Baby im Elternbett – Geborgenheit oder Gefahr? Bedsharing
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Baby im Elternbett – Geborgenheit oder Gefahr? Bedsharing
Baby im Elternbett – Geborgenheit oder Gefahr? Berlin Charité, 29.4.2006, Dr. Franz Paky, Vöcklabruck Bedsharing/Cosleeping • Über Jahrtausende die bevorzugte Schlafsituation (McKenna 1993). • Global nach wie vor häufigste Schlafform. • Erst seit weniger als 200 Jahren wird in Industrieländern das getrennte Schlafen von Eltern und Kind praktiziert (Montagu 1992). • Wegen eines vermeintlich erhöhten SIDS-Risikos wird neuerdings vom BS wieder abgeraten. Bedsharing/Cosleeping • Gemeinsames Schlafen als Sicherheit vor äußeren Gefahren. • Sicherheit auch heute notwendig? • Wo lauern die heutigen Gefahren?? • Eltern als Lebensgefahr? • Eltern als Gefahr der sexuellen Entwicklung? • Eltern als Gefahr der Behinderung der Autonomie-Entwicklung? 1 Terminologie • Gemeinsames Schlafen von Eltern und Kind in einem Bett = Bedsharing (BS) • Gemeinsames Schlafen von Eltern und Kind in Armlängendistanz = Co-sleeping (CS) Bedsharing (BS) - Typen • Absicht – Elektiv / absichtlich / geplant oder – Nicht-elektiv / reaktiv / anlassbezogen, • Dauer – Immer, fast immer, manchmal, selten • Wer? – Eltern/Geschwister/Babysitter • Wo, wie? – Bett (Rahmen, Matratze, Federbett, Kissen), Sofa, Bodenmatte BS und kulturelle Erziehungsziele • Osten Das zunächst als getrennt gedachte Kind soll in die Gemeinschaft eingegliedert werden. BS ja • Westen Das zunächst als abhängig gedachte Kind soll zu einem von der Gemeinschaft unabhängigen, selbständigen Wesen gemacht werden. BS nein 2 Kultur der Trennung •Kirche zwischen Mittelalter und Neuzeit •Buch der Könige •Ammenwesen •Erdrücken •Industrialisierung •Geburtshilfe in Krankenhäusern – Wochenfluss tödlich!! •Separation von Kindern •„Stillempfehlungen“ •Psychoanalyse, Psychohistory •Missbrauch -> kindliche Phantasie (Ödipuskomplex) •Gefahr des Anblicks der „Urszene“ und des Inzest •Triebverzicht als Kulturantrieb (Leistungsideologie!) •Nationalsozialismus Trennung soll … selbständig machen selbstgenügsam (geringe Ansprüche) selbständig, unabhängig von elterlicher Sexualität fernhalten frühe Sexualisierung verhindern Schlaf von Eltern und Kind gewährleisten Häufigkeit BS USA UK Austr. 19932000 1998 1998 Japan 1998 1.Monat 3.-4.Monat immer 11,8 9,8 mehrheitlich 20,3 16,3 überhaupt 58,4 50,7 immer 14,0 8,0 mehrheitlich 35,0 23,0 überhaupt 47,0 30,0 40,0 36,5 Rigda (2000) JPCH 36:117 67,0 Fukai (Aukland 2000) Willinger (2003) APAChH 157:43 Blair, Ball (2004) ADCh 89:1106 3 Häufigkeit • BS ist häufig 30-75% • BS nimmt stark zu USA 1993-2000: 20-45% (Willinger, APACH 157:43,2003) • BS ist stark altersabhängig bei Neugeborenen 1,2-1,75-fach • BS ist bei Stillen 1,5-3x so häufig wie bei Flaschenernährung Wie wurde BS so populär? • 1950er und 1960er Jahre • Triumph der künstlichen Babynahrung • Separation von Mutter und Kind • 1970er und 1980er Jahre • Stillpropaganda • Rooming-in • Hautkontakt • Eltern-Kind-Bindung • Neue Elternschaft (körperlich, psychisch, sozial) • Kultur der Nähe Implikationen Stillen Atmung Schreien Schlaf SIDS Sex. Bedsharing Psych. Entw. Obsorge 4 Persönlichkeitsentwicklung • Lernen von Geburt an • Berührungen, Hautkontakt, Körperbewusstsein • Geborgenheit, Sicherheit, Zugehörigkeit • BS fördert Bonding - Mosko (1997) Pediatrics 100:841 - McKenna (1997) Pediatrics 100:214 • BS fördert Selbstwertgefühl, Zufriedenheit, Kontaktfreudigkeit bei Jugendlichen • BS verringert Schlafstörungen, Ängste von Jugendlichen, psychische Störungen - McKenna (2005) Ped Resp Rev 6:134 Sexualität • Gefahr des Inzest • Tabu oder evolutionäre Tatsache • Gefahr des Anblicks der „Urszene“ • Wirklich eine Gefahr? • Gefahr des Missbrauchs • Schutz durch Distanz??? • Beeinträchtigung des ehelichen Sexuallebens • Alternativen können dieses bereichern! Aufmerksamkeit, Obsorge • Instinktive Schutzposition • Modifikation der Distanz nach Temperatur: weniger Wärmeverlust, keine Überhitzung •Zahlreiche Berührungen (Checks) Wailoo (2004) Arch Dis Child 89:1082 •Erhöhte Aufmerksamkeit der Mütter (Young (1999) PhD thesis, Bristol) 5 Schlaf • Die Paradoxie der modernen Schlaferziehung zur „Selbständigkeit“ • Frühes problemloses Einschlafen • Durchschlafen (ohne Nahrung und Körperkontakt!) • Alleinschlafen • 25-30% der Babys schlafgestört • Trennungsfolgen werden mit Härte behandelt! • Kinder müssen lernen, sich selbst zu beruhigen • Eltern müssen lernen, das Schreien zu ertragen • Resignation bringt möglicherweise Scheinerfolg Schlaf • Längerer und erholsamerer Schlaf von Mutter und Kind (in ersten Monaten) - Mosko (1997) Sleep 20:142. • Synchronizität der Schlafstadien von Mutter und Kind - Wailoo (2004) Arch Dis Child 89:1082 • Leichterer Schlaf von Mutter und Kind • Erhöhte Aufmerksamkeit der Mütter (SIDS-Präv.!) • Deutlichere Signale des Babys (SIDS-Präv.!) - Mosko (1997) Sleep 20:142. Schlaf Elias MF, NA Nicolson, C Bora and J Johnston (1986) Sleep/wake patterns of breast-fed infants in the first 2 years of life. Pediatrics 77:322. 32 Babys gestillt und BS (LLL), Vergleich mit Flaschenkindern (FK) Angaben in Stunden Längste Schlafphase (FK) Längste Schlafphase (LLL) Totale Schlafdauer/24 H (FK) Totale Schlafdauer/24 H (LLL) 2 Monate 6,5 5 4 Monate 8 5 2.Jahr >8 >5 13-14 15 13-14 12,5 13-14 >11 6 Atmung • Mütterliche Nähe/Atmung reduziert Apnoen • Synchronisation von kindlicher und mütterlicher Atmung • Mehr REM-Schlaf – mehr oberflächliche Atmung Stillen • Höhere Stillfrequenz – mehr Stimulation der Brust, größere Milchmenge - Ball (2003) Birth 30:181 - Young, Fleming (1998) Paediatrics Today 6:41 - Intervall zw. Stillen bei BS 50% kürzer - McKenna (2005) Ped Resp Rev 6:134 • Stillen ohne volles Aufwachen • Längere Stilldauer (4 Mon: 46% BS vs. 23% ohne BS) - Taylor BJ (2002) Mothering, issue 114 - McKenna J (1997) Pediatrics 100:214 - Mosko (1997) Pediatrics 100:841 • Bessere Gewichtszunahme • Langfristige Vorteile des Stillens Stillen und SIDS • Eine der Hauptsäulen der SIDS-Prävention Mitchell et al (1995) BMJ 311:122 - McKenna et al (1997) Pediatrics 100:214 Gilbert et al (1995) BMJ 310:88 Hauck et al (1998) Pediatrics 102:662 l´Hoir et al (1998) Arch Dis Child 79:386 • Fredrickson et al (1993) SIDS-Risiko steigt pro Monat Nicht-Stillen um das 2,3-fache; Am J Dis Child 147:460 • • • • Chen (2004) PNM bei Stillen OR=0,7; Pediatrics 113:e435 AAP (2005) Breastf. Policy Statm; 6 Zitate; P 115:496 Bajanovski, Poets (2004) Dt. Ärzteblatt Vennemann (2005) aOR (Nicht-Stillen) 1,71; AP 94:655 7 SIDS • Mortalität in S-Afrika bei BS geringer als ohne BS • BS und Stillen verringern SIDS in Canada • Japan: SIDS 0,3/1000, BS 67% • Cot death in Hong Kong – a rare problem? • Niedrige SIDS-Rate in Fernost (China, Vietnam, Kambodscha, Thailand), BS = die Regel Niedrige SIDS-Rate bei Asiaten in USA – Kibel (Aukland 2000) – Sankaran (Aukland 2000) – Fukai (Aukland 2000) – Davies (Lancet 1985) • – Grether (1990) Pediatrics 116:525 SIDS McKenna (2005) Researching the Sudden Infant Death Syndrome: The Role of Ideology in Biomedical Science. Monograph Series of the New Liberal Arts Program. (www.math.dartmouth.edu) BS als SIDS-Risiko Wie entstand der Verdacht? • • • • • Historische (biblische) Bedenken Hohe SIDS-Raten in NZ (Maoris) Fallberichte (Case series) Zunahme des BS, zunehmend SIDS??? Fall-Kontroll-Studien - Wie häufig ist BS normal? z.B. 15% - Wie häufig ist BS bei SIDS? z.B. 30% - Relatives Risiko? Multivarianzanalysen 8 BS und SIDS-Risiko BS BS (SIDS) (Ko) Kind SIDS-Risiko allein in Erhöht bei Zimmer Bemerkungen CESDI 1999 25,5% 14,5% 35,5% BS+R<4M, nicht b NR ECAS 8,1% BS+R, < 8W auch bei NR Keine Info über MM; Laut Blair und Fleming zu wenig für Abraten BS nur<11W, auch bei NR, auch bei MM Keine Info über Alkohol 2004 16,0% Tappin 2005 52,0% 53% 20,0% 12,0% OR(R) 12,2 M=Monat, W=Wochen, BS=Bedsharing, R=Rauchen, NR=Nichtrauchen; MM=Stillen BS und SIDS-Risiko Probleme der Studien • Fall-Kontroll-Studie ist keine hohe Evidenz • BS ist ein Sammeltopf • Berechnungen fragwürdig •Extrem niedrige BS-Prävalenz in Studien •Prävalenz von Fragetechnik abhängig (Ball und Hooker 2004) • Statistisch signifikant heißt nicht: •kausal •(klinisch) relevant •biologische plausibel BS und SIDS-Risiko Probleme der Studien • Grossteil der SIDS-Fälle ereignet sich im Kinderbett („Krippen-Tod“!!!) • Säuglingstodesfälle durch Erdrücken sind nicht SIDS (65 vs. 2500 pro Jahr in Kd.bett) • Irrwege des SIDS-Forschung •Status thymicolymphaticus •Schlaf-Apnoe-Hypothese •Polysomnographie als Screening 9 BS und SIDS-Risiko Trotz kontroversieller Beurteilung durch Experten innerhalb und außerhalb der AAP Empfehlung vom 10.Oktober 2005: • Babys sicherster Platz ist das Babybett • Schnuller schützt vor SIDS • Rauchen und BS keinesfalls ratsam • Sofas sehr gefährlich • Schlafen in eigenem Zimmer gefährlich Empfehlungen der AAP Mögliche Folgen • • • • Trennung und Schnuller hemmen Stillen. Vorteile des Stillens werden reduziert. SIDS-Risiko könnte steigen. Diskriminierung von Eltern/Kulturen, die BS pflegen. • Schuldgefühle bei tatsächlichem SIDS. • Differenzierte Analyse des BS wird unmöglich. BS – was tut Not? • BS soll nicht verboten, sondern sicher gemacht werden! • BS soll nicht als einheitlicher RF nach ja oder nein analysiert werden, sondern als Kontinuum von einem möglichen Schutzfaktor (wenn: gewollt, stillend, nicht-rauchend) bis zu einem möglichen Risikofaktor (wenn: notgedrungen, nichtstillend, rauchend) 10 Problematisches BS • • • • • • • • • Alkohol, Nikotin, Drogen, Medikamente Übermüdung Geschwister, Babysitter Überflüssiges Bettzeug (Kissen, Decken, Stofftiere) Bauchlage Weiche Unterlage, unadäquater Bettrahmen Schlafen in Kissen Sofa (!) Schlussfolgerung • Gemeinsames Schlafen von Eltern und Babys als historisch und global häufigste Schlafform respektieren und differenziert betrachten. • Vorteile des BS nutzen. • Problematisches BS vermeiden. • Niemanden zu BS zwingen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit! 11 Das Leiden der Eltern die Hilflosigkeit der Eltern beim nichtschlafenden, schreienden Kind Referent: dipl. psych. Markus Wilken IPPSKA (GbR) Datum: 28.04.2006 Ort: Charite Berlin …Gibt es etwas schönes Eltern werden ist …einfach …befriedigend …gut für das Rentensystem …das Natürlichste von der Welt Elter sein dagegen… (Wilken, 2002) Probleme Was für Probleme? Das wächst sich aus! So viel Schlaf ist eh nicht gesund! Kinder schreien halt! So ist das halt mit den Kleinen! Du hast auch nicht immer geschlafen! Alles halb so wild, sind wir verwöhnt? 1 Hilflosigkeit Isolation Regulationsprobleme sind nicht sichtbar Ich stehe allein dar Hilflosigkeit Teufelskreis: Ich komme da nicht raus Die Angst vor dem Kind Es ist doch so einfach und sollte so schön sein Elterliche Hilflosigkeit Aber ich hab alles richtig gemacht Mein Kind schläft nicht und schreit immer,… …hat das was mit mir zu tun? Was hat das mit mir zu tun? …was kann ich tun? „Wenn ein Kind immer schlafen muss!“ Das Kind muss wissen wo es lang geht Das Kind als Aggressor Bevor alles zu viel wird Risikokonstellation Vermeidende Bindung Ungewollte Schwangerschaft Adoleszente Elternschaft Therapieansatz: Angst vor und Leben in der Intimität 2 „Wenn ein Kind nicht schlafen darf!“ Die Angst das Kind zu verlieren Der Blick in die Wiege (Fraiberg et al. 1975) Risikokonstellationen: Vulnerable Säuglinge (z. b. Frühgeborene) Verlust eines Kindes (z. B. durch SIDS) Fertilisationsbehandlung Therapieansatz: Geschichte von Schwangerschaft und Geburt Leben und Sterben (Nicht-) Schlafen & Schreien Wie lange schläft ein Kind Wann schläft ein Kind durch Die Dynamik von müssen - sollen - dürfen Wie lange im Elternbett Co-Sleeping ja/nein/vielleicht kulturelle - familiäre - soziale Vorstellungen Was und wer ist therapiebedürftig Warum ist es doch nicht so leicht? (Largo 1993, Anders, et al. 1992) Eltern in der Krise: Krisenintervenion Schlafentzug ist Folter (Sadeh, 1996) Aggressionspotential und Dekompensationsgefahr erfassen Gefahren erkennen Psychosozial Medizinisch Interventionsbedarf einschätzen (Dunitz-Scheer et al. 1998) Das Problem anerkennen 3 Therapie: Hilfe zur Selbsthilfe Schlafprotokoll Erholung: Schlafphasen für die Eltern Interaktionzentrierung: Was passiert zwischen den Schlafphasen? Working Modell of the Child (Zeanah et al.; 1987, Benoit et al.; 1997) Interaktionszentrierung & Psychodynamik Botschaft: „Sie sind kompetent!“ Kontakt Institut für Psychologie & Psychosomatik des Säuglings- und Kindesalters IPPSKA (GbR) Markus Wilken Bambergstr. 2 D-53721 Siegburg 0049 (0)2241 - 2519072 [email protected] www.markus-wilken.de Dr. Martina Jotzo Galgenbergstr. 32 D-72072 Tübingen Tel/Fax 0 70 71 – 53 84 56 [email protected] Anlaufstellen bei frühkindlichen Schlafstörungen unter www.gaimh.de Literatur Anders TF, Halpern LF, Hua J (1992) Sleeping though the night: A developmental perspective. Pediatrics. 90: 554 560 Benoit D, Zeanah CH, Parker KCH, Nicholson, E, Coolbear J (1997). “Working Modell of the Child Interview”: Infant clinical status related to maternal perceptions. Infant Ment Health J 18: 107-121 Dunitz-Scheer M, Scheer PJ, Wilken M (1998) Interaktionelle Aspekte bei Schlafstörungen im frühen Kindesalter. Päd: Praktische Pädiatrie 4: 158 163 Fraiberg S, Adelson E, Shapiro V.(1975). Ghosts in nurserey: A psychoanalytic approach to the problem of impaired infant-mother relationships. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 14: 387 422 Largo RH (1993) Babyjahre: Die frühkindliche Entwicklung aus biologischer Sicht. Piper, München Robert-Tissot C, Cramer B, Stern DN, Rusconi Serpa S, Bachmann JP, Palocio-Espasa F etal. (1996). Outcome Evaluation in Brief Mother-Infant Psychotherapies: Report on 75 Cases. Infant Ment Health J 17: 97-11 Sadeh (1996) Stress, Trauma, and sleep in children. Child Adolescent Psychiatr Clin N Am 5: 685-700 Wilken M (2002) "...Eltern sein dagegen sehr!" Wenn aus Paaren Eltern werden. Die Kinderkrankenschwester 21: 387-391 Zeanah CH, Benoit D, Barton M (1987). Working Model of the Child Interview. Unpublished Manuscript, Brown University Boston 4 Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Dr. Alfred Wiater Kinderklinik Köln-Porz Schlafmedizinisches Zentrum Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Schlafdauer, -verteilung und –zusammensetzung ändern sich mit dem Lebensalter. Die Gesamtschlafdauer im Säuglings- und Kindesalter ist länger als bei Erwachsenen, der Schlaf ist bei Säuglingen zunächst polyphasisch über den Tag verteilt und der REM-Schlafanteil ist bei Säuglingen und Kindern besonders hoch. Im REM-Schlaf träumen wir und und speichern tagsüber gelernte Prozesse im Langzeitgedächtnis ab. Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Veränderung des Schlafes mit dem Lebensalter Borbely, 1984 1 Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Anzahl der Schlafphasen im Laufe der Entwicklung Borbely, 1984 Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Schlafprofil Erwachsene Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Schlafprofil Säugling 2 Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Auch im Tagesverlauf gibt es Phasen, in denen wir eher müde und Phasen, in denen wir mehr wach sind. Die genauen Zeiträume sind jedoch individuell unterschiedlich. Um die Schlaf- und Wachzeiten eines Kindes herauszufinden ist eine aufmerksame Verhaltensbeobachtung empfehlenswert. Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Rhythmus der Tagesschläfrigkeit Müller & Paterok, 1999 Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Durchschnittliche Schlafzeiten von Kindern in verschiedenen Altersstufen 18 17 16 15 14 13 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 Geb ur t 1J ahr 2J ahr e 4J ahr e 10 J ah re mit tl er eA dole s ze n z Stores & Wiggs, 2001 3 Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Circadianer Rhythmus bei „Eulen und Lerchen“ Nicht alle Menschen haben den gleichen „Rhythmus“. Es gibt Morgenmenschen (Lerchen) und Abendmenschen (Eulen) Bei „Lerchen“ ist der Rhythmus etwas nach vorne verschoben, d.h. sie kommen morgens gut aus dem Bett und können besonders gut am Vormittag arbeiten. Dafür sind sie am Abend schnell müde und gehen gerne früh ins Bett. Bei „Eulen“ ist der Rhythmus etwas nach hinten verschoben, d.h. sie kommen morgens nicht gut aus dem Bett. Sie haben ihr „Hoch“ am Nachmittag und Abend. Abends gehen sie gerne später ins Bett. Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Regulationsstörungen in der frühen Kindheit Symptome: unstillbares Schreien, chronische Unruhe, Schlaf- und Fütterstörungen, exzessives Trotzen Prävalenz: 25% der Kinder von 0-3 Jahren Cofaktoren: Depressionssymptomatik bei 18% der Mütter, signifikanter Zusammenhang mit der Abwesenheit des Partners In 23% der Fälle Multiproblemfamilien mit schwerer psychosozialer Belastung Hiermann et al. 2005 Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Häufigkeit von Ein- und Durchschlafstörungen Säuglinge und Kleinkinder: bis zu 40% Grundschulkinder: Einschlafprobleme 10 % Durchschlafprobleme 8% Jungen und Mädchen haben gleich häufig Ein- bzw. Durchschlafprobleme 4 Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Schlafbezogene Atmungsstörungen Zentrale Hypersomnien Insomnien Schlafstörungen Circadiane Rhythmusstörungen Isolierte Symptome Normvarianten Ungelöste Störungen Parasomnien Schlafbezogene Bewegungsstörungen Appendix A SDAWCCE Andere Schlafstörungen Appendix B OPBDFEDDSD International Classification of Sleep Disorders (ICSD) 2005 Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Anamnese Analyse • Schlaffragebogen Intern-klinische und neurolog. Untersuchung • Schlaftagebuch • Indikationsbezogene Funktionsdiagnostik (EEG,EKG,Röntgen,Lufu,Labor, cardiorespiratorische Polygraphie, ...) Psycholog. Diagnostik Kinderpsychiatr. Diagnostik • Indikationsbezogene Konsiliaruntersuchung (z.B. HNO) Cardiorespirator. Polysomnographie Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Ausschnitte aus Schlaflaborableitungen zeigen die unterschiedlichen Kurvenverläufe im Non-REM und REM-Schlaf. Der CO2-Antworttest ermöglicht eine Aussage über die zentrale Chemosensibilität. Er zeigt eine Atmungssteigerung bei CO2- Anstieg. 5 Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Polysomnographie NREM-Schlaf Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Polysomnographie NREM-Schlaf Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Polysomnographie REM-Schlaf 6 Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Polysomnographie/CO2-Antworttest Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Die Schlaflaboruntersuchungsübersicht zeigt deutliche Schwankungen der Sauerstoffsättigungswerte. Ein Untersuchungsausschnitt ergibt periodische zentrale Apnoen mit damit einhergehenden Sauerstoffsättigungsabfällen – ein medikamentös behandlungsbedürftiger Befund. Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern A.S. 5 Wo. 7 Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern PERIODISCHE ATMUNG . A.S. / 5 Wochen Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Periodische Atmung ohne ausgeprägte Sauerstoffsättigungsabfälle gilt als physiologischer Normalbefund, insbesondere bei Frühgeborenen. Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern PERIODISCHE ATMUNG E.S. 2 Wochen 8 Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Die Schlaflaboruntersuchungsübersicht zeigt deutliche Schwankungen der Sauerstoffsättigungswerte. Ein Untersuchungsausschnitt ergibt obstruktive Apnoen mit damit einhergehenden Sauerstoffsättigungsabfällen – ein mit CPAP behandlungsbedürftiger Befund. Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern L.S./ 4 Mo. Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern 33 sec L.S./ 4 Mo. 9 Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Die Schlaflaboruntersuchungsübersicht zeigt deutliche Schwankungen der Sauerstoffsättigungswerte. Ein Untersuchungsausschnitt ergibt obstruktive Apnoen mit damit einhergehenden Sauerstoffsättigungsabfällen. Ursächlich dafür waren vergrößerte Rachen- und Gaumenmandeln, Nach OP Befundnormalisierung. Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern S.D. / 3 J. Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern 30 sec S.D. / 3 J. 10 Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern vor AT / TE nach AT / TE S.D./ 3 J. Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Der Schlaflaboruntersuchungsausschnitt zeigt deutliche Schwankungen der Sauerstoffsättigungswerte bei insgesamt sehr unruhiger artefaktgestörter Ableitung. Unter Einbeziehung von Video- und Tondokumentation ist eine schwere Atmungsstörung mit zentralen, insbesondere aber obstruktiven Apnoen erkennbar, die der CPAP-Therapie bedarf. Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Apnoe Unruhe Start Video Alarm! Geräusche, dann Stille, „Kämpfen“ Ende der Obstruktion Stop Video F.S. m / 6 Wo 11 Diagnostik im Schlaflabor bei Säuglingen und Kleinkindern Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 12 Die Feinzeichen des Befindens beim Baby in kleineren und größeren Belastungssituationen • Feinzeichen des Befindens • Verhaltensbeobachtungen • Hilfen durch genaues Beobachten des Kindes Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006 Verhaltenssysteme des Neugeborenen (nach Als, 1984) Interaktives System System der Schlafund Wachzustände Motorisches System Autonomes System Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006 Feinzeichen des Befindens (nach Als/Brazelton) offen Interaktives System Offen, aktiv, interessiert Schlaf-/WachSystem Kind fängt Veränderungen oder Belastungen gut ab Motorisches System Weiche, gut modulierte Bewegungsabläufe guter Muskeltonus Autonomes System Rosige Haut, gleichmäßige Atmung belastet Unzugänglich, nicht ansprechbar häufiger Wechsel der Verhaltenszustände: Quengeln, Schreien Starke Schlaffheit / starke Anspannung, unkoordinierte, fahrige Bewegungen Wechsel der Hautfarbe, unregelmäßige Atmung, Grimassieren, Zittern, Würgen, Spucken Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006 1 Feinzeichen des Befindens (nach Als/Brazelton) Offenes und zugewandtes Befinden: - neugieriges Betrachten des Spielzeugs - entspannte Fäuste - gleichmäßige Hautfarbe Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006 Feinzeichen des Befindens (nach Als/Brazelton) Möglichkeiten der Selbstregulation Ö Belastungen gehören zum Alltag des Kindes. Ö Belastungen erlebt das Kind von Innen (z.B. der „Hungersturm“) und von Außen (z.B. beim Anund Ausziehen). Ö Die Bewältigung von Belastungen erlernt das Kind in den ersten Lebenswochen. Ö Dazu verfügt es, individuell sehr unterschiedlich, über Fähigkeiten der Selbstregulation. Ö Dazu benötigt es auch Hilfe von außen. Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006 Feinzeichen des Befindens (nach Als/Brazelton) Möglichkeiten der Selbstregulation bei Belastungen Interaktives System kurzes Blickabwenden, kurzzeitiges Starren/mit dem Blick festsaugen, von selbst wieder Blickkontakt aufnehmen Schlaf-/WachSystem kurze Unmutsäußerung, ruhiger werden Motorisches System Finger, Hand an/ in den Mund führen, kurzes Saugen, Hände, Füße mittig aneinander führen, Kontakt mit den Füßen beim Gegenüber, Ergreifen eines Gegenstandes Autonomes System kaum Möglichkeiten der Selbstregulation; Hilfe von außen nötig: Wärme, Ruhe, Halt geben Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006 2 Feinzeichen des Befindens (nach Als/Brazelton) Selbstregulation durch Daumen im Mund Hilfe von außen durch Haltgeben Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006 Feinzeichen des Befindens (nach Als/Brazelton) Möglichkeiten der Selbstregulation Allgemein gilt: Je mehr Feinzeichen im motorischen und autonomen System beobachtbar sind, Ö desto größer ist die erlebte Belastung, Ö desto weniger Möglichkeiten der Selbstregulation hat das Baby, Ö desto mehr Hilfe braucht es von außen. Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006 Anwendungsmöglichkeiten (ca. 0-6 Mo) Ö Ö Ö Lesenlernen der Fähigkeiten zur Selbstregulation und der Feinzeichen für Belastung (z.B. kurzes Blickabwenden als Signal für das Bedürfnis nach einer Pause erkennen) Unterstützung der Selbstregulation (z. B. Händchen Richtung Mund führen) Abgestuftes Beruhigen bei beginnender Unruhe Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006 3 Anwendungsmöglichkeiten bei größeren Belastungssituationen (Kind) Ö Gesundheitszustand des Kindes: Einschränkung der Selbstregulation Ö durch Frühgeburt Ö bei Regulationsstörungen Ö bei Behinderungen Beobachtung der spezifischen Belastungszeichen und der Fähigkeiten zur Selbstregulation: Wie geht es dem Kind und welche Hilfen benötigt es? Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006 Anwendungsmöglichkeiten (ca. 0-6 Monate) Ö Ö Lesenlernen der Fähigkeiten zur Selbstregulation und der Feinzeichen für Belastung (z.B. kurzes Blickabwenden, motorische Anspannung oder teilweise Bewegungsstereotypien bei schnell eintretenden Überforderungen in der Interaktion) Unterstützung der Selbstregulation (z. B. Händchen Richtung Mund führen) Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006 Anwendungsmöglichkeiten bei größeren Belastungssituationen (Eltern) Ö Verhalten der Eltern: Ö kontrollierendes und bedrohliches Verhalten (tendenziell emotional misshandelndes Verhalten) Ö nicht verfügbares Verhalten (tendenziell emotional vernachlässigendes Verhalten) Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006 4 Anwendungsmöglichkeiten bei größeren Belastungssituationen (Eltern) Folgen für das Kind: Ö äußere Hilfen stehen nicht ausreichend zur Verfügung Ö das Kind muss auf seine eigenen Fähigkeiten zur Selbstregulation zurückgreifen Ö Risiko früher Überforderung Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006 Anwendungsmöglichkeiten bei größeren Belastungssituationen (Eltern) Beobachtung seiner Belastungen, insbesondere im motorischen und autonomen System Säuglinge mit Misshandlungserfahrungen lernen negative Affekte zu unterdrücken, zeigen kaum sichtbare Belastungszeichen im System des Schlaf-, Wachsystems; z.B. „trauen sie sich nicht“, bei unangenehmem Verhalten der Eltern zu quengeln und sich zu beschweren. Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006 Feinzeichen des Befindens (nach Als/Brazelton) Zusammenfassung Genaues Beobachten fokussiert die individuelle Perspektive des Kindes durch Ö konkrete Verhaltensbeschreibungen Ö Einschätzung der Fähigkeiten zur Selbstregulation Ö Einschätzung von Belastungen in besonderen Situationen Die Beschreibung des kindlichen Verhaltens entlastet verunsicherte Eltern und erleichtert auch die Zusammenarbeit mit misstrauischen Eltern!! Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006 5 Vielen Dank!! Weitere Informationen und Anfragen: www.mauri-fries.de Büro: Althener Strasse 5, 04451 Borsdorf/ Leipzig Telefon: 034291 – 22986 @ Email: [email protected] Dr. Mauri Fries/ Berlin am 28.4.2006 6 „Du machst mich wahnsinnig, Kind!“ „Du mich auch!“ Kommunikationsprobleme zwischen Kindern und ihren Bezugspersonen Martina Jotzo Unruhe, Nicht-schlafen, Schreien können - wenn das Kind gesund ist - auch aufgrund von Regulationsproblemen des Säuglings/Kleinkinds, von Abstimmungsproblemen zwischen Eltern und Kind und am häufigsten aufgrund der Kombination von beidem auftreten. In Kombination insbesondere deshalb, weil sowohl das Kind als auch seine Eltern Lernende sind: Das Kind lernt sich selbst zu regulieren, Umweltreize zu verarbeiten und Signale zu setzen; die Eltern lernen ihr Kind zu verstehen und adäquat auf es zu reagieren. Modell zwischenmenschlicher Kommunikation [1,2] Zu jedem Kommunikationsprozess gehört ein Sender, eine Nachricht und ein Empfänger: Der Sender schickt eine codierte Nachricht über einen Kommunikationskanal/ein Kommunikationsmittel an den Empfänger. Dieser decodiert die Nachricht (interpretiert sie, gibt ihr Bedeutung, versieht sie mit Gefühlen) und schickt die Antwort (Rückmeldung) an den Sender, der diese wieder decodiert. Beim Codieren, Decodieren und in den Kommunikationsmitteln können Störungen auftreten. Jede Nachricht enthält neben der Sachaussage (offen oder versteckt) weitere Informationen, oft in Form nonverbaler Signale (Mimik, Gestik, Tonfall, Körperhaltung etc.). Diese beeinflussen Gesprächsverlauf, zeigen die Kommunikation Gefühle der meist stark, Gesprächspartner und sie steuern ihre den Beziehung zueinander und vermitteln Feedback. Jede kommunikative Handlung ist mit Gefühlen verknüpft, wie stark die Verknüpfung mit Gefühlen ist, ist abhängig von dem bedeutsamsten Kommunikationsaspekt. Die vier Seiten einer Nachricht [1,2] Jotzo 2006 – Vortrag auf dem interdisziplinären Symposium „Schreien, Schlafen, Wachen“, 28./29. April 2006 in Berlin 1 Jede Nachricht hat 4 Seiten: Sach-, Ich-, Du- und Appell-Seite. Die Sachseite enthält Informationen, sachliche Mitteilungen, Inhalte, Fakten, Zahlen, Daten etc.. Die Ich-Seite dient der bewussten oder unbewussten Selbstenthüllung. Die Du-Seite enthält den Beziehungsaspekt (was der Sender vom Empfänger hält, wie er die Beziehung sieht), sie beinhaltet eine Du-Botschaft („So bist du“) und eine Wir-Botschaft („So sehe ich unsere Beziehung“). Auf der Appell-Seite will der Sender den Empfänger offen oder verdeckt (= Manipulation) beeinflussen. Ein Beispiel(modifiziert nach Bischoff-Wanner et al., 1997, S. 14): Sagt eine Kinderkrankenschwester zu einer fordernd auftretenden Mutter auf der Station: „Wir sind hier doch kein Hotel!“ kann dies auf den vier Seiten einer Nachricht folgendes beinhalten: • Sachseite: „Hier ist kein Hotel, sondern eine Klinik.“ • Ich-Seite: „Ich ärgere mich über Ihr forderndes Verhalten.“ • Du-Seite: „Sie sind sehr fordernd.“ „Ihr Verhalten passt nicht zu unserer Beziehung.“ • Appell-Seite: „Nehmen Sie sich bitte zurück.“ Die vier „Ohren“ eines Empfängers [1,2] Jeder Empfänger hat aber auch vier „Ohren“: das Sach-, das Ich-, das Du- und das Appell-Ohr. Das bedeutet, dass die meisten von uns aufgrund ihrer persönlichen Geschichte einen Aspekt aufgenommener Nachrichten besonders leicht „heraushören“. Im obigen Beispiel kann die angesprochene Mutter auf den verschiedenen „Ohren“ folgendes „hören“: • Sach-Ohr: „Hier ist kein Hotel.“ • Ich-Ohr: „Die Schwester scheint verärgert zu sein.“ • Du-Ohr: „Sie meint, dass ich zu nervig bin, sie hält mich für blöd.“ • Appell-Ohr: „Ich soll bescheidener sein.“ Botschaften auseinander zuhalten und zu erkennen, welchen Aspekt der Sender betont, ist wichtig für gelungene Kommunikation. Was wir vorwiegend heraushören, liegt an Jotzo 2006 – Vortrag auf dem interdisziplinären Symposium „Schreien, Schlafen, Wachen“, 28./29. April 2006 in Berlin 2 unseren Hörgewohnheiten. Die ankommende Nachricht ist immer auch ein Produkt des Hörers. Viele Menschen sind „ohrlastig“, hören verstärkt einen bestimmten Aspekt heraus, d.h. eigene Hörgewohnheiten zu kennen, ist wichtig, um Kommunikationsstörungen zu vermeiden. Kommunikation zwischen Baby und Eltern Wendet man das obige Kommunikationsmodell auf die Beziehung zwischen einem Baby und seinen Eltern an, ergibt sich folgendes: Schreit ein Baby ist das Schreien das Kommunikationsmittel. Die vier Seiten der Nachricht lassen sich z.B. interpretieren: • Sachseite: „Ich habe Hunger.“ • Ich-Seite: „Mir geht es nicht gut.“ • Du-Seite: „Du bist für mich zuständig.“ • Appell-Seite: „Hilf mir.“ Die Eltern des Babys können nun – je nach ihrer „Ohrlastigkeit“ folgendes „heraushören“: • Hören auf dem Sach-Ohr bedeutet Verhalten in erster Linie als reine Sachaussage zu verstehen: Während das Baby ausdrückt: „Ich brauche Nähe.“, interpretieren die Eltern: „Es ist satt und trocken. Es fehlt ihm an nichts. - Babys schreien eben.“ Damit wird die Beziehungsebene ausgeklammert, das elterliche Verhalten wirkt kühl und distanziert. • Hören die Eltern vor allem auf dem Beziehungs-Ohr, wird das Verhalten des Kindes oft als Ausdruck der Beziehung interpretiert, wenn es um diese gar nicht geht: Während das Baby ausdrückt: „Mir geht es nicht gut.“, hören die Eltern:„Ich mag dich nicht!“ „Du machst alles falsch!“ Dieses Hörmuster beinhaltet ein Interpretationsmuster, in dem Menschen alles auf sich beziehen, persönlich nehmen und sich angegriffen, beschuldigt, abgelehnt fühlen. • Steht das Selbstoffenbarungs-Ohr im Vordergrund, wird das Verhalten des Senders als dessen Eigenart betrachtet. Aus der Äußerung des Babys: „Mir geht Jotzo 2006 – Vortrag auf dem interdisziplinären Symposium „Schreien, Schlafen, Wachen“, 28./29. April 2006 in Berlin 3 es nicht gut!“ wird bei den Eltern: „Unser Baby ist ein schwieriges Kind.“ „Unserem Baby kann man nie etwas recht machen.“ Die Eltern pathologisieren das kindliche Verhalten. • Hört das elterliche Appell-Ohr besonders gut, wird das Verhalten in erster Linie als Aufforderung zum Handeln interpretiert. Quakst z.B. das Baby zufrieden vor sich hin, hören die Eltern: „Tu was: nimm mich hoch, gib mir zu essen, wickle mich ….“, d.h. kleinste Signale werden als Aufforderung zum Handeln missverstanden. Kommunikationsstörungen Einige mögliche Faktoren der Entstehung von Kommunikationsstörungen können sein: Geschichte der Eltern, Bindungsgeschichte und –muster der Eltern: Eigene Bindungserfahrungen der Eltern bestimmen den Umgang mit ihrem Kind, negative Bindungserfahrungen können damit in die Beziehung zum Kind negativ hineinwirken. Psychische Beeinträchtigung/Psychopathologie der Eltern am Beispiel Traumatisierung: 59–77 % Mütter von Frühgeborenen zeigen bei der Entlassung ihres Kindes Symptome eines klinischen Traumas in Bezug auf die Frühgeburt [3]. Mögliche Folgen einer Traumatisierung sind immer wiederkehrende Gedanken/Erinnerungen an die erste Zeit nach der Geburt, starke negative Gefühle bei Erinnerungen (sich-zurück-versetzt fühlen), schlechtes Befinden und Erschöpfungszustände, Zusammenbruch nach langem Durchhalten, postnatale Depression sowie Meiden von Schwangeren und Neugeborenen Soziale Belastungen: Hier spielen z.B. Probleme in der Paarbeziehung, geringe soziale Einbindung (z.B. auch nach Umzug), schnelle Geburtenreihenfolge, sehr junges Alter der Mutter bzw. Eltern, schwierige soziale/finanzielle Situation und Drogen- /Alkoholproblematik eine Rolle. Früh-/Risikogeburt des Kindes: Bei dieser Konstellation ist der Beginn der Eltern-KindBeziehung belastet durch den Gesundheitszustand des Kindes, die emotionale Belastung der Eltern und das Setting Neugeborenenintensivstation. Die emotionalen Jotzo 2006 – Vortrag auf dem interdisziplinären Symposium „Schreien, Schlafen, Wachen“, 28./29. April 2006 in Berlin 4 Probleme der Eltern können zu einer lang anhaltenden Befindensbeeinträchtigung, fortgesetzten Ängsten nach der Gesundung des Kindes und einem geringeren elterlichem Kompetenzerleben als bei Eltern gesunder Reifgeborener führen. Zudem weisen Früh- und Risikogeborene & andere „schwierige“ Kinder kindliche Anpassungsprobleme auf. Dazu gehören Rückzug bei neuen Reizen (wenig Reaktionsbereitschaft, Wachheit, Orientierungsreaktionen), wenig oder sehr langsame Anpassung (geringere Regulationsmöglichkeit von Erregungszuständen), intensive, oft negative Stimmungslagen, die Unregelmäßigkeit biologischer Funktionen (erhöhte Infektionsanfälligkeit, Ernährungsprobleme etc.), wenig soziale Responsivität (Vermeiden von Blickkontakt, verspätetes soziales Lächeln, schwieriger sozialer Kontakt) sowie weniger Beeinflussbarkeit (weniger vorhersagbares Verhalten, schwerer verständliche Verhaltenshinweise). Dies kann zu einem (auch) kommunikativen Teufelskreis führen: Das Kind ist schwierig (oder wird von seinen Eltern so wahrgenommen), gleichzeitig erhalten die Eltern wenig positive Resonanz von ihrem Kind (oder nehmen dies so wahr), dies verstärkt ihre Belastung und verringert ihre Fähigkeit, auf ihr Kind adäquat einzugehen. Wenn es Probleme gibt - Was hilft? Bei Regulationsproblemen des Säuglings/Kleinkinds ist folgendes zentral: • Elterliche Sorgen und Belastungen ernst nehmen • Genaue Diagnostik vornehmen, am besten in Form einer Videodokumentation • Was genau hilft diesem Kind wann? Beobachtung des Kindes und der ElternKind-Interaktion und daraus resultierende Handlungsableitungen statt „Rezepte“, Eltern als Experten anerkennen und sie beim Finden ihres gemeinsamen Weges mit dem Kind begleiten • Unterstützung durch kindbezogene Interventionen: Beruhigung, Füttern, Handling, Rhythmus, Stimulation Bei Abstimmungsproblemen zwischen Eltern und Kind sollte insbesondere im Fokus Jotzo 2006 – Vortrag auf dem interdisziplinären Symposium „Schreien, Schlafen, Wachen“, 28./29. April 2006 in Berlin 5 stehen, was hinter dem Problem liegt und möglicherweise den Eltern den Blick auf ihr Kind verstellt: • Soziale Belastungen und Unterstützung bei konkreter Entlastung • Eltern-Kind-Beziehungsgeschichte: Schwangerschaft, Geburt, erste Lebenszeit • Bild der Eltern von sich als Eltern: Kompetenzerleben, Gebote und Verbote • Elterliche (Bindungs-)Geschichte Dr. Martina Jotzo IPPSKA - Institut für Psychologie und Psychosomatik des Säuglings- und Kindesalters (GbR) [email protected] 1 Schulz von Thun, F. (1994). Miteinander reden – Störungen und Klärungen. Hamburg, Reinbek. 2 Bischoff-Wanner, C., Dielmann, G., Ertl-Schmuck, R. & Kollack, I. (1997). Pflegedidaktik: Kommunikation mit Patienten. Stuttgart, Georg Thieme (S. 3). 3 Jotzo, M. & Poets, C.F. (2005). Helping Parents Cope With the Trauma of Premature Birth: An Evaluation of a Trauma-Preventive Psychological Intervention. Pediatrics, 115; 915-919. Jotzo 2006 – Vortrag auf dem interdisziplinären Symposium „Schreien, Schlafen, Wachen“, 28./29. April 2006 in Berlin 6 ZePP – Zentrum für Primäre Prävention Emotionelle Erste Hilfe Krisenintervention und Bindungsförderung für Eltern, Säuglinge und Kleinkinder von 0 – 3 Jahren Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de / Jule Dräger- Dipl. Psychologin- www.jule-draeger.de ZePP – Zentrum für Primäre Prävention Kennzeichen der postnatalen Krisendynamik • • • • • Energie: Hypererregung Affekt: Hilflosigkeit/ Ohnmacht Physiologie: Muskelkontraktion Kognition: Orientierungslosigkeit Bindung: Unverbundenheit Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de ZePP – Zentrum für Primäre Prävention Grundfunktionen des autonomen Nervensystems Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de 1 ZePP – Zentrum für Primäre Prävention Regulationen des Autonomen Nervensystems Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de ZePP – Zentrum für Primäre Prävention Selbstregulation und Autonomes Nervensystem Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de ZePP – Zentrum für Primäre Prävention Bindungsregulation und Autonomes Nervensystem Parasympathikus Sympathikus Parasympathikus Sympathikus Abstimmung Attunement vegetative Resonanz Autonomes Nervensystem Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de Autonomes Nervensystem Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de 2 ZePP – Zentrum für Primäre Prävention Sympathikus-Hypertonie und emotionaler Bindungsverlust Parasympathikus Sympathikus Hypertonie Autonomes Nervensystem Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de Parasympathikus Sympathikus Hypertonie Autonomes Nervensystem Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de ZePP – Zentrum für Primäre Prävention Funktionen der Sympathikus Hypertonie Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de ZePP – Zentrum für Primäre Prävention Risikofaktoren für Regulationsstörungen im frühen Kindesalter • • • • • Paarprobleme Prä- und perinatale Stressfaktoren Sozioökonomische Belastungen Biografischer Hintergrund der Eltern Temperament des Säuglings Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de 3 ZePP – Zentrum für Primäre Prävention Vorgehen der Emotionellen Ersten Hilfe 1. Erkundung der Stressverhaltens bei Mutter und Säugling – WAS? 2. Erforschung der affektiven Situation – WIE? 3. Erkundung der Somatisierung des Stressgeschehens – WO? Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de ZePP – Zentrum für Primäre Prävention Prozess der Selbstanbindung Unterstützung der elterlichen Bindungsbereitschaft: • • • • • durch Selbstwahrnehmung durch Bauchatmung durch Körperberührung durch Visualisierungen durch Verlangsamung Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de ZePP – Zentrum für Primäre Prävention Selbstregulation und Schreiverhalten des Säuglings Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de 4 ZePP – Zentrum für Primäre Prävention Voraussetzung für die Bindungsund Interaktionsbereitschaft: • Anerkennung der eigenen Gefühle und Prozesse • Gute Verbindung zu sich selbst • Körperliche Entspannung Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de ZePP – Zentrum für Primäre Prävention Vorteile des körperpsychotherapeutischen Zugangs: • Direkter Einfluss auf die Bindungsbereitschaft • Einfach umsetzbare Interventionen • Biofeedback für Bindungsbereitschaft Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de ZePP – Zentrum für Primäre Prävention Eltern - Baby - Therapie Jule Dräger Dipl. Psychologin, Körperpsychotherapie, Erziehungsberatung www.jule-draeger.de, Tel.: 0179-509 7626 Praxis „Die Wohlfühler“ Kollwitzstr.75, 10435 Berlin- Prenzlauer Berg Thomas Harms - Dipl. Psychologe – www.zepp-bremen.de Jule Dräger - Dipl. Psychologin - www.jule-draeger.de 5 Margarita Klein Diplom-Pädagogin, Hebamme, Systemische Beratung/Familientherapie und Hypnose im KREISEL E.V., Hamburg, www.kreiselhh.de Kommunikation von Hand zu Haut Körperorientierung und Babymassage in der systemischen Familientherapie In diesem Vortrag möchte ich darlegen, wie eine ursprünglich an Erwachsenen mit ihren sprachlichen Möglichkeiten ausgerichtete Therapieform, die systemische Therapie, für die Arbeit mit Familien mit Säuglingen modifiziert werden kann. Dabei bekommt die Sprache des Körpers, die Berührung, als elementare und den Bedürfnissen des Babys entsprechende Kommunikationsform einen neuen Stellenwert. 1. Zunächst einige Gedanken zur systemischen Therapie: Unter dem Begriff „systemisch“ begegnet uns heute ein schillerndes Spektrum unterschiedlichester Ansätze, von dem diffusen Bezug auf Ganzheiten und gegenseitige Abhängigkeiten bis zu einem hochkomplexen wissenschaftlich Programm, das Erkenntnisse der Kybernetik, der Philosophie und nun auch der Neurowissenschaften umfasst. Insoweit als ein Baby und sein Verhalten nicht ohne seine Umwelt zu denken ist und sein Verhalten und das seiner Mitmenschen als zirkulär aufeinander bezogen verstanden wird, können viele Varianten der Arbeit mit Eltern und Säuglingen systemisch verstanden werden. There is no such thing as a baby, there is always a baby and someone, sagt der z. B. Psychoanalytiker Winnicott. Ein Leitsatz systemischen Denkens lautet analog dazu: Jedes Verhalten von Menschen ist abhängig von dem Kontext, in dem es zu beobachten ist. Einige weitere Grundannahmen systemischen Denkens: Menschen und ihre Systeme sind nicht instruierbar. Ein Heizungssystem kann ich steuern, und wenn es meinen Impulsen nicht folgt, hole ich den Techniker, der es repariert. Menschen dagegen haben Wahlmöglichkeiten und ihre Reaktion ist nicht von jemand anderem sicher auszulösen. In der systemischen Theorie spricht man von „Autopoiesis“ aus dem Griechischen: auto = selbst, poieon – machen. Beim Thema Babyschlaf wird das so besonders deutlich: Niemand kann ein Baby „einschlafen machen“, es tut es letztendlich selbst. Für Erziehung, Beratung und Therapie heißt das: die Eltern können ihren Kindern, die Fachleute ihren KlientInnen Angebote machen, den Kontext gestalten. Ob und auf welche Weise das Gegenüber diese Impulse aufnimmt und darauf antwortet, entscheidet es selbst. Ein weiterer Leitgedanke der systemischen Therapie wurzelt im Konstruktivismus, Paul Watzlawick ist ein bekannter Vertreter dieses Denkansatzes. Heute werden diese Annahmen durch die Erkenntnisse der Neurowissenschaften unterstützt. Jeder Mensch hat seine eigene Wirklichkeit und hält sie für wahr. Der Prozess der Wahrnehmung geschieht Prozess, keine bloße Widerspiegelung der nennen, geschieht im Nervensystem, nicht nehmung ist das, was ich aufgrund der Nervensystems für wahr nehme. im Menschen, ist ein aktiver Dinge. Das, was wir „Sehen“ mit dem Auge. Meine Wahrbesonderen Struktur meines Mein Nervensystem formt sich durch meine ganz individuellen Erfahrungen vom Beginn des intrauterinen Lebens an. Es unterscheidet sich von dem jedes anderen Menschen, niemand kann mit meinem Gehirn fühlen und denken. Das, was ich für wahr nehme, ist meine Wirklichkeit. An dieser Wirklichkeit richte ich mein Handeln aus, Wirklichkeit ist das, was wirkt. Wenn Eltern sagen: „Unser Kind schreit immer!“, ist es subjektiv ihre Wirklichkeit. Selbst wenn es gerade schläft, bleiben sie im Alarmzustand, sie hören es „wirklich“ schreien. Jedes tatsächliche Schreien erhärtet ihre Ansicht: Es schreit immer. Es gibt Wirklichkeitskonstruktionen, die nützlich sind in dem Sinne, dass sie den Menschen Handlungsspielraum geben und in der Begegnung mit anderen Menschen zu angenehmen Erfahrungen führen. Wenn Eltern davon ausgehen, dass ihr Kind eine autonome, kompetente Person ist, die jetzt, wo es klein ist, ihre Hilfe braucht, um für sich selbst zu entdecken, wie es sein Schlafbedürfnis regulieren kann, hat das andere Konsequenzen für ihr Handeln als wenn sie denken, es sei ihre Aufgabe, das Kind zum Einschlafen zu bringen. Belastende Wirklichkeitskonstruktionen äußern sich in Sätzen wie: „Ich kann nie, ich muss immer“ - entweder/oder. So empfindet der Mensch sich unter Zwang, eingeengt, er leidet. Systemische Beratung und Therapie hat zum Ziel, Handlungsspielraum des Klienten/der Klientin zu erweitern. den Dann entstehen Sätze wie: „Vielleicht ist es mir möglich ...“, „Ich könnte einmal versuchen ...“ Worte waren ursprünglich Zauber (Siegmund Freud) Das Nervensystem eines Menschen unterscheidet nicht zwischen internen und externen Auslösern: Die bildgebenden Verfahren zeigen, dass sich im Gehirn dasselbe abspielt, unabhängig davon, ob ein Reiz real existiert oder nur vorgestellt wird. Um das nachzuprüfen, brauchen wir keine komplizierten Geräte. Stellen Sie sich einmal vor. Vor Ihnen steht eine Schale mit Zitronen. Sie nehmen ein Messer, schneiden eine Frucht auf, spüren, wie der Saft auf ihre Haut spritzt, riechen den Duft der Zitrone... Nur mit dem Gebrauch von Worten ist es mir vermutlich gelungen, ihren Speichelfluss anzuregen, eine schluckbewegung auszulösen. Im Gespräch, in der Beratung oder in der Therapie laden wir den Klienten nicht dazu ein, sich Zitronen vorzustellen, sondern mit Hilfe des Zaubers der Worte problemauslösende Wirklichkeitskonstruktionen durch solche zu ersetzen, die angenehmere Gefühle hervorrufen und neue Verhaltensweisen möglich machen. Der lösungsorientiert-systemische Ansatz mit seinen herausragenden VertreterInnen Insoo Kim Berg und Steve de Shazer ist in dieser Hinsicht besonders konsequent. Eine Grundannahme dieses Ansatzes heißt: Das Gespräch über Lösungen lässt Lösungen entstehen mit all den damit verbundenen Gefühlen, das Gespräch über Probleme dagegen macht Probleme und Schwächen präsent. Die Idee ist, im Gespräch mit KlientInnen mehr Zeit und Raum darauf zu verwenden, über mögliche Lösungen und ihre Folgen, über ihre Stärken zu sprechen und sich einmal vorzustellen, das Problem sei schon jetzt gelöst. „Was ist Ihnen dann neu möglich?“, ist eine zentrale Frage, deren Beantwortung KlientInnen mit ihren inneren Ressourcen verknüpft. Lösungen und Ideen für neue Möglichkeiten entstehen dann, wenn ein Mensch mit seinen Stärken und Fähigkeiten im Kontakt ist, nicht dann, wenn er mit seinem Gefühl von Leid und Ohnmacht verbunden ist. Im Gespräch nehmen Lösungen Gestalt an, der Mensch kann schon einmal fühlen, wie es dann ist, wenn Angst und Unsicherheit neuer Kreativität Platz machen. Je länger wir im Gespräch bei diesen neuen Möglichkeiten und den damit verbundenen guten Gefühlen verweilen, desto mehr bekommen sie Wirklichkeitscharakter. Wenn du es eilig hast, gehe langsam: Der nächste kleine, mögliche und realistische Schritt in Richtung auf diese Lösung steht in der Regel am Ende eines solchen Gesprächs. Die Konstruktion der Lösung ist immer eine Eigenkonstruktion der Klientin, nicht eine der Beraterin. Die Beraterin fügt lediglich Wissen hinzu, wo es der Klientin daran mangelt. Was geschieht nach dem Gespräch? Die Klientin richtet aufgrund der im Gespräch gemachten für ihre Wahrnehmung realen Erfahrung ihre Aufmerksamkeit mehr auf Momente, die ihr gut gelingen. Dadurch macht sie im realen Leben neue Erfahrungen, und wie durch ein Wunder haben diese neuen Erfahrungen Auswirkungen auf anderen Lebensbereiche und auch auf andere Menschen. Schon bei der Anmeldung am Telefon ist eine erste kleine lösungsorientierte Intervention wirkungsvoll: Ich bitte die Klientin, den Klienten Bitte beobachten Sie bis zu unserem Termin und notieren Sie sich, wann ihr Baby tatsächlich schläft und was es tut, wenn es weder schreit noch schläft, und was Sie allein oder mit ihm tun, wenn es nicht schreit. Beobachten Sie bitte, wann Sie gute Momente erleben. Und wie durch ein Wunder verändert sich das Problem – die Sichtweise auf das Verhalten des Kindes - oft schon vor der eigentlichen Beratung. Einige weitere Denkens: Grundannahmen lösungsorientiert- systemischen - die klare Orientierung an den Wünschen und Zielen der Klientin/des Klienten; - die Annahme, dass er/sie kompetent für ihr eigenes Leben ist; - die Annahme, dass es im Unbewussten des Menschen eine Instanz gibt, die die Lösung kennt; - die Annahme, dass ein Problem eine nicht hilfreiche Konstruktion ist, die im Gespräch durch eine nützlichere ersetzt werden kann; - die Annahme, dass aus dem das Erleben einer Lösung im Gespräch – als ob es gelöst wäre – entscheidende Ideen zur Veränderung kommen; - die Annahme, dass das Verhalten von Menschen zirkulär aufeinander bezogen ist: Ändert sich ein Teil eines Systems, so hat das Auswirkungen auf alle anderen Teile und führt zu Veränderungen. Diese Veränderungen sind allerdings nicht genau planbar – Menschen und ihre Systeme sind eben nicht instruierbar! Jeder Mensch kann nur sein eigenes Herz und Verhalten ändern. So kann es sein, dass das Kind weiterhin wenig schläft, die Mutter/der Vater das akzeptiert und für sich Lösungen findet, um zur Ruhe zu kommen. Und es kann auch sein, dass das Kind durch die neugewonnene Ruhe der Erwachsenen ruhiger wird. Menschen lernen durch Erfahrung Auch im Rahmen einer lösungsorientert – systemischen Beratung findet die Arbeit mit Videoaufnahmen ihren Platz. Die problematische Wirklichkeitskonstruktion von Menschen verändert sich leichter, wenn wir ihnen nicht ausschließlich mit Worten, sondern zusätzlich visuell neue Erfahrungen ermöglichen. Die videogestützte Arbeit ermöglicht neue Sinneserfahrungen und das damit verbundene Gespräch eine neue Form der Bewertung. In einen systemischen Kontext eingebettet, geht der Arbeit mit dem Video voraus ein Gespräch darüber, - was für die Klientin das Ziel der Beratung ist, - was für sie/ihn eine gute Lösung wäre, wie es sich wohl anfühlt, sich einmal vorzustellen, wie es ist, die Lösung schon erreicht zu haben - und welche Kräfte, Kenntnisse und Fähigkeiten ihr/ihm dazu schon jetzt zur Verfügung stehen. Ein Beispiel: Frau M. leidet darunter, dass sie aus ihrer Sicht immer so ernst mit ihrem Baby ist. Sie entwicklelt als Lösungsidee: „Ich bin eine gute Mutter sein und ich bin fröhlich mit meinem Baby. Wir zeigen ihr ausgewählte Videosequenzen in denen genau die von ihr gewünschte Qualität zu sehen ist: Ihr Baby und sie scherzen miteinander, beide lachen. So kann eine neue Wahrnehmung von sich selbst und und von ihrem Miteinander entstehen. Die bisherige problematische Konstruktion: „Ich bin immer so ernst und bin nicht sicher, ob mein Baby mich mag“, können durch die Bilder, die offensichtlich fröhliche Momente zeigen, neuen Vorstellungen von sich selbst Platz machen. Zirkulär fragen, das Baby miteinbeziehen Das bisher beschriebene Vorgehen im Gespräch und mit der Videokamera sind Vorgehensweisen, die zwar das Miteinander von Baby und Eltern zum Thema haben, das Baby selbst aktuell aber nicht einbeziehen. Eine weitere Methode systemischer Beratung sind zirkuläre Fragen: Wenn wir Ihr Baby fragen könnten, was würde es sich wünschen? Auf diese Weise laden wir die Eltern dazu ein, einen Perspektivwechsel vorzunehmen, die Welt aus der Sicht des Kindes wahrzunehmen und dem Erleben des Kindes eine Stimme zu geben. Die Antwort darauf ist jedoch wieder eine Wirklichkeitskonstruktion der Eltern selbst oder auch der BeraterInnen. 2. Die Sprache eines Babys ist die Sprache des Körpers. Das Baby selbst kann auf die bisher beschriebene Weise nicht am Gespräch teilnehmen. Worte allein sind noch nicht die passende Kommunikationsform für ein Baby. Seine Sprache ist eine unmittelbar körperliche. In der Beratung können wir können Eltern lehren, die Sprache ihres Kindes, die Sprache des Körpers zu sprechen und zu verstehen, wir können den Dialog von Hand zu Haut anregen und Eltern und Kind damit neue sinnliche Erfahrungen ermöglichen. Durch das begleitende Gespräch wird eine neue Wirklichkeitskonstruktion möglich. Die Fachperson ist dann so etwas wie eine Dolmetscherin zwischen Eltern und Kind. Massage ist eine Sprache, in der Eltern und Kinder miteinander kommunizieren können. Wir machen nun einen kurzen Exkurs in das weite Thema Massage, um zu erläutern, warum gerade Massage für die Interaktion zwischen Eltern und Kind eine besondere Bedeutung hat. Hautnah Die Haut ist neben dem Gehirn das wichtigste Körperorgan des Menschen. Kein Mensch kann ohne Haut geboren werden oder überleben, wenn große Teile der Haut verletzt sind. Sie bedeckt 1,5 bis 2 Quadratmeter Körperoberfläche und ist an keiner Stelle des Körpers dicker als vier Millimeter. Die Haut ist ein wichtiges Atmungsorgan, sie scheidet Stoffwechselprodukte aus und kann Stoffe aufnehmen. Sie trägt wesentlich zur Temperaturregulation des Körpers bei und schützt uns vor Krankheitserregern und Verletzungen. Die Haut zeigt unsere Befindlichkeit an, gibt Auskunft über Lebensgewohnheiten, z.B. ob wir rauchen, wieviel wir schlafen, und über unser Alter. Die Haut ist das wichtigste Sinnesorgan, kein Mensch wird ohne Tastsinn geboren. Schon sechs Wochen nach der Befruchtung des Eis reagiert der Embryo auf Berührung. Millionen von Sensoren informieren uns unablässig darüber, was an den Außengrenzen unserers Körpers vor sich geht. Der Tastsinn ist nicht abzuschalten: wir können die Augen schließen, den Ohren, der Nase, der Zunge Reize vorenthalten, aber die Haut erspürt ohne Pause die Grenzen unseres Körpers, die Bewegung des Atems, den Kontakt zur Kleidung oder den Lufthauch auf der nackten Haut. Die Haut ist ein soziales Organ, sie ist der Ort, an dem wir Kontakt mit der umgebenden Welt erfahren, mit Gegenständen ebenso wie mit anderen Menschen. Für alle Säugetiere - damit auch für den Menschen - ist es für ihr Überleben unerlässlich, ein ausreichendes Maß an Berührung durch ein anderes lebendes Wesen, vorzugsweise der eigenen Art zu bekommen. Erleiden z. B. Rattenbabys einen Mangel an Berührung, stellen sie auch bei ausreichendem Nahrungsangebot das Wachsen ein, manche gehen sogar zugrunde. Ashley Montagu hat 1974 in seinem Buch „Körperkontakt“ eine große Anzahl von Untersuchungen zusammengetragen, die die Abhängigkeit von liebevoller Berührung für die gesunde geistige, emotionale und körperliche Entwicklung aufzeigen. Neueste Forschungen in vielen Ländern bestätigen diese Ergebnisse immer wieder. Dennoch: Frühgeborene verbringen weiterhin viel Zeit am „einsamsten Ort der Welt“, im Inkubator (Geo, Juni 2004), obwohl regelmäßig massierte Kinder sich deutlich besser entwicklen, so dass sie im Schnitt sechs Tage eher nach Hause entlassen werden können, wie die Psychologin Tiffany Field an ihrem „Touch Ressearch Institut“ in Florida zeigen konnte. Berührungen reduzieren die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol, sie tragen dazu bei, die vegetativen Funktionen zu regulieren, den Herzschlag, die Atmung und den Blutdruck, Hormone werden freigesetzt, wie z. B. Insulin, so dass die Nahrung besser aufgeschlossen wird. Die Reifungsprozesse in der Lunge werden angeregt, Berührung stärkt das Immunsystem. Es gibt heute genügend gesicherte Erkenntnisse, die uns deutlich machen, dass wir Eltern dazu anregen und anleiten sollten, ihren Kindern mit derselben Aufmerksamkeit Hautreize zukommen zu lassen, wie sie ihnen Nahrung zubereiten. Ich fühle, also bin ich Die Haut gibt uns beständig darüber Informationen, wie und wo sich der Körper gerade befindet und womit oder mit wem er gerade im Kontakt ist. Diese Empfindungen sind die Basis der Eigenwahrnehmung, des SelbstBewusstseins. Ein klares Bewusstsein der eigenen Körpergrenzen bewahrt den Menschen vor schmerzhaftem Kontakt mit Tischkanten und heißen Herdplatten. Der Tastsinn ermöglicht es uns, mit genau der richtigen Kraft zuzugreifen, wenn wir etwas aufheben wollen. Dabei arbeitet der Tastsinn feiner als die Augen, wir können feinere Unterschiede in der Beschaffenheit von Oberflächen, z.B. ob sie rauh oder glatt sind, erfühlen als sehen. Sich seiner selbst bewusst zu sein, ermöglicht es einem Menschen, sich sicher zu fühlen und im Kontakt mit anderen passend zu reagieren: Er spürt die Nähe eines anderen Menschen und er weiß, wann er jemandem zu nah kommt. Manche Kinder fallen heute im Kindergartenalter dadurch auf, dass sie sich im Kontakt mit Gleichaltrigen ungeschickt verhalten, dass sie schlagen und schubsen, wenn sie Kontakt suchen. Als ein Grund dafür kann bei einigen Kindern eine ungenügende Entwicklung der Wahrnehmung von sich selbst und ihrer Umwelt vermutet werden. Wahrnehmung entwickelt sich dann optimal, wenn ein Kind genügend passende Reize angeboten bekommt. Berührung ist also nicht nur existentiell wichtig für unser physisches Überleben, sondern auch für die Entwicklung von Selbstsicherheit und von Feinfühligkeit im sozialen Kontext. Das Alphabet der Gefühle Der früheste Dialog zwischen Mutter und Kind findet intrauterin in der Sprache der Haut statt. Es spürt den Herzschlag seiner Mutter, ihren Atem, den Rhythmus ihrer Bewegungen. Lange bevor es Worte hören kann, erspürt es die Stimme seiner Mutter als Druckveränderungen auf der Haut. Sein Tastsinn, sein Sinn für Bewegung und sein Gleichgewichtssinn teilen dem Baby mit, wie sie sich fühlt. Diese Erfahrungen bilden den Hintergrund aller weiteren Empfindungen und Stimmungen, die es in seinem weiteren Leben machen wird. Nach seiner Geburt sind es vor allem zunächst die Hände der Mutter, die ihm mitteilen, ob es angenommen und gehalten wird. Ein Baby lernt auch durch Berührung, dass Menschen verschieden sind: Mamas Hände fühlen sich ganz anders an als die von Papa. Unterschiedliche Stimmungen drücken sich über die Hände aus, machen sie um Nuancen weicher oder unsensibler. Die mehr oder weniger große Feinfühligkeit, mit der Eltern auf die Bedürfnisse des Kindes prompt und passend reagieren, ist durchaus auch wörtlich zu verstehen (siehe auch: Lohmann, 2004). Wenn wir Eltern und Kinder in ihren ersten gemeinsamen Zeit begleiten, haben wir die Möglichkeit, die Hände der Eltern für den Körper ihres Kindes zu sensibilisieren und ihnen zu zeigen, wie sie achtsam mit ihm umgehen können, seine Reaktionen erspüren und passend darauf reagieren. Entwicklung im Kontakt Von Beginn seiner Entwicklung an erlebt sich der Fötus im Dialog mit seiner Umwelt. Es gibt Bewegungen, die von ihm ausgehen, und solche, die von außen kommen. Wenn er sich bewegt, spürt er den Kontakt zur Uteruswand, zur Plazenta, zu seinen eigenen Gliedmaßen. Die Nabelschnur ist sein erstes Spielzeug, er be-greift sie und macht die Erfahrung, dass sie pulsiert und sich bewegt. Wenn seine Mutter in Bewegung ist, wird er geschaukelt. Die Kontraktionen der Gebärmutter wirken vielleicht wie eine herzliche Umarmung. Das Leben bis zu seiner Geburt wird aus einer Fülle angenehmer Hautreize bestehen. Ein Mangel an Bewegungs- und Hautreizen, z. B. wenn die Mutter beruflich überwiegend sitzt oder wegen vorzeitiger Wehen viel liegen soll, kann dazu führen, dass ein Kind nach der Geburt erschrocken auf die Intensität dieser Reize außerhalb der Gebärmutter reagiert und viel weint. Sein Wahrnehmungssystem ist noch ungeschult und erwirbt die notwendige Reife erst im Lauf der nächsten Wochen, in denen es viel getragen und berührt werden möchte. Während der Geburt ist der Hautkontakt zwischen Mutter und Kind so eng wie nie zuvor. Mutter und Kind sind im Geburtsprozess fein aufeinander abgestimmt, das Kind spürt, wie es seinen Kopf am besten dreht und wendet, um seinen Weg zu finden. Die Passage durch den Geburtskanal ist eine äußerst intensive Hautstimulation, in deren Folge das Kind hellwach ist, wenn es zur Welt kommt. Die plötzliche Abwesenheit eines Hautkontakts ist eine völlig neue Erfahrung für das Kind und trägt neben dem Erleben von Kälte und der Schwerkraft zu seiner Irritation bei. Es sollten immer wärmende, haltende Hände bereit sein, um einem Kind nach der Geburt einen freundlichen Empfang zu bereiten. Wenn die Mutter dazu möglicherweise nicht sofort bereit ist, kann vielleicht der Vater seine Hand auf den Rücken des Babys legen oder auch eine dritte Person. Das reduziert die Stressreaktionen des Babys sichtbar, es kann leichter atmen, seine Haut wird rosig. Die Geburt ist eine Trennung. Das selbstverständliche Beeinandersein, die Sicherheit, sich immer gegenseitig zu spüren, ist verschwunden. Stattdessen gilt es nun, über einen kleinen Zwischenraum den Kontakt zu suchen und zu finden. Das kann verunsichern und manche Mutter braucht fürsorgliche Anleitung, um sich in ihrem Tempo vorsichtig an ihr Baby heranzutasten. In den nächsten Tagen und Wochen wird es wichtig sein, dass sie ausreichend Gelegenheit hat, den Körper ihres Babys zu erkunden. Jede Pflegehandlung kann eine solche Gegenheit sein, wenn sie nicht von allzu effizient arbeitenden Fachleuten (Hebammen, Kinderschwestern) ausschließlich zur Vermittlung der „richtigen“ Technik genutzt wird, sondern als Dialog zwischen Mutter und Kind begriffen wird. Das einhüllende Streichen über den ganzen Körper mit weichen, spürenden Händen - ein Element der Schmetterlingsmassage - erinnert das Kind an die Art der Hautempfindung, wie es sie aus dem Uterus gewohnt war und verbessert die Feinfühligkeit der Mutter und ihre Sicherheit im Umgang mit dem Kind. Heilung der Gefühle Berührung kann körperliche und seelische Verletzungen heilen oder die Heilung unterstützen und das Auflegen der Hände ist wohl die älteste Heilmethode der Welt. Die Trennung bei der Geburt ist auch mit Trauer verbunden. Das gilt besonders, wenn Mutter und Kind danach nicht ausreichend Zeit hatten, um sich nach der Lösung voneinander wieder zu begegnen oder wenn die Trennung besonders schmerzhaft verlaufen ist. Wenn die Mutter in der Lage ist, ihr Baby nach einer Geburt selbst sanft zu massieren, kann das zur Heilung ihrer Verstörung und der Erschrockenheit des Kindes gleichermaßen beitragen. Besonders nach einer schwierigen Geburt kann es jedoch sinnvoll sein, dass andere Personen (der Vater, die Hebamme, Freundinnen) der Mutter und dem Kind unabhängig voneinander für einige Zeit regelmäßig Massagen geben. Dem Kind wird so signalisiert: Die Welt fühlt sich gut an, du bist willkommen! und die Mutter gewinnt nach dem Erleben von Entgrenzung bei der Geburt neue Selbstsicherheit durch die Wahrnehmung ihrer Körperhülle in der Berührung. Die liebevolle Stimulation der Haut fördert die Ausschüttung des Hormons Oxitocin. Oxitocin gilt als das Hormon der Liebe, es ist immer beteiligt, wenn Menschen einander sehr nah sind. Während der Schwangerschaft, der Geburt und beim Stillen hat es wichtige Funktionen, die allen Hebammen bekannt sind. Berührung ist auch in anderen Krisensituationen ein wichtiges Heilmittel in der familiären Hausapotheke. Krankheiten, Verletzungen, die Geburt eines Geschwisterkindes oder auch nur ein Wachstumsschub: In jedem Alter sind Massagen eine wirkungsvolle Unterstützung zur gemeinsamen Bewältigung des Problems. Berührung ist schon für die Mutter während der Schwangerschaft, eine Unterstützung ihrer Selbstwahrnehmung, ihres Selbstbewusstseins, für das Paar ist sie nach einer Geburt eine Möglichkeit, sich einander auszudrücken, wenn Worte das Unsagbare des Erlebens nicht fassen können. 3. Massage als ein Element in der Eltern- Kind Beratung Die Beratung von Eltern mit Säuglingen und kleinen Kindern erfordert viele unterschiedliche Qualitäten der Hilfe. Der Systemiker Kurt Ludewig beschreibt vier Grundarten professioneller Hilfe. Er unterscheidet: Anleitung, Beratung, Begleitung und Therapie in a) der Art der Bedürftigkeit, b) der Art der professionellen Maßnahme. Anleitung: “Hilf uns, unsere Möglichkeiten zu erweitern!“ a) Fehlen oder Mangel an Wissen/Fertigkeiten b) Wissen zur Verfügung stellen, das Handwerk lehren Beratung: „Hilf uns, unsere Möglichkeiten zu erkennen und zu nutzen!“ a) interne Blockierung, inaktive Ressourcen b) Förderung vorhandener innerer und äußerer Strukturen Begleitung: „Hilf uns, unsere Lage zu ertragen!“ a) unabänderliche Problemlage b) Stabilisierung durch fremde Struktur Therapie: „Hilf uns unsere Lage rasch zu ändern!“ a) veränderliche Problemlage b) Beitrag zur Auflösung des Problems In der Arbeit mit Familien mit Säuglingen können alle vier Formen der Hilfe zum Erfolg führen. Nicht zu unterschätzen ist die Wirksamkeit von Anleitung, wenn sie in einen an den Wünschen und Bedürfnissen der KlientInnen orientierten Rahmen eingebettet ist (anliegen- und auftragsorientiert) Das Angebot, Anleitung zur Massage zu geben kann eine passende Antwort sein auf den Wunsch: „Ich möchte meinem Kind Halt geben, aber ich weiß nicht wie.“ Halt geben hat für ein kleines Kind unbedingt die konkrete körperliche Komponente, sicher angefasst zu werden. Die Massage im Rahmen der Beratung bei einer belasteten Eltern-Kind – Beziehung unterstützt die Eltern auf dem Weg dahin, die Eltern zu werden, die sie gern sein möchten. Erforderlich ist eine Qualität der Anleitung, die den Eltern den Rücken stärkt, die nicht das Erlernen einer Technik in den Vordergrund stellt, sondern den Eltern ermöglicht, ihr Kind in einem geschützen Rahmen zu berühren und seine Reaktionen zu beobachten. Die Beziehung zur Beraterin ist die sichere Basis, auf der es in dem es der Mutter, dem Vater möglich ist, sich auf das aufregende Abenteuer einzulassen, das Baby mit offenen Händen und zugewandtem Herzen zu berühren. Das Augenmerk liegt immer auf dem dialogischen Charakter der Massage Die „richtige“ Technik der Massage ist dabei nebensächlich. Bei der täglichen Pflege des Kindes steht immer der Zweck im Vordergrund: Das Kind hochnehmen, um es anzuziehen, es drehen, um es anzulegen ... Massage dagegen ist zweckfrei und dabei überaus sinnvoll. Die Schmetterlingsmassage nach Eva Reich eignet sich in diesem Kontext besonders, weil die Technik einfach ist und schon das einhüllende Streichen über den ganzen Körper bei dem Baby Wohlbehagen auslöst. Diese Massage ist geeignet für neugeborene und sogar für frühgeborene Babys und darüber hinaus für Menschen jeden Alters. Sie hilft Eltern und Kind bei der Bewältigung von Wachstumskrisen und Krankheiten, sie ist angenehm für Schwangere, sie tut auch alten Menschen gut . Drei kurze Fallgeschichten: 1. Frau A. kommt auf Empfehlung des Kinderarztes mit ihrer Tochter Eva. Sie hatten einen schweren Anfang, eine Fütterstörung bessert sich gerade, sie sagt, ihr Kind sei hässlich, ich beobachte, dass Mutter und Kind nicht gut miteinander im Kontakt sind. Die Mutter hat kein Beratungsanliegen, wünscht sich aber Massage zu lernen. Im Lauf von drei Treffen bei denen sie vorsichtig den Körper ihres Kindes erkundet, gelingt es ihr, sich emotional ihrem Baby zuzuwenden. Eva nimmt diesen Kontakt offensichtlich gern an. Gleichzeitig weicht die innere Erstarrung der Mutter auf, sie möchte danach gern mit mir über ihre Geburtserfahrung sprechen, es folgen einige Termine ohne das Baby. Ihr Weg ging über die Hände ans Herz. 2.Frau B. kommt zur Beratung, sie leidet darunter, ihr Kind nicht annehmen zu können (es ist ein Junge, sie wünschte sich ein Mädchen.) Nach einigen Stunden lösungsorientiert- systemischer Beratung und Hypnose schloss sie Frieden Frieden mit sich und dem Kind. Dennoch fühlte sie sich immer noch ungeschickt mit ihrem Kind. Ihre Hände schienen nicht so schnell ihr die neue Beziehungsqualität übernehmen zu können. Über die zweckfreie Berührung der Massage wurden ihre Hände weicher, feinfühliger. Ihr Weg ging aus dem Kopf in die Hände. 3. Herr und Frau C.kamen zu mir, weil sie „irgenwie nicht wissen, was wir mit Ole tun sollen“. Die Eltern hatten den guten Willen, mit ihrem Kind in Kontakt zu treten, aber keine konkrete Idee zur Umsetzung. Sie sprachen mit ihm wie mit einem „Kumpel“, er war mit Jeans und Weste gekleidet wie sein Vater. Sie spürten, dass etwas nicht stimmte, das Kind war unruhig. Sie erlernten mit der Massage die Sprache des Körpers, lernten, sich auf das Tempo des Kindes einzustellen. Außerdem entdeckten sie, dass die Massage auch für sie als Paar eine Bereicherung der Kommunikationsmöglichkeiten war. Ihr Weg: Eine neue Sprache lernen, um mit dem Kind adäquat „sprechen“ zu können. Literatur: Schmetterling und Katzenpfoten, Massagen für Babays und Kinder Klein, Margarita, Ökotopia Verlag, 5. Auflage 2005 Lösungen (er-)finden, Insoo Kim Berg und Peter de Jong, verlag modernes lernen, Dortmund, 2004 Die erfundene Wirklichkeit, Watzlawick, Paul, Piper, 9. Auflage 1997 Körperkontakt, Montagu, Ashley, Lebensenergie durch sanfte Bioenergetik, Reich, Eva/ Zornansky, Eszter, Kösel, München 1997 Das Neugeborene in der Hebammenpraxis mit Beiträgen von Margarita Klein: Das vorgeburtliche Erleben des Kindes, Die geburt aus der Sicht des Kindes, Babymassage, Die Geburt einer Familie darin auch: Susanne Lohmann,: B Die körperliche und seelische Entwicklung des Kindes im ersten Lebensjahr DH, Hippokrates Verlag, ISBN 3-8304-5294-2 Körperkontakt, Ashley Montague, Klett - Cotta Bausteine der kindlichen Entwicklung, Jean Ayres, Springer - Verlag Babyjahre, Remo Largo, Piper, Hamburg 1993 Miteinander vertraut werden,Emmi Pikler,/Anna Tardos, Herder, Freiburg 1997 AIch bin ein Doktor auf Expedition@ Ein Film über das Leben von Eva Reich HeidrunMössner Filproduktion, Lustiger Strump 9, 27299 Langwedel, www.moessner-filmproduktion.de Prophylaxe von Regulationsstörungen bei Frühgeborenen: Entwicklungsfördernde Pflege und familienorientierte Nachsorge Friedrich Porz 2. Kinderklinik Klinikum Augsburg und beta Institut für sozialmedizinische Forschung und Entwicklung Augsburg Was will ich Ihnen vorstellen? Individuelle Betreuung von Frühgeborenen: • Das Konzept der sanften Pflege von M. Marcovic • Das NIDCAP-Konzept von H. Als Familienorientierte Nachsorge: • Das Konzept des Bunten Kreises Augsburg • Wissenschaftliche Begleitung (PRIMA-Studie) Implikationen für die Praxis Individuelle Pflege Marina Marcovich 1992 • Zurückhaltender Einsatz der intensivmedizinischen Techniken • Schonende Rücksichtnahme • Patientenbezogener Umgang mit den sehr kleinen Frühgeborenen • Hohes Maß an menschlicher Zuwendung • Psychosoziale Betreuung gleichrangig mit medizinischer Behandlung 1 Individualisierte entwicklungsfördernde Pflege nach H. Als (NIDCAP) Optimierung der Umgebungsbedingungen: • Geräusch- und Lichtreduktion • Lagerung, „Nesting“ Zudecken • Hilfen zur Selbstregulation, Stressreduktion • Frühes Einbeziehen der Eltern, „Känguruhen“ Individualisierte entwicklungsfördernde Pflege nach H. Als (NIDCAP) Optimierung der Pflege: • Auf die Bedürfnisse und den Verhaltenszustand des Kindes eingehend, Vermeidung von Routinemaßnahmen • Schmerzreduktion • Pflegemaßnahmen mit liebevoller Zuwendung, Nutzung der Pflegemaßnahmen zur Körperwahrnehmung, Stimulation und Interaktion • Schlaforganisation, Ruhephasen, keine Überstimulation Individualisierte entwicklungsfördernde Pflege nach H. Als (NIDCAP) Kurzzeiteffekte: • Kürzere Beatmungsdauer bzw. Sauerstofftherapie • Frühere volle enterale Ernährung • Geringere Rate an Hirnblutungen und anderen medizinischen Komplikationen wie BPD • Bessere Verhaltensregulation bei Entlassung • Kürzerer Krankenhausaufenthalt Langzeiteffekte: • Bessere motorische und kognitive Entwicklung • Verbessertes Langzeitverhalten 2 Individualisierte entwicklungsfördernde Pflege nach H. Als (NIDCAP) Auswirkungen auf die Hirnreifung: Fig 3. MRI DTI: comparison of control and experimental group infants at 2 weeks’ corrected age. Shown are examples of diffusion tensor maps from identical axial slices through the frontal lobes of a representative control group (A) and an experimental group (B) infant obtained at 2 weeks’ corrected age. Als et al Pediatrics 2004,113:846-857 Familienorientierte Nachsorge Was ist Case Management? Definition „Bunter Kreis“ Eine am Bedarf und an den Bedürfnissen der Familie orientierte Begleitung, Unterstützung und Vernetzung, die hilft mit der Erkrankung des Kindes und den veränderten Lebensbedingungen der Familie zurecht zu kommen. Vom Bedarf zum Bedürfnis 3 Das Frühgeborenen-Team Klinik Bunter Kreis Kinderkrankenschwestern Sozialpädagogen Psychologen Kinderarzt Familienstation Neonatol. Stationen Psychosoz. Dienst Spezialambulanzen Case Management in der Begleitung von Eltern von FG • • • • • Informationsvermittlung Anleitung Interaktionsförderung Stärkung des Vertrauens in die eigene Kompetenz Evaluation der Ressourcen und des Hilfebedarfs der Familie • Psychosoziale Beratung • Vernetzung • Hausbesuche PRIMA-Studie F. Porz, M. Diedrich, P. Bartmann 2006 Uni-Kinderklinik Bonn Randomisierte Studie Klinikum Augsburg Implementierungsstudie Familien ohne Nachsorge (Kontrollgruppe) Familien mit Nachsorge (Intervention) Familien mit Nachsorge n = 51 n = 53 N = 91 3 MesszeitPunkte: vor Entlassung, 6 & 18 Monate 3 MesszeitPunkte: vor Entlassung, 6 & 18 Monate 3 MesszeitPunkte: vor Entlassung, 6 & 18 Monate 4 PRIMA-Studie: Fragestellung Krankheitsbedingte Belastungen Hilfreiche Psychosoziale Ressourcen Psychosoziale Belastungen Unterstützung durch Case-Management Patientenfamilie Hypothese der PRIMA-Studie: Verbesserung der Mutter-Kind-Interaktion Reduktion der Belastungen Besseres Gesundheitsverhalten PRIMA-Studie: Instrumente Interaktion und mütterliche Sensibilität: • BCHAPS: Boston City Assessment of Parental Sensitivity (Zahr & Cole) Vor Entlassung • Video-Interaktions-Beobachtungen : MISPA (Mother-Infant Structured Play Assessment, Wolke) Mit korrigiert 6 Monaten Psychosoziale Belastungen: • Elterninterviews zur psychosozialen Belastung (FAI, PSI) • Trierer Persönlichkeitsfragebogen (TPF) • Partnerschaftsfragebogen (Dyadic Adjustment Scale) Jeweils vor Entlassung und mit korrigiert 6 und 18 Monaten sowie zwei Telefoninterviews 6 Monate bzw. 12 Monate nach Entlassung BCHAPS Boston City Hospital Assessment of Parental Sensitivity % 100 80 60 40 20 0 Reaktion Sprechen Berühren Intervention Bezogen Freut sich Kontrolle Anteil der Mütter mit maximaler Punktzahl von 5 je Item Mittelwerte Gesamtskalen Intervention 60,07 Mittelwerte Gesamtskalen Kontrolle 50,24 p 0,002 5 MISPA: Episoden Videoaufnahmen der Mutter-KindInteraktion in fünf Spielsequenzen: • • • • • Strukturiertes Spiel Freies Spiel Aufmerksamkeitsweckung Still Face Reunion (freies Spiel) 2.5 Minuten 2.5 Minuten 1 Minute 1.5 Minuten 1.5 Minuten MISPA: Kind Skalen Emotionale Regulation des Kindes 3,5 3,4 3,3 ## 3,2 3,1 # ## # 3 2,9 2,8 2,7 2,6 2,5 E1 E2 E3 Intervention # = p < 0.05 E4 E5 Kontrollgruppe ## = p < 0.01 MISPA: Mutter Skalen Mütterliche Sensibilität 4,5 4,4 4,3 4,2 4,1 # 4 # 3,9 3,8 3,7 3,6 3,5 E1 E2 Intervention E3 E5 Kontrollgruppe # = p < 0.05 6 MISPA: Dyadische Skalen Interaktion 4 3,9 3,8 3,7 # 3,6 3,5 3,4 3,3 3,2 3,1 3 E1 E2 E3 Intervention E5 Kontrollgruppe # = p < 0.05 MISPA: Mutter Skalen Mütterliche Sensibilität Gesundheitszustand des Kindes bei Entlassung 1 0,8 0,6 # # # 0,4 Differenz Intervention – Kontrolle 0,2 0 E1 E2 E3 E5 -0,2 gut eher schlecht MISPA: Mutter Skalen Mütterliche Sensibilität Sorgen, den Ansprüchen gerecht zu werden bei Entl. 1 0,8 0,6 # # # 0,4 Differenz Intervention – Kontrolle 0,2 0 E1 E2 E3 E5 -0,2 Keine Sorgen Sorgen 7 Elterliche Übereinstimmung Dyadic Adjustment Scale: Differenz Score T1 -T2 bzw. T1-T3: 1 0,95 0,9 # 0,85 0,8 0,75 0,7 0,65 0,6 0,55 0,5 T1 T2 Intervention T3 Kontrollgruppe # = p < 0,05 Psychosoziale Belastung PSI: Psychosozialer Stressindex 2,5 2,3 2,1 1,9 1,7 1,5 1,3 1,1 0,9 0,7 0,5 T1 T2 Intervention T3 Kontrollgruppe Was heißt das für die Praxis? • Konzepte der individuellen Betreuung von Frühgeborenen fördern die Hirnentwicklung in einer besonders wichtigen Phase und verbessern so das neurologische Outcome und die Verhaltensentwicklung. • Eine frühe interaktionsfördernde Begleitung der Eltern verbessert die Beziehungsaufnahme zum Frühgeborenen und kann so möglicherweise spätere Regulationsstörungen vermeiden helfen. 8 Unterstützung der Entwicklungsfördernden Betreuung durch den Bundesverband „Das frühgeborene Kind“ Leitsätze zur entwicklungsfördernden Betreuung in der Neonatologie www.fruehgeborene.de Fortbildungsangebot des AZLS Modulare Fortbildung: • 5 Module innerhalb von 1½ Jahren • Zusätzliche Aufbaumodule Wo kämen wir hin, wenn niemand ginge um zu schauen wohin man käme wenn man ginge Danke und tschüss Kurt Marti 9 Weitere Infos • • • • www.stillen.de www.fruehgeborene.de www.bunter-kreis.de www.beta-institut.de Literatur • Als H, Duffy F, McAnulty G (1996). Effectiveness of individualized neurodevelopmental care in the newborn intensive care unit. Acta Paediatr Suppl 416:21 • Als H, Gilkerson L, Duffy FH, McAnulty GB, Buehler DM, Vandenberg K, Sweet N, Sell E, Parad RB, Ringer SA, Butler SC, Blickman JG, Jones KJ (2003). A three-center, randomized, controlled trial of individualized developmentally supportive care for very low birth weight preterm infants: medical, neurodevelopmental, parenting and caregivuing effects. J Dev Behav Pediatr 24:399-408 • Als H, Duffy FH, McAnulty GB, Rivkin MJ, Vajapeyman S, Mulkern RV, Warfield SK, Huppi P, Butler S, Conneman N, Fischer C, Eichenwald EC (2004). Early Experience alters brain function and structure. Pediatrics 113:846-857 • Buehler DM, Als H, Dzffy FH, McAnulty GB, Liederman J (1995). Effectiveness of individualized developmental care for low-risk preterm infants: behavioral and electrophysiologic evidence. Pediatrics 96:923-932 Literatur • Charpak N, Ruiz JG, Zupan J, Cattenaeo A, Figueroa Z, Tessier R, Cristo M, Anderson G, Ludington S, Mendoza S, Mokhachane M, Worku B (2005). Kangoroo mother Care: 25 years after. Acta Paediatrica 94:514-522 • Fischer CB, Als H (2003). Was willst Du mir sagen? Individuelle entwicklungsförderne Pflege auf der Neugeborenenintensivstation zur Förderung der Entwicklung des frühgeborenen Kindes. In: Nöcker-Ribaupierre M (Hrsg.): Hören – Brücke ins Leben. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 17-43 • Gutbrod T, Wolke D (2003). Bindungsaufbau bei sehr frühgeborenen Kindern. In: Nöcker-Ribaupierre M (Hrsg.): Hören – Brücke ins Leben. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 61-84 • Jotzo M (2004). Trauma Frühgeburt? Ein Programm zur Krisenintervention bei Eltern. Frankfurt: Peter Lang • Jotzo M, Poets CF (2005). Helping parents cope with the trauma of premature birth: An Evaluation of trauma-preventive pschycological intervention. Pediatrics 115:915-919 10 Literatur • Linderkamp O, Beedgen B, Sontheimer D (1995). Das Konzept der sanften Behandlung Frühgeborener von Marina Marcovic. Eine kritische Bewertung. Int J Prenat Perinat Psychol Med 7:73-84 • Linderkamp O, Gharavi B, Schott C (2004). Das Konzept der sanften Pflege frühgeborener Kinder – Eine Übersicht. kinderkrankenschwester 23:312-316 • Porz F, Vonderlin E, Freud WE (1998). Psychosoziale Betreuung Frühgeborener und deren Eltern. Int J Prenatal and Perinatal Psychology and Medicine 10:89-96 • Porz F (2003). Case-Management in der Nachsorge bei Frühgeborenen und Risikoneugeborenen nach dem Augsburger Modell. In: Porz F, Erhardt H. Hrsg. Case-Management in der Kinder- und Jugendmedizin. Neue Wege in der Nachsorge. Stuttgart: Thieme 31- 34. • Sarimski K (2000). Frühgeburt als Herausforderung. Psychologische Beratung als Bewältigungshilfe. Göttingen: Hogrefe 11 Wie kann man integrative Eltern- /Säuglings- und Kleinkindberatung in der Elternberatung anbieten? Ingrid Kloster, IBCLC Indikationen für die Eltern-/Säuglings-Kleinkindberatung Schreiproblematik bei jungen Säuglingen Schlafstörungen Ess- oder Fütterstörungen Bindungsstörungen Abgrenzungsproblematik Chronische Erschöpfungs- zustände bei den Eltern Aggression oder Ablehnung gegenüber dem Baby Depression Die integrative Eltern-/Säuglings-Kleinkindberatung sollte Grundsätzlich lösungs- und ressourcenorientiert sein Individuell auf jedes Kind und die jeweiligen Eltern abgestimmt sein Auf die jeweils unterschiedlichen Beziehungen zugeschnitten sein In Kürze zu positivem Erleben führen Wichtigste Ressourcen in der Beratung Intuitive elterliche Kompetenzen Integrative Kompetenz des Babys auf Grund von positiven, geglückten Interaktionserfahrungen Was ist die Aufgabe des Beraters? Eltern eine sichere Basis vermitteln Eltern durch Unterstützung und Begleitung in ihren intuitiven Kompetenzen und Fähigkeiten stärken Eltern sensibel machen für die kindlichen Signale Eltern in die kindliche Erlebniswelt eintauchen lassen Dem Kind eine sichere Basis vermitteln Das Kind als aktiven Partner gemeinsam mit seinen Eltern wahrzunehmen und die Bedürfnisse des Babys angemessen zu beantworten Den Bezug zum Alltag herstellen (Integration in das familiäre Umfeld) Positive Interaktionsmuster umsetzen Wie kann die Beratung im konkreten Fall aussehen? Fallbeispiel Mira: Alter bei Erstvorstellung drei Wochen Problematik: Stillprobleme, kindliche Gedeihstörung Zweiter Kontakt Im Alter von sechs Wochen zunehmende Schreiproblematik Überlange Wachphasen tagsüber Häufiges Erwachen nachts Immer wieder heftige Schreiattacken Baby trinkt sehr unruhig Lässt sich von der Mutter nur schwer beruhigen Mutter zweifelt daran, eine „gute Mutter“ zu sein Fühlt sich ausgebrannt und erschöpft Es kommt immer häufiger zum Streit mit dem Partner Praktische Vorgehensweise Erste Beratungsstunde: Weitervermittlung zur pädiatrischen Untersuchung (Ausschluss körperlicher Ursachen wie Schmerzen usw.) Evtl. interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Osteopathen und Physiotherapeuten bei Bedarf Erste Hilfe- Maßnahmen Timeout für Eltern Ablegen des Kindes bei großer Anspannung, Aggression oder Erschöpfung Erst selbst entspannen, dann erneuter Versuch, das Baby zu beruhigen Psychische und körperliche Entlastung der Eltern aufgefangen werden Ressourcen der Entlastung innerhalb und außerhalb der Familie müssen besprochen und nutzbar gemacht werden Dokumentation durch die Eltern über…. Schlaf- und Wachzeiten Schreiphasen Still- oder Fütterzeiten Befindlichkeit des Babys in den Wachphasen Befindlichkeit der Eltern Schöne Momente im Tagesablauf In den weiteren Beratungsstunden Entwicklungsberatung Die Eltern bekommen Information über die aktuellen Entwicklungsaufgaben ihres Babys Entwicklungsaufgaben 0 – 3 Monate Das Kind ist noch in besonderem Maße von der regulatorischen Unterstützung seiner Bezugsperson abhängig Intensive physiologische Anpassungsprozesse laufen ab Babys mit einer gut entwickelten Selbstregulation können schon früh einen ruhigaufmerksamen Wachzustand aufrechterhalten Sie können bei Ermüdung abschalten Sie können sich durch Saugen an den Händen beruhigen und in den Schlaf finden Die belasteten Eltern müssen ernst genommen und Was tut dem Baby gut? Vertraute Personen Ruhiges und langsames Sprechen Sanfte Berührungen Körperkontakt Getragen werden Regelmäßigkeit Struktur im Tagesablauf Rituale Saugen Ruhe und genügend Schlaf Eine zufriedene und ruhige Mutter Schnelle stimmige Reaktion auf seine Signale Kommunikation mit der Mutter während der Aufmerksamkeitsphasen Einsamkeit Lärm Helligkeit (zu grelles Licht) Unregelmäßigkeiten Was mag das Baby nicht gerne? Angespannte, nervöse Mütter Hektik Zu viele Kontakte und Unternehmungen Starkes Schütteln und Schaukeln Was sind Überforderungs-, oder Rückzugssignale? Stirnrunzeln Gähnen Schluckauf Kind geht aus dem Blickkontakt Kind dreht sich weg Kind zieht Arm oder Bein weg Kind schreit, weint Was sind Kommunikationssignale? Augen des Kindes sind weit geöffnet Das Kind hält Blickkontakt Das Kind verfolgt mit den Augen Es lächelt Sein Körper wirkt entspannt Die Arme werden ausgestreckt Normales Schlafverhalten eines Säuglings Die Erwartung sehr oft gestillt zu werden ist Babys angeboren (Dr. Katherine Dettwyler PhD) Was spricht dafür? Die Zusammensetzung der Muttermilch Die Tatsache, dass bei allen höheren Primaten die Mütter ihre Jungen viele Jahre lang am Körper tragen Die Größe des Magens eines Säuglings Die Schnelligkeit, mit der Muttermilch verdaut wird Die Notwendigkeit einer häufigen Nahrungszufuhr für das Wachstum des menschlichen Gehirns Kinder kommen mit der angeborenen Erwartung zur Welt, dicht neben ihren Eltern zu schlafen (Katherine Dettwyler PhD) Therapie Das Ziel einer jeden Therapie sollte sein, die Eltern in ihrem natürlichen, intuitiven und fürsorglichen Verhalten zu stärken Viele unserer sozialen Gesellschaftsaspekte hemmen diese elterliche Fürsorge Therapie Therapieziel erarbeiten: Einschlafen im eigenen Bett oder im Bett der Eltern? Einschlafhilfen welcher Art? Beziehungsstärkendes Einschlafritual Immer in der gleichen Reihenfolge ablaufend (Kind kann Erwartungshaltung aufbauen) Geborgenheit und Zärtlichkeit vermitteln Ruhige Umgebung Möglichst außerhalb des Bettchens Dem Entwicklungsstand angemessen Reizreduktion Überreizung durch intensive, ständig wechselnde Stimulation vermeiden Schaffen von gemeinsamen Ruhesituationen tagsüber Übermüdung vermeiden, regelmäßig nach 1 bis 1,5 Stunden Wachphase wieder zum Schlafen bringen Geregelten Schlaf- Wach- Rhythmus anbahnen, einen zyklischen Wechsel von Aufwachen- Stillen- Wachphase- Schlaf einüben Ausnutzen der Wachphasen für entspannte Kommunikation, Spiele unter Berücksichtigung von Ermüdungs- und Überforderungssignalen Befreiung von Beschäftigungsprogrammen und Förderdruck Stressfreien Spielraum schaffen, zum Beispiel Stillgruppe …auch für Väter eine gute Erfahrung Zeit lassen Begleiten Unterstützen Rahmen geben Kommunikationsanleitung Spontane Kommunikationsmuster während des Gespräches werden aufgegriffen und besprochen Feinfühligkeitstraining mit den Eltern Entspannte Situationen des Zwiegesprächs oder des gemeinsamen Spiels werden genutzt um positive Gegenseitigkeit zu erfahren Videodiagnostik Wenn möglich Videoaufzeichnung einer gelungenen Eltern- Kind- Interaktion Dadurch gelingt es häufig, die elterlichen guten Fähigkeiten oder die des Babys deutlicher zu machen und zu besprechen Betrachtung der psychodynamischen Zusammenhänge Biographie der Eltern ( in diesem Fall eigene traumatische Kindheitserfahrung der Mutter) Unbewusste Trennungsproblematik Baby als Repräsentant unbewussten Erlebens eines Elternteils? Interdisziplinäre Zusammenarbeit Weitervermittlung zu verschiedenen Therapiemöglichkeiten: Familientherapie Psychotherapie Paartherapie Literaturhinweise Largo, R.H.: Babyjahre Fries M.: Unser Baby schreit Tag und Nacht Papousêk M., Schieche M., Wurmser H.: Regulationsstörungen der frühen Kindheit Gonzales C.: In Liebe wachsen Stern D. N.: Die Mutterschaftskonstellation Regulationsstörungen Erklärungsansätze Vortrag Symposium 28.04.2006 Dr. Andreas Wiefel Kinderarzt, Kinder- und Jugendpsychiater, Familientherapeut HANDOUT: WWW.CHARITE.DE Augustenburger Platz 1a, 13353 Berlin, Fon: 030/450 666 043 e-mail: [email protected] Die Baby und Kleinkindsprechstunde im Mutter-Kind Zentrum der Charité : Geburtsmedizin und Otto-Heubner Centrum für Kinder- und Jugendmedizin Kinderkliniken Ambulanzen und Stationen Interdisziplinäres SPZ: Geburtsmedizin/Neonatologie/Interdisziplinär/Neurologie Interaktionssprechstunde als Querschnittsangebot Anmeldung: 450 566 229 Leitung: Oberarzt Dr. A. Wiefel [email protected] Inhalt Schreien an sich: Was ist das für ein Phänomen? Homöostase und komplexe Modelle Kondensat: Beziehung Interaktionsdiagnostik Internaler Zustand: (aus Beziehungen entstehend?) Krankheit? Behandlung Besondere Risiken Don‘t cry for me… Begriff: anhaltendes, unerklärliches Schreien. Wessels-Kriterien: >3 Std. an >3 Tagen subjektives Empfinden Schreimuster Interkulturell Alvarez London 1996 mittleres Schreien in Dänemark so wie in USA und Grossbritanien Tirosh Haifa 2003 jüdische und arabische Kinder gleich Ursachen Bankole Nigeria 2004: Falsche Vorstellung, Fieber Unruhe etc hängt mit Zahnen zusammen v.a. bei erfahrenen Hebammen und Männern Thiel-Bonney Heidelberg 2004: Geburtsstress kann Dysregulation befördern Lucas London 1998 Flaschennahrung legt den Zeitpunkt des Schreiens nur vor System der basalen adaptive Verhaltensregulation: Toleranzgrenzen von Aktivierung und Hemmung Papousek Funktionszentriertes Modell Papousek Kommunikationszentriertes Modell PIR-GAS Hofacker Altersstruktur v. Hofacker, 1996 DC 0-3R Achse II: Beziehung zur primären Bezugsperson 10 Misshandelnd 60 Gestresst 20 Akut gefährdend 70 Unausgewogen 30 Schwer gestört 80 Etwas unausgewogen 40 Gestört 90 Adaptiert 50 Dysfunktional 100 Gut adaptiert Interaktionsdiagnostik Regulationsstörung in den ersten Monaten Still-face Exzessives Klammern/Unzufriedenheit Spielprobleme im zweiten Halbjahr Spiel mit kurzer Trennung Motorische Umtriebigkeit Wickelsituation Trotzverhalten im zweiten Lebensjahr Regeln oder kleine Verbote im Setting Gedeihstörungen Fütterinteraktion „Familiendynamik“ Adaptation des „Lausanner Spiels“ Internaler Zustand Fuller Denver 1994 Schreien von Schreibabys ist stärker ausgeprägt als bei Kontrollen und spricht für Statusdysregulation Barth Hamburg 2000 Symptome sind Ausdruck des „internal state“ (internaler Zustand). Kindliche Signale werden oft falsch verstanden und Antworten ist schwierig Cole Peenysilvania 1994 Wird aus dem Status ein Aspekt der Persönlichkeit? Internaler Zustand Lehtonen Finnland 1994 Kinder mit Koliken haben gleiches Temperament und Schlafmuster wie Kontrollen, aber Mütter sehen sie negativer Blum Philadelphia 2002 Temperament mit 4 Wochen korreliert mit Schreien mit 2 Monaten Krankheit? Wake Melbourne 2006 Wenn an mindestens drei Messpunkten bis 24 Monate unstillbares Schreien war, dann erhöhte Depression der KM und Verhaltensauffälligkeit beim Kind ADHS? Wolke ja, Laucht nein Leitlinien Diagnostik Tipps und Tricks oder soft skills? Bücher Leitlinien Therapie Therapie - Evidenz St James London 1995 Tragen, besser kümmern, nichts tun macht keinen Unterschied Parkin Toronto 1996 Edukation, Auto fahren, nichts tun macht keinen Unterschied Jordan Melbourne 2006 Behandlung mit Placebo vs Medis vs Gespräch reduziert Schreien gleich. Weniger PT nötig in der PT Gruppe. Dias New York 2005 Aufklärung und Alternativen senkt Schütteltrauma um 50% Richtungen Interaction guidance Watch, wait and wonder Psychoanalytische Modelle Körpertherapie Allgemeine Empfehlungen • Adäquates Säuglingshandling • Strukturierung des Tagesablaufs • Psychosoziale Entlastung der Bezugsperson • Sicherstellung ausreichender Tagschlafphasen • Vermeiden von Übermüdung und Überreizung/-stimulation • Anpassung der Beruhigungspraktiken Therapieelemente 1 •Entwicklungspsychologische Beratung •Ergotherapie/Logopädie/Sozialarbeit (Jugendamt, Helferkonferenz) •Video feed back anhand ausgesuchter, standardisierter und freier Beobachtungen von Interaktionssequenzen •Mutter/Vater-Säuglings-Psychotherapie: •Therapeutisches Spielen bzw. Therapeut-geleitete Interaktion sowie Therapeutenspiel und elterliche Beobachtung •Verbalisierung, Darstellung und Utilisation affektiver Prozesse •Systemisch orientierte Familientherapie Therapieelemente 2 •Fokale Gesprächstherapie mit dem Ziel der Identifizierung •protektiver Faktoren bzw. ungenutzter Ressourcen •Einzeltherapie der Eltern(teile) •Pflegerisch-erzieherische Verfahren zur Entspannung und Förderung der Eltern-Kind Beziehung (z.B. Babymassage, Badeverfahren) •Angeleitetes Interaktionstraining z.B.: Schlafstörungen: „checking“ •Gruppentherapie mit Eltern Stationäre Therapie - Wochenplan Zeit Montag 8 Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Frühstück Frühstück Frühstück Frühstück 9 Aufnahme Visite Visite Visite Visite 10 Anamnesegespräch Entwicklungsdiagnostik Somatische Diagnostik Videodiagnostik Video feedback und -therapie Mittag Mittag Mittag Mittag Mittag Stationseinführung Babyhandling Babyhandling/ Therapie Therapie Abschlussintervention 17 Anamnesegespräch Elterngruppe 18 Abendessen Abendessen Abendessen Abendessen 19 Einschlafzeit Einschlafzeit Einschlafzeit Einschlafzeit 11 12 13 14 15 16 Elterngespräch Kindergruppe Therapiepfade 1. Kurzberatung •1-2 Termine insgesamt, follow up 2. Mittlere Intensität der Maßnahmen: •Familientherapie, funktionelle Therapien •Interdisziplinäres SPZ für chronisch kranke Kinder •Elterngruppe, sequentiell stationär •Externe Ergänzungen (Einzeltherapie) •Coaching, Evaluation, 3-6 Termine/Quartal 3. Hohe Intensität der Maßnahmen: •„Case management“ •Stationäre Therapie/Jugendhilfe, Eltern-Kind Einrichtung •Jugendamt, Helferkonferenz, Sozialarbeit •Systemisches Coaching, Evaluation, 1-4 Termine/Quartal „Earned security“ „Soziale Kontrolle“ Vernetzung Kooperation, Zuweisung, Vernetzung: Schwangerenberatung Geburtsmedizin/Hebammen Geburtshaus Kinderärzte/KJP ambulant/stationär Frühförderung Beratungsstellen Gesundheitsamt/Jugendamt Psychiatrie Take-Home Klassifikation DC 0-3R: Beziehung Eltern-Kind-Interaktion ist ein zentraler Mediator Vertrauen Sie Ihrem „first glance“ Schweregrad beachten Suchen Sie sich komplementäre Partner für Diagnostik und Therapie der frühkindlichen Psychosomatik (Interdisziplinarität) Literatur Buchheim, A; Brisch, KH: Die klinische Bedeutung der Bindungsforschung. 1999 Cierpka, M Dornes, M: Der kompetente Säugling. 1993 Dornes, M: Die frühe Kindheit. 1997 Dornes, M: Die emotionale Welt des Kindes. 2000 Fries, Mauri: Unser Baby schreit Tag und Nacht Freud, A: Die Schriften der Anna Freud. 1980 Hartmann, HP Keller, H: Entwicklungspsychologie. 1998 v. Klitzing, K (Hg.): Psychotherapie in der frühen Kindheit. 1998 Oerter, R (Hg.): Entwicklungspsychologie. 1995 Papousek, M: Regualtionsstörungen. 2004 Spitz, R: Die Entstehung der ersten Objektbeziehungen: Direkte Beobachtungen an Säuglingen im ersten Lebensjahr. 1954 Stern, D: Die Lebenserfahrung des Säuglings. 1992 Stern, D: The Birth of a Mother/Mutterschaftskonstellation. 1998 Wiefel, A et al.: Emotional Availability in Infant Psychiatry. 2005 Wiefel, A: Schreibabys. 2005 Zero to Three: DC 0-3R. 2005 Ziegenhain, U Am 28. und 29.04. veranstaltete das Ausbildungszentrum für Laktation und Stillen in Kooperation mit der GAIMH Deutschland in Berlin auf dem Campus Virchow Klinikum der Charité das interdisziplinäre Symposium „Schreien, Schlafen, Wachen. Normale Krisen und Regulationsstörungen im Kindes- und Jugendalter.“ Im ersten Vortrag des Diplom-Psychologen Markus Wilken stand die Situation von Eltern mit Säuglingen mit Regulationsstörungen im Mittelpunkt. Die Eltern leiden in der Regel unter akutem Schlafmangel, Selbstzweifeln und Schuldgefühlen dem Kind gegenüber. Ziel der Elternberatung ist es, je nach Bedarf Erholungsmöglichkeiten für die Eltern zu schaffen, positive Kontakterfahrungen zwischen Eltern und Säugling zu ermöglichen und den Eltern das Gefühl zu vermitteln, dass sie kompetent sind, so dass sie wieder den Zugang zu ihren intuitiven Elternfähigkeiten finden. Anschließend wurden die individuellen Schlafbedürfnisse von Babys und die Erwartungen der Eltern näher beleuchtet. Weinen und nächtliches Aufwachen sind wichtige frühkindliche Regulatoren der Nahrungsaufnahme. Weint ein Baby sehr selten und schläft schon früh durch, kann das sogar ein erhöhter Risikofaktor für die Entwicklung von Gedeihstörungen sein, da das Baby womöglich nicht die optimale Nahrungsmenge einfordert. Dass ein Kind nachts durchschläft, kann in der Regel erst zwischen dem 6. und 8. Lebensmonat erwartet werden, weil erst jetzt der Tag-Nacht-Rhythmus voll entwickelt ist. Schlafstörungen sind das häufigste Störungsbild in der frühen Kindheit. Nicht selten erwarten Eltern mehr Schlaf, als dem kindlichen Schlafbedürfnis entspricht. Als Ursachen von Schlafstörungen in der frühen Kindheit werden häufig unsichere Bindung, dysfunktionale Interaktionsmuster und eine unklare Tagesstruktur diagnostiziert. In der Therapie stehen die ElternKind-Kommunikation, die Einführung eines Schlafrituals und die Strukturierung alltäglicher Abläufe im Fordergrund. Im Vortrag der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Dr. Mauri Fries stand dann in Ergänzung zum Vortrag von Markus Wilken das Kind im Zentrum. Das Baby zeigt durch Feinzeichen in Motorik, Mimik, Interaktionsverhalten und Zeichen des autonomen Nervensystems (Zittern, Blässe, kalte Händchen, Schluckauf, etc.) seine Belastung. In der Arbeit mit Eltern mit Säuglingen mit Regulationsstörungen schult Frau Fries die Eltern in der Wahrnehmung der Feinzeichen des Babys und fördert so gleichzeitig die Intuition der Eltern. Durch die aufmerksame Beobachtung ihres Babys nehmen die Eltern das Baby und auch sich selbst (wieder) bewusster wahr, was eine wichtige Basis für eine gelingende und positive Interaktion und Koregulation ist. Dr. Alfred Wiater vom Schlafmedizinischen Zentrum des Krankenhauses Porz am Rhein wies in seinem Vortrag auf die Bedeutung der Diagnostik im Schlaflabor im Säuglings- und Kleinkindalter hin. Eine Diagnostik im Schlaflabor ist dann ratsam, wenn ein Kind sich sehr häufig verschluckt und dabei blau anläuft, sehr unruhig schläft oder auch bei exzessivem Schwitzen in der Nacht. Durch die Schlaflabordiagnostik können Sauerstoff-sättigungsabnomalien festgestellt werden, die eine medizinische Behandlung erfordern. Dr. Andreas Wiefel, Leiter der Baby- und Kleinkindsprechstunde der Charité, gab in seinem Vortrag einen Überblick über mögliche Ursachen für frühe Regulationsstörungen. Häufig werden dysfunktionale Kommunikationsmuster zwischen Eltern und Kind, Überstimulierung des Babys, präund perinatale Streßfaktoren, sozioökonomische Belastungen und/ oder adoleszente Eltern im Zusammenhang mit frühen Regulationsstörungen diagnostiziert, so dass die Beziehung zwischen den Eltern und ihrem Kind eine zentrale Stellung in der Behandlung einnimmt. Wichtig ist jedoch in jedem Fall, dass vor einer psychotherapeutischen Behandlung mögliche medizinische Ursachen der Regulationsstörung abgeklärt werden. Die Diplom-Psychologin Jule Dräger stellte den Ansatz Emotionelle Erste Hilfe als Maßnahme der Krisenintervention für Eltern mit Säuglingen mit Regulationsstörungen vor. Die hilfesuchenden Eltern sind verzweifelt, fühlen sich hilflos und sind körperlich verspannt. Die Eltern sind nicht im inneren Gleichgewicht, haben den Kontakt zu sich selbst verloren. Dadurch können sie nicht mehr in einen emotional stabilisierenden Kontakt mit ihrem Baby treten und es nicht bei der Regulation seiner Gefühle unterstützen. Der Ansatz sieht die gute Selbstregulation der Eltern als grundlegende Voraussetzung für eine gute Bindungsregulation zwischen den Eltern und ihrem Kind. Durch Körperarbeit und Atmung werden die Eltern wieder „mit sich selbst angebunden“ und können so wieder einen positiven emotionalen Kontakt zu ihrem Kind herstellen. Die Eltern erkennen, dass sie durch ihre Fähigkeit, sich zu entspannen und bei sich zu bleiben, ihr Baby positiv beeinflussen. Diese Erfahrungen stärken das Selbstvertrauen und die intuitiven Fähigkeiten der Eltern. Das Verfahren ist leicht anwendbar und sehr erfolgreich, was von verschiedenen Teilnehmern der Veranstaltung, die dieses Verfahren in der Praxis anwenden, bestätigt werden konnte. Dr. Michael Schieche vom Kinderzentrum München stellte Präventionsmöglichkeiten durch Spielund Aufmerksamkeitsregulation in der frühen Kindheit für Eltern und ihre chronisch unruhigen Säuglinge vor. Im Zentrum dieses Ansatzes steht die Eltern-Kind-Interaktion. Das gemeinsame Spiel von Eltern und Kind ermöglicht eine zwanglose und positive Interaktion, Selbstwirksamkeitserfahrungen für das Kind und positives gemeinsames Erleben. Die Eltern werden in Gesprächen und mithilfe von Videoaufzeichnungen für die kindlichen Signale und ihre eigenen Kompetenzen sensibilisiert. Ziel ist die Entwicklung funktionaler Interaktionsmuster und Komunikationsformen, die das Kind in seiner Selbstregulation unterstützen und die Bedürfnisse aller Beteiligten berücksichtigen. Dr. Heiner Biedermann als Spezialist für orthopädische Pathologie im Kindesalter erläuterte das KISS-Syndrom als mögliche Ursache für Schlafstörungen und exzessives Schreien im Säuglingsalter. KISS – Kopfgelenk-Induzierte SymmetrieStörung – ist eine funktionelle Störung der oberen Halswirbelsäule. Ursachen sind schwere Geburten, z.B. Saugglocke, Beckenschieflage u.ä. Es scheint jedoch auch eine genetische Veanlagung ursächlich zu sein, da die Eltern betroffener Kinder, in der Regel das gleichgeschlechtliche Elternteil, sehr häufig ebenfalls diese Symptomatik aufweisen. Kennzeichen sind deutliche Asymetrien im Gesicht, schiefe Halsstellung, Überstreckung nach hinten u.ä. Auffälligkeiten in der Haltung. Für KISS-Kinder sind Einschlafstörungen typisch und auch häufiges Schreien ist nicht selten. Bei entsprechender Diagnosestellung schlafen die Kinder nach der erfolgten manuellen Therapie in der Regel ruhiger. Auch bei den Schreibabys lässt das Weinen nach der Behandlung in 60 % der Fälle deutlich nach. Die Ergotherapeutin Claudia Adams vom Kinderzentrum München stellte die Möglichkeiten ergotherapeutischer Interventionen bei motorischer Unruhe, Aufmerksamkeitsdysregulation und leichter Irritierbarkeit in der frühen Kindheit vor. Durch gezielte und wiederholte Angebote von Sinnesreizen – z.B. Berührung der Haut, Schaukeln, gemeinsames Spiel, etc. – werden die Aufnahme und Integration von Sinneseindrücken unterstützt, die Körperwahrnehmung und die motorische Koordination gefördert und die Fähigkeiten der Selbstregulation des Kindes gestärkt und erweitert. In Zusammenarbeit mit den Eltern werden durch Gespräche, Videoaufnahmen und individuelle Maßnahmen, wie z.B. Babymassage, Unterstützung bei einer optimaleren Strukturierung der alltäglichen Abläufe in der Familie u.ä. die elterlichen Ressourcen und Kompetenzen gestärkt. Die Hebamme und Familientherapeutin Margarita Klein vom Hamburger Kreisel e.V. stellte die Möglichkeit der Körperorientierung und Babymassage in der systemischen Familientherapie vor. In ihrer Arbeit mit Eltern mit Babys, die exzessiv schreien, sehr unruhig sind, schlecht schlafen und/ oder problematisches Fütterverhalten zeigen, ermöglicht Margarita Klein den Familien durch Gespräche, Videofeedback und Berührung neue Erfahrungen. Dadurch werden die Familien unterstützt, ihre Ressourcen zu erkennen, die für sie passende Lösung zu finden und konstruktive Veränderungen zu meistern. Der Berührung durch Massage kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Die Berührungen ermöglichen das „sich fühlen“, das Finden der eigenen Mitte, sowohl für das Baby als auch für die Eltern. Die Babymassage ermöglicht einen positiven und entspannten Kontakt zwischen Eltern und Baby und schafft so eine neue Basis für eine positive Kommunikation und Koregulation. Der österreichische Kinderarzt Dr. Franz Paky beleuchtete die Thematik „Baby im Elternbett – Geborgenheit oder Gefahr?“ Weltweit ist dies die häufigste Form des Schlafens. Immer wieder haben verschiedene Studien jedoch auf die Gefahr, insbesondere bzgl. des plötzlichen Kindstodes, hingewiesen. Dr. Paky zeigte auf, dass bislang aber keine der Studien einen eindeutigen Zusammenhang belegen konnte, wenn Risikofaktoren, wie Nikotin-, Alkohol- oder Drogenmissbrauch der Mutter o.ä. berücksichtigt werden. Säuglinge, die – unter günstigen Bedingungen - im Elternbett schlafen, weinen weniger und gedeihen besser. Das Schlafen im Elternbett kann also durchaus als präventiver Faktor für frühkindliche Regulationsstörungen gesehen werden. Wichtig ist eine differenzierte Betrachtung, denn nicht für alle Eltern und Säuglinge ist diese Form des Schlafens optimal. Das Schlafen im Elternbett sollte deshalb jedoch nicht grundsätzlich als zu gefährlich abgewertet werden. Im Vortrag von Dr. Martina Jotzo aus der Neonatalogie standen die Kommunikationsprobleme zwischen Eltern und Kind im Mittelpunkt. Frühe Regulationsstörungen sind oft auch Ausdruck einer missglückten Kommunikation zwischen den Eltern und ihrem Baby. So überfordern Eltern von sehr häufig weinenden Babys nicht selten ihr Kind mit zu vielen Angeboten, wie tragen, auf dem Petziball hüpfen, ständiger Haltungswechsel des Babys, etc., um es zu beruhigen. So entsteht ein Teufelskreis: Das Baby zeigt durch Weinen seine Überforderung, wird von den Angeboten der Eltern jedoch noch mehr überfordert. Die Eltern versuchen immer neue Strategien, um ihr Baby zu beruhigen, so dass am Ende beide Seiten – Eltern und Kind – überfordert sind. Ingrid Kloster berichtete aus der Praxis ihrer integrativen Eltern-Säuglings-/ Kleinkindberatung bei exzessivem Schreien, Schlafstörungen und Fütterstörungen. Die Beratung ist ressoucen- und lösungsorientiert, informiert über die Entwicklung des Kindes und unterstützt positive Interaktionserfahrungen. Als sehr wichtig hat sich die Kooperation mit medizinischen und therapeutischen Einrichtungen erwiesen, an welche Frau Kloster die Eltern gegebenenfalls weiterverweisen kann. Abschließend berichtete Dr. Friedrich Porz, OA der Kinderklinik Augsburg und stellvertretender Geschäftsführer des Vereins „Bunter Kreis“, vom Augsburger Case-Management- und Nachsorgemodell. Eltern mit sehr frühgeborenen Säuglingen werden schon während des Klinikaufenthaltes von einem interdisziplinären Team begleitet, welches die Eltern psychisch, sozial, medizinisch und finanziell unterstützt und die Familie auch nach der Entlassung so lange wie nötig begleitet. Im Durchschnitt können die Eltern früher entlassen werden und es kommt seltener zu Wiedereinweisungen. Die Veranstaltung hat verdeutlicht, wie komplex das Thema früher Regulationsstörungen ist. Um die Diagnostik, Prävention und Therapie früher Regulationsstörungen weiter verbessern zu können, ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit von wesentlicher Bedeutung. Entwicklungsbedarf besteht insbesondere in der Vernetzung und Kooperation sowie in der Diagnostik für null bis 3jährige. Des weiteren fehlen bislang Längsschnittstudien, die Aussagen über mögliche Langzeitfolgen früher Regulationsstörungen erlauben. Über die Internetseite des Ausbildungszenrtums für Laktation und Stillen – www.stillen.de – werden in Kürze die Vorträge der Referent(inn)en erhältlich sein. Internetseiten der Referent(inn)en www.markus-wilken.de www.mauri-fries.de www.charite.de/rv/kpsych/baby.html www.jule-draeger.de www.emotionelle-erste-hilfe.de www.kinderzentrum-muenchen.de www.kiss-info.de www.kreiselhh.de www.bunter-kreis.de