten Einflussfaktoren wichtige Erklärungsansätze, jedoch muss jede Altindustrieregion hinsichtlich ihrer spezifischen Hemmnisse und Entwicklung betrachtet werden. 2.3 Strategien zur Revitalisierung von Altindustrieregionen Für die Revitalisierung von Altindustrieregionen gibt es verschiedenste Entwicklungsstrategien. Sowohl wirtschaftstheoretische Entwicklungsstrategien als auch fallbeispielbasierte Entwicklungsstrategien geben wichtige Hinweise für eine effektive Revitalisierung von Altindustrieregionen. Die folgende Untersuchung basiert auf einer zielorientierten Auswahl an Entwicklungsstrategien und Fallbeispielen. 50 51 Vgl. Schrader, Manfred (1993): a.a.O. Vgl. Junkernheinrich, Martin (1989): a.a.O. 19 2.3.1 Wirtschafstheoretische Entwicklungsstrategien Zur Revitalisierung von Altindustrieregionen gibt es unterschiedliche, sich zum Teil ergänzende, Entwicklungstheorien. Jede Altindustrieregion basiert auf einer individuellen Entwicklung und ist durch spezifische Problematiken geprägt. Insofern gibt es keinen allgemeingültigen Ansatz zur Revitalisierung von Altindustrieregionen. Aus regionalwirtschaftlicher Perspektive zeigen das „Traditionelle Wachstumsmodel“, das „Konzept der Kreativen Milieus“ und die „Theorie der Kreativen Klasse“ wichtige Ansätze auf, um regionales Wachstum in Altindustrieregionen zu generieren. 2.3.1.1 Traditionelles Wachstumsmodell Als Traditionelles Wachstumsmodell werden die Vorstellungen des 19. und frühen 20. Jahrhundert zum städtischen und regionalen Wachstum bezeichnet. Der Stadtökonom Thompson gilt als ein Vertreter dieses Konzepts. Demnach erfolgt das ökonomisch induzierte Wachstum einer Region in drei Phasen. In der ersten Phase etablieren die ansässigen Unternehmen des produzierenden Gewerbes ein stabiles Wachstum. Neben dem regionalen Markt wird zunehmend auch der überregionale Markt mit Produkten aus der Region versorgt. In der zweiten Phase siedeln sich komplementäre Unternehmen des produzierenden Gewerbes an. Aufgrund der steigenden Nachfrage nach unternehmensnahen Dienstleistungen kommen zunehmend Dienstleistungsunternehmen hinzu. Der steigenden Diversität der Branchen und der steigenden Anzahl der Arbeitsplätze im sekundären Sektor folgt also eine Zunahme der Arbeitsplätze im tertiären Sektor. Das Einkommen und die Kaufkraft der ansässigen Bewohner steigt mit der Folge, dass sich ebenfalls konsumentennahe Dienstleistungsunternehmen in der Region ansiedeln. In der dritten Phase expandieren die angesiedelten Unternehmen des sekundären und tertiären Sektors von der regionalen über die nationale bis zur internationalen Ebene.52 Für die Revitalisierung von Altindustrieregionen ist die Erkenntnis bedeutend, dass die Ansiedlung von Betrieben aktueller Wachstumsbranchen die Ansiedlung weiterer branchennahen Unternehmen nach sich zieht. Bei den aktuellen Rahmenbedingungen gelten jedoch weniger Betriebe des produzierenden Gewerbes, sondern vielmehr Unternehmen aus der wissensbasierten Wirtschaft oder der High-Tech-Branche als potenzielle Wachstumsmotoren. Die erfolgreiche Ansiedlung solcher Betriebe könnte einen wirtschaftlichen Aufschwung etablieren und damit positive Effekte für die gesamte Region bringen. 2.3.1.2 Konzept der Kreativen Milieus Das Konzept des Kreativen Millieus wurde von der sog. GREMI-Gruppe („Groupe de Recherche Européen sur les Milieux Innovateurs“), bestehend aus Soziologen und Regionalwissenschaftlern, entwickelt. Das Konzept besagt, dass der ökonomische Erfolg einer Region maßgeblich von der Qualität der Verflechtungsbeziehungen zwischen den regionalen Akteuren abhängt. Dabei stellt sich ein Milieu „als eine spezifische Konstellation von ökonomisch, sozialen, kulturellen und politischen Akteuren und Elementen mit spezifischen Organisations- und Umgangsformen dar. Das Milieu versorgt die Unternehmen die ihm angehören mit 52 Vgl. Friedrichs, Jürgen (1994): Revitalisierung von Städten in Altindustrialisierten Gebieten Ein Modell und Folgerungen, in: Geographische Zeitschrift, Band 82 1994, S.133–153. 20 dynamischen Impulsen und umgekehrt wird das Milieu durch die Interaktion der Unternehmen reproduziert.“53 Regionale Netzwerke etablieren ein aktives Milieu in dem durch kollektive Lernprozesse Innovation stattfindet.54 In wirtschaftlich monostrukturierten Regionen dominiert oft das Milieu der bestehenden Großbetriebe das Milieu der gesamten Region. Standardisierte Verfahren und ausgereifte Techniken unterbinden dabei häufig kreative Entwicklungen. Kleine und mittlere Unternehmen sind im Gegensatz zu Großunternehmen auf Kooperationen mit anderen Unternehmen angewiesen. Arbeitsteilung und Spezialisierung erfordern Kooperationen, um optimale und kostengünstige Abläufe zu sichern. Folglich wird durch die Kooperation regionaler Unternehmen die Entwicklung eines kreativen Millieu gefördert.55 Für die Revitalisierung von Altindustrieregionen ist die Erkenntnis bedeutend, dass alte Strukturen zugunsten von neuen Netzwerken aufgebrochen werden müssen. Insbesondere kleine und mittlere Betriebe sollten in die regionalen Netzwerke optimal eingebunden werden. Ein kreatives Milieu als weicher Standortfaktor ist bedeutend, um einen erfolgreichen Strukturwandel einzuleiten. Dazu sollten in Altindustrieregionen Förderungen für kleine und mittlere Unternehmen und deren Vernetzung geschaffen werden. 2.3.1.3 Theorie der Kreativen Klasse Die Theorie der Kreativen Klasse wurde vom amerikanischen Ökonom Florida entwickelt. Die Grundaussage dieser Theorie besagt, dass „Wirtschaftskraft, Wirtschaftswachstum und technologischer Fortschritt […] [einer Region] umso stärker [ist], je höher der Anteil der kreativen Klasse an der Zahl der Beschäftigten vor Ort ist.“56 Angehörige der Kreativen Klasse sind Menschen die in hochkreativen Berufen (bspw. Mathematiker, Ingenieure, Künstler) und in kreativen Berufen (bspw. Manager, Anwälte, Ärzte) arbeiten. Diese generieren einen kreativen „Output“ und entwickeln innovative Lösungswege für verschiedenste Problematiken. Sie werden zum wichtigsten Faktor für Unternehmen der kreativen Wirtschaft, so dass entgegen den bisherigen Theorien nicht die Arbeitskräfte den Unternehmen, sondern die Unternehmen den Arbeitskräften an einen Standort folgen. Die Ansiedlung der kreativen Klasse wird also zur Voraussetzung für regionales Wachstum. Dabei muss eine Region über die drei Standortfaktoren Talente, Technologie und Toleranz verfügen, „um attraktiv für kreative Menschen zu sein, Innovationen zu schaffen und wirtschaftliches Wachstum zu bewirken.“57 Florida definiert Talent als das kreative Potenzial welches die Angehörigen der Kreativen Klasse mitbringen. Als Technologie gilt die Konzentration von Betrieben der Wissensbranche in der Region. Toleranz beschreibt schließlich die kulturelle Offenheit der Region und ihrer Gesellschaft. Offenheit gegenüber Neuem und Anderem ist wichtig um kreative Menschen anzuziehen. Standorte die über die drei „Ts“ verfügen, bezeichnet Florida als Creative Centers, dessen wichtigstes Kriterium ein offenes Klima ist, in dem 53 54 55 56 57 Häußermann, Hartmut (1992): a.a.O., S.14. Vgl. Kraft, Lutz (2006): Entwicklung räumlicher Cluster – Das Beispiel Internet– und E– Commerce–Gründungen in Deutschland, Schriftenreihe der European Business School Band 57, Wiesbaden. Vgl. Häußermann, Hartmut (1992): a.a.O. Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung (Hrsg.)(2007): Talente Technologie und Toleranz – wo Deutschland Zukunft hat, Köln, Online–Dokument: http://www.berlin– institut.org/fileadmin/user_upload/Studien/TTT_Webversion.pdf, Stand 24. Januar 2011, S.6. Ebenda, S.7. 21 kreative Menschen leben möchten und beste Voraussetzungen haben um ihre Ideen und ökonomischen Konzepte zu verwirklichen.58 Für die Revitalisierung von Altindustrieregionen ist die Erkenntnis bedeutend, dass neben harten Standortfaktoren weiche Standortfaktoren an Bedeutung gewinnen. Die Lebensqualität und das gesellschaftliche Klima innerhalb einer Region sind entscheidend für die Ansiedlung von gefragten Fachkräften. Insbesondere die Offenheit gegenüber Neuem erfordert in Altindustrieregionen ein Umdenken der ansässigen Akteure. Eine erfolgreiche Revitalisierung muss also die weichen Standortfaktoren mit einbeziehen und die Bedeutung von Fachkräften anerkennen, um einen erfolgreichen Strukturwandel einzuleiten. Die erläuterten Entwicklungstheorien bieten unterschiedliche Ansätze für die Revitalisierung von Altindustrieregionen. Bei gemeinsamer Betrachtung der Ansätze wird deutlich, dass sowohl harte als auch weiche Standortfaktoren für die Generierung wirtschaftlicher Impulse von Bedeutung sind. Altindustrieregionen müssen im Wettbewerb um Unternehmen und qualifizierten Arbeitskräfte die „veralteten“ Strukturen aufbrechen. Eine hohe Lebensqualität, effektive Kommunikationsprozesse zwischen den regionalen Akteuren und eine effektive Vermarktung der Region sind für eine positive Regionalentwicklung wichtig. Da jede Altindustrieregion spezifischen Herausforderungen gegenübersteht, ist es sinnvoll die verschiedenen Ansätze der Entwicklungstheorien für ein maßgeschneidertes Entwicklungskonzept zu kombinieren. Um ein kreatives Milieu auszubilden, müssen entsprechende Firmen entsprechender Branchen in der Region angesiedelt sein. Neue Unternehmen, sowohl Großunternehmen als auch kleine und mittlere Unternehmen, werden nur durch entsprechende Standortfaktoren angezogen. Insbesondere für kreative Branchen sind qualifizierte Arbeitskräfte von hoher Bedeutung. Diese ziehen wiederum in solche Regionen, die ihnen gute Voraussetzungen im Sinne einer hohen Lebensqualität, einem offenen gesellschaftlichen Klima und guter Entwicklungsmöglichkeiten, bieten. Insofern sind die verschiedenen Faktoren stark miteinander verbunden und werden nicht losgelöst voneinander zur erfolgreichen Entwicklung in einer Altindustrieregion führen. 2.3.2 Fallbeispielbasierte Entwicklungsstrategien Aufbauend auf den theoretischen Entwicklungsansätzen werden in der Literatur häufig regionale Fallbeispiele zur Revitalisierung von Altindustrieregionen untersucht. (Bspw. Liverpool, Vgl. Zehner, Klaus (2010)) Aufgrund der Individualität jeder Altindustrieregion ergibt sich eine Vielfalt an spezifischen Revitalisierungsmaßnahmen. Diese können in drei Kategorien zusammengefasst werden. Zum einen in Strategien der „Externen Diversifizierung“, zum zweiten in Strategien der „Internen Diversifizierung“ und zum dritten in „Zugpferdstrategien“. 2.3.2.1 Strategien der Externen Diversifizierung Die Strategien der externen Diversifizierung basieren auf den gleichen Prinzipen wie das Konzept des „Traditionellen Wachstumsmodells“. Unternehmen aus innovativen Wirtschaftzweigen, gekennzeichnet durch neue Technologien und junge 58 Vgl. Ebenda. 22 Produktionsgruppen, werden innerhalb der Altindustrieregionen angesiedelt. Dadurch werden neue Ressourcen in die Region gebracht, die wiederum neue Wachstumsimpulse in der Region generieren. Von entscheidender Voraussetzung für die Anziehung innovativer Unternehmen ist das Außenimage der Region. Eine positive Vermarktung des regionalen Standorts trägt entscheidend zur Generierung externer Wachstumsimpulse bei. Insbesondere für Altindustrieregionen, als Regionen mit einem negativen Außenimage, ist die Einrichtung einer Institution der Wirtschaftsförderung daher sinnvoll. Diese Institution vertritt die wirtschaftlichen Interessen der Region nach außen und entwickelt eine effektive Marketingstrategie für den regionalen Standort.59 Darüber hinaus werden Altindustrieregionen häufig durch politische Interventionen unterstützt. Durch umfangreiche Förderprogramme und wirtschaftliche Sonderregelungen, wie bspw. die Ausweisung von Sonderwirtschaftszonen, sollen wirtschaftliche Impulse in der Region gesetzt werden.60 2.3.2.2 Strategien der Internen Diversifizierung Die Strategien der internen Diversifizierung basieren auf den endogenen Potenzialen einer Altindustrieregion. Vorhandene Marktnischen werden ermittelt und die dazugehörigen Wirtschaftsaktivitäten gefördert. Anstatt neue Ressourcen in die Region zu importieren, werden die endogenen Ressourcen genutzt und ausgebaut.61 Obwohl jede Altindustrieregion unterschiedliche endogene Potenziale aufweist, zeigt sich bei vielen Altindustrieregionen ein Trend hin zur Neuinterpretation und Neunutzung ehemaliger Industrieareale. Anstatt die baulichen Hinterlassenschaften flächendeckend abzureißen, werden sanierte Industriebauten zunehmend als Veranstaltungsorte für Kulturevents oder Bürostandorte der Privatwirtschaft genutzt. Die Industriekultur und der Industrietourismus werden als Mittel zur Regionalentwicklung in Altindustrieregionen eingesetzt. Eine steigende Etablierung dieser Maßnahmen zeigt sich unter anderem durch die Einrichtung des von der Europäischen Union geförderten europaweiten Netzwerks „European Culture of Industrial Heritage“ oder die 2009 erstmals stattgefundene Internationale Messe für Tourismus des Industrieerbes und des Untertagetourismus in Zabrze.62 2.3.2.3 Zugpferdstrategien Bei Zugpferdstrategien konzentrieren sich die regionalen Akteure auf die Umsetzung einer wesentlichen Maßnahme, die zukünftig kennzeichnend für die Region stehen soll. Das bislang negative oder unbeachtete Image einer Altindustrieregion soll durch ein imageorientiertes Leuchtturmprojekt positiv verändert werden. Die imageverbessernden Impulse sind besonders auf Investoren und Besucher ausgerichtet. Ein positiver Außeneffekt entsteht insbesondere, wenn die Region dies als Alleinstellungsmerkmal vermarkten kann.63 Beispielhaft für Zugpferd Strategien sind die Eröffnung von Musicals, die regelmäßige Durchführung 59 60 61 62 63 Vgl. Friedrichs, Jürgen (1994): a.a.O. Vgl. Zehner, Klaus (2010): Von Liverpool zu „Livercool“ – Strukturwandel und wirtschaftliche Erneuerung einer Weltstadt des 19. Jahrhunderts, in. Geographische Rundschau, Heft 2 2010, S.34–40. Vgl. Friedrichs, Jürgen (1994): a.a.O. Vgl. Gelhar, Martina (2010b): a.a.O. Vgl. Friedrichs, Jürgen (1994): a.a.O. 23 von international anerkannten Messen oder die Auszeichnung mit imageträchtigen Titeln.64 Die erläuterten Entwicklungsstrategien zeigen eine Vielfalt an unterschiedlichen Ansätzen zur Revitalisierung von Altindustrieregionen auf. Aufbauend auf den Erkenntnissen der theoretischen Modelle, wird deutlich, dass je nach Region nur angepasste und kombinierte Strategien zur langfristigen Revitalisierung von Altindustrieregionen geeignet sind. In Praxisbeispielen, in denen die Strategien der externen Diversifizierungen angewandt wurde hat sich gezeigt, dass die reine Fokussierung auf die Anwerbung externer Unternehmen nur kurzfristige Effekte für eine Region bringt. Die oft übereilte Ansiedlung neuer Unternehmen unter Missachtung der endogenen Potenziale etabliert kein nachhaltiges Wachstum in einer Region. Eine Ausrichtung auf endogene Potenziale scheint daher sinnvoll, ist jedoch ein mühsamer und langer Weg. Zukunftsträchtige Potenziale müssen als solche zunächst erkannt und zudem stark gefördert werden. Insofern wirken sich diese Strategien oft erst mittel- oder langfristig positiv aus. Die Zugpferdstrategie ist hingegen eine Strategie mit klar abschätzbaren kurz- und mittelfristigen Effekten für eine Region. Jedoch sind im Wettbewerb der Regionen Nischen für Zugpferdstrategien mit Alleinstellungsmerkmal rar geworden.65 Insofern scheint eine kombinierte Entwicklungsstrategie, ausgerichtet an den jeweiligen Herausforderungen der Region, für ein langfriste Revitalisierung am sinnvollsten zu sein. 2.4 Zwischenfazit Es wird deutlich, dass die Herausforderungen und Problematiken, denen Altindustrieregionen gegenüber stehen, komplex und vielschichtig sind. Der Raumtypus Altindustrieregion ist nicht allgemeingültig zu definieren. Vielmehr zeichnet sich jede Altindustrieregion durch spezifische Strukturmerkmale, einer individuellen Entwicklung sowie – daraus resultierend – durch unterschiedliche endogen anzupassende Revitalisierungsstrategie aus. Gemeinsam ist den meisten Altindustrieregionen, dass sich diese aufgrund eines wirtschaftlichen Niedergangs von ehemals prosperierenden Wirtschaftsstandorten hin zu Altindustrieregionen entwickelt haben. Ausgelöst durch einen internen Anpassungsstau wurden die alten Strukturen den extern veränderten Rahmenbedingungen nicht angepasst. Ein Zusammenspiel aus externen veränderten Rahmenbedingungen und regionsinternen Hemmnissen führte zu einer Krise für die gesamte Region. Der Problematik des Anpassungsstaus steht der Herausforderung entgegen, die alten Strukturen der niedergehenden Industriebranchen aufzubrechen und an die Anforderungen neuer Wachstumsbranchen anzupassen. Im Zuge eines Strukturwandels obliegt es der Region, die endogenen Potenziale zu stärken und zielgerichtete Entwicklungsstrategien einzuleiten, um neues wirtschaftliches Wachstum zu generieren. Insbesondere Altindustrieregionen müssen dabei neben den harten Standortfaktoren die weichen Standortfaktoren entwickeln, um sich als attraktive Region für Investoren, Arbeitnehmer und Bewohner im globalen Wettbewerb der Regionen zu positionieren. 64 65 Vgl. Boldt, Kai–W. & Gelhar, Martina (2010): Duisburg Von der Stadt Montan zum Drehkreuz des Westens, in: Geographische Rundschau, Heft 2 2010, S.26–33. Vgl. Friedrichs, Jürgen (1994): a.a.O. 24 3 Gemeinschaftsaktion Kulturhauptstadt Europas Im Folgenden wird die Gemeinschaftsaktion Kulturhauptstadt Europas untersucht. Im ersten Schritt werden die Idee, die Zielsetzung, die Organisation und das aktuelle Auswahlverfahren der Gemeinschaftsaktion dargestellt. Im zweiten Schritt wird die Entwicklung der Initiative Kulturhauptstadt Europas, aus politischer und rechtlicher Perspektive sowie künstlerischer und konzeptioneller Perspektive, erörtert. Im dritten Schritt folgt eine Untersuchung des Faktors Kultur der als zentrales Mittel im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas eingesetzt wird. Im vierten Schritt wird untersucht welche Auswirkungen die Kulturhauptstadt Europas auf Städte und Regionen hat. Dies geschieht in Anlehnung an die im ersten Kapitel erörterten Herausforderungen, denen Altindustrieregionen oft entgegen stehen. Dazu werden zum einen die Ziele ehemaliger Kulturhauptstädte und zum anderen die Auswirkungen der Kulturhauptstadt auf ausgewählte Strukturbereiche ehemaliger Kulturhauptstädte dargestellt. Schließlich wird ein zusammenfassendes Fazit gezogen, in welchem die Möglichkeiten der Kulturhauptstadt Europas für die Unterstützung von Altindustrieregionen herausgestellt werden. 3.1 Einordnung der Europäischen Kulturhauptstadtinitiative Die Initiative „Kulturhauptstadt Europas“ ist eine Gemeinschaftsaktion der Europäischen Union. Eingebunden in das europäische Rahmenprogramm „Kultur“ (2007 - 2013) wird die Initiative von der Generaldirektion Bildung und Kultur der Europäischen Kommission verwaltet, überwacht und finanziell gefördert. Das übergeordnete Ziel des Programms „Kultur“ ist es, „durch den Ausbau der kulturellen Zusammenarbeit zwischen Kulturakteuren aus Ländern, die am Programm beteiligt sind, zur Förderung des Kulturraums, den die Europäer miteinander teilen und der auf einem gemeinsamen kulturellen Erbe gründet, beizutragen und damit die Entstehung einer Europabürgerschaft zu begünstigen.“66 Projekte und Initiativen die diesem Ziel dienen, darunter die Gemeinschaftsaktion Kulturhauptstadt Europas, werden in der Förderperiode 2007 bis 2013 mit einem Gesamtbudget von 400 Millionen Euro durch das Rahmenprogramm Kultur unterstützt.67 3.1.1 Idee und Zielsetzung Im Rahmen der Gemeinschaftsaktion Kulturhauptstadt Europas wird jedes Jahr mindestens eine europäische Stadt mit dem Titel Kulturhauptstadt Europas ausgezeichnet. Diese Stadt darf den Titel ein Jahr lang tragen und muss das entsprechende Kulturhauptstadtjahr nach speziellen Vorgaben ausgestalten. Das offizielle Ziel der Gemeinschaftsaktion Kulturhauptstadt Europas ist es, „den Reichtum und die Vielfalt der europäischen Kulturen sowie ihre Gemeinsamkeiten herauszustellen und einen Beitrag zum gegenseitigen Verstehen der europäischen 66 67 Europäische Kommission Generaldirektion Bildung und Kultur (Hrsg.)(2010a): Programmleitfaden – Programm Kultur 2007–2013, Online–Dokument: http://eacea.ec.europa.eu/culture/programme/documents/2010/may/DE.pdf, Stand 24. Januar 2011. Vgl. Europäischen Kommission Generaldirektion Bildung und Kultur (Hrsg.)(2010c): Programm "Kultur": eine bedeutende Investition in Kultur, Online–Dokument: http://ec.europa.eu/culture/our–programmes–and–actions/doc411_de.htm, Stand 24. Januar 2011. 25 Bürger zu leisten.“68 Zur Umsetzung dieses Ziels hat die Europäische Union spezifische Kriterien zur konkreten Ausgestaltung des Kulturhauptstadtjahres vorgegeben. Als erstes Kriterium gilt die Einbindung der Europäischen Dimension ins Programm für das Kulturhauptstadtjahr. Die Bewerberstädte müssen „ihren Bezug zu, ihren Platz in und ihre Zugehörigkeit zu Europa ebenso dar[…]legen wie die gegenwärtige Beteiligung am Kunst- und Kulturleben.“69 Insbesondere dem Dialog und dem Austausch mit kulturellen Akteuren anderer Länder kommt eine hohe Bedeutung zu. Als zweites Kriterium gilt die Beteiligung der Bürger am Kulturprogramm. Das Kulturhauptstadtjahr soll Anziehungskraft auf europäischer und internationaler Eben erzeugen und gleichzeitig Interesse und Begeisterung bei der lokalen Bevölkerung wecken. Die Balance zwischen lokalem Interesse und der Förderung des europäischen Tourismus gilt als besondere Herausforderung für die Ausgestaltung des Kulturhauptstadtjahres. Als drittes Kriterium gilt die Initiierung einer nachhaltigen Wirkung des Kulturprogramms auf die mittel- und langfristige Stadt- und Regionalentwicklung. Das Kulturhauptstadtjahr soll kein „vorübergehendes Feuerwerk von Kulturveranstaltungen“70 werden, sondern in den Prozess einer nachhaltigen Stadt- und Regionalentwicklung eingebunden werden. Das Kulturhauptstadtprogramm, gemessen an den erläuterten Kriterien, gilt als maßgeblicher Entscheidungsfaktor zur Wahl einer Kulturhauptstadt. Die Europäische Kommission betont: „a city is not chosen as a European Capital of Culture solely for what it is, but mainly for what it plans to do for a year that has to be exceptional.”71 Insofern ist jede Stadt der Europäischen Union potenzieller Anwärter auf den Titel Kulturhauptstadt Europas.72 3.1.2 Organisation und Auswahlverfahren Die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union fungieren reihum als Gastgeber der Veranstaltung Kulturhauptstadt Europas. Nach einem einvernehmlich beschlossenen Rotationsprinzip werden seit 1985 mindestens eine und seit 2006 mindestens zwei Städte der Europäischen Union jährlich als Kulturhauptstadt Europas ausgezeichnet. Zusätzlich können Nichtmitgliedstaaten der Europäischen Union, basierend auf der ehemaligen Initiative „Europäische Kulturmonate“, ebenfalls Kulturhauptstädte stellen.73 Das Auswahlverfahren zur Kulturhauptstadt ist ein langjähriger Prozess. In jedem Gastgeberland finden eine Vorauswahl und eine Endauswahl zur Bestimmung der jeweiligen Kulturhauptstadt statt. Beide Auswahlverfahren werden von einer eigens eingerichteten, unabhängigen Auswahljury geleitet. Diese setzt sich zusammen aus sechs nationalen und sieben europäischen Experten des Kultursektors. Die Phase zur Vorauswahl startet sechs Jahre vor Beginn des eigentlichen Kulturhauptstadt68 69 70 71 72 73 Europäische Union (Hrsg.)(2006): Beschluss Nr. 1622/2006/EG Des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 2006 über die Einrichtung einer Gemeinschaftsaktion zur Förderung der Veranstaltung „Kulturhauptstadt Europas“ für die Jahre 2007 bis 2019, Luxemburg, S.2. Europäische Kommission Generaldirektion Bildung und Kultur (Hrsg.)(2010b): Leitfaden für Bewerbungen als „Kulturhauptstadt Europas“, Online–Dokument: http://ec.europa.eu/culture/pdf/doc633_de.pdf, Stand 24. Januar 2011.S.12. Ebenda, S.14. Europäischen Kommission Generaldirektion Bildung und Kultur (Hrsg.)(2011): European Capital of Culture, Online–Dokument: http://ec.europa.eu/culture/our–programmes–and– actions/doc413_en.htm, Stand 24. Januar 2011. Vgl. Ebenda. Vgl. Ebenda. 26 jahres. Die zuständige Behörde des jeweiligen Gastgeberlandes veröffentlicht die Aufforderung zur Einreichung der Bewerbungen aller interessierten Städte. Die für die Durchführung des Wettbewerbs zuständige Stelle, normalerweise das nationale Kulturministerium, lädt die Auswahljury zur Sichtung und Beurteilung der Bewerbungen ein. Auf Grundlage der im europäischen Rechtsbeschluss festgelegten Kriterien bestimmt die Auswahljury die Städte, welche in die engere Auswahl zur Kulturhauptstadt Europas kommen. Diese werden aufgefordert eine detaillierte Bewerbung für die Endauswahl einzureichen. Spätestens neun Monate nach der Vorauswahlsitzung tritt die Auswahljury erneut zusammen, um die detaillierteren Bewerbungen der Städte zu beurteilen. Hierbei dienen ebenfalls die europäischen Kriterien als Bewertungsmaßstab. Basierend auf der Endauswahl erstellt die Jury einen Endbericht und spricht dem Gastgeberland die Empfehlung zur Nominierung mindestens einer Stadt als Kulturhauptstadt Europas aus. Das jeweilige Gastgeberland reicht die Nominierung mindestens einer Stadt wiederum bei den europäischen Organen ein. Die Europäische Kommission gibt, unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Europäischen Parlaments und unter Berücksichtigung des Berichts der Auswahljury, eine Empfehlung an den Rat der Europäischen Union. Der Rat ernennt darauf hin offiziell die Stadt, welche vier Jahre später den Titel Kulturhauptstadt Europas für ein Jahr tragen wird. Nach der offiziellen Ernennung wird aus den sieben europäischen Experten der Auswahljury eine neue Überwachungs- und Beratungsjury gebildet. Diese Jury begleitet, berät und überprüft die Vorbereitungsphase der nominierten Kulturhauptstadt bis zum eigentlichen Kulturhauptstadtjahr. Basierend auf Fortschrittsberichten, erstellt von den Kulturhauptstadtveranstaltern, verfolgt die Jury die Vorbereitungen. Darüber hinaus finden zwei Treffen, eine Halbzeitkontrolle und eine Endzeitkontrolle, zwischen den Kulturhauptstadtveranstaltern und der Jury statt. Die Jury erteilt Empfehlungen und erstellt schließlich einen Überprüfungsbericht zum Stand der Vorbereitungen der jeweiligen Kulturhauptstadt. Dieser Bericht wird der Europäischen Kommission übermittelt. Auf Grundlage des Berichts wird spätestens drei Monate vor Beginn des Kulturhauptstadtjahres entschieden, ob die designierte Kulturhauptstadt ihre geplanten Vorhaben und die Empfehlungen der Jury effektiv umgesetzt hat. Bei einer positiven Bewertung der Vorbereitungen, wird der Stadt die Auszeichnung zu Ehren von Melina Mercouri (Initiatorin zur Idee der Kulturhauptstadt Europas) von der Europäischen Kommission verliehen. Neben dem symbolischen Wert ist mit der Auszeichnung ein Preisgeld verbunden. Dieses Geld stellt den gemeinschaftlichen Beitrag zur Finanzierung der Veranstaltung Kulturhauptstadt Europas dar. Die Förderung beträgt pro Kulturhauptstadt 1,5 Millionen Euro und wird aus dem europäischen Rahmenprogramm „Kultur“ finanziert. Zusätzlich zu dieser Förderung obliegt der designierten Stadt die Möglichkeit weitere Fördermittel durch das Rahmenprogramm „Kultur“ oder durch die europäischen Strukturfonds für einzelne Projekte des Kulturhauptstadtprogramms zu akquirieren.74 Nach Beendigung des Kulturhauptstadtjahres gibt die Europäische Kommission eine unabhängige Evaluierung des Kulturhauptstadtjahres in Auftrag. Im Rahmen dieser Untersuchung werden die jeweiligen Effekte des Kulturhauptstadtjahres 74 Vgl. Europäischen Kommission Generaldirektion Bildung und Kultur (Hrsg.)(2010d): Auswahl einer Kulturhauptstadt, Online–Dokument: http://ec.europa.eu/culture/our–programmes–and– actions/doc413_en.htm, Stand 24. Januar 2011. 27 ermittelt. Als Bewertungsmaßstab gelten wiederum die im europäischen Rechtsbeschluss festgelegten Kriterien. Den Kulturhauptstädten wird empfohlen bereits vor Beginn des Kulturhauptstadtjahres Mechanismen zu entwickeln, mit denen die Auswirkungen des Kulturhauptstadtjahres effektiv evaluiert werden können.75 3.2 Entwicklung der Europäischen Kulturhauptstadtinitiative Der Titel Kulturhauptstadt Europas wurde in der Zeit von 1985 bis 2010 an insgesamt 42 Städte verliehen. Während dieser 25 jährigen Entwicklung hat sich das europäische Instrument Kulturhauptstadt Europas stark gewandelt. Eine differenzierte Betrachtung der politisch-rechtlichen Neuerungen und der künstlerisch-konzeptionellen Veränderungen verdeutlicht die wichtigsten Entwicklungsphasen der Initiative Kulturhauptstadt Europas. 3.2.1 Entwicklung der politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen Die politisch-rechtliche Perspektive zeigt die Entwicklung der Kulturhauptstadtinitiative hinsichtlich der veränderten politischen Rahmenbedingungen und den daraus folgenden rechtlichen Beschlüssen auf. Anhand der rechtlichen Entschließung von 1985, des ersten Reformbeschlusses von 1999 und des zweiten Reformbeschlusses von 2006 lässt sich diese Entwicklung in drei Phasen einteilen. 3.2.1.1 Rechtliche Entschließung aus dem Jahr 1985 Die ehemalige griechische Kulturministerin Melina Mercouri initiierte auf der ersten Sitzung der für Kultur zuständigen Ratsvertreter der Europäischen Gemeinschaft (1983) die Idee zur Einrichtung einer als „Kulturstadt Europas“ betitelten Initiative. Sie kritisierte den rein wirtschaftlichen Band der Europäischen Gemeinschaft und argumentierte: „We must recognize the diversities and the differences amongst the people of Europe. The determining factor of European identity lies precisely on respecting these diversities with the aim of creating a dialogue between the cultures of Europe. It is time for our voice to be heard as loud as that of the technocrats. Culture, art and creativity are not less important than technology, commerce and the economy.”76 Obwohl die Europäische Gemeinschaft zu der Zeit über keine vertragsrechtliche Zuständigkeit im Kulturbereich verfügte, fand Mercouris Projektvorschlag großen politischen Anklang. Verstärkt durch die innereuropäischen Krisen der 1980er Jahre (Auseinandersetzungen in der Agrarpolitik, wachsende Akzeptanzschwierigkeiten der Europäischen Integration, Probleme der griechischen Ratspräsidentschaft im Jahr 1983) fand die Initiative zur Kulturhauptstadt, als positives Gegengewicht zu den aktuellen Problemen, die Zustimmung aller Mitgliedstaaten der damaligen Europäischen Gemeinschaft. Im Jahr 1985 verabschiedete der Rat der Kulturminister formell die „Entschliessung für die alljährliche Benennung einer Kulturstadt Europas“. Folglich gründet der Beginn der Initiative Kulturstadt Europas auf einer intergouvernementalen Zusammenarbeit der 75 76 Vgl. Ebenda. Zit. in: Mittag, Jürgen (2008b): Die Idee der Kulturhauptstadt Europas Vom Instrument Europäischer Identitätsstiftung zum tourismusträchtigen Publikumsmagneten, in: Mittag Jürgen (Hrsg.): Die Idee der Kulturhauptstadt Europas Anfänge, Ausgestaltung und Auswirkungen Europäischer Kulturpolitik. Essen, S.55. 28 europäischen Mitgliedstaaten. Zur Wahl der ersten Kulturstädte Europas galt somit das Einstimmigkeitserfordernis.77 Die Vorgaben zur Ausgestaltung der Initiative waren in der ersten Richtlinie stark begrenzt. Die Kulturstädte konnten weitgehend frei über ihr Kulturprogramm entscheiden. Der Entschluss gab lediglich weitgefasste Vorgaben vor: „Durch diese Veranstaltung sollten der europäischen Öffentlichkeit besondere kulturelle Aspekte der Stadt, der Region oder des betreffenden Landes zugänglich gemacht werden. Auch könnte die betreffende Stadt zum Mittelpunkt einer Reihe von kulturellen Beiträgen aus anderen Mitgliedstaaten gemacht werden, die vor allem den Einwohnern der betreffenden Region zugute kommen. Zwischen diesen beiden Polen können vielfältig Schwerpunkte gesetzt […] werden.“78 Darüber hinaus wurde bestimmt, dass pro Jahr nur eine Stadt als Kulturstadt Europas benannt werden durfte, die Auswahl der Stadt zwei Jahre vor der Titelvergabe fest stehen musste und dass jeder Mitgliederstaat nach einem alphabetisch vorgegebenen Rotationsprinzip als Veranstalter auftreten durfte. Basierend auf dieser Grundlage wurde die griechische Hauptstadt Athen 1985 zur ersten Kulturstadt Europas ernannt. Nachfolgend basierten alle Kulturhauptstädte bis einschließlich 2004 auf diesem rechtlichen Entschluss.79 3.2.1.2 Rechtlicher Beschluss aus dem Jahr 1999 Die Kulturstadtinitiative entwickelte sich schnell zu einem bekannten Kulturevent. Aufgrund der steigenden Popularität und der wachsenden Nachfrage der Städte, wurde die Initiative nach Beendigung der ersten Rotationsrunde weiter geführt. Mit der griechischen Stadt Thessaloniki begann 1997 die zweite Runde der Kulturstädte Europas. Da die Reihenfolge der zweiten Runde nicht klar geregelt war, kam es schnell zu politischen Interventionen. Das Prinzip gleichberechtigter Rotation wurde unterbrochen und zugunsten von Lobbystrategien und politischen Interessen vernachlässigt. So basierte bspw. die Nominierung von Stockholm für das Kulturstadtjahr 1998 hauptsächlich auf dem Umstand, dass Schweden 1995 der Europäischen Union beitreten sollte und vorab ein Referendum der Bevölkerung über den Beitritt entscheiden würde. Mit der Auswahl zur Kulturhauptstadt Europas sollte das Referendum positiv beeinflusst werden. Basierend auf den intergouvernementalen Entscheidungsverfahren, wurde die Initiative also zunehmend als politisches Instrument genutzt. Dieser Trend führte zu verstärkten Konflikten zwischen den Mitgliedstaaten und gipfelte in der Entscheidung für das Jahr 2000. Angesichts des symbolträchtigen Jahres und der hohen Bewerberzahlen konnte sich der Rat nicht auf eine Auswahl zur Kulturstadt Europas einigen. Stattdessen wurden alle neun Bewerberstädte akzeptiert.80 Die angestrebte Koordination zwischen den Städten erwies sich jedoch als äußert problematisch, so dass der 77 78 79 80 Vgl. Ebenda. Europäische Gemeinschaften (1985): Entschliessung der im Rat vereinigten für Kulturfragen zuständigen Minister vom 13. Juni 1985 für die alljährliche Benennung einer Kulturhauptstadt Europas, Luxemburg, S.2. Vgl. Ebenda. Vgl. Mittag, Jürgen (2008b): a.a.O. 29 Versuch mehrere Städte zu nominieren in diesem Maße nicht mehr wiederholt wurde.81 Die erste Studie („European Cities of Culture and Cultural Months“ von John Myerscough) über die Kulturstädte von 1985 bis 1994 wurde im Jahr 1994 veröffentlicht. Diese belegte zwar die positiven Effekte der Titelvergabe für die jeweiligen Städte, kritisierte allerdings die mangelnde Vorbereitung vieler Städte. Myerscough betont “Most of the Cities of Culture received their designation without any prepared plans or published intentions.“82 83 Die im Vertrag von Maastricht festgelegten vertragsrechtlichen Grundlagen zur europäischen Kulturpolitik gab schließlich den Rahmen zur Reform der problembehafteten Kulturhauptstadtinitiative. Im Jahr 1999 wurde, basierend auf dem Kulturartikel 128 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, die zwischenstaatlich geregelte Kulturstadtinitiative in eine Gemeinschaftsaktion der Europäischen Union umgewandelt.84 Der „Beschluss über die Einrichtung einer Gemeinschaftsaktion zur Förderung der Veranstaltung Kulturhauptstadt Europas für die Jahre 2005 - 2019“ stellte neue rechtsverbindliche Regelungen auf. Den Kulturhauptstädten wurden konkrete Ziele sowie Planungs- und Evaluierungskriterien an die Hand gegeben. Dabei wurde eine Liste an Zielen aufgestellt, die sowohl europäische Aspekte als auch kulturelle und städtische Aspekte umfasste. Formell wurde der Titel von „Kulturstadt Europas“ in „Kulturhauptstadt Europas“ („European Capital of Culture“ / ECOC) umbenannt, die Laufzeit des Kulturprogramms auf ein Jahr fixiert und ein neuer Rotationsverlauf festgelegt. Die europäischen Institutionen wurden am Auswahlverfahren beteiligt, so dass der Rat den Titel auf Empfehlung der Europäischen Kommission und unter Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu vergeben hatte. Erstmals wurde die Einrichtung einer Auswahljury, bestehend aus sieben europäischen Experten, festgelegt. Die Aufgabe der Jury bestand in der Bewertung der Bewerberstädte. Darüber hinaus wurde die Vorlaufzeit von zwei Jahre auf vier Jahre vor Beginn des Kulturhauptstadtjahres erweitert. Die Kulturhauptstädte von 2005 bis 2009 basierten auf diesem Beschluss während, für die Kulturhauptstädte von 2010, 2011 und 2012 bereits die Übergangsregelungen des zurzeit aktuellen Beschlusses von 2006 galten und gelten.85 Die Europäische Osterweiterung stellte die Kulturhauptstadtinitiative im Jahr 2004 erneut vor eine Herausforderung. Ohne das alte Rotationsprinzip vollkommen zu überwerfen, wurde im Jahr 2005 mit einem Änderungsbeschluss eine Tandemstruktur festgelegt. Ab 2009 sollten jeweils zwei Städte pro Kulturhauptstadtjahr mit dem Titel ausgezeichnet werden. Dazu sollte jeweils einer der 15 alten Mitgliedstaaten und einer der 12 neuen Mitgliedstaaten als Gastland dienen. Im „Beschluss zur 81 82 83 84 85 Vgl. Pachaly, Christina, (2008): Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010 – Ein Festival als Instrument der Stadtentwicklung, Graue Reihe des Instituts für Stadt– und Regionalplanung Technische Universität Berlin Heft 12, Berlin. Myerscough, John (1994): European Cities of Culture and Cultural Months – Full Report Study prepared for the Network of Cultural Cities of Europe, Glasgow, S.9. Vgl. Ebenda. Vgl. Mittag, Jürgen (2008b): a.a.O. Vgl. Europäische Union (Hrsg.)(1999): Beschluss Nr. 1419/1999/EG Des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates vom 25. Mai 1999 über die Einrichtung eine Gemeinschaftsaktion zur Förderung der Veranstaltung „Kulturhauptstadt Europas“ für die Jahre 2005 bis 2019, Luxemburg, S.1. 30 Änderung über die Einrichtung einer Gemeinschaftsaktion zur Förderung der Veranstaltung Kulturhauptstadt Europas für die Jahre 2005 bis 2019“ wurde die neue Reihenfolge zur Rotation der Veranstaltung festgelegt.86 3.2.1.3 Rechtlicher Beschluss aus dem Jahr 2006 Der „Beschluss über die Einrichtung einer Gemeinschaftsaktion zur Förderung der Veranstaltung Kulturhauptstadt Europas für die Jahre 2007 bis 2019“ ist die zurzeit letzte Reform der Kulturhauptstadtinitiative. Stark beeinflusst wurde diese Reform von der 2004 veröffentlichten Studie „European Cities and Capital of Culture and the European Cultural Month (1995 - 2004) “ von Robert Palmer. Die Studie untersuchte die Kulturhauptstädte von 1995 bis 2004 und stellte fest, dass die Auszeichnung „hinsichtlich der Medienresonanz, der kulturellen und touristischen Entwicklung sowie der Sensibilisierung der Einwohner für die Bedeutung der Wahl ihrer Stadt positive Auswirkungen“87 hatte. Dahingegen zeigte die Studie jedoch auch einige Kritikpunkte am Konzept der Kulturhauptstadt Europas auf. Ein zentraler Punkt war die unzureichende Evaluierung vieler Kulturhauptstädte. „robust evaluation and the methodical collection and dissemination of practice and knowledge”88 wurde als unerlässlich angesehen, um eine positive Weiterentwicklung der Initiative zu sichern. Darüber hinaus bezeugte die Studie eine oftmals unzureichende Einbindung der Europäischen Dimension sowie eine zu starke Einbindung rein politischer Zielsetzungen in das Kulturhauptstadtprogramm. Schließlich betonte die Studie „The EU should focus efforts on enhancing the visibility of the ECOC designation, and improve procedures for selection of ECOC and the administration of the scheme.”89 90 Vor diesem Hintergrund wurde die Reform des Jahres 2006 dazu genutzt, um das Auswahlverfahren transparenter zu gestalten. Die Vorlaufzeit für das Kulturhauptstadtjahr wurde auf sechs Jahre erweitert, der Wettbewerb zwischen den Städten durch die Einführung der Vorauswahl und der Endauswahl gestärkt sowie die Zusammensetzung der Auswahljury durch unabhängige Experten neu geregelt. Darüber hinaus enthielt der Beschluss von 2006 eine neu fixierte Kriterienliste, welche die Stärkung der Europäischen Dimension, die Einbindung der Bürger und die Forderung der Nachhaltigkeit des Kulturhauptstadtjahres betonte. Die ebenfalls neu aufgenommene Regel zur Überwachungs- und Beratungsjury sowie der Beschluss zur externen Evaluation des Kulturhauptstadtjahres trugen ebenfalls den Kritikpunkten Rechnung.91 Während die Kulturhauptstädte von 2010 und 2011 und 2012 noch den Übergangsbestimmungen des aktuellen Beschlusses unterlag bzw. unterliegen, tritt dieser Beschluss für die Kulturhauptstädte ab 2013 vollkommen in Kraft.92 3.2.2 Entwicklung der künstlerischen und konzeptionellen Ausgestaltung Die künstlerisch-konzeptionelle Perspektive zeigt die Entwicklung der Kulturhauptstadtinitiative hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung auf. Dabei stehen die 86 87 88 89 90 91 92 Vgl. Europäische Union (Hrsg.)(2005)Beschluss zur Änderung über die Einrichtung einer Gemeinschaftsaktion zur Förderung der Veranstaltung Kulturhauptstadt Europas für die Jahre 2005 bis 2019“, Luxemburg. Europäische Union (Hrsg.)(2006): a.a.O. Palmer, Robert (2004): European Cities and Capitals of Culture – Study prepared for the European Commission Part I+II, Brüssel, S.23. Ebenda, S.23. Vgl. Ebenda. Vgl. Mittag, Jürgen (2008b): a.a.O. Vgl. Europäische Union (Hrsg.)(2006): a.a.O. 31 Städte und ihre Kulturprogramme im Vordergrund. Diese Entwicklung lässt sich ebenfalls in drei Phasen aufteilen. Die erste Phase umfasst die Kulturhauptstädte von 1985 bis 1989, darauf folgt eine Phase der Kulturhauptstädte von 1990 bis 2006 und die dritte Phase umfasst die Kulturhauptstädte ausgehend von 2007. 3.2.2.1 Kulturhauptstädte Europas der Jahre 1985 bis 1989 Die ursprüngliche Idee der Kulturhauptstadtinitiative zielte darauf ab, die Völker der Mitgliedstaaten einander näher zu bringen. Mittel zum Zweck sollte die europaweite Publizierung eines Bildes der „auf gemeinsamen Werten beruhenden und doch vielfältigen europäischen Kultur“93 sein. In diesem Sinne erschien es zu Beginn der Initiative sinnvoll, bereits anerkannte europäische Kulturmetropolen mit dem Titel Kulturhauptstadt Europas auszuzeichnen. Mit der Auszeichnung der Städte Athen, Florenz, Amsterdam, West-Berlin und Paris wurden in den 1980er Jahren also ausnahmslos Städte gewählt, die ohnehin prägend für die Entwicklung der europäischen Kultur waren. Im Sinne der Kulturförderung richteten diese Städte ihr meist auf wenige Wochen oder Monate beschränktes Kulturstadtprogramm auf ihre jeweiligen kulturellen Schwerpunkte aus. Das Athener Kulturprogramm behandelte schwerpunktmäßig den Ursprung der klassischen Kultur des Westens, während das Kulturprogramm in Florenz primär auf die Renaissance ausgerichtet war. Paris integrierte das Kulturprogramm hingegen in die Feier zum 200. Jahrestag der Französischen Revolution.94 Myerscough stellte in seiner Studie heraus: „The designation City of Culture is given to the city rather than to an event, and not always at the request of the city concerned, in the early days.“95 In diesem Sinne zeichneten sich die ersten Kulturstadtjahre durch eine geringe Vorbereitungszeit, einen niedrigen Geldetat und einer kaum sichtbaren europäischen Ausrichtung aus. Der Titel wurde vornehmlich als Rahmen für bereits geplante oder regelmäßig stattfindende Kulturevents genutzt und weniger zur gezielten Präsentation der vielfältigen Kulturen Europas. Dennoch gelten die Bemühungen, insbesondere zur Professionalisierung der frühen Kulturhauptstädte, als wichtiger Schritt in der Entwicklung der Initiative.96 3.2.2.2 Kulturhauptstädte Europas der Jahre 1990 bis 2006 Ein wichtiger Wendepunkt in der Ausgestaltung der Kulturhauptstadtinitiative ergab sich 1990 durch die Nominierung der schottischen Stadt Glasgow. Die Stadt Glasgow war weniger durch eine prägnante kulturelle Vergangenheit, sondern vielmehr durch vielfältige Probleme des industriellen Niedergangs gekennzeichnet. „The title of European City of Culture was in Glasgow`s case bringing the status rather than the status of the city bringing the title.”97 Die ursprüngliche Idee der Kulturhauptstadtinitiative wurde neu interpretiert und mit Projekten sozialer, kultureller und ökonomischer Zielsetzungen ausgefüllt. Die Stadt Glasgow entwickelte erstmals ein einjähriges Kulturprogramm, das neben der europäischen Ausstrahlung insbesondere auf eine nachhaltige Stadtentwicklung, Tourismusent- 93 94 95 96 97 Oerters, Kathrin (2008): Die finanzielle Dimension der europäischen Kulturhauptstadt–Von der Kulturförderung zur Förderung durch Kultur, in: Mittag Jürgen (Hrsg.): Die Idee der Kulturhauptstadt Europas Anfänge, Ausgestaltung und Auswirkungen der Europäischen Kulturhauptstadt, Essen, S.97. Vgl. Mittag, Jürgen (2008b): a.a.O. Myerscough, John (1994): a.a.O., S.9. Vgl. Mittag, Jürgen (2008b): a.a.O. Zit. in: Oerters, Kathrin (2008): a.a.O., S.98. 32 wicklung und Wirtschaftsentwicklung abzielte. Basierend auf einer langjährigen Vorbereitung, einem nachhaltig integriertem Konzept und dem Einsatz eines hohen Geldetats konnte Glasgow viele der selbst gesetzten Ziele verwirklichen. Aufgrund dieser innovativen Neuausrichtung wurde das Kulturhauptstadtjahr 1990 zur Referenz für viele der folgenden Kulturhauptstädte.98 Basierend auf dem Konzept Glasgows, im Sinne des Grundsatzes „Förderung durch Kultur“, verfolgten viele der folgenden Kulturhauptstädte ähnliche Ansätze. Dabei können grundlegend zwei konzeptionelle Trends unterschieden werden. Städte wie Dublin (1991), Madrid (1992) und Lissabon (1994) zielten mit der Kulturhauptstadtinitiative auf die Verstärkung und Neubelebung ihrer bereits vorhandenen kulturellen Stärken und Potenziale. Das Kulturhauptstadtjahr wurde traditioneller, in Anlehnung an die ersten Kulturhauptstädte, gestaltet. Städte wie Antwerpen (1993), Kopenhagen (1996) und Stockholm (1998) waren bis zum jeweiligen Kulturhauptstadtjahr kaum als kulturelle Metropolen von außen wahrgenommen worden. Das Kulturhauptstadtjahr wurde in diesen Städten verstärkt durch partizipative Strategien ausgestaltet. Allen Städten dieser zweiten Phase war gemein, dass sie je nach endogenen Voraussetzungen vom vielbeschworenen „Glasgow-Effekt“ der Kulturhauptstadtinitiative profitieren wollten. Im Sinne eines Städtelifting- und Marketinginstruments verfolgten die Städte vornehmlich das Ziel der Förderung des Tourismus, die Aufbesserung des Images oder die Stärkung der Wirtschaft. Die ursprüngliche Zielsetzung der Initiative zur Generierung eines europäischen Mehrwerts wurde dabei oft sekundär behandelt.99 3.2.2.3 Kulturhauptstädte Europas ab dem Jahr 2007 Eine weitere Wendung in der Ausgestaltung der Kulturhauptstadtjahre fand im Jahr 2007 statt. Erstmals wurde eine Kulturhauptstadt aus den alten Mitgliedsstaaten zusammen mit einer Kulturhauptstadt aus den neuen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union für ein gemeinsames Kulturhauptstadtjahr ernannt. Das erste Tandem von einer west- und einer osteuropäischen Stadt waren Luxemburg und Sibiu im Jahr 2007. Bis zum Jahr 2019 werden weitere Doppelbesetzungen der Kulturhauptstadt Europas folgen. Als Grundsatz dieses Auswahlschemas galt und gilt es, jeweils zwei Gastgeberländer auszuwählen, die möglichst viele Schnittstellen und Kooperationsansätze gemeinsam haben. Folglich stärkte die Zusammenführung von Städten aus Ost- und Westeuropa den kooperativen Ansatz der Initiative und schien zugleich die Europäische Dimension der Gemeinschaftsaktion neu zu beleben. „Bereits im Fall von Luxemburg und Sibiu 2007 ist deutlich geworden, dass zunehmend europäische Schlagwörter Einzug in das Programm halten und Auswirkungen auf die Ausgestaltung des Kulturjahres haben“.100 Dem europäischen Mehrwert, schien durch diese Entwicklung wieder mehr Gewicht zuzukommen. Neben der verstärkten europäischen Kooperation zeichnete sich das Kulturhauptstadtjahr 2007 ebenfalls durch einen erstmals regionalen Kooperationsansatz aus. Die Kulturhauptstadt Luxemburg setzte das Kulturhauptstadtjahr zusammen mit der Großregion Saar-Lor-Lux in grenzüberschreitender Kooperation um. Die Kulturhauptstadt aus dem Jahr 2010 „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“, verstärkte diesen regionalen Kooperationsansatz. Erstmals wurde eine Kulturhauptstadt in einer engen regionalen Kooperation mit 53 Kommunen 98 Vgl. Ebenda. 99 Vgl. Mittag, Jürgen (2008b): a.a.O. 100 Ebenda, S.91. 33 durchgeführt.101 Insbesondere vor dem Hintergrund des Konzepts „Europa der Regionen“ könnte der regionalen Ebene bei den zukünftigen Kulturhauptstädten Europas eine verstärkte Bedeutung zukommen.102 Die 25 jährige Entwicklung der Initiative Kulturhauptstadt Europas ist von einer starken Eigendynamik geprägt. Der Rat der vereinigten Minister schuf ein europäisches Instrument, das zunächst „außerhalb der konstitutionellen Grundlage zum Gegenstand europäischer Politik wurde.“103 Auf recht vagen und mehrdeutigen Formeln aufbauend und durch einen vorläufigen und zieloffenen Charakter definiert, oblag es den jeweiligen Kulturhauptstädten die Initiative konkret auszugestalten. Mit der Zeit nutzen die Städte den Titel zunehmend als wirksames Instrument der Stadtentwicklung. Das europäische Kulturfest wandelte sich zum institutionellen Großevent, welches zunehmend mit hohem finanziellem und intellektuellem Aufwand verbunden war. Mit der steigenden Popularität wurden aber auch vermehrt Kritikpunkte laut: Unprofessionelle Vorbereitung oder eine unzureichende nachhaltige Wirkung des Kulturhauptstadtjahres erforderten mit der Zeit einen immer stärkeren Regelungsbedarf. Durch die Vergemeinschaftung nahmen sich die Europäischen Organe der Initiative an und setzten mit der Reform von 2006 ein umfangreiches Regelwerk zur Kulturhauptstadt Europas auf. Darin sind sowohl die ursprünglichen Ziele der Europäischen Union zur Herausstellung der Vielfalt der europäischen Kulturen, sowie die Ambitionen der jeweiligen Städte zur nachhaltigen Stadtentwicklung aufgenommen. Auf der Konferenz der Europäischen Kommission „Celebrating 25 years of European Capitals of Culture“ im Jahr 2010 wurde resümiert: „After 25 years, the ECoC title still has a high potential and it has developed a strong brand value.”104 Für eine positive Weiterentwicklung gilt es „to retain and to expand this brand value in the long term, it is essential to ensure that the title remains credible and therefore to pay close attention to the quality and prestige of every new Capital and the process and strategies around their development.”105 Es wird deutlich, dass auch zukünftig sowohl die Europäische Union als auch die jeweiligen Kulturhauptstädte aktiv an der Ausgestaltung der Initiative Kulturhauptstadt Europas mitwirken müssen, um eine positive Weiterentwicklung zu sichern.106 101 102 103 104 Vgl. Ebenda. Vgl. Pachaly, Christina, (2008): a.a.O. Mittag, Jürgen (2008b): a.a.O., S.92. Europäische Kommission Generaldirektion Bildung und Kultur (Hrsg.) (2010c): Summary of the European Commission conference „Celebrating 25 years of European Capitals of Culture“ – Brussels, Brüssel, 23–24 March 2010, S.12. 105 Ebenda, S.12. 106 Vgl. Ebenda. 34 Abb. 4 Kulturhauptstädte Europas von 1985 bis 2010 1985 Athen (Griechenland) 1986 Florenz (Italien) 1987 Amsterdam (Niederlande) 1988 (West) Berlin (Bundesrepublik Deutschland) 1989 Paris (Frankreich) 1990 Glasgow (Großbritannien) 1991 Dublin (Irland) 1992 Madrid (Spanien) 1993 Antwerpen (Belgien) 1994 Lissabon (Portugal) 1995 Luxemburg (Luxemburg) 1996 Kopenhagen (Dänemark) 1997 Thessaloniki (Griechenland) 1998 Stockholm(Schweden) 1999 Weimar (Deutschland) 2000 Avignon (Frankreich) Bergen (Norwegen) Bologna (Italien) Brüssel (Belgien) Helsinki (Finnland) Krakau (Polen) Prag (Tschechische Republik) Reykjavik (Island) Santiago de Compostela (Spanien) 2001 Porto (Portugal) Rotterdam (Niederlande) 2002 Salamanca (Spanien) Brügge (Belgien) 2003 Graz (Österreich) 2004 Lille (Frankreich) Genua (Italien) 2005 Cork (Irland) 2006 Patras (Griechenland) 2007 Luxemburg - Region (Luxemburg) Sibiu (Rumänien) 2008 Liverpool (Großbritannien) Stavanger (Norwegen) 2009 Linz (Österreich) Vilnius (Litauen) 2010 Essen – Ruhrgebiet (Deutschland) Pécs (Ungarn) Istanbul (Türkei) Entwurf: Quelle: Eigene Darstellung, Frankfurt 2010 Mittag, Jürgen (2008a): Einleitung, in: Mittag Jürgen (Hrsg.): Die Idee der Kulturhauptstadt Europas Anfänge, Ausgestaltung und Auswirkungen Europäischer Kulturpolitik. Essen, S.11. 35 3.3 Kultur als Handlungsfeld der Europäischen Kulturhauptstadtinitiative Seit Beginn der Initiative Kulturhauptstadt Europas stand die Kultur im Mittelpunkt der Initiative. Der Kultur wurde in unterschiedlichster Art und Weise eingesetzt, um die jeweiligen Ziele der Kulturhauptstädte umzusetzen. Das Verständnis darüber was Kultur ist und wie Kultur im Rahmen des Kulturhauptstadtprogramms eingesetzt wird, variierte jedoch von Kulturhauptstadt zu Kulturhautstadt. „No two cities are alike and no two cities handle the yearlong jamboree in the same manner. […] Even agreeing on what is meant by “culture” can be a program in itself.”107 Die jeweilige Auslegung des Kulturbegriffs stellte die Basis zur konkreten Ausgestaltung des jeweiligen Kulturhauptstadtjahres dar. 3.3.1 Einordnung des Kulturbegriffs Für den Begriff Kultur gibt es in der Fachliteratur bis heute keine allgemeingültige Definition. Vielmehr ergeben sich unterschiedlichste Begriffsbestimmungen je nachdem in welchem Zusammenhang und von welcher Betrachtungsperspektive aus der Begriff verwendet wird. Eine Differenzierung zwischen dem ethnologischen, dem soziologischen und dem geographischen Kulturbegriff veranschaulicht die Mehrdeutigkeit des Begriffs Kultur. Ethnologisch gesehen umfasst Kultur alle Gewohnheiten und Fähigkeiten (Kunst, Glauben, Wissen), die sich der Mensch durch das Leben in einer Gesellschaft aneignet. Diese Lebensweise, basiert auf einem gedanklichen System das gemeinsame Wissensinhalte und Glaubensvorstellungen umfasst und als Grundlage für die menschlichen Entscheidungen dient. Der soziologische Kulturbegriff bezeichnet alles Materielle und Nichtmaterielle, das vom Menschen zielgerichtet geschaffen wird. Die innovativen Errungenschaften werden von Generation zu Generation weitergegeben und weiterentwickelt. Nach dieser Auffassung ist Kultur ein Lebensstil der sich vordergründig durch eine Alltagskultur (Sport, Bücher, Musik) ausdrückt. Der geographische Kulturbegriff basiert auf einer geographischen Grenze, einer gegenseitig verständlichen Sprache und Ähnlichkeiten von Institutionen und ökonomischen Systemen. Kultur wird als eine Mischung von eigenen Erfahrungen und Gegebenheiten von Menschen innerhalb eines Raumes definiert. Einhergehend mit allen drei Kulturbegriffen gilt der Grundsatz, dass „Kultur ein sich ständig wandelndes und lebendiges Phänomen“108 ist. Basierend auf einer andauernden Weiterentwicklung und den unterschiedlichen Betrachtungsperspektiven wird deutlich, dass Kultur kein statischer, sondern ein vielfältiger, sich wandelnder Begriff ist.109 3.3.2 Kultur im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadtinitiative Im Rahmen der Initiative Kulturhauptstadt Europas wird der Reichtum und die Vielfalt der europäischen Kulturen als zentraler Aspekt hervorgehoben. Die Unterschiede sowie die Gemeinsamkeiten der europäischen Kulturen gilt es während des Kulturhauptstadtjahres herauszustellen und zu würdigen.110 Dabei werden jedoch weder durch die Rechtsbeschlüsse der Gemeinschaftsaktion 107 Europäische Kommission Generaldirektion Bildung und Kultur (Hrsg.)(2010e): European Captials of Culture: the road to success – From 1985 to 2010, Brüssel, S.3. 108 Beaujean Katja & Eser Thiemo (2002): Kultur als räumlicher Entwicklungsfaktor im EUREK und in der transnationalen Zusammenarbeit unter INTERREG, in: Informationen zur Raumentwicklung, Heft 4/5 2002, S.211. 109 Vgl. Ebenda. 110 Vgl. Europäische Union (Hrsg.)(2006):a.a.O. 36 Kulturhauptstadt Europas noch durch den, der Initiative zugrunde liegenden KulturArtikel 151 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (ab 2009 Artikel 167 des Vertrags von Lissabon) bestimmt, wie die Europäische Union den Begriff Kultur definiert. Im Vertrag von Maastricht wurde im Jahr 1992 erstmals die Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaft für kulturpolitisches Handeln rechtsverbindlich festgelegt. Im Vorfeld von Maastricht hatte sich ein Ausschuss der Europäischen Kommission mit der Frage, was Kultur für die Europäische Gemeinschaft bedeute, auseinander gesetzt und wie folgt beantwortet: „Kultur ist die Gesamtheit der zahlreichen, verschiedenartigen Sitten und Gebräuche, die in allen Bereichen des täglichen Lebens ihren Ausdruck finden. In der Kultur spiegeln sich unser jeweiliger Lebensstil, unsere Traditionen und Ideale wider. In ihr wurzeln unsere Dialekte und unser Liedgut. Sie ist bestimmend dafür, wie wir eine Liebeserklärung machen und wie wir unsere Toten beerdigen. Kultur ist somit das bedeutsamste und stärkste Charakteristikum der menschlichen Gemeinschaft. […] Kultur steht in engem Zusammenhang mit den direkten und indirekten Lernprozessen und der menschlichen Entwicklung schlechthin. Als dynamisches, in ständiger Wandlung befindliches Element stellt sie eine Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart dar.“111 Obwohl die juristische Fassung des Kultur-Artikels 128 des Vertrags von Maastricht auf den Arbeiten des Ausschusses basiert, wurde die Begriffsdefinition bewusst nicht in den Vertrag übernommen. Der kulturpolitische Handlungsspielraum sollte nicht durch einen definierten Kulturbegriff begrenzt werden. Dieser Grundsatz wurde auch in den folgenden Reformverträgen beibehalten, so dass es bis heute keine offizielle Definition des Begriffs Kultur seitens der Europäischen Union gibt. Der Initiative Kulturhauptstadt Europas liegt seitens der Europäischen Union also keine einheitliche Definition des Begriffs Kultur zugrunde. Vielmehr besteht ein unbestimmtes Kulturverständnis, dass den Kulturhauptstädten die Integration von vielfältigen Interessenslagen, Zugängen und Erwartungshaltungen für die Ausgestaltung des Kulturhauptstadtjahres ermöglicht. Jede Kulturhauptstadt darf und muss den Kulturbegriff neu definieren.112 Die Studie “European Cities and Capital of Culture” zeigt, dass den bisherigen Kulturhauptstädten jeweils verschiedene Kulturbegriffe zugrunde lagen. Es wird belegt, dass die Auslegung des Kulturbegriffes bei vielen Kulturhauptstädten durch die Zielsetzungen des Kulturhauptstadtjahres bestimmt wurde. “ECOC programs were developed in relation to different definitions of culture”.113 Dabei basierten die Kulturhauptstadtprogramme der meisten Kulturhauptstädte auf einem breiten Kulturverständnis. „Cultural programs can also be charted along a scale that ranges from traditional or classical forms of art and presentation to contemporary and innovative forms of art and presentation.”114 Aufgrund wirtschaftlicher und sozialer Gründe wollten die Kulturhauptstädte mit einem breiten Kulturverständnis möglichst viele Zielgruppen ansprechen. Dadurch wurde zum einen der wirtschaftliche Profit und zum anderen die Akzeptanz des Kulturhauptstadtjahres gefördert. „As a result the ECOC program instantly became more inclusive, since it encompassed many 111 Bundeszentrale für Politische Bildung (Hrsg.)(2004): Europa fördert Kultur – Maastricht, Online– Dokument: http://www.bpb.de/publikationen/GDHE9S,3,0,Europa_f%F6rdert_Kultur.html#art3, Stand 24. Januar. 2011. 112 Vgl. Kühn, Manfred (2009): Regenerierung der Städte – Strategien der Politik und Planung im Schrumpfungskontext, Wiesbaden. 113 Palmer, Robert (2004): a.a.O., S.64. 114 Ebenda, S.65. 37 things which involved people who were not (or were not thought to be) interested in art.”115 Der Gemeinschaftsaktion Kulturhauptstadt Europas liegt ein offener Kulturbegriff zugrunde. Seitens der Europäischen Union sollte ein möglichst breiter Handlungsspielraum bei kulturpolitischen Aktionen gesichert werden. Insofern haben die Kulturhauptstädte als ausführende Instanz der Kulturhauptstadtinitiative, vielfältige Möglichkeiten das Kulturhauptstadtjahr auszugestalten und Kultur nach eigener Definition umzusetzen.116 3.4 Erfahrungen ehemaliger Kulturhauptstädte Europas Die Erfahrungen der bisherigen Kulturhauptstädte zeigen auf, welche konkreten Auswirkungen mittels Kultur im Rahmen der Kulturhauptstadtinitiative bisher erreicht werden konnten. Dazu bietet die von der Europäischen Kommission in Auftrag gegeben Studie „European Cities and Capital of Culture and the European Cultural Month (1995 - 2004)“ von Robert Palmer einen zusammenfassenden Überblick. Die Studie baut auf den Ergebnissen der Vorgängerstudie von John Myerscough („European Cities of Culture and Cultural Months“) auf, ist jedoch primär auf die Untersuchung der Kulturhauptstädte von 1995 bis 2004 fokussiert. Dabei wurden insbesondere die organisatorischen und finanziellen Aspekte sowie die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Auswirkungen der jeweiligen Kulturhauptstädte analysiert. Methodisch basiert die Studie auf der Auswertung einschlägiger Dokumente, schriftlicher Umfragen und Experteninterviews. Die jeweiligen Ziele der Kulturhauptstädte sowie die konkreten Auswirkungen auf ausgewählte Strukturbereiche der Kulturhauptstädte, dargestellt in der Studie, geben einen Überblick über die Möglichkeiten welche die Kulturhauptstadt Europas den bisherigen Titelträgern bot. 3.4.1 Ziele der Kulturhauptstädte Europas Die offiziellen Ziele der Kulturhauptstadtinitiative boten, unter anderem aufgrund des unbestimmten Kulturbegriffs, vielfältige Interpretationsmöglichkeiten. „From the very inception of ECOC, no city used the official wording when expressing […] [the] aim and either added to or most often replaced the EU`s stated aim with a series of alternative aims more aligned to its particular interests and ambitions.”117 Insofern haben die zurückliegenden Kulturhauptstädte eine Reihe an unterschiedlichen Zielsetzungen und Ambitionen mit dem Titel zur Kulturhauptstadt Europas verbunden. Gemeinsam war allen zurückliegenden Kulturhautstadtstädten, dass sie mehrere Ziele mit unterschiedlicher Priorität verfolgten. Zielsetzungen, die von vielen Städten mit einer hohen Priorität verfolgt wurden, waren die internationale Profilierung der Stadt, eine Verbesserung des Selbst- und Außenimages sowie die Steigerung der Tourismuszahlen. Zielsetzungen vieler Städte mit geringerer Priorität waren städtische Revitalisierungsmaßnahmen, eine Stärkung der Wirtschaft und eine Vernetzung mit anderen Europäischen Städten. Es wird deutlich, dass die 115 Ebenda, S.136. 116 Vgl. Ebenda. 117 Ebenda, S.47. 38 europäische Dimension der Kulturhauptstadtjahre häufig hinter den Zielen zur Stadtund Regionalentwicklung zurück gestellt wurde.118 3.4.2 Auswirkungen der Kulturhauptstädte Europas In der Studie wurden anhand verschiedener Perspektiven die konkreten Auswirkungen der Kulturhauptstadt Europas auf die jeweiligen Städte untersucht. Vor dem Hintergrund der Herausforderungen, denen Altindustrieregionen generell gegenüber stehen (siehe Kapitel 2), werden im Folgenden insbesondere die Auswirkungen auf den Städtebau und die Infrastruktur, die Auswirkungen auf das Image und den Tourismus, sowie die Auswirkungen auf die Ökonomie behandelt. 3.4.2.1 Auswirkungen auf den Städtebau und die Infrastruktur Infrastrukturelle Entwicklungsprojekte sowie städtebauliche Revitalisierungsmaßnahmen wurden von vielen Kulturhauptstädten als Ziele des Kulturhauptstadtjahres benannt. Diese Ziele hatten meist eine niedrige Priorität, waren jedoch oft entscheidend als Mittel zum Zweck für höher priorisierte Ziele, wie die Förderung des Tourismus und die Stärkung des Images. Den kulturorientierten Maßnahmen wie beispielweise Bauarbeiten an Museen, Theatern oder Galerien kam oft eine stärkere Bedeutung zu als den nicht kulturorientierten Maßnahmen wie bspw. Bauarbeiten an Bahnhöfen, Straßen oder Hotels. Die gesamten Maßnahmen ehemaliger Kulturhauptstädte zur Verbesserung des Städtebaus und der Infrastruktur ließen sich der Studie zufolge in vier Kategorien zusammenfassen. Die erste Kategorie umfasste Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur. Sowohl Flughäfen und Bahnhöfe als auch Parkhäuser wurden im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas erneuert oder neu erbaut. Die zweite Kategorie umfasste Maßnahmen zur Verbesserung der öffentlichen Anlagen. Grünanlagen, wie Stadtparks, Stadtplätze oder Flusspromenaden, wurden verschönert und neu gestaltet. Darüber hinaus haben viele Kulturhauptstädte das öffentliche Beleuchtungssystem für das Kulturhauptstadtjahr erneuert. Die dritte Kategorie umfasste Erneuerungsmaßnahmen der Baustruktur in den Kulturhauptstädten. Stadtbezirke wurden in unterschiedlichster Art und Weise verändert. So wurden bspw. einzelne historische Gebäude zu Museen oder Galerien umgenutzt, ganze historische Zentren restauriert oder ehemalige Industrieareale durch kreative Quartiere neu genutzt. Die vierte Kategorie umfasste den Neubau von Veranstaltungsorten. Ausgerichtet auf spezielle Kulturhauptstadtevents wurden neue Veranstaltungsorte erschlossen, erbaut und vernetzt. Viele Städte errichteten neue Museen, Theater oder große Mehrzweckgebäude. Obwohl die meisten solcher Maßnahmen im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas durchgeführt wurden, waren nur wenige dieser Maßnahmen durch die Kulturhauptstadt direkt initiiert. Viele der Projekte waren bereits vor der Auszeichnung zur Kulturhauptstadt in Planung und wurden lediglich im Zeitraum der Vorbereitungen zum Kulturhauptstadtjahr fertig gestellt. „Many such projects nevertheless benefited from the catalytic effect of the ECOC […] and from the optimism and ambition that surrounded many ECOC.“119Die Auswirkungen der Kulturhauptstadt auf den Städtebau und die Infrastruktur bestand insbesondere darin, dass bereits entwickelte Projekte umgesetzt, geplante Projekte schneller fertig gestellt und 118 Vgl. Ebenda. 119 Ebenda, S.17. 39 stockende Projekte wieder neu belebt wurden. Insofern konnte die Kulturhauptstadt insbesondere dafür genutzt werden um Investitionen in Maßnahmen des Städtebaus und der Infrastruktur zur fördern und die Notwendigkeit der Fertigstellungen der Planungen bis zum Kulturhauptstadtjahr zu erhöhen. Als sichtbares Erbe der Kulturhauptstädte kamen sowohl den Baumaßnahmen einzelner Gebäude als auch solcher ganzer Stadtquartiere eine wichtige Bedeutung zu.120 3.4.2.2 Auswirkungen auf das Image und den Tourismus Eine internationale Profilierung und die Stärkung des Tourismus wurden bei der Zielsetzung der Kulturhauptstadt Europas von vielen Städten hoch priorisiert. Sowohl die positiven Effekte auf die Wirtschafts- als auch auf die Imageentwicklung gingen mit diesem Ziel einher. Darüber hinaus galt die Besucheranzahl einer Kulturhauptstadt, seit Beginn der Initiative, als entscheidendes Vergleichskriterium zur Bewertung von Kulturhauptstadtjahren. „Attracting visitors […] becomes one of the main pieces of evidence to be cited for the success of an ECOC.”121 Während des Kulturhauptstadtjahres verzeichneten die meisten Städte ein starkes Wachstum der Tourismuszahlen. Der durchschnittliche Zuwachs an Übernachtungsgästen lag in den Kulturhauptstädten zwischen 1995 und 2003 bei 12%. Die Spannweite reichte dabei von einem Zuwachs der Übernachtungsgäste von 23 % in Graz und einer Abnahme der Übernachtungsgäste von -6,7% in Prag. Insbesondere kleine Kulturhauptstädte mit einem niedrigen Ausganswert erfuhren einen starken Zuwachs an Touristen, während der Effekt in größeren Städten häufig kaum auszumachen war. Generell hielt die positive Entwicklung des Tourismus sowohl bei den kleinen als auch bei den großen Städten nach dem Kulturhauptstadtjahr an. Zwar verzeichneten fast alle Städte einen Abschwung der Tourismuszahlen im Folgejahr des Kulturhauptstadtjahres, dennoch war der Abschwung sehr viel geringer als der Aufschwung während des Kulturhauptstadtjahres. Die stärkste Besuchergruppe des Kulturhauptstadtjahres waren die lokalen Anwohner. Mit einem Anteil zwischen 30-40% lagen sie über dem Anteil inländischer Besuchern (20-30%) und den Besuchern aus dem Ausland (10-20%). Insbesondere Blockbuster Events zogen viele Besucher an: „This hints at a pareto-effect in visitor attendance, where 20% of the events are likely to attract 80% of the audience.”122 Die Förderung der Besucherzahlen war bei vielen Städten mit dem Ziel der Verbesserung des Images verbunden. Die Stadt sollte attraktiver werden, um sowohl Besucher als auch Investoren langfristig anzuziehen. Viele Kulturhauptstädte zielten darauf ab, ein Kulturimage zu entwickeln oder das bestehende kulturelle Image zu verbessern. Insofern sollte die kulturelle Dimension der Stadt gestärkt werden. Die Entwicklung des Images war allerdings schwer zu messen. Aufgrund dessen wurde in der Studie auf Untersuchungen der „Association for Tourism and Leisure Education“ verwiesen. Anhand von regelmäßigen Besucherbefragungen wurde in dieser Untersuchungsreihe die Imageentwicklung der Kulturhauptstädte Rotterdam, Porto und Weimar untersucht. Während bei Rotterdam eine positive internationale Imageentwicklung festgestellt wurde, verzeichnete Weimar keine Veränderungen im internationalen Image und Porto einen negativen Imageeffekt. Im 120 Vgl. Ebenda. 121 Ebenda. S.127. 122 Ebenda, S.127. 40 Gegensatz zu Rotterdam hatten Porto und Weimar eine Verbesserung des internationalen Images jedoch nur mit einer geringen Priorität verfolgt. Die Erfahrungen bisherige Kulturhauptstädte zeigen, dass im Bereich des Tourismus und des Images positive Effekte im Rahmen der Kulturhauptstadt erzielt werden konnten. Am Beispiel der negativen Tourismusentwicklung in Prag wurde jedoch deutlich, dass die Auszeichnung alleine keine positiven Effekte bewirkt. Die Kulturhauptstädte mussten vielmehr intensiv und zielorientiert die Förderung des Tourismus bzw. die Verbesserung des Images verfolgen. Darüber hinaus wurde in der Studie darauf hingewiesen, dass die genauen Tourismuszahlen sowie die Kausalität zwischen Kulturhauptstadt und steigenden Tourismuszahlen schwer zu ermitteln war.123 3.4.2.3 Auswirkungen auf die Ökonomie Nur wenige, der in der Studie untersuchten Kulturhauptstädte, formulierten klar definierte wirtschaftliche Zielsetzungen. Die Förderung der Wirtschaft war jedoch an viele andere Zielsetzungen gekoppelt. Beispielsweise brachten erhöhte Tourismuszahlen ein Einkommen in Gastronomie oder Hotellerie mit sich, städtebauliche Revitalisierungsmaßnahmen förderten das Baugewerbe oder die Förderung von Kunst- und Kreativwirtschaft schaffte neue Arbeitsplätze. Aufgrund fehlender Zielsetzungen und unzureichender Informationen konnten in der Studie kaum wirtschaftliche Erfolge bei den jeweiligen Kulturhauptstädten evaluiert werden. Aufbauend auf den Einschätzung und Erfahrungen der befragten Experten der jeweiligen Kulturhauptstädte wurden in der Studie lediglich Möglichkeiten aufgezeigt, in denen am ehesten ökonomische Erfolge durch die Kulturhauptstadt generiert werden konnten. Demnach gab es fünf Sets von wirtschaftlichen Effekten, um die Verbindung zwischen der regionalen Wirtschaft und der Auszeichnung zur Kulturhauptstadt zu erfassen. Das erste Set umfasste die Auswirkungen, welche durch das Event direkt generiert wurden. Das Management der Kulturhauptstadt, die Ticketverkäufe zu Kulturhauptstadtveranstaltungen und das Merchandising waren Beispiele, durch die direktes Einkommen erwirtschaftet wurde. Darüber hinaus wurden in diesen Bereichen auf kurzfristige Sicht Arbeitsplätze geschaffen. Das zweite Set umfasste die wirtschaftlichen Effekte, die durch die Ausgaben der Besucher erzeugt wurden. Sowohl Tages- als auch Übernachtungsgäste brachten der Gastronomie, der Hotellerie sowie dem Einzelhandel Einkommensgewinne. In diesen Bereichen wurden ebenfalls neue Arbeitsplätze geschaffen. Je nach Nachhaltigkeit des Tourismuswachstums waren diese kurzfristig oder langfristig angelegt. Das dritte Set umfasste die Investitionstätigkeiten, die direkt mit der Kulturhauptstadt verbunden waren. Städtebauliche Revitalisierungsmaßnahmen oder Infrastrukturprojekte förderten das Baugewerbe und schafften ebenfalls auf mittelfristiger und langfristiger Ebene neue Arbeitsplätze. Das vierte Set umfasste wirtschaftliche Effekte, die aufgrund der Verbesserung der städtischen Attraktivität entstanden. Investoren wurden angezogen und dadurch wirtschaftliche Folgeeffekte generiert. In der Studie wurde darauf hingewiesen, dass die Kausalität zwischen der Kulturhauptstadtauszeichnung und den Investitionstätigkeiten bis dahin nicht klar belegbar war. Das fünfte Set umfasste die Steigerung des Images der Stadt durch die Kulturhauptstadtauszeichnung. Verbunden mit einer steigenden Attraktivität des Wirtschaftsstandortes sollten insbesondere qualifizierte Arbeitnehmer angezogen 123 Vgl. Ebenda. 41 werden. Jedoch war der Studie zufolge auch hierbei die Kausalität nicht klar belegbar. Trotzdem wurde die Steigerung des Images und des Bekanntheitsgrades als positiver Effekt für die Wirtschaft bisheriger Kulturhauptstädte gewertet. Aufgrund fehlender Informationen konnte die Studie keine klaren Aussagen zur Auswirkung der Kulturhauptstadt auf die Wirtschaft treffen. Dennoch scheint die Kulturhauptstadt, basierend auf den Einschätzungen bisheriger Kulturhauptstadtakteure, in kurzfristiger Perspektive Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Entwicklung zu bieten.124 3.5 Zwischenfazit Es wird deutlich, dass die Gemeinschaftsaktion Kulturhauptstadt Europas als ein dynamisches und vielfältiges Instrument eingesetzt werden kann. Sowohl die Europäische Union als auch die Kulturhauptstädte selber haben die Kulturhauptstadtinitiative stetig geprägt. Eine kontinuierliche Weiterentwicklung und eine beständige Offenhaltung des Kulturbegriffs machen die Initiative zu einem flexiblen Instrument, das sowohl auf städtischer als auch auf regionaler Ebene vielfältig, im Rahmen der kulturellen Entwicklung, eingesetzt werden kann. Trotz der vielfältigen Möglichkeiten ist eine zielorientierte Ausgestaltung des Instruments Kulturhauptstadt Europas wichtig. Jede Kulturhauptstadt setzt das Instrument in einem unterschiedlichen Kontext ein und daher muss das Instrument gut angepasst werden. Als entscheidender Faktor zur erfolgreichen Umsetzung der Kulturhauptstadt Europas gilt es deshalb das Programm an endogenen Rahmenbedingungen der jeweiligen Stadt auszurichten. Die Erfahrungen zurückliegender Kulturhauptstädte zeigen, dass das Instrument bereits in unterschiedlichst geprägten Städten erfolgreich eingesetzt wurde. Insbesondere die Kulturhauptstadt Glasgow 1990 verdeutlichte, dass auch Altindustrieregionen von der Auszeichnung profitieren können. Im Rahmen der Kulturhauptstadtinitiative haben ehemalige Kulturhauptstädte bereits positive Effekte im Bereich der städtebaulichen Revitalisierung, des Images oder der Wirtschaftsförderung erzielt. Darüber hinaus scheint die Kulturhauptstadt Europas Altindustrieregionen eine gute Möglichkeit zu bieten um mittels der Kultur neue Impulse in den jeweiligen Regionen zu generieren. Die Etablierung neuer Netzwerke, die Diskussion aktueller Probleme und die Sichtweise der Region aus einer kulturellen Perspektive können in Altindustrieregionen neue Prozesse anstoßen und dabei helfen den Anpassungsstau sowie die veraltenden Strukturen zu überwinden. Endscheidend bleibt aber auch hier, dass die Möglichkeiten der Kulturhauptstadt Europas an die endogenen Herausforderungen der jeweiligen Altindustrieregion angepasst werden müssen. 124 Vgl. Ebenda. 42 4 Evaluation der Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ Im Folgenden werden die Auswirkungen der Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ auf die altindustriell geprägte Stadt Glasgow untersucht. Im ersten Schritt wird die wirtschaftliche Entwicklung der Region Glasgows hin zur Altindustrieregion dokumentiert. Daran anschließend werden wichtige Herausforderungen, denen die Stadt Glasgow in der Zeit vor der Ernennung zur Kulturhauptstadt gegenüber stand erarbeitet und erläutert. Im zweiten Schritt wird die Entwicklung und Konzeption der Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ dokumentiert. Im dritten Schritt folgt eine gezielte Untersuchung der Auswirkungen der Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ auf die zentralen Problematiken, mit denen sich die Stadt Glasgow vor der Ernennung zur Kulturhauptstadt auseinander zu setzen hatte. Schließlich wird ein zusammenfassendes Fazit gezogen, in denen die Auswirkungen der Kulturhauptstadt Europas auf die Altindustriestadt Glasgow bewertet werden. 4.1 Altindustrieregion Glasgow Die Stadt Glasgow ist eine historisch gewachsene Stadt, die hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Entwicklung eng mit der ihr umgebenden Region verbunden ist. Ausgehend vom 18. Jahrhundert hat sich der Raum Glasgow zu einer prosperierenden Wirtschaftsregion entwickelt. Mitte des 20. Jahrhunderts erlebte die Region einen wirtschaftlichen Niedergang und entwickelte sich zur Altindustrieregion. Stadtentwicklungsmaßnahmen haben in der Stadt Glasgow einen Strukturwandel eingeleitet. Dennoch stand die Stadt Mitte der 1980er Jahre vor großen strukturellen Herausforderungen. Diese waren weitestgehend durch die schwerindustrielle Vergangenheit begründet. 4.1.1 Abgrenzung des Untersuchungsraumes Die Stadt Glasgow, namentlich zurück zu führen auf den keltischen Begriff „Glasg Ghu“ zu deutsche Grünes Tal, liegt im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland (Vereinigtes Königreich). Im Südwesten des Teilstaates Schottland ist die Stadt im bevölkerungsreichten Raum des Teilstaates, dem sogenannten „Central Belt“, nahe dem Schottischen Hochland angesiedelt. Der Fluss Clyde verbindet die Stadt mit dem Firth of Clyde, welcher wiederum in den Atlantischen Ozean mündet.125 Der Teilstaat Schottland genießt seit dem Jahr 1999 einen teilautonomen Status im Vereinigten Königreich. Dem schottischen Parlament wurden, als gesetzgebendes Gremium, Kompetenzen der schottischen Innenpolitik übertragen. Darüber hinaus wurde Schottland mit der Verwaltungsreform aus dem Jahr 1996 neu strukturiert. Die zweistufige Verwaltungsstruktur, bestehend aus „Regions“ und „Districts“, wurde durch die einstufige Verwaltungsstruktur der „Unity Authorities“ ersetzt. Im Raum Glasgow gingen aus einem Teilbereich der ehemaligen „Strathclyde Region“ und dem ehemaligen „District Glasgow City“ die neue „Unity Authority Glasgow“ 125 Vgl. Greiner, Johann (2005): Stadtmarketing in Europa – Glasgow und Stuttgart im Vergleich, Marburg. 43 hervor.126 Die Verwaltungsinstanzen des „Strathclyde Strathclyde Regional Council“ Council und des „Glasgow District Council“ wurden durch die Verwaltungsinstanz des „Glasgow City Council“ ersetzt. Dieser fungiert seitdem seitdem als offizielle Verwaltungsinstanz der d Unity Authority Glasgow. Seine Aufgaben umfassen unter anderem Aspekte der Raumplanung, polizeiliche Angelegenheiten, soziale Aspekte sowie kulturelle Angelegenheiten.127 Die administrativen Grenzen des Glasgow City Council werden im folgendem zur Abgrenzung ung der Stadt Glasgow herangezogen. Die Stadt Glasgow umfasst eine Einwohneranzahl von rund 585.000 Menschen und ist damit die bevölkerungsreichste Stadt des Teilstaates Schottlands und die drittgrößte Stadt des Vereinigten Verein Königreichs. Auf einer Gesamtfläche äche von rund 175 Quadratkilometern ist die Stadt in zehn Stadtteile eingeteilt.128 Ausgerichtet an den Wahlkreisen des „Westminster Parliament“ kann die Stadt in folgende Stadtteile eingeteilt werden (Abb. 5): Glasgow North West, Glasgow lasgow North, Glasgow North East, Glasgow East, Glasgow sgow South, Glasgow South West und und Glasgow Central.129 Abb. 5 Glasgow Stadtgebiet und Stadtteile Stadtgebiet Stadtteile Entwurf: Eigene Darstellung, Frankfurt 2010 Quelle: Grafische Grundlage: Glasgow City Council (Hrsg.)(2010b):Glasgow City Plan 3 - Development Plan Scheme, Online-Dokument. Online Die Stadt Glasgow ist stark mit ihrem Umland verbunden. Abgegrenzt als Ballungsraum, Stadtregion oder Metropolregion wurden bis zur zu Gegenwart unterschiedliche Einzugsbereiche des Raumes Glasgow definiert. Für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt ist die Abgrenzung des Raums Glasgow als „Glasgow and Clyde Valley Conurbation“ von besonderer Bedeutung (Abb. ( 6). Die Glasgow and Clyde Valley Conurbation umfasst eine Einwohnerzahl von rund 1,7 126 Vgl. Sturm, Roland (2008a): Regierung und Verwaltung, in: Informationen zur politischen Bildung, Nummer 262 2008, S.8–16. S.8 127 Vgl. Greiner, Johann (2005): a.a.O. 128 Vgl. Glasgow City Council (Hrsg.)(2010a): Key Facts, Glasgow, Online–Dokument: Online Dokument: http://www.glasgow.gov.uk/en/AboutGlasgow/Factsheets/Glasgow/KeyFacts.htm, Stand 24. http://www.glasgow.gov.uk/en/AboutGlasgow/Factsheets/Glasgow/KeyFacts.htm, Januar 2011. 129 Vgl. Scottish Politics Research Unit (HRsg.)(o.J.): Glasgow Council maps, Online–Dokument: Online http://www.alba.org.uk/maps/glasgowmaps.html, Stand 24. Januar 2011. 44 Millionen Menschen und eine Gesamtfläche von rund 3.500 3 500 Quadratkilometern. Quadratkilometer Verwaltungstechnisch setzt sich der Ballungsraum aus den Unity Authorities South Lanarkshire, North Lanarkshire, East Dunbartonshire, West Dunbartonshire, Inverclyde, Renfrewshire, East Renfrewshire und Glasgow City zusammen. Die Stadt Glasgow stellte dabei von Beginn an das ökonomische, ökonomische politische und kulturelle Zentrum dieses Ballungsraumes dar.130 Die Umgrenzung der Glasgow and Clyde Valley Conurbation werden im Folgenden zur Abgrenzung der Region Glasgow herangezogen. Abb. 6 Glasgow and Clyde Valley Conurbation Entwurf: Eigene Darstellung, Frankfurt 2010 Quelle: Grafische he Grundlage: Glasgow City Council (Hrsg.)(2010b):Glasgow City Plan 3 - Development Plan Scheme, Online-Dokument. Online Dokument. 4.1.2 Wirtschaftliche Entwicklung Die Region Glasgow, einschließlich der Stadt Glasgow, wurde ausgehend vom 18. Jahrhundert kontinuierlich durch die die wirtschaftliche Entwicklung geprägt. Die Entwicklung hin zur prosperierenden Wirtschaftsregion, als auch der folgende ökonomische Niedergang zur Altindustrieregion, hat Glasgow stark beeinflusst. Die D Wirtschaftsentwicklung twicklung ist in eine Phase des wirtschaftlichen ftlichen Aufschwungs und eine Phase des wirtschaftlichen Niedergans zu untereilten. 4.1.2.1 Wirtschaftlicher Aufschwung Die Entwicklung Glasgows zu einer prosperierenden Wirtschaftsregion ist insbesondere durch zwei Faktoren begründet. Zum ersten galt Glasgows Lage L nahe dem Atlantischen Ozean lange Zeit als Standortvorteil. Innerhalb des Vereinigten Verein 130 Vgl. Glasgow and the Clyde Valley Valley Structure Plan Joint Committee (Hrsg.)(o.J): Facts and Figures of the Glasgow & Clyde Valley Structure Plan Area, Online–Dokument: Online Dokument: http://www.gcvcore.gov.uk/facts_figures/facts.htm, Stand 24. Januar 2011. 45 Königreichs war Glasgow eine der westlichst gelegenen Städte, die zudem einen direkten Zugang zum Atlantischen Ozean aufweisen konnte. Zum zweiten verfügte die Region Glasgow über reichhaltige Rohstoffvorkommen. Ausgehend vom Erdzeitalter Karbon hatten sich Steinkohlevorkommen und Eisenerzvorkommen über mehrere Millionen Jahren in der Region gebildet. Die sogenannten kohleführenden Flöze und die eisenerzführenden Flöze konzentrierten sich südlich der Stadt Glasgow in der ehemaligen Grafschaft Lanarkshire. Die Industrialisierung Glasgows wurde von diesen beiden Standortfaktoren maßgeblich bestimmt. Im 18. Jahrhundert entwickelte sich Glasgow zunächst zu einer bedeutenden Handelsstadt. Ausschlaggebend war der „Act of Union“ aus dem Jahr 1707. Durch den Zusammenschluss Schottlands und Englands zum Königreich Großbritannien wurde die schottische Stadt Glasgow Mitglied der größten Kolonialmacht des 18. Jahrhunderts. Glasgow, angebunden an den Atlantischen Ozean, profitierte schnell von den Handelsbeziehungen zwischen den britischen Überseekolonien und dem Königreich Großbritannien. Vom „Port of Glasgow“ war die Reisezeit nach Amerika kürzer als von den meisten anderen britischen Städten. So wurde Glasgow zum Umschlagplatz für Güter die von Amerika nach Europa transportiert, und für solche die von Europa nach Amerika verschifft wurden. Das Haupthandelsgut stellte für lange Zeit der Tabak dar. Bis zum Jahr 1775 entwickelte sich dieser zum wichtigsten Wirtschaftszweig Westschottlands, wovon Glasgow als Handelsplatz stark profitierte.131 Die sogenannten „Tobaccolords“ erwirtschafteten hohe Beträge und investierten diese wiederum in die Entwicklung des Wirtschaftstandortes Glasgow. Der Fluss Clyde wurde für die Schifffahrt ausgebaut und der Haupthafen, bis dahin in der ehemaligen Grafschaft Inverclyde lokalisiert, wurde in die Stadt Glasgow verlegt. Darüber hinaus wurde die Eisenbahnanbindung der Stadt ausgebaut.132 Der amerikanische Unabhängigkeitskrieg setzte dem Tabakhandel ein abruptes Ende. Daraufhin verschob sich der britische Handel zunehmend auf die westindischen Inseln. Baumwolle, Rum und Zucker wurden zu den neuen Importgütern der Handelsstadt Glasgow. Begründet durch das Importgut Baumwolle entwickelte sich die Stadt zum Industriestandort. „Aufbauend auf den traditionellen Kompetenzen in der Leinenverarbeitung entwickelte sich nach 1780 eine prosperierende Baumwollindustrie. Um 1835 war die Textilherstellung zur Leitindustrie der Region geworden, was den Beginn des Industriezeitalters in Glasgow markiert.“133 Diese Entwicklung wurde durch die Entwicklung der Dampfmaschine bestärkt. Durch den Einsatz von Dampfmaschinen konnten die Webstühle maschinell betrieben und zur Massenproduktion genutzt werden. Konzentriert auf den Süden und Westen der Region entstanden Spinnereien, Färbereien, Webereien und parallel dazu Betriebe der chemischen Industrien.134 „Power looms began to be introduced in the first decade of the 19th century and by 1829 there were 10,000 people at work in 131 Vgl. Enge, Thorsten (2005): Cluster im Strukturwandel alter Industrieregionen – Das Ruhrgebiet und Glasgow im Vergleich, Dortmund. 132 Vgl. Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.)(1988): Erneuerung einer alten Industriestadt–Galsgow`s miles better, Schriftenreihe Forschung des Bundesministers für Raumordnung Bauwesen und Städtebau Heft 454, Dortmund. 133 Enge, Thorsten (2005): a.a.O., S.47. 134 Vgl. Ebenda. 46 Scotland as power loom weavers, mostly in and around Glasgow.”135 Im 19. Jahrhundert entwickelte sich Glasgow zu einem der wichtigsten Zentren der Baumwollindustrie in Europa.136 Neben der Textilindustrie entwickelte sich die Schwerindustrie zu einer weiteren Wachstumsbranche der Region. Das Fundament dieser Entwicklung stellten die regionalen Kohlevorkommen und Eisenerzvorkommen dar. Diese waren östlich der Stadt Glasgow in der ehemaligen Grafschaft Lanarkshire konzentriert. „Kohle und Eisen bildeten für zahlreiche Branchen dieser Zeit einen unverzichtbaren Input. Hier niedrige Transportkosten zu haben war ein bedeutender Wettbewerbsvorteil.“137 Um die Transportkosten möglichst gering zu halten wurde die Eisenindustrie, zur Produktion von Roheisen, im östlichen Umland der Stadt Glasgow angesiedelt. Der direkte Zugriff auf Kohle und Erze waren ein bedeutender Standortvorteil. Die Erfindung der Dampfmaschine löste, ebenso wie in der Textilindustrie, in der Schwerindustrie einen Entwicklungsschub aus. Im Bergbau konnte der Kohleabbau gefördert werden und auch der Maschinenbau in der Region wurde maßgeblich beeinflusst. „With the growth in the use of steam engines there appeared small engine shops where mechanics tinkered, repaired, coddled and refined the temperamental machines. Steam obsessed in the inquiring minds of the age, and the eighteenth century is punctuated with attempts of varying degrees of success to apply the new power to transport.”138 Die Ingenieure in Glasgow erkannten früh die innovative Anwendung der Dampfmaschine als Antrieb und entwickelten diesen Ansatz konsequent weiter. Glasgow wurde so zum Zentrum für Lokomotivbau und Schiffbau. Einhergehend mit der regionalen Nachfrage nach Eisen entwickelte sich die Eisenindustrie ebenfalls weiter. Die Stahlindustrie, als Weiterentwicklung der Eisenindustrie, wurde in der Region Glasgow befördert. An den traditionellen Standorten der Eisenindustrie wurden bis 1885 zehn Stahlproduzenten errichtet. Insbesondere der Maschinenbau wurde zum stärksten Abnehmer der regionalen Stahlproduktion. Im Rahmen der Schwerindustrie, entwickelte sich der Glasgower Schiffbau zur stärksten Wirtschaftsbranche. Entlang des Flusses Clyde entstand eine umfangreiche Schiffbauindustrie. Gefördert wurde die Schiffbauindustrie durch eine hohe Nachfrage auf dem britischen Markt. Ausschlaggebend für die Etablierung des Schiffbaustandorts Glasgow war jedoch die Innovationsfähigkeit der Glasgower Unternehmer im 19. Jahrhundert. Die Dampfmaschine als neuer Antriebe für Schiffe und die Einführung neuer Schiffsrümpfe aus Stahl machten den Standort am Clyde zum innovativen Pionierstandort. Einhergehend mit dem technologischen Paradigmenwechsel von Segelschiffen aus Holz zu Dampfern aus Eisen und Stahl, entwickelte sich Glasgow zu einem der führenden Schiffbaustandorte der Welt. In der Zeit zwischen 1870 bis 1913 lag der Anteil des Standorts Glasgow am gesamten britischen Schiffbau zwischen 25% und 40%. Zum Höhepunkt der Werftindustrie beschäftigten die 39 Werften am Clyde rund 60.000 Beschäftigte in der Schiffbauindustrie. Hinzu kamen weitere 40.000 Zulieferbeschäftigte. Der Ausdruck „Clyde built“ wurde in der Werftindustrie zu einem weltweit geachteten 135 Moss, Michael (2004): Industrial Revolution 1770s to 1830s, in: TheGlasgowStory Consortium (Hrsg.): The Glasgow Story, Online–Dokument: http://www.theglasgowstory.com/storyc.php, Stand 24. Januar 2011. 136 Vgl. Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.)(1988): a.a.O. 137 Enge, Thorsten (2005): a.a.O., S.48. 138 Zit. in: Enge, Thorsten (2005): a.a.O., S.49. 47 Qualitätsprädikat und verdeutlicht die wirtschaftliche Bedeutung die der Schiffbau für die Region bis ins 20. Jahrhundert einnahm. Der wirtschaftliche Erfolg der Region Glasgow war im Verbund der Schiffbauindustrie, dem Maschinenbau, der Eisen- und Stahlindustrie und der Textilindustrie begründet.139 Diese hatten eine gegenseitig verstärkende Wirkung. „At the end of the nineteenth century, however, there was hardly a branch of engineering that was not represented in Glasgow. The concentration of population and of industrial and commercial power confirmed Glagsow`s position as the economic hub of Scotland and one of the greatest workshops of the world. By 1890 Glasgow was a world metropolis with a justifiable claim to be the Second City of the Empire.”140 Einhergehend mit dem wirtschaftlichen Aufschwung hatten sich die Strukturen der Stadt Glasgow stark verändert. Der Aufschwung der Stadt zum zweiten Zentrum des Vereinigten Königreichs spiegelte sich im Städtebau wieder. Im 18. Jahrhundert investierten viele der erfolgreichen Händler in prachtvolle Wohngebäude und öffentliche Parkanlagen. Spektakuläre Häuser und Monumente prägten die Stadt und verliehen ihr einen viktorianischen Architekturstil. Mit Beginn der Industrialisierung wurde das Stadtbild zunehmend durch Industrieanlagen geprägt. Große Industrieareale wurden von den Unternehmern in Anspruch genommen. Damit einhergehend veränderte sich die Stadtstruktur durch eine rasante Bevölkerungszunahme. Arbeiter und ihre Familien aus dem Schottischen Hochland, England sowie Irland wurden durch die hohe Nachfrage nach Industriearbeitern in die Stadt gezogen. Während im Jahr 1780 rund 43.000 Einwohner in Glasgow lebten, stieg die Einwohnerzahl bis zum Jahr 1841 auf 274.000 Bewohner an. Die jährliche Steigerungsraten lagen bei bis zu 30%. Der Höchststand der Bevölkerungsentwicklung wurde im Jahr 1912 mit einer Einwohneranzahl von etwas mehr als einer Millionen Menschen verzeichnet.141 Innerhalb kürzester Zeit wurden neue Arbeitersiedlungen errichtet. Die ehemaligen Stadtstrukturen wurden weitestgehend überformt und die Stadtgrenzen weiter nach außen verschoben. Die Stadt Glasgow verschmolz zunehmend mit den Vororten. Viele der Arbeitersiedlungen bestanden aus viergeschossigen Mietshäusern, den sogenannten „Tenement Häusern“, in denen Arbeiterfamilien auf engstem Raum wohnten. „For most working families in Glasgow, home was a tenement house in which they occupied one or two rooms. Here they shared a common entrance, as well as a shared toilet and wash-house. In the same space, people washed, cooked, slept, lived and died.”142 Der hohe Bevölkerungszuwachs verschärfte den Wohnungsdruck und die steigende Bevölkerungsdichte der Stadt. „Trotz enormer Bautätigkeit galten auch noch am Ende des 19. Jahrhunderts Glasgows Arbeitersiedlungen als Orte katastrophaler hygienischer Bedingungen. Ein Gürtel von Slumvierteln entwickelte sich um die Stadt.“143 Gestärkt wurden die katastrophalen Lebensverhältnisse durch einen unzureichenden Umweltschutz. So flossen Mitte der 1870er Jahre rund 40 Millionen Gallonen (über 150 Millionen Liter) Abwasser in den zentral gelegenen Stadtfluss Clyde. Dominiert durch die industriellen Abwässer verkam der Clyde zunehmend 139 140 141 142 Vgl. Ebenda. Zit. in: Ebenda, S.54. Vgl. Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.)(1988): a.a.O. Fraser, Hamish (2004): Industrial Revolution 1770s to 1830s Everday Life The Home, in: TheGlasgowStory Consortium (Hrsg.): The Glasgow Story, Online–Dokument: http://www.theglasgowstory.com/story.php?id=TGSCA04, Stand 24. Januar 2011. 143 Greiner, Johann (2005): a.a.O., S.107. 48 zum offenen Abwasserkanal, und verstärkte dadurch die schlechten Lebensbedingungen vieler Arbeiterfamilien.144 4.1.2.2 Wirtschaftlicher Niedergang Die Entwicklung der Region Glasgow zur prosperierenden Industrieregion war weitestgehend durch die Verbundwirtschaft, bestehend aus dem Schiffbau, dem Maschinenbau, der Eisen- und Stahlindustrie und der Textilindustrie, begründet. Der enge Verbund der verschiedenen Industriebranchen war jedoch zugleich ausschlaggebend für den wirtschaftlichen Niedergang der Region. Die Textilindustrie kam bereits früher als die anderen Branchen in eine Krise. Bedingt durch starken Konkurrenzdruck mit Standorten in der englischen Grafschaft Lancashire, den Vereinigten Staaten von Amerika und Asien ging die Textilindustrie in Glasgow bereits Mitte des 19. Jahrhunderts nieder.145 Obwohl mit dem Niedergang viele Arbeitsplätze verloren gingen, blieben verheerende Auswirkungen auf die Arbeitsstruktur der Region aus. Die Schwerindustrie als wachsende Wirtschaftsbranche, insbesondere der Schiffbau, löste die Textilindustrie als regionale Leitindustrie ab. Das Verhältnis von Textilarbeitern zu Werftarbeitern kehrte sich in dem Zeitraum von 1861 bis 1911 von 9 zu 1 auf 40 zu 1 zugunsten des Schiffbaus und der Folgeindustrien um.146 Im Saldo gingen also keine Arbeitsplätze verloren, sondern es wurden neue Industriearbeitsplätze in der Region geschaffen. Durch den Niedergang der Textilindustrie, entwickelte sich die Region jedoch zu einem stark monostrukturierten Raum der Schwerindustrie. Während der Niedergang der Textilindustrie durch den Aufschwung der Schwerindustrie kompensiert werden konnte, stellte sich der Niedergang der Schwerindustrie als sehr viel folgenreicher dar. Bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts zeigten sich erste Anzeichen eines Niedergangs. Die Nachfrage der Rüstungsindustrie während der beiden Weltkriege, die konjunkturellen Aufschwüngen in den Nachkriegszeiten und die Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren führten dazu, dass der endgültige Niedergang der Glasgower Schwerindustrie erst ab den 1950er Jahren einsetzte.147 Ausschlaggebend waren dafür zunächst extern veränderte Rahmenbedingungen. Nach dem zweiten Weltkrieg brach das britische Kolonialreich endgültig zusammen und setzte die Handelsstadt Glasgow der Herausforderung neuer Welthandelsbeziehungen entgegen. Technische Weiterentwicklungen lösten den Rohstoff Kohle als Energieträger zunehmend ab, so dass auch die Glasgower Abbaugebiete einer veränderten Nachfrage gegenüber standen. Darüber hinaus wurde der Schiff- und Maschinenbau weltweit durch neue Einflussfaktoren bestimmt. Neue Techniken und veränderte Standortanforderungen setzten den Glasgower Schiff- und Maschinenbau zunehmend unter Druck.148 Die Akteure des Schiffbaus am Standort Clyde kümmerten sich zunächst wenig um diese Entwicklungen. Nach dem zweiten Weltkrieg behaupteten sich am Clyde 36 Schiffbauunternehmen und die Werften Glasgows beschäftigten rund 28.000 Menschen. Der Anteil des Standorts Clyde an der Produktion des weltweiten Schiffbaus betrug im Jahr 1947 rund 18%. Doch die veränderten Rahmenbedingun144 Vgl. Ulsamer, Cordula (1991): Eine Reise zum Rande Europas – Schottland das Nordseeöl und die britische Wirtschaft, Schondorf. 145 Vgl. Greiner, Johann (2005): a.a.O. 146 Vgl. Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.)(1988): a.a.O. 147 Vgl. Enge, Thorsten (2005): a.a.O. 148 Vgl. Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.)(1988): a.a.O. 49 gen machten sich auch hier bald bemerkbar. Aufgrund unzureichender Anpassungen an neue Entwicklungen, erlebte der Glasgower Schiffbau einen schleichenden Zusammenbruch. Während der gesamte britische Schiffbau den Weltmarkt mit einem Produktionsanteil von 57% im Jahr 1947 noch klar anführte, fiel der Anteil in den nächsten 50 Jahren auf unter 1% zurück. Diese Entwicklung zeigte sich auch am schottischen Standort Glasgow. Der Niedergang am Clyde war insbesondere durch den steigenden Konkurrenzdruck mit den neuen Schiffbaustandorten in den Vereinigten Staaten von Amerika, Deutschland und Japan beeinflusst. Insbesondere die asiatischen Standorte setzten neue Maßstäbe durch niedrige Lohnkosten und zunehmende Massenproduktion einfacher Schiffskonstruktionen. Zudem konnte die Nachfrage von immer größeren Schiffen am Standort Clyde nicht bedient werden. Während die japanischen Unternehmer Werften mit zu geringen Wassertiefen konsequent an Standorte größerer Wassertiefen verlegte, wagte keiner der Werftbetreiber am Clyde die traditionellen Standorte der ebenfalls zu kleine Werften zu verlagern. Vielmehr wurde an den traditionellen Strukturen und eingefahrene Routineabläufen festgehalten. Im Gegensatz zu den neu gebauten Werften in Amerika und Asien stammten die Werften in Glasgow noch aus Zeiten vor den beiden Weltkriegen. Die Strukturen hatten sich historisch entwickelt und über Jahrzehnte etabliert. Dass dies durchaus hinderlich war zeigte sich bspw. bei der Einführung des Dieselmotors. Die Akteure des Schiffbaustandorts am Clyde setzten zunächst auf die Weiterentwicklung der bewährten Dampfmaschine als Schiffsantrieb anstatt die neue Entwicklung des Dieselmotors mitzutragen. In den 1950er Jahren setzte sich der Dieselmotor als dominierender Antrieb endgültig durch, was zugleich einen technologischen Paradigmenwechsel darstellte. „Für diese neue Technologie fehlte im Schiffsmaschinenbau am Clyde die notwendigen fachlichen Kompetenzen, und zugleich galt die Dampfturbine in der Region als der natürliche Nachfolger der Dampfmaschine.“149 Anstatt die bewährten Strukturen aufzubrechen und sich auf die neue Entwicklung auszurichten, hielten die Akteure am Altbewährten fest. Anhand dieses Beispiels wird deutlich, dass die Werften am Clyde ihre Innovationskraft verloren hatten. Als Folge davon lösten sich die britischen Reedereien zunehmend von den heimischen Werften. Eine verringerte Nachfrage führte zum Konkurs vieler Werften und einhergehend damit zu immensen Arbeitsplatzverlusten in der Region.150 Bis zum Jahr 1990 schlossen 37 der einst 39 Werften. Die zwei bestehenden Werften am Clyde beschäftigten nur noch rund 6.000 Arbeiter.151 Diese Werften waren auf die Herstellung von Kriegsschiffen spezialisiert und hatten damit, im Gegensatz zu den Standorten in Asien, ein hochwertiges, technisch anspruchsvolles Feld belegt. Die Entwicklung der dominierenden Industriebranche des Schiffbaus stand in enger Korrelation mit der Entwicklung der regionalen Eisen- und Stahlindustrie. Die Schiffbauten der regionalen Werften stellten den Hauptabnehmer für die regionale Eisen- und Stahlproduktion dar, welche wiederum stark an den regionalen Kohleabbau gekoppelt war. Die Einbrüche des Schiffbaus wirkten sich also direkt auf die heimische Stahlindustrie und folglich ebenso auf den heimischen Bergbau aus. Hinzu kamen veränderte Rahmenbedingungen im Welthandel. Der 149 Enge, Thorsten (2005): a.a.O., S.69. 150 Vgl. Ebenda. 151 Vgl. Schiller, Tobias (2007): Glasgow 1990 – Ruhrgebiet 2010 Aus Industriestädten werden Kultur(haupt)städte – Kultur als Motor der Revitalisierung altindustrieller Städte und Regionen – Ein Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung?, Diplomarbeit, Tübingen. 50 Zusammenbruch der britischen Kolonialmacht veränderte die Außenhandelsoptionen der britischen Stahlproduzenten. Auch die Bedeutung der Standortvorteile für die Stahlproduktion veränderte sich. Sinkende Transportkosten, erhöhte Nachfrage nach hochwertigen Erzen und veränderte Produktionsverfahren machten den Anschluss an Ladehäfen zunehmend wichtiger als den Anschluss an Kohlevorkommen. Zusätzlich verstärkt durch die weltweite Stahlkrise in den 1970er Jahren ging die Eisen- und Stahlindustrie in der Region Glasgow bis in die 1990er Jahre vollkommen nieder. Im Jahr 1992 wurde das letzte Werk der Eisen- und Stahlindustrie im Raum Glasgow geschlossen.152 Die Strukturen der Stadt Glasgow wurden durch den wirtschaftlichen Niedergang stark geprägt. „Zunehmend wurde die Stadt seit dem Ende der 50er Jahre eine riesige Konzentration brachliegender Kapazitäten: von Menschen, Fabriken, Wohnhäusern.“153 Durch die Prozesse der Deindustrialisierung verloren viele Menschen ihren Arbeitsplatz. Im Zeitraum von 1971 bis 1981 wurden im produzierenden Gewerbe rund 38% der Arbeitsplätze abgebaut.154 Da die Region stark durch die Verbundwirtschaft geprägt war, standen kaum kompensierende Arbeitsplätze zur Verfügung. Vielmehr erschwerten die altindustriellen Strukturen und die periphere Lage in Europa die Ansiedlung neuer Industriebranchen in Glasgow. Etliche Großbetriebe gingen bankrott und hinterließen verfallene Industriebetriebe und kontaminierte Industrieflächen. Andere Betriebe zogen aus der Region ab und mit ihnen häufig die leistungsstarken und qualifizierten Bürgerschichten.155 Allein im Zeitraum von 1960 bis 1980 reduzierte sich die Einwohnerzahl Glasgows um über 25%.156 Das Stadtbild wurde von diesen negativen Entwicklungen stark beeinträchtigt. Aufgrund der steigenden Armut und der mangelnden Finanzkraft von Wohnungseigentümern und den Kommunen blieben notwendige Erneuerungen der Wohnquartiere aus. Obwohl der Abzug vieler Einwohner die Bevölkerungsdichte Glasgows erleichterte, blieben die schlechten Lebensbedingungen dennoch bestehen. Insofern waren insbesondere die Wohnsituation der zurück gebliebenen Arbeiterfamilien und die Entwicklung der zahlreichen Industriebrachen innerhalb der Stadt, Herausforderungen im Sinne einer durchdachten und strukturierten Neuplanung für die Kommunen.157 4.1.3 Ansätze der Stadtentwicklungspolitik Durch den Niedergang der Schwerindustrie stand die Stadt Glasgow einem umfassenden Strukturwandel gegenüber. Die Stadtentwicklungspolitik der lokalen Verantwortungsträger ging einher mit zentral gesteuerten strukturpolitischen Maßnahmen der britischen Zentralregierung. Ausgehend von den 1950er Jahren ist die Stadtentwicklungspolitik in drei Phasen einzuteilen. 4.1.3.1 Phasen der Stadtentwicklungspolitik Die erste Phase der Stadtentwicklungspolitik Glasgows ist auf die Jahre von 1950 bis 1970 datiert und folgte der Prämisse der Dezentralisierung. Da der wirtschaftli152 Vgl. Enge, Thorsten (2005): a.a.O. 153 Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.)(1988): a.a.O., S.29. 154 Vgl. Gómez, María (1998): Reflective Images The Case of Urban Regeneration in Glasgow and Bilbao, in: Journal of Urban Regional Research, Nummer 22.1 1998, S.106–221. 155 Vgl. Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.)(1988): a.a.O. 156 Vgl. Greiner, Johann (2005): a.a.O. 157 Vgl. Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.)(1988): a.a.O. 51 che Niedergang der Leitindustrien in der Nachkriegszeit erst langsam von den lokalen Akteuren wahrgenommen wurde, konzentrierte sich die Stadtentwicklungspolitik zunächst auf das offensichtliche Problem der desolaten Wohnverhältnisse. Ein Großteil der Bevölkerung Glasgows lebte auf engstem Raum. Die Dichtewerte lagen in den 1950er Jahren bei 800-1400 Einwohnern je Quadratkilometer. Zur Verminderung der Wohndichte wurde im Jahr 1946 der „Clyde-Valley Regional Plan“ im Auftrag der Zentralregierung von den lokalen Verantwortlichen entworfen. Mit der Umsetzung des Plans wurden zwei Strategien verfolgt. Zum ersten wurden „New Towns“ außerhalb der Stadtgrenzen gegründet und bestehende Vororte konsequent erweitert. Zum zweiten wurden „Periphal Housing Estates“ als Hochhaussiedlungen in den Randgebieten der Stadt errichtet. Rund eine halbe Millionen Menschen sollten dem Plan zufolge von der Innenstadt in die neuen Siedlungen umgesiedelt werden. Parallel dazu wurden in der Innenstadt „Comprehensive Development Areas“ ausgewiesen. In diesen Sanierungs- und Abbruchgebieten wurden mittels Flächensanierung die historisch gewachsenen Strukturen vieler Tenement Siedlungen systematisch zerstört. Diese Flächen sollten zum Neubau entdichteter Wohnbebauung genutzt werden. Diese Stadtentwicklungsstrategie wurde bis in die 1970er Jahre verfolgt. Im Rückblick wurde diese Politik als „kommunalpolitisch legitimierte Stadtzerstörung“158 bewertet und war in weiten Teilen fehlgeschlagen. Der Abriss historisch gewachsener Strukturen und wertvoller Bausubstanzen wurde ebenso wie die Errichtung monotoner, und später zu sozialen Brennpunkten verkommener, Hochhaussiedlungen kritisiert. Darüber hinaus zogen insbesondere die jungen und qualifizierten Einwohnerschichten in die „New Towns“, denen wiederum Betriebe und Unternehmen folgten. Die Innenstadt verlor, bestärkt durch den wirtschaftlichen Niedergang und dadurch ausgelösten Abwanderungswellen, in kurzer Zeit über 400.000 Einwohner und die wenigen starken Unternehmen. Die Dezentralisierungspolitik verstärkte somit den natürlichen Prozesse der Deindustrialisierung und hat der Stadt Glasgow insgesamt mehr geschadet als geholfen. Diese Erkenntnis setzte sich jedoch nur langsam durch. Im Jahr 1974 wurden die Flächensanierungen schließlich gestoppt.159 Die zweite Phase der Stadtentwicklungspolitik währte von 1970 bis 1980 und umfasste Maßnahmen der erhaltenden Stadterneuerung. In dieser Zeit war der Niedergang der alten Industrien bereits stark voran geschritten. Hohe Arbeitslosenzahlen und zunehmende Betriebsschließungen prägten das Stadtbild der Stadt Glasgow. Die Zentralregierung in London reagierte auf den ökonomischen Niedergang zunächst mit einer umfangreichen Subventionspolitik. Eingebunden in die Ideologie des Wohlfahrtstaates der amtierenden Regierung sollten umfangreiche Umbauprozesse in den veralteten Industriestrukturen mittels staatlicher Subventionen initiiert werden. Die Förderung war zunächst auf wenige Jahre beschränkt, dauert dennoch bis Ende der 1970er Jahre an. Bedingt durch die hohe Arbeitslosigkeit, der Angst vor sozialen Unruhen und durch politische Interventionen hatte sich die Zentralregierung zunehmend in die Belange der niedergehenden Industrien Großbritanniens, darunter die Schwerindustrie in Glasgow, verwickelt. Verstaatlichungen und Subventionen konnten den alten Industrien Glasgows jedoch nicht zu neuem Wachstum verhelfen.160 Das Stadtbild von Glasgow wurde in dieser Zeit zunehmend von verlassenen Industrieanlagen geprägt. Hinzu kamen die 158 Greiner, Johann (2005): a.a.O., S.109. 159 Vgl. Ebenda. 160 Vgl. Enge, Thorsten (2005): a.a.O. 52 großen innerstädtischen Brachareale die von den Flächensanierungen früherer Konzepte herrührten. Die neue Stadtentwicklungspolitik versuchte diese Missstände zu beheben und verfolgte eine Stärkung der innerstädtischen Gebiete. Es sollten keine weiteren Abrisse stattfinden, sondern Teile der historischen Bausubstanz und des viktorianischen Architekturstils erhalten bleiben.161 Der „Strathclyde Regional Report“ wurde im Jahr 1976 erarbeitet und legte Maßnahmen zur Revitalisierung des Zentrums und der regionalen Wirtschaftsförderung fest. Zur Umsetzung trug die, im Jahr 1975 auf Initiative der Zentralregierung gegründete, „Scottish Development Agency“ bei. „Als zentrale Institution und wichtiges Instrument zur Förderung der schottischen Wirtschaft durch die britische Regierung in London sollte die SDA [Scottish Development Agency] zukünftig den Strukturwandel hin zur Dienstleistungsgesellschaft begleiten.“162 In Glasgow wurden mittels der Scottish Development Agency die ersten Großprojekte zur Revitalisierung der Kernstadt und zur Förderung der lokalen Wirtschaft eingeleitet.163 Die dritte Phase der Stadtentwicklungspolitik ist auf den Zeitraum der 1980er Jahre datiert und wurde als „New Urban Politics“ benannt. Mit dem Regierungsantritt der Londoner Zentralregierung unter Margret Thatcher im Jahr 1979 änderten sich die politischen Rahmenbedingungen für die alten Industrien im gesamten Vereinigten Königreich. Das Prinzip der „Mixed Economy“ aus verstaatlichten und privatwirtschaftlichen Unternehmen wurde durch die Einführung der privatwirtschaftlichen Marktwirtschaft beendet. „Ziel der Politik Thatchers war es, „die britische Wirtschaft von nicht wettbewerbsfähigen Strukturen zu befreien, die unternehmerische Initiative zu fördern und die Menschen aus der vermeintlichen Passivität von Empfängern sozialer Leistung heraus zu holen.“164 Als Folge dieser Politik wurden die verstaatlichten Betriebe der Glasgower Schwerindustrie innerhalb kurzer Zeit der Privatwirtschaft zugeführt. Ohne die Unterstützung staatlicher Subventionen gingen weitere Unternehmen bankrott und die Arbeitslosigkeit in der Region stieg in kurzer Zeit rapide an.165 Die Probleme in Glasgow verschärften sich. Zum Höhepunkt der Krise gründete sich im Jahr 1985 die Vereinigung „Glasgow Action“. Diese setzte sich aus führenden Persönlichkeiten der Glasgower Wirtschaft zusammen und fungierte als private Förderinitiative. In Kooperation mit der Kommune und der Scottish Development Agency zielte die Initiative darauf ab, die Glasgower Innenstadt zum Ort moderner Dienstleistung zu entwickeln. Mitte der 1980er Jahre erstellte das Beratungsbüro „McKinsey&Co.“ eine StärkenSchwächen-Analyse des Standorts Glasgow. Die Empfehlung sah die Schaffung von Nutzflächen für neue Verwaltungs- und Dienstleistungsbetriebe sowie die Verbesserung des städtebaulichen Erscheinungsbildes vor. Unter Einbezug dieser Forderungen wurde der „Glasgow Area Central Local Plan“ im Jahr 1986 erarbeitet. Mittels dieses Plans wurden wichtige Quartiere des Glasgower Zentrums umfangreich revitalisiert und wirtschaftlich aufgewertet. Der baulichen Aufwertung und der Etablierung als Dienstleistungsstandort stand jedoch lange Zeit das schlechte Image Glasgows entgegen. Sowohl das Selbstimage als auch das Außenimage der Stadt wurden bis in die 1980er Jahre weitestgehend von der 161 162 163 164 Vgl. Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.)(1988): a.a.O. Greiner, Johann (2005): a.a.O., S.117. Vgl. Ebenda. Sturm, Roland (2008b): Entwicklung Großbritanniens seit 1945, in: Informationen zur politischen Bildung, Nummer 262 2008, S.6. 165 Vgl. Enge, Thorsten (2005): a.a.O. 53 Wahrnehmung Glasgows als „Rough City“166, geprägt durch Verwahrlosung, Gewalt und Drogenmiseren, dominiert.167 4.1.3.2 Zentrale Projekte der Stadtentwicklung Der Herausforderung zur Verbesserung des schlechten Images wurde in den 1980er Jahren mit der Inwertsetzung des kulturellen Erbes der Stadt begegnet. Die kulturellen Einrichtungen der Stadt, die „Scottish Opera“, das „Scottish Ballet“ und das „Glasgow Citizen Theatre“ wurden zum Ausgangspunkt der neuen Entwicklungsstrategie. Diese sah vor, Glasgow zur Kulturtourismusdestination und zum Konferenz- und Tagungsstandort zu entwickeln. Nach Etablierung der Idee wurde diese konsequent umgesetzt. Die Eröffnung der „Burrell Collection“, die Imagekampagne „Glasgow`s Miles Better“, die Eröffnung des „Scottish Exhibition and Conference Centre“ und das „Glasgow Garden Festival“ haben wesentlich zur Etablierung der Glasgower Kulturdestination beigetragen. Als Ausgangspunkt der Inwertsetzung des kulturellen Erbes Glasgows gilt die Eröffnung der „Burrell Collection“. Der wohlhabende Reeder Sir William Burrell hatte der Stadt Glasgow bereits im Jahr 1944 eine Kunstsammlung von über 8.000 Exponaten geschenkt. Die Sammlung setzte sich aus wertvollen Originalen antiker und orientalischer Künstler zusammen, aber auch Gemälden von Degas, Rembrandt und Bellini waren Teil der Sammlung. Im südwestlich gelegenen Pollok Park wurde im Jahr 1983 ein Ausstellungsgebäude für die Sammlung erbaut. Die Burrel Collection war zu dieser Zeit das größte britische Museum außerhalb Londons. „The priceless Burrell Collection is one of the premier attractions of Scotland. A key feature is the splendid harmony between collection, building and surounding parkland.”168 Innerhalb kurzer Zeit erreichten die Besucherzahlen der Ausstellung einen Jahreswert von über einer Millionen Menschen.169 Die Imagekampagne „Glasgow`s Miles Better“ wurde im Jahr 1984 gestartet und endete im Jahr 1990. Mit der Headline „Glasgow`s Miles Better“ und dem personifizierten Smiley „Mr. Happy“ sollte der positive Wandel Glasgows vermarktet werden. Der Slogan war dabei zweideutig lesbar, zum einen als „Glasgow is miles better“ und zum anderen „Glasgow smiles better“.170 Das Ziel der Kampagne bestand sowohl in der Verbesserung des Selbst- als auch des Außenimages der Stadt Glasgow. „Glasgow had long suffered from negative images as a dirty, dangerous place synonymous with razor gangs and football violence. Not only did this lower the morale of its citizens, but it greatly hampered efforts to generate a tourist industry, to make Glasgow a visitor centre, and to attract dispersed businesses and inward investment.”171 Zum einen verfolgte die Imagekampagne eine verbesserte Wahrnehmung der Stadt durch die Glasgower Bürger. Diesen wurde das Bild einer deutlich aufgewerteten Stadt vermittelt.172 Zum anderen zielte die Kampagne auf die Vermarktung Glasgows als attraktiven Dienstleistungsstand- 166 Greiner, Johann (2005): a.a.O, S.123 167 Vgl. Ebenda. 168 Glasgow City Council (Hrsg.)(2007): Cultural Renaissance The 1980s and 1990s, Online– Dokument: http://www.glasgow.gov.uk/en/AboutGlasgow/History/Cultural+Renaissance.htm, Stand 24. Januar 2011. 169 Vgl. Greiner, Johann (2005): a.a.O. 170 Vgl. Semsek, Hans (2006): Schottland Edingurgh Glasgow Highlands, Ostfildern. 171 Glasgow City Council (Hrsg.)(2007): a.a.O. 172 Vgl. Greiner, Johann (2005): a.a.O. 54 ort, als Stadt der Künste und als Stadt der Bildung. Dabei erreichte die Imagekampagne eine starke internationale Aufmerksamkeit. Über Jahre stand „Glasgow`s Miles Better“ symbolisch für den Wandel der Stadt Glasgows.173 Ein wichtiger Schritt zu Etablierung Glasgows als Konferenz- und Tagungsstandort, stellte die Eröffnung des „Sottisch Exhibition and Conference Centre“ im Jahr 1985 dar. Architektonisch auffällig, wurde das Ausstellungs- und Konferenzzentrum in Form einer Muschel direkt an der Nordseite des Flusses Clyde erbaut. Es stand symbolisch für den Beginn der städtebaulichen Neugestaltung der größtenteils brachliegenden Flächen am Fluss Clyde. Als eines der größten Ausstellungszentren Schottlands etablierte sich der Standort schnell für britische und internationale Konferenzen, Ausstellungen und Konzerte. Die Besucherzahlen stiegen schnell auf eine Millionen Besucher pro Jahr an.174 Das „National Garden Festival“ führte die Entwicklung der alten Brachflächen am Clyde fort. Von April bis September 1988 fand auf einer Brachfläche südlich des Flusses Clyde das dritte britische „Garden Festival“ statt. „The Festival was sited on the desolate landscape of the former Princes Dock, Govan on the south bank of the Clyde. The 60-acre site was transformed to accommodate a horticultural haven of 112 gardens containing thousands of shrubs, trees and plants cultivated throughout Scotland.”175 Darüber hinaus wurde das „Garden Festival“ zum Anlass genommen die infrastrukturelle Anbindung des Flusses Clyde an die City zu verbessern. Insgesamt besuchten über vier Millionen Menschen das Graden Festival, so dass es wichtige Impulse zur Etablierung Glasgows als Touristendestination sowie zur Verbesserung des Glasgower Images initiierte.176 Die Stadtentwicklungspolitik hatte sich seit den 1980er Jahre stark verändert. Erhaltende Strukturpolitik und die Fokussierung auf die Innenstadt standen zunehmend im Mittelpunkt. Insbesondere die neue Inwertsetzung der kulturellen Potenziale der Stadt Glasgow hatte maßgeblich zur Entwicklung der Stadt beigetragen. 4.1.4 Strukturelle Herausforderungen im Jahr 1986 Die Entwicklung Glasgows war seit dem zweiten Weltkrieg bis zu den 1980er Jahren durch einen kontinuierlichen Niedergang der dominierenden Industriebranchen geprägt. Die ehemals prosperierende Wirtschaftsregion hatte sich zur Altindustrieregion entwickelt. Erste Ansätze eines gesteuerten Strukturwandels wurden zu Beginn der 1980er Jahre deutlich. Insbesondere durch die, von der Zentralregierung eingerichtete, Scottish Development Agency wurde die Stärkung der Stadt Glasgow als Dienstleistungsstandort und als Tourismusdestination in Kooperation mit den lokalen Verwaltungsinstanzen vorangetrieben. Mitte der 1980er Jahre stand die Stadt dennoch vielen Herausforderungen gegenüber. Diese waren weitestgehend durch den wirtschaftlichen Niedergang und die altindustrielle Prägung begründet. Im Folgenden werden die Problematiken denen die Stadt Glasgow Mitte der 1980er Jahren gegenüber stand untersucht. Die Untersuchung 173 174 175 176 Vgl. Schiller, Tobias (2007): a.a.O. Vgl. Greiner, Johann (2005): a.a.O. Glasgow City Council (Hrsg.)(2007): a.a.O. Vgl. Greiner, Johann (2005): a.a.O. 55 ist auf die Bereiche Wirtschaft und Arbeitsmarkt, Städtebau und Stadtbild sowie Außenimage und Tourismus fokussiert. 4.1.4.1 Wirtschaft und Arbeitsmarkt Die Wirtschaftsstruktur der Stadt Glasgow wurde bis in die späten 1980er Jahre vom Niedergang der alten Industriebranchen dominiert. Der Bestand alter Strukturen, im Sinne von ungenutzten Brachflächenarealen, leer stehender Industrieanlagen und teils rückständiger Infrastrukturausstattung, behinderten lange Zeit die Ansiedlung neuer Wachstumsbranchen in der Stadt.177 „Glasgow [has] not been able to attract any of the manufacturing inward investment which has come to Scotland as a result of the cheap production environment, but also the strategy of services in the city has not been effective”178 Die Maßnahmen der “New Urban Politics” initiierte erstmals entscheidende Impulse zur zukünftigen Wirtschaftsentwicklung. Die Stärkung des Dienstleistungssektors, die Verbesserung der Lebensqualität und des Images leiteten einen langsamen aber stetigen Prozess zur Förderung der lokalen Wirtschaft ein. „Die Stadt war seit dem 15. Jahrhundert ein geistiges Zentrum mit Kathedrale und Universität, seit dem 18. Jahrhundert eine Handelsstadt, im 19. und 20. Jahrhundert eine Industriestadt und sie befindet sich jetzt in einer Phase als postindustrielle Stadt noch auf der Suche nach einem neuen ökonomischen Paradigma.“179 Aufbauend auf den endogenen Potenzialen, sollte sich zukünftig der öffentliche Dienstleistungssektor im Bereich der Gesundheitswirtschaft, der Verwaltung und des Bildungsbereichs und der private Dienstleistungssektor im Bereich der Finanzwirtschaft als wachstumsstark erweisen. Zusätzlich sollten sich die Biotechnologie, die Creative Industries sowie die Tourismusbranche zu Wachstumsbranchen der Stadt Glasgow entwickeln.180 Mitte der 1980er Jahren standen diese Entwicklungen jedoch noch ganz am Anfang. Begründet durch verschiedenste Hemmnisse der Altindustrieregion Glasgow, lag die Wirtschaftskraft der Region zu dieser Zeit noch deutlich unter dem britischen Durchschnitt. Die Unternehmen des produzierenden Gewerbes gingen deutlich zurück und der Dienstleistungssektor entwickelte sich in Glasgow zunächst nur zögerlich. Lediglich der öffentliche Dienstleistungssektor entsprach im Durchschnitt dem nationalen Wachstum. „However the reason behind this trend was the decision to locate various branches of national public sector administration in Glasgow and the conurbation.”181 So wurde bspw. die Verwaltung der Scottish Development Agency, mit Zuständigkeitsbereich ganz Schottlands, nicht in Edingburgh sondern in Glasgow angesiedelt.182 Dagegen verzeichnete der private Dienstleistungssektor in Glasgow zunächst nur ein geringes Wachstum. In den 1980er Jahren errichteten die „Bank of England“, die „Clydesdale Bank“ und das Finanzinstitut „Scottish Amicable Life Assurance Society“ jeweils Niederlassungen in der Stadt. Diese Ansiedlungen stellten zwar den Anfang für die Entwicklung Glasgows zum Finanzwirtschaftsstandort dar, konnten jedoch Mitte der 1980er Jahre erst ein geringes Wachstum aufweisen. Zusammenfassend zeigten sich Mitte 177 178 179 180 181 182 Vgl. Enge, Thorsten (2005): a.a.O. Gómez, María (1998): a.a.O., S.118. Enge, Thorsten (2005): a.a.O., S.151. Vgl. Ebenda. Gómez, María (1998): a.a.O., S115. Vgl. Schiller, Tobias (2007): a.a.O. 56 der 1980er Jahre erste positive Entwicklungen im Glasgower Dienstleistungssektor, die jedoch noch ganz am Anfang standen.183 Die langsame aber stetige Entwicklung im Dienstleistungssektor konnte die Problematik der steigenden Arbeitslosigkeit in Glasgow nicht verhindern. Die Arbeitslosenquote stieg bis Mitte der 1980er Jahre an und lag im Jahr 1986 bei rund 21,5%. „A continuing decline of the manufacturing and traditional service sector, accompanied by modest growth in modern services, with an associated notable rise in female participation in the labour market. [It was summarized that] the predominant symptom of decline was the growth of unemployment, and particularly long-duration unemployment. This became particularly marked over the period 1979-85.”184 Die Entwicklung des Arbeitsmarktes in der Region Glasgow, dargestellt in Abb. 7, zeigt den kontinuierlichen Abbau an Arbeitsplätzen im produzierenden Gewerbe für den Zeitraum von 1961 bis 1981. Die abgebauten Stellen konnten durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor nicht kompensiert werden, so dass ein negatives Saldo bei der Arbeitsplatzentwicklung zu verzeichnen war. Abb. 7 Entwicklung der Arbeitsplätze aufgeteilt nach Wirtschaftssektoren 600 Produzierendes Gewerbe Dienstleistung Arbeitsplätze [in Tsd.] Gesamt 400 200 0 1961 1971 1978 1981 Entwurf: Eigene Darstellung, Frankfurt 2010 Quelle: Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.)(1988): Erneuerung einer alten Industriestadt - Galsgow`s miles better, Schriftenreihe Forschung des Bundesministers für Raumordnung Bauwesen und Städtebau Heft 454, Dortmund.S.29. Verstärkt wurde diese Problematik durch die häufig unzureichende Qualifikation ehemaliger Industriearbeiter für Stellen im Dienstleistungsbereich. „Whereas in the past unskilled assembly-line work offered employment for many Glasgow school leavers (post)modern labour markets increasingly require employees with some 183 Vgl. Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.)(1988): a.a.O. 184 Gómez, María (1998): a.a.O., S.108. 57 degree of education qualification.”185 Durch diesen Umstand wurde die Langzeitarbeitslosigkeit vieler arbeitsloser Industriearbeiter sowie die Arbeitslosigkeit vieler junger Schulabsolventen deutlich verstärkt.186 Die Wirtschaftsstruktur der Stadt als auch der Region Glasgow waren Mitte der 1980er Jahre im Umbruch. Die Betriebe des produzierenden Gewerbes gingen kontinuierlich nieder, während sich die Branchen des Dienstleistungssektors erst zögerlich entwickelten. Daraus resultierte eine hohe Arbeitslosenzahl mit einem hohen Anteil an Langzeitarbeitslosen und junger Arbeitslosen. Ausgehend von Mitte der 1980er Jahre galt es, in der Stadt und in der Region Glasgow neue Wirtschaftstrukturen zu schaffen, Wachstumsbranchen anzusiedeln und nachhaltige Arbeitsplätze sowohl im qualifizierten als auch gering qualifizierten Bereich zu schaffen. 4.1.4.2 Städtebau und Stadtbild Die städtebauliche Entwicklung der Stadt Glasgow wurde, ausgehend vom 19. Jahrhundert, zunehmend von der Industrialisierung geprägt. Die Textilindustrie, die Eisen- und Stahlproduktion und die Schiffbauindustrie hatten die Stadtentwicklung Glasgows nachhaltig beeinflusst. Ausgebaut zum „Workhouse of the World“187 waren mit der Industrialisierung umfangreiche Flächeninanspruchnahmen durch die Industriebetriebe einhergegangen. Gedrängte Fabriken, Lagehallen und Kai Häfen prägten das Stadtbild Glasgows ebenso wie zahlreiche vom Industriestaub geschwärzte Fassaden. Parallel dazu waren die historischen Stadtstrukturen zunehmend durch neue Arbeitersiedlungen überformt worden. Das starke Bevölkerungswachstum hatte enorme Bautätigkeiten für neue Wohnsiedlungen erforderlich gemacht. Mit der Deindustrialisierung, während des wirtschaftlichen Niedergangs, gingen viele Betriebe bankrott oder wurden in andere Regionen verlagert. In der Stadt Glasgow verblieben große Industriebrachen und unzählige leer stehende Industriebetriebe. Die starke Bevölkerungsabwanderung und die Dezentralisierungspolitik der 1960er Jahre verschärften den Leerstand und die Brachflächenentwicklung in der Stadt Glasgow.188 Das Stadtbild veränderte sich radikal und von dem einstigen Stadtbild einer wohlhabenden Wirtschaftsregion, geprägt durch den viktorianischen Architekturstil aus dem 18. Jahrhundert, war kaum etwas geblieben. Das Ausmaß der Brachflächenentwicklung Mitte der 1980er Jahre verdeutlicht die Tab. 1. Innerhalb von knapp zehn Jahren hatte sich die Brachflächenproblematik in Glasgow verschärft. Rund 9% der Stadtfläche wurden durch Brachflächen in Anspruch genommen. Dabei lag die Durchschnittsgröße der rund 1350 Brachflächen deutlich über einem Hektar. Da ein Großteil der Brachflächen am Ufer des Fluss Clyde entstanden und viele der Flächensanierungen in der Innenstadt durchgeführt worden waren, lagen viele der Brachflächen nahe oder im Zentrum der Stadt. Insofern wurde das Stadtbild Glasgows maßgeblich durch die Brachflächen beeinflusst. Dabei wirkte sich die Brachflächenproblematik negativ auf unterschiedlichste Bereiche aus. „Art und Umfang verlassener Produktionsflächen bilden in 185 186 187 188 Pacione, Miachael (2009): Urban Geographie – A global Perspective, New York, S.201. Vgl. Ebenda. Greiner, Johann (2005): a.a.O. S.101. Vgl. Ebenda. 58 einer Stadt nicht nur als `eyesore` (Augenweh) ein Problem, sondern vor allem auch als sichtbares Zeichen des Niedergangs: findet sich niemand der in so eine Fläche investieren will, dann ist eine ungünstige Auswirkung auf die gesamte Umgebung vorprogrammiert.“189 Die Mehrheit der städtischen Brachflächen stellten industrielle Brachen dar. Rund 90% der Brachflächen aus dem Jahr 1986 waren durch den industriellen Niedergang entstanden Tab. 1 Entwicklung der Brachflächen in Glasgow Brachen 1977 Brachen 1984/1985 1054 1364 Gesamtumfang der Brachflächen 1562 ha 1870 ha Durchschnittsgröße einer Brachfläche 1,48 ha 1,37 ha 7,7% 9,2% Brachflächen Anzahl der Brachflächen Anteil am Stadtgebiet Entwurf: Eigene Darstellung, Frankfurt 2010 Quelle: Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.)(1988): Erneuerung einer alten Industriestadt-Galsgow`s miles better, Schriftenreihe Forschung des Bundesministers für Raumordnung Bauwesen und Städtebau Heft 454, Dortmund, S.82. Für die Brachflächen in der gesamten Region Strathclyde wurden im Jahr 1986 Umnutzungsmöglichkeiten untersucht. Da ein Großteil der regionalen Brachflächen im Glasgower Stadtgebiet lag, sind die Erkenntnisse ansatzweise auf die Stadt zu übertragen. Die Umnutzungsmöglichkeiten, der Brachflächen waren je nach Brache sehr unterschiedlich. Ein Großteil der Brachflächen (40% der Brachen in der gesamten Strathclyde Region) konnten zunächst keiner Weiternutzung zugeführt werden. (Abb. 8). Gründe dafür waren unter anderem eine hohe Kontamination mit Altlasten oder eine Weigerung der Eigentümer zum Verkauf bzw. zur Aufbereitung der Flächen. Seitens der Verwaltung war die Abteilung „Policy and Intelligence Unit“ des District Councils für die Flächen- und Nutzungsverteilung in der Gesamtstadt zuständig. In Kooperation mit der Regionalplanung und der Scottisch Development Agency, sollten die Flächen nach Möglichkeit einer wirtschaftlichen Wiedernutzung zugeführt werden. Um Investoren anzuziehen, wurden seitens der Verwaltung drei Strategien verfolgt. Zum ersten wurden Flächen aufbereitet, zum zweiten wurden alte Gebäudeeinheiten abgerissen und durch effektive Neubauten ersetzt und zum dritten fanden Umfeldverbesserungen statt. In den 1980er Jahren waren mittels dieser Strategie zunächst punktuelle Eingriffe erfolgt, eine flächendeckende 189 Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.)(1988): a.a.O., S.33. 59 Entwicklung der Brachflächen erfolgte aufgrund finanzieller Restriktionen nur langsam.190 Parallel zur Entwicklung der Brachflächen wurde die Innenstadt Glasgows durch Maßnahmen des Denkmalschutzes und der Fassadenreinigung aufgewertet. Das Ziel war es „augenscheinliche Missstände zu beseitigen und somit optischpsychologische Investitionshemmnisse abzubauen.“191 Abb. 8 Nutzungsmöglichkeiten industrieller Brachflächen in der Region Strathclyde 1986 Entwurf: Eigene Darstellung, Frankfurt 2010 Quelle: Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.)(1988): Erneuerung einer alten Industriestadt-Galsgow`s miles better, Schriftenreihe Forschung des Bundesministers für Raumordnung Bauwesen und Städtebau Heft 454, Dortmund, S.84. Das Stadtbild der Stadt Glasgow war Mitte der 1980er Jahre stark von den Hinterlassenschaften der Altindustrien geprägt. Große Brachflächenareale und verödete Mietshausviertel verstärkten das Bild von Desinvestition und städtischem Verfall. In den 1980er Jahren wurden erstmals Maßnahmen unternommen um diese Missstände zu beseitigen. Fokussiert auf die Innenstadt wurde das Stadtbild zunächst optisch aufgebessert und erste Revitalisierungsmaßnahmen von zentralen Quartieren durchgeführt. Seit Mitte der 1980er Jahre galt es die städtischen Aufwertungsmaßnahmen konsequent weiter zu führen und die brachliegenden Flächen konstruktiver Neunutzungen zuzuführen. 190 Vgl. Ebenda. 191 Vgl. Ebenda, S.86. 60 4.1.4.3 Außenimage und Tourismus Die Außenwahrnehmung der Stadt Glasgow wurde lange Zeit durch die Industriealisierung dominiert. In Zeiten prosperierender Wirtschaft, war Glasgow das wirtschaftliche Zentrum Schottlands und die zweitwichtigste Industriestadt im Vereinigten Königreich. In der Außenwahrnehmung stand der wirtschaftliche Erfolg lange Zeit an erster Stelle. Mit dem wirtschaftlichen Niedergang änderte sich diese Wahrnehmung. Einhergehend mit steigender Arbeitslosigkeit, der Abwanderung qualifizierte Bevölkerungsschichten und größer werdender sozialer Probleme, wurde Glasgow zunehmend als schmutzige, raue und unkultivierte Stadt wahrgenommen.192 In den nationalen Medien überwogen die negativen Schlagzeilen. Eine Langzeitstudie aus den 1980er Jahren bestätigt, dass Glasgow in den Medien durchweg als dreckig, verslumt, gewalttätig und politisch radikal dargestellt wurde.193 „Wenn Ende der 1970er Jahre ein Drehort für einen Kino- oder Fernsehfilm gesucht wurde, der dokumentarisch zum Thema Drogen in Großbritannien berichten wollte, oder man auf der Suche war nach Tatorten für einen Krimi oder eine Krimi-Serie, dann wurde sehr häufig zuerst in Glasgow gesucht.“194 Diese negative Imagezuschreibung dominierte lang Zeit die öffentliche Wahrnehmung der Stadt. Selbst über die ersten sichtbaren Zeichen des Strukturwandels blieb dieses Image weitestgehend bestehen. Die städtebaulichen Maßnahmen zu Beginn der 1980er Jahre und die langsame aber stetige Wirtschaftsförderung des Standorts Glasgow wurden von außen kaum wahrgenommen. „So zeigten auch bspw. die Briten jahrzehntelang praktisch keine Bereitschaft, ihre Vorstellung von Glasgow der veränderten Wirklichkeit anzupassen. Dazu kommt, dass negative Schlagzeilen immer stärker, eindrücklicher sind und länger im sowieso selektiven Gedächtnis blieben; zumal dann wenn sie Vorurteile bestätigen.“195 Trotz sichtbarer Veränderungen stand die Stadt lange der Herausforderung eines negativen Images gegenüber. Den neu gefassten Zielen der „New Urban Policies“, die Entwicklung Glasgows zum Dienstleistungsstandort und zur Tourismusdestination, stand das negative Image lange Zeit entgegen. „It should not be forgotten that Glasgow at that moment had the reputation of being locked into a downward spiral of decline, in which the city`s negative image was a major disincentive to potential investors.”196 Einhergehend mit den umfangreichen Revitalisierungsmaßnahem der Glasgower Innenstadt, wurde im Jahr 1984 die Imagekampagne „Glasgow`s Miles Better“ gestartet. Der Wandel der Stadt Glasgow von einer altindustriellen Stadt hin zu einer post-industriellen Stadt wurde dadurch vermarktet. Sowohl das Selbstimage der Glasgower Einwohner als auch und das Außenimage der Stadt konnte durch die Kampagne positiv beeinflusst werden. Dieser Erfolg zeigte sich unter anderem in der Tourismusentwicklung der Stadt Glasgow. Einhergehend mit den strukturellen 192 Vgl. Blotevogel, Hans et.al.(1999): Regionalmarketing für das Ruhrgebiet: Internationale Erfahrungen und Bausteine für eine Region mit Zukunft – „Strukturwandel an der Ruhr im internationalen Vergleich“ Ein Projekt des Initiativkreises Ruhrgebiet, Essen. 193 Vgl. Staatskanzlei des Landes Nordrhein–Westfalen(Hsg.)(2007): Strukturwandel durch Kultur– Städte und Regionen im postindustriellen Wandel, Online–Dokument: http://www.u.kulturserver.de/shop/freedownload_send.php3?file=freeware/servicebuero/struktur wandel_kultur_staatskanzlei.pdf&mimetype=application%2Fx–coremedia–dynamic, Stand 24. Januar 2011. 194 Greiner, Johann (2005): a.a.O., S.124. 195 Blotevogel, Hans et.al.(1999): a.a.O., S.45. 196 Gómez, María (1998): a.a.O., S.111. 61 Verbesserungen der kulturellen Infrastruktur, angestoßen durch die Burrell Collection und die Stärkung Glasgows als Konferenz- und Tagungsstandort durch die Eröffnung des Scottish Exhibition and Conference Centre, stiegen die Besucheranzahlen ab Mitte der 1980er Jahren an.197 Zugleich wurde auch das „Greater Glasgow Tourismus Board“ in den 1980er Jahren gegründet. Die Darstellung in Abb. 9 verdeutlicht die positive Tourismusentwicklung. Vom Jahr 1962 bis zum Jahr 1984 hatten sich die Touristenzahlen mehr als verdoppelt. Darüber hinaus blieben die erhöhten Tourismuszahlen in den folgenden Jahren relativ konstant. Obwohl zu diesen Zahlen keine qualitative Befragung der Besucher vorliegt, spricht diese Entwicklung dafür, dass die kulturtouristischen Maßnahmen in den 1980er Jahre positive Effekte auf den Tourismus in Glasgow erzielen konnten.198 Abb. 9 Entwicklung des Tourismus Touristen [in Mio.] 2,0 1,0 0,0 1962 1984 1986 1988 Entwurf: Eigene Darstellung, Frankfurt 2010 Quelle: Garcia, Beatriz (2009): From Glasgow 1990 to Liverpool 2008 - Retracing two decades of culture-led regeneration initiaties and their long term legacies, Liverpool, Online-Dokument: http://www.liv.ac.uk/impacts08/Papers/BG%282009-1017%29istanbul.pdf, Stand 24 Januar 2011. Das Außenimage der Stadt Glasgow wurde Mitte der 1980er Jahre noch stark von den industriellen Klischees bestimmt. Die Veränderungen der Stadt Glasgow wurden von außen kaum wahrgenommen. Durch erste Maßnahmen, wie die Imagekampagne aus dem Jahr 1984, hatten sich die Touristenzahlen ab den 1980er Jahren positiv entwickelt. Trotzdem stand die Etablierung der Stadt Glasgow 197 Vgl. Blotevogel, Hans et.al.(1999): a.a.O. 198 Vgl. Garcia, Beatriz (2009): From Glasgow 1990 to Liverpool 2008 – Retracing two decades of culutre–led regeneration initiaties and their long term legacies, Liverpool, Online–Dokument: http://www.liv.ac.uk/impacts08/Papers/BG%282009–10–17%29istanbul.pdf, Stand 24 Januar 2011. 62 als Tourismusdestination noch ganz am Anfang. Ausgehend von Mitte der 1980er Jahre galt es die positive Imageentwicklung weiter zu führen und das touristische Potenzial der Stadt weiter auszubauen. 4.2 Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe” Die Stadt Glasgow erhielt die Auszeichnung zur Kulturhauptstadt Europas für das Jahr 1990. Als erster Titelträger der zum Zeitpunkt der Verleihung weder eine Hauptstadt noch ein Zentrum klassischer europäischer Kultur war, wurde die Kulturhauptstadt „Glasgow, European City of Culture 1990“ zum Pionier in der Geschichte der Europäischen Kulturhauptstädte. Glasgow setzte den Titel Kulturhauptstadt Europas erstmals systematisch als nachhaltiges Stadtentwicklungsinstrument ein. Ebenfalls erstmalig in der Initiative Kulturhauptstadt Europas war das Kulturhauptstadtprogramm auf kulturelle, soziale und ökonomische Zielsetzungen ausgerichtet und wurde als Ganzjahresprogramm ausgestaltet. Die Kulturhauptstadt Glasgow 1990 steht daher in mehreren Hinsichten für eine Neuinterpretation der Initiative Kulturhauptstadt Europas. 4.2.1 Vorbereitungsphase Die Ernennung zur Kulturhauptstadt Europas 1990 basierte auf einer strukturierten Vorbereitungs- und Bewerbungsphase. Bereits in den 1980er Jahren kam den Verantwortlichen die Idee zur Bewerbung um den Titel Kulturhauptstadt Europas. Mittels umfangreichen Bemühungen wurde die Bewerbung von den lokalen und regionalen Akteuren Glasgows konsequent verfolgt. 4.2.1.1 Rechtliche Grundlagen Der erste Beschluss der europäischen Kulturminister aus dem Jahr 1985 legte fest, dass das Vereinigte Königreich im Jahr 1990 als Gastgeberland der Kulturhauptstadt Europas auftreten sollte. Somit galt die „Entschliessung der im Rat vereinigten für Kulturfragen zuständigen Minister vom 13. Juni 1985 für die alljährliche Benennung einer Kulturstadt Europas“ als rechtliche Grundlage für die Ausgestaltung der Kulturhauptstadt „Glasgow, European City of Culture 1990“. Die wenigen Restriktionen des Beschlusses erlaubten der Stadt Glasgow eine individuelle Ausgestaltung des Kulturhauptstadtjahres. Die inhaltliche Ausgestaltung, die organisatorische Durchführung sowie die Finanzierung konnten, unter der Zielsetzung der Förderung einer kulturellen europäischen Verständigung, nahezu frei festgelegt werden. Zusätzlich zu dem europäischen Beschluss, legte das britische „Office of Arts and Libraries“ auf nationaler Ebene Reglungen für die Auswahl und Durchführung der Kulturhauptstadt Europas fest.199 4.2.1.2 Bewerbungsverfahren Der Bewerbungsprozess der Stadt Glasgow zur Kulturhauptstadt Europas 1990 ist in drei Phasen einzuteilen. Die erste Phase war die „interne Sondierungsphase“. In den 1980er Jahren hatte die Stadt Glasgow bereits einige erfolgreiche Projekte mit kulturellem Fokus veranstaltet. Die positiven Erfahrungen aus diesen Projekten ließen die Verantwortlichen zu der Erkenntnis kommen, dass die Kulturhauptstadt 199 Vgl. Europäische Gemeinschaften (1985): Entschliessung der im Rat vereinigten für Kulturfragen zuständigen Minister vom 13. Juni 1985 für die alljährliche Benennung einer Kulturhauptstadt Europas, Luxemburg. 63 Europas, als internationales und renommiertes Kulturevent, ein ideales Mittel zur positiven Vermarktung der post-industriellen Stadt Glasgow sei. Die Akteure der Glasgow Action Initiative gehörten zu den ersten Befürwortern der Bewerbung, zunehmend unterstützt vom Greater Glasgow Tourismus Board und vom Glasgow District Council.200 Im Jahr 1985 kam der Aufruf des britischen Kulturministers zur Bewerbung um den Titel Kulturhauptstadt Europas für das Jahr 1990. Daraufhin wurde unter Leitung des Glasgow City Council und in Zusammenarbeit zahlreicher kultureller Akteure ein Bewerbungskonzept für die Stadt Glasgow erarbeitet. Als zweite Phase des Bewerbungsprozesses folgte der „Nationale Wettbewerb“. Auf nationaler Ebene konkurrierte Glasgow mit acht weiteren Städten um den Titel Kulturhauptstadt Europas. Zu den Konkurrenten zählten die schottische Hauptstadt Edinburgh, die beiden Städte Cardiff und Swansea aus Wales und die englischen Städte Bath, Bristool, Cambridge, Leeds und Liverpool. Im April 1986 reichten die Bewerberstädte ihre Bewerbungen beim Office of Arts and Libraries ein. Bereits sechs Monate später, am 20. Oktober 1986, gab der britische Kulturminister Glasgow als Sieger des nationalen Wettbewerbs bekannt. Die Stadt Glasgow stand damit als Nominierung des Vereinigten Königreichs für die Kulturhauptstadt Europas 1990 fest. Der damalige britische Kulturminister begründete die Auswahl mit folgenden Worten: „Glasgow put forward the best case. It has an impressive range of cultural activities and excellent facilities. The city has an international outlook and a keen desire to expand its European connections. I am convinced that the city will mount and finance a programme which will do credit to the UK and demonstrate to Europe some of the most positive aspects of the arts in Britain today.”201 Die Nominierung Glasgows als Kulturhauptstadt Europas für das Jahr 1990 wurde dem Europäischen Kulturministerrat übermittelt. Als dritte Phase galt die Entscheidung und Auszeichnung durch den Europäischen Kulturministerrat. Im November 1986 wurde die britische Nominierung einstimmig durch den Europäischen Ministerrat bestätigt. Die Stadt Glasgow wurde mit dem Titel Kulturhauptstadt Europas 1990 ausgezeichnet.202 Die Ernennung Glasgows löste in vielen Kreisen Europas Erstaunen aus. „The selection had considerable shock value (and in particularly pleased Glaswegians that nowhere was this shock more keenly felt than in Edingburgh).”203 Als Erfolgsfaktoren der Glasgower Bewerbung, galten die hohe Professionalität und innovative Ausrichtung des Kulturhauptstadtkonzeptes. Die inhaltliche Neuausrichtung wurde von Beginn an durch ein professionelles Bewerbungskonzept getragen. Zudem baute das Konzept auf der Stadtentwicklungspolitik auf. Dadurch setzte Glasgow neue Maßstäbe in der Ausgestaltung der Initiative Kulturhauptstadt Europas. Während Paris, als Kulturhauptstadt Europas aus dem Jahr 1989, im November des Vorjahres noch kein tragfähiges Konzept für das Kulturhauptstadtjahr erarbeitet hatte, konnte 200 Vgl. Schiller, Tobias (2007): a.a.O. 201 Zit. in: Glasgow City Council (Hrsg.)(1992): The 1990 Story – Glasgow Cultural Capital of Europe, Glasgow, S.7. 202 Vgl. Ebenda. 203 Mettler, Elisabeth (2008): Nachhaltige Effekte oder Strohfeuer für ein Jahr?–Die Kulturhauptstadt Glasgow 1990, Luxemburg 1995 und Weimar 1999, in: Mittag Jürgen (Hrsg.): Die Idee der Kulturhauptstadt Europas Anfänge, Ausgestaltung und Auswirkungen der Europäischen Kulturhauptstadt, Essen, S.134. 64 Glasgow bereits vier Jahre vor dem Kulturhauptstadtjahr mit einem professionell ausgearbeiteten Konzept aufwarten.204 4.2.2 Konzeption „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe” Der Glasgow District Council war die federführende Instanz bei der Bewerbung und Durchführung der Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“. Die Kulturhauptstadt Glasgow war demnach ein primär städtisches Projekt. Dennoch hatte sich der Strathclyde Regional Council an den Vorbereitungen und der Durchführung der Kulturhauptstadt beteiligt. Einzelne regionale Projekte wurden durch seine Initiative in das Kulturhauptstadtprogramm integriert. Die organisatorische und inhaltliche Ausgestaltung der Kulturhauptstadt 1990 wurde aber auf das Stadtgebiet Glasgow fokussiert. 4.2.2.1 Organisatorische Ausgestaltung Der Glasgow District Council fungierte als leitende Instanz zur Vorbereitung und Durchführung der Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“. Im Juli 1987 wurde das „Festivals Office“, als zentrale Planungs- und Koordinationsstelle der Kulturhauptstadt, beim Glasgow District Council eingerichtet. Das Team des Festivalbüros stand als zentraler Koordinator in enger Kooperation mit den städtischen Kulturinstitutionen, wie dem städtischen Kulturbüro, den Theatern, Galerien und Museen. Die Verantwortungsbereiche des Festivals Office umfassten die Koordination der Kulturhauptstadtprojekte, die Öffentlichkeitsarbeit, die Verwaltung der von der Stadt bewilligten Finanzmittel und die Koordination des Sponsorings. Das Team des Festivalbüros gliederte sich, unter der Leitung des Direktors Robert Palmer und des stellvertretenden Direktors Neil Wallace, in vier Zuständigkeitsbereiche. Der erste Zuständigkeitsbereich umfasste die Geschäftsführung, die Finanzen und die Administration, den zweite Zuständigkeitsbereich bildete die Programmkoordination, der dritte Bereich schloss die Öffentlichkeitsarbeit ein und der vierte Zuständigkeitsbereich umfasste das Sponsoring. Die Programmkoordination war wiederum in verschiedene Themenbereiche unterteilt. Projekte der „Performend Arts“, der „Visual Arts“, der „Local Arts“ und des „Sport“ wurden von jeweils eigenen Teams verwaltet und koordiniert. Die Ausführung der einzelnen Projekte wurde meist auf andere Organisationen übertragen. Das Festibalbüro fungierte primär als Koordinator des Kulturhauptstadtprogramms. „Most of [the projects] were passed on to other organisations. A few remained in house […] and were managed with ad hoc teams of extra staff.”205 Während des gesamten Vorbereitungs- und Durchführungsprozesses der Kulturhauptstadt 1990 war das Festivals Office mit unterschiedlichsten Akteuren der lokalen, regionalen und nationalen Ebene vernetzt. Beispielsweise hatten das Greater Glasgow Tourismus Board, die Scottish Development Agency oder das Office of Arts and Libraries die Prozesse der Kulturhauptstadt stets interessiert verfolgt und teils stark unterstützt. Zur Zusammenführung der verschiedenen Akteure wurde das „Festival`s Advisory Committee“ gegründet. Es setzte sich aus 204 Vgl. Oerters, Kathrin (2008): Die finanzielle Dimension der europäischen Kulturhauptstadt–Von der Kulturförderung zur Förderung durch Kultur, in: Mittag Jürgen (Hrsg.): Die Idee der Kulturhauptstadt Europas Anfänge, Ausgestaltung und Auswirkungen der Europäischen Kulturhauptstadt, Essen, S. 97–124. 205 Myerscough, John (1994): European Cities of Culture and Cultural Months – Full Report Study prepared for the Network of Cultural Cities of Europe, Glasgow, S.115. 65 rund 60 Vertretern unterschiedlichster künstlerischer und kultureller Institutionen aller politischen Ebenen zusammen. Diese unterstützten und berieten das Festivals Office hinsichtlich der Planung und Umsetzung des Kulturhauptstadtprogramms. Das Kulturhauptstadtbudget der Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ wurde vom Festivals Office verwaltet. Um die Vergabe der Finanzmittel zu kontrollieren und demokratisch zu legitimieren, wurde zusätzlich das „SubCommittee of Festivals“ eingerichtete. Das Komitee wurde vom Direktor des Glasgow City Council geleitet. Das Gesamtbudget der Kulturhauptstadt Glasgow betrug rund 32,7 Millionen britische Pfund. Der wesentliche Anteil wurde von den kommunalen Verwaltungseinheiten und von privaten Sponsoren getragen. Der Anteil des Glasgow District Council betrug 19,2 Millionen Pfund und der Anteil des Stratclyde Region Council betrug 12,8 Millionen Pfund. Von nationaler Ebene wurden lediglich 0,5 Millionen Pfund und von Europäischer Seite nur 0,08 Millionen Pfund für das Gesamtbudget aufgebracht. Dieses Basisbudget wurde im Verlauf der Kulturhauptstadt 1990 durch Sponsorengelder erweitert. Diese wurden insgesamt auf rund 6,5 Millionen Pfund geschätzt.206 4.2.2.2 Inhaltliche Ausgestaltung Die inhaltliche Ausrichtung der Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ unterlag der übergeordneten Zielsetzung, den positiven Wandel der Stadt Glasgow nach außen zu vermarkten. „The motive to profit from the event arose from the desire to demonstrate a new face of Glasgow, as a European post-industrial city geared to growth and a commitment to using the arts as a means of communicating its renaissance.”207 Im Rahmen der Kulturhauptstadt wurden zwei konkrete Ziele verfolgte. Erstens galt es, das Kulturhauptstadtjahr durch ein „visible high profile programme of cultural activities“208 auszugestalten. Zweitens sollte die Kulturhauptstadt nachhaltige Effekte für die kulturelle, soziale und ökonomische Entwicklung der Stadt initiieren. Die Verantwortlichen strebten eine Stärkung der kulturellen Strukturen, ein verbessertes Image, die Schaffung von Arbeitsplätzen und eine stärkere Einbeziehung aller sozialen Gruppen in kulturellen Aktivitäten an.209 Basierend auf diesen Zielsetzungen stand die Kulturhauptstadt Glasgow 1990 unter dem Motto „There`s a Lot Glasgowing On in 1990“. Die Ausgestaltung des Mottos „There`s a Lot Glasgowing On in 1990“ basierte auf der Definition eines weit gefassten Kulturbegriffs. Die Kulturhauptstadt sollte nicht allein ein Event der kulturinteressierten Elite Glasgows werden, sondern alle Einwohnerschichten ansprechen. Dazu wurde das Kulturverständnis weit gefasst. „Culture is not only about art. It cannot be confined. The culture of a city is what people do now and have done in the past. It is a process which includes all and excludes none.”210 Neben den klassischen Künsten der Malerei, Dichtung und Musik zählten auch Alltagkünste zum Kulturbegriff. Das Kulturhauptstadtprogramm umfasste daher Projekte unterschiedlichster Ausrichtung, die unterschiedlichste Zielgruppen ansprachen.211 Folglich waren in der Planung des Programms verschiedenste Institutionen beteiligt. Das Spektrum reichte von offiziellen 206 207 208 209 210 211 Vgl. Ebenda. Glasgow City Council (Hrsg.)(1992): a.a.O., S.27. Myerscough, John (1994): a.a.O., S.112. Vgl. Ebenda. Glasgow City Council (Hrsg.)(1992): a.a.O., S.3. Vgl. Ebenda. 66 kulturellen Institutionen über ehrenamtliche Gruppen bis zu Akteuren aus der Privatwirtschaft. Insgesamt waren über 7.000 Akteure und Organisationen in die Planung der rund 3.000 Veranstaltungen der Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ einbezogen.212 Um den Zugang zu Veranstaltungen sicher zu stellen waren eine Reihe der Darbietungen und Ausstellungen kostenlos zugänglich.213 Insgesamt fungierte die Kulturhauptstadt als eine Plattform auf der die verschiedenen Kulturen Glasgows, unabhängig von der Einteilung nach Hochund Massenkultur, präsentiert werden konnten. Gemäß dem Motto „There`s a Lot Glasgowing On in 1990” gestaltete sich das Kulturhauptstadtprogramm vielfältig. Das reguläre Jahreskulturprogramm der Stadt Glasgow wurde durch das Kulturhauptstadtprogramm, basierend auf dem erweiterten Kulturbegriff, in unterschiedlichster Weise erweitert und ergänzt. Die Ausweitung des regulären Jahreskulturprogramms wurde auf folgende Aspekte fokussiert: Das Angebot der bestehenden Kultureinrichtungen wurde durch zusätzliche Darbietungen erweitert. So nahm bspw. die Burrell Collection zusätzliche Ausstellungen in ihr Programm auf. Des Weiteren wurden zusätzliche, zentral initiierte Projekte veranstaltet. Bspw. wurde die Theaterreihe „The Ship" als neues Theaterspiel mit insgesamt 56 Auftritten für die Kulturhauptstadt von zentraler Stelle entwickelt. Schließlich wurden Projekte von unabhängigen oder teils neu gegründeten Organisationen im Kulturhauptstadtjahr getragen. So wurde bspw. das Projekt „Call that Singing“ von einem Bürgerchor als freies Projekt initiiert. Die kulturellen Projekte unter dem Motto „There`s a Lot Glasgowing On in 1990“ setzten sich also aus etablierten Kulturveranstaltungen und extra für das Jahr neu entwickelten Projekten zusammen.214 Die Vielfalt der Projekte, die im Rahmen der Kulturhauptstadt initiiert wurden, lässt sich anhand der jeweiligen kulturellen Zuordnung in sieben Bereiche unterteilen. Musik: Im Rahmen der Kulturhauptstadt wurden eine Reihe musikalischer Projekte umgesetzt. Klassische Darbietungen wurden unter anderem vom „Scottish National Orchestra“, dem chinesisch-amerikanischen Cellist Yo Yo Mat und dem italienischen Tenor Luciano Pavarotti geboten. Teils umfangreiche Kooperationsprojekte, wie bspw. das Zusammenspiel zwischen dem Leipzig Gewandhaus, dem Polnischen Kammerorchester und dem „European Community Youth Orchestra“, fanden ebenfalls während des Kulturhauptstadtjahres statt. Im Rahmen des „Cranhill Arts Project“ wurde das ehemals etablierte Glasgower Backcourt Concert wiederbelebt. Neben den klassischen und traditionellen Musikprojekten, fanden auch einige Gemeinschaftsprojekte statt. Das Projekt „Call That Singing“ lud alle interessierten Sänger das ganze Jahr über zum gemeinsamen Singen ein. Als herausragendes Musikevent galt das Projekt „The Big Day“. Einen ganzen Tag lang traten auf drei Bühnen innerhalb der Stadt verschiedenste Musikgruppen auf. Das Open Air Event wurde zum best besuchten Event des Jahres. Theater: Das Theaterprogramm während der Kulturhauptstadtjahres war thematisch weit gefasst. „With performances reflecting current social concerns as much as historical ones, from Glasgow-born and based companies to ones of the highest international standing.”215 Klassische Aufführungen standen dabei neben außergewöhnlichen Darbietungen. Nicht nur im Theater, sondern an verschie212 213 214 215 Vgl. Greiner, Johann (2005): a.a.O. / Myerscough, John (1994): a.a.O. Vgl. Glasgow City Council (Hrsg.)(1992): a.a.O. Vgl. Myerscough, John (1994): a.a.O. Glasgow City Council (Hrsg.)(1992): a.a.O., S.11. 67 densten Orten der Stadt wurden Performances aufgeführt.216 Als herausragendes Theaterstück galt das Stück „The Ship“. Professionelle Schauspieler und Arbeiter stellten zusammen das Arbeiten am Clyde nach. Der Bau eines Schiffes wurde in insgesamt 56 Aufführungen originalgetreu in einer ehemaligen Werft als Theateraufführung präsentiert.217 Tanz: Verschiedenste Tanzstile, im Einzeltanz oder im Gruppentanz, wurden im Rahmen der Kulturhauptstadt präsentiert. Klassische Aufführungen, bspw. durch das Scottish Ballet, standen neben innovativen und neuartigen Performances. In Workshops konnten lokale Tänzer zusammen mit internationalen Akteuren zusammen arbeiten. So fanden bspw. intensive Workshops unter der Leitung der beiden Choreographen Mike Mayhew (aus Neuseeland) und Becky Edmunds (aus England) im Kulturhauptstadtjahr statt. Ausstellungen: Das gesamte Kulturhauptstadtjahr über fanden täglich rund 70 Ausstellungen parallel, in Glasgow statt. Die Werke moderner und klassischer Künstler als auch lokaler und internationaler Künstler wurden in verschiedensten Ausstellungen präsentiert. Zusätzlich gab es eine Reihe von Ausstellungen, welche die Bürger zum Mitmachen animierten. Beispielsweise setzte sich die Fotoausstellung „Glasgweginas by Glaswegians“ aus Fotos vom alltäglichen Leben des Glasgower zusammen. Die Ausstellung des Springburn Museums setzte sich mit den Veränderungen des nördlich gelegenen Stadtteils Springburn auseinander. Das alte Springburn wurde dem neuen Springburn gegenüber gestellt. Das Projekt „Keeping Glasgow in Stitches“, wurde im „Kelvingrove Art Gallery and Museum“ durchgeführt. Als Zusammenarbeit zwischen professionellen Künstlern und begeisterten Amateuren, wurde für jeden Monat des Jahres jeweils ein großes Banner genäht. Die Künstler entwarfen die Banner, welche wiederum von den rund 600 Amateuren erstellt und genäht wurden. So entstand bspw. ein Banner für den Monat Mai: „The May banner, entitled Painting the Town Red, sketched by Andrew Hay, represented the socialist tradition of Glasgow.”218 Sport: Neben den populären Fussballevents des regulären Glasgower Jahresprogramms wurden im Rahmen der Kulturhauptstadt weitere Sportveranstaltungen präsentiert. Etablierte Events wie die „European Indoor Athletic Championships“ wurden ebenso eingebunden wie spezifischere Sportarten, bspw. die „World Highland Games“ oder die „UK tae-Kwon-do Team Championships“. Film: Eine Reihe von Filmprojekten wurde im Rahmen der Kulturhauptstadt umgesetzt. Dabei wurden sowohl politische Thematiken und soziale Aspekte als auch lokale Thematiken in unterschiedlichsten Filmprojekten thematisiert. Beispielsweise wurde mit dem Filmprojekt, „Points East“ die veränderten Rahmenbedingungen von Mittel- und Osteuropa in Beziehung zur ehemaligen UDSSR thematisiert. Darüber hinaus fand im Rahmen der Kulturhauptstadt das „Women`s international Film Festival“ statt, welches unter anderem Mary Pickford als „den“ weltweit höchst bezahltesten Filmdirektor früher Zeiten herausstellte. Architektur. Viele der beschriebenen Performances haben an unterschiedlichsten Orten in Glasgow stattgefunden. Mit dem Projekt „Music in Architecture“ wurde bspw. eine Serie an Musikevents in den historischen und teils renovierten Gebäuden Glasgows abgehalten. Insgesamt wurde die historische Bausubstanz 216 Vgl. Ebenda. 217 Vgl. Schiller, Tobias (2007): Glasgow 1990 – Ruhrgebiet 2010: a.a.O. 218 Glasgow City Council (Hrsg.)(1992): a.a.O., S.20. 68 mittels der Kulturhauptstadt neu in Szene gesetzt.219 Darüber hinaus fanden eine Reihe von Neu- und Umbaumaßnahmen statt. Eins der wichtigsten Projekte war der Neubau der Royal Concert Hall, die nördlich des Clyde auf der Fläche der ehemaligen St. Andrews Hall errichtet wurde. Darüber hinaus wurden die McLellan Gallery, das Glasgow Film Theatre und das Museum of Education neben weiteren kleineren Bauprojekten restauriert bzw. erweitert. Einhergehend mit den baulichen Veränderungen erhielten viele Gebäude im Rahmen der Kulturhauptstadt ein neues Beleuchtungssystem.220 Die erläuterten Projekte der Kulturhautstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ zeigen die breite Spanne an kulturellen Events auf. Durch die Erweiterung des regulären Jahreskulturprogramms wurde die klassische Kunst insbesondere durch experimentellere Ansätze erweitert. Mit dem Motto „There`s a Lot Glasgowing On in 1990” sollte die kulturelle Vielfalt Glasgows herausgestellt werden. Darüber hinaus sollte das Motto die Veränderungen Glasgows hin zu post-industriellen Stadt aufzeigen. Glasgow wollte sich als eine lebendige Stadt im Wandel präsentieren. 4.3 Auswirkungen der Kulturhauptstadt Glasgow 1990 auf die Altindustriestadt Glasgow Die Mehrzahl der Projekte der Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ fanden im Kulturhauptstadtjahr 1990 statt. Einige Projekte wurden bereits im Vorfeld des Kulturhauptstadtjahres initiiert und andere Projekte auch nach 1990 weiter geführt. Eine Strategie zur strukturellen Weiterentwicklung der Projekte des Kulturhauptstadtjahres wurde von den Verantwortlichen jedoch im Vorfeld nicht erarbeitet. Die Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ umfasste somit den Zeitraum ab der offiziellen Nominierung (ab 1986) bis zum Ende des Kulturhauptstadtjahres (bis 1990). Als Evaluierungszeitraum der Auswirkungen der Kulturhauptstadt Glasgow 1990 auf die Stadt Glasgow, wird folglich der Zeitraum von Anfang 1986 bis Ende 1990 festgelegt. Die Veränderungen, welche in diesem Zeitraum durch die Kulturhauptstadt Glasgow erwirkt wurden, sollen untersucht werden. Folglich handelt es sich um eine „Ex-Post-Evaluation“. Die Untersuchung basiert auf einer Auswertung des Kulturhauptstadtprogramms und bisher veröffentlichter Evaluationen und Berichten zur Kulturhauptstadt „Glasgow, Capital of Culture“. 4.3.1 Wirtschaftsstruktur und Arbeitsmarkt Die Herausforderungen hinsichtlich der regionalen Wirtschaftstruktur und des regionalen Arbeitsmarktes bestanden Mitte der 1980er Jahre im Niedergang der dominierenden Industriebranchen. Neue Wachstumsbranchen waren zu diesem Zeitpunkt kaum etabliert. Die Anzahl der Arbeitslosen stieg kontinuierlich an, wobei der Anteil der Langzeitarbeitslosen besonders hoch war. Es galt, die Ansiedlung neuer Wachstumsbranchen im Raum Glasgow zu fördern und eine nachhaltige Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt zu erzielen. 4.3.1.1 Auswirkungen Im Rahmen der Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ wurde die Stärkung der regionalen Wirtschaft verfolgt. Mittels der Kulturhauptstadtprojekte 219 Vgl. Ebenda. 220 Vgl. Myerscough, John (1994): a.a.O. 69 wurden sowohl direkte als auch indirekte Effekte für die Wirtschaftsstruktur erzielt. Direkte Auswirkungen ergaben sich durch die steigenden Tourismuszahlen, die Schaffung neuer Arbeitsplätze und die Förderung einzelner Wirtschaftsbranchen. Indirekte Effekte wurden durch das Marketing und die Förderung des Images initiiert. Der Nettobetrag, den die regionale Wirtschaft während des Kulturhauptstadtjahres erwirtschaftete, wurde häufig als übergeordneter Indikator zur Bilanzierung der wirtschaftlichen Auswirkungen von „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ herangezogen. Nach unterschiedlichen Angaben, wird der Nettobetrag auf eine Summe zwischen 7,1 Millionen Pfund und 14,1 Millionen Pfund geschätzt.221 „This figure covers the impact of additional visitor spending and of income generation at facilities and events. It allows for induced and indirect impacts and is net of relevant additional public sector expenditure on the City of Culture during 1990.”222 Im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres hatten somit diverse Wirtschaftsbranchen der Region nennenswerte finanzielle Zusatzeinnahmen verzeichnet. Als eine der wichtigsten Einnahmequellen der regionalen Wirtschaft galt der Tourismus. Im Kulturhauptstadtjahr war die Anzahl der Touristen, sowohl der Tagestouristen als auch der Übernachtungsgäste, stark angestiegen. Einhergehend mit den steigenden Gästezahlen wurden erhöhte Einnahmen in touristisch ausgerichteten Wirtschaftssektoren erzielt. Von den touristischen Einnahmen profitierten neben den kulturellen Institutionen ebenso die Hotellerie und die Gastronomie der Stadt. Als weiterer Indikator zur Bewertung der wirtschaftlichen Auswirkungen, galt die Anzahl der geschaffenen Arbeitsplätze in Glasgow. Den unterschiedlichen Einschätzungen zufolge, lag die Anzahl der im Jahr 1990 neu geschaffenen Arbeitsplätze zwischen 5.300 und 5.800 Stellen. Die meisten dieser Stellen wurden im kulturellen Sektor geschaffen. Insgesamt arbeiteten im Jahr 1990 rund 21.500 Arbeitnehmer im Kultursektor. Prozentual ist die Anzahl der Arbeitnehmer im Kultursektor, am Anteil aller Arbeitnehmer, von 2,3% im Jahr 1986 auf 2,8% im Jahr 1990 angestiegen. Dies lässt darauf schließen, dass zumindest ein Teil der neu geschaffenen Arbeitsplätze auf die kulturellen Veranstaltungen der Kulturhauptstadt zurück zu führen sind. Insgesamt wurde die Wirtschaftlichkeit der neu geschaffenen Arbeitsplätze wie folgt bewertet. „Gross public sector cost per job was calculated at £6,980. This compares favourably with estimates of £20,000 plus per job found in earlier research on initiatives such as Enterprise Zones.”223 Als dritter Indikator zur Untersuchung der wirtschaftlichen Effekte der Kulturhauptstadt, wurde die Entwicklung einzelner Wirtschaftsbranchen untersucht. Dabei fiel insbesondere die Entwicklung der „Creative Industries“ positiv auf. Obwohl im Rahmen der Kulturhauptstadt kein Fokus auf die Förderung der regionale Kreativwirtschaft gelegt wurde, verzeichnete diese Wirtschaftsbranche ein Wachstum von 3,9% im Zeitraum von 1986 bis 1990. „Art trade, music industry, designer trades, film and video“224 wurden als Komponenten der Creative Industries definiert. Da im Rahmen der Kulturhauptstadt zahlreiche Projekte der Creative Industries initiiert wurden, scheint das Wachstum dieser Branchen hauptsächlich durch die Kulturhauptstadt begründet 221 Vgl. Glasgow City Council (Hrsg.)(1992): a.a.O. / Myerscough, John (1994): a.a.O. 222 Myerscough, John (1992): Measuring the impacts of the arts The Glasgow 1990 experience, in: Journal of the Market Research Society, Heft 34/4 1992, S.30. 223 Myerscough, John (1992):a.a.O., S.330. 224 Myerscough, John (1994): a.a.O, S.126. 70 zu sein.225 Dennoch ist die Entwicklung der Kreativwirtschaft Glasgows, ebenso wie die Entwicklung der weiteren wirtschaftlichen Indikatoren unter Vorbehalt zu bewerten. Die Kausalität zwischen den wirtschaftlichen Effekten und den Projekten der Kulturhauptstadt konnte nicht klar belegt werden. „There is no clear evidence of 1990 being a direct catalyst for other successes in terms of Glasgow`s economic development such as the consistent growth in inward investment and job creation.”226 Neben den direkten Auswirkungen, erzielten die Vermarktung der Kulturhauptstadt Glasgows und die Maßnahmen zur Verbesserung des Außenimages positive Effekte auf die Wirtschaftstruktur. Der Wirtschaftsstandort Glasgow profitierte insbesondere von einer verbesserten Wahrnehmung durch Außenstehende. Erhöhte Tourismuszahlen und positive Berichterstattungen durch die Medien, haben dem Standort Glasgow erhöhte Aufmerksamkeit als kulturelles und wirtschaftliches Zentrum Westschottlands gebracht. Insbesondere die hohe Lebensqualität und das positive Arbeitsumfeld wurden nach außen vermarktet. Umfragen zufolge verstärkte sich zum Ende des Jahres 1990 und in den Jahren danach die positive Wahrnehmung der Stadt Glasgow deutlich.227 Die Unternehmen des Wirtschaftsstandorts Glasgow profitierten also nicht direkt durch erhöhte Umsätze sondern vielmehr vom verbesserten Image. Die Anziehung finanzstarker Investoren, die Ansiedlung neuer Unternehmen sowie die Anziehung qualifizierter Arbeitskräfte wurden Einschätzungen zufolge durch das verbesserte Außenimage langfristig gefördert. Diese Verbesserung war also maßgeblich für die Anwerbung neuer Wachstumsbranchen und diente der nachhaltigen Stärkung der Wirtschaftstrukturen Glasgows. Der Untersuchung der direkten und indirekten Effekte zufolge, hat die Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ viele positive Impulse für die Wirtschaftsentwicklung der Stadt gebracht. Obwohl die Kausalität meist nicht direkt gegeben war, ist die regionale Wirtschaft dennoch durch die Kulturhauptstadt gestärkt worden. Doch insbesondere die langfristige Entwicklung Glasgows gab auch Anlass zu einigen Kritikpunkten: “The main criticism […] is Glasgow`s failure to resolve its social problems. Typically, 1990 success was seen in economic terms generating low-wage jobs and benefiting elites-political, corporate, cultural or otherwise - while doing little to alleviate the city`s underlying structural economic problems.”228 So konnten im Rahmen der Kulturhauptstadt zwar einige Arbeitsplätze geschaffen werden, die Arbeitslosenquote der Stadt Glasgow konnte dadurch jedoch nicht signifikant gesenkt werden. Hinzu kam, dass viele der im Kulturhauptstadtjahr geschaffenen Arbeitsplätze als „nicht langfristig“ kritisiert wurden. „The quality of the jobs was often relatively poor and rarely provided the transferable skills that people need to remain in the job market in the long term.”229 Umfangreiche Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen der ehemaligen Industriearbeiter wurden im Rahmen der Kulturhauptstadt nicht geleistet.230 Rund 10 Jahre nach 225 Vgl. Ebenda. 226 Palmer, Robert (2004): European Cities and Capitals of Culture – Study prepared for the European Commission Part I+II, Brüssel, S.168. 227 Vgl. Myerscough, John (1994): a.a.O. 228 García, Beatriz (2005): Deconstructing the City of Culture The Long–term Cultural Legacies of Glasgow 1990, in: Urban Studies, Vol. 42 Nummer 5/6 2005, S.845. 229 Ebend, S. 861. 230 Vgl. Ebenda. 71 dem Kulturhauptstadtjahr war die Arbeitsmarktsituation immer noch schwierig: „We still have a high level of unemployment resident workforce who are unskilled and somehow rather are not competitive and attractive to the new jobs”231 Die Verbesserung des Außenimages wird dahingehen weitgehend positiv bilanziert. Zugleich wird der Prozess der Imageentwicklung als ein langwieriger Prozess bewertet. "Glasgow seems to have solved its image problem, but it has a long way to go before it achieves economic momentum and work for all its people.”232 Auf langfristige Sicht haben sich in Glasgow neue Wachstumsbranchen etabliert. Die Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ wird die Entwicklung vieler Wirtschaftsbranchen befördert haben, eine Kausalität ist jedoch lediglich bei der Förderung der Kreativwirtschaft auszumachen. Zusammenfassend wird die Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ als positiv bewertet: „Glasgow 1990 was valued as a backdrop for business. The initiative was part of a evolving strategy to reclaim Glasgow`s European status as a good place to live and work.“233 4.3.2 Städtebau und Stadtbild Die Herausforderung hinsichtlich der städtebaulichen Entwicklung der Stadt Glasgow bestand Mitte der 1980er Jahre in einer hohen Anzahl an Brachflächen und einem negativen Stadtbild. Es galt, die hohe Anzahl an Brachflächen einer nachhaltigen Neunutzung zuzuführen und die Maßnahmen zur Aufwertung des Stadtbildes weiter zu führen. 4.3.2.1 Auswirkungen Im Rahmen der Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ wurde die industrielle Vergangenheit der Region Glasgow in einigen Projekten thematisiert. In Fotoausstellungen, Theatervorführungen oder musikalischen Projekten wurde die industrielle Geschichte Glasgows untersucht, interpretiert und präsentiert. Die räumlichen Hinterlassenschaften der alten Industriebetriebe standen dabei jedoch kaum im Fokus kultureller Veranstaltungen.234 Lediglich das Theaterstück „The Ship“ setzte eine ehemalige Werft, durch die Nutzung als Aufführungsort, industriekulturell neu in Szene.235 Darüber hinaus wurde im Rahmen der Kulturhauptstadt kaum mit alten Industriebrachen oder alten Industrierelikten experimentiert. Insofern stellte die Kulturhauptstadt keine Trendwende im Umgang mit den alten Industrieanalgen dar. Die meisten Industrierelikte wurden ab den 1980er Jahren abgerissen und die Flächen einer Neunutzung zugeführt. In diesem Sinne fanden im Rahmen der Kulturhauptstadt einige Neubauten sowie Erweiterungs- und Umbauten statt. Die kulturelle Infrastruktur wurde dabei deutlich gestärkt und ausgebaut. “The most visible legacy is of course the […] brand new Royal Concert Hall and Tramway. The McLellan Galleries, King`s Theatre, Theatre Royal and Citizens` have all been substantially refurbished, and extensions completed to the People`s Palace. The Dome of Discovery, The Arches Theatre, a 231 Zit. In: Helms, Gesa (2001): Glasgow The friendly city The safe city - an agency orientated enquiry into the practices of place-marketing safety and social inclusion, Schriftenreihe Praxis Kultur- und Sozialgeographie 23 2001, Potsdam, S.57 232 Gómez, María (1998): a.a.O., S.115. 233 Myerscough, John (1994): a.a.O., S.126. 234 Vgl. Blotevogel, Hans et.al.(1999): a.a.O. 235 Vgl. Schiller, Tobias (2007): a.a.O. 72 second auditorium in Glasgow Film Theatre, Dieter Magnus` Garnethill Park, a relocated Scottish Mask & Puppet Centre, are all developments carried out because of Glasgow`s Cultural Capital status.”236 Insofern hat die Kulturhauptstadt Glasgow 1990 zur städtebaulichen Weiterentwicklung, fokussiert auf kulturelle Institutionen, beigetragen. Dabei profitierte insbesondere die Innenstadt von diesen Maßnahmen. In Abb. 10 wird deutlich, dass die meisten der baukulturellen Projekte im Zentrum Glasgows umgesetzt wurden. Bedeutend ist dabei, dass die Kulturhauptstadt bei vielen Bauprojekten weniger als Initiator sondern vielmehr als Katalysator fungierte. Viele Planungen waren bereits in Planung oder Bearbeitung, so dass das Kulturhauptstadtjahr zum Anlass genommen wurde die Planungen umzusetzen. Dabei wird die finanzielle Förderung durch die Kulturhauptstadt von hoher Bedeutung gewesen sein. So galt für den Bau der Royal Concert Hall folgendes: „plans were underway regardless of 1990, but the event helped accelerate the process.”237 Neben den baulichen Maßnahmen wurden im Rahmen der Kulturhauptstadt Glasgow 1990 Projekte zur Verbesserung des Stadtbildes durchgeführt. Die bereits in den 1980er Jahren begonnene Reinigung und Renovierung der historischen Bausubstanz wurde durch einige Projekte der Kulturhauptstadt aufgegriffen. So wurden historische Gebäude restauriert, kulturell bespielt oder durch Beleuchtungssysteme neu in Szene gesetzt. Das besondere Stadtbild Glasgows, maßgeblich geprägt durch die erhaltenen Gebäude des viktorianischen Architekturstils, wurde sozusagen einem „Facelifting“ unterzogen und umfangreich aufgewertet.238 Abb. 10 Räumliche Verteilung der wichtigsten Bauprojekte Entwurf: Eigene Darstellung, Frankfurt 2010 Quelle: Grafische Grundlage: Scottish Politics Research Unit (HRsg.)(o.J.): Glasgow Council maps, Online-Dokument: http://www.alba.org.uk/maps/glasgowmaps.html, Stand 24. Januar 2011. 236 Glasgow City Council (Hrsg.)(1992): a.a.O., S.33. 237 Palmer, Robert (2004): a.a.O., S.167. 238 Vgl. Myerscough, John (1994): a.a.O. 73 Die Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ wurde zur Weiterführung der bereits in den 1980er Jahren begonnenen Maßnahmen zur Verbesserung des Städtebaus und des Stadtbildes, genutzt. Insbesondere auf langfristige Sicht wurde die kulturelle Infrastruktur der Stadt erheblich aufgewertet und positiv verändert. Kritikpunkte dieser Maßnahmen waren insbesondere die innerstädtische Fokussierung der Baumaßnahmen. Im Rahmen der Kulturhauptstadt wurde die Innenstadt stark aufgewertet. Es wurde kritisiert, dass die Kulturhauptstadt dadurch zur Entwicklung einer „Dual City Glasgow“ beigetragen hätte. Begründet durch die Stadtentwicklungsmaßnahmen der 60er Jahre hatte sich zunehmend eine Diskrepanz zwischen der Innenstadt und den Randzonen entwickelt. Das „glanzvoll und pompöse City Center“239 stand den teils elenden und maroden Randgebieten entgegen.240 „Glasgow has become a dual city, characterised by cultural-led regeneration, physical renewal in the city centre alongside the City`s large peripheral housing estates, all too frequently depicted as residual backwaters of dependency poverty and crime.”241 Einzelne Projekte der Kulturhauptstadt mögen diese Entwicklung bestärkt haben, insgesamt stellte Kulturhauptstadt jedoch lediglich einen Baustein einer langjährigen Entwicklungsstrategie mit Ausrichtung auf die Innenstadt Glasgows dar.242 4.3.3 Außenimage und Tourismus Die Herausforderung der Stadt Glasgow hinsichtlich des Außenimages bestand in den 1980er Jahren in einer Verbesserung und Erneuerung des Außenimages. Die Veränderung zu einer post-industriellen Stadt galt es nach außen zu vermarkten. Ein verbessertes Außenimage sollte Glasgow sowohl wirtschaftlich stärken als auch die Entwicklung zu einer Tourismusdestination fördern. 4.3.3.1 Auswirkungen Im Rahmen der Kulturhauptstadt “Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ wurde die Entwicklung Glasgows zur Tourismusdestination gestärkt. Sowohl das Außenimage als auch die touristische Infrastruktur wurden durch die Kulturhauptstadt maßgeblich verbessert. Die Kulturhauptstadt Glasgow 1990 hat sich positiv auf den städtischen Tourismus ausgewirkt. Im Zeitraum, ausgehend von der Nominierung zur Kulturhauptstadt Europas (1986 bis 1989) stiegen die Tourismuszahlen in Glasgow bereits leicht an. Im Kulturhauptstadtjahr (1990) stiegen die Tourismuszahlen weiter an, während sie im Jahr 1991 wieder rückläufig waren. Die prozentuale Entwicklung des Tourismus, dargestellt in Abb. 11 verdeutlicht den starken Anstieg während des Kulturhauptstadtjahres. Ausgehend vom Jahr 1989 haben die Übernachtungszahlen im Jahr 1990 um 11% zugenommen. Bereits die Tatsache, dass im gleichen Zeitraum der Tourismus im gesamten Landesteil Schottland rückläufig war, lässt darauf schließen, dass die Zunahme des Glasgower Tourismus durch das Kulturhauptstadtjahr begründet war. Unterstützt wird diese These zum einen dadurch, dass die Besucherzahlen im Jahr 1991 wieder auf den Ausgangswert vom Jahr 1989 239 Ulsamer, Cordula (1991): a.a.O, S.427. 240 Vgl. Ebenda. 241 Mooney, Gerry (2004): Cultural Policy as Urban Transformation? Critical Reflections on Glasgow European Capital of Culture 1990, in: Local Economcy, Vol. 19 Nummer 4, S.334. 242 Vgl. Schiller, Tobias (2007): a.a.O. 74 zurückfielen und zum anderen durch die hohe Anzahl ausländischer Übernachtungsgäste. Erstmals in der Geschichte Glasgows, stiegt die Besucherzahl ausländischer Gäste innerhalb eines Jahres um 50% an (Abb. 12). „Glasgow moved into third position among Britain`s top town destinations in overseas markets, behind London (10.3 millionen) and Edinburgh (770.000). It had been fourth equal with Birmingham in 1989 and sixth in 1986.”243 Glasgow verzeichnete im Jahr 1990 rund 450.000 Übernachtungsgäste aus dem Ausland. Während die Besucherzahlen insgesamt nach dem Jahr 1990 zunächst wieder zurück gingen, blieb die Zahl der ausländischen Besucher deutlich über dem Ausgangswert aus dem Jahr 1989. Dabei lag der Anteil der ausländischen Touristen in der Stadt Glasgow auch nach dem Jahr 1990 deutlich über dem Anteil ausländischer Besucherzahlen im gesamten Landesteil Schottland. Abb. 11 Entwicklung des Tourismus ausgehend vom Jahr 1989 Entwicklung des Tourismus [Basisjahr 1989 entspricht 100%] 120% 110% 100% 90% 80% Glasgow Schottland 70% 60% 1989 1990 1991 1992 1993 Entwurf: Eigene Darstellung, Frankfurt 2010 Quelle: Myerscough, John (1994): European Cities of Culture and Cultural Months - Full Report Study prepared for the Network of Cultural Cities of Europe, Glasgow, S.130. Bei einer Befragung der Besucher Glasgows im Jahr 1990 wurden die kulturellen Attraktionen der Stadt als Hauptreisegrund angegeben. Rund 66% der inländischen Touristen und 76% der ausländischen Touristen gaben die kulturellen Attraktionen als wichtigsten Reisegrund an. Dies bestätigt wiederum, dass die Kulturhauptstadt den Tourismus im Jahr 1990 maßgeblich beeinflusst hat. In der Abb. 13 ist die Verteilung der Besucher auf die kulturellen Institutionen in Glasgow aufgeführt. Demnach wurden die Museen und Galerien der Stadt mit rund 4,9 Millionen Besuchen weitaus häufiger besucht, als die Theater und Konzerte. Die Theater und Konzerte verzeichneten im Kulturhauptstadtjahr rund 1,7 Millionen Besuche. Während die Besucherzahlen der Museen und Galerien nach dem Kulturhauptstadtjahr jedoch wieder auf den Besucherwert der Zeit vor der Kulturhauptstadt zurück 243 Myerscough, John (1994): a.a.O., S.125. 75 fielen, blieben die Besucherzahlen der Theater und Konzerte nach dem Jahr 1990 relativ konstant. Es wird deutlich, dass im Rahmen der Kulturhauptstadt die kulturelle Basis der Stadt erweitert wurde. Theater und Konzerte etablierten sich zunehmend als kulturelle Attraktionen neben den bereits seit Jahren etablierten Museen und Galerien der Stadt Glasgow. „Tourists averaged ten per cent of theatres concert attendance in 1990, whereas they had been a negligible factor in 1986.”244 Entwicklung des Tourismus aus dem Ausland [Basisjahr 1989 entspricht 100%] Abb. 12 Entwicklung des Tourismus aus dem Ausland ausgehend vom Jahr 1989 180% 160% 140% 120% Glasgow 100% Schottland 80% 1989 1990 1991 1992 1993 Entwurf: Eigene Darstellung, Frankfurt 2010 Quelle: Myerscough, John (1994): European Cities of Culture and Cultural Months - Full Report Study prepared for the Network of Cultural Cities of Europe, Glasgow, S.130. Einhergehend mit der Stärkung der Stadt Glasgow als Tourismusdestination, wurde das Außenimage der Stadt durch die Kulturhauptstadt verbessert.245 „The city`s image transformation from grim industrial centre to attractive creative hub, including the growth in leisure and business tourism that resulted partly from this image transformation.”246 Während die Auszeichnung Glasgows zur Kulturhauptstadt Europas im Jahr 1986 bereits europaweit für Aufsehen sorgte, verbesserte sich das Außenimage im Kulturhauptstadtjahr nachweislich. Im Zeitraum von Oktober 1989 bis September 1990 führte das Werbebüro „Saatchi & Saatchi“ in London und im Südwesten des Vereinigten Königreichs eine Umfrage bei Erwachsenen durch (keine Angabe der Anzahl der Befragten). Während im Jahr 1989 noch 48% der Befragten Glasgow für „rough and depressing“ hielten, vertraten diese Meinung Ende des Jahres 1990 nur noch 35% der Befragten. Parallel zu diesem Ergebnis stieg die Anzahl der Befragten deren Meinung nach Glasgow „rapidly changing for 244 Ebenda, S.125. 245 Vgl. Ebenda. 246 García, Beatriz (2005): a.a.O., S.845. 76 the better“. Im Oktober 1989 dachten nur 34% der Befragten, dass Glasgow sich schnell zum positiven ändern würde, während dies im September 1990 bereits 49% der Befragten bejahten.247 Abb. 13 Entwicklung der Besucherzahlen aufgeteilt nach Museen, Galerien und Theatern, Konzerten 6 Besucherzahlen in Millionen M useen, Galerien Theater, Konzerte 4 2 0 1985 1989 1990 1991 1992 Entwurf: Eigene Darstellung, Frankfurt 2010 Quelle: Myerscough, John (1994): European Cities of Culture and Cultural Months - Full Report Study prepared for the Network of Cultural Cities of Europe, Glasgow, S.131. Anhand dieser Zahlen wird deutlich, dass sich das Außenimage der Stadt Glasgow im Zeitraum der Kulturhauptstadt nicht sprunghaft aber stetig verbesserte. Insbesondere durch den Tourismus und die Medienberichte wurde dieser Prozess in den nächsten Jahren weiter geführt. „A sustained significant long-term impact has been the dramatic transformation of Glasgow`s image, from being perceived as a violent post-industrial city into being celebrated as a creative cultural and leisure centre and one of the most vibrant cities in the UK.”248 Die Berichterstattung der Medien hatte sich durch das Kulturhauptstadtjahr positiv verändert. Insbesondere im Jahr 1990 wurde eine umfangreiche Medienberichterstattung verzeichnet. „In the UK alone, press coverage amounted to the equivalent of a month`s editions of the Glasgow Herald or The Guardian. If Glasgow had been asked to pay for the amount of newspaper space taken up with 1990 events, it would have cost more than £5.4 millionen.”249 Darüber hinaus stieg das Interesse internationaler Medien an der Stadt. In rund 48 verschiedenen Nationen wurde von der Kulturhauptstadt Glasgow 1990 berichtet.250 Inhaltlich fielen die meisten Berichterstattungen positiv aus. So titelte bspw. das “Wall Street Journal” im Januar 1989 “Glasgow`s No Mean City 247 248 249 250 Vgl. Myerscough, John (1994): a.a.O. Palmer, Robert (2004): a.a.O., S.167. Glasgow City Council (Hrsg.)(1992): a.a.O., S.24. Vgl. Ebenda. 77 Anymore”251, der “Los Angeles Herald Examiner” im August 1990 „The ugly duckling of Europe has turned into a swan”252 und die “Vancouver Sun” im März 1990 “Form tough industrial town to cultural mecca.”253 Anhand der veränderten Berichterstattungen wurde die veränderte Außenwahrnehmung Glasgows deutlich. Insgesamt wurden die Effekte der Kulturhauptstadt auf das Image der Stadt Glasgow zu den wichtigsten Erfolgen gezählt. „In Glasgow`s case, a common claim is that the most successful and sustainable legacy of hosting the ECOC was precisely of cultural and symbolic nature: the transformation of Glasgows`s image.”254 Die Auswirkungen der Kulturhauptstadt “Glasgow, City of Culture 1990“ auf das Selbstimage und auf das Außenimage der Stadt wurden weitestgehend positiv bewertet. “Glasgow has a better reputation, today than it did in the period prior to the late 1980s, many ordinary Glasgwegians attended 1990 events and festivals, having exhibitions, conferences, large cultural events, new museums, new art centers etc. created opportunities of varied and multiple kinds for some Glasgwegians; jobs have been created in the arts and cultural sectors and tourists see Glasgow as an attractive destination for a short-break.”255 Insbesondere das Außenimage wurde durch das erhöhte Touristenaufkommen und die positiven Medienberichte aus dem Jahr 1999 verbessert. Trotzdem gab es Kritikpunkte an der Vermarktung der Kulturhauptstadt. “They revamp the image and leave reality behind. They propagate an image which is false. There is privation and dereliction of the housing schemes […] there is chronic unemployment and widespread […] poverty with the usual concomitants - drug abuse and the manifold forms of community violence. This is not the Merchant City, but this is the real Glasgow.”256 Diese Kritik ist unter anderem auf die innerstädtische Fokussierung vieler Kulturhauptstadtprojekte zurück zu führen. Mit Blick auf die langfristige Entwicklung Glasgows wurde häufig die Frage gestellt „what/whose Glasgow was being represented in 1990 - and who owned 1990“257. Im Rahmen der Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ fanden zwar Bemühungen statt, alle Interessensgruppen in die Vorbereitung der Kulturhauptstadt zu integrieren, dennoch wurde die Innenstadt durch die Kulturhauptstadt stärker gefördert und vermarktet als die Randgebiete der Stadt. Somit tritt diese Kritik teilweise zu, jedoch darf dabei nicht außer Acht gelassen werden, dass die Kulturhauptstadt primär ein kulturelles Programm und nur sekundär ein Programm zur Wirtschaftsförderung oder zu Förderung sozialer Strukturen darstellt. Insofern erscheint die Fokussierung des Programms auf das kulturelle Zentrum Glasgows durchaus berechtigt. 4.4 Zwischenfazit Die Stadt Glasgow unterlag seit dem 18. Jahrhundert einem kontinuierlichen Wandel. Von einer wichtigen Handelsstadt, hat sich Glasgow zu einer der bedeutendsten Standorte der britischen Textilindustrie und schließlich zu einem Zentrum der Schwerindustrie („Second City of the Empire“) entwickelt. Seit den 251 252 253 254 255 256 257 García, Beatriz (2005): a.a.O., S.855. Ebenda, S.855. Ebenda, S.855. Ebenda, S.846. Mooney, Gerry (2004): a.a.O., S.330. Zit. in: Ebenda, S.331. Ebenda, S. 338. 78 1950er Jahren setzte jedoch ein stetiger Niedergang der dominierenden Industriebranchen ein. Bis zu den 1980er Jahren entwickelte sich die ehemals prosperierende Wirtschaftsregion Glasgow zu einer Altindustrieregion. Eine hohe Arbeitslosigkeit, veraltete Strukturen und ein schlechtes Außenimage stellten die Stadt und die gesamte Region vor große Herausforderungen. Anfang der 1980er Jahren wurden erste Maßnahmen zur Neuorientierung des Wirtschaftsstandorts Glasgows unternommen. Die Stadt Glasgow sollte zum attraktiven Dienstleistungsstandort und zur Tourismusdestination entwickelt werden. Städtebauliche Aufwertungsmaßnahmen der Innenstadt und eine erste Imagekampagne wurden initiiert. Das kulturelle Erbe Glasgows und dessen Funktion als kulturelles Zentrum Schottlands wurden dabei gezielt für die Aufwertungsmaßnahmen genutzt. Die Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ stellte einen Baustein in dieser Entwicklung dar. Ausgerichtet an dem Motto „There`s a Lot Glasgowing On in 1990” wurde der Wandel Glasgows hin zu post-industriellen Stadt im Rahmen der Kulturhauptstadt nach innen und außen präsentiert. Basierend auf einem breiten Kulturverständnis und ausgerichtet an kulturellen, ökonomischen und sozialen Zielsetzungen vermarktete sich Glasgow im Rahmen der Kulturhauptstadt als vielfältige und dynamische Stadt im Wandel. Die Auswirkungen der Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ auf die Altindustriestadt Glasgow sind differenziert zu bewerten. Durch die Projekte der Kulturhauptstadt wurden positive Impulse zur nachhaltigen Revitalisierung der Stadt initiiert, dennoch gab es insbesondere mit Blick auf die langfristige Entwicklung ebenso Kritikpunkte. Einer der positivsten Effekte, im Hinblick auf die altindustriellen teils starren Strukturen der Stadt, waren die im Rahmen der Kulturhauptstadt entwickelten vielfältigen Partnerschaften. Da die Kulturhauptstadt zum Großteil von den lokalen Verwaltungsträgern finanzierte wurde, waren umfangreiche Kooperationen der lokalen und regionalen Akteure notwendig. Die jeweiligen Verwaltungsakteure, die privatwirtschaftlichen Sponsoren sowie die eingebundenen Kulturinstitutionen mussten effektiv zusammenarbeiten, um die Kulturhauptstadt sowohl finanziell als auch organisatorisch stemmen zu können. Ein starker Kritikpunkt an der Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ war in diesem Zusammenhang, die fehlende Aufrechterhaltung viele Kooperationen und Netzwerke nach dem Kulturhauptstadtjahr. In die Planungen zur Kulturhauptstadt war keine Weiterführungsstrategie der Kulturhauptstadtprojekte mit einbezogen worden. Insofern konnten, insbesondere aufgrund finanzieller Engpässe, viele Projekte nach dem Jahr 1990 nicht weiter geführt werden. Wahrscheinlich ist, dass einige Potenziale zur nachhaltigen Entwicklung der Stadt Glasgow dadurch vertan wurden. Dabei muss dieser Kritikpunkt im zeitlichen Kontext gesehen werden. „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ war die erste Kulturhauptstadt Europas, welche das Instrument überhaupt als Stadtentwicklungsinstrument genutzt hatte. Bereits die Erstellung eines Ganzjahresprogramms und die Ausrichtung auf kulturelle, ökonomische und soziale Zielsetzungen stellte im Vergleich zu den voran gegangenen Kulturhauptstädten eine enorme Pionierleistung dar. Das Fehlen einer nachhaltigen Einbindung der Kulturhauptstadt muss also unter dem Aspekt betrachtet werden, dass Glasgow das Instrument Kulturhauptstadt Europas erstmals mit einer vollkommen neuen Ausrichtung erprobte. Vor diesem Hintergrund ist das Gelingen des Kulturhauptstadtjahres selbst, bereits positiv zu werten. 79 Die Auswirkungen der Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ auf die Wirtschaftsstruktur, das Stadtbild und das Außenimage der Stadt sind teils schwer zu messen. Eine eindeutige Kausalität zwischen den Projekten der Kulturhauptstadt und den Entwicklung in den jeweiligen Strukturbereichen ist häufig nicht gegeben. Generell wurden positive Entwicklungen zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts und zur Verbesserung des Stadtbildes im Rahmen der Kulturhauptstadt initiiert. Als wichtigste Errungenschaft gilt vor allem die Verbesserung des Außenimages der Stadt Glasgow. Durch die Kulturhauptstadt konnte die Stadt auf sich aufmerksam machen und die Präsentation in nationaler und internationaler Öffentlichkeit zu Verbesserung der Außenwahrnehmung nutzen. Dies zeigte sich anhand der steigenden Touristenzahlen und der positiven Berichterstattung. Dem negativen Effekt des Rückgangs des Tourismus nach dem Kulturhauptstadtjahr steht dabei die weiterhin positive Entwicklung der ausländischen Besucherzahlen entgegen. So konnte die Kulturhautstadt zumindest teilweise zu einer nachhaltigen Tourismusentwicklung beitragen. Zusammenfassend konnte die Kulturhauptstadt der Altindustriestadt Glasgow dabei helfen, das teils veraltete und klischeebehaftete Image der Stadt Glasgow zu überwinden und die Stadt in ihrer Entwicklung zur Tourismusdestination (insbesondere des Auslandtourismus) zu stärken. Im Zeitraum von 1986 bis 1990 hat sich in Glasgow einiges getan. Verschiedene Prozesse und Projekte wurden im Rahmen der Kulturhauptstadt angestoßen. Eine nachhaltige Wirkung wurde bei vielen Projekten, durch die fehlende Weiterführung beeinträchtigt. Dennoch hat die Kulturhauptstadt Glasgow 1990, über das Jahr 1990 hinaus, Impulse für eine nachhaltige Stadtentwicklung gesetzt. 80 5 Evaluation der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ Im Folgenden werden die Auswirkungen der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ auf die altindustriell geprägte Region Ruhrgebiet untersucht. Im ersten Schritt wird die wirtschaftliche Entwicklung der Region hin zur Altindustrieregion dokumentiert. Darauf aufbauend werden wichtige Herausforderungen, denen die Region im Jahr vor der Ernennung zur Kulturhauptstadt Europas gegenüberstand, herausgearbeitet und erläutert. Im zweiten Schritt folgt eine Darstellung der Konzeption der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“. Im dritten Schritt erfolgt eine gezielte Auswertung inwieweit die Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ sich auf die Problematiken, denen das Ruhrgebiet vor der Ernennung zur Kulturhauptstadt gegenüber stand, ausgewirkt hat. Schließlich wird ein zusammenfassendes Fazit gezogen, in dem die Auswirkungen der Kulturhauptstadt Europas auf das altindustriell geprägte Ruhrgebiet bewertet werden. Im Fokus der Untersuchungen steht die gesamte Region und nicht die innerregionalen Differenzierungen. 5.1 Altindustrieregion Ruhrgebiet Die Entwicklung des Ruhrgebiets ist durch eine knapp 150 Jahre andauernde Industriegeschichte geprägt. Die Entwicklung zur prosperierenden Wirtschaftsregion und der darauf folgende wirtschaftliche Niedergang hin zur Altindustrieregion, hat das Ruhrgebiet vor unterschiedlichste Herausforderungen gestellt. Die Umsetzung umfangreicher Strukturmaßnahmen hat einen Strukturwandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft eingeleitet. Dennoch steht die Region bis zur Gegenwart Problematiken gegenüber, die durch die montanindustrielle Vergangenheit begründet sind. 5.1.1 Abgrenzung des Untersuchungsraumes Das Ruhrgebiet, namentlich zurück zu führen auf die Gegend an der unteren und mittleren Ruhr, ist eine Region die nicht anhand klassischer raumwissenschaftlicher Kriterien wie Homogenität oder Funktionalität abgegrenzt werden kann.258 Vielmehr stellt das Ruhrgebiet eine in sich heterogene Region dar, die sich allein über die regionsspezifischen Entwicklungsprozesse während des Industriezeitalters definiert. Aufgrund dessen werden zur Abgrenzung des Ruhrgebiets üblicherweise die administrativen Grenzen des „Regionalverbandes Ruhr“, ehemals „Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk“, herangezogen.259 Das Ruhrgebiet liegt am nordwestlichen Rand der Bundesrepublik Deutschland im Zentralraum des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. Zunehmend als eigenständige Metropole Ruhr vermarktet, ist die Region zugleich Teil der Metropolregion Rhein- 258 Vgl. Aring, Jürgen et.al.(1989): Krisenregion Ruhrgebiet? – Alltag, Strukturwandel und Planung, Wahrnehmungsgeographische Studien zur Regionalentwicklung Heft 8, Oldenburg. 259 Vgl. Goch, Stefan (2002): Eine Region im Kampf mit dem Strukturwandel – Bewältigung von Strukturwandel und Strukturpolitik im Ruhrgebiet, Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte Band 10, Essen. 81 Ruhr. Innerhalb der Region leben auf einer Fläche von 4.400 Quadratkilometer, verteilt auf 53 eigenständige Kommunen, rund 5,3 Millionen Menschen.260 Administrativ untergliedert sich das Ruhrgebiet in die elf kreisfreien Städte Bochum, Bottrop, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Hagen, Hamm, Herne, Mühlheim an der Ruhr, Oberhausen und die vier Kreise Ennepe-Ruhr, Recklinghausen, Unna und Wesel. Diese haben sich im Regionalverband Ruhr zusammen geschlossen, der schwerpunktmäßig Aufgaben der Regionalplanung übernimmt. Zudem nehmen die Bezirksregierungen Düsseldorf, Münster und Arnsberg sowie die Landschaftsverbände Westfalen-Lippe und Rheinland administrative Aufgaben im Ruhrgebiet wahr. Die Abb. 14 und Abb. 15 verdeutlichen die administrative Zergliederung der Region.261 Abb. 14 Ruhrgebiet Kreise und Kreisfreie Städte Entwurf: Regionalverband Ruhr Quelle: Regionalverband Ruhr (Hrsg.)(2010): CD-Rom: Zahlenspiegel Metropoleruhr, Essen. Innerregional ist das Ruhrgebiet neben der administrativen Zergliederung auch historisch, naturräumlich und siedlungsstrukturell sehr unterschiedlich geprägt. Es wird häufig in die von Süden nach Norden verlaufenden Teilgebiete Ruhrzone, Hellwegzone, Emscherzone und Lippezone unterteilt, wie in Abb. 16 dargestellt. Diese Zonen weisen Heterogenität durch unterschiedliche Strukturen und Eigenschaften auf. Bei der analytischen Betrachtung der gesamten Region Ruhrgebiet ist diese innerregionale Heterogenität zu beachten. Die statistischen 260 Vgl. Eltges, Markus (2008): Das Ruhrgebiet – Eine regionalwirtschaftliche Analyse, in: Informationen zur Raumentwicklung, Heft 9/10 2008, S.535–547. 261 Vgl. Regionalverband Ruhr (Hrsg.)(2011a): Politik und Verwaltung – Ruhrparlament und Verwaltungsgliederung, Essen, Online Dokument: http://www.metropoleruhr.de/metropole– ruhr/daten–fakten/politik–verwaltung.html, Stand 24. Januar 2011. 82 Durchschnittswerte verzerren teils die Situation der jeweiligen Teilgebiete und sind nicht auf jede Zone, jeden Kreis oder oder jede kreisfreie Stadt gleichermaßen zu 262 übertragen. Abb. 15 Ruhrgebiet Regierungsbezirke und Landschaftsverbände Regierungsbezirke Landschaftsverbände Entwurf: Eigene Darstellung, Frankfurt 2010 Quelle: Grafische Grundlage: undlage: Regionalverband Ruhr (Hrsg.)(2010): CD-Rom: CD Zahlenspiegel Metropoleruhr, Essen. Abb. 16 Teilgebiet des Ruhrgebiets Entwurf: Eigene Darstellung, Frankfurt 2010 Quelle: Butzin, Bernhard et.al.(2008c): Nordwanderung des Bergbaus Bergbaus im Ruhrgebiet, in: Regionalverband Ruhr (Auftraggeber): Regionalkunde Ruhrgebiet, Bochum, Online-Dokument: Online Dokument: http://www.ruhrgebiethttp://www.ruhrgebiet regionalkunde.de/grundlagen_und_anfaenge/kohle/nordwanderung_bergbau.php?p= 2,3, Stand 24. Januar 2011. 262 Vgl. Goch, Stefan (2002): a.a.O. 83 5.1.2 Wirtschaftliche Entwicklung Das Ruhrgebiet ist eine Region, die maßgeblich von der wirtschaftlichen Entwicklung geprägt wurde. Die Entwicklung hin zur prosperierenden Wirtschaftsregion sowie der wirtschaftliche Niedergang hin zur Altindustrieregion haben die strukturelle Entwicklung der Region stark beeinflusst. Insofern ist die Wirtschaftsentwicklung in die Phasen des wirtschaftlichen Aufschwungs und des wirtschaftlichen Niedergangs zu unterteilen. 5.1.2.1 Wirtschaftlicher Aufschwung Die Entwicklung des Ruhrgebiets zu einer prosperierenden montanindustriellen Wirtschaftsregion ist primär durch die geologischen Gegebenheiten der Region begründet. Die Steinkohlevorkommen, entstanden im Erdzeitaltern Karbon, bildeten die natürliche Grundlage für die Industrialisierung des Ruhrgebiets.263 Die sogenannten kohleführenden Flöze entstanden in einem Zeitraum von mehreren Millionen Jahren in unterschiedlichen Erdtiefen der Region. Der Verlauf der Kohleflöze erfolgte in einer Tiefenwanderung die sich von Süden nach Norden des Ruhrgebiets erstreckte. Im Süden der Region, der Ruhrzone, traten die Flöze führenden Erdschichten zu Tage. Nach Norden hin, in der Hellwegzone und der Emscherzone, tauchten die Flöze immer tiefer ins Erdreich ab, so dass sie in der Lippezone schließlich eine Tiefe von 1500 Meter erreichten. Die Kohleart welche im Ruhrgebiet am häufigsten vorkommt ist die Fettkohle, die eine Unterart der Steinkohle ist. 264 Die Industrialisierung des Ruhrgebiets wurde von Beginn an vom Zusammenspiel der geologischen Gegebenheiten und den technischen Erfindungen bestimmt. Insbesondere die Tiefenlage der Kohle und die entsprechende Abbautechnik bestimmten die Entwicklung. Die in den tiefer gelegenen Flözen enthaltende Fettkohle konnte bspw. erst mit Einführung des Tiefbergbaus erreicht und abgebaut werden. Aufgrund dieser geologischen und technischen Restrektionen ist die Industrialisierung des Ruhrgebiets von Süden nach Norden, einhergehend mit den tiefer liegenden Kohleflözen und den mit der Zeit entwickelten technischen Abbaumöglichkeit, verlaufen.265 Bereits seit dem 16. Jahrhundert wurde im Ruhrgebiet Kohle als Energieträger abgebaut. In der damals noch landwirtschaftlich geprägten Region wurde die zu Tage tretende Kohle im Süden der Region von den Kleinbauern nebenberuflich abgetragen. Mit der Einführung des Stollenbergbaus, durch zuziehende Fachleute 263 Vgl. Butzin, Bernhard et.al.(2008a): Bedeutung der Kohle für das Ruhrgebiet, in: Regionalverband Ruhr (Auftraggeber): Regionalkunde Ruhrgebiet, Bochum, Online–Dokument: http://www.ruhrgebiet–regionalkunde.de/grundlagen_und_anfaenge/kohle/kohle.php?p=2, Stand 24. Januar 2011. 264 Vgl. Butzin, Bernhard et.al.(2008b): Verbreitung der Kohle, in: Regionalverband Ruhr (Auftraggeber): Regionalkunde Ruhrgebiet, Bochum, Online–Dokument: http://www.ruhrgebiet– regionalkunde.de/grundlagen_und_anfaenge/kohle/verbreitung_kohle.php?p=2,1, Stand 24. Januar 2011. 265 Vgl. Butzin, Bernhard et.al.(2008c): Nordwanderung des Bergbaus im Ruhrgebiet, in: Regionalverband Ruhr (Auftraggeber): Regionalkunde Ruhrgebiet, Bochum, Online–Dokument: http://www.ruhrgebiet– regionalkunde.de/grundlagen_und_anfaenge/kohle/nordwanderung_bergbau.php?p=2,3, Stand 24. Januar 2011. 84 aus ehemaligen deutschen Bergbaugebieten, hauptberuflichen Bergmanns statt.266 fand die Etablierung des Die Entwicklung zur montanindustriellen Wirtschaftsregion begann jedoch erst zu Beginn den 19 Jahrhunderts. Ausschlaggebend war die im Jahr 1837 erstmalige Erschließung der tiefer gelegenen Fettkohle. Die Fettkohle ermöglichte die Erzeugung von Steinkohlenkoks, was wiederum als Brennstoff für die Roheisenproduktion von hoher Bedeutung war. Da Koks zum einen schlecht transportfähig war und zum anderen in großen Mengen zur Eisenproduktion gebraucht wurde, galt der direkte Zugang zu verkoksbarer Kohle lange als entscheidender Standortfaktor der Eisen- und Stahlproduktion. Aufbauend auf dem reichhaltigen Kohlevorkommen entwickelte sich das Ruhrgebiet schnell zu einem entscheidenden Wirtschaftsstandort, der weitestgehend von den sich selbst verstärkenden Wachstumsdynamiken der Kohle- und Stahlindustrie geprägt war.267 In den wirtschaftlich prosperierenden Zeiten um 1870 gab es im Ruhrgebiet mehr als 250 Zechen, die insgesamt ein Fördervolumen von 16 Mio. Tonnen Kohle pro Jahr aufwiesen.268 Parallel dazu stieg die Eisenproduktion zwischen den Jahren 1850 bis 1870 von 11.000 Tonnen Produktionsvolumen auf 370.000 Tonnen Produktionsvolumen rasant an. Damit einhergehend wurde ein umfangreiches Transportsystem im Ruhrgebiet geschaffen. Sowohl der Transport von Eisenerzen in die Region als auch der Transport von Kohle aus der Region heraus, wurde mittels Schifffahrt und Eisenbahn vollzogen.269 In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts hatten sich die Grundpfeiler des regionalen wirtschaftlichen Verbundsystems schließlich vollkommen entfaltet. Als ökonomisches Herzstück der Region galten zum einen die Großzechen. Diese wurden dem Kohlevorkommen folgend zunächst (1840) in der Hellwegzone, ab 1865 in der Emscherzone und zum Ende des 19. Jahrhunderts in der Lippezone erschlossen. Zum zweiten stellten die großen Stahlkonzerne ein wichtiges Standbein der regionalen Wirtschaft dar. Diese wurden insbesondere in den Städten der Hellwegzone angesiedelt. Die chemische Industrie war ebenfalls ein wichtiger Partner der Verbundwirtschaft. Die bei den Kokereien anfallenden Kohlewertstoffe wurden zum Ausgangsprodukt für die chemischen Industrien, die sich in der Nähe der Kokereien und somit vornehmlich in der Hellwegzone und später in der Emscherzone ansiedelten. Schließlich galt die Energiewirtschaft als weiterer Grundpfeiler der regionalen Wirtschaft. Steinkohle wurde zum wichtigen 266 Vgl. Butzin, Bernhard et.al.(2008d): Ruhrzone, in: Regionalverband Ruhr (Auftraggeber): Regionalkunde Ruhrgebiet, Bochum, Online–Dokument: http://www.ruhrgebiet– regionalkunde.de/grundlagen_und_anfaenge/historischer_besiedlungsgang/ruhrzone.php?p=1,4, Stand 24. Januar 2011. 267 Vgl. Butzin, Bernhard et.al.(2008e): Die vorindustrielel Phase im Ruhrgebiet, in: Regionalverband Ruhr (Auftraggeber): Regionalkunde Ruhrgebiet, Bochum, Online–Dokument: http://www.ruhrgebiet– regionalkunde.de/grundlagen_und_anfaenge/eisen_und_stahl/vorindustriell_eisen.php?p=3,1, Stand 24. Januar 2011. 268 Vgl. Butzin, Bernhard et.al.(2008f): Vertiefung: Chronik des Bergbaus im Ruhrgebiet, in: Regionalverband Ruhr (Auftraggeber): Regionalkunde Ruhrgebiet, Bochum, Online–Dokument: http://www.ruhrgebiet–regionalkunde.de/vertiefungsseiten/chronik_bergbau.php, Stand 24. Januar 2011. 269 Vgl. Butzin, Bernhard et.al.(2008g): Roheisenerzeugung, in: Regionalverband Ruhr (Auftraggeber): Regionalkunde Ruhrgebiet, Bochum, Online–Dokument: http://www.ruhrgebiet– regionalkunde.de/aufstieg_und_rueckzug_der_montanindustrie/Entfaltung_der_montanindustrie_/roheisene rzeugung.php?p=0,2, Stand 24. Januar 2011. 85 Energieträger, der insbesondere im Zusammenspiel mit der Dampfmaschine an Bedeutung gewann.270 Aufbauend auf den vier Grundpfeilern der regionalen Wirtschaft hatten sich die unternehmerischen, poltischen und räumlichen Strukturen innerhalb des Ruhrgebiets weitestgehend verfestigt. Begründet durch die dominierende Montanindustrie entwickelte sich das Ruhrgebiet zu einer der wichtigsten Wirtschaftsregionen Deutschlands. Der besondere Status blieb der Region sowohl während der Zeit der beiden Weltkriege als auch während des Wiederaufbaus erhalten. Als „Waffenschmiede Deutschlands“ im ersten Weltkrieg, als Aufrüstungspartner des zweiten Weltkriegs und als Motor des deutschen Wirtschaftswunders ab 1945 hatte das Ruhrgebiet eine herausragende Bedeutung für die deutsche Wirtschaftsentwicklung. Das Ruhrgebiet entwickelte sich Mitte des 20. Jahrhunderts zum schwerindustriellen Zentrum Deutschlands und erzielte höchste wirtschaftliche Wachstumsraten.271 Einhergehend mit der Industrialisierung des Ruhrgebiets, wurde der sogenannte „Industrialisierungs-Urbanisierungs-Kreislauf“ in Gang gesetzt. Der wirtschaftliche Aufschwung in allen Zweigen der Verbundwirtschaft basierte auf einem enormen Einsatz von Arbeitskräften. Dieser Bedarf konnte in dem ehemals dünn besiedelten landwirtschaftlich geprägten Ruhrgebiet nur durch groß angelegte Anwerbeaktionen von Arbeitskräften befriedigt werden.272 Der ersten Einwanderungswelle aus den deutschen Ostgebieten, folgte eine zweite Einwanderungswelle aus den südlichen Ländern Europas (Italien, Spanien und Griechenland) und schließlich eine dritte Einwanderungswellen von Arbeitskräften aus der Türkei.273 Folglich nahm die Bevölkerungsanzahl im Ruhrgebiet kontinuierlich zu. Während die Region 1850 noch eine Bevölkerungsanzahl von 0,4 Millionen Bewohnern erreichte, waren es im Jahr 1925 bereits 3,8 Millionen Einwohner274 und im Jahr 1960 erreichte die Bevölkerungsanzahl schließlich den bisherigen Höchststand von 5,6 Millionen Einwohnern.275 Das rasante Bevölkerungswachstum erforderte einen schnellen und effizienten Wohnungsbau sowie die Errichtung städtischer Versorgungseinrichtungen wie Einzelhandel, Schulen und Krankenhäuser.276 Dabei „kollidierten die Montanunternehmen in ihren räumlichen Ansprüchen und sozialen Auswirkungen 270 Vgl. Butzin, Bernhard et.al.(2008h): Ausblick, in: Regionalverband Ruhr (Auftraggeber): Regionalkunde Ruhrgebiet, Bochum, Online–Dokument: http://www.ruhrgebiet– regionalkunde.de/aufstieg_und_rueckzug_der_montanindustrie/Entfaltung_der_montanindustrie_/ausblick.p hp?p=0,7, Stand 24. Januar 2011. 271 Vgl. Butzin, Bernhard et.al.(2008i): Einleitung, in: Regionalverband Ruhr (Auftraggeber): Regionalkunde Ruhrgebiet, Bochum, Online–Dokument: http://www.ruhrgebiet– regionalkunde.de/aufstieg_und_rueckzug_der_montanindustrie/weltkriege_und_nachkriegszeit/weltkriege_n achkriegszeit.php?p=1 , Stand 24. Januar 2011. 272 Vgl. Butzin, Bernhard et.al.(2008j): Transportsystem und Arbeitsmarkt, in: Regionalverband Ruhr (Auftraggeber): Regionalkunde Ruhrgebiet, Bochum, Online–Dokument: http://www.ruhrgebiet– regionalkunde.de/aufstieg_und_rueckzug_der_montanindustrie/Entfaltung_der_montanindustrie_/transport_ arbeit.php?p=0,6, Stand 24. Januar 2011. 273 Vgl. Fleiß, Daniela (2008): Die türkische Migrantenbevölkerung in Katernberg und das Weltkulturerbe, in Schwarz, Angela (Hrsg.): Industriekultur, Image, Identität – Die Zeche Zollverein und der Wandel in den Köpfen, Essen, S.123–161. 274 Vgl. Butzin, Bernhard et.al.(2008j): a.a.O. 275 Vgl. Wehling, Hans (2006): Aufbau, Wandel und Perspektiven der industriellen Kulturlandschaft des Ruhrgebiets, in: Geographische Rundschau, Heft 1 2006, S.12–19. 276 Vgl. Butzin, Bernhard et.al.(2008i): a.a.O. 86 mit den Interessen und Möglichkeiten der vorhandenen Städten.“277 Durch den Grunderwerb großer Areale nahmen die Industrieunternehmer bereits zu Beginn der Industrialisierung starken Einfluss auf die Siedlungsentwicklung. Die kommunalen Versuche eines planvollen Ausbaus mussten dabei meist hinter den ökonomisch orientierten Ansprüchen der Montanindustrie zurück stehen. Die Errichtung von Großzechen, Stahlwerken und werkseigenen Wohnsiedlungen wurde weitestgehend von den Industrieunternehmern geplant und umgesetzt. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts, mit dem wirtschaftlichen Höhepunkt der Verbundwirtschaft, verminderte sich der zusätzliche Raumanspruch der Montanindustrie. Der planerische Einfluss der Kommunen und des im Jahr 1920 gegründeten Interessenverbandes Regionalverband Ruhr (ehemals Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk) wuchs stetig an. In Folge dessen wurde die Entwicklung der städtischen Zentren sowie die Erhaltung von Grün- und Freiflächen gefördert.278 5.1.2.2 Wirtschaftlicher Niedergang „Als am 21. Mai 1951 die Montanmitbestimmung in Kraft trat und so die Bedeutung des Ruhrgebiets und seiner Montanbeschäftigten auf der politischen Bühne klar herausgestellt wurde, ahnte wohl niemand, dass bereits ein halbes Jahrzehnt später der Motor der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands eine krisengeschüttelte Region werden sollte.“279 In der Mitte des 20. Jahrhunderts begann der wirtschaftliche Niedergang der Industrien im Ruhrgebiet. Veränderte externe Rahmenbedingungen in Form eines steigenden internationalen Konkurrenzdrucks sowie eine veränderte Nachfrage nach Kohle waren ausschlaggebend für die erste Kohlekrise in den 50er Jahren. Durch die Öffnung der internationalen Märkte standen die Kohlevorkommen des Ruhrgebiets in Konkurrenz zu billigerer Importkohle aus Amerika und Großbritannien. Während die Steinkohlevorkommen im Ruhrgebiet kostenintensiv aus Tiefen von bis zu 1500 Meter gefördert werden mussten, lagen die Kohlevorkommen der Konkurrenzregionen lediglich 100 bis 400 Meter unter der Erdoberfläche. Insofern konnten die Transportkosten der Konkurrenten durch geringe Förderkosten kompensiert und die Kohle insgesamt zu günstigeren Preisen verkauft werden. Darüber hinaus verschärfte sich der internationale Konkurrenzdruck dadurch, dass Erdgas, Erdöl, Elektrizität und später auch Atomenergie verstärkt als Energieträger gefördert und genutzt wurden. Des Weiteren verringerte sich der Kohlebedarf der klassischen Abnehmer. Die stahlerzeugenden Industrien und die Eisenbahnen benötigten aufgrund technischer Weiterentwicklungen zunehmend weniger Steinkohle.280 Ebenso sank der Anteil der Steinkohle am Primärenergieverbrauch der Bundesrepublik Deutschland von 70% im Jahr 1955 auf 22% im Jahr 1973.281 Der steigende Druck des internationalen Wettbewerbs wurde von den regionalen Akteuren zunächst unterschätzt. „Einhundert Jahre erfolgreiche Industrie-Erfahrungen hatten die Mentalität und das Bewusstsein so stark geprägt, dass eine gegenläufige wirtschaftlichen Entwicklung 277 Wehling, Hans (2006): a.a.O., S.13. 278 Vgl. Ebenda, S.12ff. 279 Butzin, Bernhard et.al.(2008k): Einleitung, in: Regionalverband Ruhr (Auftraggeber): Regionalkunde Ruhrgebiet, Bochum, Online–Dokument: http://www.ruhrgebiet– regionalkunde.de/aufstieg_und_rueckzug_der_montanindustrie/krise_des_montansektors/krise_montansekt or.php?p=3, 24. Januar 2011. 280 Vgl. Ebenda. 281 Vgl. Aring, Jürgen et.al.(1989): a.a.O. 87 und eine andere als montanindustriell geprägte Struktur nicht vorstellbar waren.“282 Die strukturelle Krise wurde als konjunkturelle Schwäche interpretiert und innerhalb der Region nicht angemessen darauf reagiert. Trotz der bundesdeutschen Ausrichtung auf Erdöl und Atomenergie blieben die Akteure des Ruhrgebiets weiterhin montanindustriell ausgerichtet. „Das äußerte sich nicht nur in politischen Bemühungen um eine Absicherung der führenden Position des Bergbaus, sondern in einer regelrechten Unterordnung der Planungspolitik unter montanindustriellen Interessen.“283 Die chronischen Absatzschwierigkeiten zwangen die Akteure jedoch zu einer kontinuierlichen Reduzierung der Fördermengen. Im Zeitraum zwischen 1958 und 1973 mussten rund 70 Zechen im Ruhrgebiet geschlossen werden.284 Daher beschloss im Jahr 1968 der Bundestag das „Gesetz zur Anpassung und Gesundung des deutschen Steinkohlenbergbaus". Dies führte wiederum zur Gründung der Ruhrkohle AG. Als Konsolidierungsunternehmen des deutschen Steinkohleabbaus zeigte die Gründung des Unternehmens die neue Zielrichtung der Kohlepolitik an der Ruhr auf: „War das Ziel bisher, den Bergbau aus der Krise zu befreien, wird diese nun sozusagen als Dauerzustand akzeptiert. Eine nationale Kohlenreserve soll die Bundesrepublik Deutschland im Notfall sicher versorgen, aber das eigentliche Ziel ist der geordnete Rückzug aus dem Bergbau.“285 Um diesen Rückzug sicher zu stellen, wurde 1975 der „Kohlepfenning“ als direkte Subvention der Ruhrkohle AG eingeführt. Kraftwerksbetreibern wurden dadurch Zuschüsse zur Verstromung deutscher Steinkohle zugesichert. Langsam setzte sich auch innerhalb der Region die Einsicht durch, dass trotz modernster Technologie der Steinkohlebergebau des Ruhrgebiets nicht mehr international konkurrenzfähig war.286 Die Stahlindustrie als zweit stärkster Wirtschaftszweig der Region war bis in die 60er Jahre von der Strukturkrise nicht betroffen. In Zeiten des Kalten Krieges konnte die Stahlproduktion im Ruhrgebiet von den internationalen Rüstungsindustrien profitieren. In den 70er Jahren kam es jedoch auch in der Stahlproduktion zu einem verstärkten internationalen Konkurrenzkampf. Schwellenländer nahmen verstärkt die Produktion von Massenstählen auf. Aufgrund sinkenden Koksbedarfs und verstärkter Nachfrage hochwertiger Erze sowie sinkender Transportkosten änderten sich die Standortvorteile für die Stahlproduktion. Statt die Nähe zu großen Kohlevorkommen wurde der Anschluss an leistungsfähige Lösch- und Ladehäfen zunehmend wichtiger.287 Zum anderen wurde Stahl teilweise von neuen Werkstoffen 282 Butzin, Bernhard et.al.(2008l): Krise des Montansektors, in: Regionalverband Ruhr (Auftraggeber): Regionalkunde Ruhrgebiet, Bochum, Online–Dokument: http://www.ruhrgebiet– regionalkunde.de/aufstieg_und_rueckzug_der_montanindustrie/krise_des_montansektors/krise_montan.ph p?p=3,0, Stand 24. Januar 2011. 283 Aring, Jürgen et.al.(1989): a.a.O., S.36. 284 Vgl. Ebenda. 285 Butzin, Bernhard et.al.(2008m): Strukturkrise und Lösungsansätze, in: Regionalverband Ruhr (Auftraggeber): Regionalkunde Ruhrgebiet, Bochum, Online–Dokument: http://www.ruhrgebiet– regionalkunde.de/aufstieg_und_rueckzug_der_montanindustrie/krise_des_montansektors/strukturkrise_loes ung.php?p=3,1, Stand 24. Januar 2011. 286 Vgl. Butzin, Bernhard et.al.(2008l): a.a.O. 287 Vgl Butzin, Bernhard et.al.(2008n): Innerregionale Verlagerung der Standorte, in: Regionalverband Ruhr (Auftraggeber): Regionalkunde Ruhrgebiet, Bochum, Online–Dokument: http://www.ruhrgebiet– regionalkun88 ersetzt. Hochfeste und leichte Kunststoffe wurden insbesondere in der Automobilindustrie anstelle von Stahl eingesetzt. Ebenso wie während der Kohlekrise, wurden die veränderten Rahmenbedingungen der Stahlindustrie im Ruhrgebiet zunächst als konjunkturelle Schwäche verkannt. Zusätzlich geschwächt durch die schlechte Weltkonjunktur mussten im Ruhrgebiet mit der Zeit jedoch immer mehr unproduktive Werke und Werksteile der Stahlproduktion geschlossen werden. In den Jahren zwischen 1970 und 1988 wurden 12 Hüttenwerke im Ruhrgebiet stillgelegt und die Zahl der Hochöfen halbiert. Die Stahlproduktion ging im Zeitraum von 1974 bis 1988 um 22 Millionen Tonnen zurück. Zur Marktanpassung reichten die Strukturierungsmaßnahmen jedoch nicht aus. Es wurde schnell deutlich, dass die einzige Chance zur Wettbewerbsfähigkeit am Weltmarkt die Spezialisierung auf hochwertige Stähle war. Die dazu notwendigen Werksveränderungen und hohen Investitionen konnten jedoch nur wenige Ruhrbetriebe tragen. Weitere Stahlwerke mussten schließen, wurden an andere Standorte verlegt oder wurden zusammengeschlossen. Die Deutsche Wiedervereinigung und eine erhöhte Stahlnachfrage seitens der Amerikaner brachte der Stahlindustrie des Ruhrgebiets wieder eine kurzfristige Hochphase, verstärkte jedoch zugleich die zweite Kohlekrise der Region. Durch die verstärkte Konkurrenz der osteuropäischen Länder wurde die Kohleförderung im Ruhrgebiet weiter geschwächt. Die Ruhrkohle AG musste weitere Bergwerke schließen oder zusammenlegen. Im Jahr 1994 wurde der Kohlepfenning vom Bundesverfassungsgericht gekippt und damit die Subventionen des Steinkohleabbaus in Deutschland stark gekürzt. Zwar förderten der Bund und das Bundesland Nordrhein-Westfalen die Kohleverstromung danach aus allgemeinen Steuermitteln weiter, dennoch wurden die Subventionen stark reduziert. Daraufhin mussten weitere Zechen im Ruhrgebiet geschlossen werden. Die politische Diskussion im Jahr 2010 bestärkt den endgültigen Austritt des Bundes und des Landes aus der Kohlesubvention. Die Landesregierung wird ab 2015 und die Bundesregierung ab 2018 aus der Kohleförderung aussteigen.288 Insofern werden bis spätestens 2018 auch die letzten vier Bergwerke im Ruhrgebiet stillgelegt werden. Dagegen wird die Stahlindustrie im Ruhrgebiet, in sehr viel geringerem Ausmaß als früher, vorerst erhalten bleiben. Spezialisierte Unternehmen auf qualitativ hochwertige Produkte haben die Entwicklung hin zu international vernetzten Betrieben vollzogen und behaupten sich auch weiterhin mit Standorten im Ruhrgebiet. Der Niedergang der Industrien des Ruhrgebiets hatte neben den rein wirtschaftlichen Effekten auch große Auswirkungen auf die Einwohner und die urbane Entwicklung im Ruhrgebiet. Durch die Stilllegung von Zechen und Stahlwerken wurde in kürzester Zeit eine Massenarbeitslosigkeit im Ruhrgebiet ausgelöst. Im Bergbau hatte sich die Montanbeschäftigtenanzahl vom Jahr 1957 mit 473.000 Beschäftigten auf 52.700 Beschäftige im Jahr 1999 verringert. In der Stahlindustrie fand eine ähnliche Reduzierung statt. Während im Jahr 1960 noch 263.000 Menschen im Stahlsektor gearbeitet hatten, waren es 1999 nur noch 53.738 Arbeiter. Dabei muss beachtet werden, dass von jedem Arbeitsplatz im Bergbau und in der Stahlindustrie bis zu zwei Arbeitsplätze im Bereich der vorgelagerten und nachgelagerten Produktionen und der personenbezogenen Dienstleistungen de.de/aufstieg_und_rueckzug_der_montanindustrie/krise_des_montansektors/standortverlageru ng.php?p=3,4, Stand 24. Januar 2011. 288 Vgl. Regionalverband Ruhr (Hrsg.)(2011c): Chemie und Energie–Auf Kohle gewachsen, Essen, Online–Dokument: http://www.route–industriekultur.de/sonstiges/daten–und–fakten/facetten– der–region/chemie–und–energie.html, Stand 24. Januar 2011. 89 abhingen. Insofern gingen auch etliche Arbeitsplätze bei Zulieferer, bei Abnehmern oder im Einzelhandel verloren.289 Da die Wirtschaft des Ruhrgebiets als Montanindustrieregion stark monostrukturiert ausgerichtet war, standen innerhalb der Region kaum kompensierende Arbeitsplätze zu Verfügung. Insofern kam es als Folge der Arbeitsplatzverluste zu Bevölkerungsabwanderungen. Insbesondere junge Menschen zogen weg, so dass im Jahr 1980 die Einwohnerzahl auf knapp 5 Millionen Menschen sank. Zurück blieben verstärkt immobile und benachteiligte Menschen welche zudem oft in sozialen Problemvierteln konzentriert waren. Somit wurde die urbane Entwicklung, einhergehend mit der hohen Arbeitslosigkeit, zur Herausforderung vieler Kommunen innerhalb der Region.290 Der bisher an den Industriebetrieben ausgerichtete Städtebau musste neu organisiert und geplant werden. Dazu waren neben finanziellen Investitionen auch neue planerische Leitlinien und städtebauliche Impulse von Nöten. Aufgrund interner Anpassungsschwierigkeiten war das Ruhrgebiet zu Beginn auf Hilfe von außen angewiesen.291 5.1.3 Strukturpolitische Entwicklungsansätze Durch den Niedergang der Montanindustrie stand die Region einem umfassenden Strukturwandel gegenüber. Die regionale Strukturpolitik wurde neben regionalen Akteuren der Wirtschaft, Politik und Gesellschaft insbesondere durch die Landespolitik geprägt. Ausgehend von den 1960er Jahren lässt sich die Strukturpolitik des Ruhrgebiets in vier Phasen einteilen. 5.1.3.1 Entwicklungsphasen der Strukturpolitik Die „integrierte Strukturpolitik“, datiert von 1966 bis 1974, kennzeichnet die erste Phase der Strukturpolitik. Auf Bundesebene und Landesebene erkannten, im Gegensatz zur regionalen Ebene, die Akteure bereits wenige Jahre nach der ersten Kohlekrise, dass das Ruhrgebiet einem langfristigen strukturellen Wandel gegenüber stand. Probleme die im Ruhrgebiet gelöst werden mussten, waren zum einen die unzureichende Verkehrserschließung. Orientiert am Leitbild der autogerechten Stadt sollte die Binnenerschließung durch den Ausbau von Straßen verbessert werden. Zum zweiten wurde das Problem der Bodensperre im Ruhrgebiet erkannt. Seitens der Montanindustrie bestand eine geringe Bereitschaft zur Bereitstellung der ehemals industriell genutzten Flächen, wodurch die Ansiedlung von Betrieben neuer Wirtschaftsbranchen maßgeblich behindert wurde. Im Zuge einer Flächenmodernisierung sollten neue Unternehmen angezogen und die bestehenden Unternehmen gestärkt werden. Zum dritten bestand das Problem der Bildungsblockade im Ruhrgebiet. Zurück zu führen auf einen Beschluss von Kaiser Wilhelm II hatten sich bis Mitte der 60er Jahre kaum Bildungseinrichtungen in der Region entwickelt. Dieses Defizit durch sollte die Neugründung von Bildungseinrichtungen schnell behoben werden. Zur Umsetzung der Vorhaben wurde im Jahr 1968 das landespolitische „Entwicklungsprogramm Ruhr“ gestartet. 289 Vgl. Butzin, Bernhard et.al.(2008o): Des–Industriealisierung, in: Regionalverband Ruhr (Auftraggeber): Regionalkunde Ruhrgebiet, Bochum, Online–Dokument: http://www.ruhrgebiet– regionalkunde.de/erneuerung_der_wirtschaft/von_der_industrie_zur_dienstleistung/des_industriealisierung. php?p=0,1, Stand 24. Januar 2011. 290 Vgl. Butzin, Bernhard et.al.(2008p): Rubrik Erneuerung stadtregionaler Räume, in: Regionalverband Ruhr (Auftraggeber): Regionalkunde Ruhrgebiet, Bochum, Online–Dokument: http://www.ruhrgebiet–regionalkunde.de/erneuerung_stadtregionaler_raeume/index.php?p=, Stand 24. Januar 2011. 291 Vgl. Wehling, Hans (2006): a.a.O. 90 Basierend auf einem Top-Down Prinzip zielte das Programm darauf ab, eine langfristige integrierte Entwicklungsplanung für die gesamte Region zu initiieren. Das im Jahr 1975 erarbeitete „Nordrhein-Westfalen-Programm“ konkretisierte die Grundsätze des Entwicklungsprogramms und stärkte den Ansatz der ReIndustrialisierung. Das Ruhrgebiet sollte wieder zum Energiezentrum Deutschlands entwickelt werden.292 Die „zentralisierte Strukturpolitik“ ist datiert auf den Zeitraum von 1975 bis 1986. Nachdem die Ansiedlungsförderung neuer Betriebe im Ruhrgebiet für gescheitert erklärt worden war, fokussierte sich die Strukturpolitik, in Anlehnung an das Nordrhein-Westfalen-Programm, verstärkt auf die Förderung der endogenen Potenziale. Zum einen wurde die Modernisierung der Montanindustrie und zum anderen die Förderung zukunftsweisender Technologien in kleinen und mittleren Betrieben verfolgt. Eingebunden in das landespolitische „Aktionsprogramm Ruhr“, wurden die Technologieprogramme Bergbau und Energie im Jahr 1974, das Technologieprogramm Wirtschaft im Jahr 1978 und das Technologieprogramm Stahl 1979 aufgelegt. Darüber hinaus wurde der Grundstückfonds Ruhr im Rahmen des Aktionsprogrammes Ruhr gegründet. Angesiedelt bei der Landesentwicklungsgesellschaft und ausgestattet mit jährlich 50 Millionen Euro gelang es den Akteuren nach und nach viele alte Industrieareale aufzukaufen und einer neuen Nutzung zuzuführen. Darüber hinaus setzte das Aktionsprogramm erstmals neue Maßstäbe in der regionalen Strukturpolitik. Erstmals wurden weiche Standortfaktoren in die Strukturpolitik einbezogen. Zudem wurden erstmals bei den „Ruhrgebietskonferenzen“ im Jahr 1979 alle Akteure der Region an einen Tisch gebracht.293 Die „regionalisierte Strukturpolitik“, in den Jahren von 1987 bis 1999, setzte auf den Ansätzen der dialogorientierten Strukturpolitik auf. Während das Aktionsprogramm Ruhr noch nach dem „Top-Down-Prinzip“ von der Landesregierung erstellt worden war, wurden nun neue Verfahren der Strukturpolitik angewandt. „Um die Akzeptanz zu erhöhen, die Umsetzungsprobleme zu mindern und innenbürtige Potenziale zu mobilisieren, mussten die Koordinationsprobleme und widerstreitenden Interessen der vielfältigen, aus der gesamten Region stammenden Akteure bewältigt werden.“294 Das zunächst experimentelle Programm „Zukunftsinitiative Montanregion“ des Jahres 1987 zielte in eine Regionalisierung der Strukturpolitik. Das Ruhrgebiet wurde in sechs Teilregionen unterteilt. In jeder Teilregion sollten konsensual die jeweiligen Probleme und Herausforderungen herausgearbeitet werden, um maßgeschneiderte Förderungsmaßnahmen beim Land zu beantragen. 292 Vgl. Butzin, Bernhard et.al.(2008q): Phase 1 Integrierte Strukturpolitik, in: Regionalverband Ruhr (Auftraggeber): Regionalkunde Ruhrgebiet, Bochum, Online–Dokument: http://www.ruhrgebiet– regionalkunde.de/erneuerung_der_infrastruktur/strukturpolitik_fuer_das_ruhrgebiet/strukturpolitik_phase_1. php?p=4,1, Stand 24. Januar 2011. 293 Vgl. Butzin, Bernhard et.al.(2008r): Phase 2 Zentralisierte Strukturpolitik, in: Regionalverband Ruhr (Auftraggeber): Regionalkunde Ruhrgebiet, Bochum, Online–Dokument: http://www.ruhrgebiet– regionalkunde.de/erneuerung_der_infrastruktur/strukturpolitik_fuer_das_ruhrgebiet/strukturpolitik_phase_1. php?p=4,1, Stand 24. Januar 2011. 294 Butzin, Bernhard et.al.(2008s): Phase 3 Regionalisierte Strukturpolitik, in: Regionalverband Ruhr (Auftraggeber): Regionalkunde Ruhrgebiet, Bochum, Online–Dokument: http://www.ruhrgebiet– regionalkunde.de/erneuerung_der_infrastruktur/strukturpolitik_fuer_das_ruhrgebiet/strukturpolitik_phase_3. php?p=4,3, Stand 24. Januar 2011. 91 Den Leitlinien der Dezentralisierung, Partizipation, Kooperation und Koordination folgend sollten die endogenen Potenziale identifiziert und mobilisiert werden. Im Sinne „goldender Zügel“ leitete das Bundesland den Prozess dieser sogenannten „Regionalen Entwicklungskonferenzen“ nach festgelegten Maßstäben. Neben den regionalen Entwicklungskonferenzen gilt die „Internationale Bauausstellung Emscher Park“ als eines der herausragenden Instrumente dieser Strukturpolitikphase.295 Eine „selbstorganisierte Strukturpolitik“ wurde ab dem Jahr 2000 verfolgt. Aus den positiven und negativen Erfahrungen der Regionalen Entwicklungskonferenzen und der IBA Emscher Park lernend, sollte den aktuellen Herausforderungen begegnet werden. Insbesondere eine steigende Fragmentierung des Ruhrgebiets wurde mittels verstärkter Kooperationsansätze vermindert. Der Regionalverband Ruhr (ehemals „Kommunalverband Ruhrgebiet“), als regionaler Akteur, erarbeitete im Jahr 2002 das strukturpolitische Programm „Perspektive Ruhr“. Anhand von zwölf Kompetenzfeldern wurden die endogenen Potenziale der Region identifiziert und die Bedeutung der regionalen Netzwerke hervorgehoben. Obwohl die Landesregierung Nordrhein-Westfalens lange Zeit die Förderung der Metropolregion Rhein-Ruhr favorisierte, zielten die Akteure des Ruhrgebiets zunehmend auf eine eigenständige Entwicklung zur „Metropole Ruhr“ hin. Gestärkt wurde dieser Ansatz unter anderem durch die Übertragung der staatlichen Regionalplanung an den Regionalverband Ruhr im Jahr 2009.296 5.1.3.2 Internationale Bauausstellung Emscher Park Die Internationale Bauausstellung Emscher Park (IBA Emscher Park) war ein von 1989 bis 1999 andauerndes Strukturprogramm des Bundeslandes NordrheinWestfalen. Im Rahmen der IBA Emscher Park sollten Impulse für den wirtschaftlichen Wandel einer alten Industrieregion modellhaft mittels städtebaulicher, kultureller, sozialer und ökologischer Maßnahmen initiiert werden. Als Planungsgebiet der IBA Emscher Park wurde die, im nördlichen Ruhrgebiet liegende, Emscherzone bestimmt.297 Diese war besonders stark von dem Niedergang der Montanindustrie betroffen. Eine „chaotische Raumstruktur[…], eine vernutzte ökologische Substanz sowie eine mäßige Erschließung der Fläche“298 kennzeichneten die Emscherzone zu Beginn der 90er Jahre. Zusätzlich war das ökonomischpolitische Milieu durch eine alte Wirtschaftsstruktur und eine alte Mentalität kennzeichnet. Mit dem Ziel die altindustriellen Strukturen zukunftsfähig zu gestalten, realisierte die privatwirtschaftliche Organisation „IBA Emscher Park GmbH“ in Kooperation mit den Kommunen, Unternehmern und lokalen Initiativen der Emscherzone rund 120 Projekte. Jedes dieser Projekte orientierte sich an vorgegebenen Leitthemen und Qualitätsmerkmalen seitens der IBA Emscher Park 295 Vgl. Ebenda. 296 Vgl. Butzin, Bernhard et.al.(2008t): Phase 4 Selbstorganisierte Strukturpolitik, in: Regionalverband Ruhr (Auftraggeber): Regionalkunde Ruhrgebiet, Bochum, Online–Dokument: http://www.ruhrgebiet– regionalkunde.de/erneuerung_der_infrastruktur/strukturpolitik_fuer_das_ruhrgebiet/strukturpolitik_phase_4. php?p=4,5, Stand 24. Januar 2011. 297 Vgl. Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein–Westfalen (Hrsg.)(o.J.)a: Die internationale Bauausstellung Emscher Park 1989 – 1999, Düsseldorf, Online–Dokument: http://www.iba.nrw.de/iba/main.htm, Stand. 24. Januar 2011. 298 Rommelspacher, Thomas (1999): Das Politikmodell der IBA Emscher Park, in: Informationen zur Raumentwicklung, Heft 3/4 1999, S.158. 92 GmbH.299 Die inhaltliche Ausgestaltung der Projekte orientierte sich an sieben Leitthemen. Einen Überblick über die Leitlinien bietet die Abb. 17. Das Kernstück der IBA Emscher Park war der Ausbau des Emscher Landschaftsparks. Die bestehenden regionalen Grünzüge sollten durch die Erschließung von Brachflächen miteinander verbunden und zu einem Park umgestaltet werden. Herausragend war dabei die bewusste Integration der altindustriellen Strukturen in die zurück gewonnene Landschaft.300 Im Rahmen der weiteren Leitthemen wurden neben raumstrukturellen und ökologischen auch städtebauliche und soziale sowie wirtschaftliche Projekte umgesetzt. Durch die Einrichtung attraktiver Gewerbestandorte zur Stärkung des Dienstleistungssektors, die Modernisierung und den Neubau von Wohnsiedlungen sowie die Entwicklung altindustrieller Standorte zu Landmarken, Veranstaltungs- und Identifikationsorten konnte die IBA Emscher Park wichtige Impulse in der Region initiieren.301 Die Umsetzungsstrategie der IBA Emscher Park basierte ebenfalls auf festgelegten Grundsätzen. Dabei kam der Mobilisierung der regionalen Akteure eine hohe Bedeutung zu. Im Rahmen der IBA Emscher Park sollten keine Lösungsansätze von außen in die Region importiert werden, sondern die regionalen Akteure bei der Lösung von Problemen unterstützt werden. Insofern entwickelte die IBA Emscher GmbH keinen Masterplan, sondern schaffte lediglich einen Rahmen durch Festsetzung von Leitthemen und Qualitätsstandards für die projektbasierte Planung. Die jeweiligen Projekte wurden von lokalen Initiativen erarbeitet und durch die IBA Emscher GmbH konkretisiert und qualifiziert. „Jedes dieser Projekte soll[te] ein Trittstein sein, aus deren Summe sich schließlich ein Weg der Erneuerung der Region zusammenfügen soll[te].“302 Zusammenfassend sind in den zehn Jahren Projektlaufzeit über 120 Projekte mit einem Investitionsvolumen von rund 2,5 Milliarden Euro (5 Milliarden Deutsche Mark) in der Emscherzone umgesetzt worden. Trotz einiger Kritikpunkte an der IBA Emscher Park, wurden im Rahmen des Strukturprogramms viele positive Entwicklungen in der Region angestoßen. Insbesondere die Erhaltung und Entwicklung vieler Industriedenkmäler, zunächst kontrovers diskutiert, wurden in der Rückschau als eine der größten Verdienste der Bauausstellung interpretiert.303 Mit der offiziellen Beendigung der Internationalen Bauausstellung Emscher Park im Jahr 1999, stellte sich „die Frage nach den Perspektiven der für die Kultur entdeckten Industriedenkmäler.“304 Die „Route der Industriekultur“ und das Kulturfestival „Ruhrtriennale“ veranschaulichen die Weiterführung der durch die IBA Emscher Park gesetzten Impulse. 299 Vgl. Ebenda. 300 Vgl. Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein–Westfalen (Hrsg.)(o.J.)b: Arbeitsbereiche – Emscher Landschaftspark, Düsseldorf, Online–Dokument: http://www.iba.nrw.de/arbeitsbereiche/main.htm, Stand. 24. Januar 2011. 301 Vgl. Gatzweiler, Hans–Peter & Strubelt Wendelin (1999): Projektorientierte Planung das Beispiel IBA Emscher Park, in: Informationen zur Raumentwicklung, Heft 3/4 1999, S.XVII–XIX. 302 Siebel, Walter (1992): Die Internationale Bauausstellung Emscher–Park – Eine Strategie zur ökonomischen, ökologischen und sozialen Erneuerung alter Industrieregionen, in: Häußermann, Hartmut (Hrsg.): Ökonomie und Politik in alten Industrieregionen Europas, Berlin, S.221. 303 Vgl. Westdeutscher Rundfunk Köln (Hrsg.)(2009a): Internationale Bauausstellung Emscher Park, Köln, Online Dokument: http://www.planet– wissen.de/laender_leute/nordrhein_westfalen/innenhafen_duisburg/iba_emscher_park.jsp, Stand, 24. Januar 2011. 304 Kultur Ruhr GmbH (Hrsg.)(o.J.): Chronik der Ruhrtriennale, Gelsenkirchen, Online–Dokument: http://www.ruhrtriennale.de/de/ueber–uns/chronik/, Stand 24. Januar 2011. 93 Abb. 17 IBA Emscher Park Leitthemen Emscher Landschaftspark Das zentrale Anliegen und verbindende Thema der IBA: Wiederaufbau und Neugestaltung der geschundenden Landschaft im Emscherraum nach ökologischen und ästhetischen Kriterien durch regionale Grünzüge, Umwandlung ehemaliger Bauflächen in neu gewonnene Landschaft, Vernetzung von Freirräumen und ästhetische Interpretation des Raumes als IndustrieLandschaft. Ökologischer Umbau des Emscher Systems Nachhaltige Stabilsierung des Wasserhaushaltes in der Region durch öklogischen Umbau des Gewässers- und Abwassersytems (Klärsystem, Gewässerumbau, Einrichtung dezentraler Regenwassersysteme) Arbeiten im Park Entwicklung attraktiver und hochwertiger Gewerbestandorte für neue Gewerbe und Dienstleistungen zur Verbesserung der Beschäftigungsund Wirtschaftsstruktur durch Wiederaufbau der Landschaft, Erhaltung und neue Nutzung von Industriedenkmälern, Stadtentwicklung Städtebauliche und soziale Impulse für die Stadtentwicklung Städtebauliche und wirtschaftliche Entwicklung von Stadtteilen, Aufwertung der Bahnhofsbereiche der Köln-Mindener Eisenbahn, integrierte Entwicklung von Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf Wohnen in der Siedlung-Neubau und Erneuerung Denkmalgerechte Modernisierung gartenstädtischer Arbeitersiedlungen, Neubau von Siedlungen, „Einfach und selber Bauen“, Wohnprojekte für ältere Menschen und Alleinerziehende Industriekultur und Tourismus Erhaltung und neue Nutzung industriekultureller Bauten und Anlagen als Symbol für den Strukturwandel, Landmarken und Identifikationspunkte, Veranstaltungs- und Spielorte Kunst im Emscher Landschaftspark Künstler arbeiten in Auseinandersetzung mit der Region Entwurf: Eigene Darstellung, Frankfurt 2010 Quelle: Gatweiler, Hans (1999): IBA Emscher Park Leitthemen und räumliche Übersicht, in: Informationen zur Raumentwicklung, Heft 3/4 1999, S.XVIII. 94 Die Route der Industriekultur war eine „zentral erdachte, konzipierte und durchgeführte Großinvestition“, die durch die Internationale Bauausstellung Emscher Park initiiert wurde. Im Jahr 1996 wurde der Industrietourismus in die Zielsystematik der IBA Emscher Park aufgenommen und eine Kommission zur Erarbeitung eines Masterplans für den Tourismus im Ruhrgebiet gebildet. Als erster Baustein dieses Masterplans wurde im Jahr 1999 die Route der Industriekultur eröffnet.305 Erarbeitet von der „Deutschen Gesellschaft für Industriekultur“ und getragen durch den Regionalverband Ruhr entstand ein 400 km langer Rundkurs, bestehend aus den wichtigsten und touristisch attraktivsten Industriedenkmälern der Region. Die Route wurde stetig weiter entwickelt und setzt sich aktuell aus 25 Ankerpunkten, 15 Aussichtspunkten und 13 Arbeitersiedlungen zusammen. Die Ankerpunkte, als bedeutendste und bekannteste Altindustriestandorte des Ruhrgebiets, stellen das Rückgrat der Route dar. Der Gasometer in Oberhausen, der Innenhafen in Duisburg und die Jahrhunderthalle in Bochum sind einige der bekanntesten Ankerpunkte der Region.306 Als Wahrzeichen des Ruhrgebiets wird darüber hinaus oft der 55 Meter hohe Doppelbockförderturm des Areals der Zeche Zollverein herangezogen. Als ehemals modernste Zeche Europas, konstruiert von den Architekten Schupp und Kremmer, wurde sie im Jahr 2001 zum UNESCO Weltkulturerbe ernannt. Als Museum, Ausstellungsort und Standort der Schule für Management und Design zählt sie mittlerweile zu einem der bekanntesten Punkte der Route der Industriekultur.307 Darüber hinaus ist die Zeche Zollverein ebenso wie die gesamte Route der Industriekultur Bestandteil der „European Route of Industrial Heritage“. Diese wurde 2003 gestartet und stellt ebenfalls ein touristisches Netzwerk des industriellen Erbe Europas dar.308 Die Ruhrtriennale ist ein internationales Kulturfestivals, welches durch die Expertenkommission „Kultur NRW in Europa“ im Auftrag der Landesregierung Nordrhein-Westfalens im Jahr 1999 erarbeitet wurde. Ebenso wie die Route der Industriekultur setzte auch die Ruhrtriennale auf den Errungenschaften der IBA Emscher Park auf. Bereits während der Bauausstellung wurde die Umfunktionierung der Industriedenkmäler in kulturelle Veranstaltungsorte erprobt. Die Ruhrtriennale führte diese Idee für die kulturellen Spaten Theater, Oper, und Tanz weiter.309 „Die faszinierenden, vor dem Verfall geretteten und ins ästhetische Bewusstsein gerückten Hallen, stillgelegten Zechen und Kraftwerke erweisen sich als prädestiniert für neue Formen künstlerischer Auseinandersetzung.“310 Die während der IBA Emscher Park erhaltenen und durch die Route der Industriekultur erschlossenen Industriedenkmäler wurden mittels der Ruhtriennale kulturell 305 Vgl. Buschmann, Walter (2005): Die Neuerfindung der Industrie als Touristenattraktion– Mitteldeutsches Braunkohlereviert – Ruhrgebiet – Rheinisches Braunkohlerevier, in: Hartmut, John (Hrsg.): Industrie– und Technikmuseum im Wandel – Standortbestimmungen und Perspektiven, Bielefeld, S.235–255. 306 Vgl. Regionalverband Ruhr (Hrsg.)(2011d): Was ist die Route der Industriekultur?–Auf Kohle gewachsen, Essen, Online–Dokument: http://www.route–industriekultur.de/index.php?idcat=3, Stand 24. Januar 2011. 307 Vgl. Westdeutscher Rundfunk Köln (Hrsg.)(2009b): Essen – Ruhr 2010, Köln, Online Dokument: http://www.planet–wissen.de/laender_leute/nordrhein_westfalen/essen/index.jsp, Stand, 24. Januar 2011. 308 Vgl. Schneider, Wolfgang (2002): ERIH Die Europäische Route der Industriekultur, in: Informationen zur Raumentwicklung, Heft 4/5 2002, S.267–270. 309 Vgl. Mundt, Julia (2008): Kulturkooperation im Ruhrgebiet: Ziele – Projekte – Erträge – Dissertation über die Formen der Zusammenarbeit von öffentlicher Hand und Wirtschaft bei kulturellen Projekten im Ruhrgebiet, Norderstedt. 310 Kultur Ruhr GmbH (Hrsg.)(o.J.): a.a.O. 95 bespielt. Dabei findet die Ruhtriennale seit 2002 jährlich statt. In einem Zyklus von jeweils drei Jahren wird jeweils ein Intendant mit der künstlerischen Leitung des Festivals beauftragt.311 Die regionale Strukturpolitik hat im Ruhrgebiet einen nachhaltigen Strukturwandel bewirkt. Es wurden in unterschiedlichster Weise ökologische, soziale und wirtschaftliche Impulse in der Region gesetzt. Insbesondere der innovative Umgang mit den alten Industrieranlagen, im Rahmen der IBA Emscher Park, gilt als maßgeblicher Entwicklungsimpuls für das gesamte Ruhrgebiet. 5.1.4 Strukturelle Herausforderungen im Jahr 2006 Die Entwicklung des Ruhrgebiets war bis zum Jahr 2006 durch einen kontinuierlichen Strukturwandel geprägt. Die ehemalige montanindustrielle Region unterlag dem Wandel von einer Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Dieser Wandel wurde bestimmt von Parallelprozessen, die teils seit längerem, teils seit kürzerem und in unterschiedlicher Ausprägung innerhalb der Region wirkten. Der Fortschritt des Strukturwandels war je nach Perspektive unterschiedlich zu bewerten. Eindeutig war, dass bis zum Jahr 2006 mittels eines bewussten Strukturwandels viele positive Veränderungen im Ruhrgebiet erzielt worden waren. Darüber hinaus stand die Region jedoch immer noch großen Herausforderungen gegenüber. Diese Herausforderungen umfassten sowohl allgemeingültige Problematiken (bsp. Klimawandel), sowie spezifische Herausforderungen welche durch die altindustrielle Vorgeschichte der Region begründet waren (bsp. hoher Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund). Im Folgenden werden Problematiken denen die Region im Jahr 2006 entgegen stand und die insbesondere auf den industriellen Niedergang der Montanindustrie zurück zu führen sind untersucht. Die Untersuchung umfasst die Bereiche Wirtschaftsstruktur und Arbeitsmarkt, Außenimage und Tourismus sowie die Brachflächenentwicklung. 5.1.4.1 Wirtschaftsstruktur und Arbeitsmarkt Die Wirtschaftsstruktur des Ruhrgebiets hatte sich ausgehend von der Industrialisierung bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts stark gewandelt. Dem Niedergang der Montanindustrie, geprägt durch Deindustrialisierung der Betriebe, waren verstärkte Umstrukturierungs- und Anpassungsprozesse bei den Unternehmen des produzierenden Gewerbes und eine starke Expansion der Unternehmen des Dienstleistungssektors gefolgt.312 Im Verlauf der Jahre hatte sich eine breit gefächerte Wirtschaftsstruktur in der Region, teils aufbauend auf den alten Strukturen und teils durch die Erschließung neuer Potenziale entwickelt. Die beiden stärksten Wirtschaftssektoren im Ruhrgebiet stellten zu Anfang des 21, Jahrhunderts die Gesundheitswirtschaft, hinsichtlich der Beschäftigungszahlen, und die Energiewirtschaft, hinsichtlich der Jahresumsätze, dar. Als weitere Kompetenzfelder, definiert anhand wirtschaftlicher Stärke, umfangreicher Vernetzung und innovativer Anwendungen, galten die Wirtschaftsbereiche Logistik, Chemie, Informations- und Kommunikationstechnik und Mikrosystemtechnik.313 Basierend 311 Vgl. Kultur Ruhr GmbH (o.J.): a.a.O. 312 Vgl. Butzin, Bernhard et.al.(2008o): a.a.O. 313 Vgl. Wirtschaftsförderung Metropoleruhr (Hrsg.)(2009): Die Metropole Ruhr – Ein guter Platz zum Leben ein guter Platz zum Investieren, Mühlheim, Online Dokument: http://business.metropoleruhr.de/standort/standort–kompakt.html, Stand 24. Januar 2011. 96 auf diesen Kompetenzfeldern hatten sich im Ruhrgebiet mit der Zeit eine Vielzahl an umsatzstarken Unternehmen und Konzernzentralen angesiedelt. Insgesamt hatten 16 der 100 umsatzstärksten Unternehmen Deutschlands zum Anfang des 21. Jahrhunderts ihren Sitz im Ruhrgebiet. Dazu zählten unter anderem die ThyssenKrupp AG mit Standorten in Essen und Duisburg, die RheinischWestfälische Elektrizitätswerke RWE-AG und RWE-Energy AG mit Standorten in Essen und Dortmund sowie der Albrecht-Discount Gruppe Aldi Süd und Aldi Nord mit Standorten in Mühlheim und Essen. Aufbauend auf der räumlichen Verteilung der umsatzstarken Unternehmen, zeichneten sich starke innerregionale Disparitäten in der Region ab. Während Bochum, Dortmund, Duisburg und Essen Standorte vieler Unternehmen waren, wiesen die Kreise Unna, Wesel und Recklinghausen deutlich schwächere Wirtschaftsstrukturen auf.314 Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung des Ruhrgebiets wies in den Jahren von 1996 bis 2006 ein stetiges Wachstum auf. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Einwohner in der Region, dargestellt in Abb. 18, stieg in diesem Zeitraum mit einem Wachstum von rund 24% kontinuierlich an. Parallel dazu verringerte sich jedoch der Abstand zum bundesweiten Durchschnitt des BIP pro Einwohner nur gering. Das Verhältnis des BIP pro Einwohner im Ruhrgebiet zum BIP pro Einwohner der Bundesrepublik lag in den Jahren von 1996 bis 2006 im Verhältnis bei jeweils rund 90%. Abb. 18 Entwicklung des Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner 30.000 € Ruhrgebiet NRW Bundesrepublik BIP pro Einwohner 28.000 € 26.000 € 24.000 € 22.000 € 20.000 € 1996 1998 2000 2002 2004 2006 Entwurf: Eigene Darstellung, Frankfurt 2010 Quelle: Regionalverband Ruhr (Hrsg.)(2010): CD-Rom: Zahlenspiegel Metropoleruhr, Essen. Die Wirtschaftsstruktur des Ruhrgebiets wurde im Jahr 2006 vom tertiären Sektor dominiert. Die Unternehmen des Dienstleistungssektors erwirtschafteten im Jahr 314 Vgl. Regionalverband Ruhr(Hrsg.)(2011b): Sitz großer Konzernzentralen, Essen, Online Dokument: http://www.metropoleruhr.de/wirtschaft/unternehmen– arbeitskraefte/konzernzentralen.html, Stand 24. Januar 2011. 97 2006 rund 71% der regionalen Bruttowertschöpfung (BWS). Folglich hatte sich der Anteil des produzierenden Gewerbes am BWS bis zum Jahr 2006 deutlich verringert. Im Jahr 2006 erwirtschafteten die Betriebe des produzierenden Gewerbes rund 29% und die Betriebe der Land- und Forstwirtschaft rund 0,4% der regionalen Bruttowertschöpfung. Diese Werte entsprachen, der Aufteilung nach, in etwa den Durchschnittswerten der Bundesrepublik. Die Entwicklung der Bruttowertschöpfung (Abb. 19), aufgeteilt nach den drei Wirtschaftssektoren, verdeutlicht, dass dem Dienstleistungssektor mit der Zeit eine steigende Bedeutung für die ehemals rein industriell geprägte Region zukam. Darüber hinaus zeigt die Entwicklung, dass das produzierende Gewerbe trotz zunehmenden Bedeutungsverlustes in den Jahren von 1996 bis 2006 eine konstante Wertschöpfung erzielen konnte. Abb. 19 Entwicklung der Bruttowertschöpfung aufgeteilt nach Wirtschaftssektoren Bruttowertschöpfung in Mrd.€ 100 80 Landw irtschaf t Prod. Gew erbe Dienstleistungen 60 40 20 0 1996 1998 2000 2002 2004 2006 Entwurf: Eigene Darstellung, Frankfurt 2010 Quelle: Regionalverband Ruhr (Hrsg.)(2010): CD-Rom: Zahlenspiegel Metropoleruhr, Essen. Trotz neu geschaffener Stellen im Dienstleistungssektor war der Arbeitsmarkt im Ruhrgebiet im Jahr 2006 durch eine hohe und steigende Arbeitslosigkeit geprägt. In der Region waren in dem Jahr rund 1,46 Millionen Menschen als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte angestellt. Die Entwicklung, dargestellt in, Abb. 20, zeigt einen stetigen Rückgang der Sozialversicherungsbeschäftigten im Zeitraum von 1976 bis 2006. In diesem Zeitraum sank die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Ruhrgebiet um rund 19%. Dieser Rückgang stand einem bundesweiten Wachstum der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um 27% gegenüber. Hinsichtlich der Entwicklung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten lag das Ruhrgebiet also deutlich unter dem bundesweiten Durchschnitt. Die Differenzierung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nach Wirtschaftssektoren verdeutlicht, dass das produzierende Gewerbe diesen negativen Trend maßgeblich zu verantworten hatte. Die Entwicklung zeigt, dass ein 98 kontinuierlicher Zuwachs an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Dienstleistungssektor einem stetigen Abbau an sozialversicherungspflichtigen Stellen im produzierenden Gewerbe gegenüber stand. Die neu geschaffenen Stellen im tertiären Sektor konnten jedoch die Arbeitsplatzverluste im sekundären Sektor nicht kompensieren.315 Im Zeitraum von 1998 bis 2006 wurden im produzierenden Sektor rund 156.000 Stellen gestrichen, während im Dienstleistungssektor rund 62.000 neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. Daraus ergab sich insgesamt ein negatives Saldo. Diese negative Entwicklung wurde zudem durch die hohe Einwohnerdichte im Ruhrgebiet verstärkt. Der Beschäftigungsbesatz im Ruhrgebiet lag im Jahr 2006 mit einem Wert von 278 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten pro 1.000 Einwohner deutlich unter dem bundesdeutschen Durchschnittswert. Im Bundesdurschnitt kamen auf 1.000 Einwohner rund 320 Sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze.316 Diese Zahlen verdeutlichen, dass im Ruhrgebiet, gemessen an der hohen Einwohnerzahl, zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu wenige Arbeitsplätze zur Verfügung standen. Entgegen der unter dem Bundesdurchschnitt liegenden Entwicklung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, entsprach dessen Verteilung auf die einzelnen Wirtschaftssektoren in etwa den bundesweiten Durchschnittswerten. Im Jahr 2006 arbeiteten im Ruhrgebiet rund 61% der Sozialversicherungsbeschäftigten im Dienstleistungssektor, rund 29% der Beschäftigten im produzierenden Sektor und etwa 0,7% in der Land- und Forstwirtschaft. Abb. 20 Entwicklung der Sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aufgeteilt nach Wirtschaftssektoren Sozialverspfl. Beschäftigte in Millionen 2,0 1,5 1,0 Landw irtschaf t Prod. Gew erbe Dienstleistungen Insgesamt 0,5 0,0 1976 1981 1986 1991 1996 2001 2006 Entwurf: Eigene Darstellung, Frankfurt 2010 Quelle: Regionalverband Ruhr (Hrsg.)(2010): CD-Rom: Zahlenspiegel Metropoleruhr, Essen. 315 Vgl. Regionalverband Ruhr (Hrsg.)(2010): CD–Rom: Zahlenspiegel Metropoleruhr, Essen. 316 Vgl. Eltges, Markus (2008): a.a.O. 99 Die negative Entwicklung bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ging mit einer steigenden Anzahl von Arbeitslosen einher. Die Entwicklung der Arbeitslosenquote, dargestellt in Abb. 21, verdeutlicht die überproportional hohe Arbeitslosequote des Ruhrgebiets im Jahr 2006. Im diesem Jahr lag die Arbeitslosenquote im Ruhrgebiet, gemessen an den abhängigen Erwerbstätigen bei 15,1%. Der Bundesdurchschnitt lag im gleichen Jahr bei 11,4%.317 Dabei umfasste die Arbeitslosenstruktur im Ruhrgebiet einen hohen Anteil an Langzeitarbeitslosen. Rund 50% der Arbeitslosen waren im Jahr 2006 bereits über ein Jahr lang arbeitslos. Damit lag die Quote der Langzeitarbeitslosen der Region zehn Prozentpunkte über dem Bundesdurchschnitt.318 Einhergehend mit der hohen Anzahl Langzeitarbeitsloser, war die Anzahl der Sozialhilfeempfänger im Ruhrgebiet ebenfalls überdurchschnittlich hoch. 319 Abb. 21 Entwicklung der Arbeitslosenquote 20% Arbeitslosenquote 15% 10% 5% Ruhrgebiet NRW BRD 0% 1976 1981 1986 1991 1996 2001 2006 Entwurf: Eigene Darstellung, Frankfurt 2010 Quelle: Regionalverband Ruhr (Hrsg.)(2010): CD-Rom: Zahlenspiegel Metropoleruhr, Essen. Die Wirtschaftsstruktur des Ruhrgebiets hatte sich im Zeitraum seit der Industrialisierung bis zum Jahr 2006 stark gewandelt. Der Dienstleistungssektor entwickelte sich hinsichtlich der BWS und der Beschäftigtenzahl zum wichtigsten Wirtschaftssektor der Region. Im produzierenden Gewerbe wurden hingegen viele Betriebe geschlossen und Arbeitsplätze abgebaut. Die BWS des produzierenden Gewerbes blieb in den Jahren von 1996 bis 2006 jedoch nahezu konstant und konnte sogar leicht ausgebaut werden. Dies spricht für eine effiziente Umstrukturierung vieler Produktionsbetriebe und einer Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen. Insofern befand sich die gesamtwirtschaftliche Entwicklung des 317 Vgl. Regionalverband Ruhr (Hrsg.)(2010): CD–Rom: Zahlenspiegel Metropoleruhr, Essen. 318 Vgl. Eltges, Markus (2008): a.a.O. 319 Vgl. Lackmann, Gregor (2008): Raumwirksame Bundesmittel und ihre Bedeutung für das Ruhrgebiet, in: Informationen zur Raumentwicklung, Heft 9/10 2008, S.583–607. 100 Ruhrgebiets bis zum Jahr 2006 auf einem guten Weg. Dennoch blieben die Umsatzund Beschäftigtenzahlen hinter den bundesdeutschen Durchschnittswerten zurück. Insbesondere die Arbeitslosenzahlen, mit einem hohen Anteil an Langzeitarbeitslosen, stellte die Region weiterhin vor hohe Herausforderungen. Es galt die Wirtschaft weiterhin zu stärken. Die bestehenden Potenziale galt es weiter auszubauen und zu fördern sowie weitere Potenziale zu erschließen. Damit einher gehend galt es zukunftsfähige, Arbeitsplätze für qualifizierte als auch gering qualifizierte Arbeitnehmer zu schaffen. 5.1.4.2 Altindustrielle Areale und Brachflächenentwicklung Die raumstrukturelle Entwicklung des Ruhrgebiets wurde während der 150-jährigen Industriegeschichte weitestgehend von den Interessen und Ansprüchen der montanindustriellen Betriebe dominiert.320 Im Zuge ungesteuerter Wachstums- und Verdichtungsprozesse wurden bis Ende des 20. Jahrhunderts rund 30.000ha (6.8% der Gesamtfläche des Ruhrgebiets) als Industrie- und Gewerbefläche erschlossen.321 Der Niedergang der Montanindustrie löste eine großflächige Deindustrialisierung aus. Während die Betriebe geschlossen oder an andere Standorte verlegt wurden, blieben die vernutzten Teilräume der Industrialisierung im Ruhrgebiet bestehen.322 Es entstanden teils große altindustrielle Brachflächen, die häufig mit Altlasten kontaminiert waren, jedoch zugleich wertvolle Potenzialflächen zur Stadt- und Regionalentwicklung darstellten.323 Bis in die 1980er Jahre wurden die brachgefallenen Industrieanlagen in der Regel vollständig abgerissen. Durch die völlige Beseitigung der historischen Bausubstanz sollte ein neues zukunftstragendes Erscheinungsbild der Region geprägt werden.324 Die ersten Umnutzungen, häufig dem Konsum- und Freizeitmarkt dienend, führten aufgrund fehlender gesamträumlicher Planungen jedoch zu einem „Flickenteppich eines punktuell renovierten Ruhrgebiets.“325 Erst im Rahmen der IBA Emscher Park wurde erstmals ein gesamträumliches und nachhaltiges Konzept zum Umgang mit den industriellen Hinterlassenschaften entwickelt. Durch die Etablierung der Industriekultur wurden die ehemaligen Industrieanlagen nicht mehr lediglich als Arbeitsplatz und Zweckbau der Montanindustrie, sondern zunehmend als architektonisch wertvolle Zeugnisse und Orientierungspunkte der industriellen Vergangenheit wahrgenommen.326 Alte Zechen, Stahlwerke und Halden wurden unter Denkmalschutz gestellt und mittels kultureller Ereignisse und Bespielungen „diskursfähig, verstehbar und erlebbar“327 gemacht. Die Jahrhunderthalle in Bochum, der Gasometer in Oberhausen und die Weltkulturerbestätte Zeche Zollverein in Essen hatten sich bis zum Jahr 2006 zu identitätsstiftenden Wahrzeichen der Region entwickelt. Die Industriedenkmäler, mit 320 Vgl. Wehling, Hans (2006): a.a.O. 321 Vgl. Dosch, Fabian & Porsche Lars (2008): Grüne Potenziale unter blauem Himmel – Neue Zugänge zur Flächenrevitalisierung und Freiraumentwicklung im Ruhrgebiet, in: Informationen zur Raumentwicklung, Heft 9/10 2008, S.609–625. 322 Vgl. Expertengespräch mit Regionalverband Ruhr (a). 323 Vgl. Butzin, Bernhard et.al.(2008p): a.a.O. 324 Vgl. Wehling, Hans (2006): a.a.O. 325 Butzin, Bernhard et.al.(2008p): a.a.O. 326 Vgl. Wehling, Hans (2006): a.a.O. 327 Butzin, Bernhard et.al.(2008u): Warum Industriekultur, in: Regionalverband Ruhr (Auftraggeber): Regionalkunde Ruhrgebiet, Bochum, Online–Dokument: http://www.ruhrgebiet– regionalkunde.de/erneuerung_stadtregionaler_raeume/industriekultur/warum_industriekultur.php?p=3,1, Stand 24. Januar 2011. 101 einem hohen ästhetischen und identitätsstiftenden Wert, stellten jedoch zugleich eine hohe finanzielle Herausforderung für die Ruhrgebietskommunen dar. Sowohl die Entwicklung und Aufbereitung der Standorte als auch die Pflege, Unterhaltung und Weiterentwicklung war und ist bis zur Gegenwart eine finanzielle Belastung für die Kommunen.328 Durch die Route der Industriekultur wurden viele der Industriedenkmäler touristisch erschlossen und regelmäßig stattfindende Veranstaltungen wie die „Ruhrtriennale“, die „Extraschicht“ oder das „Klavier Festival Ruhr“ nutzen die Industriedenkmäler als Veranstaltungs- und Bespielungsorte. Um die finanzielle Tragfähigkeit der jeweiligen Anlagen zu stärken, galt es die Entwicklung, Bespielung und Vermarktung der Anlagen weiter zu fördern.329 Mittels der Industriekultur wurden bereits viele ehemalige Industrieareale im Ruhrgebiet effektiv umgenutzt. Dennoch nahmen die Brachflächen im Jahr 2006, immer noch einen hohen Anteil an der Gesamtfläche der Region ein. Dieser Anteil wurde nach unterschiedlichen Angaben auf rund 10.000ha geschätzt. Obwohl der Dienstleistungssektor den stärksten Wirtschaftszweig in der Region darstellte, wurde für die folgenden Jahre dennoch die Entstehung neuer Brachflächen durch die Montanindustrie erwartet. Diese Erwartung war insbesondere durch die Einstellung der Landes- und Bundessubventionen zur Steinkohleförderung bis zum Jahr 2018 begründet. Die Entwicklung ausgewählter Brachflächen, dargestellt in Tab. 2, zeigt, dass im Zeitraum von 1996 bis 2006 bereits ein Anstieg der Zechenbrachen im Ruhrgebiet zu verzeichnen war. Dahingegen haben Wohnbrachen und die gewerblich-industriellen Brachen durch Wiedernutzungen der Flächen im gleichen Zeitraum deutlich abgenommen. Diese Entwicklung zeigt, dass die Raumstruktur des Ruhrgebiets bis zum Jahr 2006 noch stark durch die brachgefallenen montanindustriellen Flächen geprägt war. Insbesondere vor dem Hintergrund einer rückläufigen Flächennachfrage, der sinkenden Bevölkerungsanzahl und eines negativen Wanderungssaldos stellte die Brachflächenentwicklung im Ruhrgebiet im Jahr 2006 nach wie vor eine Herausforderung dar.330 Die Raumstruktur des Ruhrgebiets war bis zum Jahr 2006 nach wie vor von den Hinterlassenschaften der Montanindustrie geprägt. Viele der großflächigen und architektonisch prägnanten Industriestandorte wurden durch die Etablierung der Industriekultur erhalten und touristisch erschlossen. Darüber hinaus bestand im Ruhrgebiet dennoch ein großer Anteil an kleinräumigen und kulturell eher unspektakulären altindustriellen Flächen. Diese waren zudem oft durch Altlasten kontaminiert und dadurch nur durch hohe finanzielle Aufwendungen einer Neunutzung zuzuführen. Insofern galt es, zum einen die Industriedenkmäler weiter zu erschließen und finanziell tragfähiger zu machen und zum anderen die bestehenden Brachflächen Neunutzungen zuzuführen und attraktiver zu gestalten. 328 Vgl. Jasper, Karl & Scholz, Carola (2008): Stadtentwicklung in der Städteregion Ruhr, in: Informationen zur Raumentwicklung, Heft 9/10 2008, S.627–637. 329 Vgl. Expertengespräch mit Regionalverband Ruhr (a). 330 Vgl. Dosch, Fabian & Porsche Lars (2008): a.a.O. 102 Tab. 2 Entwicklung der Brachflächen im Ruhrgebiet Brachen 1996 1999 in ha Brachen 20042006 in ha 3082 3061 2712 2698 1485 1390 766 1106 Nichtgenutzte Verkehrsflächen 412 561 Summe aller Brachflächen 8456 8816 Brachflächen Gewerbliche und industrielle Brachflächen Halden o In Schüttung oder Abtragung befindlich o Rekultivierte Halden, auch Teile einer Halde Wohnbrachen o Baulücken o z.Z. ungenutzt, erschlossen o z.Z. ungenutzt, vorgesehen für Wohnbebauung Zechenbrachen o Geräumte, ungenutzte Betriebsflächen Entwurf: Eigene Darstellung, Frankfurt 2010 Quelle: Dosch, Fabian & Porsche Lars (2008): Grüne Potenziale unter blauem Himmel - Neue Zugänge zur Flächenrevitalisierung und Freiraumentwicklung im Ruhrgebiet, in: Informationen zur Raumentwicklung, Heft 9/10 2008, S.616. 5.1.4.3 Außenimage und Tourismus Die Wahrnehmung des Ruhrgebiets war bis zum Jahr 2006 stark von der montanindustriellen Vergangenheit der Region geprägt. Rund 150 Jahre hatte die Montanindustrie das Denken und das Handeln der Region und ihrer Einwohner bestimmt. Mit dem Niedergang der Kohle- und Stahlindustrie setzte ein regionaler Strukturwandel ein. Mit dem Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft veränderten sich zwar die Strukturen der Region, das Image „vom schwarzen Land“331 blieb jedoch weiterhin in den Vorstellungen vieler Menschen bestehen.332 Aufgrund der steigenden Bedeutung des Faktors Image im zunehmend globalisierten Wettbewerb der Regionen, initiierte der Regionalverband Ruhr (ehemals Kommunalverband Ruhr) ab den 80er Jahren deutschlandweite 331 Schwarz, Angela (2008): Industriekultur, Image und Identität im Ruhrgebiet oder Die umstrittene Frage nach dem Strukturwandel in den Köpfen, in: Schwarz, Angela (Hrsg.): Industriekultur, Image, Identität – Die Zeche Zollverein und der Wandel in den Köpfen, Essen, S.35. 332 Vgl. Blotevogel, Hans et.al. (1999): Regionalmarketing für das Ruhrgebiet Internationale Erfahrungen und Bausteine für eine Region mit Zukunft – „Strukturwandel an der Ruhr im internationalen Vergleich“ Ein Projekt des Initiativkreises Ruhrgebiet, Essen. 103 Imagekampagen zur Verbesserung des Ruhrgebiet-Images. „Nicht die Wirtschaft sollte wie bisher das Image […] der Region, sondern das Image die Wirtschaft prägen.“333 Unter dem Motto der 80er Jahre „Ein starkes Stück Deutschland“ und dem Motto der 90er Jahre „Der Pott kocht“ sollte sowohl das Eigenimage der Ruhrgebietsbevölkerung als auch die Außenwahrnehmung der Region verbessert werden. Im Rahmen der IBA Emscher Park, von 1989 bis 1999, wurde die Kultur erstmals zielgerichtet als Imagefaktor eingesetzt.334 Das Ziel bestand darin das Ruhrgebiet von einer proletarischen Region zu einer Kulturdestination zu entwickeln.335 Es galt die Bilder des Wandels in der Öffentlichkeit zu kommunizieren und das Ruhrgebiet als attraktive Region in der Wahrnehmung der Menschen zu etablieren. Trotz der umfangreichen Imagemaßnahmen, hat das Ruhrgebiet „sein Bild der fünfziger, sechziger Jahre bisher nicht auslöschen können.“336 Während sich die Innenwahrnehmung der Region bis zum Jahr 2006 sukzessive verbesserte, wurde das Außenimage des Ruhrgebiets immer noch stark durch Unwissenheit und die Vorstellungen der alten Klischees geprägt.337 „Das beste Zeichen dafür [,inwieweit sich das Image einer Region verbessert,] ist wie viele Menschen in die Region reisen.“338 In Anlehnung an das schlechte Außenimage galt das Ruhrgebiet bis in die 1990er Jahre als „eine Region, aus der man zum Erholen wegfährt.“339 Die Idee zur touristischen Etablierung des Ruhrgebiets wurde erstmals im Rahmen der, durch die IBA Emscher Park initiierte Industriekultur entwickelt. „Der Tourismus, als wenig konjunkturanfälliger und zugleich wachstumsstarker Dienstleistungsbereich“340 wurde zunehmend als wirtschaftliche Zukunftsperspektive für die Region erachtet. Im Jahr 1997 wurde der Masterplan „Reisen ins Revier“ erarbeitet, dessen Konzept auf den drei Hauptbausteinen Industriekultur, Entertainment und ungewöhnliche Kulturereignisse aufbaute. Zur Umsetzung und Weiterentwicklung des Konzepts wurde die „Ruhr Tourismus GmbH“ (ehemals „Agentur Reisen ins Revier“) im Jahr 1998 gegründet. In ihrem Aufgabenfeld lag es, das Ruhrgebiet als Kultur- und Tourismusdestination neu zu entwerfen und zu entdecken. Als Dachmarke der Region wurde im Jahr 1999 die Route der Industriekultur eröffnet, welche die Industriedenkmäler als Alleinstellungsmerkmal der Region touristisch erschlossen hat. Es galt die Potenziale der individuellen Industriegeschichte und dessen Hinterlassenschaften effektiv zu nutzen. „Das heißt, ich komme ins Ruhrgebiet wegen des Ruhrgebiets, nicht trotz des Ruhrgebiets.“341 Das Ruhrgebiet als Tourismusregion, zielend auf Kultur- und Städtetouristen, stand im Jahr 2006 jedoch noch ganz am Anfang der Entwicklung.342 Im Jahr 2006 betrug der Anteil der Übernachtungsgäste im 333 334 335 336 337 338 339 340 341 342 Schwarz, Angela (2008): a.a.O., 36f. Vgl. Ebenda. Vgl. Ebenda. Zit in: Fleiß, Daniela & Strelow Dörte (2008): Urlaub im Schatten des Förderturms: Industriekultur als Tourismusattraktion und Hoffnungsträger, in: Schwarz, Angela (Hrsg.): Industriekultur, Image, Identität – Die Zeche Zollverein und der Wandel in den Köpfen, Essen, S.241. Vgl. Ebenda. Günter, Roland (2003): 10 Jahre IBA – und was nun? – Perspektiven für die Region nach der IBA, in: Geographische Revue Heft 1/2003, S.7–30. Zit. in: Fleiß, Daniela & Strelow Dörte (2008): a.a.O., S.233. Ebenda, S.228. Zit. in: Ebenda, S.237. Vgl. Ebenda. 104 Ruhrgebiet knapp 12% an den Übernachtungsgästen in Nordrhein-Westfalen und rund 1,3% der Übernachtungsgäste in der gesamten Bundesrepublik. Die Entwicklung der Touristen pro 1.000 Einwohner, dargestellt in Abb. 22, verdeutlicht die bis dahin geringe Bedeutung des Ruhrgebiets als Tourismusdestination. Relativ zur hohen Einwohneranzahl lagen die Werte in dem Jahr deutlich unter den Werten des Bundeslands und der Bundesrepublik.343 Abb. 22 Entwicklung der Touristen pro Tausend Einwohner Touristen je Tausend Einwohner 5.000 4.000 Ruhrgebiet NRW BRD 3.000 2.000 1.000 0 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 Entwurf: Eigene Darstellung, Frankfurt 2010 Quelle: Vgl. Tourismus NRW e.V. (Hrsg.)(2009): Übernachtungszahlen aller Gäste in den einzelnen Regionen von 1999-2009. / Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (o.J): Übernachtungen in Beherbergungsbetrieben nach Bundesländern. / Statistisches Bundesamt (Hrsg.)(2006): Tourismus in Deutschland 2005: Ankünfte und Übernachtungen nehmen zu - Ergebnisse der Monatserhebung im Tourismus, Wiesbaden. / Regionalverband Ruhr (Hrsg.)(2010): CD-Rom: Zahlenspiegel Metropoleruhr, Essen. Die regionalen Übernachtungszahlen waren im Zeitraum von 1999 bis 2006 zwar leicht angestiegen, jedoch bleibt fraglich inwieweit dieser Trend auf einen verstärkten Kultur- und Städtetourismus zurück zu führen ist. „Das Ruhrgebiet war schon seit eh und je beliebte Destination für Messen, Kongresse und Tagungen.“344 Insofern haben die Geschäftsreisenden schon jeher einen hohen Anteil an den Übernachtungsgästen in der Region ausgemacht. Einschätzungen zufolge machte der Geschäftsreiseverkehr durchschnittlich 80% aller Übernachtungsgäste im Ruhrgebiet aus und war zudem stark konjunkturell beeinflusst. Je nachdem welche 343 Vgl. Tourismus NRW e.V. (Hrsg.)(2009): Übernachtungszahlen aller Gäste in den einzelnen Regionen von 1999–2009, Online–Dokument. / Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (o.J): Übernachtungen in Beherbergungsbetrieben nach Bundesländern, Online–Dokument. / Statistisches Bundesamt (Hrsg.)(2006): Tourismus in Deutschland 2005: Ankünfte und Übernachtungen nehmen zu – Ergebnisse der Monatserhebung im Tourismus, Wiesbaden, Online–Dokument. 344 Expertengespräch RUHR.2010 GmbH. 105 Messen und Tagungen in der Region stattfanden, änderte sich die Anzahl der Geschäftsreisenden in die Region.345 Der hohe Anteil an Geschäftsreisenden spiegelte sich zudem in den Öffnungszeiten und Auslastungen der Beherbergungsbetriebe wieder. Viele Hotels und Pensionen hatten am Wochenende geschlossen oder hielten „einen Schmalspurbetrieb.“346 Insofern ist die leichte Zunahme an Touristen im Zeitraum bis 2006 sowohl auf den Geschäftstourismus als auch auf den europaweiten Trend des steigenden Städtetourismus zurück zu führen. Es wird deutlich, dass das Außenimage des Ruhrgebiets bis zum Jahr 2006 stark von den industriellen Klischees der Vergangenheit bestimmt wurde. Der Wandel von der Industrieregion zur industriekulturellen Region wurde bis dato von außen kaum wahrgenommen. Insofern stand die Entwicklung des Ruhrgebiets als Tourismusdestination für Kultur- und Städtetouristen zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch ganz am Anfang. Es galt die kulturellen Potenziale der Region weiter zu fördern. Die industriekulturelle Landschaft musste nach außen vermarktet und für den Tourismus weiter erschlossen werden. Die gegenseitig verstärkenden Effekte zwischen einem verbesserten Außenimages und eines hohen Tourismusaufkommens galt es zu nutzen und zu stärken. 5.2 Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ Das Ruhrgebiet erhielt, stellvertretend durch die Stadt Essen, die Auszeichnung zur Kulturhauptstadt Europas 2010. Mit dem Titel „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ war diese neben der Kulturhauptstadt aus dem Jahr 2007 (Luxemburg und Großregion) die zweite Kulturhauptstadt überhaupt, die auf regionaler Zusammenarbeit aufbaute. Während die Kulturhauptstadt Luxemburg in der Kooperation mit der Großregion auf transnationale Zusammenarbeit fokussiert war, verfolgte die Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ einen sehr viel stärkeren innerregionalen Kooperationsansatz. Insofern wurde die Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ häufig als erste Kulturhauptstadt im Sinne einer „Kulturhauptregion“ bezeichnet. 5.2.1 Vorbereitungsphase Der Ernennung zur Kulturhauptstadt Europas 2010 „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ ging eine mehrjährige Vorbereitungs- und Bewerbungsphase voraus. Ausgehend von dem Jahr 2001 war die Bewerbung zur Kulturhauptstadt und die Durchführung des Kulturhauptstadtjahres ein kontinuierlicher Prozess, der von den regionalen Akteuren des Ruhrgebiets geleitet wurde. 5.2.1.1 Rechtliche Grundlagen Der europäische Beschluss von 2005 zur Anpassung der Gemeinschaftsaktion Kulturhauptstadt Europas an die europäische Osterweiterung legte fest, dass im Jahr 2010 Deutschland und Ungarn als Gastgeberländer der Kulturhauptstädte Europas fungieren durften. Der „Beschluss über die Einrichtung einer Gemeinschaftsaktion zur Förderung der Veranstaltung Kulturhauptstadt Europas für die Jahre 2005 bis 2019“ aus dem Jahr 1999 galt als rechtliche Grundlage zur Ausgestaltung dieses Kulturhauptstadtjahres im Ruhrgebiet (und in Pécs). 345 Vgl. Expertengespräch mit Ruhr Tourismus GmbH. 346 Ebenda. 106 Zusätzlich galten für die Kulturhauptstädte Europas 2010 erstmals die Übergangsbestimmungen des zurzeit aktuellen „Beschlusses über die Einrichtung einer Gemeinschaftsaktion zur Förderung der Veranstaltung Kulturhauptstadt Europas für die Jahre 2007 bis 2019“ aus dem Jahr 2006. Aufgrund dessen wurde bei den Kulturhauptstädten 2010 erstmals eine Überwachungs- und Beratungsjury zur Begleitung der Vorbereitungen bis zum Kulturhauptstadtjahr eingesetzt. Des Weiteren wurde diesen beiden Kulturhauptstädten erstmals die Auszeichnung zu Ehren von Melina Mercouri (Initiatorin zur Idee der Kulturhauptstadt Europas) im Vorfeld des Kulturhauptstadtjahres verliehen.347 In den weiteren Angelegenheiten galten die Bestimmungen des europäischen Beschlusses aus dem Jahr 1999. Bedeutend für die Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ war insbesondere der Artikel fünf des Beschlusses 1419/1999/EG. Dieser legte ausdrücklich folgendes fest: „Die Städte können beschließen, die sie umgebende Region in ihr Programm mit einzubeziehen.“348 Zusätzlich zu den europäischen Beschlüssen hat jedes Gastgeberland eigene Beschlüsse zum nationalen Auswahlverfahren festgelegt. In Deutschland basiert dieses Verfahren auf Vereinbarungen, die zwischen dem Bundesrat, der Kulturministerkonferenz und dem Auswärtigen Amt festgesetzt wurden. Diese sind im Beschluss des „Ständigen Beirats des Bundesrates vom 08. Dezember 1999“ festgelegt.349 5.2.1.2 Bewerbungsverfahren Das Bewerbungsverfahren des Ruhrgebiets zur Kulturhauptstadt 2010 ist in vier Phasen einzuteilen. Zu Beginn des Prozesses fand die „interne Sondierungsphase“ statt. Im Januar 2001 entwickelten die Kulturdezernenten der Städte Bochum, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen und Oberhausen die Idee, sich um den Titel Kulturhauptstadt Europas zu bewerben. Fünf Monate später wurde auf der Kulturdezernentenkonferenz des Regionalverbandes Ruhr (ehemals Kommunalverband Ruhrgebiet) der Vorschlag für eine gemeinsame Bewerbung formuliert und ein Vorbereitungskreis eingesetzt. Dieser erarbeitete ein Grundsatzpapier zur Bewerbung, das im August 2001 verabschiedet wurde. Obwohl innerhalb der Region Städte wie Essen und Bochum als treibende Kräfte, Städten wie Dortmund und Duisburg als zweifelnde Akteure gegenüberstanden, wurde eine gemeinsame Bewerbung der Region von Anfang an propagiert. Im Oktober 2002 wurde beim Regionalverband Ruhr das Bewerberbüro, mit dem Auftrag mögliche Schwerpunkte einer Bewerbung zu erarbeiten, eingerichtet. Basierend auf einer durch die Westdeutsche Allgemeine Zeitung durchgeführte Telefonumfrage (rund 73.000 Anrufe) entschied die Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr im Februar 2004, dass Essen Bannerstadt der Kulturhauptstadtbewerbung werden sollte. 347 Vgl. Europäische Union (2006): Beschluss Nr. 1622/2006/EG Des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 2006 über die Einrichtung einer Gemeinschaftsaktion zur Förderung der Veranstaltung „Kulturhauptstadt Europas“ für die Jahre 2007 bis 2019, Luxemburg. 348 Europäische Union (1999): Beschluss Nr. 1419/1999/EG Des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates vom 25. Mai 1999 über die Einrichtung eine Gemeinschaftsaktion zur Förderung der Veranstaltung „Kulturhauptstadt Europas“ für die Jahre 2005 bis 2019, Luxemburg, S.3. 349 Vgl. Auswärtigen Amt (Hrsg.)(2008): Europäische Kulturhauptstadt, Berlin, Online–Dokument: http://www.auswaertiges– amt.de/DE/Aussenpolitik/KulturDialog/ZieleUndPartner/EuropKulturhauptstadt_node.html, Stand, 24. Januar 2011. 107 Als zweite Phase folgte die „Landesausscheidung“. „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ stand in Konkurrenz zu den Mitbewerber-Städten Köln und Münster des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. Im Mai 2004 entschied eine vom Landeskulturministerium eingesetzt Jury zugunsten von „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“. Wurde die Bewerbung des Ruhrgebiets bis dahin von vielen Akteuren belächelt, konnten die Bewerber mit der Landesentscheidung einen ersten Erfolg feiern. „Wir haben es geschafft eine Stadt wie Köln aus dem Rennen zu werfen. Da hat niemand hier in Nordrhein-Westfalen dran geglaubt. Die Bewerbung zur Kulturhautstadt ist doch sehr belächelt worden: lass die mal machen. Auch die die es nachher auf Landesebene zu entscheiden hatten dachten: naja gut das Ruhrgebiet. Aber wir waren besser.“350 Die „Nationale Ausscheidung“ folgte als dritte Phase des Bewerbungsprozesses. Deutschlandweit konkurrierte „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ mit neun weiteren Mitbewerber-Städten (Bremen, Braunschweig, Görlitz, Halle/Saale, Karlsruhe, Kassel, Lübeck, Potsdam, Regensburg). Im Juli 2004 reichten die Bewerberstädte ihre Bewerberschriften beim Auswärtigen Amt ein. Im Auftrag des Bundesrates und der Kultusministerkonferenz wurde eine Expertenjury mit der Bewertung dieser Bewerbungen beauftragt. Im April 2005 verkündete die Jury ihre Ergebnisse. Sie empfahl „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ und Görlitz mit seiner polnischen Partnerstadt Zogerzelec, den Organen der Europäischen Union vorzuschlagen. Begründet wurde die Auswahl des Ruhrgebiets unter anderem damit, dass die Region „exemplarisch für die enormen Probleme des Strukturwandels sowie deren Lösungen“351 stehe. „Die Bewerbung Essens thematisiert diesen Umbruch, der die Entwicklung vieler Städte, auch in den neuen Mitgliedsländern der Europäischen Union beherrschen wird, und ist infolgedessen von grenzüberschreitender Relevanz.“352 Dabei kam bereits bei der Bewerbung den durch die IBA Emscher Park entwickelten Industriedenkmälern ein wichtiger Anschauungseffekt zu. „Wir haben es bei allen Jurys die damals da waren erlebt, die Art und Weise wie wir diesen Wandel gestalten und aus Zollverein inzwischen ein Weltkulturerbe gemacht haben, wie aus der Jahrhunderthalle ein Festivalhaus mit einem industrienaturellen Park entstanden ist, wie in Duisburg mit der gewaltigen Kraftzentrale gewissermaßen neue Bespielungsinhalte entwickelt worden sind, das hat die immer sehr beeindruckt.“353 Der Empfehlung der Jury folgend teilte das Auswertige Amt dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission schließlich „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ und Görlitz als Bewerberstädte für das Kulturhauptstadtjahr 2010 mit. Zuletzt folgte die „Europäische Ausscheidung“ des Bewerbungsprozesses. Im Januar 2006 wurde den europäischen Gremien die überarbeitete Bewerbungsschrift „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ übergeben und im März 2006 der siebenköpfigen Jury in Brüssel das Konzept präsentiert. Daraufhin fiel im April 2006 die Entscheidung der Jury. „Nach einer umfassenden Debatte, welche auch die Ziele und Kriterien der Kulturhauptstadt-Idee einschlossen, erzielte die Jury den 350 Expertengespräch beim Regionalverband Ruhr (a). 351 Betz, Gregor (2008): Von der Idee zum Titelträger – Regionale Kooperationsprozesse des Ruhrgebiets bei der Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas 2010, in: Mittag Jürgen (Hrsg.): Die Idee der Kulturhauptstadt Europas Anfänge, Ausgestaltung und Auswirkungen der Europäischen Kulturhauptstadt, Essen, S.196. 352 Zit. in: Ebenda, S. 196. 353 Expertengespräch beim Regionalverband Ruhr (b). 108 Konsens, Essen aufgrund des innovativen und herausragenden Charakters und der Wichtigkeit des Projekts, das es 2010 und darüber hinaus verwirklichen will, für den Titel zu nominieren“354. Der Empfehlung der Jury folgend, ernannte der Europäische Kulturministerrat im November 2006 „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ als Kulturhauptstadt Europas. Damit standen „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“, Pécs und Istanbul als Kulturhauptstädte Europas 2010 fest.355 Als Erfolgskriterien der Nominierung des Ruhrgebiets zur Kulturhauptstadt wurden drei Aspekte angeführt. „Wir haben durch drei Dinge gewonnen. Zum ersten waren wir sehr fleißig und es war gut gemacht, keine Frage. Das zweite war, dass wir die IBA hatten. Wir konnten die Standorte zeigen wo dieser Wandel sich vollzieht. […] Und das dritte war die Ruhrtriennale. Natürlich hatten auch schon Mitglieder der Jury, Auftritte der Ruhrtriennale gesehen. [Daher wusste sie] wie spektakulär Kultur in den Industriebauten wirkt.“356 5.2.2 Konzeption „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet Kulturhauptstadt Europas 2010“ Die „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ war eine Gemeinschaftsaufgabe der 53 Kommunen des Ruhrgebiets. Die regionale Ausrichtung der Kulturhauptstadt wurde von der europäischen Jury als bedeutend hervorgehoben. „The main challenge […] lays with regenerating through culture an industrial region of 53 municipalities with 5.3 million inhabitants and 140 nationalities and transforming it into a new living metropolis.“357 Die regionale Ausrichtung war somit eine große Herausforderung hinsichtlich der organisatorischen und inhaltlichen Ausgestaltung der Kulturhauptstadt 2010. Eine komplexe Akteursstruktur und die Ansprüche der verschiedenen Kooperationspartner galt es, sowohl organisatorisch als auch inhaltlich effektiv zusammen zu bringen.358 5.2.2.1 Organisatorische Ausgestaltung Die RUHR.2010 Kulturhauptstadt Europas GmbH „Essen für das Ruhrgebiet“ (RUHR.2010) wurde im Dezember 2006 als zentrale Trägerstruktur zur Vorbereitung und Durchführung der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ gegründet. Als wesentliche Zielsetzung oblag der RUHR.2010 „die Realisierung des Kulturhauptstadtprogramms einschließlich der damit verbundenen Marketing- und Tourismusaktivitäten, die Entwicklung von nachhaltig wirkenden Strukturen für die Kulturmetropole Ruhr und der effektive Einsatz der bereitgestellten, sowie weiter zu akquirierender Finanzmittel.“359 Als Gesellschafter der RUHR.2010 fungierten die Stadt Essen, der Regionalverband Ruhr, das Bundesland Nordrhein-Westfalen und der Initiativkreis Ruhr. Diese waren in der Gesellschaftsversammlung sowie dem Aufsichtsrat der RUHR.2010 vertreten. Darüber hinaus war der RUHR.2010 ein Kuratorium angeschlossen. Die Mitglieder, 354 355 356 357 Zit. in: Betz, Gregor (2008): a.a.O., S. 197f. Vgl. Ebenda. Expertengespräch beim Regionalverband Ruhr (b). Selection Panel for the European Capital of Culture (ECOC) 2010 (2006): Report of the Selection Meeting for the European Capitals of Culture 2010, Online–Dokument: http://ec.europa.eu/culture/pdf/doc674_en.pdf, S.13. 358 Vgl. Pachaly, Christina, (2008): Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010 – Ein Festival als Instrument der Stadtentwicklung, Graue Reihe des Instituts für Stadt– und Regionalplanung Technische Universität Berlin Heft 12, Berlin. 359 RUHR.2010 GmbH (Hrsg.)(2008): Gesellschaftsprofil der „RUHR.2010 GmbH“, S.1. 109 herausragende Persönlichkeiten aus Politik, Kunst und Wissenschaft, berieten die RUHR.2010 insbesondere hinsichtlich künstlerischer und europäischer Aspekte. Die RUHR.2010 wurde von einem Geschäftsführerteam geleitet. Der ehemalige Intendant des Westdeutschen Rundfunks Fritz Pleitgen fungierte als Vorsitzender der Geschäftsführung und der Essener Kulturdezernent Oliver Scheytt als Geschäftsführer der RUHR.2010. Der Geschäftsführung war wiederum das eigentliche Team der RUHR.2010 untergeordnet. Vier künstlerische Direktoren leiteten die Themenfelder, welchen die konkreten Projekte zur kulturellen Ausgestaltung der Kulturhauptstadt 2010 zugeordnet waren. Das erste Themenfeld wurde als „Stadt der Möglichkeiten“ benannt. Das zweite Themenfeld umfasste die Projekte der „Stadt der Künste“. Das dritte Themenfeld wurde als „Stadt der Kulturen“ benannt und das vierte umfasste die Projekte der „Stadt der Kreativität“. Neben den Teams der jeweiligen Themenfelder bestanden weitere Teams, die das Marketing und die Kommunikation der Kulturhauptstadt 2010 leiteten. Darüber hinaus wurden administrative Aufgaben von weiteren Mitarbeitern der RUHR.2010 wahrgenommen.360 Die Abb. 23 veranschaulicht den Aufbau der RUHR.2010. Abb. 23 Aufbau der RUHR.2010 GmbH „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ Kuratorium Administration Stadt der Kreativität Geschäftsführer Gesellschafter Künstlerische Leitung Stadt der Kulturen Stadt der Künste Marketing und Kommunikation Stadt der Möglichkeiten Entwurf: Eigene Darstellung, Frankfurt 2010 Quelle: Pachaly, Christina (2008): Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010 - Ein Festival als Instrument der Stadtentwicklung, Graue Reihe des Instituts für Stadt- und Regionalplanung Technische Universität Berlin Heft 12, Berlin, S.55. Die RUHR.2010 war eng mit verschiedenen Institutionen und Akteuren der Region vernetzt. Insbesondere die Einbindung der 53 Kommunen des Ruhrgebiets stellte 360 Vgl. Ebenda. 110 eine organisatorische Herausforderung dar. Essen als Bannerstadt war das ganze Jahr über Kulturhauptstadt und direkt als Gesellschafter in der RUHR.2010 GmbH vertreten. Die weiteren Städte des Ruhrgebiets waren indirekt durch den Regionalverband Ruhr in der RUHR.2010 GmbH vertreten und fungierten reihum als Kulturhauptstädte. Mit dem Programm „Local Hereos“ war jede Stadt des Ruhrgebiets für jeweils eine Woche Mittelpunkt der Kulturhauptstadt 2010. „Die Städte gestalten das Programm ihrer Local Heroes-Woche eigenverantwortlich, sie präsentieren zwischen lokaler Heimat, metropolitaner Herausforderung und europäischer Dimension die eigene kulturelle Visitenkarte.“361 Darüber hinaus ernannte jede Stadt einen Kulturhauptstadtbeauftragten, der als Verbindungsglied zur RUHR.2010 GmbH fungierte.362 Das Kulturhauptstadtbudget wurde von der RUHR.2010 GmbH verwaltet. Das Budget teilte sich in ein Basisbudget und ein Ausbaubudget auf. Das Basisbudget betrug rund 48 Millionen Euro und wurde von den Gesellschaftern der RUHR.2010 GmbH und den Zuwendungsgebern der Bundesrepublik und der Europäische Union, finanziert. Der Bund war mit 17 Millionen Euro der stärkste Geldgeber, gefolgt vom Bundesland und dem Regionalverband Ruhr mit jeweils 12 Millionen Euro. Die Stadt Essen beteiligte sich mit einem Budget von 6 Millionen Euro und die Europäische Union mit 1,5 Millionen Euro. Das Ausbaubudget setzte sich unter anderem aus Sponsorengeldern, Ticketeinnahmen und Merchandising zusammen. Eine Vielzahl der in der Region angesiedelten Unternehmen unterstützten die Kulturhauptstadt finanziell. Das Gesamtbudget der Kulturhauptstadt 2010 lag insgesamt bei 61,5 Mio Euro. Die Finanzierung der Projekte der Kulturhauptstadt Europas „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ wurde größtenteils von der RUHR.2010 verwaltet.363 Hinsichtlich der Projektstruktur wurde dazu zwischen Leitprojekten, Kooperationsprojekten und Infrastrukturprojekten unterschieden. Als Leitprojekte galten öffentlichkeitswirksame Maßnahmen, welche die Programmatik der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ besonders verdeutlichten. Diese Projekte wurden weitestgehend von der RUHR.2010 in Kooperation mit den regionalen Projektautoren entwickelt. Die Finanzierung dieser Projekte erfolgte zum Großteil aus dem Kulturhauptstadtbudget. Kooperationsprojekte wurden in Zusammenarbeit mit regionalen Partnern geplant und realisiert. Ausgewählt durch die Akteure der RUHR.2010 wurden diese Projekte vom Kulturhauptstadtbudget mitfinanziert. Infrastrukturprojekte waren solche Projekte die unter anderem an die Hinterlassenschaften der IBA Emscher Park anknüpften und den kulturgestützten Wandel weiter führten. Diese Projekte wurden durch die Kulturhauptstadt dadurch unterstützt, dass der Titel zur Beantragung zusätzlicher Mittel vom Bund oder der Europäischen Union genutzt werden konnte. Die infrastrukturellen Investitionen wurden auf eine Höhe von 500 Mio. Euro geschätzt.364 361 362 363 364 RUHR.2010 GmbH (Hrsg.)(2010): Local Hereos September – Dezember 2010, Essen, S.1. Vgl. Expertengespräch RUHR.2010 GmbH. Vgl. RUHR.2010 GmbH (Hrsg.)(2008): a.a.O. Vgl. Stadt Essen & Regionalverband Ruhr (Hrsg.)(2006): Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel – Bewerbung „Essen für das Ruhrgebiet – Kulturhauptstadt Europas 2010“ – Kurzfassung Dezember 2005, Essen, Online–Dokument: http://www.essen2010.com/Deutsch/Service/Downloads/Bewerbungsschrift_Kurzfassung.pdf, Stand 24. Januar 2011. 111 5.2.2.2 Inhaltliche Ausgestaltung Die inhaltliche Ausrichtung der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ wird in der Bewerbungsschrift deutlich. „Das Ruhrgebiet ist aufgebrochen, Kulturmetropole zu werden; aber der Weg dahin ist noch weit. Das ehemalige industrielle Herz Europas steht vor großen Herausforderungen. Wir haben viele Arbeitslose und müssen neue Strukturen aufbauen - mit neuen Ideen und dem Willen und der Bereitschaft zum Wandel.“365 Das Ruhrgebiet steht einem Paradigmenwechsel gegenüber „von einer Industriegesellschaft in der die Kultur der Erholung von der Arbeit diente, zu einer Gesellschaft der Kreateure und Gründer, die Kultur als Motor des Wandels verstehen.“366 Die Kulturhauptstadt Europas sollte als Motor und Katalysator zugleich zur strukturellen Erneuerung des Ruhrgebiets beitragen und die Transformation der montangeprägten Region zur neuen Metropole Ruhr mittels Kunst und Kultur, unterstützen. Über das Jahr 2010 hinaus sollte die so neu entstehende Kulturmetropole Ruhr Modellcharakter für europäische Regionen mit ähnlichen Herausforderungen entwickeln. Aufbauend auf diesen Zielsetzungen lautete das Motto der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ „Wandel durch Kultur - Kultur durch Wandel“, welches auf dem regionalen Leitbild „Metropole im Werden“ aufbaute.367 Die Ausgestaltung des Mottos „Wandel durch Kultur - Kultur durch Wandel“ basierte auf einem weit gefassten Kulturbegriff. Mit dem Kulturhauptstadtprogramm sollte nicht nur das traditionell bürgerliche Publikum angesprochen werden, sondern auch solche Menschen, die bisher kaum interessiert an kulturellen Ereignissen waren. Mittels leicht zugänglichen und verständlichen Informationen, barrierefreien Zugängen zu Veranstaltungsorten und sozialen Rabattierungssystemen sollte die Kulturhauptstadt für möglichst viele und von möglichst vielen gestaltet werden. In diesem Sinn wurde Kultur nicht nur vom klassischen Künstler im Sinne des Malers, Musikers oder Dichters produziert, sondern fand sich in vielen Sparten des Alltagslebens wieder und wurde zudem durch die Industriekultur erweitert. Dieses Verständnis des Kulturbegriffs wurde auf die Ausgestaltung der Kulturhauptstadt konsequent übertragen. Seit Beginn des Bewerbungsprozesses wurden in einem zentralen Projektpool Ideen und Projektvorschläge von Kommunen, Initiativen, Institutionen und Künstlern zur Ausgestaltung des Kulturhauptstadtjahres gesammelt.368 Insgesamt kamen rund 2.200 Projektvorschläge zusammen die von den Akteuren der RUHR.2010 gesichtet und ausgewertet wurden. Die Auswahl der Projekte basierte auf vorab von der RUHR.2010 definierten programmatischen Leitlinien und qualitativen Kriterien. Im dialogischen Verfahren wurden die geeigneten Projektideen von der RUHR.2010 und den Projektautoren gemeinsam qualifiziert und weiter entwickelt.369 Schließlich wurden 300 Projekte mit rund 2.500 365 366 367 368 Ebenda, S. 16. Ebenda, S.14. Vgl. Ebenda. Vgl. Beier, Nikolaj & Scheytt, Oliver (2010): Begreifen, Gestalten, Bewegen – Die Kulturhauptstadt Europas Ruhr.2010 – Die Kulturhauptstadt–Bewerbung von Essen und der Effekt auf die gesamte Region, in: Volke Kristina (Hrsg.): Intervention Kultur – Von der Kraft kulturellen Handelns, Wiesbaden, S.43–62. 369 Vgl. Kulturhauptstadtbüro Ruhr 2010(2006): Ruhr2010 Kulturhauptstadt Europas – Mitmachen Entwickeln Gestalten – Info für Projektautoren. 112 Veranstaltungen im Rahmen der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ umgesetzt.370 Die Programmatik des Mottos „Wandel durch Kultur - Kultur durch Wandel“ basierte, ebenso wie die einzelnen Kulturhauptstadtprojekte, von Beginn an auf einer stetigen Weiterentwicklung. Die drei Grundelemente der Programmatik waren der „Mythos Ruhr“, die „Metropole Ruhr“ und „Europa“. Diese galt es mittels Kunst und Kultur begreifbar zu machen, zu gestalten und zu bewegen. „Ausgehend vom Mythos Ruhr nimmt eine neue Metropole Gestalt an, die Europa mit Kunst und Kultur in Bewegung bringt.“371 Um diesen Wandel erlebbar zu machen, galt es Bilder zu entdecken, Theater zu wagen, Musik zu leben, Sprache zu erfahren, Kreativwirtschaft zu stärkten und Feste zu feiern. Insgesamt basierte die Programmatik der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ auf neun Programmfeldern.372 Mythos Ruhr – begreifen: Die historischen Zusammenhänge und das kulturelle Erbe der Region wurden in diesem Programmfeld dargestellt. Der Mythos von Kohle und Stahl, harter Arbeit und Solidarität, Fußball und Sport, sowie dem Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen und Religionen wurde in verschiedenen Projekten thematisiert. Im Projekt „Schachtzeichen“ wurden für neun Tage und Nächte rund 350 gelbe Heliumballons über den ehemaligen Fördertürmen und Schachtanlagen der Region in einer Höhe von 80 Metern installiert. An jedem Ballon Standort, dieser groß angelegte Rauminstallation, wurde die Geschichte der jeweiligen Zeche durch lokale Akteure und Zeitzeugen präsentiert.373 Metropole – gestalten: Die gemeinsame Vision der Metropole Ruhr sollte in diesem Programmfeld durch baukulturelle und künstlerische Arbeiten umgesetzt werden. An ausgewählten Spielorten der urbanen Kulturlandschaft des Ruhrgebiets wurden durch die Verbindung der bildenden Kunst mit Stadtplanung, Landschaftsgestaltung und Architektur visionäre Bilder und innovative Impulse für den Wandel der Region erzeugt. Das Projekt „Landmarke Angerpark“ wurde im Duisburger Süden auf der Heinricht-Hildebrand-Höhe der Halde Angerpark umgesetzt. Die Großskulptur „Tiger & Turtel - Magic Mountain“, formähnlich einer aus Stahl und Zink erbauten Achterbahn, wurde dort als begehbare Landmarke im Jahr 2010 installiert. Die Fertigstellung ist jedoch erst für das Jahr 2011 geplant. 374 Bilder – entdecken: Die Darstellung der historischen, gegenwärtigen und zukünftigen Metropole Ruhr war Gegenstand dieses Programmfeldes. Die Wahrnehmung des Ruhrgebiets sollte durch Ausstellungen und Installationen verändert werden. Im Projekt „Mapping the Region“ arbeiteten die 20 „RuhrKunstMuseen“ zusammen. Zusammengesetzt aus mehrteiligen Ausstellungen zielte das Projekt darauf ab den Wandel der Region zu dokumentieren und die 370 Vgl. Beier, Nikolaj & Scheytt, Oliver (2010): a.a.O. 371 RUHR.2010 GmbH „Essen für das Ruhrgebiet“ (Hrsg.)(o.J.)a: Programm, Essen, Online– Dokument: http://www.essen–fuer–das–ruhrgebiet.ruhr2010.de/programm.html, Stand 24. Januar 2011. 372 Vgl. Beier, Nikolaj & Scheytt, Oliver (2010): a.a.O., S.43–62. 373 Vgl. RUHR.2010 GmbH „Essen für das Ruhrgebiet“ (Hrsg.)(o.J.)b: Mythos Ruhr begreifen, Essen, Online Dokument: http://www.essen–fuer–das– ruhrgebiet.ruhr2010.de/programm/mythos–ruhr–begreifen/die–idee.html, Stand 24. Januar 2011. 374 Vgl. RUHR.2010 GmbH „Essen für das Ruhrgebiet“ (Hrsg.)(o.J.)c: Metropole gestalten, Essen, Online Dokument: http://www.essen–fuer–das–ruhrgebiet.ruhr2010.de/programm/metropole– gestalten/die–idee.html, Stand 24. Januar 2011. 113 vielfältigen Beziehungen zwischen Geschichte und Identität des Ruhrgebiets aufzuzeigen.375 Theater – wagen: Gemeinsam mit den Festivals, Theatern, Produktionshäusern und Akademien der Region wurden in diesem Programmfeld innovative Projekte darstellender Künste mit Bezug auf die Transformationsgesellschaft entwickelt. Das Projekt „Next Generation“ wurde von Jugendlichen aus der Region entwickelt. In Zusammenarbeit mit Filmemachern, Musikern, Theatermachern und Wissenschaftlern gingen Jugendliche aus dem gesamten Ruhrgebiet der Frage nach, wie sie in Zukunft leben wollen. Ihre Ideen präsentierten sie auf der Bühne des Schauspielhauses in Bochum.376 Musik – leben: Die Akteure der regionalen Musiklandschaft hatten sich im Rahmen dieses Programmfeldes zusammengeschlossen um gemeinsame Projekte umzusetzen. An dem Projekt „DAY OF SONG“ beteiligten sich alle Chorverbände der Region, die Opern und Konzerthäuser, die regionalen Musikschulen, das Chorwerk Ruhr und die Universitäten des Ruhrgebiets. Die über 24.000 Sänger verwandelten die „Metropole Ruhr“ am 5. Juni in die „Metropole Chor“. An unterschiedlichsten Orten, zu verschiedensten Anlässen fanden Konzerte und Gesänge im Ruhrgebiet statt. Um 12.10 Uhr wurde von allen Sängern an allen Orten des Ruhrgebiets das gleiche Lied gesungen.377 Sprache – erfahren: In diesem Programmfeld standen die 5,3 Millionen Einwohner des Ruhrgebiets, aus 140 Nationen und mit ihren rund 90 aktiv gesprochenen Sprachen im Mittelpunkt. In unterschiedlichsten Formen der Literatur sollten die Sprachen von den Besuchern erfahrbar gemacht werden. Das Projekt „SLAM2010“ beschäftigte sich mit der Kunst des Dichtens. Vom 10. bis zum 13. November 2010 wurde die erste deutschsprachige Poetry SlamMeisterschaft, im Sinne eines modernen Dichterstreits, mit über 150 Poetinnen und Poeten aus mehr als 80 Städten im Ruhrgebiet veranstaltet.378 Kreativwirtschaft – stärken: Mit nachhaltigen und strukturfördernden Projekten wurde die Kreativwirtschaft im Ruhrgebiet im Rahmen dieses Programmfelds gestärkt. Im Rahmen des Projekts „Kreativ.Quartiere“ arbeiteten die Verwaltungen mit den Akteuren der lokalen Kreativwirtschaft zusammen, um gemeinsam urbane Areale zu definieren die für Kreative anziehend sind. Ohne langwierige Bürokratie wurden Leerstände erschlossen und für Künstler und Kreative zugänglich gemacht. Im Internet wurden diese neuen Areale im offenen Dialog kommuniziert und diskutiert.379 Feste – feiern: Bürgern des Ruhrgebiets und Besuchern der Kulturhauptstadt sollte in diesem Programmfeld ein kollektives Bewusstsein vermittelt werden. 375 Vgl. RUHR.2010 GmbH „Essen für das Ruhrgebiet“ (Hrsg.)(o.J.)d: Bilder entdecken, Essen, Online Dokument: http://www.essen–fuer–das–ruhrgebiet.ruhr2010.de/programm/bilder– entdecken/die–idee.html, Stand 24. Januar 2011. 376 Vgl. RUHR.2010 GmbH „Essen für das Ruhrgebiet“ (Hrsg.)(o.J.)e: Theater wagen, Essen, Online Dokument: http://www.essen–fuer–das–ruhrgebiet.ruhr2010.de/programm/theater– wagen/die–idee.html, Stand 24. Januar 2011. 377 Vgl. RUHR.2010 GmbH „Essen für das Ruhrgebiet“ (Hrsg.)(o.J.)f: Musik leben, Essen, Online Dokument: http://www.essen–fuer–das–ruhrgebiet.ruhr2010.de/programm/musik–leben/die– idee.html, Stand 24. Januar 2011. 378 Vgl. RUHR.2010 GmbH „Essen für das Ruhrgebiet“ (Hrsg.)(o.J.)g: Sprache erfahren, Essen, Online Dokument: http://www.essen–fuer–das–ruhrgebiet.ruhr2010.de/programm/sprache– erfahren/die–idee.html, Stand 24. Januar 2011. 379 Vgl. RUHR.2010 GmbH „Essen für das Ruhrgebiet“ (Hrsg.)(o.J.)h: Kreativwirtschaft stärken, Essen, Online Dokument: http://www.essen–fuer–das– ruhrgebiet.ruhr2010.de/programm/kreativwirtschaft–staerken/die–idee.html, Stand 24. Januar 2011. 114 Verschiedenste Feste und Events wurden zu unterschiedlichsten Anlässen durchgeführt. Das Projekt „Still-Leben Ruhrschnellweg“ brachte am 18. Juli rund 3 Millionen Menschen zusammen. Die Autobahn A40/B1 wurde zwischen Dortmund und Duisburg für den Kraftverkehr gesperrt zur Bühne einer Alltagskultur, die von unterschiedlichsten Akteuren an einer 60 Kilometer langen Tafel präsentiert und gelebt wurde.380 Europa – bewegen: Das Ruhrgebiet als Kulturhauptstadt Europas hatte ein starkes europäisches Leitmotiv, welches sich durch alle Bereiche der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ zog. Darüber hinaus wurde in diesem Programmfeld insbesondere die Migration und Identität in Kombination mit Kultur und Bildung untersucht. Im Projekt „MELEZ.FESTIVAL“ ging es um die kulturelle Vielfalt des Ruhrgebiets. MELEZ, übersetzt Mischling, war ein Festival, welches im Jahr 2010 in einem Zug stattfand. Der Zug fuhr quer durchs Ruhrgebiet und wurde mittels Tanz, Musik und Ausstellungen zu einem „Atelier, Labor, Studio und zur Plattform für hochkarätige, spannende und innovative regionale und internationale Kreativität.“381 382 Die Programmfelder der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ verdeutlichen das breite Kulturverständnis, welches der Kulturhauptstadt Europas 2010 zugrunde lag. Blockbuster Events, experimentelle Installationen und klassische Kunstausstellungen wurden im Rahmen des Programms veranstaltet und sprachen unterschiedliche Zielgruppen an. Mit dem Motto „Wandel durch Kultur Kultur durch Wandel“ wurde zudem ein individuell auf die Region zugeschnittenes Programm erstellt. Der Wandel von der Industrieregion zur neuen Metropole Ruhr stand im Fokus aller Programmfelder und wurde aus unterschiedlichsten Perspektiven thematisiert. Der Industriekultur kam dabei eine bedeutende Rolle zu. Insgesamt wurde die Kulturhauptstadt als Fortführung der IBA Emscher Park bewertet. In Fortführung der Programmatik der IBA Emscher Park hat die Kulturhauptstadt die Entwicklung zur Kulturmetropole weiter geführt. 5.3 Auswirkungen der Kulturhauptstadt RUHR 2010 auf die Altindustrieregion Ruhrgebiet Bereits im Vorfeld des Kulturhauptstadtjahres, in dem Zeitraum von 2006 bis 2009, wurden im Rahmen des Kulturhauptstadtprogramms Projekte initiiert, vorbereitet und umgesetzt. Die Mehrzahl der Projekte fand im Kulturhauptstadtjahr selbst statt, wobei wiederum einige Projekte erst nach dem Jahr 2010 beendet bzw. weitergeführt wurden. Demnach ist die Kulturhauptstadt nicht auf das Jahr 2010 zu reduzieren, sondern als ein regionaler Prozess andauernd über mehrere Jahre zu sehen. Als Evaluierungszeitraum der Auswirkungen der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ auf die Region wird der Zeitraum von Anfang 2006 bis Ende 2010 festgelegt. Es sollen die Veränderungen untersuchte werden, welche sich seit der Ernennung zur Kulturhauptstadt bis zur Beendigung des offiziellen 380 Vgl. RUHR.2010 GmbH „Essen für das Ruhrgebiet“ (Hrsg.)(o.J.)i: Feste feiern, Essen, Online Dokument: http://www.essen–fuer–das–ruhrgebiet.ruhr2010.de/programm/feste–feiern/die– idee.html, Stand 24. Januar 2011. 381 RUHR.2010 GmbH „Essen für das Ruhrgebiet“ (Hrsg.)(o.J.)j:Melez Festival, Essen, Online Dokument: http://www.essen–fuer–das–ruhrgebiet.ruhr2010.de/programm/europa– bewegen/die–idee.html, Stand 24. Januar 2011. 382 Vgl. RUHR.2010 GmbH „Essen für das Ruhrgebiet“ (Hrsg.)(o.J.)k: Europa bewegen, Essen, Online Dokument: http://www.essen–fuer–das–ruhrgebiet.ruhr2010.de/programm/europa– bewegen/die–idee.html, Stand 24. Januar 2011. 115 Programms in der Region ereignet haben. Da es sich um eine „On-GoingEvaluation“ handelt, wird die Untersuchung anhand einer Auswertung des Kulturhauptstadtprogramms und der qualitativen Einschätzungen der regionalen Experten durchgeführt. Umfangreiche quantitative Auswertungen stehen zu diesem Zeitpunkt noch nicht zur Verfügung. 5.3.1 Wirtschaftsstruktur und Arbeitsmarkt Die Herausforderung hinsichtlich der regionalen Wirtschaftsstruktur und des regionalen Arbeitsmarktes bestanden im Jahr 2006 darin, dass die Umsatzzahlen der Wirtschaft und die Beschäftigtenanzahl noch immer unter dem bundesdeutschen Durchschnitt lagen. Insbesondere die Arbeitslosenquote und der Anteil der Langzeitarbeitslosen lagen überdurchschnittlich hoch. Insofern galt es die wirtschaftliche Entwicklung weiter zu stärken, neue Impulse zu setzten und zukunftssichere Arbeitsplätze für qualifizierte als auch gering qualifizierte Arbeitnehmer zu schaffen. 5.3.1.1 Programmfeld „Kreativwirtschaft – stärken“ Im Rahmen der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ wurde mit dem Programmfeld „Kreativwirtschaft – stärken“ auf die Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft in der Region fokussiert. Entsprechend des, dem Kulturhauptstadtprogramm zugrunde liegenden, weiten Kulturbegriffs wurden Selbstständige und Unternehmer, die mit künstlerischer oder kreativer Arbeit Geld verdienen ebenso wie Maler, Musiker und Dichter als Künstler definiert. Eingeteilt in die drei Förderstrategien „Menschen“, „Märkte“ und „Medien“ wurden unterschiedlichste Projekte zur Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft im Rahmen der Kulturhauptstadt umgesetzt. Mit der Förderstrategie „Menschen“ wurden die Akteure und Urheber der regionalen Kultur- und Kreativwirtschaft unterstützt. „Kreativ.Quartiere“ war ein zentrales Projekt dieser Förderung. Bereits seit 2008 wurden in zehn Städten der Region urbane Areale zu „Kreativ.Quartieren“ entwickelt. Basierend auf einer engen Zusammenarbeit zwischen der jeweiligen Stadtverwaltung, Wirtschaftsförderung und den Akteuren der Kultur- und Kreativwirtschaft wurden die „Kreativ.Quartiere“ in einem unbürokratischen Prozess zielorientiert anhand der individuellen Anforderungen der Kreativbranchen entwickelt. Die neuen Standorte entstanden in ungenutzten Leerständen, häufig auf alten Industriearealen, und sollten neben einer Belebung städtischer Areale als Zukunftsstandorte der Kreativ- und Kulturwirtschaft in der Region etabliert werden. Es galt Begabungsträger aus dem Ausland sowie Hochschulabsolventen aus der Region anzuziehen. So wurde beispielsweis das Dortmunder U als Kreativ.Quartier ausgebaut. Der U-Turm der ehemaligen Unionsbrauerei wurde zu einem kreativen Zentrum mit Schwerpunkt auf die Branchen Musik und Medien ausgebaut. Die Einweihung fand am Finaltag des Kulturhauptstadtjahres, am 18.12.2010, statt. Mit der Förderstrategie „Märkte“ wurde die strukturelle Entwicklung von Märkten und Messen der Kultur- und Kreativwirtschaft im Ruhrgebiet gestärkt. Bereits im Vorlauf des Kulturhauptstadtjahres wurden regionale Kommissionen für die Akteure der einzelnen Branchen gegründet. Der Idee nach, sollten die Kreativen einer Branche in einer Interessensgemeinschaft zusammen kommen, um eigene Förderungen, die sie nachhaltig und selbst finanzieren, zu entwickeln. Die regionalen Kooperationen 116 sollten die Erschließung neuer Märkte und Kunden befördern. So konnte bspw. die „Ruhr Music Commission“ die Gründung eines Ruhr Studios des Online-Radios „ByteFM“ am Standort der ehemaligen Zeche Prinz Regent in Bochum initiiert. Mit der Förderstrategie „Medien“ wurden insbesondere die digitalen Medien zur Stärkung des Kultur- und Kreativstandorts Ruhrgebiet genutzt. Ein zentrales Projekt war das „2010lab“, welches als „sparten- und themenübergreifende Web-TVPlattform, die Kunst, Kultur, Kreativität und deren Akteure multimedial zusammenführt und sichtbar“383 machen sollte. Als virtuelle kreative Stadt richtete sich die Plattform an alle Bereiche der Kultur- und Kreativwirtschaft, um die Vernetzung innerhalb und zwischen den einzelnen Branchen zu stärken. Dabei war die Plattform nicht auf die Mitwirkung der regionalen Akteure begrenzt, sondern Kreative weltweit konnten Einträge unterschiedlichster Form einstellen und an den Diskussionen teilnehmen. Die internetbasierte Plattform wird auch nach 2010 bestehen bleiben.384 Die Kultur- und Kreativwirtschaft im Ruhrgebiet hat hinsichtlich des Umsatzes und der Beschäftigtenzahlen in den Jahren vor der Auszeichnung zur Kulturhauptstadt ein starkes Wachstum verzeichnet. Durch die Aufnahme der Kultur- und Kreativwirtschaft in die Programmatik des Kulturhauptstadtprogramms wurde diese positive Entwicklung weiter gestärkt. Der wichtigste Impuls seitens der Kulturhauptstadt bestand in der regionalen Vernetzung der Akteure der Kultur- und Kreativwirtschaft im Ruhrgebiet. Denn auch wenn die Einschätzungen zur Entwicklung der Kultur- und Kreativwirtschaft hintern denen der etablierten deutschen Standorte (Hamburg, Berlin oder München) zurückbleiben, gilt die Kulturund Kreativwirtschaft des Ruhrgebiets dennoch als zukunftsfähiges Handlungsfeld, dessen Potenziale mittels einer regionalen Abstimmung gestärkt werden können.385 Durch die Projekte der Kulturhauptstadt wurden positive Impulse insbesondere hinsichtlich des räumlichen Angebots und der Vernetzung der kreativen Akteure erzielt. „Also nur zu sagen ich bin kreativ, reicht nicht für eine Region. Sie brauchen […] ein räumliches Angebot wo der Eindruck entsteht hier ist ein kreativer Raum.“386 Im Rahmen des Projekts Kreativ.Quartiere wurden „überall solche Orte aufgespürt und sehr viel dafür getan, dass sich die Kreativindustrie hier im Ruhrgebiet ansiedelt und sich wohl fühlt.“387 Zusätzlich wurde die Vernetzung innerhalb der Region gefördert. „Die Branchenkommissionen die durch die RUHR.2010 ja maßgeblich initiiert worden sind stehen dafür, dass sich zum Beispiel die Designer und die Designerinnen [über eine Interessensvertretung] zusammen schließen [und überlegen], wie können wir unsere Interessen besser vertreten, was können wir dafür tun, dass Ausschreibungen uns hier auf jeden Fall erreichen. Das sind schon ganz wichtige Impulse der Kulturhauptstadt, gerade für die Kreativwirtschaft.“388 Als Kritikpunkt gilt in diesem Zusammenhang die Vergabe der Aufträge durch die Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“. „Wichtige kreative Aufträge gingen praktisch komplett am Ruhrgebiet vorbei, die Ruhr.2010 Kampagne wird bspw. von Hamburg aus durchgeführt. Ruhr.2010 Geschäftsführer Oliver Scheytt betont diesbezüglich gegenüber dem WDR, dass die Ausschreibung 383 384 385 386 387 388 RUHR.2010 GmbH „Essen für das Ruhrgebiet“ (Hrsg.)(o.J.)h: a.a.O. Vgl. Ebenda. Vgl. Expertengespräch bei der Wirtschaftsförderung Metropoleruhr GmbH. Expertengespräch beim Regionalverband Ruhr (b). Expertengespräch bei der RUHR.2010 GmbH. Expertengespräch bei der Wirtschaftsförderung Metropoleruhr GmbH. 117 europaweit gelaufen sei und die Agenturen im Ruhrgebiet zu klein seien, um einen solchen Auftrag stemmen zu können.“389 Dies belegt, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft des Ruhrgebiets im Vergleich zu großen Kultur- und Kreativwirtschaftsstandorten noch relativ unbedeutend ist. Unterschiedlichen Einschätzungen zufolge wird die Kultur- und Kreativwirtschaft in der Zukunft des Ruhrgebiets eine dominierende oder keine dominierende Rolle einnehmen.390 So, oder so bietet sie auf jeden Fall ein Handlungsfeld zur Stärkung und Diversifizierung des Wirtschaftsstandorts Ruhrgebiet. Insofern ist die Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft durch die Kulturhauptstadt als positiv zu bewerten. Eine Resonanz dieser Förderung zeigte sich bereits dadurch, dass bei Absolventen ein verstärktes Interesse bestand, sich im Rahmen der Kultur- und Kreativwirtschaft selbständig zu machen. Neben der Kulturhauptstadt wird dazu jedoch auch der allgemeine Boom der Kultur- und Kreativwirtschaft beigetragen haben. „Ich könnte mir vorstellen, dass es so einen Auftrieb durch die europaweite Diskussion auch ohne die Kulturhauptstadt gegeben hätte. Nicht so stark, so kräftig, aber in einem gewissen Umfang vielleicht schon.“391 Insofern ist die Kausalität zwischen den Projekten der Kulturhauptstadt und dem verstärkten Interesse junger Absolventen nicht klar belegt. Dennoch hat der bisher in der Region relativ unpopuläre Wirtschaftssektor der Kultur- und Kreativwirtschaft durch die Kulturhauptstadt deutlich an Aufmerksamkeit gewonnen. Insbesondere durch die Vernetzung auf regionaler Ebene werden nachhaltige Impulse zur Entwicklung der Branchen der Kultur- und Kreativwirtschaft erwartet.392 Einhergehend mit der Stärkung der einzelnen Branchen stand die Zielsetzung der Anwerbung kreativer Arbeitnehmer in die Region. „Alle Metropolen bemühen sich um Begabungsträger, Zukunftsträger. […] Die Kulturhauptstadt war ein instrumentalisiertes Programm um das herzustellen.“393 Durch die Stärkung der Kultur- und Kreativwirtschaft sollten Begabungsträger für die Region gewonnen werden, um dadurch wiederum den gesamten Wirtschaftsstandort Ruhrgebiet zu stärken. 5.3.1.2 Weitere Auswirkungen Neben der expliziten Ausrichtung des Kulturhauptstadtprogramms auf die Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft ergaben sich im Rahmen der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ noch weitere Effekte auf die Wirtschaft. Direkte Effekte zeigten sich im Bereich des Tourismus und indirekte Effekte im Bereich des Marketings und des Images. Im Bereich des Tourismus wurden durch die Kulturhauptstadt erhöhte Tourismuszahlen für die Region generiert. Sowohl die Anzahl der Übernachtungsgäste als auch die Anzahl der Tagesgäste stiegen im Kulturhauptstadtjahr 2010 merklich an. Bei den Übernachtungsgästen wurde ein klarer Anstieg zum Vorjahreszeitraum verzeichnet und auch die Tagesgästezahlen wurden als „exorbitant zufriedenstellend“394 beschrieben. Einhergehend mit den steigenden Gästezahlen wurden 389 Braun, Michael (2010): Kreativwirtschaft als Wunschdenken, in: Braun, Michael & Herlyn, Wilm & Hobe, Betram (Hrsg.): Ruhr.2010, danach Europäische Kulturhauptstadt Eindrücke– Meinungen–Ausblicke, Waltrop S. 101–104. 390 Vgl. Ebenda. 391 Expertengespräch bei der Wirtschaftsförderung Metropoleruhr GmbH. 392 Vgl. Ebenda. 393 Expertengespräch beim Regionalverband Ruhr (b). 394 Expertengespräch bei der Ruhr Tourismus GmbH. 118 wirtschaftliche Effekte durch die finanziellen Ausgaben der Besucher erzielt.395 Dies verdeutlichen die Ergebnisse einer ersten Befragung des Qualitätsmonitor Deutschland-Tourismus (Qualitätsmonitor Deutschland-Tourismus-Erste Ergebnisse der Befragung in der Metropole Ruhr - Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010-in Kooperation mit dem Qualitätsmonitor Deutschland Tourismus, Interner Bericht). Im Zeitraum von Februar bis Oktober des Jahres 2010 wurden rund 1.500 Übernachtungsgästen befragt. Die vorliegenden Ergebnisse, Bestandteil der dritten und vierten Befragungswelle, beruhen auf der Befragung von rund 700 Übernachtungsgästen. Rund 80% der Befragten gaben an bereits im Berufsleben zu stehen (Angestellte, Beamte, Selbständige) und über ein Nettoeinkommen zwischen 1.200 und 4.000 Euro zu verfügen. Die Mehrzahl der Besucher blieben im Durchschnitt 4,2 Tagen im Ruhrgebiet und knapp 25% der Befragten reisten mit öffentlichen Verkehrsmitteln (Bahn, Flugzeug, Bus) an. Die meisten der Befragten übernachteten im Hotel, in einer Pension oder einem Gasthof. Unter den zehn häufigsten Aktivtäten wurden neben dem Besuch kultureller Veranstaltungen Besuche im Restaurant, Flanieren und Bummeln sowie Shoppen angegeben. Über 50% der Befragten zogen in Erwägung die Region in Zukunft wieder zu besuchen.396 Die Zahlen der Umfrage verdeutlichen die wirtschaftlichen Effekte, welche mit den steigenden Besucherzahlen einhergingen. Neben den direkten Einnahmen durch Ticketverkäufe profitierten insbesondere die Hotellerie, Gastronomie und der Einzelhandel von den Besuchern. „Die Umsätze sind natürlich hervorragend dieses Jahr. Das betrifft die Hotellerie, Gastronomie, Einzelhandel und alles was daran hängt. Ich denke dieses Jahre werden alle sehr zufrieden sein.“397 Die Wiederbesuchsabsichten lassen zudem auf einen nachhaltigen Effekt der steigenden Tourismuszahlen für die Region hoffen. Neben den erhöhten Einnahmen wirkten sich die steigenden Tourismuszahlen ebenfalls auf den regionalen Arbeitsmarkt aus. Sowohl für die Planung und Umsetzung der Veranstaltungen der Kulturhauptstadt als auch für die angeschlossene Hotellerie, Gastronomie und den Einzelhandel wurden vermehrt Arbeitnehmer benötigt. Der Erwartung nach wurden insbesondere im Dienstleistungsbereich der TourismusBranche sowohl kurzfristig als auch langfristig neue Berufschancen für qualifizierte und auch gering qualifizierte Arbeitnehmer geschaffen.398 Im Bereich des Marketings und der Imageförderung wurden durch die Kulturhauptstadt indirekte Effekte für die regionale Wirtschaft erzielt. Der Wirtschaftsstandort Ruhrgebiet wurde durch ein verbessertes Außenimage erheblich gestärkt.399 Die veränderte Wahrnehmung wurde insbesondere durch die Touristen, die in das Ruhrgebiet reisten, deutlich. „Die Leute haben aber auch furchtbare Bilder vor sich, wenn sie ans Ruhrgebiet denken: rauchende Schlote und Leute mit schwarzen Gesichtern. Wenn [sie] sich dann hier umschauen, kommt sofort der Spruch: Mein Gott, ist das Grün hier, das hätten wir ja nie gedacht.“400 Darüber hinaus 395 Vgl. Ebenda. 396 Vgl. Europäische Reiseversicherung AG & Deutschen Zentrale für Tourismus e.V. (Projektträger) Dwif–Consulting GmbH & Manova (Operative Umsetzung)(2010): Qualitätsmonitor Deutschland–Tourismus – Erste Ergebnisse der Befragung in der Metropole Ruhr – Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 – in Kooperation mit dem Qualitätsmonitor Deutschland Tourismus, Interner Bericht. 397 Expertengespräch bei der Ruhr Tourismus GmbH. 398 Vgl. Ebenda. 399 Vgl. Expertengespräch bei der Essener Wirtschaftsförderungsgesellschaft mbH 400 Ebenda. 119 kommunizierten die regelmäßigen Berichterstattungen der Medien positive Bilder in die Öffentlichkeit. „Der Anzeigengegenwert der gesamten positiven Berichterstattung über die Region im Zusammenhang mit Kulturhauptstadt, Tourismus, Besuchsmöglichkeiten, kulturellen Attraktionen, [liegt] bei etwa 250 Millionen Euro.“401 Durch die Kulturhauptstadt wurden positive Imageeffekte erzielt, welche die Region für regionale Unternehmen, externe Investoren sowie für regionale und externe Arbeitnehmer attraktiver machen. Insofern erzielten die regionalen Wirtschaftbetriebe keine direkten Einnahmen durch die Kulturhauptstadt, sondern vielmehr eine Art Umwegrendite. Insbesondere auf lange Sicht ist ein Profit, durch das nachhaltig verbesserte Image und den erhöhten Bekanntheitsgrad der Region zu erwarten. Demnach wird das Anwerben qualifizierten Personals für Unternehmen, die in einer attraktiven Region liegen, einfacher. „In Deutschland werden Ingenieure gesucht, und der junge Ingenieur mit 30 Jahren hat ein Angebot in Ingolstadt bei Audi, bei Wolfsburg und dann vielleicht noch mal hier bei einem Unternehmen in Bochum. Da versuchen wir natürlich, wenn in seinem Kopf die Entscheidungsprozesse ablaufen, ihn zu motivieren: ich geh doch ins Ruhrgebiet und nicht nach Wolfsburg oder Ingolstadt.“402 Das verbesserte Image soll somit die Arbeitsplatzentscheidung von gefragten Arbeitnehmern beeinflussen und dadurch den Wirtschaftsstandort der Region stärken. „Wenn sie fragen was hat die Wirtschaft davon, [ist es der Vorteil], dass der Standort von Industrie und sonstigen Unternehmen in einer attraktiven Region [liegt]. Dort, [in attraktiven Regionen] siedeln sich [die Begabungsträger] in der Regel an.“403 Die Auswirkungen der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ auf die regionale Wirtschaftsstruktur sind schwer zu messen. Parallel laufende Entwicklungen, wie die Finanzkrise einerseits und andere regionale Förderprogramme andererseits, verhindern eine eindeutige Differenzierung der wirtschaftlichen Effekte durch die Kulturhauptstadt. Den Einschätzungen der regionalen Experten nach beeinflusst die Kulturhauptstadt die wirtschaftliche Entwicklung verhalten, aber positiv. Als bedeutendster Effekt wird die positive Imageentwicklung beurteilt. Den Erwartungen nach, werden dadurch die Unternehmen und Arbeitnehmer in der Region gestärkt und neue Unternehmen und Arbeitnehmer von außen angezogen. Die Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft und die steigenden Tourismuszahlen wirken darüber hinaus ebenfalls positiv auf den Wirtschaftsstandort. Es könnten langfristig neue Wirtschaftsbranchen in der Region erschlossen und neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Insbesondere die Tourismusbranche bietet auf lange Sicht Potenziale, um auch gering qualifizierte oder langzeitarbeitslose Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die langfristige Entwicklung der regionalen Wirtschaft und des regionalen Arbeitsmarktes ab dem Jahr 2010 bleibt jedoch abzuwarten. 5.3.2 Altindustrielle Areale und Brachflächenentwicklung Die Herausforderung hinsichtlich der altindustriellen Areale und der regionalen Brachflächenentwicklung bestand im Jahr 2006 in zwei Aspekten. Zum einen galt es, die durch die IBA Emscher Park erschlossenen Industriedenkmäler weiter zu 401 Ebenda. 402 Expertengespräch beim Regionalverband Ruhr (b). 403 Ebenda. 120 entwickeln, zu vermarkten und zu bespielen. Insbesondere die finanzielle Tragfähigkeit dieser Anlagen galt es zu fördern. Zum anderen galt es, die bestehenden Brachflächen weiter zu erschließen und einer Neunutzung zuzuführen. 5.3.2.1 Programmfeld „Metropole – gestalten“ Die raumstrukturelle und baukulturelle Dimension der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ war Thema des Programmfelds „Metropole – gestalten“. Vor dem Hintergrund der strukturellen Veränderungen des Ruhrgebiets wurden in unterschiedlichsten Projekten bedeutende Orte der Region künstlerisch und kulturell verändert, neu erfunden oder umgewidmet. Die Projekte waren den drei Bereichen Baukultur, künstlerische Interventionen und Lichtkunst zugeordnet. Im Bereich der Baukultur standen die zeitgenössische Architektur, die Landschaftsarchitektur, die Ingenieurbaukunst sowie industriegeschichtliche Aspekte im Fokus. Im Projekt „Hochpunkte“ wurden sieben Standorte als Hochpunkte der Region definiert. Dazu zählten das neue Dortmunder U, der Gasometer Oberhausen, die Halde Emscherblick mit dem Kunstobjekt „Tetraeder“, die Halde Schurenbach mit dem Kunstobjekt „Bramme für das Ruhrgebiet“, der Landschaftspark Duisburg Nord, der Nordsternturm Gelsenkirchen und die Zeche Zollverein mit Schacht XII. Zur Strukturierung der Region dienten diese als Orientierungs- und Aussichtpunkte der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“. Die meisten dieser Standorte sind Hinterlassenschaften der Montanindustrie und wurden bereits während der IBA Emscher Park zu „Ruhrgebiets-Ikonen“ erschlossen. Im Rahmen der Kulturhauptstadt dienten diese Ikonen neben ihrer Funktion als Hochpunkte ebenfalls als Veranstaltungsorte weiterer Kulturhauptstadtprojekte. Einige der ehemaligen Industrieanlagen wurden zur Nutzung durch die Kulturhauptstadt baulich weiter entwickelt. Beispielsweise wurde die Kohlewäsche auf Zeche Zollverein zum neuen Ruhrmuseum ausgebaut, der Förderturm der Zeche Nordstern mittels eines Glasaufbaus und einer Herkulesskulptur erweitert und der U-Turm der ehemaligen Unionsbrauerei zum Zentrum der kreativen Industrien umgebaut.404 Im Bereich der künstlerischen Interventionen wurden mittels Kunst und Kultur Orte der Region neu interpretiert und künstlerisch gestaltet. Das Projekt „EmscherKunst.2010 – Eine Insel für die Kunst“ begleitete den Umbau und die Renaturierung des Flusses Emscher mittels künstlerischer Interventionen. Die Emscher Insel war Ausstellungsort für 20 Werke die von rund 40 Künstlern gestaltet wurden. Im öffentlichen Raum entstanden an ungewöhnlichsten Orten, häufig auf alten Industriebrachen, außergewöhnliche Werke der Kunst und Kultur. Auf der Außenhülle eines ehemaligen Faulturms in Herne wurde bspw. ein monumentales Wandmosaik erstellt. Für die Ausstellungen stellte das Jahr 2010 jedoch lediglich den Beginn dar. Als Biennale sind in den Folgejahren der Kulturhauptstadt Ausstellungen für die Gesamtfläche des neu entstehenden Emschertals geplant.405 Im Bereich der Lichtkunst wurden an unterschiedlichsten Standorten in der Region Lichtinstallationen präsentiert. Im Rahmen des internationalen Lichtkunstfestivals „Ruhrlights Twilight Zone“ wurden die Landschaftsqualitäten entlang des Flusses 404 Vgl. Beier, Nikolaj & Scheytt, Oliver (2010): a.a.O. 405 Vgl. RUHR.2010 GmbH „Essen für das Ruhrgebiet“ (Hrsg.)(o.J.)c: a.a.O. 121 Ruhr durch Lichtinszenierungen in Szene gesetzt. So wurde etwa der Duisburger Innenhafen durch verschiedene Lichtprojektionen künstlerisch gestaltet.406 Im Rahmen der IBA Emscher Park wurden viele der alten Industrieanlagen, als Symbol einer traditionsreichen Vergangenheit, unter Denkmalschutz gestellt und zu Ikonen der regionalen Industriekultur entwickelt.407 Bereits bei der Schlusspräsentation der IBA Emscher Park wurden weniger die Bauten, sondern vielmehr kulturelle Bespielungen der Anlagen präsentiert. Dieser Ansatz wurde mit der Route der Industriekultur und den regelmäßig stattfindenden Kulturfestivals weiter geführt. Die Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ war eine Fortführung dieser industriekulturellen Entwicklung.408 „Die Umnutzung von ehemals industriell genutzten Flächen oder Räumen hat schon eine lange Geschichte. Schon zu Zeit der IBA Emscher Park, aber auch davor und danach ist da schon viel gelaufen. Insofern würde ich das nicht als einen wesentlichen Impuls der Kulturhauptstadt ansehen.“409 Die Kulturhauptstadt setzte der industriekulturellen Entwicklung der regionalen Industrieanlagen vielmehr eine „Krone“ auf. Durch die unterschiedlichen Projekte der Kulturhauptstadt wurden die großen Industriedenkmäler mittels künstlerischer Interventionen, Lichtinstallationen und kultureller Bespielungen neu in Szene gesetzt. Darüber hinaus bot die Kulturhauptstadt einen Anlass die Industriedenkmäler baulkulturell weiter zu entwickeln. Die Idee, etwa die Kohlewäsche der Zeche Zollverein zum neuen Ruhrmuseum umzubauen, wurde bereits während der IBA Emscher Park entwickelt. Die Umsetzung scheiterte damals jedoch an finanziellen Schwierigkeiten. „Das wurde damals nur nicht umgesetzt, weil die Kosten so hoch waren. Das waren damals an die 40 Millionen Mark, heute sind es 45 Millionen Euro geworden.“410 Die Kulturhauptstadt bot also die Möglichkeit an die Projekte der IBA Emscher Park anzuknüpfen und die Entwicklung konsequent weiter zu führen. Die Kulturhauptstadtprojekte stärkten also das Erbe der IBA Emscher Park. „Das ganze IBA Erbe ist natürlich sehr angreifbar. […] [So gab es bspw. Kritiker die sagten]: ja schon wieder 15 Millionen für irgendein Kulturfestival, warum, wir wollen doch lieber [...] ein kleines Gewerbegebiet. [Insofern] hat die Kulturhauptstadt zur Stabilisierung des Vorhandenen beigetragen.“411 Neben der Stabilisierung der Hinterlassenschaften der IBA Emscher Park stellte die Kulturhauptstadt zudem den Mehrwert, den die IBA Emscher Park trotz hoher finanzieller Ausgaben für die Entwicklung des Ruhrgebiets bedeutet hat, heraus. Darüber hinaus ermöglichte die Kulturhauptstadt zeitgleich die touristische und wirtschaftliche Erschließung vieler Industriedenkmälern. Beispielsweise wurde auf der Zeche Zollverein mit der Eröffnung des neuen Ruhrmuseum der Gastronomie- und der touristische Bereich stark aufgewertet. „Vorher war das, zwar keine Servicewüste, aber es war noch lange nicht so attraktiv.“412 Es ist also zu erwarten, dass die finanziellen Einnahmen vieler Industriedenkmäler durch die Kulturhauptstadt zumindest kurzfristig gesteigert werden konnten. 406 Vgl. RUHR.2010 GmbH „Essen für das Ruhrgebiet“ (Hrsg.)(o.J.)l: Ruhrlights Twilight Zone Internationale Lichtkunst an der Ruhr, Essen, Online Dokument: http://www.essen–fuer–das– ruhrgebiet.ruhr2010.de/programm/metropole–gestalten/lichtkunst/ruhrlights.html, Stand 24. Januar 2011. 407 Vgl. Schwarz, Angela (2008): a.a.O. 408 Vgl. Expertengespräch beim Regionalverband Ruhr (b). 409 Expertengespräch mit Wirtschaftsförderung Metropoleruhr GmbH. 410 Expertengespräch beim Regionalverband Ruhr (b). 411 Expertengespräch beim Regionalverband Ruhr (a). 412 Ebenda. 122 5.3.2.2 Weitere Auswirkungen Im Rahmen der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ standen die „Ruhrgebiets-Ikonen“ als Wahrzeichen des strukturellen Wandels im Fokus der Interventionen. Viele der flächenmäßig großen, und architektonisch beeindruckenden Industriedenkmäler wurden als Highlight-Projekte der Kulturhauptstadt vermarktet. „Es ist ja auch schon genug abgerissen worden, aber diese Sachen erhalten wir und das sind im Prinzip große Standorte. […] Für den Städtetourismus brauchen sie große Standorte“413 Insofern wurde die Kulturhauptstadt teils als Leuchtturmpolitik betrieben. Für die Entwicklung großer und prestigeträchtiger Projekte konnten im Rahmen der Kulturhauptstadt finanzielle Mittel generiert werden.414 Die Erschließung und Entwicklung kleiner und unscheinbarer Brachflächen wurde hingegen weniger durch die Kulturhauptstadt verfolgt. Diese Brachflächen standen vielmehr im Schatten der großen Leuchtturmprojekte. Folglich fällt die Einschätzung, inwieweit die Kulturhauptstadt als Instrument zur Entwicklung alter Industrieareale in der Region genutzt wurde, zwiespältig aus: „Man kann zwar die Highlights entwickeln, aber irgendeine Brache im Norden von Marl Hüls kann ich damit nicht revitalisieren. Das sind die Schattenseiten der Leuchtturmpolitik. Für ein Leuchtturmprojekt, mit mindestens europäischer Ausstrahlung und höchster Qualität lassen sich ehr Mittel generieren, aber für das Normalgeschäft, was das eigentliche Überleben sichert, klappt das nicht. Insofern sind Leuchtturmpolitiken […] systematisch begrenzt.“415. Die Sicherung der IBA Emscher Errungenschaften wurde daher deutlich stärker durch die Kulturhauptstadt gefördert als die „normale“ Brachflächenentwicklung. Die Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ hat in Anknüpfung an die IBA Emscher Park deren Hinterlassenschaften stabilisiert und gestärkt. Viele Industriedenkmäler wurden als Leuchtturmprojekte vermarktet, künstlerisch bespielt und teilweise baukulturell weiterentwickelt. Insbesondere die finanzielle Tragfähigkeit vieler altindustrieller Standorte wurde im Rahmen der Kulturhauptstadt verbessert. Durch die hohen Besucherzahlen konnten viele Industriedenkmäler, zumindest im Kulturhauptstadtjahr, deutliche Mehreinnahmen verzeichnen. Trotz positiver Erwartungen seitens der regionalen Experten bleibt abzuwarten, wie sich die Besucherzahlen und damit einhergehend die finanziellen Einnahmen nach dem Kulturhauptstadtjahr entwickeln. Die Brachflächenentwicklung bisher ungenutzter, weniger spektakulärer Brachen wurde durch die Kulturhauptstadt weniger vorangetrieben. Es ist zu erwarten, dass die Anzahl an Brachflächen durch die Kulturhauptstadt nicht übermäßig verringert werden konnte. 5.3.3 Außenimage und Tourismus Die Herausforderungen des Ruhrgebiets hinsichtlich seines Außenimages bestanden im Jahr 2006 darin, dass es noch stark von den industriellen Klischees der Vergangenheit bestimmt wurde. Um den Wandel zur Kulturmetropole zu stärken, galt es die kulturellen Potentiale der Region zu fördern. Damit einherge413 Expertengespräch beim Regionalverband Ruhr (b). 414 Vgl. Ebenda. 415 Expertengespräch beim Regionalverband Ruhr (a). 123 hend sollte die industriekulturelle Landschaft für den Tourismus weiter erschlossen werden. Es galt, die Verbesserung des Außenimage und die Förderung des Tourismus zu erreichen. 5.3.3.1 Programmfeld „Feste – feiern“ Alle Programmfelder des Kulturhauptstadtprogramms zielten darauf ab, Besucher für die Veranstaltungen zu gewinnen und positive Bilder der Region in der nationalen und internationalen Öffentlichkeit zu kommunizieren. Als besonders bedeutendes Programmfeld für die Verbesserung des Außenimages galt das Programmfeld „Feste – feiern“. Im Rahmen dieses Programmfeldes wurde eine Reihe besucherstarke und medienwirksamer Events veranstaltet. Die Feste „Still– Leben“, „ExtraSchicht“ und „Loveparade“ waren als herausragende Events des Kulturhauptstadtjahres, geplant. Das Fest „Still-Leben“ war eines der Highlight-Projekte im Kulturhauptstadtjahr. Am 18. Juli 2010 wurde der Ruhrschnellweg (A40) zwischen Dortmund und Duisburg für den Kraftverkehr beidseitig gesperrt und die Autobahn zwischen 11 Uhr und 17 Uhr für Fußgänger, Radfahrer und Inlineskater freigegeben. Es wurden rund 20.000 Tische auf einer Länger von 60 Kilometern aufgebaut, an denen das Fest der Alltagskulturen stattfand. Privatpersonen oder Vereine konnten die einzelnen Tische anmieten und kulturelle Beiträge für das Fest liefern. Mit rund 3 Millionen Besuchern und einem internationalen Medienaufkommen war das Fest „Still-Leben“ eines der erfolgreichsten Events des Kulturhauptstadtjahres. „Es waren alle da, aus der ganzen Welt: aus Nikaragua, aus China, aus Südamerika. Von überall her kamen die Leute und haben darüber berichtet“416 Somit hat das Event sowohl bei der Ruhrgebietsbevölkerung als auch bei den Menschen außerhalb des Ruhrgebiets eine große Aufmerksamkeit erzielt.417 Das Fest „ExtraSchicht – Nacht der Industriekultur“ ist ein Kulturfestival das seit 2001 jährlich im Ruhrgebiet stattfindet. Im Rahmen der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ wurde die ExtraSchicht zum „Sommerfest der Kulturhauptstadt“. Am 19. Juni 2010 wurden von 18 Uhr bis 02 Uhr nachts rund 40 ehemalige Industrieanalagen im Ruhrgebiet zu Spielorten unterschiedlichster Inszenierungen regionaler und internationaler Künstler. Die ExtraSchicht 2010 fand im Rahmen der Kulturhauptstadt statt; als offizieller Veranstalter fungierte jedoch die Ruhr Tourismus GmbH. Diese stand in Kooperation mit dem Regionalverband Ruhr, dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr und der RUHR.2010 GmbH.418 Als „Sommerfest der Kulturhauptstadt“ wurden rund 20 Projekte der Kulturhauptstadt in das insgesamt 200 Projekte starke Programm der ExtraSchicht integriert. Die Besucherzahlen der ExtraSchicht stiegen im Jahr 2010 erstmals über die Marke von 200.000 Besuchern an. Mit der Einbindung des Kulturfestivals Extraschicht, wurde im Rahmen der Kulturhauptstadt ein bewährtes Festival der Industriekultur 416 Expertengespräch bei der RUHR.2010 GmbH. 417 Vgl. RUHR.2010 GmbH „Essen für das Ruhrgebiet“ (Hrsg.)(o.J.)l Still–Leben Ruhrschnellweg Die Metropole feiert, Essen, Online Dokument: http://www.essen–fuer–das– ruhrgebiet.ruhr2010.de/programm/feste–feiern/still–leben–ruhrschnellweg.html, Stand 24. Januar 2011. 418 Vgl. Ruhr Tourismus GmbH (Hrsg.)(o.J.): Die Projektgemeinschaft, Online–Dokument: http://www.extraschicht.de/ueber–uns/projektgemeinschaft/, Stand 24. Januar 2011. 124 inszeniert. Die Bespielung der durch den Strukturwandel geschaffenen neuen Standorte trägt kontinuierlich zum kulturellen Image der Region bei.419 Das Fest „Loveparade“ war der tragische Höhepunkt des Kulturhauptstadtjahres. Am 24. Juli 2010 fand die Loveparade auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofes in Duisburg statt. Um 14 Uhr begann die Veranstaltung und endete in einer Tragödie. In einer Massenpanik kamen 21 Menschen ums Leben und mehrere hundert Menschen wurden verletzt. Die Loveparade wurde zwar auch im Rahmen der Kulturhauptstadt durchgeführt; offizieller Veranstalter war jedoch die Organisation „Lopavent“ aus Duisburg. Die Veranstaltung wurde zwar weder direkt durch die Akteure der Kulturhauptstadt organisiert noch durch die Kulturhauptstadt finanziert, dennoch wurde sie in der Öffentlichkeit als eine Veranstaltung der Kulturhauptstadt wahrgenommen. Insofern hat sich die Tragödie der Loverparade auch auf die Wahrnehmung der gesamten Kulturhauptstadt negativ ausgewirkt. Die Fröhlichkeit und Leichtigkeit des Kulturhauptstadtjahres wurde durch die Tragödie deutlich gedämpft und lag „wie ein schwerer Schatten“ 420 auf den weiteren Veranstaltungen der Kulturhauptstadt.421 Im Resümee der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ wird die Tragödie der Loveparade einen festen Platz einnehmen. Die Auswirkungen der jeweiligen Feste auf die Imageentwicklung des Ruhrgebiets können zu diesem Zeitpunkt noch nicht differenziert bewertet werde. Deutlich wird, dass die Feste dem Ruhrgebiet zumindest eine hohe mediale Aufmerksamkeit eingebracht haben. Inwieweit die Tragödie der Loveparade die nachhaltige Imageentwicklung der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ beeinträchtigen wird, bleibt fraglich. Zwar wurde bspw. auf der Podiumsdiskussion zum Thema „Was macht die Kulturhauptstadt aus dem Ruhrgebiet“ die Einschätzung geäußert, dass das Unglück der Loveparade keine Auswirkungen auf die nachhaltige Wirkung der Kulturhauptstad „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ haben wird,422 dennoch kann zu diesem Zeitpunkt keine abschließende Beurteilung getroffen werden. 5.3.3.2 Weitere Auswirkungen Die Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ konnte die Entwicklung der Region zur Kulturdestination positiv unterstützen. Sowohl im Bereich des Tourismus als auch im Bereich des Außenimages sind die Einschätzungen der regionalen Experte zur Auswirkung der Kulturhauptstadt positiv. 419 Vgl. RUHR.2010 GmbH „Essen für das Ruhrgebiet“ (Hrsg.)(o.J.)o: Extraschicht – Die Nacht der Industriekultur–Das Sommerfest der Kulturhauptstadt, Essen, Online Dokument: http://www.essen–fuer–das–ruhrgebiet.ruhr2010.de/programm/feste–feiern/extraschicht.html, Stand 24. Januar 2011. 420 RUHR.2010 GmbH „Essen für das Ruhrgebiet“ (Hrsg.)(o.J.)n: Erklärung von RUHR.2010 zur Loveparade, Essen, Online Dokument: http://www.essen–fuer–das– ruhrgebiet.ruhr2010.de/programm/feste–feiern/loveparade.html, Stand 24. Januar 2011. 421 Vgl. Ebenda. 422 Vgl. Landschaftsverband Westfalen Lippe (Veranstalter)(2010): Podiumsdiskussion Was macht die Kulturhauptstadt aus dem Ruhrgebiet, Teilnehmer: WAZ Chefredakteur, Geschäftsführer der RUHR.2010 GmbH, Direktor des Regionalverband Ruhr, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fakultät Raumplanung TU Dortmund, Gelsenkirchen. 125 Die Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ hat sich positiv auf die Entwicklung des Tourismus in der Region ausgewirkt.423 Während in der Vorlaufzeit zum Kulturhauptstadtjahr kaum Veränderungen bei den Tourismuszahlen zu verzeichnen waren, sind die Touristenzahlen im Kulturhauptstadtjahr deutlich angestiegen. Die Zahl der Übernachtungen war im Zeitraum von Januar bis September 2010, im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 13,4% gestiegen. Damit lag der Anstieg weit über dem landesweiten Durchschnitt der für den gleichen Zeitraum 7,1% betrug. Der stärkste Anstieg an Übernachtungsgästen im Ruhrgebiet wurde nach den bisher veröffentlichen Zahlen mit rund 32% im Monat Juli des Kulturhauptstadtjahres, im Vergleich zum Vorjahresmonat, verzeichnet.424 Die steigenden Tourismuszahlen sind eindeutig auf die Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ zurück zu führen. Dies zeigen die Ergebnisse einer ersten Befragung des Qualitätsmonitor Deutschland-Tourismus425 von rund 700 Übernachtungsgästen. Rund 75% der Befragten nannten die Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ als Hauptreisegrund für Ihre Fahrt ins Ruhrgebiet. Als weitere Reisegründe wurden von 50% der Befragten das Kunstund Kulturangebot der Region sowie von rund 20% der Befragten die positiven Berichte aus den Medien angegeben. Hinsichtlich der Frage, für welche kulturellen Angebote der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ die Befragten sich am meisten interessieren, nannten rund 70% die Industriekultur und ebenfalls 70% der Befragten die Geschichte der Region. Mit rund 60% folgten die Feste und Events der Kulturhauptstadt. Anhand dieser Zahlen wird deutlich, dass die meisten Besucher im Jahr 2010 wegen der Kulturhauptstadt in die Region gekommen sind. Zudem zeigt sich der große Stellenwert der Industriekultur für den Tourismus. „Die Industriekultur hat einen großen Stellenwert für das Ruhrgebiet, weil es etwas Einzigartiges ist. […] In Bayern mag es grüner sein als hier […], aber die Industriekultur gibt es dort nicht. Und ich glaube das ist auch ganz wichtig, dass es etwas Authentisches und Einzigartiges gibt, was es woanders eben nicht gibt. Das ist natürlich ein Grund hier her zu kommen und dann kann man auch viele weitere Dinge entdecken.“426 Die meisten Befragten waren mit ihrem Aufenthalt in der Region zufrieden. Auf einer Skala von 1 (äußerst begeistert) bis 6 (ehr enttäuschend) beurteilten die befragten Gäste ihren Aufenthalt mit einer Durchschnittsnote von 1,9 und den Besuch von Veranstaltungen der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ mit einer Durchschnittsnote von 1,8. Für rund 50% der Befragten kommt ein erneuerter Besuch des Ruhrgebiets in Frage und rund 80% der Befragten würden einen Besuch des Ruhrgebiets ihren Freunden und Bekannten empfehlen. Diese Zahlen unterstützen die These, dass viele Gäste von dem aktuellen Erscheinungsbild der Region positiv überrascht waren. „Die Leute die mit einer Erwartungshaltung hierher kommen, […] die knapp unter der Tischkante ist und die sich vielleicht noch einen Ruck geben müssen für diese Reisentscheidung, die fahren in der Regel begeistert zurück und werden das weiter erzählen.“427 Darüber hinaus stützen diese Zahlen die positiven Erwartungen an die 423 Vgl. Expertengespräch bei der Essener Wirtschaftsförderungsgesellschaft mbH 424 Vgl. RUHR.2010 GmbH „Essen für das Ruhrgebiet“ (Hrsg.)(o.J.)p: Bilanz Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010, Essen, Online Dokument http://www.essen–fuer–das– ruhrgebiet.ruhr2010.de/presse–medien/zitier–bar.html, Stand 24. Januar 2011. 425 Qualitätsmonitor Deutschland–Tourismus – Erste Ergebnisse der Befragung in der Metropole Ruhr – Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 – in Kooperation mit dem Qualitätsmonitor Deutschland Tourismus, Internet Bericht 426 Expertengespräch bei der Wirtschaftsförderung Metropoleruhr GmbH. 427 Expertengespräch bei der Ruhr Tourismus GmbH. 126 touristische Entwicklung in der Region nach dem Jahr 2010. „Ich bin da eigentlich ganz optimistisch, weil so wie ich das mitkriege, […] fahren viele Gäste die hier waren sehr begeistert zurück. Und die damit einhergehende Mund-zu-Mund Propaganda scheint mir die wirkungsvollste Werbung zu sein, wirkungsvoller als Hochglanzprospekte.“428 Der durchschnittliche Besucher des Ruhrgebiets im Jahr 2010 war laut der Umfrage 43 Jahre alt, hatte ein hohes Bildungsniveau und reiste mindestens zu zweit. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Übernachtungsgäste lag laut der Befragung bei 4,2 Tagen und damit über dem durchschnittlichen Aufenthalt von Städtetouristen (2,0 Tage). Rund 85% der Übernachtungsgäste kammen aus Deutschland. Die meisten ausländischen Besucher reisten aus den Niederlanden, Großbritannien und Frankreich an. Die Zahlen zeigen, dass das Event Kulturhauptstadt insbesondere von nationaler Bedeutung hinsichtlich des Tourismus war. Daraus abgeleitet lassen die Zahlen darauf schließen, dass die größte Aufmerksamkeit durch die Kulturhauptstadt ebenfalls auf nationaler Ebene erzielt wurde. Darüber hinaus spricht die lange Aufenthaltsdauer für den hohen Umfang des Programms und den vielfältigen Attraktionen in der Region.429 „Es ist festzustellen, dass die kulturelle Vielfalt überrascht, positiv überrascht. Wir haben das auch in diesem Jahr wiederholt erlebt, dass Leute gesagt haben: wir haben noch 2 Tage verlängert, das müssen wir noch mitnehmen oder eben wir müssen unbedingt wieder kommen.“430 Einhergehend mit den steigenden Tourismuszahlen hat die Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ die touristische Infrastruktur in der Region gestärkt. „Wir haben es geschafft […] dieser Region […] auch touristisch eine Struktur zu geben, die dem Besucher der hier her kommt eine wunderbare Lenkung durch das gesamte Ruhrgebiet ermöglicht.“431 Dazu wurde das Ruhrgebiet in fünf Areale aufgeteilt. Als Portalstädte dieser Areale wurden jeweils die Städte Bochum, Dortmund, Duisburg, Essen und Oberhausen bestimmt. An markanten Orten innerhalb dieser Städte wurde jeweils ein Visitor-Center der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ eröffnet. Diese Besucherzentren boten den Touristen einen Überblick über die gesamte Region. „Die Kollegen im Dortmunder Visitor-Center sind genauso gebrieft wie die in Essen, Bochum und Duisburg und haben alle Informationen parat. Notfalls greifen sie zum Telefonhörer und rufen die Kollegen in Essen an.“432 Der Erfolg der Kulturhauptstadt ist in diesem Zusammenhang in der Überwindung des regional stark verankerten Kirchturmdenkens zu sehen. „Die große Herausforderung war es diese 53 Städte zusammen zu bringen, zu vereinen. Zu sagen: ihr könnt alle stolz auf euch sein, ihr seid alle Kulturhauptstadt.“433 Unterstütz wurde diese Entwicklung von der Nominierung des Ruhrgebiets als Partnerland auf der „Internationalen Tourismus-Börse 2009“. Durch die Auszeichnung konnte sich das Ruhrgebiet als regionale Touristendestination, ausgezeichnet mit dem Titel Kulturhauptstadt Europas, vor internationalem 428 Expertengespräch bei der Wirtschaftsförderung Metropoleruhr GmbH. 429 Vgl. Europäische Reiseversicherung AG & Deutschen Zentrale für Tourismus e.V. (Projektträger) Dwif–Consulting GmbH & Manova (Operative Umsetzung)(2010): Qualitätsmonitor Deutschland–Tourismus – Erste Ergebnisse der Befragung in der Metropole Ruhr – Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 – in Kooperation mit dem Qualitätsmonitor Deutschland Tourismus, Interner Bericht. 430 Expertengespräch bei der Wirtschaftsförderung Metropoleruhr GmbH. 431 Expertengespräch bei der RUHR.2010 GmbH. 432 Ebenda. 433 Ebenda. 127 Publikum präsentieren. „Das wäre ohne Kulturhauptstadt nicht möglich gewesen. Indiskutabel, da normalerweise immer nur ein Land aber keine Region genommen wird.“434 Darüber hinaus hat sich die Vermarktung des Ruhrgebiets als Reiseregion stark verändert. Während bis 2007 die meisten Reiseführer lediglich einzelne Städte aus der Region unabhängig voneinander aufgeführt hatten, wurde seit den Jahren 2008 und 2009 das Ruhrgebiet zunehmend als Region aufgeführt. Viele Reiseveranstalter hatten die Systematik der fünf Areale aufgenommen und insbesondere zum Kulturhauptstadtjahr touristische Pakete entwickelt. So wurden bspw. unter Dortmund nicht nur Hotels aus Dortmund gelistet, sondern auch die kulturellen Highlights aus der Umgebung, wie bspw. das Lichtkunstmuseum in Unna. „Das ist zum ersten mal, dass die Reiseveranstalter begriffen haben, dass das Ruhrgebiet nicht diese einzelnen Städte sind sondern dass es eine große Einheit ist. Die Einheit kann man natürlich auch viel besser vermarkten.“435 Unter der Annahme, dass die geschaffenen Systematiken und Strukturen auch nach dem Jahr 2010 bestehen bleiben, wurden durch die Kulturhauptstadt wichtige Impulse für die weitere Entwicklung der Tourismusdestination Ruhrgebiet erzielt. Eng verbunden mit den Entwicklungen im Bereich des Tourismus ist die Entwicklung des Außenimages der Region. Vorausgesetzt, dass sich die Touristenzahlen auch nach dem Kulturhauptstadtjahr weiterhin positiv entwickeln, wird eine positive Imageveränderung erwartet. „Mir ist da gar nicht Angst und Bange, dass der Tourismus sich sehr positiv entwickeln wird und dadurch einhergehend auch das Image. Dieses wird sich sukzessive in Deutschland stark wandeln, aber auch im Ausland. Wir haben sehr hohe Besucheranteile aus Benelux, Österreich, und Frankreich. Viele werden positiv berichten, das sind alles Botschafter. Ich glaube schon, dass wir es hinkriegen, dass sich das Image was in der Tat noch sehr problematisch ist viel mit Unwissenheit zu tun hat, wandeln wird.“436 Die Vermarktung des Außenimages der Region zielte insbesondere auf den Wandel der sich in der Region vollzogen hat. „Ich bin absolut zufrieden wenn die, die hier waren feststellen, dass es hier schon lange nicht mehr rußig ist, sondern dass hier eine hohe Lebensqualität herrscht und auch insgesamt ein Grundoptimismus herrscht. Es ist hier keine Region in Depression oder die immer noch an ihrem Schicksal leidet.“437 Nach Einschätzungen der Experten sind die Effekte der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ auf das Außenimage der Region auch auf lange Sicht hin sehr positiv. „Die Kulturhauptstadt war die Möglichkeit, die Region im Rahmen eines europäischen Veranstaltungsformates als Kulturdestination relativ bekannt zu machen.“438 Insofern hat die Kulturhauptstadt die Leuchtturmprojekte der Industriekultur nach außen vermarktet. Die Bilder des permanenten Wandels und die hohe kulturelle Vielfalt konnten mittels der Kulturhauptstadt nach außen getragen werden. Die Kulturhauptstadt hat dazu beigetragen, die kulturellen Besonderheiten und die kulturelle Identität der Region herauszuarbeiten und diese weiter zu entwickeln.439 Damit einhergehend wurde die Marke „Ruhr“ im Zuge des Kulturhauptstadtprozesses gestärkt. So wurde der offizielle Titel „Essen für das Ruhrgebiet“ bereits Ende 2006 durch den Titel 434 435 436 437 438 439 Expertengespräch bei der Ruhr Tourismus GmbH. Expertengespräch bei der RUHR.2010 GmbH. Expertengespräch bei der Ruhr Tourismus GmbH. Expertengespräch beim Regionalverband Ruhr (a). Expertengespräch beim Regionalverband Ruhr (b). Vgl. Expertengespräch bei der Wirtschaftsförderung Metropoleruhr GmbH. 128 „RUHR.2010“ ergänzt und zunehmend eingetauscht. Dahinter steht die Ambition, das Ruhrgebiet nicht nur zur „Metropole Ruhr“ zu entwickeln, sondern auch die Marke Ruhr nach außen zu etablieren. „Der Geschäftsführer der Kulturhauptstadt sagt immer [Ruhrgebiet] hört sich an wie Zonenrandgebiet […] oder Sonderzone. Das sind wir nicht. Wir sind kein Gebiet, wir sind eine echte Region, die RuhrRegion.“440 Die Kurzform hat sich mittlerweile bei vielen regionalen Gesellschaften wie dem „Regionalverband Ruhr“, der „Ruhr Tourismus GmbH“ oder der „Wirtschaftsförderung metropoleruhr GmbH“ durchgesetzt.441 Insofern steht Ruhr für die Einheit der Region, die insbesondere durch den Kulturhauptstadtprozess gestärkt wurde. Als bedeutende Errungenschaft der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ wird von den regionalen Experten die Verbesserungen des Außenimages erachtet. Die Kulturhauptstadt Europas ist per se ein Instrument, welches zur Stärkung des europäischen Tourismus beitragen soll. Dieser Effekt wurde im Rahmen der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ erzielt. Die Tourismuszahlen haben im Kulturhauptstadtjahr deutlich zugenommen. Dies ist für das Ruhrgebiet als Kulturhauptstadt Europas 2010 ein Erfolg und für das Ruhrgebiet als altindustriell geprägte Region eine Errungenschaft. Das Ruhrgebiet ist eine junge Tourismusdestination. Als ehemalige montanindustrielle Region hatte die Region lange Zeit mit einem schlechten Außenimage zu kämpfen. Trotz eines stetigen Wandels wurde die Region bis in die Gegenwart von vielen Menschen immer noch als Region wahrgenommen in der „die Briketts durch die Luft fliegen“. Vor diesem Hintergrund ist die Zunahme der Touristen im Jahr 2010 und deren meist positive Beurteilung ihres Aufenthalts als besonders bedeutsam zu bewerten. Wurde die Idee, das Ruhrgebiet zur industriekulturellen Tourismusdestination zu entwickeln, zu Beginn der IBA Emscher Park belächelt, hat sich diese Idee langsam aber stetig entwickelt. Die Kulturhauptstadt hat dieser Entwicklung einen entscheidenden Impuls verliehen. Das Kulturhauptstadtjahr hat der Region eine erhöhte deutsche und teils europäische Aufmerksamkeit gebracht. Es wurden Bilder des regionalen Wandels und der industriekulturellen Landschaft nach außen vermarktet. Dadurch wurden viele Touristen auf die Region aufmerksam und das Außenimage hat sich sukzessive verbessert. Die nachhaltige Entwicklung bleibt abzuwarten. Dennoch sind die Erwartungen hoch, dass durch die Kulturhauptstadt eine positive Imageverbesserung erzielt werden konnte. 5.4 Zwischenfazit Das Ruhrgebiet befindet sich seit über 150 Jahren in einem permanenten Wandel. Ausgehend von der ehemals prosperierenden Wirtschaftsregion, bis zum Status einer Altindustrieregion, befindet sich die Region seit den 1960er Jahren in einem kontinuierlichen Strukturwandel. Langfristig soll das altindustriell geprägte Ruhrgebiet zur Kulturmetropole Ruhr transformiert werden. Die Industriekultur nimmt in diesem Prozess eine Schlüsselfunktion ein. Initiiert durch die IBA Emscher Park wurde die industriekulturelle Landschaft durch die Route der Industriekultur und die Ruhrtriennale konsequent weiter entwickelt. Die Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“, ist eine Fortführung dieses Entwicklungsprozes440 Expertengespräch bei der Ruhr Tourismus GmbH. 441 Vgl. Beier, Nikolaj & Scheytt, Oliver (2010): a.a.O. 129 ses. Ausgerichtet an dem Motto „Wandel durch Kultur, Kultur durch Wandel“ tragen die Projekte der Kulturhauptstadt zur strukturellen Erneuerung der Region mittels Kunst und Kultur bei. Die Kulturhauptstadt, angelegt als nachhaltiger Entwicklungsprozess, setzte auf den Errungenschaften der IBA Emscher Park auf und hat diese konsequent weiterentwickelt, gesteigert und intensiviert. Insofern ist die Kulturhauptstadt, trotz vieler innovativer Projekte, weniger als neuer Entwicklungsansatz, sondern vielmehr als Weiterführung der vorrangegangenen strukturpolitischen Ansätze zu beurteilen. Die Auswirkungen der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ auf die altindustriell geprägte Region Ruhrgebiet sind zu diesem Zeitpunkt als positiv zu bilanzieren. Als wichtige Errungenschaft, des gemeinschaftlichen Projekts der 53 Ruhrgebietskommunen, gilt die Erkenntnis, dass die Region durch effektive Zusammenarbeit der regionalen Akteure viel erreichen kann. Während die IBA Emscher Park von der Landesregierung initiiert wurde, ist die Initiative zur Kulturhauptstadtbewerbung aus der Region selbst gekommen. Insofern hat bereits die Ernennung zur Kulturhauptstadt Europas 2010 das Selbstbewusstsein und den Zusammenhalt der Region gestärkt. Der gemeinsame Titel Kulturhauptstadt Europas bildete eine Klammer für regionale Kooperationen. In diesem Rahmen sind innovative Formen der Zusammenarbeit und unterschiedlichste Netzwerke entstanden. Es wurde eine Aufbruchsstimmung erzeugt, welche den bereits eingeleiteten dynamischen Wandel der ehemaligen Industrieregion unterstützen konnte. Insofern trug die Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ zur Generierung neuer Impulse und zum weiteren Abbau altindustrieller Hemmnisse und festgefahrener Strukturen in der Region bei. Die Beurteilung der Auswirkungen der Kulturhauptstadt auf die regionale Wirtschaftsstruktur, die Brachflächenentwicklung und das Außenimage sind zu diesem Zeitpunkt schwer zu ermessen. Nach Einschätzungen der regionalen Experten wurden mittels der Kulturhauptstadt sowohl Impulse zur Wirtschaftsentwicklung als auch zur Brachflächenentwicklung generiert. Die wichtigste Errungenschaft wurde jedoch der Verbesserung des Außenimages zugesprochen. Die Kulturhauptstadt Europas gilt primär als Kulturfestival, welches über ein Jahr lang Touristen anzieht und die Möglichkeit zur Vermarktung prestigeträchtiger Bilder bietet. Da das Außenimage des Ruhrgebiets stark durch industrielle Klischees bestimmt wurde, konnten im Kulturhauptstadtjahr viele Vorurteile abgebaut und die veränderten Strukturen der Region präsentiert werden. Die ansteigenden Besucherzahlen und Ergebnisse von Befragungen lassen auf eine positive Entwicklung sowohl des Außenimages, als auch der Tourismusdestination Ruhrgebiet schließen. Im Zeitraum von 2006 bis 2010 hat sich im Ruhrgebiet viele verändert. Inwieweit diese Veränderungen durch die Kulturhauptstadt initiiert wurden, ist nicht immer klar abzugrenzen. Darüber hinaus bleibt die nachhaltige Wirkung vieler Effekte erst noch abzuwarten. Insgesamt ist jedoch an dieser Stelle ein positives Fazit zu ziehen. 130 6 Fazit und Handlungsempfehlungen Aufbauend auf den vorangegangenen Bausteinen folgt eine zusammenfassende Darstellung und Bewertung der Möglichkeiten, die das Instrument Kulturhauptstadt Europas zur Revitalisierung von Altindustrieregionen bietet. Im ersten Schritt werden die Erkenntnisse aus den theoretischen Analysen der Bausteine eins und zwei zusammengefasst. Im zweiten Schritt folgt eine Gegenüberstellung der beiden Kulturhauptstädte „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ (Baustein drei) und „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ (Baustein vier). Darauf aufbauend werden im dritten Schritt Handlungsempfehlungen für einen effizienten Einsatzes des Instruments Kulturhauptstadt Europas in Altindustrieregionen formuliert. 6.1 Anknüpfungspunkte zwischen Altindustrieregionen und der Kulturhauptstadt Europas Die Herausforderungen, denen Altindustrieregionen gegenüber stehen, und die Ausgestaltungmöglichkeiten, die das Instrument Kulturhauptstadt Europas bietet, zeigen erste Anknüpfungspunkte für die Anwendung des Instruments Kulturhauptstadt Europas in Altindustrieregionen auf. 6.1.1 Die Kulturhauptstadt als Anstoß Die Kulturhauptstadt Europas setzt in den jeweils ausgezeichneten Städten und Regionen einen Prozess in Gang, der über mehrere Jahre ein breites Wirkungsnetz entfaltet. In Altindustrieregionen bietet sich dadurch die Möglichkeit den internen Anpassungsstau, geprägt durch starre Interessensgemeinschaften und Strukturen, zu überwinden. Bereits die Bewerbung zur Kulturhauptstadt erfordert eine intensive Kooperation verschiedenster Akteure der lokalen, regionalen und nationalen Ebene. Dabei bietet insbesondere die kulturelle Ausrichtung für Altindustrieregionen eine Chance zur Etablierung neuer und innovativer Netzwerke. Die alten Interessensgemeinschaften, aus Industrie und Politik, können durch die Einbindung verschiedenster Akteure erneuert werden. Um eine erfolgreiche Kulturhauptstadtbewerbung zu erreichen, sind intensive Kooperationen zwischen Kulturschaffenden und Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft notwendig. Somit werden alte Interessensgemeinschaften durch neue Akteurskonstellationen ergänzt oder abgelöst. Dies bietet wiederrum die Chance, langjährige Handlungsweisen aus neuen Perspektiven zu überdenken. Diskussionen und innovative Lösungsansätze können dadurch angestoßen und wichtige Impulse für eine nachhaltige positive Entwicklung in Altindustrieregionen generiert werden. Neben der Etablierung nachhaltiger Netzwerke auf lokaler und regionaler Ebene kann die Kulturhauptstadt zudem als Austauschplattform für Städte und Regionen auf europäischer Ebene dienen. Altindustrieregionen, gekennzeichnet durch ähnliche Strukturprobleme, haben sich in vielen Ländern Europas entwickelt. Vor diesem Hintergrund kann die Kulturhauptstadt zum länderübergreifenden Austausch, zur Diskussion und zur Kooperation genutzt werden. Akteure aus Altindustrieregionen aus ganz Europa können im Rahmen der Kulturhauptstadt leichter zusammengeführt werden, um gemeinsam Lösungsansätze für spezifische Probleme von Altindustrieregionen zu diskutieren und „Best Practices“ auszutau131 schen. Darüber hinaus können modellhafte Projekte zur Erprobung von Lösungsansätzen in das Kulturhauptstadtprogramm eingebunden werden. Insofern eröffnen sich vielfältige Möglichkeiten für Altindustrieregionen, um mit anderen Regionen mit ähnlichen Problemen in Kontakt zu treten, was wiederrum Anstöße für die eigene Entwicklung geben kann. Die Kulturhauptstadt als „Anstoß“ ist dabei jedoch leicht zu ersetzen. International etablierte Events wie Weltmeisterschaften, Olympische Spiele oder Musikfestivals können ebenfalls durch den Anstoß dynamischer Entwicklungen zur Überwindung des Anpassungsstaus beitragen. Die kulturelle Fokussierung der Kulturhauptstadt Europas sollte daher zielorientiert genutzt werden. Es wird deutlich, dass die Einbindung neuer Akteure und der europaweite Austausch sowie die Erarbeitung von „Best Practices“ im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas, vielfältige Anstöße geben und dynamische Entwicklungen für Altindustrieregionen initiieren können. 6.1.2 Die Kulturhauptstadt als Auszeichnung Die Initiative Kulturhauptstadt Europas hat sich zu einem der bekanntesten und populärsten Instrumente der europäischen Kulturpolitik entwickelt. Die Anzahl der Bewerberstädte um den Titel Kulturhauptstadt Europas ist seit Einführung der Initiative kontinuierlich gestiegen. Altindustrieregionen bietet dies die Möglichkeit, sich im Wettbewerb mit anderen Bewerberstädten zu behaupten und positiv herauszustellen. Mittels der Auszeichnung „Kulturhauptstadt Europas“ präsentieren sich die Titelträger auf europäischer Bühne und können ihre Innen- und Außenwahrnehmung positiv beeinflussen. Insbesondere Altindustrieregionen können davon profitieren, da sie im Vergleich zu anderen Regionen häufig ein äußerst schlechtes Image besitzen. Mangelnde Bekanntheit und ein klischeebehaftetes Industrie-Image haftet den Altindustrieregionen an. Der langsame aber positive Wandel, der sich in vielen Altindustrieregionen vollzielt, wird häufig kaum wahrgenommen. Insofern bietet die Kulturhauptstadt Europas „symbolisches Potenzial“, um die Stärken der Region effektiv zu vermarkten. Als außergewöhnlicher Titel, im Sinne eines jährlich wechselnden Gütesiegels, kann die Kulturhauptstadt gezielt zur Verbesserung des Innen- und Außenimages eingesetzt werden. Für die Bewohner von Altindustrieregionen können mittels kultureller Projekte wichtige Identifikationsmöglichkeiten entwickelt werden. Alte, häufig negativ behaftete Identitäten (bspw. alte Industrieanlagen) können im Rahmen der Kulturhauptstadt zu neuen positiv behafteten Identitäten (bspw. Industriekultur) umgewandelt werden. Aufbauend auf einem positiven Selbstimage kann wiederum ein positives Außenimage etabliert werden. Die Medien, Touristen und die Besucher dienen dabei als „Botschafter“ des post-industriellen Wandels der Region. Die Altindustrieregion hebt sich durch die Auszeichnung zur Kulturhauptstadt also positiv von anderen Bewerberstädten ab und rückt für ein Jahr in die nationale und internationale Öffentlichkeit. Die Erfahrung zurückliegender Kulturhauptstädte zeigt, dass die Kulturhauptstadt per se kein Garant für eine langfristige positive Präsenz in der Öffentlichkeit ist. Das Ziel eines verbesserten Images muss intensiv von der jeweiligen Kulturhauptstadt verfolgt werden. Zusammenfassend zeigt sich, dass der Titel Kulturhauptstadt Europas und seine gezielte Anwendung, im Rahmen des Regional- und Stadtmarketings, Altindustrieregionen zu einem verbesserten Image verhelfen kann. 132 6.1.3 Die operationalisierte Kulturhauptstadt Die Initiative Kulturhauptstadt Europas hat sich seit der Einführung stark verändert. Durch das Zusammenspiel der Zielsetzungen der Europäischen Union mit den Ansprüchen der jeweiligen Kulturhauptstädte, hat sich die Kulturhauptstadt zu einem vielfältig nutzbaren Instrument der Stadt- und Regionalentwicklung gewandelt. Daher bietet sich Altindustrieregionen die Möglichkeit, das Instrument individuell ausgestaltet und ausgerichtet an den endogenen Herausforderungen, zu nutzen. Die Kulturhauptstadt Europas hat sich vom einfachen Kulturfest zum populären Großevent entwickelt. Der Titel Kulturhauptstadt Europas wird von den Kulturhauptstädten zunehmend für unterschiedlichste Zielsetzungen operationalisiert. Der offene Kulturbegriff, welcher der Kulturhauptstadtinitiative zugrunde liegt, bietet den Kulturhauptstädten einen großen Handlungsspielraum. Gerade Altindustrieregionen, die sich durch eine Ballung spezifischer Strukturprobleme kennzeichnen, profitieren von der Möglichkeit einer individuellen Ausgestaltung der Kulturhauptstadt Europas. Mittels der Kultur kann die Initiative individuell auf die jeweiligen endogenen Herausforderungen von Altindustrieregionen angepasst werden. Wie bereits erläutert, können im Rahmen der Kulturhauptstadt zentrale Problematiken wie der interne Anpassungsstau in Altindustrieregionen, oder das schlechte Image von Altindustrieregionen angegangen werden. Darüber hinaus bietet das Instrument weitere vielfältige Möglichkeiten. Die Stärkung der regionalen Wirtschaft, eine Verbesserung der Infrastruktur oder eine Verbesserung der regionalen Lebensqualität kann je nach Definition des zugrundeliegenden Kulturbegriffs, ebenfalls mittels der Kulturhauptstadt verfolgt werden. Der Boom in der Kunst- und Kreativwirtschaft, die steigende Bedeutung kultureller Angebote für die regionale Lebensqualität und die hohe Anziehungskraft etablierter kultureller Einrichtungen stehen beispielhaft für die vielfältige Anwendbarkeit, die Kultur im Rahmen der Stadt- und Regionalentwicklung bietet. Dennoch darf das Instrument Kulturhauptstadt Europas bei der Revitalisierung von Altindustrieregionen nicht überschätzt werden. Als zentrales Handlungsfeld der Kulturhauptstadt gilt nach wie vor die Kultur. Am Beispiel der Wirtschaftsförderung zeigt sich, dass die Kulturhauptstadt nicht zur umfassenden wirtschaftsstrukturellen Erneuerung in einer Altindustrieregion eingesetzt werden kann. Die Kulturhauptstadt kann zwar zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts beitragen, eine nachhaltige und umfassende Wirtschaftsförderung erfordert in Altindustrieregion jedoch zusätzliche, spezifisch auf die Wirtschaftsförderung ausgerichtete Maßnahmen. Zusammenfassend zeigt sich, dass die individuelle Ausgestaltung des Instruments Kulturhauptstadt Europas Altindustrieregionen vielfältige Möglichkeit zur Überwindung individueller Problemlagen bietet. Als primäres Handlungsfeld des Instruments gilt jedoch nach wie vor die Kultur. Je nach eigener Auslegung des Kulturbegriffs, kann die Kulturhauptstadt daher zielgerichtet auf bestimmte Herausforderungen in Altindustrieregionen ausgerichtet werden. 133 6.2 Gegenüberstellung der Kulturhauptstädte Glasgow 1990 und RUHR 2010 Die Gegenüberstellung der beiden Kulturhauptstädte „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ und „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“, birgt wichtige Erkenntnisse zum effektiven Einsatz des Instruments Kulturhauptstadt Europas in Altindustrieregionen. 6.2.1 Vergleich der beiden Altindustrieregionen Die Stadt Glasgow und die Region Ruhrgebiet sind durch ähnliche Entwicklungspfade geprägt. Beide Räume haben sich von ehemals prosperierenden Wirtschaftsregionen zu Altindustrieregionen entwickelt. Die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt Glasgow war dabei ebenso wie die des Ruhrgebiets stark mit der Entwicklung der gesamten Region verknüpft. Beide Regionen wurden lange Zeit von monostrukturierten Industrieverbünden dominiert. Während die Glasgower Verbundindustrie vorranging durch die Schiffbauindustrie, die Stahlindustrie und den Bergbau geprägt war, setzte sich die Verbundindustrie des Ruhrgebiets aus der Stahlindustrie, dem Bergbau und der chemischen Industrie zusammen. Einhergehend mit der erfolgreichen Industrialisierung verzeichneten beide Regionen ein starkes Bevölkerungswachstum und daraus resultierend, eine schnelle, häufig ungesteuerte Raumentwicklung. Mitte des 20. Jahrhunderts setzte in beiden Regionen ein wirtschaftlicher Niedergang ein, der zu umfassenden strukturellen Problemen führte. Bedingt durch den Anpassungsstau und vielfältige interne Hemmnisse, entwickelten sich beide Regionen zu Altindustrieregionen. Eine hohe Arbeitslosigkeit, ein schlechtes Image und städtebauliche Missstände waren zentrale Herausforderungen, denen beide Regionen, bedingt durch den Niedergang der alten Industrien, lange Zeit gegenüber standen. Zur Bewältigung des Strukturwandels, wurden sowohl Glasgow als auch das Ruhrgebiet von außenstehenden Verwaltungsinstanzen unterstützt. Es wurden verschiedenste Maßnahmen und Strategien zur Revitalisierung der Altindustrieregionen eingeleitet. Eine nachhaltige Strategie zur effektiven Erneuerung der Strukturen, wurde in beiden Räumen jedoch erst ab den 1980er Jahren verfolgt. In Glasgow wurde zu Beginn der 1980er Jahre, durch die Einbindung unterschiedlicher Akteure („Scottish Development Agency“ etc.) eine neue Strategie verfolgt. Fokussiert auf die Glasgower Innenstadt wurde der Dienstleistungsstandort gestärkt und die kulturellen Potenziale der Stadt neu bewertet. Einhergehend mit städtischen Aufwertungsmaßnahmen der historischen Bausubstanz, wurde die Eröffnung der „Burrell Collection“, der Bau des „Scottisch Exibition Conference Centers“, das „Glasgow Garde Festivals“ und die Imagekampagne „Glasgow`s Miles Better“ eingesetzt, um Glasgow zur Destination für Kulturtourismus und Konferenzen zu entwickeln. Im Ruhrgebiet wurde ebenfalls eine kulturgestützte Strategie verfolgt. Ab Mitte der 1980er Jahre wurden die weichen Standortfaktoren in der Region verstärkt gefördert. Aufbauend auf den „Regionalen Entwicklungskonferenzen“ wurde die „IBA Emscher Park“ im Zeitraum von 1989 bis 1999 als Strukturprogramm, initiiert vom Bundesland, durchgeführt. Fokussiert auf die Emscherzone verfolgte die IBA Emscher Park den nachhaltigen Wandel der ehemaligen Industrieregion zu einer dynamischen post-industriellen Region. Im Rahmen der IBA Emscher Park wurden unterschiedlichste Ziele verfolgt. Im Rückblick wird insbesondere die Etablierung der Industriekultur als bedeutsam bewertet. Ausgehend von der IBA Emscher Park und aufbauend auf der etablierten Route der 134 Industriekultur sowie dem etablierten Festival Ruhrtriennale, sollte das Ruhrgebiet zur Kulturmetropole und zur Tourismusdestination entwickelt werden. Sowohl in Glasgow als auch im Ruhrgebiet wurde die Kultur also zur Revitalisierung der Altindustriestadt bzw. der Altindustrieregion herangezogen. Während in Glasgow, ausgehend vom ökonomischen Niedergang vermehrt einzelne Kulturprojekte für einen effektiven Strukturwandel eingesetzt wurden, leitete das Ruhrgebiet stattdessen ein langjähriges Strukturprogramm ein. 6.2.2 Vergleich der beiden Kulturhauptstädte Die Altindustriestadt Glasgow und die Altindustrieregion Ruhrgebiet wurden beide zu Kulturhauptstädten Europas ausgezeichnet. Dabei ergaben sich hinsichtlich der Ausgestaltung der beiden Kulturhauptstädte sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede. Ein entscheidender Unterschied liegt zunächst im Zeitpunkt der Auszeichnung zur Kulturhauptstadt Europas. Während Glasgow bereits im Jahr 1986 zur Kulturhauptstadt Europas für das Jahr 1990 ausgezeichnet wurde, bekam das Ruhrgebiet die Auszeichnung zur Kulturhauptstadt Europas für das Jahr 2010 erst im Jahr 2006 verliehen. Insofern standen beide Kulturhauptstädte zum Zeitpunkt der Auszeichnung unterschiedlichen Voraussetzungen gegenüber. Während Glasgow als Altindustriestadt im Jahr 1986 den direkten Folgen des ökonomischen Niedergangs gegenüber stand, hatte das Ruhrgebiet als altindustriell geprägte Region bis zum Jahre 2006 bereits einen positiven Strukturwandel initiiert. Der Titel Kulturhauptstadt wurde Glasgow also zu einem sehr viel früheren Zeitpunkt der post-industriellen Entwicklung verliehen als dem Ruhrgebiet. Bedingt durch die zeitliche Diskrepanz unterlagen beide Kulturhauptstädte zudem jeweils unterschiedlichen Rechtsvorgaben. Während Glasgow den Auflagen der „Entschliessung der im Rat vereinigten für Kulturfragen zuständigen Minister vom 13. Juni 1985 für die alljährliche Benennung einer Kulturhauptstadt Europas“ unterlag, hatte sich das Ruhrgebiet nach den Vorgaben des „Beschlusses über die Einrichtung einer Gemeinschaftsaktion zur Förderung der Veranstaltung Kulturhauptstadt Europas für die Jahre 2005 - 2019“ zu richten. Neben unterschiedlichen Verfahrensanforderungen, oblagen der Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ dadurch sehr viel geringere inhaltliche Auflagen zur Ausgestaltung des Titels als der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“. Eine Gemeinsamkeit der beiden Titelträger ist deren jeweils besondere Bedeutung in der Entwicklung der europäischen Kulturhauptstadtinitiative. „Glasgow, European Capital of Culture 1990“ war, im Vergleich zu den vorangegangenen Kulturhauptstädten, die erste Kulturhauptstadt die zum Zeitpunkt der Auszeichnung kein traditionelles Kulturzentrum Europas war. Zudem nutzte Glasgow den Titel erstmals als Instrument der Stadt- und Regionalentwicklung. Das Ruhrgebiet war hingegen die erste Kulturhauptstadt, die den Titel im Sinne einer „Kulturhauptregion“ durch intensive regionale Kooperationen aller Ruhrgebietskommunen ausgestaltete. Somit wurde die Kulturhauptstadt im Fall Glasgows erstmals zur Revitalisierung einer Altindustriestadt und im Fall des Ruhrgebiets erstmals zur Revitalisierung einer gesamten Altindustrieregion genutzt. Hinsichtlich der Ausgestaltung der beiden Kulturhauptstadtprogramme ergab sich dadurch wiederum ein prägnanter 135 Unterschied. Während in Glasgow die Projekte der Kulturhauptstadt mehrheitlich auf das Stadtgebiet fokussiert waren, wurden die Projekte der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ im gesamten Ruhrgebiet umgesetzt. Der Wirkungsbereich des Kulturhauptstadtprogramms wurde im Ruhrgebiet also weiter gefasst als in Glasgow. Begründet durch die altindustrielle Entwicklung der Räume, waren die übergeordneten Ziele der beiden Kulturhauptstädte „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ und „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ wiederum recht ähnlich. Ausgerichtet an den jeweils endogenen Herausforderungen setzten Glasgow und das Ruhrgebiet den Titel Kulturhauptstadt gezielt zur Förderung eines effektiven Strukturwandels ein. Neben kulturellen Zielsetzungen verfolgten die beiden Kulturhauptstädte insbesondere die Verbesserung des Außenimages und die Stärkung des Wirtschaftsstandorts. Das Motto „Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“ der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ und das Motto „There`s a Lot Glasgowing On in 1990“ der Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ verdeutlichen diese Ambitionen. Zum Erreichen der Zielsetzungen wurde der Ausgestaltung beider Kulturhauptstädte ein offener Kulturbegriff zugrunde gelegt. Die klassische Kultur wurde durch vielfältige Aspekte der Massenkultur erweitert. Bei der Kulturhauptstadt Glasgow kam neben der klassischen Kultur auch der Alltagskultur eine hohe Bedeutung zu, während bei der Kulturhauptstadt im Ruhrgebiet zusätzlich die Industriekultur einen hohen Stellenwert einnahm. Basierend auf der breiten Kulturdefinition waren beide Kulturhauptstädte bestrebt, möglichst viele Zielgruppen mit dem Kulturhauptstadtprogramm anzusprechen. Während bei den Vorbereitungen zur Kulturhauptstadt in Glasgow bereits eine Vielzahl an verschiedensten Akteuren mit einbezogen wurde, richtete sich der Projektpool zur Ideenfindung der Kulturhauptstadt im Ruhrgebiet zusätzlich an die gesamte interessierte Öffentlichkeit. Das Kulturhauptstadtprogramm der Kulturhauptstadt Glasgow wurde als Erweiterung des städtischen Jahreskulturprogramms entworfen. Im Ruhrgebiet wurden ebenfalls etablierte Kulturevents integriert, dennoch erscheint die Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet„ deutlich losgelöster vom regionalen Jahreskulturprogramm entworfen worden zu sein. Zurück zu führen auf die unterschiedlichen Beteiligungsstrukturen und die unterschiedliche Anlehnung an das Jahreskulturprogramm, war die Kulturhauptstadt Glasgow insgesamt klassischer ausgerichtet als die Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“. Dabei spielt der zeitliche Kontext der beiden Kulturhauptstädte eine wichtige Rolle. Das gesellschaftliche Verständnis von Kultur war im Jahr 2010 bereits deutlich offener und vielfältiger als noch im Jahr 1986. Folglich sind aus heutiger Perspektive im Rahmen der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ vielfältigere und innovativere Projekte umgesetzt worden als im Rahmen der Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe.“ Gerade aus der Perspektive des Jahre 1986 sind jedoch viele der damaligen Projekte ebenfalls als innovativ und experimentell zu bewerten. 6.2.3 Vergleich der Auswirkungen durch die Kulturhauptstädte Die Auswirkungen der Kulturhauptstadt „Glasgow Capital of Culture, 1990“ auf die Altindustriestadt Glasgow und die Auswirkungen der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, 136 Essen für das Ruhrgebiet“ auf die altindustriell geprägte Region Ruhrgebiet sind differenziert zu bewerten. Zunächst unterscheiden sich die beiden Kulturhauptstädte hinsichtlich des räumlichen Wirkungsgrades voneinander. Die Kulturhauptstadt aus dem Jahr 1990 umfasste primär das Stadtgebiet Glasgows, während die Kulturhauptstadt aus dem Jahr 2010 die gesamte Region Ruhrgebiet einschloss. Hinsichtlich der altindustriellen Handlungsfelder, erscheint die Ausrichtung einer Kulturhauptstadt auf die regionale Ebene sinnvoller. Glasgow war ebenso wie das Ruhrgebiet wirtschaftsstrukturell stark mit der Region Glasgow verbunden. Insofern waren die strukturellen Probleme, begründet durch den Niedergang der alten Industrien, nicht auf das Stadtgebiet begrenzt sondern prägten sowohl die Stadt als auch die Region. Aufgrund der vielfältigen regionalen Verflechtungen ist zu erwarten, dass die regionale Ausrichtung der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ nachhaltiger auf die Altindustrieregion wirkt als die Kulturhauptstadt „Glasgow Capital of Culture, 1990“. Neben der räumlichen Differenzierung zeigen sich ebenfalls Unterschiede hinsichtlich des zeitlichen Wirkungsgrades. Beide Kulturhauptstädte erhielten die Auszeichnung zur Kulturhauptstadt Europas vier Jahre vor dem eigentlichen Kulturhauptstadtjahr. Diesen Vorlauf nutzten beide Titelträger, um bereits vor dem jeweiligen Kulturhauptstadtjahr erste kulturelle Projekte zu initiieren. Unterschiedlich wurde hingegen die Weiterführung der Kulturhauptstadtprojekte nach dem Kulturhauptstadtjahr gehandhabt. In Glasgow wurden zwar einzelne Projekte nach dem Jahr 1990 weitergeführt, eine umfassende und strukturierte Weiterführung blieb jedoch aus. Insbesondere mangels finanzieller Fördermittel konnten viele der kulturellen Projekte und Kooperationen nach dem Kulturhauptstadtjahr nicht weiter geführt werden. Im Ruhrgebiet, 20 Jahre später, wurden bereits während der Planung zur Kulturhauptstadt Varianten einer Nachfolgeorganisation der RUHR.2010 GmbH angedacht und diskutiert. Nach aktuellem Stand, wird die RUHR.2010 GmbH bis Ende des Jahres 2011 sukzessive aufgelöst. Die Aufgaben der RUHR.2010 werden für die Zeit nach dem Jahr 2011 auf drei Tochtergesellschaften des Regionalverbands Ruhr (Kultur Ruhr GmbH, Ruhrgebiet Tourismus GmbH, Wirtschaftsförderung Metropoleruhr GmbH) aufgeteilt. Hinsichtlich der finanziellen Absicherung haben die 53 Kommunen des Ruhrgebiets mehrheitlich beschlossen, jährlich insgesamt 2,4 Millionen Euro in gemeinsame Kulturprojekte zu investieren. Zusätzlich wurden bereits während des Kulturhautstadtjahres weitere Mittel zur Weiterführung einzelner Projekte und Kooperationen bei verschiedensten Institutionen beantragt. Zum jetzigen Zeitpunkt ist somit zu erwarten und zu hoffen, dass die Impulse der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ in einem stärkeren Umfang durch die Akteure der Region weiter getragen werden als im Falle Glasgows. Die konkreten Auswirkungen der Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ und der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ sind unter Berücksichtigung der unterschiedlichen räumlichen und zeitlichen Wirkungsfelder zu bewerten. Als zentrale Herausforderungen wurden in beiden Altindustrieregionen die Strukturbereiche Wirtschaft und Arbeitsmarkt, Stadtbild und Raumstruktur und das Außenimage definiert. Hinsichtlich der Auswirkungen der Kulturhauptstadt auf die einzelnen Strukturbereiche ergaben sich viele Gemeinsamkeiten. In beiden Fällen wurde deutlich, dass das Instrument Kulturhauptstadt 137 Europas primär zur Besserung des städtischen bzw. regionalen Images und nur sekundär zur Wirtschaftsförderung und zur strukturierten Raumentwicklung in altindustrialisierten Räumen beitragen konnte. Die Wirtschafstruktur der Altindustriestadt Glasgow und der altindustriell geprägten Region Ruhrgebiet wurde durch die jeweilige Auszeichnung zur Kulturhauptstadt teils direkt und teils indirekt beeinflusst. Die direkte Etablierung neuer Wachstumsbranchen und eine Senkung der Arbeitslosenquote konnte im Fall von Glasgow ebenso wenig wie im Ruhrgebiet durch die Kulturhauptstadt erzielt werden. Die Projekte der Kulturhauptstadt haben in beiden Fällen vielmehr Impulse zur Stärkung und Profilierung des jeweiligen Wirtschaftsstandorts initiiert. Am stärksten profitierte sowohl in Glasgow als auch im Ruhrgebiet die Kultur- und Kreativwirtschaft. In Glasgow galt die Schaffung neuer Arbeitsplätze im Kultursektor und im Ruhrgebiet die Etablierung regionaler Netzwerke als wichtigster Effekt für diese Branche. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft in Glasgow, im Gegensatz zum Ruhrgebiet, nicht explizit verfolgt wurde. Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass die Kulturhauptstadt für Standorte an denen die Kultur- und Kreativwirtschaft bereits angesiedelt ist, als effektives Förderungsinstrument genutzt werden kann. Neben der Kultur- und Kreativwirtschaft profitierten in beiden Räumen zudem die tourismusorientierten Wirtschaftsbranchen von der Kulturhauptstadt. Mit den erhöhten Besucherzahlen gingen erhöhte Einnahmen bei den jeweiligen Kulturinstitutionen, der Hotellerie, der Gastronomie sowie des Einzelhandels einher. In Glasgow erhöhten sich die Tourismuszahlen allerdings nur im Kulturhauptstadtjahr selbst und kehrten im folgenden Jahr wieder auf das Ausgangsniveau zurück. Dabei blieb der Anteil ausländischer Besucher jedoch auch in den Folgejahren des Kulturhauptstadtjahres erhöht. Die Kulturhauptstadt konnte daher zumindest teilweise zur langfristigen Stärkung des tourismusorientierten Wirtschaftssektors beitragen. Neben den direkten Auswirkungen ergaben sich insbesondere durch das verbesserte Außenimage indirekte Effekte auf die jeweiligen Wirtschaftsstandorte. Im Rahmen der Kulturhauptstadt konnten sich Glasgow und das Ruhrgebiet jeweils in der nationalen und internationalen Öffentlichkeit präsentieren. Dabei waren beide bemüht die jeweiligen wirtschaftlichen Stärken und die Attraktivität des Standorts zum Wohnen und Arbeiten positiv zu vermarkten. Die wirtschaftlichen Folgeeffekte des verbesserten Images sind in beiden Fällen schwer zu messen. Den Einschätzungen und Erwartungen nach, wurde dadurch die Anziehung von qualifizierten Arbeitnehmern, Unternehmern und Investoren gefördert. Das Stadtbild der Altindustriestadt Glasgow und die Raumstruktur der altindustriell geprägten Region Ruhrgebiet wurden ebenfalls durch die jeweiligen Kulturhauptstadtprojekte beeinflusst. Die Revitalisierung von Altindustrieanlagen war in Glasgow und im Ruhrgebiet von je her recht unterschiedlich verfolgt worden. Während zunächst in beiden Räumen viele Industriebrachen abgerissen wurden, wurden im Ruhrgebiet im Rahmen der IBA Emscher Park viele alte Industrierelikte unter Denkmalschutz gestellt. Im Gegensatz zu Glasgow, erhielt die Industriekultur im Ruhrgebiet eine zunehmend wichtige Bedeutung. Die beiden Kulturhauptstädte gingen hinsichtlich des Umgangs mit den alten Industrieanlagen, von unterschiedlichen Rahmenbedingungen aus. In Glasgow wurde die Industriegeschichte durch Projekte der Kulturhauptstadt thematisiert, die alten Industrieanlagen jedoch kaum ins Kulturhauptstadtprogramm einbezogen. Stattdessen wurde durch unterschied138 lichste Projekte der Kulturhauptstadt, die Aufwertungsmaßnahmen der viktorianischen Bausubstanz weiter geführt. Sowohl vor als auch während der Kulturhauptstadt zielten die Baumaßnahmen vorranging auf die innerstädtischen Quartiere und ließen die problematischen Randzonen der Stadt außen vor. Im Ruhrgebiet stand hingegen die Industriekultur im Mittelpunkt der Kulturhauptstadt. Die Kulturhauptstadt war eine Weiterführung der IBA Emscher Park. Die erschlossenen Industrieanlagen wurden kulturell bespielt, neu in Szene gesetzt oder baulich erweitert. Im Zuge von Leuchtturmprojekten wurden insbesondere die „RuhgebietsIkonen“ weiter entwickelt und als Alleinstellungsmerkmal nach außen vermarktet. Im Schatten dieser Leuchtturmpolitik stand hingegen die „normale“ Brachflächenentwicklung unspektakulärer Brachen. Sowohl in Glasgow als auch im Ruhrgebiet stand die kulturelle Infrastruktur im Fokus der baulichen Maßnahmen. Dabei waren viele dieser Projekte bereits vor der jeweiligen Kulturhauptstadt geplant und initiiert worden. Mittels der Kulturhauptstadt wurden insofern weniger neue Projekte initiiert sondern vielmehr die Umsetzung und Fertigstellung von Projekten katalysiert. Das Außenimage der Altindustriestadt Glasgow und der altindustriell geprägten Region Ruhrgebiet wurde durch die jeweilige Kulturhauptstadt maßgeblich verbessert. Beide Räume standen vor der Ernennung zur Kulturhauptstadt der Herausforderung eines schlechten Images gegenüber. Glasgow, wahrgenommen als dreckige und kriminelle Arbeiterstadt, und das Ruhrgebiet, wahrgenommen als depressive und schwarze Region, setzten den Titel Kulturhauptstadt gezielt zur Vermarktung eines besseren Images ein. Beide Räume präsentierten sich als kulturelle Metropolen Europas. Während Glasgow primär die viktorianische Architektur als Alleinstellungsmerkmal etablierte, nutze das Ruhrgebiet die prägnanten Anlagen der Industriekultur zur Vermarktung eines Alleinstellungsmerkmals. Darüber hinaus zielte das Ruhrgebiet auf eine einheitliche Vermarktung der gesamten Region, unter der Marke „RUHR“. Hinsichtlich der Imageverbesserung waren beide Kulturhauptstädte erfolgreich. Gemessen an den positiven Medienberichten und den gestiegenen Besucherzahlen konnten beide Räume vom Kulturhauptstadtjahr profitieren. Die Übernachtungszahlen stiegen in beiden Kulturhauptstadtjahren um über 10% an. Zudem konnten beide einen erhöhten Anzeigengegenwert positiver Berichterstattungen erzielen. In Glasgow verbesserte sich das Außenimage auf langfristige Sicht und auch im Ruhrgebiet schätzen die Experten die zukünftige Imageentwicklung positiv ein. Diese Entwicklung ist insbesondere vor dem Hintergrund des äußerst negativen Images der Stadt Glasgow vor 1986 und des Ruhrgebiets vor 2006 als Erfolg zu sehen. Als Altindustrieregionen hatten die beiden Kulturhauptstädte mit sehr viel stärkeren Klischees zu kämpfen als viele andere Städte und Regionen. Das verbesserte Außenimage und die Stärkung der beiden Standorte als Tourismusdestinationen durch die Kulturhauptstadt ist somit als positiv zu bewerten. 139 6.3 Handlungsempfehlungen zum effizienten Einsatz der Kulturhauptstadt Europas in Altindustrieregionen Ableitend aus den vorangegangenen Erkenntnissen werden im Folgenden Handlungsempfehlungen für den effizienten Einsatz des Instruments Kulturhauptstadt Europas in Altindustrieregionen formuliert. 6.3.1 Zielorientierter Einsatz Die Bewerbung einer Altindustrieregion um den Titel Kulturhauptstadt Europas sollte von Beginn an wohl überlegt sein. Obwohl das Kulturhauptstadtjahr nur ein Jahr andauert, erfordert die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung einer Kulturhauptstadt viel Zeit und Engagement der Akteure. Nach dem aktuellen Rechtsbeschluss der Europäischen Union werden die Kulturhauptstädte bereits vier Jahre vor dem Kulturhauptstadtjahr ernannt. Zuzüglich des Bewerbungsverfahrens und einer intensiven Vor- und Nachbereitungszeit umfasst der Zeitaufwand für die Durchführung einer Kulturhauptstadt also etwa acht Jahre. Einhergehend mit der langen Bearbeitungszeit und durch die Popularität der Auszeichnung ist zudem ein hohes Finanzvolumen notwendig. Um ein, dem Titel angemessenes Kulturhauptstadtjahr durchzuführen müssen viele Gelder akquiriert werden. Ab dem Jahr 2000 lag der Etat der Kulturhauptstädte zwischen 8 Millionen Euro und 60 Millionen Euro. Da die Europäische Union lediglich 1,5 Millionen Euro bereit stellt, müssen zwangsläufig weitere öffentliche und private Sponsoren gefunden werden. Die Durchführung der Kulturhauptstadt ist also mit einem hohen zeitlichen, finanziellen und personellen Aufwand verbunden. Altindustrieregionen sollten daher im Vorhinein den Aufwand gegen den Nutzen abwägen. Dabei dürfen die vielfältigen Möglichkeiten, die das Instrument bietet nicht überschätz werden. Als Haupthandlungsfeld der Kulturhauptstadt gilt die Kultur. Altindustrieregionen sollten daher gezielt überlegen inwieweit die Kultur tatsächlich zur Bewältigung der jeweiligen Herausforderungen eingesetzt werden kann. Insbesondere aufgrund des hohen finanziellen Aufwands gilt es den Einsatz der Kulturhauptstadt genau zu überdenken. Die Abwägung gegenüber andere Förderungsinstrumenten, die häufig geringere finanzielle Mittel erfordern, ist dabei entscheidend. Die größten Potenziale für Altindustrieregionen liegen bei der Anwendung der Kulturhauptstadt Europas in der Imageverbesserung, während die Wirtschaft und die Raumentwicklung nur sekundär mit dem Instrument gefördert werden können. Im Vorfeld einer Bewerbung sollten Altindustrieregionen also den potenziellen Nutzen der Kulturhauptstadt dem hohen Aufwand gegenüber setzen. 6.3.2 Definition der kulturellen Potenziale Jede Bewerberstadt der Kulturhauptstadt Europas sollte bereits zu einem frühen Zeitpunkt die kulturellen Wirkungsfelder, die im Rahmen einer Kulturhauptstadt verfolgt werden, eingrenzen. Dazu gilt es den Kulturbegriff inhaltlich abzugrenzen. Altindustrieregionen sollten diese Abgrenzungen hinsichtlich ihrer endogenen Herausforderungen treffen. Da Altindustrieregionen häufig keine Zentren der klassischen Kultur sind, bietet sich die Wahl eines breiten Kulturverständnisses an. Dabei ist es wichtig die kulturellen Potenziale der Region zu erkennen und zu fördern. Die Bewerber müssen sich die Frage stellen, welche Art von Kultur sie im Rahmen der Kulturhauptstadt verwenden können und vermarkten möchten. Die beiden Beispiele „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ und „RUHR 2010, 140 Essen für das Ruhrgebiet“ haben den Kulturhauptstadtjahren jeweils ein unterschiedliches Kulturverständnis zugrunde gelegt. Glasgow orientierte sich deutlich stärker an der klassischen Hochkultur und vermarktete insbesondere die viktorianische Baukultur, während das Ruhrgebiet den Schwerpunkt auf die Industriekultur legte. Für Altindustrieregionen ist die Erkenntnis bedeutend, dass nicht alle Altindustrieregionen automatisch für die Etablierung der Industriekultur geeignet sind. Der langjährige Prozess des Ruhrgebiets zeigt, dass die Industriekultur aus der Region heraus entwickelt werden muss. Viele Altindustrieregionen haben einen Großteil ihres industriellen Erbes bereits abgerissen oder die bestehenden Altindustrieanlagen eignen sich nicht für identifikationsstiftende Kulturattraktionen. Insofern sollte die Industriekultur nicht per se zum Handlungsfeld in Altindustrieregionen ernannt werden. Es ist wichtig sich intensiv mit der eigenen Geschichte und Gegenwart auseinander zu setzen und endogene kulturelle Potenzialen aufzudecken. Dies ist wichtig, um die Kulturhauptstadt möglichst authentisch und einmalig auszugestalten und um eine Einbindung der Projekte in die nachhaltige Regionalentwicklung zu garantieren. 6.3.3 Nachhaltige Einbindung Die Projekte der Kulturhauptstadt Europas sollten von Beginn an in einen nachhaltigen Entwicklungsprozess eingebunden werden. Für Altindustrieregionen erscheint daher die Ausrichtung des Kulturhauptstadtprogramms auf die gesamte Region sinnvoll. Anhand Glasgows und anhand des Ruhrgebiets werden die zahlreichen Wechselbeziehungen zwischen Städten und ihrem Umland in einer Altindustrieregion deutlich. Im „Europa der Regionen“ und im zunehmend globalisierten Wettbewerb zwischen den Regionen erscheint eine regionale Ausrichtung der Kulturhauptstadt für Altindustrieregionen daher zweckmäßig. Die gesamte Region sollte in eine abgestimmte und langfristige Strategie eingebunden werden, in der die Kulturhauptstadt als ein Baustein von vielen fungiert. Sowohl „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ als auch „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ hatten bereits vor der Kulturhauptstadt Erfahrungen mit kulturgestützten Maßnahmen gesammelt. Zur effektiven Ausgestaltung einer Kulturhauptstadt ist dies besonders wichtig. So konnten bspw. die Akteure im Ruhrgebiet von den Erfahrungen durch die IBA Emscher Park stark profitieren. Zusätzlich bauten viele Kulturhauptstadtprojekte auf den Errungenschaften der IBA Emscher Park auf und haben dadurch die angestoßenen Entwicklungen in der Region weitergetragen und gestärkt. Die Weiterführung der Impulse, welche durch die Kulturhauptstadt initiiert werden, ist somit ebenfalls unerlässlich. Insbesondere die finanziellen Mittel sollten bereits im Vorfeld bereit gestellt werden. Am Beispiel der Kulturhauptstadt Glasgow zeigte sich, dass durch die fehlende Nachbereitung der Kulturhauptstadt wichtige Impulse und etablierte Kooperationen nach dem Jahr 1990 verloren gingen. Somit muss die Kulturhauptstadt, gerade in Altindustrieregionen, auf einer intensiven Vorbereitung aufbauen und wiederrum umfangreich nachbereitet werden, um nachhaltige Auswirkungen zu erzielen. 141 7 Ausblick Die vorliegende Diplomarbeit zeigt wesentliche Erkenntnisse hinsichtlich der zentralen Fragestellung auf: Welche Möglichkeiten bietet das Instrument „Kulturhauptstadt Europas“, um Altindustrieregionen bei der Bewältigung ihrer spezifischen Herausforderungen im Strukturwandel zu unterstützen? Aufbauend auf der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Raumtypus Altindustrieregion und der Gemeinschaftsaktion Kulturhauptstadt Europas sowie der Evaluation der beiden Kulturhauptstädte „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ und „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ konnten wichtige Erkenntnisse für einen effizienten Einsatz des Instruments Kulturhauptstadt Europas in Altindustrieregionen gewonnen werden. Die dynamische Entwicklung der Kulturhauptstadtinitiative und die vielfältigen Handlungsfelder von Altindustrieregionen eröffnen weitere Forschungsfelder hinsichtlich des Themenkomplexes Altindustrieregionen und Kulturhauptstadt Europas. Aufbauend auf den vorliegenden Erkenntnissen bieten sich folgende weiterführende Untersuchungen an: Eine Ausweitung der Datenerhebung zur Ex-Post-Evaluation der Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“. Aufgrund des frühen Evaluierungszeitraums (1986 - 1990) konnten ihm Rahmen dieser Diplomarbeit nur ansatzweise direkte Vergleichsdaten erhoben werden. Die vorangegangene Untersuchung basiert zum Großteil auf der Auswertung von Sekundärliteratur. Zur effektiveren Datenerhebung erscheinen drei Dinge notwendig: erstens mit den jeweiligen Verwaltungsinstanzen in Kontakt zu treten, zweitens vor Ort in Archiven nach Vergleichsdaten zu recherchieren und drittens Expertengespräche mit ehemaligen Akteuren der Kulturhauptstadt zu führen. Eine Überführung der On-Going-Evaluation der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ in eine Ex-Post-Evaluation nach dem Jahr 2010. Da die Kulturhauptstadt zum Zeitpunkt der Bearbeitung noch im Gange war, basiert ein Großteil der Evaluation auf Einschätzungen und Meinungen der Experten vor Ort. Es wird interessant sein, ob sich die Erwartungen im Rahmen einer Ex-PostEvaluation bestätigen oder abweichende Entwicklungen eintreten. Eine weiterführende Analyse der Gemeinschaftsaktion Kulturhauptstadt Europas. Es ist zu erwarten, dass sich die Kulturhauptstadtinitiative durch das Zusammenspiel zwischen den Anforderungen der Europäischen Union und den Ansprüchen der designierten Kulturhauptstädte auch zukünftig dynamisch weiter entwickeln wird. Ausgehend von der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ wird es zum einen interessant sein, ob die regionale Ebene bei zukünftigen Kulturhauptstädten gestärkt wird und zum anderen in welcher Art und Weise zukünftig Altindustrieregionen von der Kulturhauptstadtinitiative gebrauchen machen werden 143 Literaturverzeichnis Monographien: Aring, Jürgen et.al.(1989): Krisenregion Ruhrgebiet? - Alltag, Strukturwandel und Planung, Wahrnehmungsgeographische Studien zur Regionalentwicklung Heft 8, Oldenburg. Bathelt, Harald & Glückler Johannes (2002): Wirtschaftsgeographie - Ökonomische Beziehungen in räumlicher Perspektive, Stuttgart. 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Selection Panel for the European Capital of Culture (ECOC) 2010 (2006): Report of the Selection Meeting for the European Capitals of Culture 2010, Online-Dokument: http://ec.europa.eu/culture/pdf/doc674_en.pdf. Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen (Hsg.)(2007): Strukturwandel durch Kultur Städte und Regionen im postindustriellen Wandel, Online-Dokument: http://www.u.kulturserver.de/shop/freedownload_send.php3?file=freeware/servicebuero/strukturwand el_kultur_staatskanzlei.pdf&mimetype=application%2Fx-coremedia-dynamic, Stand 24. Januar 2011. Stadt Essen & Regionalverband Ruhr (Hrsg.)(2006): Wandel durch Kultur - Kultur durch Wandel Bewerbung „Essen für das Ruhrgebiet - Kulturhauptstadt Europas 2010“ - Kurzfassung Dezember 2005, Essen, Online-Dokument: http://www.essen2010.com/Deutsch/Service/Downloads/Bewerbungsschrift_Kurzfassung.pdf, Stand 24. Januar. 2011. Statistisches Bundesamt (Hrsg.)(2006): Tourismus in Deutschland 2005: Ankünfte und Übernachtungen nehmen zu - Ergebnisse der Monatserhebung im Tourismus, Wiesbaden, OnlineDokument: http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Publikationen/Quersch nittsveroeffentlichungen/WirtschaftStatistik/BinnenhandelGastgewTourismus/TourismusInDeutschlan d2005,property=file.pdf, 24. Januar 2011. Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (o.J): Übernachtungen in Beherbergungsbetrieben nach Bundesländern, Online-Dokument: http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Statistiken/Binnenhand el/Tourismus/Tabellen/Content50/UebernachtungenBundeslaender,templateId=renderPrint.psml, Stand, 24 Januar 2011. Tourismus NRW e.V. (Hrsg.)(2009): Übernachtungszahlen aller Gäste in den einzelnen Regionen von 1999-2009, Online-Dokument: http://www.nrwtourismus.de/fileadmin/Mediendatenbank/PDF/UEbernachtungen_Gesamt_1999-2009.pdf, Stand, 24. Januar 2011. Westdeutscher Rundfunk Köln (Hrsg.)(2009a): Internationale Bauausstellung Emscher Park, Köln, Online Dokument: http://www.planetwissen.de/laender_leute/nordrhein_westfalen/innenhafen_duisburg/iba_emscher_park.jsp, Stand, 24. Januar 2011. Westdeutscher Rundfunk Köln (Hrsg.)(2009b): Essen - Ruhr 2010, Köln, Online Dokument: http://www.planet-wissen.de/laender_leute/nordrhein_westfalen/essen/index.jsp, Stand, 24. Januar 2011. Wirtschaftsförderung Metropoleruhr (Hrsg.)(2009): Die Metropole Ruhr - Ein guter Platz zum Leben ein guter Platz zum Investieren, Mühlheim, Online Dokument: http://business.metropoleruhr.de/standort/standort-kompakt.html, Stand 24. Januar 2011. XVII Datensätze: Europäische Reiseversicherung AG & Deutschen Zentrale für Tourismus e.V. (Projektträger) Dwif-Consulting GmbH & Manova (Operative Umsetzung)(2010): Qualitätsmonitor DeutschlandTourismus - Erste Ergebnisse der Befragung in der Metropole Ruhr - Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 - in Kooperation mit dem Qualitätsmonitor Deutschland Tourismus, Interner Bericht. Regionalverband Ruhr (Hrsg.)(2010): CD-Rom: Zahlenspiegel Metropoleruhr, Essen. Rechtsgrundlagen: Europäische Gemeinschaften (1985): Entschliessung der im Rat vereinigten für Kulturfragen zuständigen Minister vom 13. Juni 1985 für die alljährliche Benennung einer Kulturhauptstadt Europas, Luxemburg. Europäische Union (Hrsg.)(1999): Beschluss Nr. 1419/1999/EG Des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates vom 25. Mai 1999 über die Einrichtung eine Gemeinschaftsaktion zur Förderung der Veranstaltung Kulturhauptstadt Europas für die Jahre 2005 bis 2019, Luxemburg. Europäische Union (Hrsg.)(2005)Beschluss zur Änderung über die Einrichtung einer Gemeinschaftsaktion zur Förderung der Veranstaltung Kulturhauptstadt Europas für die Jahre 2005 bis 2019“, Luxemburg Europäische Union (Hrsg.)(2006): Beschluss Nr. 1622/2006/EG Des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 2006 über die Einrichtung einer Gemeinschaftsaktion zur Förderung der Veranstaltung Kulturhauptstadt Europas für die Jahre 2007 bis 2019, Luxemburg. Expertengespräche und Podiumsdiskussionen: Essener Wirtschaftsförderungsgesellschaft mbH: Expertengespräch am 26.10.2010. Regionalverband Ruhr (a): Expertengespräch (Bereich Planung) am 04.10.2010. Regionalverband Ruhr (b): Expertengespräch (Referat Kultur und Sport) am 27.10.2010. Ruhr Tourismus GmbH: Expertengespräch am 29.10.2010. RUHR.2010 GmbH „Essen für das Ruhrgebiet“: Expertengespräch am 08.10.2010. Wirtschaftsförderung Metropoleruhr GmbH: Expertengespräch am 25.01.2010. Landschaftsverband Westfalen Lippe (Veranstalter)(2010): Podiumsdiskussion: Was macht die Kulturhauptstadt aus dem Ruhrgebiet, Moderator: Wilhelm Klümper (WAZ Chefredakteur), Teilnehmer: Oliver Scheytt (Geschäftsführer der RUHR.2010 GmbH), Heinz-Dieter Klink (Direktor des Regionalverband Ruhr), Achim Prossek (Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fakultät Raumplanung TU Dortmund), 08.10.2010, Gelsenkirchen. XVIII Anhang Leitfäden der Expertengespräche: Allgemeine Fragenblöcke Teil A: Herausforderungen des Ruhrgebiets Welchen wichtigen Herausforderungen steht das Ruhrgebiet ihrer Meinung nach aktuell gegenüber? Teil B: Übertragbarkeit Inwieweit lassen sich diese Einschätzungen, über die Wirksamkeit Kulturhauptstadt Europas, auf andere Altindustrieregionen übertragen? des Instruments Teil C: Abschließende Einschätzung Welches sind ihrer Meinung nach die bedeutsamsten Aspekte der Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ hinsichtlich eine positive Weiterentwicklung des Ruhrgebiets? Gibt es ihrer Meinung nach noch weitere Aspekte, die bisher nicht thematisiert wurden? Leitfäden der Expertengespräche: Spezifische Fragenblöcke Teil D: Wirtschaft im Ruhrgebiet Welchen Beitrag leistet die Kulturhauptstadt zur Stärkung der Wirtschaft im Ruhrgebiet? Werden mittels der Kulturhauptstadt innovative Impulse im Ruhrgebiet intiiert? Ist das Instrument Kulturhauptstadt Europas ihrer Meinung nach ein wirksames Instrument zur langfristigen Stärkung der Wirtschaft im Ruhrgebiet? Teil E: Arbeitsmarkt im Ruhrgebiet Welchen Beitrag leistet die Kulturhauptstadt hinsichtlich des Arbeitsmarktes im Ruhrgebiet? Welche neuen Arbeitsplätze werden durch die Kulturhauptstadt im Ruhrgebiet geschaffen? Welche Arbeitnehmergruppen werden davon angesprochen? Welche Arbeitslosengruppen profitieren von den neu geschaffenen Arbeitsplätzen im Ruhrgebiet? Ist das Instrument Kulturhauptstadt Europas ihrer Meinung nach ein wirksames Instrument zur langfristigen Stärkung des Arbeitsmarktes im Ruhrgebiet? Teil F: Außenimage des Ruhrgebiets Welchen Beitrag leistet die Kulturhauptstadt zur Verbesserung des Außenimage des Ruhrgebiets? Wie hat sich das Außenimage des Wirtschaftsstandorts Ruhrgebiet durch die Kulturhauptstadt verändert? Welches sind ihrer Meinung nach die effektivsten Mittel die im Rahmen der Kulturhauptstadt zur Verbesserung des Außenimage des Ruhrgebiets eingesetzt wurden? Ist das Instrument Kulturhauptstadt Europas ihrer Meinung nach ein wirksames Instrument zur langfristigen Verbesserung des Außenimage des Ruhrgebiets? Teil G: Tourismus im Ruhrgebiet Welchen Beitrag leistet die Kulturhauptstadt zur Förderung des Tourismus im Ruhrgebiet Welche Touristen kommen aufgrund der Kulturhauptstadt ins Ruhrgebiet? Hat die Kulturhauptstadt den Tourismus als regionalen Wirtschaftsfaktor gestärkt? Ist das Instrument Kulturhauptstadt Europas ihrer Meinung nach ein wirksames Instrument zur langfristigen Förderung des Tourismus im Ruhrgebiet? Teil H: Brachflächen Welchen Beitrag leistet die Kulturhauptstadt zur Umnutzung von Brachflächen im Ruhrgebiet? XIX Von wem wurden die Kulturhauptstadtprojekte zur Umnutzung und Weiterentwicklung (alter) Industrieareale initiiert? Welche Ziele langen den Umnutzungen und Weiterentwicklungen zugrunde? Was wäre mit den (alten) Industriearealen ihrer Meinung nach passiert, wenn es die Kulturhauptstadt Europas „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ nicht gegeben hätte? Ist das Instrument Kulturhauptstadt Europas ihrer Meinung nach ein wirksames Instrument zur effektiven Umnutzung ehemaliger Brachflächen im Ruhrgebiet? Teil I: IBA Emscher Park. Wie schätzen sie die Bedeutung der IBA Emscher Park für die Entwicklung Ruhrgebiets ein? Wäre die Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet ihrer Meinung nach ohne die IBA möglich gewesen? Können die Errungenschaften der IBA Emscher Park durch die Kulturhauptstadt gestärkt werden? XX Kulturhauptstadt Europas – Ein Instrument zur Revitalisierung von Altindustrieregionen Evaluierung der Kulturhauptstädte „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ und „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ Das Ruhrgebiet wurde für das Jahr 2010 mit dem Titel „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ als Kulturhauptstadt Europas ausgezeichnet. In Weiterführung einer Reihe von altindustriell geprägten Kulturhauptstädten, Glasgow (1990), Lille (2004) und Liverpool (2008), setzte das Ruhrgebiet den Titel Kulturhauptstadt Europas ebenfalls gezielt zur Überwindung altindustrieller Hemmnisse ein. Die vorliegende Arbeit nimmt die kürzlich zu Ende gegangene Kulturhauptstadt zum Anlass, um der Frage nachzugehen inwieweit die Auszeichnung Kulturhauptstadt Europas zur Revitalisierung von Altindustrieregionen beitragen kann. Zunächst werden der Raumtypus Altindustrieregion und das Instrument Kulturhauptstadt Europas eingehend analysiert. Aus theoretischer Perspektive und unter Einbeziehung der Europäischen Studie „European Cities and Capitals of Culture – Study prepared for the European Commission“ können erste Anknüpfungspunkte zwischen den Herausforderungen von Altindustrieregionen und den Ausgestaltungsmöglichkeiten der Kulturhauptstadt Europas erarbeitet werden. Es wird deutlich, dass die Kulturhauptstadt Europas als Anstoß, als imagewirksame Auszeichnung und als vielfältig einsetzbares Instrument wirken und dadurch die zentrale Problematik des Anpassungsstaus in Altindustrieregionen verbessern kann. Die beiden Kulturhauptstädte „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ und „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ werden als praktische Beispiele hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die jeweiligen altindustriellen Räume evaluiert. Die Kulturhauptstadt „Glasgow 1990, Cultural Capital of Europe“ wird mittels einer Ex-Post-Evaluation und die Kulturhauptstadt „RUHR 2010, Essen für das Ruhrgebiet“ mittels einer On-Going-Evaluation ausgewertet. Aus praktischer Perspektive und durch die Gegenüberstellung der beiden Beispiele können wichtige Erkenntnisse zur Wirksamkeit der Kulturhauptstadt in Altindustrieregionen gewonnen werden. Es wird deutlich, dass die Auszeichnung Kulturhauptstadt Europas primär zur Verbesserung des Außenimages genutzt wurde. Den Auswirkungen hinsichtlich der Wirtschaftsförderung und der Raumentwicklung kam in beiden Fällen eine sekundäre Bedeutung zu. Aufbauend auf den gewonnen Erkenntnissen werden Handlungsempfehlungen für Altindustrieregionen zum effizienten Einsatz des Instruments Kulturhauptstadt Europas formuliert. Es wird deutlich, dass die Durchführung einer Kulturhauptstadt den Einsatz hoher personeller, finanzieller und zeitlicher Ressourcen bedarf. Für Altindustrieregionen ergibt sich daher die Notwendigkeit, die Bewerbung als auch die Durchführung einer Kulturhauptstadt zielorientiert abzuwägen. Darüber hinaus gilt es die endogenen kulturellen Potenziale klar und frühzeitig zu definieren und den Kulturhauptstadtprozess in eine nachhaltige kulturgestützte Entwicklung auf regionaler Ebene einzubinden. Arbeitspapiere zur Regionalentwicklung Elektronische Schriftenreihe des Lehrstuhls Regionalentwicklung und Raumordnung Band 11, April 2011 ISSN 1869-3814