PDF Islamisches Alltagsleben in Deutschland

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PDF Islamisches Alltagsleben in Deutschland
Islamisches
Alltagsleben in
Deutschland
Thomas Lemmen und Melanie Miehl
Bonn, 2001 - 110 S.
Gesprächskreis Migration und Integration
ISBN 3-86077-886-2
© Friedrich-Ebert-Stiftung
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Vorbemerkung
Abkürzungen
Zusammenfassung
Thomas Lemmen
Islamische Religionsausübung in Deutschland
1. Einführung: Themenbeschreibung
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1.1 Aufgabenstellung
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1.2 Inhalt und Aufbau
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1.3 Quellen und Literatur
2. Muslime in Deutschland – ein aktueller Überblick
3. Problemfelder islamischer Religionsausübung in Deutschland
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3.1 Religionsfreiheit und ihre Grenzen
3.2 Moscheebau
3.3 Beten und Fasten an der Ausbildungs- oder Arbeitsstätte
3.4 Islamische Feste als gesetzlich anerkannte Feiertage?
3.5 Namensgebung und Namensänderung beim Übertritt zum Islam
3.6 Fragen der Beschneidung von Kindern
3.7 Islamisches im Konflikt mit zivilem Eherecht
3.8 Islamische Bestattungen in Deutschland
3.9 Probleme hinsichtlich der Speisevorschriften
3.10 Bekleidungsvorschriften in ihren Auswirkungen für Frauen
4. „Seelsorge" an Muslimen in öffentlichen Institutionen
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4.1 Voraussetzungen des Grundgesetzes
4.2 Selbstverständnis der Muslime
4.3 Schlußfolgerungen
5. Lösung der Probleme durch Verleihung der Körperschaftsrechte?
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Melanie Miehl
Hauptbereiche muslimischer Religionsausübung
1. Einleitung
2. Grundsatzfragen
3. Die fünf religiösen Grundpflichten
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3.1 Das Glaubensbekenntnis
3.2 Das Gebet
3.3 Das Fasten
3.4 Das Almosen
3.5 Die Wallfahrt
4. Islamische Feste
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4.1 Der Kalender
4.2 Die Vielfalt der Feste
4.3 Einzelne Feste
5. Individuelle Übergangsriten
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5.1 Geburt in die oder Konversion zur islamischen Gemeinde
5.2 Beschneidung
5.3 Hochzeit und Ehe
5.4 Tod und Bestattung
6. Speisevorschriften
7. Bekleidungsvorschriften
Literaturverzeichnis
Gerichtsentscheide
Zum Autor/zur Autorin
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Vorbemerkung
Im Einwanderungsland Deutschland hat sich als Folge der Anwerbung von ausländischen
Arbeitnehmern und dem Nachzug ihrer Familienangehörigen eine zahlenmäßig bedeutsame
muslimische Minderheit gebildet. In der Vergangenheit hatten sie überwiegend den rechtlichen
Status des „Ausländers", der u.a. bewirkte, daß ihre Interessen und Bedürfnisse nicht in
angemessener Weise im öffentlichen Raum berücksichtigt wurden. Mit der Reform des
Staatsangehörigkeitsrechtes zeichnet sich jetzt aber die Entwicklung ab, daß sich eine
muslimische Minderheit etabliert, deren Mitglieder zunehmend die deutsche Staatsangehörigkeit
besitzen. Dies wird erhebliche Auswirkungen auf ihre politische und gesellschaftliche
Partizipation haben.
Unabhängig von ihrem rechtlichen Status ist es eine wichtige Frage, wie sich das
Selbstverständnis der Muslime in westeuropäischen Einwanderungsgesellschaften entwickeln
wird. Wie gelingt es ihnen, islamische Normen und Wertvorstellungen in Einklang zu bringen
mit einer westlichen, sehr stark säkularisierten, modernen Gesellschaftsordnung? Die
Annäherung von Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft, der Abbau von Vorurteilen und die
Förderung gegenseitiger Akzeptanz sind vordringliche Aufgaben. Konflikte können nicht durch
Ignoranz und Verschweigen gelöst werden. Sie erfordern vielmehr einen Dialog, ausgehend von
der Darlegung der eigenen Positionen und Überlegungen.
Mit der hier vorgelegten Expertise wollen wir zum einen einen Einblick in die Grundzüge des
Islam, seinen rituellen Besonderheiten und den unterschiedlichen Formen der praktizierten
Religionsausübung geben. Vor diesem Hintergrund sind die vielfältigen Konflikte erklärbar, die
sich im Alltagsleben von Muslimen in unsere Gesellschaft ergeben. Unterschiedliche
Grundwerte und moralische Anschauungen stehen sich gegenüber. Letztendlich sind dann
Gerichte gefordert abzuwägen zwischen der Verwirklichung der im Grundgesetz garantierten
Religionsfreiheit des einzelnen und anderen in unserer Verfassung garantierten Normen. Diese
Expertise greift die unterschiedlichen Konflikte auf und analysiert sie hinsichtlich ihrer
gesellschaftspolitischen Bedeutung. Wir hoffen, daß sie mit dazu beitragen kann, das
gegenseitige Verständnis zu fördern, und Grundlagen liefert für den für unsere Gesellschaft
wichtigen Dialog mit der muslimischen Minderheit.
Dr. Ursula Mehrländer
Leiterin des Gesprächskreises Migration und Integration
Abkürzungen
AsylVfG
Asylverfahrensgesetz
BauGB
Baugesetzbuch
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BImSchG
Bundesimmissionsschutzgesetz
BRRG
Beamtenrechtsrahmengesetz
Günther Schultze
Referent für Migrationspolitik
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BSHG
Bundessozialhilfegesetz
BVerwG
Bundesverwaltungsgericht
CIBEDO
Christlich-Islamische Begegnung – Dokumentationsstelle
CIS-Verlag
Verlag für Christlich-Islamisches Schrifttum
DÖV
Die Öffentliche Verwaltung
DVBl.
Deutsche Verwaltungsblätter
FG
Finanzgericht
GG
Grundgesetz
GjS
Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften
HK
Herder Korrespondenz
InfAuslR
Informationsbrief Ausländerrecht
i.V.m.
in Verbindung mit
KirchE
Entscheidungen in Kirchensachen
KNA
Katholische Nachrichtenagentur
LAG
Landesarbeitsgericht
LImSchG
Landesimmissionsschutzgesetz
MR
Moslemische Revue
MSV
Militärseelsorgevertrag
NÄG
Namensänderungsgesetz
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NVwZ
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
NWVBl.
Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter
OLG
Oberlandesgericht
OVG
Oberverwaltungsgericht
RdJB
Recht der Jugend und des Bildungswesens
SchulG
Schulgesetz
SGB
Sozialgesetzbuch
StVO
Straßenverkehrsordnung
TierSchG
Tierschutzgesetz
VG
Verwaltungsgericht
VGH
Verwaltungsgerichtshof
WRV
Weimarer Reichsverfassung
ZAR
Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik
ZDMG
Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft
ZRP
Zeitschrift für Religionspädagogik
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Zusammenfassung
Mit dem Anwerbestopp im Jahre 1973 verbindet sich ein entscheidender Impuls zur
Veränderung der religiösen Landkarte Deutschlands. Muslimische Arbeitskräfte, die sich
entscheiden, in Deutschland zu bleiben, holen ihre Ehepartner und Kinder nach. Aus Individuen
werden Familien, und in den Familien drängt sich die Frage auf, wie religiöses Selbstverständnis
an die nachfolgenden Generationen weitergegeben werden kann.
Die Tatsache, daß Muslime hierzulande Wege und Mittel fanden, ihren Lebensweg in Einklang
mit religiöser Weltsicht zu bringen, stellt Nichtmuslime vor die Aufgabe, diesen deutschen
islamischen Alltag zu verstehen, wenn aus dem Nebeneinander ein konstruktives Miteinander
der Religionen und Weltanschauungen werden soll.
Dazu gilt es zunächst, die aktuelle muslimische Präsenz in Deutschland in den Blick zu nehmen.
Gegenwärtig leben hier etwa drei Millionen Muslime, worunter diejenigen mit etwas mehr als
zwei Millionen den größten Anteil ausmachen, die entweder selbst aus der Türkei stammen oder
deren Eltern von dort hierher gekommen sind. Da aber auch arabische und andere
Herkunftsländer das Spektrum bestimmen, reicht der Fokus allein auf die Türkei nicht aus.
Vielmehr ist in einer grundsätzlichen Fragestellung nach den Charakteristika muslimischer
Religionsausübung zu fragen. Diese konstituieren sich zunächst in Glaubensbekenntnis, Gebet,
Fasten, Almosen und Wallfahrt, die jedoch nur bedingt mit dem vergleichbar sind, was die
jüdisch-christliche Tradition darunter subsumiert. Des weiteren lassen sich die islamischen Feste,
hier besonders Opferfest und Fest des Fastenbrechens, als Wegmarken im islamischen Jahreslauf
begreifen. Das individuelle Leben wird an seinen Grenzmarken Geburt und Tod aber auch in
Riten anläßlich der Beschneidung und Hochzeit vom Islam geprägt. Besonderheiten der
Speisevorschriften und islamische Gebote der Bekleidung sind sichtbare Begleiter durch den
islamischen Alltag.
Übertragen auf die Situation in Deutschland ergeben sich fast hinsichtlich jedes der genannten
Felder Probleme der kollektiven, teils auch individuellen Religionsausübung.
Nahezu in allen Bereichen, angefangen beim Bau und Betrieb von Moscheen, über Beten und
Fasten am Arbeitsplatz, dem Tragen des Kopftuchs im öffentlichen Dienst, dem Schlachten nach
islamischem Ritus, bis hin zur Frage, ob und wie muslimische Seelsorge in öffentlichen
Einrichtungen aussehen kann und soll, ergeben sich Konflikte.
Mit dem Verweis auf das in Deutschland für alle Menschen geltende Grundrecht der
Religionsfreiheit ist zu deren Lösung oft noch nichts gewonnen. Dieses Grundrecht stellt zwar
ein hohes Verfassungsgut dar, muß sich aber stets am Gesamtzusammenhang des Grundgesetzes
messen lassen.
Die Artikulation von Lebensfragen muslimischerseits läuft oft geltendem Recht zuwider, und
mehr als genug Gerichte sind damit befaßt, diese Fragen zu behandeln, die eigentlich nicht im
Sinne juristischer Auseinandersetzungen, sondern im Rahmen einer breiten gesellschaftlichen
Debatte zu klären wären. Letztlich kann es nicht die Aufgabe von Juristen sein, zu bestimmen,
was islamisch ist und wie der Islam in dieser Gesellschaft lebbar und für diese Gesellschaft
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bereichernd und fruchtbar werden kann. Um den Anspruch der Religionsfreiheit im Konflikt mit
anderen Interessen abwägen zu können, sind Muslime ihrerseits gefragt, die
Sinnzusammenhänge einer religiösen Handlung darzulegen. Um so vertrackter wird die Lage
dadurch, daß in Details islamischer Religionsausübung keine allgemein verbindliche Verfügung
seitens einer islamischen Lehrautorität getroffen werden kann. Im Einzelfall können Muslime
sich so oder so verhalten, ohne daß dies eine Rückwirkung auf die islamische community in ihrer
Gänze besäße. Gleichzeitig versuchen aber immer mehr Gruppierungen, einen solchen
allgemeinen Einfluß zu erlangen. Von nicht wenigen Seiten wird die Erlangung des Status einer
Körperschaft des öffentlichen Rechtes angestrebt und geradezu als Allheilmittel gepriesen. Aber
dieser Status scheint zum gegebenen Zeitpunkt in weiter Ferne zu sein. Keine Organisation
erfüllt bis dato die notwendigen Voraussetzungen, und nicht wenige Muslime halten sogar die
Bemühung um solche Rechte für unislamisch und letztlich kontraproduktiv. Selbst wenn in
vielen Fragen islamischer Religionsausübung die Körperschaftsrechte nicht zwingend notwendig
sind, steht häufig in Frage, ob die betreffenden islamischen Organisationen den Charakter einer
Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes tragen.
In dieser Pattsituation scheint eine allgemeine Paralysierung eingetreten zu sein, die die
Handlungsfähigkeit in Fragen der Religionsausübung nachhaltig hemmt.
Solange diese Lähmung andauert, sind jedoch weiter die Gerichte beschäftigt, und Muslime
befinden sich in der kaum akzeptablen Lage, ihre Religionsfreiheit ebendort mit jeweils
ungewissem Ausgang durch die Instanzen klagen zu müssen.
Solange keine grundsätzliche Entscheidung über den gesellschaftlichen Status islamischer
Organisationen vorliegt, bleibt deshalb nur, die bestehende Rechtsordnung auf ihre
Möglichkeiten hin zu prüfen, um vor Ort für die Menschen tätig zu werden. Wo etwa keine
reguläre Anstaltsseelsorge möglich ist, müssen sonstige Wege gesucht werden, die Bedürfnisse
von Muslimen in Anstalten zu berücksichtigen. Wo etwa der Widerstand der lokalen
Bevölkerung gegen den lautsprecherverstärkten Gebetsruf zu stark ist, müssen muslimische
Gemeinden sich fragen, ob sie im Sinne des öffentlichen Friedens nicht lieber zunächst darauf
verzichten können oder zumindest eine verträgliche Lösung aushandeln können.
Die Fragestellungen unterliegen jeweils den besonderen Bedingungen vor Ort, und im
allgemeinen Interesse sollte es Priorität haben, sie vor Ort zu lösen. Es kann nicht darum gehen,
generell alles zu verbieten oder alles zu erlauben, sondern indem vor Ort Lösungen ausgearbeitet
werden, die alle gesellschaftlichen Gruppen in Kompromissbereitschaft mittragen, wird sich
langfristig das soziale Klima dahingehend verbessern, daß Offenheit und Vertrauen stark und
gegenseitig genug werden, um islamische Religionsausübung zu etwas ebenso
Selbstverständlichem werden zu lassen wie christliche.
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Thomas Lemmen
Islamische Religionsausübung in Deutschland
1. Einführung: Themenbeschreibung
1.1 Aufgabenstellung
Die Migration muslimischer Arbeitnehmer und ihrer Familien hat zu Veränderungen der
religiösen Landschaft Deutschlands geführt. Der Islam ist zur drittgrößten Glaubensgemeinschaft
und damit zu einem erfahrbaren Phänomen im gesellschaftlichen Leben geworden. Die Zeichen
dieser veränderten Situation sind augenfällig: Über vielen Städten erheben sich Minarette, auf
kommunalen Friedhöfen werden islamische Grabfelder eingerichtet, kopftuchtragende Frauen
und Mädchen prägen das Bild mancher Stadtviertel - und mancher Hörsäle. Daß Musliminnen
und Muslime in Deutschland leben, ist keine neue Erscheinung. Neu ist hingegen, daß ihre
Anwesenheit gesellschaftspolitische Relevanz gewonnen hat und sie nicht mehr nur als Arbeiter,
Exilanten oder Flüchtlinge wahrgenommen werden, sondern als Angehörige der zweitgrößten
Weltreligion. Zwar reflektieren die Muslime nahezu alle Strömungen der islamischen Welt, vom
Reform-Islam bis zum Islamismus, von mystischer Frömmigkeit bis zu religiöser Indifferenz,
von Orthopraxie bis Häresie, eines verbindet sie jedoch: In einem nichtislamischen Umfeld
versuchen sie ihren religiösen Pflichten nachzukommen. Damit setzen sie sich selbst, wie auch
ihr Umfeld, einer hohen Belastungsprobe aus. Wo die Glaubenspraxis sich öffentlich artikuliert,
wie beim Moscheebau oder dem öffentlichen Gebetsruf, schlägt der Protest einer verunsicherten
Allgemeinheit hohe Wellen. Diffuse Ängste in der Bevölkerung - auf beiden Seiten - erschweren
die sachliche Auseinandersetzung. Während die erste Glaubenswahrheit des Islams, daß es
„keinen Gott außer Gott" gibt, der deutschen Mehrheitsgesellschaft aus dem jüdisch-christlichen
Repertoire zumindest geläufig ist, muß sie ihre Haltung zu zahlreichen Punkten muslimischer
Glaubenspraxis erst noch finden. Im Ringen darum wird sich entscheiden, ob es zu Integration
oder Separation kommt.
Ziel dieser Expertise soll die Bereitstellung grundsätzlicher Informationen sowie einer
Situationsanalyse, die Eingrenzung der Problemfelder und die Beschreibung gangbarer
Lösungswege im Hinblick auf die wesentlichen Fragen islamischen Alltagslebens in Deutschland
sein.
1.2 Inhalt und Aufbau
Die Arbeit gliedert sich im Wesentlichen in fünf Abschnitte. Der einleitenden
Themenbeschreibung folgt ein Überblick darüber, wie sich die islamische Präsenz im Einzelnen
darstellt.
Unter Berücksichtigung der dieser Studie nachfolgenden Darlegung der Hauptbereiche
muslimischer Religionsausübung widmet sich das dritte Kapitel den konkreten Fragen
muslimischen Lebens im deutschen Alltag. Auf der Grundlage der Religionsfreiheit versuchen
Muslime in der „Diaspora", ihre Pflichten umzusetzen. Verschiedene religiöse Praktiken ziehen
Konflikte nach sich, die in letzter Konsequenz vor Gericht ausgetragen werden, weil die
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Betroffenen vor Ort überfordert sind. So wird die Frage nach der öffentlichen Ausrufung der
Gebetszeiten zu einer Frage der Abwägung der Religionsfreiheit gegen den Lärmschutz, die des
betäubungslosen Schächtens setzt die Religionsfreiheit gegen das Tierschutzgesetz.
Konfliktfelder, die in erster Linie Frauen betreffen, entziehen sich tendenziell der öffentlichen
Diskussion. Daß beispielsweise Musliminnen mit Repressalien rechnen müssen, wenn sie
Nichtmuslime ehelichen, ist ein rechtlich schwer greifbares Phänomen. Erschwerend steht über
allem, daß eine oberste Lehr- und Entscheidungsinstanz dem Islam per se fremd ist, die hiesigen
Muslime aber auch über die Anerkennung lokaler Religionsgelehrter uneins sind. Die
Hinwendung zu diversen Autoritäten in der islamischen Welt kann langfristig jedoch keine
angemessene Konfliktbewältigung leisten. Die verschiedenen Problemfelder verdienen eine
ausführliche Würdigung, um die einzelnen Fragen angemessen erörtern zu können.
Das vierte Kapitel hat die Frage der „Seelsorge" an Muslimen in öffentlichen Einrichtungen als
einen Sonderfall der Religionsausübung zum Gegenstand. Das letzte Kapitel soll schließlich
Lösungsansätze im hiesigen Kontext darstellen. Im Vordergrund steht dabei die - nicht nur unter
Muslimen - kontrovers diskutierte Frage, ob die Verleihung der Körperschaftsrechte wegweisend
sein könnte. Aus der Sicht deutscher Behörden würde dies vieles vereinfachen, etwa die
Erteilung islamischen Religionsunterrichtes. Die kirchenähnlichen Strukturen jedoch, die eine
Körperschaft öffentlichen Rechts kennzeichnen, werden von nicht wenigen Muslimen abgelehnt.
1.3 Quellen und Literatur
Die Literatur zu allgemeinen Fragen islamischer Religionsausübung ist sehr umfassend. Keine
Einführung in den Islam kommt ohne eine Darstellung der religiösen Grundvollzüge islamischen
Lebens aus. [Als eine von vielen grundlegenden Einführungen in den Islam sei lediglich das bis heute
unübertroffen gebliebene Standardwerk von W. Montgomery Watt und Alford T. Welch genannt (Watt / Welch
1980).]
In der gängigen islam- und religionswissenschaftlichen Literatur hat eine Behandlung dieser
Themen im Zusammenhang der Migration von Muslimen nach Westeuropa jedoch lange Zeit
keine Aufmerksamkeit gefunden. Beide Fachwissenschaften haben sich vielmehr primär mit den
historischen Kerngebieten islamischer Zivilisation sowie deren Ausbreitung nach Afrika und
Asien befasst. Im Mittelpunkt ihres Interesses konnten zunächst nicht die demgegenüber
vergleichsweise neuen und zahlenmäßig eher unbedeutenden Erscheinungsformen islamischen
Lebens in Deutschland stehen.
Eine erste Auseinandersetzung damit im Zusammenhang der Migration ausländischer
Arbeitnehmer ging von den beiden christlichen Kirchen aus. Die Motivation dazu ist zum einen
aus der veränderten gesellschaftlichen Situation und zum anderen aus innerkirchlichen Prozessen
hervorgegangen. Im katholischen Bereich markierte das Zweite Vatikanische Konzil (19621965) einen Neubeginn im Verhältnis der Kirche zu den Muslimen. Die Konzilserklärung Nostra
aetate beschränkt sich nicht nur auf die Feststellung theologischer Gemeinsamkeiten und
Unterschiede, sondern ruft Christen und Muslime zu einer gemeinsamen gesellschaftlichen
Verantwortung für die Gestaltung der Welt auf. [Vgl. Zirker 1989, S. 38-54; Zehner 1992, S. 21-64.]
Nicht weniger bedeutsam sind auf evangelischer Seite die Stellungnahmen des Ökumenischen
Rates der Kirchen in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Ausgehend von einem
Projekt zum Dialog mit Menschen anderen Glaubens aus dem Jahre 1967 führten die auf
verschiedenen Ebenen geführten Beratungen 1979 zu den Leitlinien zum Dialog mit Menschen
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verschiedener Religionen und Ideologien. Wie das genannte Konzilsdokument auf katholischer
Seite, so bezeichnen diese Leitlinien auf evangelischer Seite einen Wandel im Verhältnis zu den
nichtchristlichen Religionen. [Vgl. ebd. S. 65-106.]
Diese theologischen Grundsatzentscheidungen sind nicht ohne Auswirkungen auf die Haltung
der Kirchen gegenüber den Angehörigen anderer Religionen in Deutschland geblieben. Als im
Zuge der Arbeitsmigration in den sechziger und siebziger Jahren zunehmend Arbeitnehmer
muslimischen Glaubens in die Bundesrepublik gelangten, begann in kirchlichen Kreisen das
Bemühen um die Begegnung und Verständigung mit ihnen. Damit verbunden war auch die
Auseinandersetzung mit den verschiedenen Fragen islamischer Religionsausübung im deutschen
Umfeld. Auf katholischer Seite entstand mit der 1978 in Köln gegründeten CIBEDO eine
wichtige Informations- und Dokumentationsstelle zu Fragen des Islams in Deutschland. Die seit
1981 in Frankfurt am Main beheimatete Institution gab bis 1986 die CIBEDO Dokumentationen
und CIBEDO Texte heraus, in denen erstmals grundsätzliche Informationen über die islamische
Präsenz in Deutschland und über Einzelfragen der Religionsausübung zur Verfügung standen.
Beide Reihen wurden von 1987 bis 1999 unter der Bezeichnung CIBEDO Beiträge zum
Gespräch zwischen Christen und Muslimen fortgeführt. Mit diesen drei Reihen stellten die
Herausgeber dem am Thema interessierten Personenkreis eine Fülle an Informa-tionen,
Dokumentationen und wissenschaftlichen Reflexionen zur Verfügung. [Eine Übersicht der einzelnen
Themen der Dokumentationen und Texte ist auf der inneren und äußeren Umschlagrückseite der letzten Ausgabe der
Texte vom November 1986 zu finden. Die Abkürzung CIBEDO steht für Christlich-Islamische Begegnung Dokumentationsstelle.]
Diesem Anliegen fühlt sich auch der in Altenberge bei Münster ansässige Verlag für ChristlichIslamisches Schrifttum (CIS-Verlag) verpflichtet. Der Verlag gab von 1981 bis 1989 die
Zeitschrift Aktuelle Fragen heraus, die viele der damals erstmalig auftretenden Probleme
islamischer Religionsausübung thematisierte. [Die damalige Diskussion um die Einführung islamischen
Religionsunterrichts ist zum Beispiel in den Beiträgen von 1982 bis 1984 teilweise wiedergegeben.]
Erwähnenswert sind ferner die seit 1980 in Abständen herausgegebenen Handreichungen. Sie
behandeln die Fragen, die sich in verschiedenen Bereichen wie Schule, Strafvollzug,
Krankenhaus und Bestattungswesen im Hinblick auf Muslime ergeben können. [Vgl. Richter 1980;
Khoury / Irskens / Wanzura 1981; Wanzura 1982; Ders. 1990; Lemmen 1999a.]
Auch auf evangelischer Seite war man bemüht, den veränderten gesellschaftlichen und religiösen
Verhältnissen Rechnung zu tragen und durch die Herausgabe entsprechender Publikationen über
die Muslime und ihr Leben zu informieren, um damit die Verständigung mit ihnen zu fördern.
Das Kirchliche Außenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland gab 1974 eine
Handreichung Moslems in der Bundesrepublik heraus, die neben grundlegenden Informationen
über den Islam eine Reihe praktischer Anregungen für die Begegnung mit Muslimen in
verschiedenen Lebensbereichen enthielt. Dieser ersten Schrift folgten bald weitere, die der
Verlag Otto Lembeck in der Reihe Beiträge zur Ausländerarbeit (später: Interkulturelle
Beiträge) veröffentlichte. Neben allgemeinen Fragen der Begegnung und des Miteinanders mit
Muslimen hatten sie auch besondere Themen, wie etwa Ehen mit Muslimen, christliche und
islamische Feste oder türkische Volksfrömmigkeit, zum Inhalt. [Vgl. Fingerlin / Mildenberger 1983;
Micksch 1983; Mildenberger / Vöcking 1984; Haas 1986; Micksch / Mildenberger 1988; Ders. 1990.]
Unter dem Titel Information Islam gaben die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche
Deutschlands und das Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland gemeinsam eine
Faltblattserie aus 24 Teilen heraus, die kurz und prägnant über die unterschiedlichsten Fragen
islamischen Glaubens und Lebens informierte. Die Faltblattserie lieferte die Textgrundlage für
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das von diesen beiden Kirchen herausgegebene Taschenbuch mit dem Namen Was jeder vom
Islam wissen muß, das mittlerweile in der fünften Auflage erschienen ist. [Vgl. Vereinigte
Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands / Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland 1996.]
Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat sich schließlich mit Fragen des
Zusammenlebens mit Muslimen im Rahmen
einer Handreichung befasst, die neben theologischen Grundsätzen die rechtlichen
Rahmenbedingungen muslimischer Religionsausübung und verschiedene Einzelfragen
behandelt. [Vgl. Kirchenamt der EKD 2000.]
Trotz dieser beachtenswerten Fülle von Schriften zum Islam und zum Leben der Muslime in
Deutschland bleibt festzuhalten, daß damit gesamtgesellschaftlich gesehen nur ein bescheidener
Beitrag zum Verständnis der religiösen Grundvollzüge der Muslime geleistet werden konnte. Die
Kirchen haben sich aus interreligiösen Beweggründen zu einem Zeitpunkt mit Fragen
islamischen Lebens in Deutschland zu beschäftigen begonnen, als die Thematik in der breiten
gesellschaftlichen Öffentlichkeit nicht die Rolle spielte, die sie heute hat. Die von ihnen
herausgegebenen Schriften blieben trotz ihrer bisweilen beachtlichen Inhalte aufgrund der
geringen Auflagen zumeist einem kleinen Leserkreis vorbehalten und fanden – bis auf das Werk
Was jeder vom Islam wissen muß – keine weite Verbreitung. Daher wundert es nicht, daß die
Herausgeber die meisten Reihen mittlerweile wieder eingestellt haben. Bemerkenswert bleiben
jedoch die vergleichsweise vielen Beiträge muslimischer Autoren in den genannten
Publikationen, denen damit zum ersten Mal die Gelegenheit geboten wurde, sich zu den
entsprechenden Fragen zu äußern. [Sowohl die Publikationen von CIBEDO als auch die des CIS-Verlages
enthalten zahlreiche Beiträge muslimischer Autoren.]
Das Interesse an der Religionsausübung der Muslime nahm mit dem Augenblick zu, als man ihre
Gemeinden und Institutionen im kommunalen Umfeld wahrzunehmen begann. Die schon seit
Jahren bestehenden größeren und kleineren Moscheen fanden die Aufmerksamkeit der
Stadtverwaltungen, als sie zunehmend mit ihren Anliegen an die Öffentlichkeit traten. Eine
Reihe von Stadtverwaltungen gab daher Studien und Gutachten über die islamischen Gemeinden
und Vereine in ihrem Zuständigkeitsbereich in Auftrag, die bisweilen sehr detailreich über die
verschiedenen Facetten muslimischen Lebens Auskunft erteilen. Bisher liegen Untersuchungen
aus folgenden Städten vor: Hamburg (1990), Köln (1992), Berlin (1993 / 1999), Essen (1995),
Bremen (1995), München (1996), Frankfurt am Main (1996), Mannheim (1996) und Duisburg
(ohne Jahr). [Vgl. Mihçiyazgan 1990; Lier 1992; Yonan 1993; Jonker / Kapphan 1999; Zentrum für Türkeistudien
1995b; Frese / Hannemann 1995; Anderson 1996; Amt für multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt am
Main 1996; Beauftragter für ausländische Einwohner 1996; Arbeiterwohlfahrt, Kreisverband Duisburg / Stadt
Duisburg o.J.]
Der Wert dieser Arbeiten liegt in dem Versuch einer Darstellung der verschiedenen islamischen
Organisationen und der von ihnen entfalteten religiösen Aktivitäten im jeweiligen kommunalen
Zusammenhang. Sie finden in mancherlei Hinsicht eine Ergänzung durch die von
Landesbehörden beim Zentrum für Türkeistudien in Auftrag gegebenen Untersuchungen für die
Bundesländer Hessen und Nordrhein-Westfalen. [Vgl. Zentrum für Türkeistudien 1995a; Dass. 1997.
Während das zuständige Ministerium die für Hessen bestimmte Studie bald nach Erscheinen zurückgezogen hat,
erlebte die Studie für Nordrhein-Westfalen mittlerweile eine dritte überarbeitete Auflage.]
So kenntnisreich die Arbeiten über muslimische Gemeinschaften in bestimmten Städten oder
Bundesländern auch im einzelnen sein mögen, so bleiben sie doch im wesentlichen der
Beschreibung und Analyse der vorgefundenen Lebensverhältnisse verhaftet, wobei zudem
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Fragen der kollektiven Religionsausübung im Vordergrund stehen. Demgegenüber bleiben
Aspekte individueller Religiosität und die hinter den einzelnen Erscheinungen der
Glaubenspraxis stehenden theologischen Zusammenhänge weitgehend unberücksichtigt. Gerade
dem widmen sich jedoch eine Reihe religions- und islamwissenschaftlicher Studien der letzten
Jahre.
Bereits 1985 hatte der katholische Religionswissenschaftler Adel Theodor Khoury in seinem
Werk Islamische Minderheiten in der Diaspora Lösungsvorschläge dargelegt, die das klassische
Rechtssystem für Muslime außerhalb der islamischen Welt entwickelt hatte. Dabei stellt der
Autor zunächst die Voraussetzungen des islamischen Rechts dar und überträgt sie anschließend
auf verschiedene Lebensbereiche. Gemeinsam mit Ludwig Hagemann greift Khoury die
Thematik in dem 1997 erschienenen Buch Dürfen Muslime auf Dauer in einem nicht-islamischen
Land leben? erneut auf. Neben historischen Stellungnahmen islamischer Gelehrter zu Grundsatzund Einzelfragen enthält das Werk auch solche zeitgenössischer Gelehrter der islamischen Welt.
Die Übertragung der Ergebnisse auf die hiesigen Verhältnisse bleibt der theoretischen
Fragestellung der Studie verhaftet. Der Islamwissenschaftler Peter Heine legte hingegen mit
seinem 1994 veröffentlichten Kulturknigge für Nichtmuslime einen konkreten Ratgeber für
verschiedene Bereiche muslimischen Alltagslebens vor. Darüber hinaus geht er diesen Fragen in
seinem Buch Halbmond über deutschen Dächern von 1997 mit Blick auf die besonderen
Lebensverhältnisse in Deutschland nach. Eine ebenso umfangreiche Beschreibung und
Bewertung islamischen Lebens in einer Fülle unterschiedlicher Aspekte unternimmt die
Religionswissenschaftlerin Ursula Spuler-Stegemann in ihrem Buch Muslime in Deutschland
von 1998. Mit Recht gilt ihr Werk als die gegenwärtig umfassendste und bedeutendste
Darstellung des Themas.
Neben diesen neueren islam- und religionswissenschaftlichen Arbeiten dürfen nicht die
mittlerweile vorliegenden Werke muslimischer Autoren übergangen werden, kann man doch von
ihnen einen authentischen Zugang zu Fragen der islamischen Religionsausübung erwarten.
Abgesehen von einer Vielzahl von Beiträgen in verschiedenen islamischen Zeitungen und
Zeitschriften, die anlässlich aktueller Auseinandersetzungen erschienen, seien zwei
nennenswerte Schriften der letzten Jahre erwähnt. 1996 legte der spätere Vorsitzende der
Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen e.V., Amir Zaidan, seine Einführung in die
islamischen gottesdienstlichen Handlungen vor. 1998 gab der Verband der Islamischen
Kulturzentren e.V. das von Hasan Arikan verfasste Buch Der kurzgefaßte Ilmihal heraus, wobei
es sich um ein Lehrbuch für die verschiedenen religiösen Praktiken der Muslime handelt.
Die seit Anfang der neunziger Jahre in zeitlichen Abständen verstärkt auftretenden Diskussionen
um einzelne Aspekte islamischer Religionsausübung zeigen jedoch die Notwendigkeit
weitergehender Klärungsprozesse. Die bisweilen sehr emotional geführten
Auseinandersetzungen haben auf der einen Seite eine Flut von Artikeln und Leserbriefen in der
jeweiligen lokalen Presse zum Ergebnis gehabt. Andererseits sind eine Reihe von
grundsätzlichen Beiträgen zu einzelnen Themen zu verzeichnen gewesen, die jedoch nicht mehr
ohne eine Berücksichtigung der juristischen Dimensionen des Geschehens auskommen. [Auf die
Beiträge wird im einzelnen im jeweiligen Zusammenhang eingegangen.]
Der Rückgriff auf die Religionsfreiheit im Zusammenhang mit Einzelfragen der islamischen
Religionsausübung führt unweigerlich dazu, die Geltung und Reichweite dieses Anspruchs zu
überprüfen. Wo es zum Konflikt mit anderen Grundrechten oder dem einfachen Recht kommt,
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ist im Sinne der praktischen Konkordanz nach einem Ausgleich der Interessen zu suchen.
Gelingt diese Verständigung nicht, bleibt es den Verwaltungsgerichten überlassen, in
Angelegenheiten islamischer Religionsausübung Recht zu sprechen. Allein im vergangenen
Jahrzehnt ist dies in nahezu 30 Fällen in verschiedenen Instanzen der Fall gewesen. Die
Gerichtsurteile sind – sofern sie zugänglich sind – eine unerlässliche Quelle für die juristische
Bewertung der Zusammenhänge. [Die einzelnen Urteile kommen an den betreffenden Stellen im dritten
Kapitel vor. Eine Zusammenstellung aller dem Verfasser bekannten Entscheidungen findet sich im Anhang.]
Auch wenn sie die gesellschaftliche Auseinandersetzung nicht ersetzen können, sind sie doch
Ausdruck des Bemühens um eine Einordnung der Fragen islamischer Religionsausübung in die
religionsrechtliche Ordnung der Bundesrepublik. Dementsprechend finden sich auch in der
juristischen Literatur zunehmend Beiträge zur in Frage stehenden Problematik. [Vgl. Loschelder
1986; Stempel 1988; Walter 1989; Schnapp / Dudda 1992; Brandhuber 1994; Muckel 1995; Ders. 1997; Otting
1997; Völpel 1997; Oebbecke 1998; Muckel 1999; Tillmanns 1999; Rohe 2000.]
Nicht außer Acht bleiben dürfen schließlich die mittlerweile zahlreichen Stellungnahmen
einzelner Muslime oder deren Organisationen zu den jeweiligen Fragen ihrer Religionsausübung.
Sie enthalten die für die inhaltliche Auseinandersetzung unersetzlichen Begründungs- und
Argumentationszusammenhänge aus muslimischer Seite. [Die für die Diskussion maßgeblichen
Dokumente finden sich an den entsprechenden Stellen im Textverlauf zitiert.]
Abschließend sei noch erwähnt, daß das Thema Islam in Deutschland - nach einer Anhörung der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 15. Juni 1999 - Gegenstand einer großen Anfrage geworden
ist, mit deren Beantwortung durch die Bundesregierung Ende des Jahres 2000 zu rechnen ist.
[Vgl. CDU/CSU Fraktion im Deutschen Bundestag 1999.]
2. Muslime in Deutschland – ein aktueller Überblick
Die gegenwärtige muslimische Präsenz in Deutschland ist untrennbar mit der Geschichte der
Arbeitsmigration seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts verbunden. Bei den meisten der
heute schätzungsweise drei Millionen Muslime handelt es sich um die einstigen Gastarbeiter
oder deren Nachkommen aus der Türkei, Marokko, Tunesien und dem früheren Jugoslawien.
Dennoch darf man nicht übersehen, daß die ersten Spuren muslimischen Lebens bis weit vor die
Zeit der Arbeitsmigration zurückreichen. [Zu den Grundzügen islamischer Geschichte in Deutschland bis
zur Arbeitsmigration: Lemmen 1999c, S. 10-32.]
Die ersten dauerhaft in Deutschland lebenden Muslime waren Kriegsgefangene aus der Zeit der
Türkenkriege. Grabsteine in Brake bei Lemgo von 1689 und in Hannover von 1691 sind neben
Eintragungen in Kirchenbüchern und kurzen Vermerken in Chroniken die einzigen Zeugnisse
dieser Epoche. Die bis heute an verschiedenen Orten erhaltenen orientalisierenden Bauwerke der
beiden folgenden Jahrhunderte lassen jedoch nicht unbedingt auf die Anwesenheit von Muslimen
schließen, sondern sind vielmehr Ausdruck der kulturellen Beziehungen zwischen Orient und
Okzident zu jener Zeit. Auch die in der Literatur immer wieder auftauchende Behauptung einer
muslimischen Gemeindegründung in Potsdam im Jahre 1731 hat sich als historisch nicht haltbar
erwiesen. Demgegenüber lassen sich allerdings muslimische Soldaten in verschiedenen
Truppenteilen der preußischen Armee seit dem 18. Jahrhundert nachweisen. Im Jahre 1763
wurde in Berlin eine Gesandtschaft des osmanischen Reiches eingerichtet. Aus Anlaß des Todes
des dritten Gesandten, Ali Aziz Efendi, am 29. Oktober 1798 stellte der preußische König zu
dessen Bestattung ein Gelände auf der Tempelhofer Feldmark zur Verfügung. [Vgl. Höpp 1996.]
Die zeitgenössischen Berichte beschreiben den genauen Ablauf der Bestattung nach den
14
entsprechenden Vorschriften des islamischen Rechts. [Vgl. ebd., S. 20f.] Nach vier weiteren
Bestattungen musste das Gelände 1866 einem Kasernenbau weichen. Man überführte die
sterblichen Überreste der fünf osmanischen Diplomaten an eine andere Begräbnisstätte, die zum
bis heute erhaltenen türkischen Friedhof am Columbiadamm wurde.
Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges entstanden in Wünsdorf und Zossen bei Berlin zwei
Lager für muslimische Kriegsgefangene aus den alliierten Streitkräften. [Vgl. Höpp 1997.] Die
1915 im sogenannten Halbmondlager in Wünsdorf errichtete Holzmoschee war die erste
muslimische Gebetsstätte auf deutschem Boden. Sowohl die Zeitungsberichte als auch die
Fotoaufnahmen aus der Zeit geben einen Einblick vom religiösen Leben der kriegsgefangenen
Muslime in beiden Lagern. [Vgl. Kahleyys 1998.] Während die Moschee wegen Baufälligkeit in den
zwanziger Jahren abgerissen wurde – an sie erinnert heute nur noch die Moscheestraße – sind
einige Grabsteine von Kriegsgefangenen auf dem früheren Soldatenfriedhof von Zehrensdorf
erhalten geblieben.
Das muslimische Leben in Deutschland fand eine gewisse Entfaltung in den Jahren zwischen den
beiden Weltkriegen durch muslimische Studenten und Exilanten in Berlin und Umgebung. Die
damals insgesamt knapp zweitausend Muslime organisierten sich in einer Handvoll islamischer
Vereine, die sie zur Wahrnehmung ihrer religiösen Interessen gründeten. [Zu den islamischen
Vereinen jener Jahre im einzelnen: Lemmen 1999c, S. 14-25]
Mittelpunkt des muslimischen Lebens in Berlin wurde die 1924 von den Lahore-Ahmadis
gegründete Moschee in Wilmersdorf. Sie ist trotz schwerer Beschädigung bei Kriegsende bis auf
den heutigen Tag erhalten geblieben. Der Begründer und langjährige Leiter der Moschee,
Maulana Sadr-ud-Din, gab 1939 die erste von einem Muslim vorgenommene deutsche
Koranübersetzung heraus. Streitigkeiten innerhalb der islamischen Vereine sowie deren
Instrumentalisierung für politische Zwecke im Aus- und Inland beeinträchtigten das religiöse
Leben der Muslime nachhaltig. Daher wundert es nicht, daß keine der von ihnen gegründeten
Organisationen über den Krieg hinaus Bestand hatte. Vielmehr haben die Vereine sich selbst
aufgelöst oder wurden von Amts wegen als nicht mehr bestehend gelöscht.
Nach Kriegsende ging eine Wiederbelebung muslimischer Aktivitäten von der Wilmersdorfer
Moschee aus, [Vgl. Hobohm 1994.] deren Bedeutung jedoch mit der Entstehung anderer
Organisationen zunehmend verloren ging. Die aus Großbritannien kommenden QadianiAhmadis ließen sich in Hamburg nieder und gründeten 1955 die Ahmadiyya Bewegung in der
Bundesrepublik Deutschland e.V., die in verschiedenen Städten ihre Niederlassungen errichtete.
In München entstand 1958 die Geistliche Verwaltung der Muslimflüchtlinge in der
Bundesrepublik Deutschland e.V. als ein Betreuungsverein für die ehemaligen
Wehrmachtsangehörigen muslimischen Glaubens. Auf die Initiative iranischer Kaufleute in
Hamburg und arabischer Studenten in Aachen und München ging in den sechziger Jahren die
Errichtung der Islamischen Zentren in den drei Städten zurück. Damit waren eine Reihe
muslimischer Institutionen entstanden, die den religiösen Zwecken der vergleichsweise wenigen
Muslime in Deutschland genügten.
Diese Situation änderte sich grundlegend mit der Arbeitsmigration. Durch den Abschluß von
Anwerbevereinbarungen mit der Türkei (1961), Marokko (1963), Tunesien (1965) und dem
früheren Jugoslawien (1968) gelangten zahlreiche muslimische Arbeitsmigranten in die
Bundesrepublik. Hatten die meisten von ihnen zunächst einen vorübergehenden Aufenthalt im
15
Sinn, so entschieden sich doch viele nach der Verhängung des Anwerbestopps von 1973 für den
dauerhaften Verbleib und den Nachzug der Ehepartner und Familienangehörigen. Dieses
Phänomen hatte freilich nichts mit der Religionszugehörigkeit zu tun, sondern ist vielmehr bei
allen Migrantengruppen jener Zeit festzustellen gewesen. Auf die Muslime bezogen zeigte sich
aber, daß dieses Geschehen auch einen Wandel im Verständnis der eigenen Religion und deren
Ausübung zur Folge hatte. Mit der Verfestigung des Aufenthalts ging eine Verlagerung der
Erfüllung der religiösen Bedürfnisse von der Heimat ins Gastland einher.
Jørgen Nielsen beschreibt diesen Prozeß zutreffend mit den folgenden Worten: „Während der
ersten Phasen der Muslimimmigration waren die Zuwanderer hauptsächlich Männer, die allein
und für eine begrenzte Zeit kamen. Die Tatsache, daß sie allein kamen, bedeutete, daß religiöse
Erfordernisse bei der Aussiedlung minimal waren: es genügte meist, daß man beten konnte. Die
Einschränkung der Religionsausübung wurde durch die Aussicht auf eine baldige Rückkehr nach
Hause noch weiter an den Rand verwiesen. Die Situation veränderte sich grundlegend, als aus
der Migration muslimischer Arbeiter eine Immigration muslimischer Familien wurde. Zuerst
schwand das Gefühl, der Aufenthalt sei zeitlich begrenzt. Nun rechnete man mit Dauer. Dann
führte die Anwesenheit von Frauen und Kindern zu intensiven Kontakten zu der Gesellschaft, in
der sie lebten … . Als Folge wurden große Bereiche der traditionellen Kulturen in Frage gestellt.
So ergab sich die Notwendigkeit, Institutionen einzurichten, entweder zur Unterstützung der
alten Traditionen oder um Spannungen zu mildern." [Nielsen 1995, S. 153.] Nicht von ungefähr
setzte daher zeitgleich mit dem Anwerbestopp die Bildung islamischer Vereine und Verbände in
größerem Umfang ein. [Zu den islamischen Organisationen: Lemmen 2000a.]
Als älteste Organisationen, die zahlreiche Moscheen im Bundesgebiet betreiben, entstand 1973
der heutige Verband der Islamischen Kulturzentren e.V. (VIKZ) und 1976 die Vorgängerin der
späteren Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG). Die größte islamische
Organisation im Bundesgebiet wurde die 1984 gegründete Türkisch-Islamische Union der
Anstalt für Religion e.V. (DÝTÝB). Das Erscheinungsbild des organisierten Islams in
Deutschland prägen seit jenen Jahren die großen türkisch-islamischen Verbände, die allesamt
europaweit verbreitet sind und sich unterschiedlichen religiös-politischen Kräften in der Türkei
zuordnen lassen. Hinzu kommen die zahlenmäßig weitaus kleineren Organisationen anderer
ethnischer Gruppen, die als Arbeitnehmer, Studenten oder Flüchtlinge in Deutschland leben.
Außer den iranischen Kaufleuten, den arabischen Studenten und den türkischen
Arbeitsmigranten gelangten seit Mitte der siebziger Jahre zahlreiche muslimische Asylsuchende
und Kriegsflüchtlinge nach Deutschland, von denen viele ebenfalls auf Dauer geblieben sind.
[Hauptherkunftsländer sind der Libanon (seit 1975), der Iran (seit 1979), Afghanistan (seit 1979), BosnienHerzegowina (seit 1992) und der Kosovo (seit 1999).]
Die Vielfalt muslimischen Lebens in ethnischer, religiöser, sozialer und politischer Hinsicht
spiegelt sich in der Vielfalt verschiedener Vereine und Verbände wider. Da die Zugehörigkeit
zum Islam in den meisten Fällen nicht deckungsgleich mit der Mitgliedschaft in einer
bestimmten Organisation ist, läßt sich der Organisationsgrad aller Muslime in Deutschland oder
jener einzelner Verbände nur schwer feststellen. Sowohl Eigenangaben als auch Schätzungen
sind daher genau nach den Kriterien zu befragen, die dem Begriff der Mitgliedschaft zugrunde
liegen. [Es ist zu unterscheiden, ob mit „Mitgliedern" die eingetragenen Mitglieder eines Vereins oder die
regelmäßigen Besucher einer Moschee ohne oder mit ihren Familienangehörigen oder lediglich die Personen im
weiteren Umfeld einer religiösen Einrichtung gemeint sind (Lemmen 2000a, S. 28).]
Diese Fragen sind von Relevanz, soll darüber befunden werden, wer in Fragen muslimischer
Religionsausübung auf Seiten der Muslime repräsentativer Ansprechpartner sein kann. So wenig
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wie ein Verband für sich in Anspruch nehmen kann, alle Muslime vertreten zu können, so wenig
darf man ihn als Ansprechpartner außer Acht lassen, nur weil dies nicht der Fall ist. Vielmehr ist
darauf abzuheben, die verschiedenen Verbände als Vertretungsorgane der in ihnen organisierten
Personen zu betrachten. Dies erfordert allerdings wahrzunehmen, daß Muslime in Deutschland
ein weitaus differenzierteres Bild von sich abgeben, als man dies landläufig zu beobachten
glaubt.
Dazu gehört auch die Erkenntnis, daß derzeit keine exakten statistischen Daten über die
Gesamtzahl der Muslime in Deutschland bekannt sind. Die Ursachen dafür liegen zum einen in
der äußeren Wahrnehmung und zum anderen im Selbstverständnis der Muslime. So erfassen die
Einwohnermeldeämter die Muslime bisher unter der Kategorie Verschiedene. Sofern sie
Ausländer sind, werden sie unter ihrer Staats-, jedoch nicht unter ihrer Religionszugehörigkeit
geführt. Demnach lassen sich keine genauen Zahlen der in Deutschland lebenden Muslime
ermitteln. Zusätzlich ist die Frage der Zugehörigkeit zum Islam aus der Sicht der Muslime nicht
in jedem Fall zweifelsfrei geklärt. So halten viele Muslime die aus Pakistan stammenden
Ahmadis und die hauptsächlich in der Türkei verbreiteten Aleviten als nicht mehr zur
islamischen Gemeinschaft zugehörend, obwohl diese sich selbst als Muslime betrachten. [Diese
Auffassung vertritt beispielsweise die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen e.V. in einer Stellungnahme zu
Aleviten und Ahmadis (Islamische Religionsgemeinschaft Hessen e.V., o.J., S. 5).]
Diese unterschiedliche Einschätzung des Muslimseins führt unweigerlich dazu, daß sich die
Angaben über die Zugehörigkeit zur islamischen Gemeinschaft je nach Standpunkt voneinander
unterscheiden. Da die Trennungslinien von außen schwer zu erkennen sind und einem
Nichtmuslim ein solches Urteil wohl auch nicht zukommen kann, läßt sich nur schwer
feststellen, wer noch zum Islam gehört und wer nicht mehr.
Ein wichtiges statistisches Ergebnis lieferte die Volkszählung vom 25. Mai 1987, die bei der
Religionszugehörigkeit der Bevölkerung bisher einmalig auch die Muslime berücksichtigte.
Auf der Grundlage eigener Angaben erbrachte sie die Gesamtzahl von 1.650.952 Muslimen in
den alten Bundesländern, was damals einem Bevölkerungsanteil von 2,70% entsprach. Der
überwiegende Teil von ihnen (1.602.986 = 97,09%) besaß eine ausländische Staatsangehörigkeit,
während nur eine kleine Minderheit (47.966 = 2,91%) deutsche Staatsbürger waren. [Zu den
Ergebnissen der Volkszählung: Statistisches Bundesamt 1990, S. 20-43.]
Diese Zahlen sind die bislang einzigen sicheren statistischen Angaben, die jedoch mittlerweile
weit überholt sind. Angesichts der bereits genannten Hindernisse, lassen sich neuere Angaben
nur im Rückgriff auf die Zahlen der Hauptherkunftsländer der ausländischen Muslime gewinnen.
Diese Methode kann jedoch nur annähernd genaue Ergebnisse erzielen, da sie weder die
nichtmuslimischen Minderheiten der Länder mit einer muslimischen Bevölkerungsmehrheit noch
die muslimischen Minderheiten anderer Länder, noch die eingebürgerten deutschen Muslime
berücksichtigt. [Gegenwärtig ist in Deutschland mit insgesamt 65.000 orientalischen Christen aus der Türkei
und anderen Staaten zu rechnen (Rothe 1995). Über die Zahl der Juden, Hindus, Sikhs und Bahá’ís aus diesen
Ländern sind dem Verfasser keine Angaben bekannt. Unter die zweite Kategorie fallen die Muslime aus Indien, der
Russischen Föderation und verschiedenen afrikanischen Staaten, über die ebenfalls keine genauen Zahlen
vorliegen. Lag die Zahl der deutschen Muslime 1987 bei insgesamt 47.966 Personen, so hat sie seither durch
Einbürgerungen stark zugenommen. Allein 1998 erwarben 53.696 Türken, 4.971 Marokkaner, 3.469 Bosnier, 1.822
Tunesier, 1.692 Libanesen und 1.186 Pakistanis die deutsche Staatsbürgerschaft (Beauftragte der Bundesregierung
für Ausländerfragen 2000, S. 34).]
17
Unter Berücksichtigung dieser Ungenauigkeiten lassen sich folgende Zahlen für die wichtigsten
Herkunftsländer nennen (Stand: 31. Dezember 1999) [Vgl. ebd., S. 23.]:
Türkei
2.053.564
Bosnien-Herzegowina
167.690
Iran
116.446
Marokko
81.450
Afghanistan
71.955
Libanon
54.063
Darüber hinaus lassen sich für eine Reihe weiterer Länder folgende Zahlen ermitteln
(Stand: 31. Dezember 1995) [Die Zahlenangaben sind den jeweiligen Länderartikeln entnommen aus:
Schmalz-Jacobsen / Hansen 1997.]:
Ägypten
13.455
Kirgisien
1.662
Albanien
10.528
Libyen
1.898
Algerien
17.705
Malaysia
3.084
Aserbaidschan
1.399
Pakistan
36.924
Bangladesch
7.156
Senegal
2.509
Gambia
2.371
Somalia
8.248
Guinea
1.287
Sudan
4.615
Indonesien
9.470
Syrien
19.055
Irak
16.745
Tunesien
26.396
Jemen
1.083
Usbekistan
1.249
Jordanien
12.249
Über die Gesamtzahl der deutschen Muslime herrscht weitgehend Unklarheit. Abgesehen von
den 47.966 Personen bei der Volkszählung von 1987 wird die Zahl der Einbürgerungen von
Ausländern aus Staaten mit einer muslimischen Bevölkerungsmehrheit seither mit etwa 344.000
Personen beziffert. [Mitteilung des Bundesministeriums des Inneren vom 28. Juni 2000.]
Dabei ist jedoch davon auszugehen, daß ein Teil von ihnen die doppelte Staatsbürgerschaft
besitzt, wodurch es zu Doppelzählungen kommen kann. Keine überprüfbaren Zahlen liegen
hingegen über die zum Islam konvertierten deutschen Staatsbürger vor. [Das Zentralinstitut IslamArchiv-Deutschland e.V. gibt die Zahl der deutschstämmigen Muslime Anfang des Jahres 2000 mit insgesamt 10.900
Personen an (Zentralinstitut Islam-Archiv-Deutschland e.V. 2000, S. 115).]
Alles in allem betrachtet läßt sich die Gesamtzahl der Muslime auf derzeit 3 Millionen schätzen.
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Aufgrund der unterschiedlich verlaufenen Migrationsprozesse in alten und neuen Bundesländern
ist davon auszugehen, daß sich der überwiegende Teil von ihnen im Gebiet der ehemaligen
Bundesrepublik aufhält. Die Zahl der Muslime in den neuen Bundesländern bezifferte Peter
Schütt Anfang des Jahres 2000 mit insgesamt 60.000. [Vgl. Schütt 2000.]
Wie die absoluten Angaben über die Muslime weitgehend auf Schätzungen beruhen, so müssen
auch alle weitergehenden Differenzierungen mit diesem Dilemma auskommen. Weltweit
betrachtet sind rund 90% aller Muslime Sunniten, etwa 9% Schiiten und der Rest Angehörige
anderer Gruppen. [Auf eine Darstellung der verschiedenen Richtungen innerhalb des Islams muß verzichtet
werden. Einige Verweise auf weiterführende Literatur mögen genügen: Halm 1988; Ahmed 1990; Kehl-Bodrogi
1993; Elsas 1994; Radtke 1996; Ende 1996; Schmucker 1996; Steinbach 1996, S. 373-386.]
Diese grobe Aufteilung paßt jedoch nicht auf die Verhältnisse in der Bundesrepublik
Deutschland. Da vergleichsweise viele Türken der alevitischen Ausprägung des Islams
zuzurechnen sind, liegt der Anteil der Sunniten in Deutschland bei nur etwa 80%. Der weitaus
größte Teil von ihnen gehört der in der Türkei, Bosnien-Herzegowina, Afghanistan und Pakistan
verbreiteten hanafitischen Rechtsschule an. Daneben finden sich jedoch auch Minderheiten der
drei anderen Rechtsschulen.
Unter den Schiiten dominiert auch in Deutschland die weltweit vorherrschende Richtung der
Zwölferschiiten. Ihre Zahl liegt bei insgesamt 125.000 Personen, die hauptsächlich aus dem Iran
stammen. [Vgl. Spuler-Stegemann 1998, S. 42.] Daneben sind der Libanon, die Türkei und Afghanistan
ihre Heimatländer. Da Sunniten und Schiiten in Fragen ihrer Religionsausübung nur geringfügig
voneinander abweichen, braucht im Folgenden nicht zwischen beiden Hauptrichtungen des
Islams unterschieden zu werden.
Mit insgesamt 400.000 Anhängern stellen die aus der Türkei stammenden Aleviten eindeutig die
zweitgrößte islamische Gruppierung in Deutschland dar. [Vgl. ebd., S. 51.] Bei ihnen handelt es
sich um eine Sondergruppe, die sich in Fragen der Religionsausübung in erheblichem Umfang
von Sunniten und Schiiten unterscheidet. Da sie sich weder an die fünf religiösen Grundpflichten
der Muslime noch an die Verpflichtungen des islamischen Rechts gebunden fühlen, sondern statt
dessen ihre eigenen religiösen Vorschriften und Rituale entwickelt haben, treffen viele der im
Folgenden behandelten Fragen muslimischer Religionsausübung nicht auf sie zu. Es ist daher
geraten, ihre besonderen religiösen Verpflichtungen und Praktiken eigens zu betrachten, was in
diesem Zusammenhang jedoch nur andeutungsweise der Fall sein kann.
Als letzte religiöse Gruppierung sind noch die Ahmadis zu nennen, die die Zahl ihrer Anhänger
in Deutschland mit 60.000 Personen angeben. [Vgl. Becker 1996.] Aufgrund der herausragenden
Bedeutung ihres Stifters, Mirza Ghulam Ahmad (1835-1908), den die Mehrheit der Ahmadis als
Propheten (Qadianis), die Minderheit hingegen als Erneuerer des Islams (Lahoris) betrachtet,
stellen sie sich aus der Sicht vieler Muslime in Widerspruch mit der im Koran verbürgten
Vorstellung von der Finalität der Sendung Muhammads (Sure 33:40). In Fragen ihrer
Religionsausübung unterscheiden sie sich jedoch nicht wesentlich von Sunniten und Schiiten.
Auf die ihnen gegenüber vorgenommenen Ausgrenzungen haben sie ihrerseits mit
entsprechenden Maßnahmen reagiert. [Durch Beschluß des pakistanischen Parlaments von 1974 gelten
Ahmadis als nichtislamische Minderheit. Demzufolge dürfen sie sich dort nicht als Muslime bezeichnen, ihre
Gebetsstätten nicht Moscheen nennen, den Gebetsruf nicht ausrufen und vieles mehr. Umgekehrt erlauben Ahmadis
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ihren Mitglieder nicht, an Gebeten teilzunehmen, denen Nichtahmadis vorstehen, und ihren Frauen gestatten sie
nicht, einen Nichtahmadi zu heiraten (Ahmed 1975; Ders. 1980).]
3. Problemfelder islamischer Religionsausübung in Deutschland
3.1 Religionsfreiheit und ihre Grenzen
Das Grundgesetz bestimmt den Rahmen, innerhalb dessen sich alle in der Bundesrepublik
Deutschland lebenden Menschen religiös zu betätigen vermögen. Dieser Rahmen ist allen
Menschen unabhängig vom Geschlecht oder Alter, von Herkunft oder Staatsangehörigkeit und
von der konkreten Religionszugehörigkeit als Grund- und Menschenrecht gemeinsam. Dabei
schützt das Grundgesetz nicht nur die Freiheit des religiösen Bekenntnisses (Art. 4 Abs. 1),
sondern auch der Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2). [Wörtlich lauten die beiden Artikel: „Die Freiheit
des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind
unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet."]
Somit erstreckt sich sein Schutz sowohl auf die Zugehörigkeit zu einer Religion, als auch auf
deren Ausübung. Die Religionsfreiheit ist demnach als ein Grundrecht mit umfassender
Bedeutung zu verstehen. Nach Stefan Muckel herrscht weithin Einigkeit darüber, in den beiden
Artikeln „ein einheitliches Grundrecht der ‚Glaubens- und Gewissensfreiheit’ zu sehen, welches
ein weitreichendes Recht auf ein glaubensgeleitetes Leben gewährleisten soll. Dem
Selbstverständnis des einzelnen oder einer Gemeinschaft wird entscheidende Bedeutung für die
Frage beigemessen, ob ein bestimmtes Verhalten als Ausübung von Religion oder
Weltanschauung dem Schutzbereich der Religionsfreiheit unterfällt." [Muckel 1999, S. 241f.]
Dennoch ist die Religionsfreiheit kein Recht von grenzenloser Reichweite und absolutem Rang.
Ihre Grenzen vermag man vielmehr in zweierlei Hinsicht abzustecken. Unumstritten ist die
Auffassung, daß ihre Schranken dort gesetzt sind, wo sie auf „mit Verfassungsrang ausgestattete
Gemeinschaftsinteressen oder Grundrechte Dritter" [Zitiert nach: Ebd.] trifft. Die durch das
Grundgesetz ebenfalls geschützten Rechte anderer Personen oder die Interessen der
Gemeinschaft von gleichem Rang begrenzen somit die Religionsfreiheit.
In Rechtsprechung und Literatur ist hingegen umstritten, ob darüber hinaus die allgemeinen
Gesetze eine Einschränkung der Religionsfreiheit rechtfertigen. [Die Diskussion hierüber kann in
diesem Zusammenhang nicht geführt werden. Darum wissend hat der Verfasser entschieden, sich der Auffassung
von Stefan Muckel zu dieser Frage anzuschließen (Ebd., S. 253-256).]
Diese Auffassung erschließt sich aus der Anwendung von Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1
WRV, wonach die „bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten … durch die
Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt" werden. Da zu den
staatsbürgerlichen Pflichten auch die Befolgung von Gesetzen gehört, hat die Religionsausübung
demnach in deren Rahmen zu geschehen. Folgt man dieser Position, ergibt sich daraus eine
Begrenzung der Religionsfreiheit durch die allgemeinen Gesetze. Mit den allgemeinen Gesetzen
sind dabei diejenigen staatlichen Normen gemeint, „die sich nicht gegen Glauben, Bekenntnis
und Religionsausübung als solche wenden, die also kein ‚Sonderrecht’ gegen die
Religionsfreiheit enthalten und deshalb ‚allgemein’ sind." [Ebd., S. 254.] Der aus der Weimarer
Reichsverfassung in das Grundgesetz übernommene Artikel begründet damit einen Vorbehalt
zugunsten der allgemeinen Gesetze. Die in ihnen geschützten Belange hebt dieser
20
Gesetzesvorbehalt auf die verfassungsrechtliche Ebene des Grundrechtes, was folgerichtig eine
Einschränkung der Religionsfreiheit zur Konsequenz haben kann. Demnach liegen Konflikte
zwischen dem Anspruch auf Religionsfreiheit und der Geltung der durch einfaches Recht
geschützten Belange auf einer vergleichbaren Ebene. Sie sind dabei nicht durch den Vorrang des
Grundrechts gegenüber dem allgemeinen Recht zu lösen. Vielmehr ist auf der Grundlage der
sogenannten „praktischen Konkordanz" [„Die Maxime der praktischen Konkordanz verlangt nach einer
Lösung, die beiden Belangen, dem Grundrecht und dem gegenläufigen, im einschränkenden Gesetz zum Ausdruck
kommenden Interesse, in größtmöglichem Umfang Rechnung trägt. Beide Belange sollen sich möglichst weitgehend
durchsetzen, beide müssen aber auch Einschränkungen hinnehmen" (Ebd., S. 255f.).] nach einem Ausgleich
zwischen den miteinander streitenden Ansprüchen zu suchen.
Dieser Ansatz beruht im wesentlichen darauf, dem Art. 4 Abs. 1 und 2 GG keinen Vorrang
gegenüber Art. 136 Abs. 1 WRV einzuräumen, sondern beide Regelungen in einem sich
ergänzenden Zusammenhang zu verstehen. Für dieses Verständnis spricht die Tatsache, daß die
inkorporierten Artikel der Weimarer Reichsverfassung zusammen mit dem Grundgesetz eine
Einheit bilden. Der Gesetzesvorbehalt aus Art. 136 Abs. 1 WRV ist daher als korrespondierende
Regelung zum Grundrecht der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu betrachten. Die
Religionsausübung findet daher im Rahmen der öffentlichen Ordnung ihre Verwirklichung.
[Stefan Muckel zitiert in diesem Zusammenhang Joseph Listl, der darüber einen Konsens sieht, „daß die beiden
staatskirchenrechtlich relevanten Normen des Art. 4 und des Art. 140 GG ungeachtet ihrer räumlichen Trennung so
zu lesen sind, als ob sie auch äußerlich, und zwar im Rahmen des 1. Abschnitts, ineinandergefügt wären" (Ebd., S.
254 Anm. 78).]
Die bisherigen Überlegungen sind abschließend auf die grundsätzlichen Fragen im
Zusammenhang islamischer Religionsausübung zu übertragen. Außerhalb jeder Diskussion steht
zunächst die Tatsache, daß es sich beim Islam um eine Religion im Sinne von Art. 4 Abs. 1 und
2 GG handelt. Die aus seinem Selbstverständnis hervorgehenden Ausdrucksformen der
Religionsausübung stehen daher prinzipiell unter dem Schutz des Grundgesetzes. Dabei ist
unerheblich, ob die sich darauf berufenden Muslime ausländischer oder deutscher
Staatsangehörigkeit sind. Die Geltung der Religionsfreiheit als Grundrecht ist unabhängig vom
Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft. Nicht zulässig ist in diesem Zusammenhang der
Vergleich mit der rechtlichen Situation christlicher Minderheiten in islamischen Ländern. Man
kann die Gewährung der Religionsfreiheit nicht von einer gegenseitigen Anerkennung dieses
Rechts abhängig machen. Die Grundlage islamischer Religionsausübung in Deutschland kann
allein das Grundgesetz und nicht die als ungerecht empfundene Rechtsordnung eines anderen
Staates sein. [Über die Situation christlicher Minderheiten u.a. in islamischen Ländern informiert eine
entsprechende Bundestagsdrucksache (Deutscher Bundestag 1999).]
Dieser Grundsatz hat umgekehrt zur Konsequenz, daß Muslime sich in Fragen ihrer
Religionsausübung nicht auf das Recht eines anderen Staates, sondern allein auf das Grundgesetz
berufen können. Für sie kann daher nicht rechtlich maßgeblich sein, was im Heimatland erlaubt
und möglich, sondern allein, was im Rahmen des Grundgesetzes zulässig ist.
Eine erste Einschränkung der prinzipiell weitreichenden Religionsfreiheit kann sich durch
Gemeinschaftsinteressen oder Grundrechte Dritter ergeben. Dabei ist sowohl an die im
Grundgesetz vorgegebene Trennung von Religion und Staat als auch an die anderen ausdrücklich
genannten Grundrechte zu denken. Eine Berufung auf religiöse Motive vermag eine
Veränderung der bestehenden Grundordnung der Bundesrepublik nicht zu rechtfertigen. Neben
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dieser grundsätzlichen Frage spielen vor allem Einzelfragen der Religionsausübung eine Rolle:
Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG), die negative
Religionsfreiheit [Zur Religionsfreiheit gehört auch die Freiheit von der Religion und deren Ausübung.] (Art. 4
Abs. 1 GG) oder der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG) können die
Religionsfreiheit grundsätzlich einschränken. In den in Frage kommenden Angelegenheiten, wie
beispielsweise der Beschneidung von Kindern, dem Tragen des Kopftuchs im Unterricht oder
der Befreiung vom Sportunterricht, sind daher die Grundrechte der einen gegen die der anderen
sorgfältig abzuwägen, um zu einer Entscheidung zu gelangen.
Die Anwendung des genannten Gesetzesvorbehalts kann schließlich eine zusätzliche und
weiterreichende Einschränkung der Religionsfreiheit bewirken. Der Verweis auf den Vorrang
des Grundrechts gegenüber den allgemeinen Gesetzen führt unweigerlich dazu, daß die durch
einfaches Recht geschützten Belange regelmäßig hinter dem Anspruch auf Religionsfreiheit
zurückstehen müssen. Dadurch werden in Fragen der Religionsausübung regelmäßig
Ausnahmezustände geschaffen, die auf Dauer schwerlich eine gesellschaftliche Akzeptanz
finden können. [Stefan Muckel macht mit Recht darauf aufmerksam, daß Bemühungen um eine Integration der
bisweilen mehrheitlich ausländischen Muslime beeinträchtigt werden können, wenn der Eindruck eines
„Sonderrechts" in ihren religiösen Anliegen entsteht (Ders. 1999, S. 256f.).]
Eine Berücksichtigung der durch allgemeine Gesetze geregelten Belange erlaubt hingegen eine
umfassende Betrachtung der in Frage stehenden religiösen Angelegenheiten. Um die
Religionsfreiheit jedoch nicht von vornherein zu begrenzen, ist allerdings in jedem Fall sehr
sorgfältig danach zu fragen, ob und in welchem Umfang das einfache Recht eine Begrenzung des
religiösen Handelns erlaubt. Im Sinne der „praktischen Konkordanz" ist dabei nach einem
Ausgleich zwischen den gegensätzlichen Interessen zu suchen. Auf Angelegenheiten islamischer
Religionsausübung angewandt bedeutet dies, daß beispielsweise in der Frage des Gebetsrufes die
Immissionsschutzgesetze und in der des Schächtens das Tierschutzgesetz eine einschränkende
Wirkung zeigen können. Auf dem Hintergrund ihres Schutzanspruchs ist zu fragen, ob eine
Einschränkung der Religionsfreiheit zulässig und in welcher Weise eine Lösung des
Interessenkonflikts möglich ist.
3.2 Moscheebau
3.2.1 Trägerschaft
Die Gesamtzahl der gegenwärtig in Deutschland bestehenden islamischen Gebetsstätten liegt
schätzungsweise bei 2.200. [Vgl. Zentralinstitut Islam-Archiv-Deutschland e.V. 2000, S. 116. Zur Bedeutung
und zur Funktion einer Moschee: Lemmen 2000a, S. 21-25.]
Die meisten von ihnen sind nach wie vor der Kategorie der sogenannten „Hinterhofmoscheen"
zuzuordnen. Damit sind die unscheinbaren Gebetsstätten gemeint, die ihre Benutzer in
gemieteten und umgebauten Häusern oder Hallen eingerichtet haben und die oftmals von außen
nicht als religiöse Einrichtungen zu erkennen sind. Sie befinden sich in Hinterhöfen oder
Gewerbegebieten und fallen nur durch die zahlreichen Besucher am Freitagmittag oder an den
Abenden der Fastenzeit auf. Moscheen im klassisch orientalischen Stil gab es in Deutschland
lange Zeit nur sehr wenige. Zu ihnen gehören die Wilmersdorfer Moschee (1924), die Imam Ali
Moschee in Hamburg (1961), die Bilal Moschee in Aachen (1964) und das Islamische Zentrum
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in München (1967). Dieses Bild hat sich jedoch in den letzten Jahren erheblich verändert,
seitdem Muslime mit dem Bau repräsentativer Moscheen in Deutschland begonnen haben. Seit
etwa Ende der achtziger Jahre werden zunehmend neue Moscheen mit Kuppeln und Minaretten
gebaut. Derzeit soll es insgesamt 66 solcher Bauwerke geben. [Vgl. Zentralinstitut Islam-ArchivDeutschland e.V. 2000, S. 116. Dem Verfasser sind Neubauten in den folgenden Städten bekannt: Augsburg,
Baesweiler, Bergheim, Berlin, Böbingen, Dillenburg, Dortmund, Duisburg, Frankfurt am Main, Hamburg, Hamm,
Hilden, Iserlohn, Karlstadt, Köln, Lauingen, Mannheim, Marl, Mosbach, Neuss, Pforzheim, Siegen, Werl,
Wesseling. Diese Aufzählung erhebt jedoch in keiner Weise den Anspruch auf Vollständigkeit.]
Gleichzeitig sind schon bestehende Gebetsstätten umgebaut worden, indem man auf das Dach
eine Kuppel gesetzt oder dem Gebäude ein Minarett hinzugefügt hat. [In Alsdorf befindet sich seit
einigen Jahren eine Moschee in einem ehemaligen Bahnhofsgebäude, dessen Dach man nunmehr um eine kleine
Kuppel erweitert. Die Moschee in Grevenbroich ist in einer ehemaligen Werkshalle eingerichtet, vor die ein kleines
Minarett gebaut wurde. Kuppel und Minarett der Moschee in Troisdorf sind schon von weitem zu erkennen. Bei
näherem Hinsehen kann man feststellen, daß beide lediglich auf ein relativ kleines Haus aufgesetzt sind.]
Diese fortschreitende Bautätigkeit macht einen Wandel im Bewußtsein der Muslime deutlich.
Hatten ihre Gebetsstätten bislang einen provisorischen Charakter, so versinnbildlichen die Neuund Umbauten den Willen, in dieser Gesellschaft im wahrsten Sinne des Wortes heimisch zu
werden.
Die Bauherrn oder Träger der Moscheen sind in der Regel islamische Gemeinden in der
Rechtsform eines eingetragenen Vereins. Seit Anfang der siebziger Jahre haben die nach
Deutschland eingewanderten Muslime begonnen, sich zur Erfüllung ihrer religiösen
Verpflichtungen zusammenzuschließen. [Zum islamischen Organisationswesen insgesamt: Lemmen 2000a.]
Die meisten der mittlerweile entstandenen islamischen Vereine existieren jedoch nicht für sich
alleine, sondern gehören zu in ganz Deutschland und Europa verbreiteten Verbänden. Die
Verbände selbst lassen sich auf entsprechende Organisationen in den Heimatländern
zurückführen, zu denen nach wie vor Verbindungen bestehen. Der Bau einer Moschee ist daher
über die einzelne islamische Gemeinde hinaus im Zusammenhang mit dem Verband zu
betrachten, dem sie angehört. Dabei sind allerdings signifikante Unterschiede in den
Organisationsstrukturen der Verbände zu berücksichtigen. Der Verband der Islamischen
Kulturzentren e.V. (VIKZ) ist beispielsweise zentralistisch strukturiert. Seine mehr als 300
Niederlassungen im Bundesgebiet sind allesamt Zweigstellen des Verbandes, der nur an seinem
Hauptsitz in Köln als eingetragener Verein existiert. Bei Bauvorhaben des VIKZ tritt daher
rechtlich gesehen der Verband als Bauherr in Erscheinung und nicht die Ortsgemeinde.
Demgegenüber ist die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB)
dezentralistisch aufgebaut. Ihre mehr als 770 Ortsvereine sind alle rechtlich selbständig und
haben eine Mitgliedschaft im Verband mit Sitz in Köln erworben. Demnach sind auch die
jeweiligen DITIB-Vereine stets Träger ihrer örtlichen Bauvorhaben. Das Verhältnis des
Ortsvereins zum Verband, wie es in den Satzungen zum Ausdruck kommt, ermöglicht der DITIB
jedoch die Mitwirkung bei Bauvorhaben. Ihre Aufgabe besteht nämlich unter anderem darin, ihre
Mitgliedsvereine bei der Schaffung religiöser Einrichtungen zu unterstützen. [Vgl. § 2 Abs. 1+2 der
Vereinssatzung.]
Umgekehrt können die Mitgliedsvereine ihre Grundstücke dem Verband überschreiben, dem
außerdem im Auflösungsfall das Vereinsvermögen zufällt. [Vgl. §§ 5+18 der Mustersatzung der DITIBVereine.]
23
Ungeachtet der Eigenständigkeit der Ortsvereine hat der Verband - und damit der türkische Staat
- weitreichende Kompetenzen in ihren Angelegenheiten. Schwieriger sind die Verhältnisse
hingegen beim zweitgrößten islamischen Verband in Deutschland, der Islamischen Gemeinschaft
Milli Görüs e.V. (IGMG), zu beschreiben. Die Struktur der IGMG läßt sich als eine Kombination
zentralistischer, dezentralistischer und föderativer Elemente beschreiben. Neben abhängigen
Ortsvereinen gehören eigenständige Vereine und Föderationen auf Landesebene zur IGMG mit
offiziellem Sitz in Bonn. Seit der Neuorganisation des Verbandes in den Jahren 1994/95 ist
zudem die Europäische Moscheebau und -unterstützungs Gemeinschaft e.V. (EMUG) mit Sitz in
Köln für die Verwaltung seiner zahlreichen Immobilien zuständig. Der insgesamt gesehen sehr
komplizierte Aufbau der IGMG erlaubt daher keine grundsätzlichen Aussagen über die
Zuständigkeit bei bestimmten Bauprojekten. Feststellen läßt sich allerdings eine direkte
Zuständigkeit der Zentrale in Köln/Bonn bei allen Vereinen, die in ihrem Namen die
Bezeichnung AMGT/IGMG-Ortsverein führen. [Die IGMG trug bis zur Neuorganisation von 1994/95 den
Namen Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V. (AMGT). Die AMGT/IGMG-Ortsvereine sind in ihrer
Eigenständigkeit erheblich eingeschränkt. So können ihre vom Vorstand des Verbands berufenen Vorstände
bestimmte Rechtsgeschäfte nur mit dessen Zustimmung vornehmen. Vgl. § 11 der Mustersatzung der Ortsvereine.]
Mittlerweile gibt es mancherorts Vereine, die keinem der großen islamischen Verbände
angehören, sondern mit dem Anspruch auftreten, unabhängig zu sein. Dabei handelt es sich um
Vereine, die sich entweder aus Angehörigen verschiedener Nationalitäten zusammensetzen oder
die sich zur Verwirklichung ihrer Aufgaben bewußt außerhalb der Verbände stellen, um sich
dadurch der Einflußnahme von Organisationen aus den Heimatländern zu entziehen. [Ein Beispiel
dafür ist der 1997 gegründete Multinationale Bildungs- und Kulturverein e.V. (MBK), der sich um die Schaffung
einer Moschee für die Muslime in Köln-Chorweiler bemüht. Der MBK ist durch eine eigene Website im Internet
vertreten (http://members.aol.com/MBKeV/welcome.html).]
Diese Versuche haben nur dann Bestand, wenn es den Verantwortlichen gelingt, die religiösen
Interessen der Mitglieder gegen die Konkurrenz der Verbände zu verwirklichen.
3.2.2 Standort und Genehmigungsverfahren
Das Bekanntwerden des Vorhabens, eine Moschee zu bauen, löst regelmäßig in der deutschen
Öffentlichkeit einen Sturm des Protestes aus. Kaum eines der großen oder kleinen
Moscheebauprojekte der letzten Jahre konnte ohne Auseinandersetzungen mit den unmittelbaren
Nachbarn oder den zuständigen Stadtverwaltungen verwirklicht werden. [Dies zeigt sich sowohl bei
den bereits verwirklichten Projekten in Pforzheim, Mannheim und Neuss als auch bei den Planungen in KölnChorweiler und Pulheim. Zu diesen Diskussionen: Huber-Rudolf 1996, S. 111-114.]
Das Hauptproblem ist dabei stets die Frage nach dem Standort des Projektes. Da bisher keine der
islamischen Gemeinschaften in Deutschland den Status einer Körperschaft des öffentlichen
Rechts erwerben konnte, besteht rechtlich kein Anspruch auf Errichtung von „heiligen Stätten".
[„Rechtlich ist die Errichtung der ,heiligen Stätten’ Teil der Ausübung der Hoheitsgewalt der als Körperschaften
anerkannten Religionsgemeinschaften" (Ebd., S. 111).]
Umgekehrt hat dies zur Folge, daß in den Bauleitplänen der Kommunen keine Flächen für die
religiösen Bedürfnisse der Muslime ausgewiesen sind. [Nach § 1 Abs. 5 S. 2 Nr. 6 BauGB sind bei der
Aufstellung der Bauleitpläne die Erfordernisse der Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsrechten für
Gottesdienst und Seelsorge zu berücksichtigen.]
24
Ungeachtet ihres Anteils an der Bevölkerung können die Bauleitpläne daher keine Standorte für
Moscheen vorsehen. Dies hat unweigerlich zur Folge, daß sie meistens dort entstehen, wo sie
eigentlich nicht vorgesehen sind, in Gewerbe- oder in Mischgebieten. Als Argumente gegen den
Moscheebau dienen neben den baurechtlichen Bestimmungen vor allem befürchtete
Verkehrsbehinderungen und Lärmimmissionen. [In Neuss-Derikum hatte sich die Auseinandersetzung um
die dortige DITIB-Moschee an der Höhe des Minaretts zugespitzt. Anstelle der beantragten 24 Meter hatte das
Bauamt der Stadt Neuss nur 16 Meter genehmigt, da ansonsten die Eintragung einer Baulast auf das
Nachbargrundstück erforderlich gewesen wäre. Der Nachbar - Eigentümer eines Baumarkts - hatte dem jedoch
nicht zugestimmt. Nachdem das Minarett dann doch in einer Höhe von 24 Metern ausgeführt worden war, mußte es
auf Drängen der Stadtverwaltung abgebaut und an einer anderen Seite der Moschee wieder aufgebaut werden.
Verkehrsbehinderungen können sich vor allem durch den Besucherstrom an Freitagen und während der Fastenzeit
ergeben, für den oftmals nicht ausreichend Parkplätze zur Verfügung stehen. Bei den Lärmimmissionen ist nicht
allein an die Störungen zu denken, die von der Moschee ausgehen, sondern auch an die, die sie von außen
erreichen. So befürchten Betreiber von Handwerksbetrieben eine Einschränkung ihrer Tätigkeit im Hinblick auf die
Störungen, die von ihren Betrieben für die Betenden ausgehen können.]
Diese Argumente treffen jedoch auch auf den Bau von Moscheen in reinen Wohngebieten zu, wo
sich die Frage der Verkehrsbehinderungen und der Lärmimmissionen in noch viel größerem
Umfang stellt.
Der Rückgriff auf das Grundrecht der freien Religionsausübung kann sich jedoch im Einzelfall
begründet gegen diese Interessen durchsetzen. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit einem
Urteil vom 27. Februar 1992 eine Klage gegen den Bau einer Moschee in einem Wohngebiet
beziehungsweise Mischgebiet abgewiesen. [Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 1992 - 4 C 50/89.]
Gegen die Erteilung einer Baugenehmigung für eine Moschee mit einer Koranschule hatte der
Eigentümer eines gegenüberliegenden Wohnhauses geklagt und sich dabei auf für ihn
unzumutbare Belästigungen und Störungen berufen. In seiner Bewertung des Sachverhalts kam
das Gericht zunächst zu dem Schluß, daß die zur Diskussion stehende religiöse Einrichtung in
dem betreffenden Gebiet grundsätzlich zulässig ist. Hinsichtlich der befürchteten
Beeinträchtigungen stellte es fest: „Nach der gesetzlichen Wertung haben die Nachbarn der in
dem Baugebiet allgemein zulässigen kirchlichen Anlage die mit deren Benutzung üblicherweise
verbundenen Beeinträchtigungen grundsätzlich hinzunehmen." [Ebd., S. 2171.] Die tatsächlich zu
erwartenden Beeinträchtigungen - eine Störung der morgendlichen Ruhezeit vor 6.00 Uhr durch
anfahrende Teilnehmer am islamischen Morgengebet - sind nach Auffassung des Gerichtes so
geringfügig, daß eine Beschränkung der Religionsausübung durch das Versagen der
Baugenehmigung demgegenüber unverhältnismäßig ist. Die Gewährleistung der
Religionsfreiheit überwog demnach die geltend gemachten Interessen des Grundstücksnachbarn.
3.2.3 Minarett und öffentlicher Gebetsruf
Innerhalb des Problemfeldes des Moscheebaus stellt der vom Minarett öffentlich zu verkündende
Gebetsruf eine besondere Frage dar, die in den letzten Jahren in verschiedenen Städten zu
lebhaften Auseinandersetzungen geführt hat. Die Frage stellt sich immer wieder dann, wenn das
zum Erscheinungsbild einer klassischen Moschee gehörende Minarett seiner eigentlichen
Bestimmung zugeführt werden soll. [In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß zwar die meisten
Moscheeneubauten mit einem Minarett ausgeführt werden, dieses aber in sehr vielen Fällen nicht genutzt wird, weil
entweder keine Muslime in der Umgebung der Moschee wohnen oder man aus Rücksicht auf die Nachbarn auf den
Gebetsruf verzichtet. Manche Träger erklären dies ausdrücklich bei Baubeginn oder bei der Inbetriebnahme der
Moschee.]
25
Im Laufe des Jahres 1995 beantragten zwei islamische Gemeinden bei der Duisburger
Stadtverwaltung die Genehmigung, den Gebetsruf verstärkt mit einer Lautsprecheranlage zu
verkünden. Nachdem die Stadtverwaltung zunächst die Entscheidung hinausgezögert hatte und
der Ausländerbeirat ein Jahr später das Begehren der Muslime unterstützte, kam es darüber zu
einer heftigen öffentlichen Auseinandersetzung. Den Höhepunkt bildete eine Stellungnahme der
Evangelischen Kirchengemeinde Duisburg-Laar vom 28. Oktober 1996, in der sie unter dem
Titel Kein islamischer Gebetsruf über Lautsprecher! in einer hauptsächlich theologisch
geführten Argumentation die Ablehnung des öffentlichen Gebetsrufes forderte. [Die Stellungnahme
ist am 15. November 1996 als ganzseitige Anzeige in den lokalen Tageszeitungen erschienen.]
Auch wenn die Synode des zuständigen Kirchenkreises und einige Zeit später die beiden
Landeskirchen im Rheinland und von Westfalen sich in aller Deutlichkeit von dieser Aktion
distanzierten, [Vgl. Evangelische Kirche im Rheinland / Evangelische Kirche von Westfalen 1997.] so war die
Auseinandersetzung darüber längst über Duisburg hinaus gegangen und der islamische Gebetsruf
zum Gegenstand einer landesweiten Diskussion geworden. Selbst der Landtag von NordrheinWestfalen befaßte sich im Rahmen einer Kleinen Anfrage am 13. März 1997 mit der
Angelegenheit. [Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen 1997.]
So bedauerlich die Auseinandersetzung als solche im einzelnen gewesen sein mag, hat sie doch
letztlich wichtige Beiträge zur Diskussion und teilweisen Klärung des Sachverhalts liefern
können. [Abgesehen von zahllosen Artikeln in der lokalen und überregionalen Presse seien allein die folgenden
grundlegenden Beiträge genannt: Muckel 1997; Otting 1997; Völpel 1997; Kayser 1997. CIBEDO 4/1997 ist dem
Thema gewidmet und enthält eine wertvolle Sammlung von Stellungnahmen und Materialien dazu.]
Vertreter der islamischen Spitzenverbände in Deutschland, Islamrat und Zen-tralrat, machten
beispielsweise in ihren Stellungnahmen deutlich, daß der Gebetsruf wesentlich zum Ablauf des
Gebetes dazu gehört. [In den Stellungnahmen heißt es wörtlich: „Für uns Muslime ist es selbstverständlich, daß
der Gebetsruf des Muezzins unverzichtbarer Bestandteil unseres täglichen religiösen Lebens ist. ... Der Gebetsruf ist
eine religiös verbindliche Aufforderung, an dem unmittelbar folgenden Gebet für Männer in der Moschee, für
Frauen in ihren Häusern, teilzunehmen oder es selbst zu verrichten. Der Gebetsruf ist unverzichtbarer Bestandteil
des Gebetes im Islam. Der Gebetsruf wird von einem Teil der religiösen Gelehrten als ,Sunna’ eingestuft" (Özdogan
1997). „Der Gebetsruf ist ein wichtiger Bestandteil der islamischen Gottesdienstlehre. ... In den islamischen
Rechtsschulen gilt der Gebetsruf als ,obligatorische Pflicht’ oder zumindest als ,Bestandteil der prophetischen
Tradition’" (Elyas 1998).]
Aufschlußreich ist auch eine Feststellung Amir Zaidans, wonach der Gebetsruf „eine ‚Sunna
muakkada’, sowohl für den einzelnen Betenden, als auch beim Gebet in der Gemeinschaft" ist.
Damit „wird eine Handlung bezeichnet, die der Gesandte Muhammad … meistens praktizierte,
obwohl sie nicht vorgeschrieben ist. Wer sie nicht befolgt, sündigt nicht, wer sie aber praktiziert,
wird dafür von Allah … belohnt." [Zaidan 1996, S. 54.]
Die Beantwortung der Kleinen Anfrage im Düsseldorfer Landtag offenbarte schließlich, daß
bereits in verschiedenen Städten Nordrhein-Westfalens öffentlich zum Gebet gerufen werden
kann. [Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen 1997, S. 3-5.]
Die jeweils mit den Stadtverwaltungen vereinbarten Regelungen wie auch die Reaktionen der
Anwohner sind dabei sehr unterschiedlich. In Düren darf der Gebetsruf fünfmal täglich
erschallen, in Bochum einmal täglich und in Bergkamen einmal wöchentlich. Während in Düren
26
keine Proteste bekannt waren, lag der Stadtverwaltung von Bergkamen bereits eine Beschwerde
vor.
Für eine einvernehmliche Regelung in der Angelegenheit sind die konkreten Verhältnisse im
Umfeld der betreffenden Moschee maßgeblich. Der Standort der Moschee, die Häufigkeit des
Gebetsrufes, seine Lautstärke und seine Akzeptanz durch die Anwohner sind Faktoren, die von
Fall zu Fall zu bedenken sind und die an unterschiedlichen Orten zu verschiedenen Lösungen
führen können.
In der rechtlichen Analyse der Frage spielt vor allem die Vergleichbarkeit des Gebetsrufes mit
dem Glockenläuten eine wichtige Rolle. Martin Völpel fordert in seinem Gutachten für die
Ausländerbeauftragte des Bundes, beides rechtlich gleich zu behandeln. [„Insgesamt ist eine
weitgehende Gleichbehandlung des Gebetsrufes mit sakralem Glockengeläut angesagt" (Völpel 1997, S. 30).]
Stefan Muckel macht demgegenüber auf Unterschiede aufmerksam, die zu einer differenzierten
Bewertung des Sachverhalts führen. [Vgl. Muckel 1997, S. 132-134.] Anders als Kirchenglocken
fallen die Lautsprecheranlagen nicht unter die Kategorie der „res sacrae", sondern haben als
technische Geräte einen anderen Charakter. [Diese Auffassung findet sich in einem Urteil des
Verwaltungsgerichts Bayreuth bestätigt, das die Nutzung einer Lautsprecheranlage an einem Kirchturm zur
Verkündigung religiöser Anlässe grundsätzlich anders bewertete als das Glockenläuten. Die in Frage stehende
Lautsprecheranlage, die von der zuständigen Verwaltungsbehörde nicht genehmigt worden war, sei nur dann
genehmigungsfähig, „wenn ihre Benutzung im konkreten Fall zur freien Religionsausübung unerläßlich ist" (VG
Bayreuth, Urteil vom 20. Juli 1982 - B 3 K 81 A/467, S. 90).]
Während das Läuten selbst keinen Informationsgehalt besitzt, besteht der Gebetsruf in der
Verkündigung des islamischen Glaubensbekenntnisses. Wesentlich ist jedoch, daß der Gebetsruf
gegenüber dem Läuten immer und ausschließlich als Bestandteil des islamischen Pflichtgebetes
eine religiöse Bedeutung hat, was für das Läuten nicht in dieser Ausschließlichkeit gilt. [„Das
Glockenläuten ist also im Gegensatz zum Ruf des Muezzin ein an sich neutrales Geräusch, das verschiedene
Funktionen haben kann. Wenn ihm auch meist religiöse Bedeutung zukommt, so darf doch nicht übersehen werden,
daß es im Einzelfall eine andere, rein weltliche Bedeutung haben kann. Der muslimische Gebetsruf mag neben
seiner religiösen Funktion zugleich anderen Zwecken dienen, etwa der Erhaltung einer muslimischen Identität, der
Vermittlung eines Heimatgefühls für die Muslime. Der Gebetsruf kann aber ... nicht völlig von seiner spezifisch
religiösen Funktion gelöst werden" (Muckel 1997, S. 133).]
Demnach sind beide Handlungen nur zu einem bestimmten Teil miteinander zu vergleichen. Die
festgestellten Unterschiede lassen nach Muckel nur den folgenden Schluß zu: „Der muslimische
Gebetsruf muß einer eigenständigen, vom kirchlichen Glockenläuten losgelösten rechtlichen
Prüfung unterzogen werden." [Ebd., S. 134.]
Diese Prüfung hat dabei zunächst davon auszugehen, daß der islamische Gebetsruf als religiöse
Handlung vom Schutz der Religionsfreiheit umfaßt ist. Seine Einschränkung läßt sich nur damit
rechtfertigen, daß durch ihn andere Personen in ihren Grundrechten beeinträchtigt werden. Als
konkurrierende Grundrechte kommen in diesem Fall die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs.
2 GG), die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG), das Eigentumsrecht (Art. 14
Abs. 1 GG) und die negative Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) in Frage. Darüber hinaus sind
die möglichen Einschränkungen in Betracht zu ziehen, die sich aufgrund des Gesetzesvorbehalts
aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1 WRV im Hinblick auf das einfache Recht ergeben
27
können. Da die Betreiber der Moscheen den Gebetsruf mittels einer Lautsprecheranlage verstärkt
wiedergeben wollen, ist dabei an das Immissionsschutzrecht zu denken. Nach § 3 Abs. 1
BImSchG sind Behörden ermächtigt, den Betrieb von Anlagen zu regeln oder zu untersagen,
„die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche
Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen". Die Richtwerte
dafür unterscheiden sich nach der Art des betreffenden Gebietes, der Tageszeit und der Art des
Geräusches. Ergänzend sind hierbei die landesrechtlichen Gesetze zum Immissionsschutz zu
beachten. In Nordrhein-Westfalen sind beispielsweise in der Zeit von 22.00 bis 6.00 Uhr
Störungen der Nachtruhe nach § 9 Abs. 1 LImSchG ver-boten. Geräte zur Schallerzeugung oder
-wiedergabe dürfen außerdem nach § 10 Abs. 1 LImSchG in ihrer Lautstärke andere Personen
nicht erheblich belästigen. Aber auch das Straßenverkehrsrecht ist geeignet, die Art und Weise
des Gebetsrufes einzuschränken. So sieht § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StVO ein Verbot von
Lautsprecheranlagen vor, wenn sie zu einer Gefährdung oder Ablenkung von
Verkehrsteilnehmern führen können. Dies könnte bei Moscheen der Fall sein, die in
unmittelbarer Nähe einer dicht befahrenen Straße liegen. [In Dillenburg hatte das zuständige
Landratsamt den Gebetsruf unter Berufung auf diese Regelung nicht gestattet.]
Die sich aus dem einfachen Recht ergebenden Behinderungen des Gebetsrufes sind auf ihre
Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf das Grundrecht der Religionsfreiheit zu überprüfen. Im
Einzelfall wird immer zu fragen sein, ob die konkreten Belange des Immissionsschutzes und des
Straßenverkehrs so schwerwiegend sind, daß sie eine Beschränkung der Religionsfreiheit
rechtfertigen. Diese Prüfung wird zu dem Ergebnis gelangen, daß es weder ein grundsätzliches
Verbot noch eine prinzipielle Erlaubnis des Gebetsrufes geben kann. Über den Gebetsruf kann
vielmehr nur im Einzelfall und unter Berücksichtigung aller Umstände und Voraussetzungen
entschieden werden. Stefan Muckel kommt in seiner Bewertung der Frage zu folgendem
Ergebnis: „Wenn der Gebetsruf niemanden in einem Maße stört, das immissionsschutzrechtlich
relevant ist, und wenn zugleich der Straßenverkehr nicht gefährdet wird, haben die Behörden
keine Handhabe, um gegen den Ruf vorzugehen. Das gleiche gilt, wenn der Gebetsruf zu
bestimmten Tageszeiten, etwa vor dem Mittagsgebet, keinen einfach-rechtlichen
Beschränkungen unterliegt. Allein seine fremdländische Herkunft und das damit verbundene
Unbehagen mancher Zeitgenossen bieten keine zureichenden Gründe, um die Grundrechte der
Muslime aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG einzuschränken." [Muckel 1997, S. 141.]
3.3 Beten und Fasten an der Ausbildungs- oder Arbeitsstätte
Weit weniger spektakulär lassen sich Angelegenheiten individueller Religionsausübung gestalten, wozu vor allem das Pflichtgebet und das Fasten gehören. Das islamische Recht setzt
zwar für den Vollzug dieser beiden religiösen Grundpflichten präzise Bedingungen voraus, läßt
aber gleichzeitig eine gewisse Flexibilität zu und erlaubt bestimmte Ausnahmen. Das tägliche
Pflichtgebet hat innerhalb bestimmter Zeitabschnitte stattzufinden, was dem einzelnen Muslim
einen flexiblen Umgang erlaubt. Wenn man sich auf Reisen befindet, darf man die Gebete
verkürzen, und wenn man keine Gelegenheit hat, kann man zwei Pflichtgebete zusammenlegen.
[Amir Zaidan sieht die Möglichkeit des Zusammenlegens von Pflichtgebeten (Dscham’) besonders für Muslime im
Ausland gegeben: „In nichtislamischen Ländern kann Dscham’ erlaubt werden, wenn keine Möglichkeit zum
rechtzeitigen Verrichten des Gebets am Arbeitsplatz, Studienplatz usw. besteht. Voraussetzung ist jedoch, daß man
sich ernsthaft bemüht hat, eine Möglichkeit zum Beten zu finden" (Ders. 1996, S. 93).]
28
Schließlich darf man versäumte Gebete nachholen. Wie beim Beten gibt es auch beim Fasten
eine Reihe von Erleichterungen oder die Möglichkeit, versäumtes Fasten nachzuholen. Diese
Regelungen des islamischen Rechts gestatten dem einzelnen Muslim, sich in diesen wichtigen
Aspekten seiner Religionsausübung in erheblichem Umfang auch in Deutschland zurecht zu
finden. Hinzu kommt, daß man Muslimen in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen auch
Erleichterungen eingeräumt hat, damit sie ihren religiösen Verpflichtungen besser nachkommen
können. Wie die Bundesbahndirektion Hannover bereits in den sechziger Jahren sogenannte
„rollende Moscheen" für türkische Bahnarbeiter in Eisenbahnwagen einrichtete, [Vgl. Abdullah
1981, S. 74.] so haben einige große Industriebetriebe für ihre türkischen Arbeitnehmer
Gebetsräume auf dem Werksgelände zur Verfügung gestellt. Die Muslime haben ihrerseits viele
Anstrengungen unternommen, um die Bedingungen ihrer Religionsausübung zu verbessern. An
vielen Hochschulen und Universitäten beispielsweise setzten sich islamische Studentengruppen
erfolgreich für die Schaffung von Gebetsstätten ein.
Trotz der gut gemeinten Bemühungen von beiden Seiten lassen sich nicht immer alle Fragen
individueller Religionsausübung einvernehmlich lösen. Der Ernstfall tritt immer dann ein, wenn
die Regelungen des islamischen Rechts nicht ausreichen, um die Erfüllung der religiösen
Verpflichtungen an der Arbeits- oder Ausbildungsstätte zu gewährleisten. Dies kann dann sein,
wenn der einzelne Muslim die Anwendung der Erleichterungen des islamischen Rechts in seiner
Situation für nicht gegeben sieht oder wenn die Arbeitsbedingungen ihm trotz allem keine
Möglichkeit zum Beten oder Fasten lassen. Dies führt entweder zum Gewissenskonflikt oder zur
Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber.
Aus der Rechtsprechung ist bisher ein einziger Fall bekannt geworden, in dem das
Landesarbeitsgericht Düsseldorf sich mit der Frage zu befassen hatte. [Vgl. LAG Düsseldorf, Urteil
vom 9. August 1985 – 4 Sa 654/85.]
Ein Arbeitgeber hatte seinem Mitarbeiter gekündigt, weil dieser trotz mehrmaliger Abmahnung
während der Arbeitszeit seinen Arbeitsplatz zum Beten verlassen hatte. Als Grund hatte er die
entstehenden Arbeitsausfälle geltend gemacht und ferner erklärt, daß eine individuelle
Ausnahmeregelung eine Signalwirkung auf die anderen muslimischen Arbeitskräfte ausüben
werde. Der muslimische Arbeitnehmer hatte demgegenüber an seiner Verpflichtung zum Beten
während der vorgeschriebenen Zeiten festgehalten. Durch Urteil vom 9. August 1985 gab das
Gericht der Klage des Muslims statt und verpflichtete den Beklagten zu dessen
Weiterbeschäftigung. [„Der Kläger ist berechtigt, während der allgemeinen Arbeitszeit die ihm nach seinem
Glauben obliegenden Gebete zu verrichten" (Ebd., S. 7 des Urteilsumdrucks).]
In seiner Bewertung des Zusammenhangs gelangte es zu der Auffassung, daß durch die
Vereinbarung besonderer Arbeitszeiten eine innerbetriebliche Regelung zur Lösung des
Gewissenskonflikts gefunden werden könne. Da das Verhalten des klagenden Muslims keine
Nachahmung durch andere muslimische Arbeitnehmer gefunden hatte, seien zudem keine
erheblichen Arbeitsausfälle zu erwarten. Somit rechtfertige das Grundrecht der Religionsfreiheit
in diesem Fall eine Einschränkung der Arbeitspflicht.
Eine noch weitergehende Einschränkung ihrer religiösen Verpflichtungen droht den Muslimen,
die zur Bundeswehr eingezogen werden, sofern diese nicht besondere Vorkehrungen ergreift.
Die Tatsache, daß es immer mehr Muslime mit deutscher Staatsangehörigkeit gibt, wird eine
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Zunahme muslimischer Wehrpflichtiger in der Bundeswehr zur Folge haben. Da ihre Zahl bisher
noch zu gering ist, liegen weder auswertbare Daten noch Konzepte zur Verbesserung ihrer
religiösen Situation vor. [Nach Angaben des Bundesinnenministeriums hatte die Bundeswehr 1999 ungefähr
1.100 Soldaten muslimischen Glaubens.]
Die Forderung nach einer regulären Militärseelsorge läßt sich aus diesen wie aus formellen
Gründen derzeit nicht realisieren. [Vgl. Wagner 1994; Der Spiegel 27/1998.] Mit einem Urteil des
Verwaltungsgerichts Hamburg vom 26. Januar 1994, das sich mit dem Antrag eines
muslimischen Wehrpflichtigen auf Zurückstellung vom Wehrdienst wegen islamischer
Glaubenszugehörigkeit zu befassen hatte, liegt ein wichtiger Beitrag zur Klärung des
Sachverhalts vor. [Vgl. VG Hamburg, Urteil vom 26. Januar 1994 – 3 W 2411/93.]
Der Muslim hatte seine Klage unter anderem mit der drohenden Nichterfüllung seiner religiösen
Verpflichtungen durch den Wehrdienst begründet. Das Gericht sah diese Gefahr nur dann
gegeben, wenn er gezwungen wäre, „aufgrund der Struktur des Wehrdienstes seinen religiösen
Verpflichtungen notwendigerweise zuwiderzuhandeln" [Ebd., S. 817.].
Wenn die Bundeswehr ihm jedoch durch organisatorische Maßnahmen hilft, seinen religiösen
Verpflichtungen nachzukommen, und er diese umgekehrt den Bedingungen des Wehrdienstes im
Rahmen des Möglichen anpassen kann, läßt sich der drohende Konflikt lösen, ohne daß eine
Zurückstellung vom Wehrdienst in Frage kommt. Das Gericht hat sich nicht mit dieser
allgemeinen Bewertung begnügt, sondern vielmehr seinen Ansatz auf verschiedene Fragen
islamischer Religionsausübung übertragen und kam zu dem Ergebnis, daß seiner Auffassung
nach die Einhaltung der Speise- und Reinheitsvorschriften sowie der Verpflichtung zum Beten
und Fasten in der Bundeswehr möglich sei. Wichtig war dabei die Feststellung, daß die
Bundeswehr ihrerseits verpflichtet ist, dem muslimischen Soldaten durch organisatorische
Maßnahmen die ungestörte Religionsausübung zu ermöglichen.
Im Zusammenhang des Fastens taucht alljährlich die Frage nach Beginn und Ende der Fastenzeit
auf. Das Problem entsteht durch unterschiedliche Verfahren zur genauen Feststellung des
entsprechenden Mondmonats, was zu voneinander abweichenden Terminen führt. [Vgl. Say 1993.]
Zur Klärung dieser Frage hat der Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V. (ZMD) vor einigen
Jahren den Deutschen Islamwissenschaftlichen Ausschuß der Neumonde (DIWAN) ins Leben
gerufen. Hierbei handelt es sich um ein Gremium islamischer Gelehrter verschiedener
Organisationen, die alljährlich die Daten der islamische Feiertage ermitteln und bekannt machen.
Die Veröffentlichung dieser Angaben dient einerseits der Vereinheitlichung der religiösen Praxis
unter den Muslimen und andererseits der Information der nichtislamischen Öffentlichkeit
darüber, womit ein wichtiger Beitrag zum Verständnis dieser Frage islamischer
Religionsausübung geleistet werden kann.
3.4 Islamische Feste als gesetzlich anerkannte Feiertage?
In den Zusammenhang der Religionsausübung gehören auch die beiden großen islamischen Feste
– das Fest des Fastenbrechens (Id-ul-Fitr) und das Opferfest (Id-ul-Adha) – sowie die sonstigen
festlichen Anläße im Verlauf des Jahres. Während die beiden bedeutenden islamischen Feste
beispielsweise in Spanien gesetzlich anerkannt sind, [Die Grundlage dafür bietet ein
Kooperationsabkommen zwischen dem spanischen Staat und der Islamischen Kommission Spaniens vom 28. April
30
1992.] ist dies in Deutschland nicht der Fall. Wenn Muslime diese Tage durch die Teilnahme an
den Festtagsgebeten – wozu sie verpflichtet sind – oder den Besuch von Verwandten und
Freunden feierlich begehen möchten, müssen sie sich in ihrem Arbeitsalltag entsprechend
einrichten. Das hat zur Folge, daß viele von ihnen sich zum Fest des Fastenbrechens und zum
Opferfest einen oder mehrere Urlaubstage nehmen oder durch das Abfeiern von Überstunden
Freizeit zum Feiern gewinnen. Probleme können dort entstehen, wo die Arbeitsbedingungen dies
nicht zulassen oder wo eine Befreiung nur schwer möglich ist. Nach § 616 BGB hat ein
Arbeitnehmer einen Anspruch auf bezahlte Freistellung von der Arbeit, wenn ihm nicht
zuzumuten ist, seine Arbeitsleistung zu erbringen, weil er seine religiösen Pflichten nur während
der Arbeitszeit erfüllen kann. Dabei sind jedoch auch die Belange des Arbeitgebers zu
berücksichtigen, der die Störung des Betriebsablaufs zu seinen Gunsten geltend machen kann.
Diese Abwägung kann zu dem Ergebnis gelangen, daß kein Anspruch auf Freistellung besteht,
wenn dies eine unzumutbare Beeinträchtigung des Betriebsablaufs mit sich bringt. In diesem Fall
kann jedoch eine unbezahlte Freistellung von der Arbeit zur Wahrnehmung der religiösen
Verpflichtung in Betracht kommen. Daneben ist auch an eine innerbetriebliche Regelung der
Frage zu denken. Damit sind einem islamischen Arbeitnehmer oder Angestellten Möglichkeiten
zur Teilnahme an den für ihn verpflichtenden Festtagsgebeten gegeben. [Nach Amir Zaidan bestehen
folgende Regelungen hinsichtlich der Gebetszeiten: „Am Id-ul-Fitr beginnt die Zeit des Festgebets … wenn die
Sonne sechs Meter über dem Horizont steht und dauert bis zum Mittag. Am Id-ul-Adha beginnt die Zeit des
Festgebets, wenn die Sonne drei Meter über dem Horizont steht und dauert bis zum Mittag" (Ders. 1996, S. 85).]
Im Bereich der öffentlichen Schulen sind in den alten Bundesländern Regelungen getroffen, die
islamischen Schülern grundsätzlich oder auf Antrag der Eltern eine Befreiung vom Unterricht für
einen oder zwei Tage bei beiden Festen gewähren. [Laut Mitteilung des Bundesministeriums des Innern
haben die Kultusministerien aller alten Bundesländer entsprechende Regelungen erlassen. Die Daten der
islamischen Festtage werden mitunter in den Amtsblättern veröffentlicht.]
Wenn gegenwärtig auch keine gesetzliche Anerkennung der islamischen Feste in Sicht ist, so
läßt sich doch durch eine Reihe von Maßnahmen deren gesellschaftliche Akzeptanz erreichen.
Hierzu gehören unter anderem die Grußworte politischer, gesellschaftlicher oder kirchlicher
Spitzenvertreter an Muslime und ihre Gemeinschaften anläßlich der Feste. So wendet sich
beispielsweise der Päpstliche Rat für den Interreligiösen Dialog in Rom seit 1968 jährlich mit
einer Botschaft zum Ramadanende an die Muslime. [Vgl. Michel 1994.] Dieses Beispiel hat nicht
nur Nachahmung durch die Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der
Evangelischen Kirche in Deutschland gefunden, sondern seit 1997 auch durch den
Bundespräsidenten. Während der Fastenzeit sprechen zudem zahlreiche Moscheen Einladungen
zum gemeinsamen Fastenbrechen aus, die üblicherweise auch an die politischen und kirchlichen
Vertreter im Umfeld der Moschee ergehen. Jedoch auch die Medien können durch eine positive
Berichterstattung einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des religiösen Lebens der Muslime
leisten. Als Beispiel sei nur erwähnt, daß der amerikanische Fernsehsender CNN während des
Pilgermonats live von den verschiedenen Stationen der Pilgerfahrt berichtet und dadurch einen
authentischen Eindruck des Geschehens vermittelt.
3.5 Namensgebung und Namensänderung beim Übertritt zum Islam
Der Name einer Person ist in der islamischen Welt von großer Bedeutung, wie sich aus dem
folgenden Ausspruch des Propheten Muhammad erschließen läßt: „Am Tag des Jüngsten
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Gerichts werdet ihr bei euren Namen gerufen werden und bei denen eurer Väter. Wählt daher
schöne Namen aus." [Zum Thema: Heine 1994, S. 67-81; Schimmel 1993.]
Viele der Namen, die Muslime ihren Kindern geben, haben einen direkten religiösen Bezug,
indem sie sich auf Personen aus der Frühzeit des Islams beziehen oder in Verbindung mit dem
Gottesnamen stehen. Die Namensgebung eines Kindes erfolgt in der Regel sechs oder sieben
Tage nach der Geburt. Dabei ergeben sich in Deutschland kaum Probleme bei der Eintragung der
Vornamen ins Stammbuch. [Peter Heine berichtet hingegen vom Fall eines Muslims, der seinen beiden
Töchtern zusätzlich zu ihren Vornamen – entsprechend einer verbreiteten Praxis – seinen eigenen Vornamen geben
wollte. Das zuständige Standesamt lehnte dieses Ansinnen damit ab, daß sich der Vorname eindeutig auf das
Geschlecht des Kindes beziehen muß (Ders. 1994, S. 80f).]
Die Frage des Namens wird dann zu einem Problem, wenn es sich um eine Namensänderung
beim Übertritt zum Islam handelt. Viele zum Islam konvertierte Deutsche möchten ihre neue
religiöse Identität durch einen islamischen Namen unterstreichen, den sie zusätzlich zu ihrem
bürgerlichen Vornamen oder an dessen Stelle führen möchten. Eine Namensänderung ist nach §
3 Abs. 1 NÄG dann gerechtfertigt, wenn die Belange, einen Namen zu ändern, schwerer wiegen
als diejenigen, die für seine Beibehaltung sprechen. In der Bewertung liegt jedoch ein
erheblicher Unterschied zwischen der Frage des Vor- und des Nachnamens, insofern das
öffentliche Interesse an der Beibehaltung eines Nachnamens zum Zwecke der Identifikation
höher ist als beim Vornamen. Bei Namensänderungen ist ferner zu unterscheiden, ob man dem
bisherigen Namen einen weiteren hinzufügen möchte oder ob man ihn durch einen anderen zu
ersetzen gedenkt. Diese gesetzlichen Voraussetzungen sind im Falle der Namensänderung einer
Person nach dem erfolgten Übertritt zum Islam zu berücksichtigen. Das Interesse des
Konvertiten an einem religiös begründeten Namen muß sich daher mit dem öffentlichen
Interesse an der Beibehaltung des Namens messen. In der Frage sind mittlerweile zwei
richterliche Entscheidungen bekannt geworden.
Das Verwaltungsgericht Koblenz hat mit Urteil vom 27. Oktober 1992 die Klage eines deutschen
Muslims abgewiesen, seinen bisherigen Vornamen „Dirk Olaf" durch „Abdul-Faruk Cetin" zu
ersetzen. [Vgl. VG Koblenz, Urteil vom 27. Oktober 1992 – 2 K 2499/91 Ko.]
Im Hinblick auf die Identifizierung des Klägers, gelangte es zu der Überzeugung, daß das
öffentliche Interesse an der Beibehaltung seines Vornamens mehr Gewicht hat als der religiös
motivierte Wunsch der Namensänderung. Da der Kläger durch den Fortbestand seines alten
Namens nicht erkennbar in seiner Religionsfreiheit beeinträchtigt sei, sah das Gericht keinen
Anspruch auf Namensänderung gegeben.
Demgegenüber hat der Verwaltungsgerichtshof München durch Urteil vom 3. Juni 1992 der
Klage eines deutschen Muslims auf Hinzufügung des Vornamens „Abdulhamid" zum bisherigen
Vornamen „Andreas" stattgegeben. [Vgl. VGH München, Urteil vom 3. Juni 1992 – 5 B 92/162.]
In diesem Fall überwog das persönliche Interesse an der Namensänderung das öffentliche
Interesse, weil infolge der Hinzufügung eines Vornamens die Identifizierung des Klägers nicht in
Frage stand. Neben dem Übertritt zum Islam war für das Gericht ferner ausschlaggebend, daß der
Kläger sein Begehren mit einer entsprechenden Lebensführung zusätzlich glaubhaft gemacht
32
hatte. Der Rückgriff auf das Grundrecht der Religionsfreiheit rechtfertige daher eine
Namensänderung.
Die Frage der Namensänderung ist vollkommen anders zu bewerten, wenn es darum geht, die
bisherigen Namen formell zu behalten und islamische Namensbestandteile im Umgang mit
Muslimen oder lediglich im privaten Bereich zu verwenden. Viele deutsche Muslime machen
von dieser Möglichkeit Gebrauch, indem sie im religiösen Leben unter ihrem islamischen
Namen bekannt sind und offiziell weiter ihren bürgerlichen Namen führen. In Dokumenten, die
einen amtlichen Charakter haben, schreiben sie ihren Zweitnamen unter Hinzufügung des
Kürzels „gen." zusätzlich zu ihrem eigentlichen Namen. [Der stellvertretende Vorsitzende des
Zentralrates der Muslime in Deutschland, Mohammed Aman Hobohm, heißt mit bürgerlichem Namen Herbert
Hobohm. Der Name des Leiters des Zentralinstituts Islam-Archiv-Deutschland e.V., Muhammad Salim Abdullah,
soll Herbert Krahwinkel lauten.]
3.6 Fragen der Beschneidung von Kindern
Die Beschneidung männlicher Kinder ist ein in der gesamten islamischen Welt verbreiteter
Brauch, den auch die in Deutschland lebenden Muslime an ihren Söhnen vornehmen lassen. [Zum
Thema: Clotter 1983; Aldeeb Abu-Sahlieh 1994.]
Gerade bei türkischen Muslimen kommt es häufig vor, daß sie zu diesem Zweck zu ihren
Familienangehörigen in die Türkei reisen, um dort die Beschneidung des Sohnes im Kreis der
Familie feierlich zu begehen. Aber auch in Deutschland lassen Muslime zunehmend
Beschneidungen durchführen. Hierbei wenden sie sich weniger an entsprechende Spezialisten
aus dem Umfeld der Landsleute, als mittlerweile vielmehr an fachkundige Chirurgen. Mancher
türkische Arzt hat sich in Kenntnis dieser Praxis auf die Beschneidung von Jungen in
Deutschland spezialisiert. In der Kostenfrage ist festzustellen, daß manche Krankenkassen dazu
übergegangen sind, die Kosten für diesen medizinischen Eingriff auf Antrag zu übernehmen. Die
Beschneidung ist auch im Fall der Konversion eines erwachsenen Mannes nach seinem Übertritt
zum Islam vorzunehmen.
Unter Berufung auf fragwürdige Überlieferungen ist die Beschneidung von Mädchen in
bestimmten Regionen der islamischen Welt als ein Relikt vorislamischer Zeit erhalten geblieben.
[Vgl. Aldeeb Abu-Sahlieh 1994, Spuler-Stegemann 1997.] Sowohl in der Methode der Beschneidung als
auch in ihrer Bewertung durch die Rechtsschulen lassen sich erhebliche Unterschiede feststellen.
Mit der Migration der Muslime nach Europa ist diese Praxis auch dorthin gelangt. Aufgrund der
unterschiedlichen Auffassungen zu dieser Frage läßt sich kein genaues Bild von ihrer
Verbreitung machen. Allem Anschein nach kommen Fälle von Frauenbeschneidungen in Europa
bei Einwanderern aus bestimmten Regionen (Ägypten, Sudan, Äthiopien, Somalia, Westafrika)
häufig vor, während andere Muslime (Türkei, Bosnien-Herzegowina, Iran, Afghanistan) diesen
Brauch weder kennen noch praktizieren. Das Phänomen ist ernst zu nehmen, nachdem immer
wieder gravierende Fälle bekannt geworden sind. Ein französisches Gericht verurteilte Anfang
1999 eine Beschneiderin aus Mali zu acht Jahren Haftstrafe, weil sie 45 junge Mädchen in
Frankreich beschnitten hatte. Aber auch die Eltern der Mädchen hatten sich vor Gericht wegen
Beihilfe zu gefährlicher Körperverletzung zu verantworten. [Vgl. Wiegel 1999.] Es soll ferner
vorkommen, daß saudische Familien die Beschneidung ihrer Töchter in westlichen
Privatkliniken vornehmen lassen. [Vgl. Jamila-Zahra 1997, S. 22 Anm. 3.] Beim Landratsamt Marburg-
33
Biedenkopf haben ausländische Sozialhilfeempfänger die Übernahme der Kosten für die
Beschneidungen von Mädchen beantragt, was man dort grundsätzlich abgelehnt hat. [Vgl. SpulerStegemann 1997, S. 208.] Diese Beispiele verdeutlichen die Problematik und lassen vermuten, daß
die Dunkelziffer erheblich höher liegt. Verschiedene Staaten, wie Großbritannien, Schweden und
die Schweiz, haben die Mädchenbeschneidung durch entsprechende Gesetze unter Strafe gestellt.
In Deutschland stellt sie als gefährliche oder schwere Körperverletzung eindeutig einen
Straftatbestand dar, der Gefängnisstrafen zur Folge hat.
Hierzulande ist es bisher nicht zu einer nennenswerten öffentlichen Auseinandersetzung mit dem
Problem gekommen. Allerdings haben verschiedene Muslime dazu Stellung bezogen. In einem
Rundbrief der Deutschen Muslim-Liga e.V. in Hamburg aus dem Jahre 1993 findet sich unter der
Überschrift Beschneidung von Mädchen – eine Unsitte und im Islam verboten eine deutliche
Distanzierung. [Vgl. Borek 1997, S. 105.] Der Verfasser des Beitrages weist darauf hin, daß es sich
bei der Mädchenbeschneidung um einen Brauch aus vorislamischer Zeit handele, der weder auf
den Koran noch auf die prophetische Überlieferung zurückzuführen sei. Dies zeige sich daran,
daß sie in vielen Teilen der arabischen Welt unbekannt sei, während man sie in afrikanischen
Ländern an Muslimen und Nichtmuslimen vollziehe. Die Beschneidung sei daher weder
empfehlens- noch wünschenswert. Während sie in der einfachen Form lediglich einen
geringfügigen Eingriff darstelle, fällt das Urteil über die sogenannte pharaonische Beschneidung
vernichtend aus: „Sie ist eine schwere Verstümmelung und stellt somit eine körperliche
Veränderung dar, die schwerste gesundheitliche Folgen haben kann. … Die pharaonische Art der
Beschneidung verändert Gottes Schöpfung und ist deshalb absolut verboten." [Ebd.] Diese
Auffassung vertritt auch der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland e.V.,
Nadeem Elyas, in einem Interview vom 20. September 1995. [Vgl. Elyas 1995a.] Auch er bewertet
die Frauenbeschneidung als vorislamische Tradition, die keine ausreichende Begründung im
Koran und der prophetischen Überlieferung finde. Sie sei daher keine Pflicht und nach der
Auffassung vieler Gelehrter nicht wünschenswert. [„Sie wird von diesen als einen Angriff gegen den
Körper angesehen und als eine Körperverletzung ohne Nutzen kritisiert" (Ebd.).]
Die Abschaffung des Brauchs in vielen Teilen der islamischen Welt sei darauf zurückzuführen,
daß der Prophet seine vier Töchter nicht beschneiden ließ.
Diesen Aussagen zufolge läßt sich der Brauch der Mädchenbeschneidung eindeutig nicht religiös
begründen. Auf dem Hintergrund des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2
GG) bietet die deutsche Rechtsordnung keinen Spielraum, derartige Praktiken zu dulden.
3.7 Islamisches im Konflikt mit zivilem Eherecht
Gerade im Bereich des islamischen Eherechts können verschiedene Konfliktfelder in
Auseinandersetzung mit der deutschen Rechtsordnung hervortreten. [Zum islamischen Ehe- und
Familienrecht: Dilger 1990, S. 66-76; Walther 1990, S. 392-399.]
Hierbei ist in erster Linie an die dem muslimischen Mann grundsätzlich mögliche Ehe mit bis zu
vier Frauen gleichzeitig zu denken. In Deutschland steht allein die Ehe eines Mannes mit einer
Frau unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes (Art. 6 Abs. 1), während die Mehrehe
demgegenüber verboten ist und nach § 171 StGB eine Straftat darstellt. Dennoch kommt es vor,
daß Muslime entsprechend den Bestimmungen des islamischen Rechts und des zivilen Rechts
34
ihres Heimatlandes gleichzeitig mit mehr als einer Frau verheiratet sind. [In der islamischen Welt ist
die Mehrehe allein in der Türkei und Tunesien verboten.]
Wenngleich sie damit noch keinen Straftatbestand erfüllen, da die Ehe nach ausländischem
Recht geschlossen wurde, bleibt die ihnen erlaubte Mehrehe ohne Auswirkungen im deutschen
Recht. Diese Auffassung findet ihre Bestätigung in zwei Gerichtsurteilen zu unterschiedlichen
Angelegenheiten.
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg lehnte die Klage eines Ägypters auf Erteilung einer
Aufenthaltsgenehmigung für seine Zweitfrau unter anderem damit ab, daß sich dafür kein
Anspruch in Folge einer Familienzusammenführung ergebe. [Vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 7. Juli
1992 – 7 L 3634/91.]
Das Finanzgericht Münster wies die Klage eines Marokkaners zurück, der in seiner
Steuererklärung eine zweite Ehefrau steuerlich geltend machen wollte. [Vgl. FG Münster, Urteil vom
29. Dezember 1986 – III 6440/84.]
Diese Beispiele machen deutlich, daß eine nach islamischem Recht gültige Mehrehe in
Deutschland nur in den Beziehungen der Muslime untereinander von Bedeutung sein kann.
Diese Situation hat jedoch eine weitgehende Schutz- und Recht-losigkeit der zweiten, dritten
oder vierten Ehefrau vor dem deutschen Recht zur Folge. Wenn die Ehe allein nach den Regeln
des islamischen Rechts geschlossen wird, dann finden auch dessen Bestimmungen im Falle einer
Scheidung Anwendung. Die Ehefrau ist damit zwar dem Mann nicht schutzlos ausgeliefert, sie
genießt aber keinen Schutz nach dem deutschen Scheidungsrecht, was Konsequenzen in
Unterhalts- und Sorgerechtsfragen zur Folge haben kann. Daraus ergibt sich folgerichtig, daß die
von Muslimen mitunter geforderte Rechtsautonomie in ihren Ehe- und Familienangelegenheiten
nicht denkbar ist, insofern sie damit den Schutz des deutschen Rechts außer Kraft setzen würde.
Eine vergleichbare Problematik entsteht auch bei den Ehen, die zwischen einem deutschen und
einem ausländischen Partner nach ausländischem Recht geschlossen werden, weil dieses auch im
Falle einer Trennung oder Scheidung zur Anwendung kommt. Das Eherecht vieler Länder der
islamischen Welt basiert in seinen wesentlichen Teilen auf den Regelungen des islamischen
Rechts, die in den entsprechenden Bestimmungen des zivilen Rechts eine Konkretisierung
gefunden haben. Somit entsprechen viele Aspekte des ausländischen Eherechts, wie die
Voraussetzungen zur Eheschließung, die Auswirkungen einer Ehe oder die Bedingungen der
Scheidung, mehr oder weniger den Maßgaben des islamischen Rechts und sind bei der
Eheschließung zu berücksichtigen. Die Ehe kommt nach islamischem Verständnis durch den
Abschluß eines Ehevertrages zwischen den Ehepartnern zustande, dessen Ausführung sich nach
dem jeweiligen zivilen Recht richtet. [Vgl. Rieck 1991, der eine Übersicht der notwendigen Inhalte eines
islamischen Ehevertrages in den verschiedenen Staaten bietet. Weitergehende Informationen finden sich in den
Merkblättern des Bundesverwaltungsamtes für Auslandtätige und Auswanderer zu einzelnen Ländern.]
Gegenstand des Vertrages können auch vorher vereinbarte Regelungen hinsichtlich einer
weiteren Eheschließung oder einer eventuellen Scheidung sein, sofern sie nicht im Widerspruch
zum geltenden Recht stehen. Wenn es nicht zu einer Eheschließung nach deutschem Recht
kommt, bieten die Regelungen des Ehevertrages dem deutschen Ehepartner eine begrenzte
Möglichkeit, auf die Gestaltung einer nach ausländischem Recht geschlossenen Ehe Einfluß zu
35
nehmen. Gegenüber solchen Unwägbarkeiten ist demnach der Abschluß einer Ehe nach
deutschem Recht vorzuziehen.
Die Türkei ist das einzige Land der islamischen Welt, das dem islamischen Ehe- und
Familienrecht ausdrücklich keine Geltung zuspricht. Seit der Reform des Familienrechts von
1926 gilt dort ausschließlich ziviles Eherecht. Daher sind die allein nach islamischem Recht
geschlossenen Ehen – sogenannte Imamehen – in der Türkei ungültig. Für türkische Muslime
entsteht damit die widersprüchliche Situation, nach islamischem Recht gültig verheiratet zu sein,
während die Ehe hingegen nach türkischem Recht ungültig ist. [Der türkische Staat ermöglicht den
betroffenen Personen allerdings immer wieder eine Legalisierung der Verhältnisse, indem sie die Ehe und die
daraus hervorgegangenen Kinder bis zu einem bestimmten Stichtag nachträglich beim zuständigen Standesamt
registrieren lassen.]
Dieses Problem kann sich auch bei türkischen Muslimen in Deutschland auswirken. Das
Oberverwaltungsgericht Koblenz entschied beispielsweise durch Urteil vom 5. Juli 1993, daß
eine solche Imamehe nicht die Voraussetzungen zur Gewährung von Familienasyl nach § 26
Abs. 1 AsylVfG bietet. [Vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 5. Juli 1993 – 13 A 10564/92.]
Weil sich das Personalstatut eines Flüchtlings nach Art. 12 Abs. 1 der Genfer Konvention nach
dem Recht des Heimatlandes richtet und eine Imamehe nach türkischem Recht nicht gültig ist,
mußte das Gericht zu diesem Urteil gelangen. [Daß es dennoch zur Gewährung des Asylrechts kam, hatte
die betreffende Asylbewerberin dem Rechtsschutz aus dem früheren Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG zu verdanken, wonach
sie bei drohender Verfolgung im Heimatland nicht abgeschoben werden dürfe. Diese Gefahr sah das Gericht auch
im Falle ihrer gesetzlich nicht anerkannten Ehe als gegeben an.]
3.8 Islamische Bestattungen in Deutschland
Die Notwendigkeit, verstorbene Muslime in Deutschland beizusetzen, hat in den vergangenen
Jahren zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema geführt. [Dies zeigt sich an den
vergleichsweise zahlreichen Beiträgen zum Thema: Höpp / Jonker 1996; Blach 1996; Kayser 1996; Beauftragter für
Islam- und Ausländerfragen im Amt für Gemeindedienst der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers
(AfG) 1997; Lemmen 1999a; Ders. 2000b.]
Als ein Ergebnis dieser Diskussion haben zahlreiche deutsche Kommunen auf ihren Friedhöfen
mittlerweile islamische Grabfelder eingerichtet und entsprechende Vereinbarungen mit
Vertretern der Muslime zur Durchführung islamischer Bestattungen getroffen. [Dem Verfasser sind
islamische Grabfelder auf den Friedhöfen folgender Städte bekannt: Aachen; Ahlen; Alsdorf; Aldenhoven;
Augsburg; Baunatal; Berlin; Bielefeld; Bochum; Bonn; Braunschweig; Bremen; Darmstadt; Delmenhorst;
Dormagen; Dortmund; Düsseldorf; Duisburg; Eschborn; Essen; Esslingen am Neckar; Forchheim in Oberfranken;
Frankfurt am Main; Freiburg im Breisgau; Gelsenkirchen; Gießen; Gladbeck; Hamburg; Hamm; Hannover;
Heidelberg; Herzogenrath; Ibbenbüren; Kamp-Lintfort; Karlsruhe; Kassel; Kiel; Köln; Krefeld; Leipzig; Lübeck;
Marburg; Mönchengladbach; Mülheim an der Ruhr; München; Münster; Neuss; Neu-Ulm; Neuwied; Nürnberg;
Oldenburg; Osnabrück; Paderborn; Reutlingen; Rüsselsheim; Saarbrücken; Sankt Augustin; Schwerte;
Sindelfingen; Solingen; Soltau; Stuttgart; Velbert; Wiesbaden; Witten; Würselen; Wuppertal.]
Die Erfüllung der islamischen Bestattungsvorschriften setzt zum einen die Ausweisung eines
eigenen Grabfeldes und zum anderen die Absprache ergänzender Regelungen der
Friedhofssatzung voraus. Für die Anlage des Grabfeldes ist die Ausrichtung nach Mekka
erforderlich. Die Gräber müssen so ausgerichtet sein, daß der Tote auf seiner rechten Körperseite
36
liegend nach Mekka blickt. Eine Unterteilung des Grabfeldes nach verschiedenen islamischen
Richtungen und Nationalitäten oder nach Geschlechtern ist nicht erforderlich. Aus Platzgründen
ist es hingegen sinnvoll, getrennte Grabstätten für Kinder und Erwachsene auszuweisen. Die
rituellen Waschungen können die Muslime entweder in einem Waschraum auf dem Friedhof
oder an einem anderen Ort vornehmen. [Manche Moscheen haben bereits zu diesem Zweck eigene
Waschräume eingerichtet. Ansonsten ist an Waschräume im Krankenhaus oder beim Bestattungsunternehmen zu
denken.]
Das Totengebet kann auf einem freien Platz auf dem Gelände des Fried-hofes oder der Moschee
stattfinden. [Auf dem Bonner Nordfriedhof gibt es dazu einen Steintisch zur Aufbahrung des Toten.]
Entsprechend ihren Vorschriften nehmen die anwesenden Muslime danach die Beisetzung vor.
Vorzugsweise tragen sie den Sarg auf ihren Schultern und lassen ihn mit Seilen in das Grab
hinab. Auch das anschließende Verfüllen des Grabes gehört zu den Aufgaben der
Trauergemeinde. Wie die Bestattung selbst, soll man auch das Grab ohne großen Aufwand und
Schmuck gestalten. Die meisten Muslime begnügen sich daher mit der Aufstellung einer
Holzstele oder eines Grabsteines am Grab ihrer Angehörigen. Der bisweilen verwahrloste
Zustand vieler islamischer Grabstätten ist denn auch nicht als Zeichen der Vernachlässigung der
Toten, sondern vielmehr als Ausdruck des Respekts vor ihrer Ruhe zu verstehen.
Diese Besonderheiten des islamischen Bestattungsrituals lassen sich weitgehend in Absprachen
zwischen der Friedhofsverwaltung und Vertretern der Muslime einvernehmlich regeln und
sollten Gegenstand einer gemeinsamen Vereinbarung werden. [Beispielhaft ist in dieser Hinsicht die
Vereinbarung zwischen der Stadt Aachen und dem Islamischen Zentrum Aachen (Bilal-Moschee) e.V. vom 22.
November 1979. In Alsdorf sind die abgesprochenen Richtlinien sogar Bestandteil der Friedhofssatzung geworden.]
Schwierigkeiten treten jedoch regelmäßig in zwei entscheidenden Einzelfragen auf.
Nach islamischer Vorstellung bestattet man einen verstorbenen Muslim nicht im Sarg, sondern in
Leinentücher gewickelt. Die Stellungnahmen islamischer Gelehrter zur Frage lassen die
Verwendung eines Sarges nur ausnahmsweise zu. [Vgl. Özcan 1994, S. 220; Elyas 1995b. In der Literatur
taucht immer wieder die Behauptung auf, die Bestattung im Sarg sei durch eine Fatwa der Akademie für Islamisches
Recht in Mekka sanktioniert worden (Jennerich 2000, S. 21). Diese Auffassung basiert im wesentlichen auf
entsprechenden Angaben in verschiedenen Gutachten zum Thema (Abdullah 1992, S. 4; Ders. 1995, S. 3). Nach
Aussage des Vorsitzenden des Zentralrates der Muslime in Deutschland e.V., Nadeem Elyas, besagt der arabische
Originaltext der betreffenden Fatwa allerdings das genaue Gegenteil.]
Da die gesetzlichen Bestimmungen der Länder und die Friedhofssatzungen der Kommunen
jedoch die Bestattung im Sarg vorschreiben, ist die Ausnahme in Deutschland zur Regel
geworden. Nur einige wenige Städte sehen von dieser Vorschrift ab und lassen eine Bestattung
ohne Sarg zu. [Dies ist gegenwärtig in Aachen, Aldenhoven, Bochum, Essen, Hamburg, Herzogenrath, Krefeld,
Paderborn und Soltau der Fall.]
Noch schwieriger gestaltet sich die Lösung des Problems der Ruhefristen von Grabstätten.
Während Muslime in der Regel von einer unbefristeten Grabruhe ausgehen, sind die Ruhezeiten
in Deutschland grundsätzlich begrenzt. Nach Ablauf der Ruhefrist kann eine Grabstätte
eingeebnet und wiederbelegt werden. Die 1995 angekündigte Einebnung von 277 Reihengräbern
auf dem islamischen Grabfeld des Kölner Westfriedhofs machte die bislang nicht zur Kenntnis
genommene Problematik offenkundig. Verschiedene Angehörige erreichten durch ihren Protest
37
und die anschließende Klage beim Verwaltungsgericht Köln einen einstweiligen Verzicht der
Stadt auf Durchführung der Maßnahme. [Vgl. Lemmen 1999a, S. 35f.] Das mit Spannung erwartete
Urteil des Verwaltungsgerichts wird in der Bewertung der Angelegenheit auch für andere
Kommunen richtungsweisend sein. Die bisherigen Stellungnahmen islamischer Gelehrter lassen
eine wichtige Differenzierung in der Frage erkennen. [Vgl. Abdullah 1992, S. 4; Özcan 1994, S. 220;
Abdullah 1995, S. 3; Elyas 1995b. Auch in dieser Frage begegnet uns unter Berufung auf die Gutachten Abdullahs
in der Literatur die Auffassung, daß der „konservative islamische Anspruch auf ewiges Ruherecht … 1991 ebenfalls
durch eine Fatwa liberalisiert" worden sei. „Sie besagt, daß Gräber nach einer Ruhefrist von 20 Jahren für eine
Neubelegung eingeebnet werden dürfen" (Jennerich 2000, S. 21). Zu diesem Urteil kann man nur gelangen, wenn
man verkennt, daß eine Fatwa eben kein reli giöses Dekret von allgemeiner Gültigkeit darstellt, sondern lediglich
eine „Meinung zu einer Rechtsfrage" (Heine 1991a, S. 246). Sie gewinnt ihre Verbindlichkeit erst dadurch, daß der
Fragesteller sie für sich akzeptiert. Wenn er jedoch nicht damit einverstanden ist, kann er sich mit der Frage an
einen anderen Gelehrten (Mufti) seiner Wahl wenden. Nicht unerheblich sind in dem Zusammenhang die
Gelehrsamkeit und Lebensführung des Muftis. Im Falle der besagten Fatwa aus Soest handelte es sich um den
damaligen Shaikh ul-Islam des Islamrates für die Bundesrepublik Deutschland, Ali Yüksel, der von seinem Amt
zurücktrat, um bei den türkischen Parlamentswahlen vom Dezember 1995 für die Wohlfahrtspartei zu kandidieren
(Lemmen 1999b, S. 18 Anm. 36).]
Sie gehen davon aus, daß eine Einebnung und Wiederbelegung eines Grabes erfolgen darf, wenn
sich keine sterblichen Überreste mehr darin befinden und die Notwendigkeit der Maßnahme
gegeben ist. Die noch vorgefundenen Überreste sind tiefer oder an anderer Stelle zu bestatten,
und das Grab darf nur der erneuten Bestattung eines Muslims dienen. Damit sind
Voraussetzungen zur Lösung der Problematik im Rahmen des islamischen Rechts formuliert, die
bei der Anlage islamischer Grabfelder Berücksichtigung finden können. Sowohl die Ausweisung
von Wahlgräbern mit einer individuell verlängerbaren Ruhefrist, als auch die grundsätzliche
Verlängerung der Ruhefrist von Reihengräbern kann diesen Erfordernissen genügen. [Vgl. Lemmen
2000b, S. 9.]
Da die vorgestellten Lösungen in der Frage der Bestattungsart und der Ruhefrist anscheinend
jedoch nicht den religiösen Vorstellungen vieler Muslime entsprechen, verwundert es nicht, daß
nach wie vor die meisten Verstorbenen ins Ausland überführt werden. Zu diesem Zweck haben
die türkisch-islamischen Verbände in Deutschland Bestattungsfonds gegründet, die ihren
Mitgliedern eine sowohl religiös ordnungsgemäße als auch kostengünstige Abwicklung der
Angelegenheit anbieten. [Für die DITIB übernimmt die DITIB–Beerdigungs-Hilfe Köln e.V. diese Aufgabe und
für die IGMG der Muslimische Sozialbund e.V. in Bonn. Über die Arbeitsweise der Bestattungsfonds informiert
Karakasoglu 1996, S. 97-101.]
Im Zusammenhang islamischer Bestattungen in Deutschland liegen bereits einige Gerichtsurteile
vor, die Rückschlüsse auf die Klärung anderer strittiger Punkte zulassen. So entschied das
Verwaltungsgericht Berlin durch Urteil vom 3. November 1992, daß die Kosten der rituellen
Waschung eines verstorbenen Sozialhilfeempfängers vom zuständigen Träger der Sozialhilfe zu
übernehmen seien. [Vgl. VG Berlin, Urteil vom 3. November 1992 – 8 A 286/89.]
Nach Auffassung des Gerichts handele es sich dabei „um für die Bestattung gläubiger Muslime
erforderliche Kosten" [Ebd. S. 617.], die das Sozialamt zu übernehmen habe, weil es auch
entsprechende Gebühren bei christlichen Trauerfeiern bezahle. Die Erstattung von
Überführungskosten verstorbener Muslime ist hingegen in zwei Fällen vor Gericht gescheitert.
Das Oberverwaltungsgericht Münster lehnte eine darauf abzielende Klage mit Urteil vom 20.
März 1991 ab, weil es im Fall einer Bestattung im Ausland keine örtliche Zuständigkeit des
38
inländischen Trägers der Sozialhilfe anerkannte. [Vgl. OVG Münster, Urteil vom 20. März 1991 – 8 A
287/89.]
Dieser Auffassung hat sich das Oberverwaltungsgericht Hamburg nicht angeschlossen, indem es
in seinem Urteil vom 21. Februar 1992 den Anspruch auf Erstattung von Überführungskosten
eines verstorbenen Muslims nicht prinzipiell ablehnte. In dem betreffenden Fall sah es den
Anspruch jedoch nicht gegeben, weil eine islamische Bestattung am Sterbeort möglich und auch
nicht unüblich sei. [Vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 21. Februar 1992 – Bf IV 44/90.]
3.9 Probleme hinsichtlich der Speisevorschriften
3.9.1 Schlachten nach islamischem Ritus
Die Erfüllung der islamischen Schlachtvorschriften stellt in Deutschland regelmäßig ein Problem
dar. Nach Auffassung aller Rechtsschulen hat das Schlachten durch Schächten zu erfolgen,
wobei man dem Tier mit einem scharfen Gegenstand unter Anrufung des Namens Gottes die
Kehle durchschneidet und das Blut auslaufen läßt. [Eine ausführliche Beschreibung des Vorgangs findet
sich bei Karaman 1990, S. 38-42.]
Das Verfahren an sich ist zwar nicht verboten, doch verlangt § 4a Abs. 1 TierSchG eine
vorherige Betäubung des Schlachttieres. Dies ist nach weit verbreiteter Meinung von Muslimen
nicht zulässig, weil dabei ein vollständiges Ausbluten verhindert werde. Ferner befürchtet man,
daß dadurch der Tod des Tieres bereits vor dem Schlachten eintrete. Beides – der Verzehr von
Blut und von totem Fleisch – ist Muslimen jedoch strengstens untersagt. Die gesetzlichen
Auflagen zum Schlachten stellen aus der Sicht vieler Muslime ein unüberwindbares Hindernis
zur Erfüllung ihres Schlachtrituals dar, wie umgekehrt deren ständige Mißachtung ein beinahe
öffentliches Ärgernis – nicht nur für Tierschützer – bedeutet. Seit langem sind daher vielfältige
Anstrengungen zur Lösung des Problems festzustellen.
Bereits 1985 widmete Adel Thedor Khoury der Frage des Schlachtens in seinem Buch
Islamische Minderheiten in der Diaspora eine ausführliche Darstellung. [Vgl. Khoury 1985, S. 9098.]
Neben Stellungnahmen früherer Rechtsgelehrter, die sich mit den zu ihrer Zeit relevanten
Einzelfragen auseinandersetzen, führt er auch Stellungnahmen zeitgenössischer Gelehrter auf,
die moderne Methoden des Schlachtens und deren gesetzliche Grundlagen zum Gegenstand
haben. Auch wenn sich keine vollkommen einhellige Meinung abzeichnet, so lassen einige
Gutachten dennoch den Schluß zu, daß eine Betäubung vor dem Schlachten zulässig sei, wenn
sie nicht zum Tod des Tieres führe.
[Die vier Gutachten (Ebd., S. 96-98) sind hinsichtlich der Betäubung folgenden Inhalts:
1.
Yusuf al-Qaradawi, dessen Werk über Erlaubtes und Verbotenes im Islam 1977 in der elften Auflage in
Kairo erschienen ist, schreibt dazu: „Im Lichte dessen, was wir erwähnt haben, wissen wir, was wir vom
Fleisch zu halten haben, das wir aus den Ländern der Schriftbesitzer importieren, wie die Geflügel und das
Rindfleisch in Konserven. Es geht dabei um Tiere, die durch elektrischen Schock oder ähnliches
geschlachtet werden. Solange sie dies als erlaubte Schlachtung ansehen, ist es uns, nach der allgemeinen
39
2.
3.
4.
Bestimmung des Koranverses (5,5) und nach der Meinung des Ibn al-`Arabi und der Rechtsgelehrten, die
seine Meinung teilen, erlaubt" (S. 96).
Differenzierter urteilt der Rektor der Al-Azhar in Kairo in einer Stellungnahme vom 25. Februar 1982.
Demnach ist zu unterscheiden, ob das Schlachttier durch den Stromstoß getötet oder betäubt wird. Im
erstem Fall sei der Verzehr des Fleisches verboten, da das Tier nach dem Eintritt des Todes geschlachtet
wurde. Im zweiten Fall hingegen sei das Fleisch zum Verzehr erlaubt, wenn das Tier nach der Betäubung
entsprechend geschlachtet wird (S. 97).
Einem Artikel der in Islambad/Pakistan erscheinenden Zeitschrift Islamic Studies 21/Nr. 1 von 1982
zufolge, sei die Betäubung vor dem Schlachten nur in äußersten Notfällen erlaubt. Als Gründe dagegen
führt der Verfasser an, daß die Elektrobetäubung die Verwesung beschleunige, den Geschmack
beeinträchtige, Bluttropfen im Fleisch verursache und dem Tier zu großes Leiden zufüge. Die islamische
Schlachtung hingegen sei der einzig wirksame Weg, daß das Blut dem Tier vollständig entzogen wird; und
das ist wesentlich die Voraussetzung dafür, daß das Fleisch zum Essen verwendet werden kann (S. 97f.).
Die Türkische Botschaft in Bonn hingegen hat einer Stellungnahme vom 29. Juli 1982 zufolge keine
Bedenken gegen die Betäubung, wenn das Tier vor Eintritt des Todes geschlachtet wird. Zur Begründung
heißt es: „Es ist auch eine Islamische Vorschrift, daß das Tier in schnellster und praktischer Art, ohne
gequält zu werden, geschlachtet wird. Deswegen bestehen auch in religiöser Sicht keine Bedenken gegen
Betäubung der Opfertiere durch Elektroschock" (S. 98).
Erschwerend kommt in der Diskussion hinzu, daß die Rechtsgelehrten zum Teil fälschlicherweise annehmen, die
Schlachtungen der Christen entsprächen den eigenen rituellen Vorschriften.]
Ganz in diesem Sinne fand am 7. Mai 1993 auf einem Frankfurter Schlachthof die Vorführung
eines Verfahrens zur Elektrokurzzeitbetäubung von Schlachttieren statt. In Anwesenheit von
Vertretern islamischer Verbände wurden drei Versuchstiere betäubt, von denen sich zwei nach
wenigen Minuten wieder aufrappelten, während man das dritte in betäubtem Zustand schächtete.
[Vgl. Huber 1993.] Weder die Gutachten aus der islamischen Welt noch die Demonstration des
Betäubungsverfahrens haben jedoch die Muslime in Deutschland gänzlich zu überzeugen
vermocht. Vielmehr haben sie ihre abweichende Auffassung in der Angelegenheit um so
deutlicher vorgetragen.
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V. (ZMD), als einer der beiden islamischen
Spitzenorganisationen, ist 1994 aus einem Arbeitskreis hervorgegangen, zu dem sich 1988
Vertreter der wichtigsten islamischen Organisationen zusammengefunden hatten, um unter
anderem in der Frage des Schlachtens nach islamischem Ritus eine gemeinsame Position
gegenüber der Öffentlichkeit zu vertreten. [Vgl. Köhler 1996.] Dem Islamischen Arbeitskreis in
Deutschland (IAK) gehörten neben den großen türkisch-islamischen Verbänden die Islamischen
Zentren in Hamburg, Aachen und München sowie eine Reihe weiterer Organisationen an. In
dieser Zusammensetzung konnte er mit Recht den Anspruch erheben, sowohl einen erheblichen
Teil der in Deutschland lebenden Muslime als auch die Vielfalt der islamischen Gemeinschaften
zu vertreten. Als Ergebnis der gemeinsamen Beratungen stellte er fest, „daß es die feste
Glaubensüberzeugung der Muslime in Deutschland ist, daß das betäubungslose islamische
Schlachten im Islam zwingend vorgeschrieben ist." [Ebd., S. 145.] Eine der Voraussetzungen sei
es, die Schlachtung ohne vorherige Betäubung vorzunehmen. Im Hinblick auf anderslautende
Rechtsgutachten heißt es, daß „die Muslime in Deutschland sich nicht an Gutachten oder
Aussagen ausländischer Organisationen oder Institutionen gebunden fühlen" [Ebd., S. 146.]. Sofern
andere islamische Organisationen sich ausdrücklich zur Frage geäußert haben, stimmen ihre
Stellungnahmen weitgehend damit überein. [Die Darstellung der Grundlagen des Islam der Islamischen
Religionsgemeinschaft Hessen e.V. (IRH) beispielsweise zählt „Fleisch, das nicht auf die rituell vorgeschriebene Art
geschlachtet wurde", ausdrücklich zu den verbotenen Nahrungsmitteln (S. 23).]
40
Um nicht ständig gegen das Betäubungsgebot verstoßen zu müssen, haben die Muslime
wiederholt eine Ausnahmegenehmigung beantragt und deren Erteilung gerichtlich einzuklagen
versucht. [§ 4a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG sieht die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vor, um „den Bedürfnissen
von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften im Geltungsbereich des Tierschutzgesetzes zu entsprechen,
denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft das Schächten vorschreiben oder den Genuß von Fleisch
nicht geschächteter Tiere untersagen."]
Diese Bemühungen sind bisher jedoch weitgehend erfolglos geblieben. [Dem Verfasser sind folgende
Entscheide bekannt: OLG Hamm, Beschluß vom 27. Februar 1992 - 1 Ss OWi 652/91; VG Gelsenkirchen, Urteil
vom 25. Mai 1992 - 7 K 5738/91; VG Koblenz, Urteil vom 16. März 1993 - 2 K 1874/92; VG Darmstadt, Urteil vom
9. September 1999 - 3 E 952/99; OVG Hamburg, Urteil vom 14. September 1992 - Bf III 42/90; OVG Münster,
Urteil vom 21. Oktober 1993 - 20 A 3287/92; BVerwG, Urteil vom 15. Juni 1995 - 3 C 31/93.]
Selbst das Bundesverwaltungsgericht hat durch Urteil vom 15. Juni 1995 das Begehren eines
klagenden Muslims abgewiesen. Wie auch andere Gerichte vor ihm, war es dabei der
Auffassung, daß eine Ausnahme vom Betäubungsgebot nur dann statthaft sei, „wenn objektiv
festgestellt wird, daß zwingende Vorschriften einer Religionsgemeinschaft den Genuß von
Fleisch nicht geschächteter Tiere verbieten" [Ebd. S. 73.]. Eine zwingende Vorschrift dieser Art
sah das Gericht in seiner Bewertung des Sachverhalts jedoch nicht gegeben. Die individuelle
Überzeugung des Muslims selbst wiederum reiche dafür nicht aus. Ferner stellte das Gericht fest,
daß das Betäubungsgebot den Kläger nicht in seiner Religionsfreiheit beeinträchtige, weil der
Verzehr von Fleisch nicht geschächteter Tiere keinen Akt der Religionsausübung darstelle.
Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht - wie auch an anderer Stelle - hatte sich der
Kläger in seiner Begründung jeweils auf die zweite Alternative von § 4a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG
berufen, wonach der Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere verboten sei. In einem
Rechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht Darmstadt stützte sich ein Kläger hingegen auf die
erste Alternative zur Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vom Betäubungsgebot. Er machte
mit Erfolg geltend, daß seine Religion ihm das Schächten im Hinblick auf das bevorstehende
Opferfest zwingend vorschreibe. [Vgl. VG Darmstadt, Urteil vom 9. September 1999 - 3 E 952/99. Diese
Begründung war auch vor dem Bundesverwaltungsgericht nachträglich geltend gemacht worden. Während die
ursprüngliche Begründung auf eine generelle Ausnahmegenehmigung gerichtet war, hatte das zusätzliche Argument
eine Ausnahme für bestimmte Anlässe zum Ziel. Das Gericht sah darin eine Klageänderung und wies das Begehren
auf Berücksichtigung der ersten Alternative für eine Ausnahmegenehmigung als unzulässig zurück.]
Durch Urteil vom 9. September 1999 stellte das Gericht fest, daß es sich bei der Islamischen
Religionsgemeinschaft Hessen e.V. (IRH) um eine Religionsgemeinschaft im Sinne von § 4a
TierSchG handele. Der Gutachterrat der IRH hatte in einem Gutachten vom Mai 1999 das
Schächten eines Opfertieres anläßlich des Opferfestes für religiös vorgeschrieben erklärt. Da der
Kläger sich als Mitglied der IRH diese Auffassung zu eigen machte, sah das Gericht die
Voraussetzung zur Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vom Betäubungsgebot für gegeben.
Die Freude über diesen einmaligen Erfolg vor Gericht währte allerdings nicht lange. Nachdem
das Verwaltungsgericht Darmstadt im folgenden Jahr zunächst der Klage eines Muslims erneut
stattgegeben hatte, widerrief der Verwaltungsgerichtshof Kassel diese Entscheidung. Zwar ging
auch er davon aus, daß es sich bei der IRH um eine Religionsgemeinschaft handele, hatte jedoch
Zweifel daran, daß das Schächten eine religiöse Pflicht sei. Gegen dieses Urteil hat die IRH
mittlerweile Beschwerde eingelegt. [Vgl. Freitagsblatt 4/2000. Wie nach Abschluß des Manuskripts bekannt
wurde, hat das Bundesverwaltungsgericht durch Urteil vom 23. November 2000 die Entscheidung des
Verwaltungsgerichtes Darmstadt vom 9. September 1999 aufgehoben. Es befand, daß die Mitgliedschaft in der IRH
41
nicht die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung in besagtem Fall rechtfertige (BVerwG, Urteil vom 23. November
2000 – 3 C 40/99).]
Bis zur endgültigen Entscheidung werden daher weiterhin unter teilweise bizarren Bedingungen
Schlachtungen nach islamischem Ritus illegal durchgeführt werden.
3.9.2 Sonstige Fragen
Die islamischen Speisevorschriften lassen sich jedoch nicht auf das Verfahren zur
Fleischgewinnung beschränken, sondern beinhalten eine Reihe weiterer Regelungen. Als
wichtigste sind das koranische Verbot von Schweinefleisch, Blut und Alkohol zu nennen, wobei
diese Verbote in einem extensiven Sinne zu verstehen sind. Sie umfassen sowohl alle
Nahrungsmittel, zu deren Herstellung vom Schwein stammende Bestandteile dienen, als auch
alle alkoholhaltigen Getränke und Speisen. Darunter fallen auch Nahrungsmittel mit sehr
geringen Alkoholzusätzen oder Zusatzstoffen, die vom Schwein gewonnen wurden. Unter
manchen Muslimen sind daher Listen verbreitet, die genaue Auskunft darüber vermitteln, welche
dieser unzulässigen Substanzen in welchen Nahrungsmitteln enthalten sind. In der Bewertung
dieser Fragen sind jedoch durchaus unterschiedliche Standpunkte auszumachen. Während einige
Muslime den Verzehr von mit Gelatine hergestellten Nahrungsmitteln prinzipiell ablehnen,
halten andere sie für erlaubt, weil der ursprünglich verbotene Ausgangsstoff durch eine
chemische Umwandlung zu einer neuen Substanz wurde. Ebenfalls halten sie Alkoholzusätze in
Nahrungsmitteln dann für erlaubt, wenn diese nicht zu einer berauschenden Wirkung führen,
sondern einen grundsätzlich anderen Zweck erfüllen. [Vgl. Borek 1997, S. 148-151.]
3.10 Bekleidungsvorschriften in ihren Auswirkungen für Frauen
3.10.1. Befreiung muslimischer Mädchen vom koedukativ erteilten Sportunterricht
Das Verhältnis der Angehörigen beider Geschlechter zueinander hat sehr weitreichende
Bekleidungsvorschriften im Islam hervorgebracht. Im Umgang untereinander oder im
persönlichen Bereich können Muslime weitgehend diese Verhaltensvorschriften einhalten.
Außerhalb von Familie und Moschee sind Probleme in den Bereichen vorprogrammiert, wo eine
Begegnung von Männern und Frauen unvermeidbar ist. Für muslimische Mädchen und Frauen
können dabei aufgrund ihrer spezifischen Bekleidungsvorschriften mehr Konfliktfelder
entstehen, als das bei muslimischen Jungen und Männern der Fall ist. Ein besonderes
Konfliktpotential besitzt dabei die Teilnahme am koedukativ erteilten Sportunterricht. Das
Tragen des Kopftuchs verdeutlicht, daß ein Mädchen oder eine Frau die islamischen Maßgaben
im Umgang der Geschlechter für verbindlich hält. Über das Kopftuch hinaus gehören dazu eine
weitgeschnittene Bekleidung sowie das Vermeiden direkter körperlicher Kontakte mit
Angehörigen des anderen Geschlechts. Während diese Vorschriften in der Schule weitestgehend
Beachtung finden können, treten die Probleme im Sportunterricht besonders deutlich zum
Vorschein. Wie die Teilnahme an diesem Fach eine besondere Sportkleidung und damit das
Ablegen des Kopftuchs verlangt, so sind genauso körperliche Kontakte mit Jungen
unvermeidbar. Beides aber kann für ein muslimisches Mädchen eine unzumutbare Belastung
darstellen, weil es sie unweigerlich in Konflikt mit ihren religiös begründeten
Verhaltensvorstellungen bringt. [Da die Bekleidungs- und Verhaltensvorschriften für Angehörige beider
42
Geschlechter gelten, kann ein muslimischer Junge aus denselben Gründen durch seine Teilnahme am
Sportunterricht in einen Konflikt geraten. Das Bestehen eines derartigen Problems wird aber faktisch nur bei
muslimischen Schülerinnen geltend gemacht und nur vergleichsweise selten auch bei Schülern. Darin zeigt sich, daß
die religiös begründeten Verhaltensvorschriften zum Teil von kulturellen Vorstellungen überlagert werden und das
dargestellte Problem im Fall weiblicher Familienangehöriger deutlicher empfunden wird.]
In der Vergangenheit haben daher muslimische Schülerinnen oder deren Erziehungsberechtigte
immer wieder eine Befreiung vom koedukativ erteilten Sportunterricht beantragt und vor Gericht
eingeklagt. Ein solcher Anspruch ist beim Schwimmunterricht im Hinblick auf die Bekleidung
offenkundiger gegeben als beim Sportunterricht. [Vgl. VG Köln, Urteil vom 26. Juni 1990 - 10 K
2307/89.] Die Gerichte haben das Begehren auf Befreiung vom Sportunterricht in der
Vergangenheit daher sehr unterschiedlich bewertet, bis das Bundesverwaltungsgericht in der
Sache eine Entscheidung fällte. [Vgl. VG Freiburg, Urteil vom 10. November 1993 - 2 K 1739/92; OVG
Münster, Urteil vom 15. November 1991 - 19 A 2198/91; OVG Bremen, Urteil vom 24. März 1992 - 1 BA 17/91;
BVerwG, Urteil vom 25. August 1993 - 6 C 8/91; BVerwG, Urteil vom 25. August 1993 - 6 C 30/92.]
Durch Urteil vom 25. August 1993 erkannte das Gericht den Anspruch auf vollständige
Befreiung vom Sportunterricht an, wenn er nicht getrennt nach Geschlechtern angeboten werden
kann. Nach Auffassung des Gerichts kann die Teilnahme am gemeinsamen Sportunterricht zu
einem Gewissenskonflikt führen, der allein durch einen nach Mädchen und Jungen getrennten
Unterricht gelöst werden kann. Sollte diese Maßnahme in der Schule aus organisatorischen
Gründen nicht durchgeführt werden können, bestehe ein Rechtsanspruch auf Befreiung. Ein
solcher Anspruch ergebe sich durch Berufung auf die Religions- und Gewissensfreiheit. Um ihn
geltend zu machen, könne sich die betreffende Schülerin jedoch nicht allgemein auf die
islamischen Bekleidungsvorschriften beziehen, sondern sie habe vielmehr darzulegen, daß deren
Nichtbeachtung sie unweigerlich in einen Gewissenskonflikt führt. [Die Urteilsbegründung führt dazu
aus, daß „erst die konkrete, substantiierte und objektiv nachvollziehbare Darlegung eines Gewissenskonfliktes als
Konsequenz aus dem Zwang, der eigenen Glaubensüberzeugung zuwiderzuhandeln, geeignet ist, einen möglichen
Anspruch auf Befreiung von einer konkret entgegenstehenden, grundsätzlich für alle geltenden Pflicht unter der
Voraussetzung zu begründen, daß der Zwang zur Befolgung dieser Pflicht die Glaubensfreiheit verletzen würde"
(Ebd., S. 61).]
Während sie sich dem in anderen Situationen ihres Lebens durch ein entsprechendes Verhalten
entziehen kann, sei dies im Fall des Sportunterrichts im Hinblick sowohl auf die Bekleidung als
auch auf Kontakte mit Jungen nicht möglich. Andere Lösungen, wie eine Befreiung von
einzelnen Übungen, das Tragen einer weit geschnittenen Sportkleidung oder einen Schulwechsel,
hält das Gericht zur Vermeidung des Konfliktes für unangemessen. Da der schulische
Erziehungsauftrag nicht grundsätzlich in Frage gestellt und eine Ausweitung auf andere
Schulfächer nicht anzunehmen ist, sei allein eine Befreiung vom koedukativ erteilten
Sportunterricht zur Lösung des Problems angemessen.
Damit hat das Bundesverwaltungsgericht eine wichtige Entscheidung getroffen, die unter
Klärung der entsprechenden Voraussetzungen die Möglichkeit zur Befreiung muslimischer
Mädchen vom Sportunterricht bietet. Dabei ist festzuhalten, daß es sich nicht um einen
grundsätzlichen Anspruch handelt, sondern die Betroffenheit vielmehr im Einzelfall darzulegen
ist. [Nach Wissen des Verfassers verfahren Schulen in der Klärung der Angelegenheit nach der Maßgabe des
Bundesverwaltungsgerichts.]
43
3.10.2 Tragen des Kopftuchs in der Öffentlichkeit und am Arbeitsplatz
Anders als in der Türkei ist in Deutschland das Tragen eines Kopftuchs in der Öffentlichkeit
keinen Beschränkungen unterworfen. [Aufgrund der laizistischen Gesetzgebung der türkischen Republik ist
das Kopftuch zumindest offiziell aus dem öffentlichen Leben verbannt. An Schulen, Hochschulen, Universitäten und
anderen öffentlichen Einrichtungen ist es nicht erlaubt. Eine Abgeordnete der islamistischen Tugendpartei ist am 2.
Mai 1999 wegen ihres Kopftuches aus dem Plenarsaal des türkischen Parlaments verwiesen worden (Der Spiegel
22/1999).]
Vielmehr gehören die Kopftücher muslimischer Mädchen und Frauen längst zum
Erscheinungsbild vieler Klassenräume, Hörsäle, Supermärkte oder öffentlicher Verkehrsmittel.
Dennoch kann es in verschiedenen Bereichen des privaten oder öffentlichen Lebens zu
Schwierigkeiten mit dem Kopftuch kommen. Islamische Organisationen wissen regelmäßig
davon zu berichten, daß viele muslimische Mädchen wegen ihres Kopftuches
Beeinträchtigungen an der Ausbildungs- oder Arbeitsstätte zu erdulden haben. [Im Freitagsblatt
8/1999 sind verschiedene Beispiele unter Nennung der Arbeitsstätte aufgelistet. Die Redaktion des Freitagsblattes
hat auf diese Fälle mit einem Aufruf zum Boykott reagiert und die betreffenden Supermarktketten ausdrücklich
genannt.]
Abgesehen von Fällen persönlicher Benachteiligung im Berufsleben, kann das Tragen des
Kopftuches auch zu einem öffentlichen Streitfall werden.
Ein sensibler Bereich sind in diesem Zusammenhang die Bestimmungen des Paßrechtes. Sie
besagen dazu, „daß das Lichtbild die abgebildete Person ohne Kopfbedeckung und im Halbprofil
zu zeigen hat, so daß ein Ohr zu sehen ist" [Zitiert nach: VG Wiesbaden, Urteil vom 10. Juli 1984 - VI/I E
596/82, S. 136.].
Als Ausnahmen von der Regel sind Kranken- und Ordensschwestern ausdrücklich genannt, aber
eben nicht Musliminnen. Aus diesem Grund kommt es immer wieder vor, daß Behörden die
Ausstellung eines Ausweises verweigern, weil das vorgelegte Lichtbild die betreffende Person
mit einem Kopftuch zeigt. Durch Urteil vom 10. Juli 1984 hat das Verwaltungsgericht
Wiesbaden jedoch befunden, daß diese Verweigerung nicht rechtens sei, sondern unter Berufung
auf die Religionsfreiheit vielmehr ein Rechtsanspruch auf die Ausstellung der Dokumente
besteht, selbst wenn das dafür vorgesehene Lichtbild die betreffende Person mit Kopftuch zeige.
[Vgl. ebd.] Das Gericht bewertete das Tragen des Kopftuches als Bestandteil der vom Grundgesetz
geschützten Religionsfreiheit. Da die gesetzlichen Bestimmungen gewisse Ausnahmen
hinsichtlich der Kopfbedeckung zulassen und die Identifikation der betreffenden Person dennoch
möglich ist, wurde dem Anspruch der Muslimin stattgegeben. [Nach Auffassung des Gerichts kann die
Verwendung eines Lichtbildes, das die betreffende Person ohne Kopfbedeckung zeigt, zu einem späteren Zeitpunkt
zu einem Gewissenskonflikt führen: „In eine solche Situation könnte die Klägerin, z.B. bei einer Personenkontrolle,
geraten, sofern ihr Äußeres nicht mit den in ihren Ausweisen befindlichen Lichtbildern übereinstimmen würde. Sie
wäre damit im Falle einer Identitätsfeststellung der ohne weiteres vermeidbaren Gefahr eines Handelns gegen ihre
Glaubensüberzeugung ausgesetzt" (Ebd., S. 137).]
Dasselbe Problem ist jedoch wiederholt bei der Ausstellung von Führerscheinen aufgetreten.
Unter Berufung auf eine dem Paßrecht vergleichbare Regelung der Fahrerlaubnisverordnung
haben Behörden beim Vorliegen des Lichtbildes einer Muslimin mit Kopftuch die Erteilung der
Fahrerlaubnis verweigert. Nachdem dieser Fall besonders häufig im Stadt- und Landkreis
Ludwigshafen vorgekommen ist, hat das zuständige Ministerium des Landes Rheinland-Pfalz
44
eine diesbezügliche Regelung erlassen. [Vgl. Ceylan 1999.] Darin wird festgestellt, daß
entsprechende Lichtbilder für die Ausstellung des Führerscheins anzuerkennen sind, wenn die
betreffenden Musliminnen das Tragen des Kopftuchs für sich als verbindlich erklären.
Wie differenziert die Frage des Kopftuchs jedoch zu beurteilen ist, zeigt sich in einer anderen
Entscheidung. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat durch Beschluß vom 23. März 2000
die Beschwerde zweier Iranerinnen (Mutter und Tochter) gegen die Verpflichtung zum Tragen
des Kopftuchs bei der Anfertigung von Lichtbildern abgewiesen. [Vgl. VGH München, Beschluß vom
23. März 2000 – 24 CS 00.12.]
Als rechtskräftig abgelehnte Asylbewerberinnen waren die beiden zur Ausreise in den Iran
verpflichtet. Zu diesem Zweck sollten sie auf Anordnung der Ausländerbehörde bei der
iranischen Botschaft die Ausstellung von Ausweisen beantragen und dafür Lichtbilder vorlegen,
die sie mit Kopftuch zeigen. Für den Fall, daß sie diese Anordnung nicht befolgen würden,
drohte die Ausländerbehörde „die zwangsweise Vorführung bei einem Fotografen" [Zitiert nach:
Ebd., S. 3 des Beschlußumdrucks.] an. Dagegen legten die Betroffenen Klage ein, weil eine
„Durchsetzung der ‚Kopftuchpflicht’ mittels unmittelbaren Zwangs einen Eingriff in das
Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG darstelle" [Zitiert nach: Ebd., S. 4 des Beschlußumdrucks.].
Nachdem das Verwaltungsgericht Ansbach den Antrag, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage
gegen den Bescheid der Ausländerbehörde wiederherzustellen, abgelehnt hatte, legten sie beim
Bayerischen Verwaltungsgerichtshof Beschwerde ein. Diese blieb jedoch ohne Erfolg, da das
Gericht eine Beeinträchtigung der Beschwerdeführerinnen in ihrer Religionsfreiheit nicht
gegeben sah. Es war vielmehr der Auffassung, daß „das Tragen eines Kopftuchs … weder in
Deutschland noch im Iran ausschließlich religiöse Bedeutung" habe, „sondern ein auf der im
iranischen Staat herrschenden sittlichen Betrachtungsweise beruhendes ordnungsrechtliches
Regelwerk" [Ebd., S. 10 des Beschlußumdrucks.] darstelle, das unabhängig von Nationalität und
Religionszugehörigkeit verpflichtet. Indem die Anordnung der Ausländerbehörde ausdrücklich
keinen religiösen Inhalt habe und das Kopftuch nicht ausschließlich als religiöses Symbol zu
verstehen sei, konnte das Gericht keine Verletzung des Grundrechts der Religionsfreiheit
erkennen, zumal die Beschwerdeführerinnen dafür keine ausreichenden Gründe vorzutragen
vermochten. [„Der Regelungsgehalt der angegriffenen Anordnung erschöpft sich darin, daß die
Antragstellerinnen für den kurzen Moment der Anfertigung eines Passfotos das Kopftuch anlegen. Dagegen wird
von ihnen nicht verlangt, daß sie ein Kopftuch in der Öffentlichkeit und als religiöses Symbol des islamischen
Glaubens ‚tragen’ sollen. Die Anordnung ist nicht auf gewisse Dauer angelegt. Sie stellt daher – im Gegensatz zu
der im Iran geltenden Vorschrift – überhaupt keine Bekleidungsvorschrift für das Leben in Deutschland dar" (Ebd.,
S. 13 des Be schluß umdrucks).]
Anders zu bewerten als in diesem Fall ist hingegen die Frage des Kopftuchs im Zusammenhang
mit der Einstellung einer Muslimin in den öffentlichen Dienst. Das bekannteste Beispiel ist
zweifellos der Fall der muslimischen Lehramtsanwärterin Fereshta Ludin, die sich nach
erfolgreichem Abschluß von Studium und Referendariat um Einstellung in den Schuldienst des
Landes Baden-Württemberg beworben hatte. Nachdem sie im Einstellungsgespräch bekundet
hatte, aus religiösen Gründen nicht auf das Tragen des Kopftuchs im Unterricht verzichten zu
können, lehnte das zuständige Oberschulamt ihre Bewerbung am 10. Juli 1998 ab. Da das Tragen
des Kopftuchs nicht mit dem Neutralitätsgebot des Staates zu vereinbaren ist, sei Frau Ludin
nicht für den öffentlichen Schuldienst geeignet. Die Kultusministerin des Landes BadenWürttemberg, Annette Schavan, bestätigte diese Entscheidung am 13. Juli 1998. [Vgl. Ministerium
für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 1998.]
45
Während für Frau Ludin das Tragen des Kopftuchs als Ausdruck ihrer religiösen Überzeugung
zu ihrer Identität gehört, sah die Ministerin darin auch ein politisches Symbol mit einer hohen
öffentlichen Signalwirkung, die der Staat sich nicht zu eigen machen dürfe. [Zur Abwägung des
Sachverhalts „gehört auch die innerislamische Diskussion um die Bedeutung des Kopftuchs jenseits der
persönlichen Motive von Frau Ludin. Das Tragen des Kopftuchs gehört nicht zu den religiösen Pflichten einer
Muslimin. … Das Kopftuch wird vielmehr in der innerislamischen Diskussion auch als Symbol für kulturelle
Abgrenzung und damit als politisches Symbol gewertet" (Ebd., S. 2).]
Nachdem das Oberschulamt einen Widerspruch gegen seine Entscheidung abgelehnt hatte, erhob
Frau Ludin Klage mit der Absicht, ihre Einstellung in den Schuldienst gerichtlich zu erstreiten.
Durch Urteil vom 24. März 2000 lehnte das Verwaltungsgericht Stuttgart die Klage jedoch ab.
[Vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 24. März 2000 – 15 K 532/99.]
Es stellte fest, daß die Entscheidung zur Einstellung in den Schuldienst ohne Rücksicht auf unter
anderem das religiöse Bekenntnis der Bewerberin zu treffen sei. Ungeachtet der fachlichen
Qualifikation, erfülle Frau Ludin „jedoch nicht die persönlichen Voraussetzungen, weil sie im
Dienst ein religiös motiviertes Kopftuch tragen möchte und dadurch gegen ihre Dienstpflichten
verstoßen würde." [Ebd., S. 4 des Urteilsumdrucks.] Die Ablehnung, sie in den Schuldienst
einzustellen, sei daher rechtens gewesen. Zwar anerkannte das Gericht den Anspruch der
Klägerin auf ungestörte Religionsausübung, doch sei eine Einschränkung im Hinblick auf ihre
Neutralitätspflicht als Lehrerin gerechtfertigt. Zu diesem Ergebnis gelangte das Gericht
angesichts einer extensiven Auslegung des Symbolgehalts des in Frage stehenden Kopftuchs:
„Ein Kopftuch, wie es die Klägerin trägt, demonstriert auffallend und eindrucksvoll das religiöse
islamische Bekenntnis" [Ebd., S. 6 des Urteilsumdrucks.]. Dem aber würden die betreffenden Schüler
schutzlos ausgeliefert sein, die dadurch in ihrer Religionsfreiheit beeinträchtigt sein könnten. Die
dem Staat aufgetragene Neutralitätspflicht lasse dies jedoch nicht zu.
In der Sache anders hat das Verwaltungsgericht Lüneburg durch Urteil vom 16. Oktober 2000
entschieden und die Bezirksregierung Lüneburg zur Übernahme einer muslimischen
Lehramtsanwärterin mit Kopftuch verpflichtet. Das Kopftuch allein sei kein Grund, eine
mangelnde Eignung für den Schuldienst anzunehmen, hierzu bedürfe es vielmehr weiterer
substanzieller Anhaltspunkte. [Vgl. VG Lüneburg, Urteil vom 16. Oktober 2000 – 1 A 98/00. Da das Urteil
zum Zeitpunkt der Abfassung der Studie noch nicht schriftlich mitgeteilt worden war, sind keine weiteren
Ausführungen dazu möglich gewesen.]
4. „Seelsorge" an Muslimen in öffentlichen Institutionen
Die Anwesenheit von Muslimen in öffentlichen Institutionen stellt differenzierte Anforderungen
an die Betreiber oder Träger dieser Einrichtungen. Unweigerlich taucht die Frage nach ihrer
Betreuung oder „Seelsorge" auf. Während die Diskussion im Zusammenhang mit dem Begehren
nach Einführung islamischen Religionsunterrichts im schulischen Bereich seit geraumer Zeit
geführt wird und entsprechend weit gediehen ist - sofern die Anforderungen gegenseitig bekannt
sind [Vgl. Rohe 2000.] - ist die Problematik in anderen Lebensbereichen vergleichsweise neu. Das
hat damit zu tun, daß sich Institutionen wie Bundeswehr oder Altenheim erst sukzessive dem
Zugang von Muslimen öffnen und damit verbunden deren Zahl in ihnen (noch) gering ist. Da sie
aller Voraussicht nach in der Zukunft zunehmen wird, darf die Reichweite der in Frage
stehenden Problematik nicht unterschätzt werden.
46
Im einzelnen handelt es sich um folgende Institutionen: Bundeswehr, Bundesgrenzschutz,
Polizei, Strafanstalten, Krankenhäuser, Behindertenheime, Altenpflegeheime usw.
Auf der Basis des Grundgesetzes und entsprechender Vereinbarungen mit Bund oder Ländern
sind Strukturen der beiden großen christlichen Kirchen zur Seelsorge ihrer Gläubigen in den
jeweiligen Einrichtungen entstanden. [Vgl. Campenhausen 1991; Ders. 1996; Eick-Wildgans 1995; Seiler
1995; Heintzen 1995.]
Im Zusammenhang dieses Beitrags kann es nicht darum gehen, die Frage kirchlicher Seelsorge in
den genannten Einrichtungen zu diskutieren. Vielmehr ist nach den Bedingungen und
Möglichkeiten zur Schaffung eines vergleichbaren Angebots für muslimische Gläubige
angesichts der dargestellten Situation zu fragen. Hierbei sind zum einen die Voraussetzungen des
Grundgesetzes zur Religionsausübung und zum anderen das Selbstverständnis der Muslime von
der Ausübung ihres Glaubens in Betracht zu ziehen, bevor Schlußfolgerungen für einzelne
Einrichtungen zu ziehen sind.
4.1 Voraussetzungen des Grundgesetzes
Ansatzpunkt allen seelsorglichen Wirkens in öffentlichen Einrichtungen ist die Tatsache, daß die
sich in ihnen aufhaltenden Menschen zur Ausübung ihres Grundrechts auf Religionsfreiheit
fremder Hilfe bedürfen. Der Charakter des Aufenthalts in einer der genannten Einrichtungen
bringt zwangsläufig eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit mit sich. Ob es sich um einen
Wehrpflichtigen, einen Strafgefangenen oder einen Krankenhausinsassen handelt, sie alle
können ihren Glauben nur unter den Lebensbedingungen der jeweiligen Institution ausüben und
normalerweise nicht am religiösen Leben ihrer Gemeinden teilnehmen. Dennoch garantiert ihnen
das Grundgesetz auch für die Dauer des Aufenthalts in den jeweiligen Einrichtungen
Religionsfreiheit, wozu auch die ungestörte Religionsausübung gehört. Die Schutzwirkungen des
Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gelten daher auch für den betreffenden Personenkreis. Das Grundrecht
auf Religionsfreiheit als Individualrecht bleibt in den genannten Lebenszusammenhängen
grundsätzlich unangetastet, wenn auch seine Ausübung durch die Erfordernisse der Anstalt
eingeschränkt sein kann.
Darüber hinaus garantiert das Grundgesetz den Religionsgesellschaften bei Bedarf die Zulassung
zur Vornahme religiöser Handlungen. Die entsprechende Regelung in Art. 140 GG i.V.m. Art.
141 WRV lautet: „Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in
Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die
Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang
fernzuhalten ist." Den Bereich individueller Religionsausübung überschreitend werden damit den
Religionsgesellschaften Möglichkeiten ihres Wirkens eröffnet, sofern das Bedürfnis danach
besteht. Dabei genügt die bloße Anwesenheit von Gläubigen einer entsprechenden
Glaubensrichtung, um das Vorliegen eines solchen Bedürfnisses zu konstatieren. Axel Freiherr
von Campenhausen spricht dieser Regelung folgende Bedeutung zu: „Unter der Geltung des GG
hat Art. 141 WRV jetzt die Funktion einer Verdeutlichung der Wirkung des Art. 4 in einem
speziellen, besonders sensiblen Bereich staatlichen Handelns. Es geht mit anderen Worten bei
der Anstaltsseelsorge um Grundrechtsermöglichung unter den besonderen Bedingungen des
Anstaltsverhältnisses." [Campenhausen 1996, S. 223.]
47
Als in Betracht kommende religiöse Handlungen nennt der Artikel zusammenfassend
„Gottesdienst und Seelsorge". Während der Begriff des Gottesdienstes die wesentlichen
liturgischen Handlungen der christlichen Glaubensgemeinschaften meint, bezeichnet das Wort
Seelsorge den umfassenden Auftrag kirchlichen Handelns am ganzen Menschen. Neben
spezifisch religiösen Handlungen können daher auch Formen karitativen und sozialen Wirkens
dazu gehören. Der Begriff der Seelsorge bedarf daher im Hinblick auf die sogenannte
Anstaltsseelsorge einer entsprechenden Differenzierung, wie dies denn auch in den jeweiligen
Vereinbarungen für bestimmte Arten der Anstaltsseelsorge der Fall gewesen ist. [Zur Begrifflichkeit
schreibt Campenhausen: „Der Begriff der religiösen Handlung ist – auch auf dem Hintergrund der Rspr. des
BVerfG zu Art. 4 GG – weit auszulegen. Vor allem ist das Selbstverständnis und die Auffassung der jeweiligen
Religionsgemeinschaft zu beachten. … Zu den religiösen Handlungen i.S.d. Art. 141 WRV gehören deshalb alle
Handlungen, die als korporative Grundrechtsausübung in Betracht kommen. … Hieraus wird man freilich nicht den
Schluß ziehen dürfen, daß es überhaupt keine Grenzen für die Definition von religiösen Handlungen gäbe. Auch
wenn Art. 4 GG einer dynamischen Auslegung zugänglich ist, Kirchen und Religionsgemeinschaften auch bisher
ungewohnte Handlungsweisen als Seelsorge deklarieren oder der Seelsorge zurechnen können, muß die
Grundrechtsausübung für den heutigen Betrachter verstehbar, objektivierbar und voraussehbar sein. Staatliche
Gerichte müssen in der Lage sein, eine selbständige rechtliche Bewertung zu treffen. Ein uneingeschränktes
subjektives Erfindungsrecht für das, was Religionsbetätigung oder Seelsorge oder religiöse Handlung sei, ist den
Grundrechtsträgern also nicht eingeräumt. Die Grenzen der vom Tatbestand erfaßten Verhaltensweisen ergeben
sich aus dem Umstand, daß das Grundrecht ein Element der Rechtsordnung ist, also anwendbar und deshalb
objektiv beurteilungsfähig sein muß" (Ebd., S. 226f.).]
Als berechtigt zur Vornahme von religiösen Handlungen betrachtet der Artikel allein die
Religionsgesellschaften, wobei infolge der Gleichstellung nach Art. 137 Abs. 7 WRV auch die
Weltanschauungsgemeinschaften hinzuzuziehen sind.
Das Grundgesetz formuliert somit auf individueller wie auf korporativer Ebene einen Anspruch
auf Religionsfreiheit in den betreffenden Einrichtungen. Da in diesen Fällen die Wirkungskreise
von Staat und Religionsgesellschaften ineinander fallen und dennoch nicht austauschbar sind,
handelt es sich bei der Anstaltsseelsorge - vergleichbar dem Religionsunterricht - um sogenannte
gemeinsame Angelegenheiten. [„Eine gemeinsame Angelegenheit ist die Anstaltsseelsorge deshalb, weil die
Kommandogewalt, Leitung und Verantwortung in den Anstalten dem Staat bzw. dem öffentlichen Anstaltsträger
zustehen, die Seelsorge und die Abhaltung von Gottesdiensten aber auch in den Anstalten eine kirchliche
Angelegenheit bleiben" (Ebd., S. 224).]
Die im Grundgesetz zugrunde gelegte Beziehung zwischen Staat und Religionsgesellschaften
gebietet ein Zusammenwirken beider in diesen Fragen. Das religiöse Wirken der
Religionsgesellschaften vollzieht sich innerhalb des Auftrags der jeweiligen Institution. Somit
bedarf es genauer Absprachen zur Regelung von Organisation und Ablauf der Anstaltsseelsorge.
Dabei steht im Hintergrund dieses Zusammenhangs - das haben die bisherigen Ausführungen
erkennen lassen - das Modell kirchlicher Organisationsformen und -strukturen. Inwieweit dieses
sich auf Fragen muslimischer Religionsausübung übertragen läßt, ist Gegenstand der weiteren
Überlegungen.
Ohne jeden Zweifel hat der einzelne Muslim einen Anspruch auf das Grundrecht der
Religionsfreiheit, die nicht vor Kasernentoren oder Gefängnistüren Halt macht.
Dementsprechend ist festzustellen, daß die betreffenden Einrichtungen oftmals bemüht sind, den
religiösen Verpflichtungen ihrer muslimischen Insassen im Rahmen ihrer Möglichkeiten
nachzukommen. Hierbei ist etwa an schweinefleischfreie oder vegetarische Kost in
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Krankenhäusern oder Gefängnissen sowie an die Bereitstellung von Gebetsräumen in
Krankenhäusern oder Altenheimen zu denken. [Ein Beispiel aus dem Bereich der Altenpflege bietet das
Multikulturelle Seniorenzentrum Haus am Sandberg in Duisburg-Homberg, das bislang jedoch nicht die angestrebte
Akzeptanz der türkischen Muslime des Stadtteils gefunden hat (Helmstaedter / Michels 1997).]
Die Reichweite der individuellen Religionsausübung mag allerdings im einzelnen ein Streitfall
sein. Grundlegende Informationen über Einzelfragen sowie klärende Absprachen zwischen
Muslimen und der Anstaltsleitung können dabei der Vermeidung von Konflikten dienen. Wo
dies im Einzelfall oder grundsätzlich nicht gelingt, kann die Frage Gegenstand einer richterlichen
Urteilsfindung werden. Wie bereits erwähnt, wies das Verwaltungsgericht Hamburg durch Urteil
vom 26. Januar 1994 die Klage eines Muslims auf Zurückstellung vom Wehrdienst wegen
islamischer Glaubenszugehörigkeit ab. [Vgl. S. 32.] Die Möglichkeiten und Grenzen individueller
Religionsausübung sollten daher in den verschiedenen Einrichtungen geklärt werden. Dabei ist
eine Differenzierung nach unterschiedlichen religiösen Gruppierungen zu berücksichtigen. Nicht
alle in Deutschland lebenden Türken gehören dem sunnitischen Islam an, neben kleinen
schiitischen und christlichen Minderheiten, sind sehr viele von ihnen Aleviten. Bei den Aleviten
handelt es sich um eine religiöse Sondergruppe, die sich in ihrem Selbstverständnis erheblich
von der Sunna und der Schia unterscheidet. Kennzeichnend ist vor allem, daß Aleviten die fünf
religiösen Grundpflichten des Islams nicht befolgen und statt dessen eine Reihe eigener Rituale
entwickelt haben. [Einen Überblick bietet Spuler-Stegemann 1998, S. 51-56.]
Die für Muslime typischen Formen der Religionsausübung, wie das rituelle Gebet und das Fasten
im Monat Ramadan, finden daher bei ihnen keine Anwendung (sie fasten statt dessen zehn oder
zwölf Tage im Monat Muharram). Dies kann kein Argument gegen die verbindliche religiöse
Praxis anderer sein, sondern verdeutlicht vielmehr die Notwendigkeit der Differenzierung.
Hinsichtlich der Garantie des Grundgesetzes auf Zulassung zur Vornahme von religiösen
Handlungen ergeben sich im Blick auf muslimische Gemeinschaften Bedenken. Im Wortlaut der
WRV ist von „Religionsgesellschaften" als Trägern von Gottesdienst und Seelsorge die Rede.
Damit ist ein organisatorischer Zusammenschluß von Angehörigen einer Religion gemeint, „der
die Angehörigen ein und desselben Glaubensbekenntnisses - oder mehrerer verwandter
Glaubensbekenntnisse - zu allseitiger Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten
Aufgaben zusammenfaßt." [Zitiert nach: Tillmanns 1999, S. 476. Diese gängige Definition des Begriffs der
Religionsgemeinschaft geht auf Gerhard Anschütz in seinem Kommentar zur WRV zurück.]
Daraus ergibt sich, daß nicht jeder beliebige Gläubige zur Anstaltsseelsorge berechtigt ist,
sondern vielmehr die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft vorausgesetzt ist, deren
Vertreter religiöse Handlungen vornehmen dürfen. Ob nun muslimische Gemeinschaften in
Deutschland den Charakter einer Religionsgemeinschaft im Sinne von Art. 140 GG i.V.m. Art.
141 WRV besitzen, ist weithin strittig. Zwar bezeichnen sich einige von ihnen, wie der Islamrat
für die Bundesrepublik Deutschland / Islamischer Weltkongreß Deutschland (altpreußischer
Tradition) e.V. und der Verband der Islamischen Kulturzentren e.V. (VIKZ), ausdrücklich als
Religionsgemeinschaften, [Die entsprechenden Passagen der Vereinsatzungen lauten:
„Der Verein ist eine autonome islamische Religionsgemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland im Sinne der
Verfassung (Grundgesetz) und der Gesetze der Bundesrepublik Deutschland" (Satzung des Islamrates für die
Bundesrepublik Deutschland / Islamischen Weltkongresses Deutschland [altpreußischer Tradition] e.V. vom 29.
November 1997 § 2 Abs. 3).
49
„Bei dem Verband der Islamischen Kulturzentren handelt es sich um eine Religionsgemeinschaft, die im Rahmen
des Artikels 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit den fortgeltenden Bestimmungen der Weimarer
Reichsverfassung vom 11. August 1919 gegründet worden ist. Dies wurde vom Innenministerium des Landes
Nordrhein-Westfalen mit Schreiben vom 12. August 1994 unter dem Aktenzeichen: IV A 3 - 224 - offiziell anerkannt"
(Satzung des Verbandes der Islamischen Kulturzentren e.V. vom 21. August 1994 § 1 Abs. 4).] doch steht ihre
rechtliche Anerkennung als solche derzeit noch aus. Die Diskussion um den Rechtsstreit der
Islamischen Föderation Berlin e.V. (IFB) mit der Senatsverwaltung des Landes Berlin um die
Erlaubnis zur Erteilung islamischen Religionsunterrichts macht die Problematik deutlich. [Vgl.
Tillmanns 1999.]
Während das Verwaltungsgericht Berlin die Voraussetzung dafür, nämlich den Charakter der
IFB als Religionsgemeinschaft im Sinne von § 23 Abs. 1 SchulG Berlin, für nicht gegeben sah,
[Vgl. VG Berlin, Urteil vom 19. Dezember 1997 – 3 A 2196/93.] kam das Oberverwaltungsgericht Berlin
am 4. November 1998 zu folgendem Urteil: „Der Kläger erfüllt alle Merkmale einer
Religionsgemeinschaft." [OVG Berlin, Urteil vom 4. November 1998 – 7 B 4/98, S. 555.]
Das Bundesverwaltungsgericht hat dieses Urteil am 23. Februar 2000 zwar im Prinzip bestätigt,
aber dennoch darauf hingewiesen, daß die Auslegung des Begriffs der Religionsgemeinschaft in
diesem Fall nicht durch die entsprechenden Bestimmungen des Grundgesetzes vorgegeben sei.
[Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2000 – 6 C 5/99. In der Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts
vom gleichen Tage heißt es: „Der dort [d.h. in Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG, Th.L.] verwandte Begriff der
Religionsgemeinschaft enthält daher keine für das Land Berlin verbindliche Vorgabe. Hinsichtlich der Auslegung
und Anwendung des gleichlautenden Begriffs im Berliner Schulgesetz muß es daher bei der Entscheidung des OVG
verbleiben, welchem für die Auslegung und Anwendung von Landesrecht die letztinstanzliche Kompetenz
zukommt."]
Da Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG durch die sogenannte „Bremer Klausel" in Art. 141 GG in Berlin
ausdrücklich keine Anwendung findet, kann es sich bei der IFB demnach lediglich um eine
Religionsgemeinschaft im Sinne von § 23 Abs. 1 SchulG Berlin handeln.
Auch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 9. September 1999 zur
Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vom Verbot des betäubungslosen Schächtens hatte den
Charakter der IRH als Religionsgemeinschaft im Sinne von § 4a TierSchG zum Gegenstand.
[Vgl. S. 43.] Eine Prüfung im Hinblick auf Art. 140 GG i.V.m. Art. 141 WRV steht derzeit
generell noch aus. Aus diesen Feststellungen ergibt sich, daß die verschiedenen muslimischen
Gemeinschaften in Deutschland derzeit (noch) nicht als Träger einer ordentlichen
Anstaltsseelsorge betrachtet werden können.
4.2 Selbstverständnis der Muslime
Umgekehrt ist mit vollem Recht zu fragen, ob Muslime von ihrem religiösen Selbstverständnis
her überhaupt in diesem Sinne „Seelsorge" betreiben wollen und können. Dazu schrieb der
Islamwissenschaftler Richard Hartmann: „Der Islam hat eine sehr umfassende offizielle
Gottesdienstordnung. Individuelle Seelsorge aber ist in dem vom Gesetz geregelten Kult nicht
vorgesehen. Und doch erwies sie sich als nötig. … Durch die Zulassung breiter Laienschichten in
die Derwischbruderschaften und damit wenigstens in den Vorhof der eigentlichen Mystik haben
die Derwischorden weitgehend die Aufgabe der Seelsorger im Islam übernommen." [Hartmann
50
1992, S. 153] Hinter dieser Aussage steht ein theologisches Selbstverständnis, das den Islam
grundlegend vom Christentum unterscheidet.
Demnach steht der Mensch in einer unmittelbaren Beziehung zu seinem Schöpfer, die keiner
Vermittler bedarf. Aufgrund einer schöpfungsgemäßen Veranlagung ist jeder Mensch seinem
Wesen nach auf Gott ausgerichtet und kommt seiner Bestimmung in gläubiger Hingabe an Gott
nach. Diese Hingabe macht bereits das Wesen des Wortes Islam aus, und indem der Mensch
diese Hingabe vollzieht, wird er zum Muslim. [Vgl. Lemmen 2000c, S. 33f.] Es bedarf daher keiner
besonderen Riten der Initiation, da der Islam bereits die schöpfungsgemäße Religion der
Menschen darstellt. Die Aufgabe der Propheten und besonders des Propheten besteht darin, die
Menschen durch die Verkündigung göttlicher Willensmitteilungen zum Glauben zu rufen. Hinzu
kommt, daß der Islam die theologische Lehre von der Erbsünde nicht teilt und ihm daher die
damit verbundene Erlösungslehre durch ein stellvertretendes Leiden ebenso fremd ist. [Allein der
schiitische Islam kennt die Vorstellung eines stellvertretenden Leidens seiner Imame: „Die ‚Sünd losen’ nehmen
freiwillig einen Teil der Strafe auf sich, die eigentlich den sündigen Menschen gebührt; ihr stellvertretendes Leiden
erspart es der Menschheit, von der vollen Gerechtigkeit Gottes getroffen zu werden. Das Selbstopfer befähigt die
Märtyrer zudem, eine Mittlerrolle … bei Gott einzunehmen und mit ihrer Fürsprache … für die Gläubigen
einzutreten. Dieser Glaube an das stellvertretende Leiden kommt christlichen Vorstellungen sehr nahe, so daß man
die schiitische Imamologie geradezu als ‚islamische Christologie’ hat bezeichnen können. Allerdings dürfen die
Unterschiede nicht verwischt werden: Die Vorstellung von einer existentiellen Sündhaftigkeit, einer ‚Erbsünde’, von
der die Menschheit erlöst werden müsse, ist der Schia – wie dem Islam überhaupt – fremd; die Passion der Imame
gilt lediglich die Strafe ab, die der Gläubige durch individuelles Verschulden verwirkt hat" (Halm 1988, S. 177f.).]
Diese andere theologische Konzeption hat zur Folge, daß der Islam seinem Selbstverständnis
nach keine Kirche ist, sondern vielmehr eine umma, eine Gemeinschaft von Gläubigen. Seinem
Wesen nach bedarf er daher keiner Vermittler und keiner Amtsträger zum Vollzug bestimmter
Rituale. Vielmehr ist jeder erwachsene und vernünftige Muslim, der um seine Religion weiß, zur
Vornahme der entsprechenden rituellen Handlungen berechtigt. Mit anderen Worten gesagt ist
jeder Muslim/jede Muslima sein/ihr eigener „Priester" und „Seelsorger". Demnach läßt sich der
Begriff der Seelsorge in seinem spezifisch christlichen Bedeutungsgehalt nicht unmittelbar auf
das religiöse Leben der Muslime übertragen. Hinsichtlich der Anstaltsseelsorge ist daher zu
fragen und zu klären, was damit aus muslimischem Verständnis überhaupt gemeint sein kann.
So warnen beispielsweise Muslime in Deutschland um der eigenen Identität willen vor der
Übernahme von Organisationsformen und -strukturen, die dem Islam fremd sind. Im Bemühen
um den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts sehen sie die Gefahr einer
Verkirchlichung, die durch eine „strukturelle Assimilation des Islams in Deutschland" [So lautet
der Titel eines Beitrages von Ayyub Axel Köhler, in dem er sich kritisch mit der Frage der Körperschaftsrechte für
muslimische Organisationen in Deutschland auseinandersetzt (Köhler 1999). In einem früheren Beitrag zum Thema
zog er folgende Konsequenz: „Wer aber diese Körperschaft mit Kirchenstruktur anstrebt, muß den Islam
reformieren, d.h. säkularistisch deformieren. Naturgemäß setzen sie sich der großen Gefahr aus, aufgrund ihres nun
ambivalenten Verhältnisses zu Staat und Welt sich politisch-ideologisch anzupassen und dabei ihren religiösen
Gehalt zu opfern. Die endgültige Spaltung der Muslime und schwere innerislamische Auseinandersetzungen werden
ein böses Erwachen auslösen. Über die weitreichenden Konsequenzen dieser Bestrebungen … müßten sich die
Verantwortlichen, wenn sie den Islam verstanden haben, eigentlich im Klaren sein" (Ders. 1997, S. 6f.).] drohe.
Tatsächlich erwecken Formen muslimischer Selbstorganisation, wie sie in der sogenannten
Geistlichen Verwaltung des Islamrates für die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer
Hauptabteilung Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen und den entsprechenden Referaten für
Seelsorge in Bundeswehr, Polizei, Krankenhaus und Justizvollzugsanstalten begegnen, einen
51
derartigen Eindruck. [Diese Struktur geht auf eine Änderung der Verfassung des Islamrates für die
Bundesrepublik Deutschland vom 4. September 1993 zurück (Lemmen 1999b, S. 18f.).]
Dabei geben die Bezeichnungen an sich noch keine Auskunft darüber, was damit gemeint sein
soll. Die Struktur des Islamrates insgesamt soll dabei dem „Modell der Reformierten Kirche" [Mit
diesen Worten zitiert Köhler den früheren Vorsitzenden und heutigen Ehrenvorsitzenden des Islamrates, Muhammad
Salim Abdullah (Köhler 1999, S. 16 Anm. 3).] nachempfunden sein.
Grundsätzlich geht es in der Frage der Anstaltsseelsorge um die Vornahme religiöser
Handlungen. Als solche nennt Art. 141 WRV ausdrücklich die Bereiche „Gottesdienst und
Seelsorge". Diese Formulierung erfordert jedoch hinsichtlich der Muslime eine weitere
Konkretisierung.
Unter den Begriff des Gottesdienstes fällt zweifelsfrei das den Muslimen vorgeschriebene
fünfmal täglich stattfindende Ritualgebet. Für den Vollzug des Gebetes sind ein Zustand ritueller
Reinheit, die Einhaltung bestimmter Zeiträume und die Ausrichtung nach Mekka erforderlich.
Grundsätzlich kann jeder Muslim alleine beten, vorzugsweise tut er es aber zusammen mit
anderen, woraus sich die Notwendigkeit eines Raumes für das gemeinsame Gebet ergibt. Es kann
prinzipiell an jedem Ort stattfinden, sofern es sich um eine für das Gebet würdige Stätte handelt.
Der Platz, an dem es geschieht, wird dadurch zur Moschee, zum Ort der Niederwerfung. Anders
als eine Kirche ist eine Moschee daher kein sakraler oder geweihter Raum. [Vgl. Lemmen 2000a, S.
21-25.] Somit stellt sich die Frage nach „Krankenhausmoscheen" oder „Gefängnismoscheen"
anders als die Frage nach Krankenhauskapellen oder Gefängniskapellen. Damit soll nicht einer
Verdrängung von betenden Muslimen in Abstellräume Vorschub geleistet, sondern lediglich der
andere Charakter ihrer Gebetsstätte hervorgehoben werden.
Charakteristisch anders ist ferner, daß es für das gemeinsame Beten eigentlich keiner Assistenz
von außen bedarf. Vielmehr kann jeder erwachsene, vernünftige und in seiner Religion
bewanderte Muslim dem gemeinsamen Gebet von mehreren Muslimen als Imam vorstehen. Für
das gemeinsame Gebet in Anstalten ist deshalb theoretisch kein Imam von außerhalb notwendig.
Erforderlich ist er allenfalls für das Freitagsgebet und die Festtagsgebete, zu deren verbindlichen
Bestandteilen die Abhaltung einer Predigt gehört. Diese Predigt halten zu können, setzt gewisse
religiöse Kenntnisse voraus, die nicht bei jedem muslimischen Patienten oder Strafgefangenen
angenommen werden können. [Erol Pürlü vom VIKZ, der aufgrund einer besonderen Vereinbarung in der
Justizvollzugsanstalt Siegburg muslimische Jugendliche betreut, berichtete bei einer Tagung der Friedrich-EbertStiftung am 4. Mai 2000 in Berlin, daß sich die ordnungsgemäße Durchführung des gemeinsamen Gebetes schon
deshalb schwierig gestaltet, weil anfänglich keiner der beteiligten Jugendlichen den Gebetsruf ausrufen konnte.]
Somit tut in diesen Fällen die Hilfe eines kundigen Muslims von außen not. Dabei gilt jedoch zu
beachten, daß die Verpflichtung zum Freitagsgebet und zu den Festtagsgebeten dem islamischen
Recht zufolge nicht für Reisende, Kranke und Gefangene besteht. [Vgl. Arikan 1998, S. 133-135.]
Wenn Seelsorge hingegen in einem weiten Sinn gefaßt wird und das umfassende religiöse
Handeln für und an Gläubigen meint, dann kann und muß der Begriff auch für Muslime
Anwendung finden. Die Tatsache, daß menschliche Extremsituationen wie Krankheit oder
Gefängnisaufenthalt, zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Sinn
menschlichen Daseins führen, ist auch im Hinblick auf Muslime in diesen Einrichtungen ernst zu
nehmen. Die Konfrontation mit solchen Situationen kann eine verstärkte Hinwendung zum
Glauben und seiner Ausübung zur Folge haben. Bedingt durch den Aufenthalt in einer
52
öffentlichen Einrichtung können sich dann auch Fragen im Hinblick auf die Religionsausübung
unter den besonderen Verhältnissen ergeben. Über den Kreis der unmittelbar zur Verfügung
stehenden Personen hinaus, können daher Rat und Hilfe eines kundigen Muslims erforderlich
werden. Somit tut ein muslimischer Ansprechpartner in öffentlichen Einrichtungen not. Zu
dessen Tätigkeiten können die Unterweisung im Glauben und seiner Ausübung gehören. Die
Ausübung der religiösen Grundpflichten des Islams setzt nämlich die Kenntnis der jeweiligen
Vorschriften des islamischen Rechts voraus. Aufgabe eines solchen „Seelsorgers" kann daher
sein, für die Anliegen von Muslimen hinsichtlich der Inhalte ihres Glaubens und seiner
Ausübung unter den besonderen Lebensverhältnissen zur Verfügung zu stehen. Diese Hilfe ist
besonders notwendig bei der Begleitung Sterbender, denen bestimmte Korantexte und Gebete
vorzusprechen sind, und im Umgang mit Toten, die auf bestimmte Weise für die Bestattung
vorzubereiten sind. [Vgl. Lemmen 1999a, S. 14-22.]
Doch auch in diesen Fällen gilt: Jeder Muslim/jede Muslima, der/die um die entsprechenden
Vorschriften weiß, ist berechtigt, die Handlungen vorzunehmen.
Auch in diesen Fragen ist die bereits erwähnte Differenzierung nach Sunniten/Schiten und
Aleviten zu berücksichtigen. Dabei sei angemerkt, daß die bei Aleviten verbreitete religiöse
Funktion der dede, womit die „traditionellen religiösen Amtsträger" [Kehl-Bodrogi 1993, S. 273.]
gemeint sind, noch am ehesten Wesen und Aufgabe eines „Seelsorgers" nahe kommt.
4.3 Schlußfolgerungen
Als Ergebnis ist zunächst festzustellen, daß eine ordentliche muslimische Anstaltsseelsorge zwar
notwendig, aber derzeit noch nicht möglich ist, weil einerseits muslimische Organisationen nicht
über die formellen Voraussetzungen dazu verfügen und sie andererseits das Anforderungsprofil
ihres Verständnisses der „Seelsorge" definieren müssen. Denkbar ist jedoch die Einführung
bestimmter Formen einer außerordentlichen Anstaltsseelsorge in Absprache mit den zuständigen
Anstaltsleitungen. Im Hinblick auf eine bessere Betreuung von Muslimen in den verschiedenen
öffentlichen Einrichtungen lassen sich bereits jetzt eine Reihe von Handlungsmöglichkeiten
erkennen. Dazu gehört:
1. die Einhaltung der islamischen Speisevorschriften zu gewährleisten;
2. einen Raum für das gemeinsame Gebet zur Verfügung zu stellen;
3. die Teilnahme am Freitagsgebet zu ermöglichen, falls dies vom Arbeitsablauf der
Einrichtung her denkbar ist;
4. die Teilnahme an den beiden Festtagsgebeten zu gestatten;
5. geeignete muslimische Gesprächspartner zur Beratung in religiösen Angelegenheiten in
den Einrichtungen zuzulassen.
In der Vergangenheit haben Mitarbeiter der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion
e.V. (DITIB) in Justizvollzugsanstalten für die Betreuung türkischer Muslime zur Verfügung
gestanden. So anerkennenswert dieses Bemühen in der berechtigten Sorge um das Wohl der
türkischen Landsleute auch sein mag, so problematisch ist dieses Unterfangen auf der anderen
Seite. Handelt es sich doch bei den Mitarbeitern der DITIB um Bedienstete des türkischen
Staates, die der Dienstaufsicht durch die zuständigen Konsulate unterstehen und denen eine
53
Quasi-Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland eingeräumt
wird. [Vgl. Lemmen 2000a, S. 36.] Die zuständigen Strafvollzugsämter müssen sich daher die Frage
gefallen lassen, ob dieses Vorgehen in Einklang mit den Voraussetzungen des Grundgesetzes
steht. Selbst wenn eine ordentliche Anstaltsseelsorge für muslimische Strafgefangene aus den
genannten Gründen nicht möglich sein kann, ist es mehr als fraglich, ob Vertretern eines
ausländischen Staates vergleichbare Befugnisse zustehen dürfen.
Für die verschiedenen Bereiche der Anstaltsseelsorge lassen sich abschließend im Hinblick auf
Muslime die folgenden Feststellungen treffen:
1. Bundeswehr [Vgl. Seiler 1995, S. 961-980.]
Das Soldatengesetz begründet in § 36 einen Anspruch der Soldaten auf Seelsorge und ungestörte
Religionsausübung. Die Seelsorge in der Bundeswehr beruht für evangelische Soldaten auf dem
Militärseelsorgevertrag (MSV) vom 22. Februar 1957 und für katholische Soldaten auf dem
Reichskonkordat vom 20. Juli 1933. Sie wird für beide durch das Militärseelsorgegesetz vom 26.
Juli 1957 geregelt. [Die beamtenrechtlichen Bestimmungen des Militärseelsorgevertrages sind nach Art. 2 des
Militärseelsorgegesetzes und nach Abstimmung mit dem Heiligen Stuhl sinngemäß auf die katholischen
Militärgeistlichen anzuwenden.]
Die Militärseelsorge ist ausdrücklich keine staatskirchliche Einrichtung, sondern wird „als Teil
der kirchlichen Arbeit im Auftrag und unter Aufsicht der Kirche" [Art. 2 Abs. 1 MSV.] ausgeübt.
Demzufolge sind die Militärgeistlichen zwar Bundesbeamte, unterstehen jedoch in ihrer Leitung
und Dienstaufsicht dem zuständigen Militärbischof. Zu ihren Aufgaben gehören der „Dienst am
Wort und Sakrament und die Seelsorge" [Art. 4 MSV.] sowie die Erteilung des Lebenskundlichen
Unterrichts. Bei letzterem handelt es sich eigentlich um eine Aufgabe des Staates, die dieser an
die Militärseelsorger delegiert hat. Die Militärseelsorge ist in personale Seelsorgebereiche
eingeteilt, weshalb Soldaten für die Zeit ihres Dienstes nicht den Ortskirchengemeinden
angehören.
Ein dem Militärseelsorgevertrag vergleichbares Abkommen mit einem Vertragspartner auf
muslimischer Seite ist derzeit noch nicht in Sicht, so daß es bislang keine Militärseelsorge für
Muslime geben kann. Dennoch sollte die Bundeswehr entsprechende Maßnahmen ergreifen, um
den muslimischen Soldaten die ungestörte Religionsausübung zu ermöglichen. Fraglich ist
ferner, ob nicht eine Regelung hinsichtlich des Lebenskundlichen Unterrichts, der getrennt nach
Konfessionen und auf freiwilliger Basis stattfindet, für muslimische Soldaten denkbar ist.
2. Bundesgrenzschutz [Vgl. Seiler 1995, S. 981-984.]
Anders als in der Bundeswehr besteht beim Bundesgrenzschutz kein Anspruch auf Seelsorge.
Dennoch ist sie durch entsprechende Vereinbarungen zwischen dem Staat und den beiden
Kirchen ausdrücklich gewährleistet. Organisation und Aufbau der Bundesgrenzschutzseelsorge
entsprechen der Militärseelsorge, wobei jedoch die Seelsorger keine Beamten, sondern
Angestellte sind. Die Bundesgrenzschutzbeamten selbst gehören – anders als Soldaten –
weiterhin ihren Ortskirchengemeinden an. Der Berufsethische Unterricht ist Teil ihrer
Ausbildung, er wird nicht konfessionell getrennt und nicht ausschließlich von Seelsorgern erteilt.
54
Fragen der Religionsausübung muslimischer Bundesgrenzschutzbeamter sollten sich durch
entsprechende organisatorische Maßnahmen klären lassen. Wie im Fall der Bundeswehr ist kein
Vertragspartner für den Abschluß einer Vereinbarung für die Seelsorge an Muslimen erkennbar.
3. Polizei [Vgl. Heintzen 1995.]
Die Anwendung des Begriffs der Anstaltsseelsorge auf die Polizei ist aufgrund der Einteilung in
verschiedene Dienstzweige nur zum Teil berechtigt. Eine Mindestgarantie auf Seelsorge ergibt
sich nur für kasernierte Polizeieinheiten (Polizeischulen und Bereitschaftspolizei), während
Angehörigen des Einzeldienstes der Schutzpolizei oder der Kriminalpolizei die Teilnahme an der
normalen Seelsorge ihrer Gemeinden möglich ist. Die Einrichtung einer regulären
Polizeiseelsorge durch den Abschluß von Staatskirchenverträgen der einzelnen Bundesländer ist
daher als ein Entgegenkommen des Staates zu verstehen, der mehr Möglichkeiten der Seelsorge
gewährleisten kann, als ihm durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 141 WRV aufgetragen ist. Die
Polizeiseelsorge stellt keine eigenständige personale Seelsorge dar, sondern ist als Ergänzung der
allgemeinen Seelsorge in die jeweiligen kirchlichen Organisationsstrukturen eingebunden. Die
Polizeipfarrer bekleiden daher ausschließlich ein kirchliches Amt. Der Berufsethische Unterricht
in Polizeischulen und Abteilungen der Bereitschaftspolizei ist Angelegenheit des Staates, der
sich jedoch zu dessen Erteilung der Seelsorger bedienen kann.
Wie in den beiden vorhergehenden Bereichen fehlen auch bei der Polizeiseelsorge die
Voraussetzungen für entsprechende Regelungen im Hinblick auf muslimische Polizeibeamte.
4. Strafvollzug [Vgl. Eick-Wildgans 1995, S. 1010-1016.]
Die im Grundgesetz garantierte Religionsfreiheit wirkt sich in besonderem Maße auch auf den
Strafvollzug aus. Sowohl das Strafvollzugsgesetz als auch andere gesetzliche Regelungen
garantieren dem einzelnen Gefangenen das Recht auf Religionsausübung. Dazu gehört das
„Recht auf Einzelseelsorge und Besuch des Gottesdienstes und anderer religiöser
Veranstaltungen … sowie auf den Besitz grundlegender religiöser Schriften und religiöser
Gegenstände in angemessenem Umfang." [Ebd., S. 1013.] Vom Grundrecht der Religionsfreiheit
ist darüber hinaus abgedeckt, daß Gefangene sich außerdem an Seelsorger einer anderen
Religionsgemeinschaft wenden und deren Gottesdienste – sofern die Seelsorger dies zulassen –
aufsuchen dürfen. Die Teilnahme an religiösen Veranstaltungen überhaupt läßt sich nur aus
schwerwiegenden Gründen der Sicherheit und Ordnung versagen. Das Strafvollzugsgesetz
garantiert ferner die Befolgung der Speisevorschriften, wobei die Strafvollzugsanstalten jedoch
nicht verpflichtet sind, „entsprechend hergestellte Speisen zur Verfügung zu stellen, solange dem
Gefangenen die Möglichkeit gelassen wird, die Speisevorschriften auf andere Weise einhalten zu
können." [Ebd., S. 1015.] Die Organisation der Gefängnisseelsorge ist in den einzelnen
Bundesländern unterschiedlich geregelt. [„Zu beobachten sind die Übernahme in das Beamtenverhältnis,
die vertragliche Begründung eines Dienstverhältnisses und die Bindung im Wege eines Gestellungsvertrages, der
zwischen Staat und Kirche geschlossen wird" (Ebd., S. 1011).]
Unabhängig von der Art der Anstellung ist der Seelsorger „als im Vollzug Tätiger … zur
Zusammenarbeit und zur Mitwirkung an der Erreichung des Vollzugsziels verpflichtet" [Ebd.] ,
woraus sich ein Rechtsverhältnis besonderer Art ergibt. Der Anstaltsseelsorger steht in der
Verantwortung sowohl gegenüber der Anstaltsleitung als auch gegenüber der Kirchenleitung und
hat darüber hinaus seelsorgliche Verpflichtungen gegenüber den Strafgefangenen.
55
Im Hinblick auf muslimische Strafgefangene ist festzustellen, daß sich auf der Grundlage der
Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes viele Fragen der Religionsausübung durch
entsprechende Maßnahmen in Absprache mit der Anstaltsleitung klären lassen. Die Gewährung
einer ordentlichen Gefängnisseelsorge erscheint aufgrund der fehlenden Voraussetzungen
hingegen unbegründet. Erwähnenswert ist allerdings, daß das Strafvollzugsgesetz den
Seelsorgern die Hinzuziehung von freien Seelsorgehelfern vorbehaltlich der Zustimmung der
Anstaltsleitung ermöglicht. Auf dieser Grundlage ist eine Mitwirkung muslimischer „Seelsorger"
zur Betreuung muslimischer Gefangener in Abstimmung mit den Gefängnisseelsorgern und der
Anstaltsleitung denkbar. [Im Rahmen von sogenannten „Kontaktgruppen" sind Mitarbeiter des VIKZ in den
Justizvollzugsanstalten für Jugendliche in Siegburg und Heinsberg sowie in der für Frauen in Willich tätig.]
5. Krankenhäuser
Zu den in Art. 140 GG i.V.m. Art. 141 WRV genannten Anstalten gehören ausdrücklich auch
Krankenhäuser. Darüber hinaus hatte bereits das Reichskonkordat die Zulässigkeit der
Krankenhausseelsorge festgeschrieben. Die Organisation erfolgt durch entsprechende
Vereinbarungen zwischen den Kirchen und den einzelnen Bundesländern. Anders als in den
vorher genannten Bereichen ist die Krankenhausseelsorge wesentlich eine Angelegenheit der
Kirchen in den einzelnen Krankenhäusern. [Allein die Länder Bayern und Niedersachsen haben sich durch
Vereinbarungen verpflichtet, in ihren Kranken-, Pflege- und Erziehungsanstalten die entsprechende Seelsorge auf
eigene Kosten einzurichten.]
Das Recht auf die Zulassung ergibt sich aus der Mindestgarantie des Grundgesetzes, während die
Gestaltung der Seelsorge eine Angelegenheit der jeweiligen Vereinbarungen darstellt.
Hinsichtlich Patienten und Personal islamischen Glaubens bleibt festzuhalten, daß der Anspruch
auf ungestörte Religionsausübung auch im Krankenhaus unmittelbar aus dem Grundrecht der
Religionsfreiheit folgt. Für die Einrichtung einer ordentlichen Krankenhausseelsorge fehlen
jedoch auch in diesem Bereich die Voraussetzungen. Dagegen spricht nichts gegen Formen einer
außerordentlichen Seelsorge im Einvernehmen mit der Krankenhausleitung. Zu denken ist etwa
an die Einrichtung von Gebetsräumen und die Heranziehung muslimischer „Seelsorger" in
besonderen Situationen des Krankenhausalltages. [Verschiedene Krankenhäuser haben bereits
Gebetsräume für Muslime eingerichtet, genauso wie sie Imame zur Begleitung Sterbender oder zur Vorbereitung
Verstorbener auf die Bestattung heranziehen.]
Zu wünschen ist abschließend, daß nicht nur in den verschiedenen Bereichen der
Anstaltsseelsorge ein Umdenken im Hinblick auf die Ermöglichung besonderer Formen der
außerordentlichen Seelsorge an Muslimen stattfindet, sondern die Verantwortlichen der
islamischen Gemeinden ihrerseits diese Chance wahrnehmen, indem sie sich in die
Verpflichtung nehmen lassen und die angestrebte Betreuung der Muslime tatsächlich
übernehmen.
5. Lösung der Probleme durch Verleihung der Körperschaftsrechte?
Kann die Anerkennung islamischer Organisationen als Körperschaften öffentlichen Rechts ein
gelungener Beitrag zur Lösung der dargestellten Fragen und Probleme sein? Angesichts der aus
diesem Status resultierenden Rechtsfolgen kann man tatsächlich geneigt sein, darin einen
56
magischen Schlüssel zur zufriedenstellenden Klärung aller Problemfelder zu sehen. Abgesehen
davon, daß die Körperschaftsrechte tatsächlich in vielen Einzelfragen ein Vorteil für beide Seiten
wären, [Im einzelnen lassen sich folgende Rechtsfolgen benennen (Muckel 1995, S. 311f.):
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 WRV sind Körperschaften des öffentlichen Rechts berechtigt,
„aufgrund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu
erheben." Demzufolge könnten die Finanzämter von den Mitgliedern der jeweiligen muslimischen
Gemeinschaft Steuern erheben, die dann zur Verwendung für deren Aufgaben weitergeleitet werden.
Körperschaften des öffentlichen Rechts sind nach § 121 Nr. 2 BRRG dienstherrenfähig. Sie können
Dienstverhältnisse öffentlich-rechtlicher Art begründen und Beamte einstellen, die nicht dem Arbeits- und
Sozialversicherungsrecht unterliegen. Derartige Dienstverhältnisse sind daher dem öffentlichen Dienst
gleichgestellt und werden analog behandelt. Durch diese Bestimmung kann die Einreise und Erteilung
einer Aufenthaltsgenehmigung für ausländische Imame möglicherweise erleichtert werden.
Das Bundesministerium für Frauen und Jugend hat nach § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 8 GjS Beisitzer der
Bundesprüfstelle aus den als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannten Religionsgemeinschaften
zu berufen. Muslimische Gemeinschaften hätten demzufolge das Recht, aus ihren Kreisen Beisitzer für
dieses Gremium zu benennen.
Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus sind nach § 19 Abs. 1 BSHG als Träger der freien
Wohlfahrtspflege und nach § 75 Abs. 3 SGB als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt. Diese
Bestimmungen würden es den muslimischen Gemeinschaften ermöglichen, im Bereich der Wohlfahrtspflege
und Jugendhilfe zu wirken und mit staatlicher Unterstützung soziale Einrichtungen zu betreiben.
Nach § 1 Abs. 5 S. 2 Nr. 6 BauGB sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die Erfordernisse der
Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsrechten für Gottesdienst und Seelsorge zu berücksichtigen. Das
hätte zur Folge, daß in den Bauleitplänen auch Plätze für den Bau von Moscheen mit dazu gehörenden
Parkplätzen auszuweisen wären.
Als Körperschaften des öffentlichen Rechts genießen Religionsgemeinschaften schließlich zahlreiche
steuerliche Vergünstigungen und Befreiungen im Steuer- sowie im Kosten- und Gebührenrecht.]
ist zuallererst festzustellen, daß islamische Organisationen damit in einen Rechtsstatus eintreten
könnten, der sie zu einem verbindlichen Gesprächs- und Vertragspartner für gesellschaftliche
und staatliche Stellen werden ließe. Die daraus resultierenden Vorteile wären vielfältiger Art: In
sämtlichen Bereichen der Anstaltsseelsorge könnten entsprechende Vereinbarungen getroffen
werden, um eine ordentliche Seelsorge für Muslime zu gewährleisten. Islamische
Gemeinschaften als Körperschaften öffentlichen Rechts könnten ihre eigenen konfessionellen
Friedhöfe betreiben und damit die Umsetzung der islamischen Bestattungsvorschriften
ermöglichen. Gleichzeitig könnten sie ihre Ansprüche beim Bau ihrer religiösen Einrichtungen in
Wohngebieten geltend machen. In der leidigen Frage des Schächtens könnte eine von ihnen
berufene und bevollmächtigte Institution eine verbindliche Entscheidung zum Schlachtvorgang
treffen. In allen Fragen, in denen es um verbindliche Lehrmeinungen und -aussagen einer
Religionsgemeinschaft geht, wären endlich Lösungen in Sicht. Diese Beispiele mögen genügen,
um anzudeuten, welche Konsequenzen die Verleihung der Körperschaftsrechte nicht nur für die
muslimische, sondern auch für die nichtmuslimische Seite haben könnte.
Doch ist zu fragen, welche Bedingungen gegeben sein müssen, um eine solche Anerkennung
aussprechen zu können. Die Voraussetzungen für den Erwerb der Körperschaftsrechte finden
sich in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV: „Anderen Religionsgesellschaften sind
auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer
Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten." Wie bereits im Zusammenhang der Anstaltsseelsorge
deutlich geworden ist, stellt sich die berechtigte Frage, ob islamische Organisationen tatsächlich
den Charakter einer Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes aufweisen oder nicht.
57
Die Antwort darauf ist nicht eindeutig zu geben. Stefan Muckel macht jedoch darauf
aufmerksam, daß eine Religionsgemeinschaft im Anschluß an die Verwendung des Begriffs im
Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 als ein Zusammenschluß natürlicher Personen zu
verstehen ist. Davon geht auch die Formulierung von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 S. 2
WRV aus, wenn von der Mitgliederzahl der betreffenden Gemeinschaft die Rede ist. [Vgl. ebd., S.
312.] Zusammenschlüsse von Vereinen und Verbänden zu einem größeren Verband – wie dies
beim Islamrat und beim Zentralrat der Fall ist – sind dieser Argumentation zufolge nicht als
Religionsgemeinschaften zu betrachten. [„Dachverbände, denen nur juristische Personen beitreten können,
sind folglich keine Religionsgemeinschaften i.S.d. Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV. Körperschaften öffentlichen Rechts
können sie nach Art. 137 Abs. 5 S. 3 WRV nur dadurch werden, daß die in ihnen zusammengeschlossenen
Gemeinschaften bereits über den Körperschaftsstatus verfügen" (Ebd.).]
Neben diesen beiden Spitzenverbänden sind verschiedene andere islamische Organisationen
nach diesem Modell strukturiert; sie alle würden daher nach Muckel als
Religionsgemeinschaften nicht in Frage kommen. Erschwerend kommt hinzu, daß es in den
einzelnen Bundesländern nicht jeweils eine islamische Organisation gibt, die in den Genuß
entsprechender Rechte kommen würde, sondern gleich mehrere. Die eindeutig festzustellende
Vielfalt derartiger Vereine und Verbände verkompliziert die Fragestellung zusätzlich. Sind sie
alle als Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes anzuerkennen oder kann die
Vereinigung zu einer einzigen verlangt werden? Sicherlich kann der Staat letzteres den
Muslimen nicht abverlangen, sondern er hat sie vielmehr als separate Gemeinschaften zu
betrachten, sofern sie Eigentümlichkeiten aufweisen, die eine solche Differenzierung
rechtfertigen. Andererseits führt die Anerkennung verschiedener islamischer
Religionsgemeinschaften unweigerlich zu einer weiteren Konfessionalisierung der Muslime, die
in diesem Sinne wohl nicht von ihnen gewünscht ist. Ferner kann nicht vom Staat verlangt
werden, in bestimmten Fragen islamischer Religionsausübung mit verschiedenen separaten
Religionsgemeinschaften gleichzeitig verhandeln zu müssen. Man denke etwa daran, die
verschiedenen islamischen Verbände beantragen je für sich die Einführung islamischen
Religionsunterrichts.
Abgesehen von der Frage der Eigenschaften als Religionsgemeinschaften sind auch hinsichtlich
der anderen genannten Voraussetzungen Bedenken angebracht. Wenn der betreffende Artikel des
Grundgesetzes von einer Verfassung ausgeht, dann ist damit nicht allein das Vorliegen einer
Satzung und die Eintragung beim zuständigen Vereinsregister verlangt. Gemeint ist damit
vielmehr „der qualitative Gesamtzustand [der Religionsgemeinschaft, Th.L.], d.h. die Summe der
Lebensbedingungen, denen sie unterworfen ist." [Müller-Volbehr 1993, S. 13.] Die
Religionsgemeinschaft muß über entsprechende Organe und Strukturen verfügen, die ihr eine
Zusammenarbeit mit dem Staat ermöglichen. Von dieser Bedingung ist nicht zu dispensieren,
weil der Staat ihr gewisse Rechte und Kompetenzen verleiht, die eigentlich nur ihm zustehen.
Dazu ist er jedoch nur in der Lage angesichts eines vertretungsberechtigten Gegenübers, das
authentisch und verbindlich über die Glaubenslehre und das –leben der betreffenden Religion
befinden kann. [„Die Verleihung der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts setzt ein
partnerschaftliches, auf Kooperation angelegtes Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaft voraus.
Daraus ergeben sich Anforderungen an die innere Struktur korporierter Religionsgemeinschaften und an ihre
Beziehungen zu anderen religiösen Gruppierungen. … Die Religionsgemeinschaft muß daher über eine auf Dauer
eingerichtete Instanz verfügen, die im Hinblick auf Lehre und Ordnung verbindliche Aussagen machen und
Rechtshandlungen vornehmen kann" (Muckel 1995, S. 313f.).]
58
Wie in den verschiedenen Einzelfragen islamischer Religionsausübung immer wieder deutlich
geworden ist, kennt der Islam derartige Institutionen, die mit einer solchen Verbindlichkeit für
alle Muslime sprechen können, eben nicht. Seinem Selbstverständnis nach kann und will der
Islam eben keine Kirche sein. Die Bemühungen um die Schaffung entsprechender Strukturen
stoßen daher stets auf Skepsis unter Muslimen. [Vgl. Köhler 1997, S. 6f.] Kennzeichnend für die
Lage – auch im Hinblick gerade auf die verschiedenen Rechtsschulen – ist das folgende Zitat
Richard Hartmanns: „Das Gesetz ist nicht einmal völlig einheitlich; bestehen doch die vier
Rechtsschulen zu Recht nebeneinander. Die Gemeinde hat diese – sachlich freilich geringfügigen
– Unterschiede geradezu als eine Gnade Gottes gegenüber den Menschen angesehen. Man hat sie
nicht etwa als Rechtsunsicherheit empfunden." [Hartmann 1992, S. 77.]
Auch die Frage nach der Mitgliederzahl der Antragstellerin weist Schwierigkeiten auf. In
formeller Hinsicht erfüllen bestimmte islamische Verbände diese Vorschrift, insofern sie die
Mindestzahl von einem Tausendstel der Bevölkerung eines Bundeslandes tatsächlich aufweisen
können. Demgegenüber sind in inhaltlicher Hinsicht jedoch erhebliche Zweifel angebracht, da
die Frage der Mitgliedschaft in einer islamischen Organisation nicht immer eindeutig geklärt ist.
Grundsätzlich ist zwischen der Zugehörigkeit zum Islam – die durch Geburt oder Konversion
entsteht – und der Mitgliedschaft in einem bestimmten Verein zu unterscheiden. Beide Größen
sind nicht immer identisch, vielmehr ist davon auszugehen, daß nur eine Minderheit der Muslime
in Deutschland sich vereinsrechtlich einer der bestehenden Organisationen angeschlossen hat,
während ein viel größerer Teil deren Angebote wahrnimmt oder zum Kreis der Anhängerschaft
zu rechnen ist. [Vgl. Lemmen 2000a, S. 28.] Hinsichtlich der Frage der Körperschaftsrechte sind
jedoch klare Regelungen vorausgesetzt, um auszuschließen, „daß die Religionsgemeinschaft als
Körperschaft des öffentlichen Rechts Hoheitsrechte gegenüber Nichtmitgliedern ausübt." [Muckel
1995, S. 315.]
Diese Beobachtungen führen zu dem Ergebnis, daß eine Anerkennung islamischer
Organisationen als Körperschaften des öffentlichen Rechts mangels Erfüllung der formellen
Mindestvoraussetzungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gegeben zu sein scheint. Daher ist
allen diesbezüglichen Versuchen in der Vergangenheit kein Erfolg beschieden gewesen. [Vgl.
Abdullah 1981, S. 159-168.] Diese ernüchternde Bilanz sollte jedoch nicht zu der Annahme führen,
daß dieser Weg islamischen Gemeinschaften auf Dauer verschlossen sein sollte. Vielmehr sind
einige Organisationsbildungen der letzten Jahre festzustellen gewesen, die sich den
Erfordernissen anzunähern versuchen. Erinnert sei lediglich an die Islamische
Religionsgemeinschaft Hessen e.V. (IRH), die eine Mitgliedschaft natürlicher Personen im
Lande Hessen voraussetzt und interne Strukturen zur Klärung religiöser Fragen geschaffen hat.
Auch ähnliche Zusammenschlüsse islamischer Gruppierungen in anderen Bundesländern sowie
die in verschiedenen Bundesländern entstandenen Landesverbände des Verbandes der
Islamischen Kulturzentren e.V. (VIKZ) bereiten den Weg in diese Richtung. Bis es tatsächlich zu
einer Anerkennung kommen wird, kann es unter Umständen jedoch noch Jahre dauern.
Abgesehen davon bleibt festzuhalten, daß der Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts noch
lange nicht in allen Fragen der Religionsausübung von Muslimen zwingend erforderlich ist. Das
Grundgesetz spricht vielmehr in bestimmten Fragen von Religionsgesellschaften, die als
Ansprechpartner des Staates für beispielsweise Religionsunterricht oder Anstaltsseelsorge in
Frage kommen. Auch wenn es sich dabei nicht um ein formelles Anerkennungsverfahren
handelt, haben die Diskussionen um den Islamischen Religionsunterricht in Berlin und um die
59
Ausnahmegenehmigung vom Betäubungsgebot beim Schächten in Hessen in aller Deutlichkeit
gezeigt, daß der Charakter der betreffenden Organisationen als Religionsgesellschaften in diesem
Sinne nicht zweifelsfrei feststeht, sondern erst gerichtlich erstritten werden muß. Nicht geklärt ist
ferner, ob islamische Organisationen den Charakter einer Religionsgesellschaft im Sinne des
Grundgesetzes besitzen oder nicht.
Die vorgestellten Probleme islamischer Religionsausübung lassen sich jedoch nicht bis zu einer
vollständigen Klärung der staatskirchenrechtlichen Grundsatzfragen ungelöst zurückstellen. Dies
kann weder im Sinne der Muslime noch in dem der Nichtmuslime sein. In Kenntnis der
grundlegenden Verpflichtungen ihres religiösen Lebens und auf der Grundlage des
Grundgesetzes und der anderen gesetzlichen Bestimmungen ist vielmehr im Einzelfall nach
konkreten Lösungen im Sinne einer praktischen Konkordanz der widerstreitenden Interessen und
Ansprüche zu suchen. Einen Beitrag zu diesem Prozeß versuchen diese beiden Studien zu
liefern.
60
Melanie Miehl
Hauptbereiche muslimischer Religionsausübung
Quelle: http://library.fes.de/fulltext/asfo/01003007.htm#LOCE9E8
1. Einleitung
Die Beschäftigung mit Fragen islamischer Religionsausübung in Deutschland führt unter den
gegenwärtigen Bedingungen rasch zu Fragen grundsätzlicher Natur. Was als Diskussion über
den Moscheebau im Stadtviertel beginnt, endet nicht selten mit der Frage nach dem Wesen einer
Moschee, ihrem Stellenwert im Glaubensleben der Muslime, nach „dem" Islam an sich.
Im folgenden soll daher ein Blick auf die grundlegenden Inhalte und Formen muslimischer
Religionsausübung geworfen werden. Diese Einführung möchte einem solchen
Informationsbedürfnis entgegenkommen und die Grundlagen darstellen, die oft hinter den
konkreten Fragestellungen stehen, ohne ausreichend zur Kenntnis zu kommen.
Dabei muß es um eine Auswahl gehen, die versucht, einen virtuellen Extrakt aus der Vielfalt
islamischer Glaubens- und Lebensweise zu ziehen, die kein „oberstes Lehramt" besitzt oder
anstrebt und die über die Jahrhunderte und durch die Fülle der Kulturen, mit denen der Islam im
Laufe seiner Ausbreitung in Kontakt kam, ganz verschiedene Ausprägungen gefunden hat.
„Den" Islam gibt es sowenig wie „das" Christentum, und nicht immer läßt sich im Leben des
Einzelnen oder auch islamischer Gemeinschaften genau trennen zwischen religiös motivierten
Handlungen und solchen, die ihre Ursache in kulturellen Prägungen haben.
In diesem Spannungsfeld einen Ausgleich zu finden, ist schwierig. Einerseits droht die Gefahr,
einen homo islamicus zu konstruieren, andererseits mag man sich ins Unverbindliche verlieren.
So liegt es in der Natur der Sache, daß sich zu fast jeder der darzustellenden Auffassungen auch
eine Gegenauffassung finden läßt. Besonders in Fragen des islamischen Rechtes herrscht eine
eher pragmatische Haltung, die eine Anpassung an verschiedenste Gegebenheiten ermöglicht.
Ausgehend von den Grundgegebenheiten lassen sich vielfältige Spielräume ausloten und
begründen. Dies zu tun erfordert muslimischerseits eine nicht zu unterschätzende religiöse und
kulturelle Anstrengung. Vor diesem Hintergrund ist es nur recht und billig, daß auch
Nichtmuslime sich der Mühe nicht entziehen, diese Prozesse nachzuvollziehen und zu würdigen,
indem sie sich mit dem islamic way of life auseinandersetzen. Ohne ein Basiswissen um religiöse
Zusammenhänge bleibt eine Verständigung letztlich zur Oberflächlichkeit verurteilt, der es nicht
gelingen kann, dem Islam die Aura des Fremden zu nehmen. Die folgende Einführung soll einige
solcher Basisbausteine liefern, im Wissen darum, daß sie das Thema selbstverständlich nicht
erschöpfen kann - ein Umstand, der im Wesen des Islam selbst begründet liegt, der stets einen
vernünftigen Ausgleich zwischen Strenge und Menschlichkeit anstrebt.
61
2. Grundsatzfragen
Muslimischer Religionsausübung kommt eine Rolle im Gebäude des Glaubens zu, die sich nur
sehr begrenzt mit derjenigen im Christentum vergleichen läßt. Auch wenn sich in den äußeren
Formen nicht selten Parallelen ergeben, so ist der islamische Ansatz doch ein anderer als der
christliche. Während sich das Christentum als Gewissensreligion darstellt, steht der Islam, in
einer Linie mit dem Judentum, als Gesetzesreligion. Der Religionsausübung in all ihren rituellen
Spezifika mißt der Islam ein großes Gewicht zu. Wo man für das Christentum von Orthodoxie,
im Sinne der Rechtgläubigkeit, spricht, liegt für den Islam der Begriff der Orthopraxie viel
näher. Zwar verpflichtet in beiden Religionen der rechte Glaube ganz unabdingbar auch auf das
rechte Handeln, jedoch liegt im Islam eine besondere Betonung auf der inhaltlichen Bestimmung
dieses rechten Handelns. Wesensmerkmal ist hier die Suche nach der göttlichen Rechtleitung,
huda. Die Eröffnungssure des Korans, die fatiha, macht diese Bitte um Rechtleitung deutlich:
„Im Namen Gottes, des allbarmherzigen Erbarmers. / Gelobt sei Gott, der Herr der Welten! / Der
Allbarmherzige, der Erbarmer, / Der König des Gerichtstags. / Dir dienen wir, dich rufen wir um
Hilf’ an. / Führ’ uns den Weg den graden! / Den Weg derjenigen, über die du gnadest, / Derer
auf die nicht wird gezürnt, und derer, die nicht irrgehn." [In der Übersetzung von Friedrich Rückert.]
Diesen graden und gnadenvollen Weg erschließt den Gläubigen zuallererst der Koran. Er gilt den
Muslimen als letztverbindlich gültiges und unmittelbares Gotteswort, dem Propheten
Muhammad [Vgl. Miehl 2000.] (geb. ca. 570 - gest. 632 n.Chr.) durch den Erzengel Gabriel
überbracht, nach dem Tode Muhammads durch seine Gefährten aufgezeichnet und bis heute
unverändert überliefert. Die Koranredaktion durch den Kalifen Uthman (644-56 n.Chr.) legte die
Gestalt des Buches fest, das heute in 114 Kapiteln, Suren genannt, vorliegt. Deren Verse sind
numeriert. Jede Sure, außer der neunten, beginnt mit der basmala, den Worten „im Namen des
barmherzigen und gnädigen Gottes" [So die Übersetzung Rudi Parets. Rückert übersetzt: „Im Namen Gottes
des allbarmherzigen Erbarmers".].
Dabei unterscheiden sich die einzelnen Suren erheblich in ihrem Umfang. Nach der sieben Verse
umfassenden fatiha, der Eröffnungssure, folgen die weiteren Suren in etwa in absteigender
Länge, so daß die längste Sure des Korans gleich nach der fatiha zu finden ist, während die
kürzesten Suren am Ende des Korans stehen. Das heißt auch, daß die Suren nicht chronologisch
geordnet sind. Da aber die frühen Suren oft auch die kürzeren sind, kann es für eine erste
Begegnung mit dem Koran hilfreich im Sinne der Chronologie sein, die Lektüre von hinten zu
beginnen. Unter Muslimen werden die Suren meist mit ihren arabischen Namen genannt,
ansonsten gibt man - etwas prosaischer - die Nummer und den Vers an. Einigen Versen, die im
Glaubensleben eine herausgehobene Rolle spielen, sind ebenfalls Namen zugeschrieben worden.
Hinter der Angabe 2:255 verbirgt sich der „Thronvers", der in Not, Bedrängnis und Versuchung
gesprochen wird. Der arabische Begriff für einen Koranvers ist aya. Darunter versteht man
zunächst ein Wunder(-zeichen) Gottes. Tatsächlich gilt der Koran als das Bestätigungswunder
für die Prophetie Muhammads.
Der Koran gilt als Gottes eigenes Wort [An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß Vergleiche des Korans
mit der Bibel ebenso von einer falschen Voraussetzung ausgehen wie Vergleiche Muhammads mit Jesus. Im
Unterschied zum Koran gilt die Bibel als „Gotteswort in Menschenwörtern" (Dohmen 1998, S. 30).]; an seinem
Zustandekommen hat Muhammad nach islamischer Auffassung keinerlei kreative Beteiligung
62
gehabt. Die Tradition sieht ihn sogar als ummi, als Analphabeten. Die göttliche Herkunft sehen
die Gläubigen in der Unnachahmlichkeit des Korans, in seiner sprachlichen und inhaltlichen
Perfektion und nicht zuletzt seiner Schönheit bestätigt - das arabische Original ist in Reimprosa
verfaßt. Nicht wenige Menschen beherrschen die kunstvolle Rezitation des gesamten Korans
auswendig.
Gegenwärtig ist das Arabische längst nicht mehr die Muttersprache aller Muslime, und zwischen
dem modernen Arabisch und dem Arabisch des Korans haben die 14 Jahrhunderte, seit denen er
gelesen wird, Divergenzen hinterlassen. Auch wenn der Koran als letztlich unübersetzbar gilt,
stehen den Gläubigen vielfältige Kommentare und Übersetzungen zur Verfügung, die es ihnen
ermöglichen, sich mit der Bedeutung und den gängigen Auslegungen vertraut zu machen.
Die Herabsendung des Korans geschah abschnittweise und zu verschiedenen Anlässen im Leben
Muhammads und der Gemeinde. Ein Hauptthema, das den Koran durchzieht, ist das Verhältnis
Gottes zu den Menschen. In den frühen Suren finden sich Aufrufe zum Glauben und die
Warnung vor dem Jüngsten Tag, die späteren Suren enthalten teils legalistische Erörterungen zur
Konsolidierung der Gemeinde.
Der besondere Status des Korans als Offenbarung göttlichen Willens und als Gotteswort bringt
es mit sich, daß der Koranexegese nur der arabische Wortlaut zugrunde gelegt werden darf. Auch
die Koranrezitation während des fünfmaligen täglichen Ritualgebetes erfolgt in arabischer
Sprache. Allein der arabische Originaltext gilt als heilig und die Fülle göttlicher Herabsendung
enthaltend. Diese Heiligkeit des Korans spiegelt sich auch im Umgang mit dem konkreten Buch
wider, der den Zustand ritueller Reinheit erfordert. Aus Ehrfurcht wird der Koran nicht auf den
Boden gelegt oder auf irgendeine Weise achtlos behandelt und nicht an unreine Orte
mitgenommen. In den Wohnungen hat er oft einen erhöhten Platz. [Nichtmuslime sollten dies
respektieren und weder in Moscheen noch Privathäusern ungefragt im Koran blättern. Besser ist es, bei Interesse
darum zu bitten, sich das Buch zeigen zu lassen, seine Seiten aber nicht zu berühren.]
Der Koran ist mithin auch die erste und wichtigste Quelle des islamischen Rechtes, der šari‘a.
Das Ziel, das die šari‘a verfolgt, ist, die göttliche Rechtleitung in ihren konkreten Dimensionen
menschlicher Lebenszusammenhänge zu erschließen.
Um diese umfangreiche Orientierung in allen Lebensbereichen bieten zu können, wurde der
Bezugsrahmen des islamischen Rechts bald über den Koran hinaus erweitert. Diese Öffnung ist
bereits im Koran selbst angelegt, der dem Propheten Muhammad die umfassende Führung der
islamischen Gemeinde, der umma, anvertraut: „Wenn einer dem Gesandten gehorcht, gehorcht er
Gott". (4:80) Muhammads Taten, Gewohnheiten und Aussprüchen, der sunna, kommt daher in
jeder Hinsicht Beispielcharakter zu. Berichte darüber wurden früh gesammelt, eingehend auf
Glaubwürdigkeit und Lückenlosigkeit der Tradenten, Authentizität und Übereinstimmung mit
koranischen Prinzipien geprüft und in sogenannten Hadith-Sammlungen kompiliert. Ein Hadith
(Pl. Ahadith) bezeichnet dabei eine einzelne Überlieferung aus Muhammads Leben.
Wo diese beiden ersten Quellen nicht genug Aufschluß bieten, wendet die islamische
Rechtsfindung weitere Methoden an, die aber keinesfalls im Widerspruch zu Koran und sunna
stehen dürfen. Auf dem Hintergrund, daß die Gesamtheit der Gemeinde nicht dem Irrtum
verfallen könne, hat sich der igma‘ entwickelt, der Konsens der Gelehrten. Eine weitere Methode
63
stellt der qiyas, der Analogieschluß dar. Er erlaubt es, in Analogie zu den primären Quellen des
Rechts zu entscheiden, also beispielsweise aus dem koranischen Weinverbot und der sunna des
Propheten ein Verbot aller alkoholischen Getränke oder auch aller Rauschmittel abzuleiten. Der
igtihad, die individuelle Rechtsfindung eines Gelehrten anhand der primären Quellen ist im
sunnitischen Islam dort nicht mehr möglich, wo bereits ein igma‘ vorliegt. Bereits
im frühen Mittelalter wurde das „Tor des igtihad" geschlossen. Der schiitische Islam vollzog
diese Entwicklung allerdings nicht mit.
Um in aktuellen Fragen flexibel zu bleiben, wurde das Amt des Muftis geschaffen, der in
religiösen Angelegenheiten ein Gutachten, fatwa, erstellen kann. Der Antragsteller ist nicht an
die fatwa gebunden - gegebenenfalls kann er sich an einen anderen Gelehrten wenden und eine
weitere fatwa einholen.
Dieses Rechtssystem hat Kategorien entwickelt, die es erlauben, sämtliches menschliche
Handeln im Hinblick auf seinen ethischen und religiösen Gehalt hin zu beurteilen. Gegenstand
der Beurteilung ist dabei sowohl das Handeln des Menschen in der Welt als auch dasjenige im
Bezug auf Gott. Jedes Tun und Lassen findet seine Bewertung zwischen den Polen der
Verpflichtung und des Verbotes. Dieses Spektrum ist in sich wiederum gegliedert und durch
Fachtermini bestimmt:
Fard oder wagib bezeichnet eine Pflicht. Sie zu erfüllen wird belohnt, und ihre Unterlassung
zieht Strafe nach sich.
Mandub bezeichnet eine Empfehlung. Während die Tat belohnt wird, bedeutet ihre Unterlassung
jedoch keine Strafe.
Mubah charakterisiert eine sittlich neutrale Handlung. Weder wird ihr Vollbringen belohnt, noch
ihre Unterlassung bestraft.
Makruh ist eine Tat dann, wenn ihre Unterlassung belohnt, ihr Vollzug aber nicht bestraft wird.
Haram bezeichnet ein klares Verbot. Die Unterlassung wird belohnt, während der Vollzug
bestraft wird.
Lohn und Strafe beziehen sich dabei auf außerweltliche Kategorien. „Wird doch auch gar nicht
alles, was haram ist, vom Richter mit Strafe belegt, nämlich unter Umständen dann nicht, wenn
es nicht einen Verstoß gegen die Rechte der Menschen, sondern einen solchen gegen die Gottes
bedeutet." [Hartmann 1992, S. 75.] Das souveräne Urteil über alles menschliche Handeln liegt
mithin bei Gott. Die Übersetzung des Begriffs „Islam" bedeutet nichts anderes als Hingabe an
und Unterwerfung unter Gott und seinen Willen. Dabei geht es nicht in erster Linie um ein
abstraktes „Dein Wille geschehe!", sondern um eine möglichst konkrete Annäherung an den
offenbarten göttlichen Willen. Die šari‘a verfolgt das Ziel, alle Bereiche des Lebens auf dieser
Basis zu regeln.
Auf diesem Hintergrund sind die religiösen Grundpflichten des Islams zu sehen.
64
3. Die fünf religiösen Grundpflichten
Bereits zu Lebzeiten Muhammads haben sich die wesentlichen religiösen Pflichten im Leben des
Einzelnen und der Gemeinde herausgebildet. Ein Ausspruch des Propheten faßt sie zusammen:
„Ibn ‘Umar berichtet, der Gesandte Gottes (S) habe gesagt: Der Islam basiert auf fünf
grundlegenden Pflichten: Dem Glaubensbekenntnis - ‘Es gibt keinen Gott außer Gott, und
Muhammad ist der Gesandte Gottes’ -, dem Gebet, der gesetzlichen Abgabe, der Wallfahrt sowie
dem Fasten im Ramadan." [Al-Buhari 1991, S. 33.]
Glaubensbekenntnis, Gebet, Almosen, Wallfahrt und Fasten bilden bis heute die Grundpfeiler
muslimischer Religionsausübung, so daß sie auch als „Säulen des Islams" bezeichnet werden.
3.1 Das Glaubensbekenntnis
Das Glaubenszeugnis, die šahada, lautet: „Ich bezeuge, daß es keine Gottheit außer Gott gibt,
und daß Muhammad der Gesandte Gottes ist." Der Glaube, iman, umfaßt des weiteren die Engel,
die Offenbarungsschriften, den Jüngsten Tag sowie die göttliche Vorherbestimmung.
Die šahada bietet gleichsam den Islam in seinem Wesenskern. Ihr erster Teil, das Bekenntnis
zum Einen und Einzigen Gott, neben dem es keine anderen Gottheiten gibt, ist Ausfluß eines
Gottesbildes, das wesentlich vom Gedanken der absoluten Transzendenz getragen wird.
Wiewohl dieser Gott gnädig, barmherzig und vergebungsbereit gedacht wird, bleibt er für seine
Geschöpfe doch letztlich unerreichbar in seiner unbedingten Einheit und Einzigkeit. Demzufolge
wählt die Hinwendung Gottes zu den Menschen im Islam einen völlig anderen Weg als im
Christentum. Der zweite Teil der šahada, das Bekenntnis zur Prophetie Muhammads, weist
darauf hin, daß Gott im Islam seinen Willen durch Propheten verkündet, deren letzter und
bedeutendster der Prophet Muhammad ist.
Das Prinzip der Einheit Gottes, tauhid, verunmöglicht das Konzept einer göttlichen Inkarnation.
In einem mehrheitlich polytheistischen Umfeld entstanden, weist der Islam alles von sich, was
im Verdacht steht, göttliche und menschliche Sphären zu vermengen. Besonders deutlich kommt
dies in der 112. Sure des Korans zum Ausdruck: „Sprich: Gott ist Einer, / ein ewig reiner. / Hat
nicht gezeugt und ihn gezeugt hat keiner, / und nicht ihm gleich ist einer." [In der Übersetzung von
Friedrich Rückert.]
Die Beigesellung, širk, die Gott ein oder mehrere weitere Wesen zugesellt, gilt dem Islam als
schwerwiegendste Sünde überhaupt. Von daher ist es auch verständlich, daß die Propheten bei
aller Verehrung und Wertschätzung, die ihnen seitens der Gläubigen entgegengebracht wird,
stets Menschen bleiben.
Auch im Islam ist, wie im Christentum, die Offenbarung Gottes in einen historischen Rahmen
eingebettet. Geschichte ist auch Heilsgeschichte. Allerdings setzt der Islam dabei einen ganz
eigenen Akzent. Die erste Verkündung göttlicher Rechtleitung wird nämlich gleichsam
außerhalb von Zeit und Raum gelegt. So berichtet der Koran, Gott habe aus den Lenden der
65
Kinder Adams die unerschaffene Menschheit hervorgeholt und sie gefragt: „Bin ich nicht euer
Herr?" (7:172) [Im Folgenden liegt, wo nicht anders gekennzeichnet, die Koranübersetzung Rudi Parets
zugrunde.]
Indem die Menschheit dies bejaht, ist der Weg unabänderlich vorgegeben. Die Reihe der
Propheten, die der Islam anerkennt, beginnt mit Adam und endet, viele Gestalten des Alten
Testaments [Allerdings ist die Terminologie nicht deckungsgleich. Von den Gestalten, die das AT als Propheten
kennt, kommt im Koran nur Jona (=Yunus) vor, während dem Koran etwa Adam, Mose, David (=Daud) und Salomo
(=Sulayman) als Propheten gelten.] sowie Jesus (=Isa) einschließend, mit Muhammad. Nach
islamischem Verständnis ist kein Volk ohne Warner und Verkünder der frohen Botschaft
geblieben. Die Vielzahl der Propheten ist allein dadurch zustande gekommen, daß die
Menschheit, die ursprünglich geeint war im Bekenntnis zu Gott, sich in viele verschiedene
Gruppen aufspaltete, die die im Kern stets gleiche Botschaft der Propheten nicht unverfälscht
bewahrten. Wiederholte Sendung von Propheten dient somit mehr der Wiederherstellung der
Rechtleitung als der Verkündung wesentlich neuer Botschaften. Der Koran sichert Muhammad
zu: „Und wir haben vor dir keinen Gesandten auftreten lassen, dem wir nicht eingegeben hätten:
Es gibt keinen Gott außer mir. Dienet mir!" (21:25) Das Besondere an der Offenbarung, die
Muhammad zuteil wird, auch in Abgrenzung zu denen, die nach islamischer Auffassung auf
Moses, David und Jesus herabgesandt wurden, besteht darin, daß der Koran die letzte und
vollkommene Bekundung göttlichen Willens darstellt. Das Muster von Rechtleitung, Verfehlung
der Menschen und erneuter Rechtleitung durch die Barmherzigkeit Gottes endet mit dem Koran.
Muhammad nimmt somit die Rolle des Schlußsteins im Gebäude der islamischen Prophetie ein.
[Vgl. Miehl 2000, S. 45.] Sure 33:40 bestätigt dies, indem sie ihn als „Siegel der Propheten"
bezeichnet. [Vor diesem theologischen Hintergrund spielt sich die Ablehnung nachislamischer Religionen oder
Sekten ab.]
3.2 Das Gebet
Das Gebet nimmt in der islamischen Religionsausübung eine hervorgehobene Position ein.
Gemeint sind dabei zunächst nicht die vielfältigen Formen und Traditionen des freien Gebets, die
der Islam wie alle großen Religionen kennt und hervorgebracht hat, sondern das Ritualgebet,
salat. Im Koran heißt es dazu: „Das Gebet ist für die Gläubigen eine festgelegte Vorschrift."
(4:103) Frauen wie Männer sind verpflichtet, es fünfmal täglich zu verrichten. Diese
Verpflichtung gilt mit dem Eintritt der Pubertät. Ab dem siebten Lebensjahr sollen die Kinder
langsam an das Gebet herangeführt werden, und ab dem zehnten Lebensjahr sollen sie bestraft
werden, wenn sie es nicht verrichten. Wer im Besitz seiner Verstandeskräfte ist, also z.B. nicht
durch Ohnmacht oder Geisteskrankheit beeinträchtigt, muß das Gebet verrichten.
Zur Verrichtung des Gebets bedarf es der Gewährleistung einiger ritueller Voraussetzungen.
Zunächst obliegen die täglichen fünf Gebete nicht der individuellen oder kollektiven zeitlichen
Festlegung. Ihre Verrichtung ist an Zeiten gebunden, die weder von der Gemeinde noch vom
einzelnen Beter festgelegt werden, sondern die sich nach dem Stand der Sonne richten. Dabei
handelt es sich um Zeiträume, innerhalb derer Gelegenheit zur Verrichtung des Gebetes gegeben
ist. So erstreckt sich die Zeitspanne, innerhalb derer das Morgengebet zu verrichten ist, vom
Beginn der Morgendämmerung bis zum Aufgang der Sonne. Das Mittagsgebet beginnt, wenn die
Sonne im Zenit steht und endet, wenn der Schatten, den ein Gegenstand wirft, so lang ist, wie der
Gegenstand selbst. Unmittelbar daran anschließend und bis zum Sonnenuntergang dauernd, ist
die Zeit für das Nachmittagsgebet. Vom Sonnenuntergang bis zum Ende der Dämmerung kann
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das Abendgebet verrichtet werden. Danach, bis zum Beginn der Zeit des Morgengebetes liegt die
Spanne, in der das Nachtgebet zu verrichten ist.
Mithin gibt es einige Zeiten im Tageslauf, an denen die Verrichtung von rituellen Gebeten
verpönt ist: Die Zeitspanne des unmittelbaren Auf- und Untergangs der Sonne sowie ihr Zenit.
Ein weiterer Umstand, der zur Verrichtung des Gebetes vonnöten ist, besteht in der Beachtung
diverser Reinheitsvorschriften. Ähnlich dem Judentum besteht der Islam auf der Einhaltung
verschiedener ritueller Reinheitsvorschriften, u.a. eines Bluttabus, die eine breite Ausfaltung
gefunden haben. So unterscheidet man zwischen dem Zustand ritueller Reinheit, tahara, und
dem der Unreinheit, der sich wiederum in große und kleine Unreinheit gliedert. Das Gebet
erfordert sowohl die Reinheit des Beters und seiner Kleidung als auch des Ortes, an dem gebetet
wird.
Das islamische Recht widmet den Reinheitsvorstellungen umfangreiche Überlegungen und
Vorschriften. Die beiden Arten der Waschung, Ganz- und Teilwaschung des Körpers, gehen auf
die Überlieferung zurück, der Engel Gabriel sei dem Propheten Muhammad erschienen und habe
sie ihm vorgemacht. Gemäß diesem Vorbild vollziehen Muslime bis heute die Waschungen,
wobei festgelegt ist, wie und in welcher Reihenfolge der Körperteile dabei vorzugehen ist.
Allgemein gilt, daß die Reinheit verloren geht, wenn der Gläubige mit unreinen Dingen
(Alkohol, Blut, Sperma, Exkrementen, Schweinefleischhaltigem und dergleichen) oder Tieren
(insbesondere Schweinen und Hunden) oder mit Personen des anderen Geschlechtes in Kontakt
kommt, sich sexuell betätigt, schläft oder in Ohnmacht fällt. Die Regelungen sind im Einzelnen
sehr komplex und können daher hier keine umfassende Erwähnung finden. [Vgl. Zaidan 1996;
Arikan 1998.]
Das Gebet erfolgt, sofern der Beter die Möglichkeit hat, dies festzustellen, stets nach Mekka
gewandt. Diese Gebetsrichtung, qibla, ist in den Moscheen durch eine meist kunstvoll gestaltete
Nische, mihrab, ausgewiesen.
Weiterhin gehört zum Gebet die Bedeckung des Körpers. Der zu bedeckende Bereich, aura, wird
dabei für Männer und Frauen unterschiedlich definiert.
Sind all diese Vorbedingungen erfüllt, bedarf es noch der Erklärung der Absicht zum Gebet, der
niya. Eine solche Absichtserklärung geht allen wichtigen religiösen Handlungen notwendig
voraus.
Das Gebet selbst besteht aus Lob- und Bittgebeten und der Rezitation verschiedener Koranverse.
Darunter befindet sich in jedem Falle die fatiha. Augenfälliger Ausdruck der gläubigen
Unterwerfung unter Gottes Willen und der Hingabe sind die Körperhaltungen, die das Gebet
begleiten, insbesondere die Niederwerfung, bei der die Stirn den Boden berührt. Die Sprache des
rituellen Gebetes ist Arabisch, denn der Koran entzieht sich, indem er als Gotteswort aufgefaßt
wird, der Übersetzung in andere Sprachen, die den gottesdienstlichen Zwecken gerecht würden.
67
Zum Gebet stellen sich die Teilnehmer in Reihen, Schulter an Schulter auf. Vor ihnen steht der
Imam, dessen Platz leicht erhöht sein kann. Die körperliche Nähe beim Gebet und die Haltungen,
die dabei eingenommen werden, liefern eine pragmatische Begründung dafür, daß Frauen und
Männer nicht in einer Reihe beten. Wie im Judentum und verschiedenen christlichen Traditionen
werden Frauen und Männer während des Gebetes separiert, und es kommen den Geschlechtern
unterschiedliche gottesdienstliche Funktionen zu. Die Regelungen, die getroffen werden, um
eine Ablenkung vom Gebet durch das andere Geschlecht zu verhindern, haben dabei
verschiedene Ausprägungen gefunden. Frauen beten hinter den Reihen der Männer, auf
Emporen, durch Vorhänge oder ähnliches abgetrennt oder gar in eigenen Frauenräumen bzw.
Frauenmoscheen. Beten die Frauen hinter den Männern, wird ihnen oft eine größere
Konzentration beim Gebet zugeschrieben, denn während sie sich durch den Anblick der vor
ihnen stehenden Männer nicht irritieren ließen, würden in der umgekehrten Konstellation die
Männer leicht abgelenkt. In der Praxis vermischen sich hier kulturelle und religiöse
Vorstellungen so sehr, daß es wiederholt zu Klagen in Deutschland lebender Musliminnen
gekommen ist, ihnen sei der Zutritt zur Moschee verwehrt worden.
Der gleichförmige Wochenrhythmus wird durch ein Gebet unterbrochen, dessen gemeinsame
Verrichtung in der Moschee für alle erwachsenen, freien, männlichen Muslime verpflichtend ist.
Den Musliminnen ist die Teilnahme daran freigestellt. Zum Freitagsgebet, das zur Mittagszeit
gehalten wird, gehört eine Predigt, chutba, die im Unterschied zum Gebet in der Sprache zu
halten ist, die die Mehrheit der Anwesenden versteht. Daher steht zu erwarten, daß mittelfristig
das Angebot deutschsprachiger Predigten zunehmen wird. Bislang bleiben deutsche Predigten
eher die Ausnahme, wenn auch zuweilen zu besonderen Anlässen, etwa an Abenden des
Ramadans, Ansprachen religiösen Inhalts in deutscher Sprache angeboten werden. Da, wo
Muslime unterschiedlicher Herkunft zusammenkommen, die keine gemeinsame Muttersprache
haben, ist die deutschsprachige Predigt bereits zur Notwendigkeit geworden.
Ganz allgemein gilt, daß das Gebet in Gemeinschaft verdienstvoller ist als dasjenige, das allein
vollzogen wird. [Genauer: In Gemeinschaft mit den Engeln.]
Neben den fünf täglichen Gebetszeiten und dem Freitagsgebet gibt es noch eine Reihe weiterer
Gebete, die an bestimmte Anlässe geknüpft sind, wie etwa das Totengebet, Gebete bei Mondund Sonnenfinsternis oder auch das Gebet um Regen. Dabei sind nicht alle Gebete für alle
Muslime verpflichtend. Beim Totengebet beispielsweise ist die Verpflichtung erfüllt, wenn
einige Männer es verrichten. Verrichtet aber niemand dieses Gebet, so wird dies der gesamten
Gemeinde zur Last gelegt.
Im Ramadan ist es üblich, zusätzlich zu den gewöhnlichen Gebetszeiten abends die sogenannten
tarawih-Gebete in den Moscheen gemeinschaftlich zu halten.
Diese Ausführungen lassen bereits erahnen, daß die Moschee als Ort des muslimischen Gebetes
eine ganz andere Rolle spielt als die Kirche im christlichen Verständnis.
Die Moschee definiert sich aus der wichtigsten in ihr stattfindenden Handlung, der
Niederwerfung beim Gebet, sugud. Die Moschee, masgid, ist der Ort dieser Niederwerfung.
Umgekehrt ist jeder Ort, an dem das Gebet verrichtet wird, in diesem Sinne Moschee. Dem
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Gebäude als solchem eignet kein sakraler Charakter. Heilig ist Gott allein, und nichts
Geschaffenes hat daran Anteil. Das wichtigste im Gebetsraum einer Moschee ist die große
Fläche, die sie den Betenden bietet, denn das eigentliche Gebet bedarf ja keines Mobiliars. Die
erste Moschee in der Geschichte des Islams befand sich im Hof des Prophetenhauses und war
somit im Wesentlichen ein umfriedeter Platz. Zur Predigt stieg Muhammad auf einen
Palmstumpf.
In heutigen Moscheen ist für den Prediger eine Kanzel, minbar, eingerichtet, zuweilen findet
man eine Kanzel, die für die Freitagspredigt verwendet wird, und eine andere, die zu sonstigen
religiösen Anlässen dient. Eine Nische, der mihrab, zeigt die Gebetsrichtung nach Mekka an.
Vor ihr befindet sich der leicht hervorgehobene Platz des Imams, des Vorbeters.
Mit dem Gebet verbunden ist der Gebetsruf, der adhan. Da die Zeiten für das Gebet sich nach
dem Stand der Sonne richten, verschieben sie sich täglich um einige Minuten. Dies hat zur Folge,
daß man sich nicht nach feststehenden Uhrzeiten richten kann, wie etwa beim christlichen
Gottesdienst.
Die islamische Überlieferung sieht die Einführung des Gebetsrufes im Traum eines
Prophetengefährten begründet. Nach der higra, der Auswanderung der Muslime von Mekka nach
Medina, war zum ersten Mal in der Geschichte des Islams die Religionsausübung ohne
Repressalien durch die heidnischen Mekkaner möglich. In dieser Zeit festigte sich das religiöse
Regelwerk, Fasten, Gebet und Almosen wurden verpflichtend. Die Prophetenbiographie des Ibn
Ishaq berichtet: „Zuerst hatte der Prophet daran gedacht, wie die Juden mit einer Trompete zum
Gebet aufrufen zu lassen, doch dann mißfiel ihm dieser Gedanke, und er ließ eine Klapper
machen, durch deren Schlagen die Muslime zum Gebet ermahnt wurden. In dieser Zeit hatte
Abdallah Ibn Zaid einmal einen Traum, ging am nächsten Morgen zum Propheten und erzählte
ihm davon: ‘Letzte Nacht ging im Traum ein Mann an mir vorüber. Er war mit zwei grünen
Gewändern bekleidet und trug eine Klapper in der Hand. Ich fragte ihn: ‘Du Diener Gottes,
verkaufst du mir deine Klapper?’ - ‘Was willst du damit machen?’ - ‘Wir rufen zum Gebet
damit.’ - ‘Soll ich dir dafür etwas Besseres sagen?’ - ‘Nämlich?’ - ‘Der Ruf: Allahu akbar,
Allahu akbar, Allahu akbar! Ich bekenne, daß es keinen Gott gibt außer Gott! Ich bekenne, daß
es keinen Gott gibt außer Gott! Ich bekenne, daß Muhammad der Prophet Gottes ist! Ich
bekenne, daß Muhammad der Prophet Gottes ist! Auf zum Gebet! Auf zum Gebet! Auf zum
Heil! Auf zum Heil! Allahu akbar, Allahu akbar! Es gibt keinen Gott außer Gott!’’
Als er dies dem Propheten erzählt hatte, rief dieser aus: ‘Wahrlich, ein wahrer Traum,
insscha’allah! Gehe zu Bilal und trage es ihm vor. Er soll mit jenen Worten zum Gebet rufen,
denn er hat eine wirkungsvollere Stimme als du!’" [Ibn Ishaq 1999, S. 114f.]
Diese Worte bilden bis heute den islamischen Gebetsruf (allerdings wird der erste takbir, die
Formel „Allahu akbar", viermal ausgerufen). Zum Morgengebet wird hinzugefügt: „Das Gebet
ist besser als der Schlaf!" In der Moschee wird der Gebetsruf unmittelbar vor dem Gebet noch
einmal wiederholt. Diese sogenannte iqama umfaßt den Gebetsruf, je nach Rechtsschule
vollständig oder um einige der Wiederholungen verkürzt, sowie die Worte „Das Gebet beginnt".
Die Männer, die adhan bzw. iqama hören, sollen sie leise nachsprechen, Frauen ist dies
freigestellt. Die iqama fordert auf, sich zum Gebet aufzustellen.
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Zu Zeiten des Propheten wurde der Gebetsruf vom Dach des höchsten Hauses am Ort
ausgerufen. Heute dient das Minarett diesem Zweck.
3.3 Das Fasten
Das Fasten als religiöse Praxis nimmt im Islam wichtigen Raum ein. Bereits in vorislamischer
Zeit war es auf der arabischen Halbinsel bekannt. So hatte sich Muhammad auf den Berg Hira zu
Gebet und Fasten zurückgezogen, als ihm der Engel Gabriel erschien und ihm seine Berufung
zum Propheten übermittelte.
Zu den wichtigsten Fastzeiten im islamischen Kalender gehört das Fasten im Monat Ramadan.
Der Ramadan ist ein Monat der Vergebung und Versöhnung sowie der Solidarität mit den
Armen. In ihm gedenken die Muslime der Herabsendung des Korans. So ist es üblich, den
ganzen Koran in diesem Monat zu rezitieren. Das Fasten im Ramadan beginnt bei Tagesanbruch,
wenn man - so die klassische Definition - einen weißen von einem schwarzen Faden
unterscheiden kann, und endet bei Sonnenuntergang.
Die Vorschriften des Fastens sind dabei sehr streng. Der Fastende enthält sich jeglicher Speisen
und Getränke sowie des ehelichen Verkehrs. Je nach Auslegung lassen das Rauchen, das
Einatmen von Wohlgerüchen, wie etwa Weihrauch oder Blumenduft, sowie medizinische
Injektionen und Infusionen, Medikamente, die über die Nase aufgenommen werden oder auch
Ohrentropfen, jedoch nicht Augentropfen, das Fasten hinfällig werden. Dies gilt auch für
Zahnfleischbluten in größerem Umfang sowie für das Schlucken von in den Mund geratenem
Schnee oder Regenwasser. Für Menschen, denen das Fasten unmöglich ist oder schaden würde,
gibt es verschiedene Regelungen, die es ihnen erlauben, das Fasten nachzuholen bzw.
ersatzweise Arme zu speisen. Frauen, die während ihrer Menstruation nicht fasten dürfen, holen
die versäumten Tage für gewöhnlich im Laufe des Jahres nach. Verheiratete Frauen bedürfen
dazu der Erlaubnis ihres Gatten.
Nach dem abendlichen Fastenbrechen sind alle Verbote bis zum kommenden Morgen
aufgehoben. Traditionell bricht man das Fasten nach dem Vorbild des Propheten mit einer
ungeraden Zahl von Datteln.
Die Ramadanabende werden oft in Gesellschaft verbracht. Im Rahmen der Familie und Freunde
oder auch der Moschee wird das Fastenbrechen, iftar, gemeinschaftlich begangen. Solche iftarEssen sind Gelegenheiten, zu denen oft auch nichtmuslimische Freunde eingeladen werden.
Das gesellige Beisammensein in den Abend- und Nachtstunden und das Fasten bei Tag zuweilen ist es üblich, vor Tagesanbruch noch eine Mahlzeit einzunehmen - verändern den
Lebensrhythmus im Ramadan völlig. Besonders im nichtislamischen Umfeld bringt es
Schwierigkeiten mit sich, den religiösen Vorschriften zu folgen und trotzdem den Ansprüchen
etwa in Schule und Beruf zu genügen. Auf nichtmuslimischer Seite ist oft nicht bekannt, wann
denn eigentlich gefastet wird. Da der islamische Kalender dem Mondjahr folgt, wandern seine
Monate durch das Sonnenjahr. Das Mondjahr ist elf Tage kürzer als das Sonnenjahr, und so rückt
auch der Ramadan im Laufe der Jahre durch alle Jahreszeiten. Je weiter man vom Äquator
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entfernt ist, desto weiter entfernt man sich auch von der Tag- und Nachtgleiche. Fasttage im
Winter sind somit kürzer, während das Fasten im Sommer sehr strapaziös sein kann. Muslime in
Polnähe orientieren sich an näher am Äquator gelegenen Ländern.
3.4 Das Almosen
Der Begriff Almosen gibt nur bedingt wieder, was diese Säule des Islams meint, nämlich eine
verpflichtende Abgabe zugunsten bestimmter Gruppen. Im Koran heißt es dazu:
„Die Almosen sind nur für die Armen und Bedürftigen (?) (bestimmt), (ferner für) diejenigen,
die damit zu tun haben, (für) diejenigen, die (für die Sache des Islam) gewonnen werden sollen
(w. diejenigen, deren Herz vertraut gemacht wird), für (den Loskauf von) Sklaven, (für) die, die
verschuldet sind, für den heiligen Krieg (w. den Weg Gottes) und (für) den, der unterwegs ist
(oder: (für) den, der dem Weg (Gottes) gefolgt (und dadurch in Not gekommen) ist; w. den Sohn
des Wegs). (Dies gilt) als Verpflichtung von seiten Gottes. Gott weiß Bescheid und ist weise."
(9:60) Zur Höhe und Art der Abgabe gibt der Koran den Hinweis: „Und man fragt dich, was man
spenden soll. Sag: Den Überschuß!" (2:219) Diese koranische Bestimmung wird durch das
islamische Recht weiter konkretisiert, das festlegt, wer wem zur Abgabe verpflichtet ist und wer
nicht, und wie die Abgabe zu berechnen ist.
3.5 Die Wallfahrt
Die Wallfahrt, hagg, nach Mekka ist eine Besonderheit unter den islamischen Grundpflichten.
Einmal im Leben soll jeder Gläubige die Riten der hagg vollziehen.
Der Vollzug dieser Verpflichtung hängt von mehreren Faktoren ab. So hat die hagg ihren
zeitlichen Rahmen in einem bestimmten Monat des islamischen Jahreslaufs, namentlich im
Dhu’l-Higga. Die Wallfahrt beginnt am 8. und dauert bis zum 12. bzw. 13. dieses Monats, woran
sich noch ein Besuch des Grabes des Propheten in Medina anschließen kann. Eine Wallfahrt, die
zu anderen Zeiten angetreten wird und deren Umfang geringer ist, erhält die Bezeichnung ‘umra
oder auch kleine Wallfahrt.
Da mit der Reise nach Mekka schon in frühester Zeit Mühen, Gefahren und erhebliche
finanzielle Auslagen einher gingen, sieht das islamische Recht verschiedene Erleichterungen vor.
Zwar kann die hagg nur in dem ihr gewidmeten Monat begangen werden, jedoch steht es dem
Gläubigen frei, die Reise im Jahr seiner Wahl anzutreten. Prinzipiell darf die hagg wiederholt
vollzogen werden, mit einer Wallfahrt ist die Verpflichtung aber schon erfüllt. Auch darf die
hagg nur angetreten werden, wenn eventuell bestehende Versorgungsansprüche Abhängiger
dadurch nicht gefährdet werden und wenn der Pilger auch selbst nicht verschuldet ist. Zwar sind
Frauen wie Männer zur Wallfahrt verpflichtet, bedürfen aber gemeinhin der Begleitung ihrer
Ehemänner, bzw. männlicher Verwandter oder sollen sich wenigstens einer größeren Gruppe von
Frauen anschließen. Gegenwärtig ist die Einreise alleinstehender Frauen nach Saudi Arabien
zum Zweck der Wallfahrt so gut wie unmöglich. Es ist möglich, die hagg vertretungsweise für
jemanden zu vollziehen, der ihre Mühen nicht auf sich nehmen kann. Nicht wenige Menschen
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machen sich jedoch noch in vorgerücktem Alter nach Mekka auf, zumal es eine besondere
Gnade ist, während der hagg den Tod zu finden.
Die hagg und ihre Riten gehen im Wesentlichen auf vorislamische Kulte zurück. Zu Lebzeiten
Muhammads war dessen Heimatstadt Mekka ein Zentrum nicht nur des Karawanenhandels,
sondern auch des religiösen Lebens.
Mekka war Mittelpunkt verschiedener polytheistischer Kulte. Mit der Verehrung verschiedener
Götter, Göttinnen und Gottheiten verbanden sich Riten und Wallfahrten, die zu festgesetzten
Zeiten stattfanden. An die Wallfahrtsmonate waren Zeiträume des Verbotes kriegerischer
Auseinandersetzungen zwischen den Beduinenstämmen gebunden. Dem Wirtschaftsleben der
Stadt kam ebenfalls zugute, daß in diesen heiligen Monaten Raubüberfälle auf
Handelskarawanen unterbleiben mußten, wie sie im übrigen Jahreslauf zu den festen
Einkommensquellen der Beduinen gehörten.
Der Ort, an dem sich das religiöse Leben Mekkas kristallisierte, war - und ist - der heilige
Bezirk, in dem sich die Ka‘ba befindet. Dieser etwa elf Meter hohe würfelförmige Bau
beherbergte in vorislamischer Zeit figürliche Darstellungen und Standbilder verschiedener
Gottheiten. Da neben den Anhängern polytheistischer Kulte auf der arabischen Halbinsel auch
jüdische Stämme sowie vereinzelte christliche Gruppierungen lebten, nimmt es nicht Wunder,
wenn die Überlieferungen aus dem Leben Muhammads unter diesen Darstellungen auch ein
Bildnis der Jungfrau Maria mit dem Jesuskind erwähnen.
Sinnfälliger Ausdruck des islamischen Monotheismus ist, daß die Ka‘ba heute leer ist. Mit der
Einnahme seiner Heimatstadt Mekka im Januar des Jahres 630 durch die von Muhammad
geführten Muslime gingen die nichtislamischen Kulte an diesem Ort unter. Bis heute ist der
Aufenthalt in den heiligen Städten Mekka und Medina, den haramayn, nur Muslimen
vorbehalten. Nichtmuslime gleich welchen Glaubens dürfen sich ihnen nicht einmal bis in
Sichtweite nähern.
Da Muhammads Botschaft sich in deutlichem Widerspruch zu den polytheistischen Kulten der
arabischen Halbinsel artikulierte, konnten die Inhalte der althergebrachten Wallfahrtsrituale nicht
in die religiöse Gedankenwelt des Islams integriert werden. Wohl aber blieben äußere Formen
erhalten. Diesen Bedeutungswandel illustriert der Koran, wo er sich zu den Ritualen der
Wallfahrt äußert: „Die Wallfahrt findet in (den) bekannten Monaten statt." (2:197) „Und wenn
ihr eure Riten vollzogen habt, dann gedenket Gottes, wie ihr (bisher) eurer Väter gedachtet, oder
noch inniger!" (2:200) Ein Hadith verdeutlicht den Vorgang: „‘Umar (R a) näherte sich dem
schwarzen Stein [der in der Ka‘ba eingemauert ist, M.M.] und küßte ihn. Er sagte: ‘Ich weiß, daß
du nur ein Stein bist, der nicht schaden und nicht nutzen kann. Ich hätte dich nicht geküßt, wenn
ich nicht gesehen hätte, daß der Gesandte Gottes (S) dich geküßt hat!’" [Al-Buhari 1991, S. 211.]
Inhaltlich suchte der Islam eine Assimilation des Kultes an Prämissen seines
Offenbarungsverständnisses. In einem Rekurs auf die Anfänge der Menschheitsgeschichte
postuliert er Adam, der ihm als der erste Prophet gilt, als den Erbauer der Ka‘ba. Auch Abraham
wird mit der Ka‘ba in Verbindung gebracht, in deren unmittelbarer Nähe man die Gräber Ismaels
und Hagars wähnt. „Das erste (Gottes)haus, das den Menschen aufgestellt worden ist, ist
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dasjenige in Bakka (d.h. Mekka), (aufgestellt) zum Segen und zur Rechtleitung für die Menschen
in aller Welt. In ihm liegen klare Zeichen vor. (Es ist) der (heilige) Platz Abrahams. Wer ihn
betritt, ist in Sicherheit. Und die Menschen sind Gott gegenüber verpflichtet, die Wallfahrt nach
dem Haus zu machen - soweit sie dazu eine Möglichkeit finden." (3:96f.)
Gleiches gilt für die Riten der hagg. So heißt es etwa in 22:26: „Und (damals) als wir [d.h. Gott,
M.M.] dem Abraham die Stätte des Hauses (der Ka‘ba) als Wohnung anwiesen (und ihm die
Verpflichtung auferlegten): ’Geselle mir nichts (als Teilhaber an meiner Göttlichkeit) bei und
reinige mein Haus für diejenigen, die die Umgangsprozession machen und (andächtig im Gebet)
stehen, und die sich verneigen und niederwerfen!’"
Die heute gültige Form der hagg nimmt die letzte Wallfahrt Muhammads zum Vorbild, die
dieser im Jahre seines Todes vollzog. Ihre Riten sind so detailreich, daß schon in den ersten
Jahrhunderten der islamischen Zeitrechnung regelrechte Wallfahrtsanleitungen geschrieben
wurden. Auch heute noch bedarf es von Seiten der Pilger nicht nur der spirituellen Einstimmung
auf die Wallfahrt, sondern auch intensiver Auseinandersetzung mit ihren Formalia. Nimmt man
die bloße logistische Organisation der Reise und die besonderen Bestimmungen bei der Einreise
nach Saudi Arabien hinzu, ergibt sich für professionelle Reiseveranstalter ein weites
Betätigungsfeld.
Die Pilger erhoffen sich vom Vollzug der hagg nicht zuletzt die Vergebung ihrer Sünden. Ein
Hadith überliefert, Muhammad habe gesagt: „Wer die Wallfahrt für Gott vollzieht, während
dieser Zeit keine anstößigen Reden führt und sich keines Vergehens schuldig macht, kehrt wie
neugeboren nach Hause zurück." [Ebd., S. 202.] Diese Erfahrung führt oft dazu, daß für Menschen,
die aus Mekka in ihre Heimat zurückkehren, die hagg ein regelrechtes Bekehrungserlebnis
markiert. Die Pilger werden in aller Regel von ihren Angehörigen und Freunden ehrerbietig und
freudig empfangen. Sie dürfen nun den Titel des haggi, bzw. der hagga führen.
Die Pilgerreise hat aber nicht nur Auswirkungen auf die persönliche religiöse Lebensführung der
Rückkehrer. Oft ist die hagg auch ein soziales Schlüsselerlebnis. Das islamische Ideal der
Gleichheit und Solidarität aller Gläubigen ohne Ansehen von Herkunft und Besitz scheint unter
den Umständen der Wallfahrt auf exemplarische Weise verwirklicht. Durch den Strom von
Pilgern aus aller Welt wird der Gedanke der umma, der Gemeinschaft der Muslime sinnfällig mit
Leben erfüllt. Wo dies in besonderem Gegensatz zur Lebenssituation der Pilger in ihren
Heimatländern steht, wird die hagg zum Maßstab islamischer Glaubens- und Lebenspraxis mit
beachtlichem Potential der Rückbesinnung auf gemeinsame islamische Grundwerte. [In einem vom
Attaché für Islamische Angelegenheiten der Botschaft des Königreichs Saudi Arabien verbreiteten Faltblatt mit dem
Titel „Der Islam auf einen Blick" wird dieser Aspekt der ha gg in ideologisierter Form betont. Unter der Überschrift
„Der Islam - Die Lösung der Probleme unserer Zeit" heißt es: „Der Islam zeigte während der vergangenen 1400
Jahre in der Praxis, wie Rassismus abgeschafft werden kann. Jahr für Jahr kann man das islamische Wunder der
Brüderlichkeit zwischen allen Rassen und Nationen während der Pilgerfahrt in der Realität sehen."]
In der Vielfalt der Lebenswirklichkeiten und Kulturen, die sich im Islam entfaltet haben, ist die
Wallfahrt eine der identitätsstiftenden und -wahrenden Klammern, die ein zu starkes
Auseinanderdriften der verschiedenen Gruppierungen verhindern und an der sich innerislamische
Reformbewegungen entzünden können. [So wurde z.B. im Jahre 1833 die Sanusiyya während der zweiten
ha gg des Sidi Muhammad Ibn Ali As-Sanusi gegründet (Grunebaum 1991, S. 405).]
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Die Einflußnahme auf die Wallfahrt, vor allem die Herrschaft über die heiligen Stätten, war und
ist somit immer auch ein Politikum. [Vgl. Faroqhi 1990.]
Ein Ritual der hagg bringt insbesondere die Verbundenheit auch der nichtwallfahrenden
Muslime mit den Pilgern zum Ausdruck. Das Opferfest, ‘idu-l-adhha, wird nicht nur in Mekka
begangen, sondern von Muslimen in aller Welt.
4. Islamische Feste
4.1 Der Kalender
Der Islam verfügt über einen eigenen Kalender. Schon in vorislamischer Zeit orientierte man
sich auf der arabischen Halbinsel - anders als etwa im Sassanidenreich - an einem
Mondkalender. Allerdings wurde dieser Kalender von Zeit zu Zeit durch die Einlegung eines
Schaltmonates an den solaren Jahreslauf angeglichen. Der Koran verbietet dieses Verfahren der
Interkalation, dessen Handhabung Privileg vorherrschender Familien in Mekka gewesen war. Im
Jahre 638 n.Chr. wurde die heute gültige Version des Kalenders verbindlich gemacht, in der sich
zwölf Monate von 29 und 30 Tagen Dauer abwechseln. Auch in dieser Form bedarf der Kalender
noch der Einfügung einzelner Schalttage, da die Länge eines Mondjahres 354,367 Tage beträgt.
[Vgl. Endreß 1991, S. 185-189.]
Wie im semitischen Kulturraum üblich, umfaßt der Kalendertag den Zeitraum von
Sonnenuntergang zu Sonnenuntergang. [Diese Regel findet sich noch in der Feiertagsordnung der
katholischen Kirche wieder, wo Feste und Sonntage mit der Vesper des Vortages beginnen.]
Doch nicht allein das Kalendarium an sich ist islamisch, sondern auch dessen Ausgangspunkt, so
daß der Islam auch über eine eigene Zeitrechnung verfügt. Die Jahre werden ab dem Jahr der
higra gezählt, also nach der Auswanderung Muhammads und vieler seiner Gefährten von Mekka
ins nördlich gelegene Yathrib, dem späteren Medina. Der Beginn der islamischen Zeitrechnung
fällt auf den 15. oder 16. Juli des Jahres 622 n. Chr.
Die higra markiert einen Wendepunkt in der Geschichte des frühen Islam, so daß es inhaltlich
legitim erschien, sie zum Bezugspunkt einer eigenen islamischen Zeitrechnung zu machen.
Zwar hat im internationalen Wirtschaftsverkehr der islamische Kalender dem gregorianischen
weichen müssen, jedoch spielt er im religiösen Leben der Muslime noch stets eine bedeutsame
Rolle, da sich nach ihm die Festtage richten. Da die Bestimmung des Datums einerseits durch
Berechnung, andererseits aber auch durch tatsächliche Sichtung des Mondes geschehen kann,
finden sich zuweilen unterschiedliche Auffassungen darüber, wann etwa die Fasten im Ramadan
beginnen bzw. enden.
4.2 Die Vielfalt der Feste
Der arabische Begriff für Fest, ‘id, läßt sich von der Grundbedeutung kommen, wiederkommen
ableiten.
74
Die Feste, die der Islam feiert, bewegen sich hinsichtlich ihrer Anlässe, aber auch der Art und
Weise, auf die sie begangen werden, zwischen zwei Polen. Auf der einen Seite stehen die beiden
Feste, die unangefochten allgemeine Verbindlichkeit besitzen: Das Fest des Fastenbrechens
sowie das Opferfest, die Peter Heine als „zwei kanonische Feste" [Heine 1991b, S. 248. ] bezeichnet.
Demgegenüber stehen Feste, die konfessionell, regional oder in bestimmten spirituellen
Traditionen beheimatet sind. Auch existieren Feste, die auf vor- oder außerislamische Vorbilder
zurückgehen. [Das iranische Neujahrsfest etwa fällt in diese Kategorie.]
Es nimmt nicht Wunder, daß die Feste in ihrer Vielfalt den Spannungsbogen reflektieren, der
sich über die verschiedenen Positionen islamischer Religiosität erstreckt. Aufgrund ihrer
allgemeinen Verbindlichkeit kommt dem Opferfest und dem Fest des Fastenbrechens integrative
und in gewisser Weise normierende Wirkung für die weltweite muslimische Gemeinschaft zu.
Lokale Feste und Bräuche werden von konservativen muslimischen Gelehrten nicht selten
kritisiert und als unislamisch abgelehnt. [Eine solche Position spiegelt sich etwa im Faltblatt „Feste im
Islam" wider. Dort werden als Islamische Feste allein das Opferfest und das Fest des Fastenbrechens aufgeführt.
Beschneidung, ‘Aqiqa und Hochzeit finden als „Besondere Anlässe im Leben eines Muslims" Erwähnung. Deutlich
heißt es: „Andere, nichtislamische Feste, wie die anderer Religionen, begehen die Muslime nicht, weil der Islam
(sic!) diese Feste nicht vorsieht und sie seinen Grundlagen widersprechen. Auch das Neujahr - sowohl das
islamische als auch das christliche - und der Geburtstag - sowohl der des Propheten Muhammad als auch der
irgendeiner anderen Person - werden im Islam nicht gefeiert, obgleich in einigen muslimischen Ländern heutzutage
aus diesen Anlässen offizielle Feiertage stattfinden" (Islamisches Zentrum Aachen Bilal-Moschee e.V. 1994).
Ähnlich geht der „Muslimkalender" vor: Als „Islamische Feiertage" gelten allein Ramadan- und Opferfest. Auf
andere Feste, etwa die „Kadir Gecesi", wird zwar im Kalendarium hingewiesen, jedoch nicht ohne den Hinweis:
„Kein islamischer Feiertag, lediglich ein Islam. Ereignis" (imex-zabar print & publishing 1999, S. 23). ]
Die Reibungen, die es zwischen gesetzesfrommen und volkstümlichen und/oder mystischen
Strömungen gegeben hat und gibt, werden am Beispiel der Festordnung noch einmal besonders
sinnfällig. Je nach theologischem und kulturellem Standort kann der Rahmen der als legitim
betrachteten Feste enger oder weiter gefaßt werden. Die gegenwärtige Spannung zwischen
Einheit und Vielfalt charakterisiert Peter Heine: „Es liegt auf der Hand, daß so unterschiedliche
Zivilisationen wie die auf der Insel Java und die in der westafrikanischen Sahelzone, auf den
Bergen des Hindukush und in der philippinischen Inselwelt das Miteinander der Menschen durch
zahlreiche und markante Unterschiede kennzeichnen. Alltag und Feste, Sprache und Kleidung
zeigen klar voneinander unterscheidbare Formen, ebenso in weniger deutlicher Weise religiöse
Vorstellungen und Rituale. ... Auch wenn man unter kulturgeschichtlichen Aspekten manche
Verhaltensweisen von Muslimen als unislamisch betrachten mag, ist doch damit zu rechnen, daß
diese selbst solche Sitten als genuin islamisch oder doch zumindest als mit dem Islam vereinbar
ansehen. Muslime sind häufig darüber uneins, ob ein bestimmtes Verhalten als vom Islam
geboten oder verboten zu betrachten ist. Eine der Ursachen dafür sind die kaum ausgebildeten
autoritativen Strukturen dieses Glaubens. Religiöse Funktionsträger, die die Macht haben,
bestimmte Handlungen als islamisch zu erklären und andere als unislamisch zu verdammen, gibt
es kaum. ... Dem außenstehenden Beobachter bleibt in einer solchen Situation nichts anderes
übrig, als die Meinung eines Muslims zu akzeptieren, daß diese Handlung oder jenes Verhalten
islamisch ist, auch wenn er damit rechnen muß, daß ein anderer Muslim das Gegenteil
behauptet". [Heine 1994, S. 11f.]
Auch die Vorstellungen davon, in welcher Weise die Festlichkeiten angemessen begangen
werden, variieren beträchtlich. Wo die Regelungen der Geschlechtertrennung beachtet werden,
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feiern Frauen und Männer getrennt. Als haram geltende Speisen und Getränke werden nicht
gereicht, Musik und Tanz werden von konservativen Muslimen abgelehnt.
Vor den beiden wichtigsten Festen sollen daher einige der nicht allgemein verbindlichen Feiern
zur Sprache kommen. Dies kann notwendigerweise nur in einer Auswahl geschehen, die
versucht, die bedeutsameren Feste zu berücksichtigen.
Dies bedeutet nicht, daß in lokalen Zusammenhängen andere Feste nicht ebenfalls von Belang
wären. Besonders die sufischen Traditionen haben eigene Feste hervorgebracht bzw. den
hergebrachten Festen ihren besonderen Akzent übertragen. Eine typisch sufische Festlichkeit ist
die des ‘urs. Ursprünglich bezeichnet dies eine Hochzeit. Im sufischen Kontext ist damit aber der
Todestag eines oder einer Heiligen gemeint, denn im Tod überwindet der Mystiker, was ihn vom
göttlichen Geliebten noch trennte. Die jährlich wiederkehrende Feier des Gedenktages kann ganz
verschiedene Gruppen von Gläubigen am Schrein des Heiligen oder an anderen Heiligtümern,
etwa Wirkorten, versammeln und unterschiedlichste Dimensionen annehmen. [Einen Einblick ins
gelebte Sufitum gibt Jürgen W. Frembgen: „Zu den ‘ urs berühmter Heiliger kommen - auf mehrere Tage verteilt oft Hunderttausende Besucher. Derwische nutzen dieses Fest zum Verkauf von Amuletten und Heilmitteln und
machen sich nützlich, indem sie den Pilgern am Schrein mit großen Wedeln ( pankha ) Luft zufächeln. ... In IndoPakistan ziehen Derwische in Prozession sogar aus weit entfernt liegenden Gegenden zum Heiligtum, um den ‘ urs
zu feiern. Dabei tragen sie oft modellartige Nachbildungen des Schreins und Grabtücher als Weihegaben mit sich;
auf ihrem Weg machen sie an Orten Station, die mit der Lebensgeschichte des verehrten Heiligen in Verbindung
stehen. Neben den Derwischen wandern häufig auch Bettler von einem ‘ urs zum andern, nutzen die Freiküchen (
langar ) und die Großzügigkeit der Pilger. ... Sowohl auf dem Subkontinent als auch in Nordafrika sind
Heiligenfeste in vielen Fällen mit einem Jahrmarkt verbunden" (Frembgen 1993, S. 42f).]
Die Verehrung von Heiligen sowie von Figuren aus der islamischen Geschichte ist darüber
hinaus im schiitischen Islam verbreitet. Ein Fest spezifisch schiitischen Inhalts ist das ‘id ghadir
chumm am 18. Dhu-l-Higga. „Bei der Rückkehr von der ‘Abschiedswallfahrt’, seiner letzten
Pilgerfahrt nach Mekka, soll der Prophet am 16. März 632 ... am Teich von Humm auf halbem
Wege zwischen Mekka und Medina im Angesicht der rastenden Pilgerschar ‘Ali bei der Hand
gefaßt und gesagt haben: ‘Jeder, dessen Patron ich bin, der hat auch ‘Ali zum Patron’ ... Die
Schiiten interpretieren diese Worte als Designation (nass) ‘Alis zum Nachfolger des Propheten ...
Der Tag des Teiches von Humm ... ist von späteren schiitischen Dynastien zum Festtag erhoben
worden und wird noch heute von den Schiiten gefeiert." [Halm 1988, S. 10f.]
4.3 Einzelne Feste
4.3.1 Der Aschuratag
Zu den weiter verbreiteten Festtagen gehört zunächst der Aschuratag. Dieser Fast- und Bußtag
geht darauf zurück, daß Muhammad in Medina auf jüdische Stämme traf, die diesen Tag als
Fasttag beachteten. Zunächst soll Muhammad das Fasten an Aschura für seine Gemeinde
verbindlich gemacht haben. Erst als der Koran das Fasten im Ramadan vorschrieb, änderten sich
die Bestimmungen zum Aschurafasten, indem es dem Belieben der Gläubigen anheim gestellt
wurde. [Zwei Überlieferungen zum Fasten an Aschura weisen auf vorislamische bzw. jüdische Vorbilder: „In der
vorislamischen Zeit fasteten die Quraiš am ‘Ašura’-tag. Der Gesandte Gottes (S) wies die Muslime an, das Fasten
an diesem Tag einzuhalten. Als später das Fasten im Ramadan vorgeschrieben wurde, sagte er: ‘Wer weiterhin am
‘Ašura’-tag fasten möchte, soll es tun. Und wer darauf verzichten möchte, mag es unterlassen’" (Al-Buhari 1991, S.
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230). „Als der Prophet (S) nach Medina kam, sah er, daß die Juden am ‘Ašura’-tag fasteten. Er fragte sie: ‘Warum
fastet ihr heute?’ Sie erwiderten: ‘Heute ist für uns ein wichtiger Gedenktag! Es ist der Tag, an dem Gott die Kinder
Israels vor ihrem Feind errettete! Deshalb fastete Moses (Musa) an diesem Tag!’ Der Prophet sagte: ‘Ich habe ein
größeres Anrecht auf Moses als ihr!’ Darauf fastete er am ‘Ašura’-tag und hielt auch die Muslime dazu an" (Ebd.,
S. 241).]
Besondere Beobachtung findet dieser Fasttag im schiitischen Islam, wo sich mit ihm das
Gedächtnis an den Tod Husayns, des Sohnes Alis, verbunden hat. Prozessionen, Passionsspiele
und dergleichen erinnern an seinen Tod in Kerbela’ und sind Ausdruck schiitischer Frömmigkeit.
Im Laufe der Jahrhunderte haben sich Flagellantenumzüge und teilweise exzessive Trauerrituale
entwickelt. [Einen persönlich gehaltenen Bericht aus nichtmuslimischer Sicht über die im südindischen
Hyderabad erlebten Umzüge im Jahre 1991 bietet Schäfer 1992.]
Die Grundbedeutung des Festes Aschura ist von schiitischer Märtyrerverehrung überlagert
worden, die soweit geht, daß der gesamte Monat Muharram von der Trauer über deren Tod
dominiert wird. „Seinen Höhepunkt erreicht das Klagen über die Imame im Muharram, dem
Monat der Passion al-Husains. Während der ersten neun Tage wird der Leiden des Imams und
seiner Gefährten im Lager bei Kerbela’, am 10. (‘Ašura’) seines Todes und am 13. seiner
Bestattung gedacht; vierzig Tage nach seinem Tod (yaum al-arba‘in: Tag der Vierzig) folgt die
im Islam übliche Gedächtnisfeier." [Halm 1988, S. 179.]
4.3.2 Feste, die sich auf das Leben Muhammads beziehen
Bei der Verehrung, die der Prophet Muhammad genießt, überrascht es nicht, daß auch Ereignisse
und Legenden, die mit seinem Leben verknüpft sind, Anlaß zu Festen gegeben haben. Dies sind
vor allem die Himmelfahrt und der Geburtstag des Propheten.
Muhammads Himmelsreise, die mi‘rag, ist der islamischen Volksfrömmigkeit sowie der
islamischen Mystik zu einem wichtigen spirituellen Bezugspunkt geworden. Die Tradition hat
vielfältige Ausschmückungen gefunden, ihre Grundbestandteile finden sich jedoch bereits in der
Prophetenbiographie des Ibn Ishaq, der berühmtesten Vita Muhammads. [Vgl. Ibn Ishaq 1999, S. 8089.]
Ibn Ishaq beschreibt, wie Muhammad eines Nachts in wunderbarer Weise von Mekka nach
Jerusalem reiste. Der Buraq, das geflügelte und ein menschliches Gesicht besitzende Reittier der
Propheten wurde ihm vom Engel Gabriel gebracht, der ihn auf seiner Fahrt begleitete. In
Jerusalem verrichtete Muhammad das Gebet gemeinsam mit Mose, Abraham und Jesus am
masgid al-aqsa, dem fernsten Anbetungsort. Al-Aqsa wiederum wurde zum Ausgangspunkt der
Himmelsreise, die Muhammad durch die sieben Himmel hindurch in eine außergewöhnliche
Gottesnähe gelangen ließ. Legendär ist hier der Ursprung der täglichen fünf rituellen Gebete der
Muslime zu sehen.
Der Erzählung nach trug Gott Muhammad zunächst 50 tägliche Gebete auf. Beim Abstieg durch
die Himmel sei Muhammed Mose begegnet, der ihm geraten habe, noch einmal zurückzukehren
und um Verringerung dieser Zahl zu bitten. Muhammad habe diesen Rat befolgt und ihm seien
zehn Gebete erlassen worden. Wiederum habe Mose ihm geraten, um Nachlaß zu bitten, und so
sei es weitergegangen, bis nur noch fünf Gebete übrig gewesen seien. Hier habe Muhammad sich
geweigert, noch weiteren Nachlaß zu erbitten, da er schon so oft gegangen war und sich schämte.
Seinen Zuhörern habe er versichert: „Jedem von euch, der diese fünf Gebete gläubig und ergeben
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verrichtet, werden sie wie fünfzig Gebete vergolten werden." [Ebd., S. 89.] Eine kleine illustrierte
Broschüre, die in leichtverständlicher Form in die Riten des Gebetes einführt, greift die mi‘rag
auf und vergleicht den Aufstieg Muhammads zu Gott mit dem Hintreten vor Gott im Gebet:
„Das Gebet ist der Miraj jeden Moslems." [Osmanoglu / Esenyel o.J., S. 25.] Dieser Vergleich wird
oft und gerne gezogen. Ein weiterer Aspekt der mi‘rag, der gerne bedacht wird, ist die
Fürsprecherrolle, die Muhammad hier für seine Gemeinde einnimmt.
Nacht- und Himmelsreise ereigneten sich in einer einzigen Nacht. Der islamische Kalender
erinnert in der Nacht vom 26. auf den 27. Ragab an dieses Ereignis. Mancherorts, „wie in
Kaschmir feierte man das Ereignis eine ganze Woche lang mit Rezitationen und Illuminationen,
wie auch in der Türkei die mi‘radsch-Nacht als kandil, mit Illumination zu feierndes Fest,
bezeichnet wird. Die an diesem Tag geborenen Kinder können (wie mir zumindest aus IndoPakistan bekannt ist) Miradsch oder Miradsch Din o.ä. genannt werden." [Schimmel 1981, S. 140f.]
Ein Fest aus Anlaß des Geburtstages des Propheten Muhammad, maulid, türk. auch veladet
kandili, wird am 12. Rabi‘u-l-Awwal gefeiert. Derselbe Tag wird auch als Todestag
Muhammads begangen. „Lange schon, bevor Geburtstagsfeiern für ihn im Nahen Osten populär
geworden waren, feierten die indischen Muslime diese Nacht mit ernsten Predigten,
Koranrezitation und Almosengeben als barah wafat, seinen Todestag." [Ebd., S. 124. ]
Die Feier des maulid ist weit verbreitet. Zu Ehren des Propheten trägt man die entsprechenden
Legenden vor, die sich um seine Geburt entfaltet haben sowie die vielfältigen Hymnen, die in
den jeweiligen Volkssprachen die Vorzüge Muhammads besingen. Koranrezitationen,
(mystische) Gebete, Illuminationen, volksfestähnliches Treiben können zu diesem Fest gehören,
wie zuweilen eine besondere Süßspeise gereicht wird, wie man sie bei der Geburt eines Kindes
zuzubereiten pflegt. Neun Monate vor dem maulid wird mancherorts die Nacht der Empfängnis
des Propheten gefeiert. [„Die erste Nacht zum Freitag des Monats Redscheb, des ersten der drei heiligen
Monate, d.h. die Nacht vom Donnerstag auf den Freitag, ist die Nacht des Reghaib" (Arikan 1998, S. 153).]
Diese dem Propheten gewidmeten Festtage haben „im religiösen Volksleben oft eine kaum
geringere Bedeutung gewonnen als die offiziellen Feste". [Hartmann 1992, S. 93.]
4.3.3 Heilige Nächte
Zwei weitere verbreitete Feste sind die laylatu-l-qadr im Ramadan sowie die Nacht in der Mitte
des Monates Ša‘ban. Diese Nacht bringen viele Muslime im Gebet zu, da in ihr das Schicksal
bestimmt wird, das die Menschen im folgenden Jahr ereilen wird.
Die laylatu-l-qadr ist das unter den nichtkanonischen Festen am wenigsten umstrittene. Dies
mag daran liegen, daß die Nacht der (All-)Macht Gottes oder der Bestimmung im Koran
Erwähnung findet. Die 97. Sure trägt den Namen „die Bestimmung". In ihr heißt es: „Wir haben
ihn (d. h. den Koran) in der Nacht der Bestimmung herabgesandt. Aber wie kannst du wissen,
was die Nacht der Bestimmung ist? Die Nacht der Bestimmung ist besser als tausend Monate.
Die Engel und der Geist kommen in ihr mit der Erlaubnis ihres Herrn hinab, lauter
Logos(wesen). [Eine andere Interpretation des vierten Verses lautet: „Die Engel und der Geist kommen in ihr
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mit der Erlaubnis ihres Herrn herab mit jedem Anliegen." So übersetzt Adel Theodor Khoury.] Sie ist (voller)
Heil (und Segen), bis die Morgenröte sichtbar wird." (97:1-5)
Diese Sure wirft auf den ersten Blick mehr Fragen als Antworten auf, insbesondere nach dem
Zeitpunkt dieser besonderen Nacht und nach der Herabsendung des Korans.
Aus dem Leben Muhammads (und aus dem Koran selbst [Es ist eine Eigentümlichkeit des Korans, daß
er sich zu sich selbst äußert und so auch auf die Umstände seiner Herabsendung rekurriert, etwa: „(Es ist) ein
Koran, den wir abgeteilt haben, damit du ihn den Menschen in aller Ruhe vortragen kannst. Und wir haben ihn
wirklich (als Offenbarung) auf dich herabgesandt." (17:106)]) ist bekannt, daß er, anders als andere
Propheten, nicht das gesamte Buch der Offenbarung auf einmal empfing, sondern daß sich die
Herabsendung des Korans von seinem vierzigsten Lebensjahr bis zu seinem Tode erstreckte. Die
koranische Aussage, der Koran sei in einer Nacht, eben der Nacht der Bestimmung,
herabgesandt worden, korrespondiert mit weiteren Versen, etwa: „Der Monat Ramadan ist es, in
dem der Koran als Rechtleitung für die Menschen herabgesandt worden ist, und (die einzelnen
Koranverse) als klare Beweise der Rechtleitung und der Rettung (?)." (2:185) Auch 44:2-4
betont den außergewöhnlichen Charakter dieser Nacht: „Bei der deutlichen Schrift! Wir haben
sie in einer gesegneten Nacht hinabgesandt. Und wir haben (die Menschen damit) gewarnt. In
dieser Nacht wird jede weise Angelegenheit entschieden."
Diese Spannung löst sich auf dem Hintergrund islamischen Offenbarungsverständnisses, das das
Vorhandensein einer himmlischen Urschrift des Korans annimmt. Diese wurde zunächst aus dem
siebten Himmel in den niedrigsten Himmel gesandt, wo sie in der Nacht der Bestimmung
vollständig abgeschrieben wurde. Der Engel Gabriel begann dann, Muhammad die Schrift
abschnittweise zukommen zu lassen. [Diese Sichtweise findet sich etwa bei Zamachšari (gest. 1144). Vgl.
Peters 1994, S. 169f.]
Die Nacht der Bestimmung darf also dem Koran zufolge im Ramadan vermutet werden. „Man
weiß aber nicht genau, welche Nacht dies ist; nur daß es eine der fünf letzten ungeraden Nächte
des Ramadan ist, gilt als sicher. So werden diese Nächte von Frommen in besonderer Weise
gefeiert; auch bringt man u.U. das letzte Drittel des Monats in der Klausur in der Moschee zu."
[Hartmann 1992, S. 87.] Ein solcher Rückzug, i‘tikaf, in die Moschee (für den Mann) oder in einen
Teil des Hauses (für die Frau) wird nach dem Vorbild des Propheten für die zehn letzten Tage
des Ramadan gehalten und in Andacht und sexueller Enthaltsamkeit verbracht. [Vgl. Zaidan 1996, S.
126.]
Traditionell wird die laylatu-l-qadr in der Nacht vom 26. auf den 27. Ramadan begangen.
Andächtiges Gebet in ihr hat sündenvergebenden Charakter.
4.3.4 Die beiden Hauptfeste
Die beiden Hauptfeste des Islams, Opferfest und Fastenbrechen, verfügen eigentümlicherweise
über nur wenige festgelegte Riten.
Das Fest des Fastenbrechens, ‘idu-l-fitr, beginnt am ersten Tag des auf den Ramadan folgenden
Monats Šawwal und wird bis zu drei Tage lang gefeiert. Die einzige gottesdienstliche
Besonderheit besteht in einem morgendlichen Festgebet mit Predigt in der Moschee. Die zakatu-
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l-fitr ist als besonderes Almosen zu entrichten und betont noch einmal den sozialen Aspekt des
Ramadans. Wer allgemein der Pflicht zur zakat unterliegt, muß auch am Ende des Ramadans
diese wohltätige Abgabe entrichten. Das ‘idu-l-fitr wird als Freudenfest begangen, an dem man
zunächst Verwandte und dann Freunde besucht, sich festlich kleidet und vielerorts nicht nur die
Kinder mit Süßigkeiten beschenkt. Von dieser Sitte hat das Fest im Türkischen den Beinamen
seker bayrami, Zuckerfest, erhalten. Selbstverständlich tauscht man auch Glück- und
Segenswünsche zum Fest aus, die meist mündlich oder durch Grußkarten vermittelt werden. Der
ausgeprägt freudige Charakter des ‘idu-l-fitr täuscht etwas darüber hinweg, daß es theologisch
weniger bedeutsam ist als das ‘idu-l-adhha. Letzteres ist das eigentliche „große Fest", ‘idu-lkabir, während das Fastenbrechen das „kleine Fest", ‘idu-s-saghir, genannt wird.
Das ‘idu-l-adhha erinnert an das Opfer Abrahams. Der Islam teilt die alttestamentliche
Vorstellung, Abraham sei bereit gewesen, seinen Sohn zu opfern: „Und wir verkündeten ihm
einen braven Jungen. Als er nun so weit herangewachsen war, daß er mit ihm den Lauf machen
konnte, sagte Abraham zu ihm: ‘Mein Sohn! Ich sah im Traum, daß ich dich schlachten werde.
Überleg jetzt, (und sag), was du (dazu) meinst!’ Er sagte: ‘Vater! Tu, was dir befohlen wird! Du
wirst, so Gott will, finden, daß ich (einer) von denen bin, die (viel) aushalten können.’ Als nun
die beiden sich (in Gottes Willen) ergeben hatten und er ihn auf die Stirn niedergeworfen hatte,
riefen wir ihn an: ‘Abraham! Du hast den Traum wahr gemacht.’ So vergelten wir denen, die
fromm sind. Das ist die offensichtliche Prüfung. Und wir lösten ihn mit einem gewaltigen
Schlachtopfer aus. Und wir hinterließen ihm unter den späteren (Generationen den
Segenswunsch): ‘Heil sei über Abraham!’ So vergelten wir denen, die fromm sind." (37:101110) [Vgl. Gen 22, 1-19. ] Die islamische Tradition geht allerdings überwiegend davon aus, es habe
sich nicht um Isaak, sondern um Ismael, den Sohn Hagars und Stammvater der Araber gehandelt.
Abraham und Ismael werden im Koran mit der Wiedererrichtung der Ka‘ba und den Riten der
hagg assoziiert.
Das Fest wird am 10. des Wallfahrtsmonates Dhu-l-Higga gefeiert. Diejenigen Muslime, die sich
zur hagg nach Mekka begeben haben, vollziehen innerhalb der Riten der Pilgerfahrt eine rituelle
Schlachtung. Diese kann zwischen dem 10. und 13. des Monats erfolgen und soll „beim
alt(ehrwürdig)en Haus" (22:33) stattfinden. Schlachtort bei der hagg ist Mina, bei der ‘umra AlMarwa. [Vgl. Zaidan 1996, S. 198.] Als kulttaugliche Opfertiere gelten Schafe, Ziegen, Rinder und
Kamele. Es können Tiere beiderlei Geschlechtes gewählt werden. Die Tiere müssen gesund und
makellos sein und ein (je nach Tierart verschiedenes) bestimmtes Alter erreicht haben. Das
Mindestmaß der Opferung beträgt eine Ziege oder ein Schaf, bzw. den siebten Teil eines Kamels
oder Rinds. Im Falle dieser größeren Tiere ist es mithin möglich, daß Opfernde sich zur
Beschaffung eines Tieres zusammenschließen.
Die Riten der Schlachtung sehen vor, daß das Tier zunächst in die Gebetsrichtung gedreht wird.
Nach entsprechenden Gebeten und Anrufungen Gottes wird das Tier unter den Worten bismillahi
allahu akbar, „im Namen Gottes, Gott ist größer" zu Tode gebracht, indem ihm mit einem
scharfen Gegenstand rasch die Halsschlagadern, Luft- und Speiseröhre durchtrennt werden. Das
Blut des so geschächteten Tieres gilt wie alles Blut als rituell unrein und muß aus dem Leib
ausfließen.
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Wer nicht in der Lage ist, sein Opfertier selber zu schlachten, darf diese Aufgabe delegieren, soll
aber bei der Schlachtung nach Möglichkeit anwesend sein. In diesem Fall darf der Schlachter
jedoch nichts von dem Fleisch oder der Haut als Lohn erhalten, sondern muß für seine Dienste
anderweitig entschädigt werden.
Das Fleisch der Opfertiere wird verzehrt, was eine implizite Absage an Brand- und Götzenopfer
darstellt. Im Koran heißt es: „Weder ihr Fleisch noch ihr Blut gelangt zu Gott, wohl aber die
Gottesfurcht (die ihr) eurerseits (empfindet und an den Tag legt)." (22:37) Dabei werden stets
auch Anteile als Almosen gegeben. Andere Empfänger sind Verwandte und Freunde der
Schlachtenden. Auch hierzu äußert sich der Koran in der 22. Sure. „Und die Opferkamele haben
wir euch zu Kultzeichen Gottes gemacht. Ihr habt an ihnen etwas Gutes. Sprecht den Namen
Gottes über ihnen aus, wenn sie (zum Schlachten) aufgereiht sind! Und wenn sie (tot)
umgesunken sind, dann eßt (selber) davon und gebt (auch) dem, der (darum) bittet, und dem, der
(ohne ausdrücklich zu bitten) beschenkt sein will (?), (davon) zu essen! So haben wir sie euch
dienstbar gemacht. Vielleicht würdet ihr dankbar sein." (22:36) Das Fleisch darf auch
konserviert werden, was früher eine Quelle der Wegzehrung für die Pilger darstellte. Die
gegenwärtigen Verhältnisse in Mekka erfordern es jedoch, die rituellen Schlachtungen in Bahnen
zu lenken. Die allgemein gestiegene Mobilität hat auch die Zahl der Pilger zunehmen lassen, was
mittlerweile eine Kontingentierung nach Herkunftsländern erforderlich gemacht hat. „Da die
Anzahl der Hadsch-Wallfahrer immer mehr zunimmt (1996 mehr als zwei Millionen) und damit
zwangsläufig auch die Anzahl der geschlachteten Opfertiere, ist der Verzehr bzw. die
Verwertung dieser riesigen Mengen Fleisch durch die Pilger, deren Angehörige und die
Bewohner bzw. Besucher Mekkas mittlerweile unmöglich. Um dem Verderben des Fleisches
und der Verschwendung von Lebensmitteln vorzubeugen, ist man heutzutage dazu
übergegangen, die Schlachtung der Tiere und die Verteilung des Fleisches professionell zu
organisieren. Anstelle des eigenhändigen Schlachtens der Opfertiere ist es heutzutage möglich,
eine Spezialfirma damit zu beauftragen. Man zahlt die Kosten für das jeweilige Opfertier (z.B.
für ein Schaf ca. 150,- DM) und die Firma übernimmt: das Schlachten des Opfertieres, die
Verarbeitung, die Konservierung, den Transport und die Verteilung des Fleisches an Bedürftige
in armen Ländern." [Ebd., S. 199.] Eine solche Regelung war dringend nötig, da vor der Errichtung
der entsprechenden Kühl- und Verarbeitungseinrichtungen oft große Mengen Fleisch einfach
durch Vergraben vernichtet werden mußten. Neben den ethischen Fragen hatte diese Praxis
handfeste hygienische Probleme aufgeworfen.
Im Rahmen des Opferfestes beteiligen sich Muslime weltweit an den Schlachtungen. Sie
obliegen dem Familienoberhaupt und sind neben dem gemeinschaftlichen Festgebet Bestandteil
der Festriten, die ansonsten denen des Festes des Fastenbrechens gleichen.
5. Individuelle Übergangsriten
Im Leben der Gläubigen nehmen nicht nur die Feste des Jahreslaufs eine wichtige Rolle ein,
sondern auch individuelle Ereignisse, die den persönlichen Lebenslauf gliedern, erhalten aus der
Religion ihre besondere Prägung und Gültigkeit. Dazu gehören vor allem solche Wegmarken wie
Geburt, Beschneidung, Hochzeit und Tod. Dort, wo Menschen in einem nichtislamischen
Umfeld leben und sich für eine Annahme des islamischen Glaubens entscheiden, tritt zu diesen
Ereignissen noch die Konversion hinzu.
81
Es versteht sich, daß in all diesen Bereichen regionales Brauchtum eine große Rolle spielt und
sich mit den islamischen Vorgaben oft eng verwoben hat.
5.1 Geburt in die oder Konversion zur islamischen Gemeinde
„Jedes Kind wird mit der schöpfungsgemäßen Anlage (zum rechten Glauben) geboren. Und
seine Eltern machen aus ihm einen Juden oder einen Christen oder einen Magier. Auch das Vieh
wird als unversehrtes, ganzes Tier geboren. Habt ihr denn unter ihnen ein verstümmeltes Tier
gesehen?" [Khoury 1988, S. 98. ] Dieses Hadith spiegelt die islamische Grundannahme wider, daß
im Islam nicht nur die vollkommene, sondern auch die ursprüngliche Religion der Menschheit
verwirklicht ist. Diese Sichtweise nimmt jeden Menschen qua Geburt in die umma, diese „beste
Gemeinschaft, die unter den Menschen entstanden ist" (3:110), auf. Das Nichtmuslim-Sein ist
folglich eine Degeneration dieses Zustandes, wenngleich die Existenz verschiedener religiöser
Gruppen durch den Koran als eine gottgewollte Prüfung charakterisiert wird: „Und wenn Gott
gewollt hätte, hätte er euch zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht. Aber er (teilte euch in
verschiedene Gemeinschaften auf und) wollte euch (so) in dem, was er euch (d.h. jeder Gruppe
von euch) (von der Offenbarung) gegeben hat, auf die Probe stellen. Wetteifert nun nach den
guten Dingen! Zu Gott werdet ihr (dereinst) alle zurückkehren. Und dann wird er euch Kunde
geben über das, worüber ihr (im Diesseits) uneins waret." (5:48)
Die Konversion zum Islam erscheint so als Reversion, als Rückwendung zur ursprünglichen und
eigentlichen Religion des Einzelnen wie aller Menschen.
Auf diesem Hintergrund ist es einsichtig, daß Initiationsriten zu einer Aufnahme in die
islamische Gemeinschaft obsolet sind. Im Allgemeinen reicht es zur Glaubhaftmachung aus, die
šahada vor zwei muslimischen Zeugen auszusprechen.
Paradoxerweise ist mittlerweile jedoch zuweilen ein Formular nötig, um die Zugehörigkeit zum
Islam zu bestätigen. Die Behörden Saudi Arabiens bedürfen nämlich einer Handhabe, um die
Einreise nach Mekka und Medina zu regeln, deren Besuch Nichtmuslimen unmöglich ist.
Konvertiten in traditionell nichtmuslimischen Ländern wenden sich daher in dieser
Angelegenheit an muslimische Vereine, die entsprechende Bescheinigungen erstellen. Es tritt in
diesem Bereich eine Bürokratisierung ein, die dem Wesen des Islams geradezu zuwiderläuft.
Aber nicht nur die saudischen Behörden müssen feststellen, daß der überformelle Charakter der
islamischen Religionszugehörigkeit zuweilen Probleme aufwirft. Auch deutsche Behörden
können keine gesicherte Erkenntnis darüber erlangen, wie viele Muslime genau in diesem Land
leben.
Daß die Konversion als verdienstvoll gilt, geht aus einem Ausspruch des Propheten hervor:
„Wenn jemand den Islam annimmt und sein Glaube ist aufrichtig, so wird Gott ihm die
Verfehlungen, die er sich zuvor hat zuschulden kommen lassen, verzeihen. Und die gute Tat, die
er anschließend verrichtet, wird ihm um ein zehn- bis siebenhundertfaches angerechnet, während
die schlechte Tat nur als ein einziges Vergehen vermerkt wird, sofern Gott nicht gänzlich über
82
sie hinweggeht." [Al-Buhari 1991, S. 40f.] Mit der Konversion geht oft auch die Annahme eines
islamischen Vornamens einher.
Dem Neugeborenen, das in einer islamischen Familie zur Welt kommt, flüstert man die šahada
ins rechte und den Gebetsruf ins linke Ohr. Dieser Ritus begründet aber keinesfalls die
Zugehörigkeit zur islamischen Glaubensgemeinschaft, die ja als Geburtsrecht des Kindes gilt.
Die šahada soll auch das letzte sein, was einem Sterbenden vor seinem Ende zugesprochen wird.
Die Namensgebung eines Kindes geschieht meist am sechsten oder siebten Tag nach der Geburt.
Dieser Tag, die ‘aqiqa, ist nach dem Vorbild des Propheten mit einem Opfer verbunden. Wenn
es möglich ist, schlachtet der Kindsvater für eine Tochter ein bzw. für einen Sohn zwei Schafe.
Deren Fleisch wird in der gleichen Weise verteilt, wie das der Opfertiere am ‘idu-l-adhha. Ein
weiterer Brauch an diesem Tag ist es, dem Kind das Kopfhaar zu scheren. Man wiegt das Haar
mit Silber auf und spendet dies als Almosen. Auch dieser Ritus folgt der sunna Muhammads.
Wie es keine formelle Aufnahme in den Islam gibt, so ist auch für den Austritt kein Ritus
vorgesehen, was jedoch darin begründet liegt, daß der Austritt an sich nicht vorgesehen ist.
Traditionell gehört die Apostasie neben dem Ehebruch und dem Mord zu den Vergehen, auf die
die Todesstrafe stehen können. Zwar liegt die Begründung dafür nicht direkt im Koran, jedoch
läßt der Koran keinen Zweifel daran, daß der Unglaube bei Gott nicht ohne Konsequenzen
bleiben kann. „Denen, die ungläubig sind, und (ihre) Mitmenschen) vom Weg Gottes abhalten,
und darauf als Ungläubige sterben, wird Gott nicht vergeben", heißt es in Sure 47:34. Diese und
weitere Aussagen stellen jenseitige Strafen in Aussicht. Zusammengelesen mit 4:88f. läßt sich
die Forderung nach dem Tod des Apostaten folgern. [Vgl. Khoury 1991, S. 21.] Dort heißt es: „Wie
könnt ihr hinsichtlich der Heuchler unterschiedlicher Meinung (w. zwei Gruppen) sein, wo doch
Gott sie wegen dessen, was sie (an Sünden) begangen haben, zu Fall gebracht hat (?)! Wollt ihr
denn rechtleiten, wen Gott irregeführt hat? Wen Gott irreführt, für den gibt es keinen Weg. Sie
möchten gern, ihr wäret (oder: würdet) ungläubig, so wie sie (selber) ungläubig sind, damit ihr
(alle) gleich wäret. Nehmt euch daher niemand von ihnen zu Freunden, solange sie nicht
(ihrerseits) um Gottes willen auswandern! Und wenn sie sich abwenden (und eurer Aufforderung
zum Glauben kein Gehör schenken), dann greift sie und tötet sie, wo immer ihr sie findet, und
nehmt euch niemand von ihnen zum Freund oder Helfer!" Diese kombinierte Lesart hat Tradition
und wird durch Hadithe untermauert, die Muhammad Aussagen zuschreiben wie: „Wer seine
Religion wechselt, den tötet!" [Zit. nach: Ebd., S. 22.] Tatsächlich ist die Todesstrafe bei
Glaubensabfall im Zusammenhang mit politischer Loyalität und Auswirkungen auf die
Gesellschaft zu sehen und entstanden. In diese Richtung deutet auch der Umstand, daß nach dem
Verständnis der hanafitischen Rechtsschule die Bestrafung der Apostasie für Männer und Frauen
unterschiedlich zu werten ist. Während die drei anderen Rechtsschulen die Todesstrafe für Mann
und Frau vorsehen, beschränken sich die Hanafiten darauf, die vom Glauben abgefallene Frau
durch Körperstrafen oder Haft zur Absage zu bewegen. In dieser Sichtweise wird der Apostasie
der Frau eine weniger gesellschaftsschädigende Wirkung zugeschrieben als der des Mannes.
Faktisch ist diese Strafe nur sehr selten verhängt worden. Im „osmanischen Reich fand die letzte
Hinrichtung eines Apostaten, soweit bekannt, im Jahre 1843 statt. Als Straftatbestand ist die
Apostasie in den Rechtsordnungen der islamischen Staaten formell heute nicht mehr
vorgesehen." [Schwartländer / Bielefeldt 1992, S. 28.] Das bedeutet allerdings noch nicht, daß
Apostaten vor Verfolgung sicher wären. Prominente Opfer waren im Sudan Mahmoud
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Muhammad Taha, der am 18. Januar 1985 mit dem Tode bestraft wurde, sowie im Iran Reverend
Hossein Soodmand, den man am 13. Dezember 1990 hinrichtete. [Vgl. ebd., S. 50.]
Aber auch dort, wo man von der Kapitalstrafe absieht, ergeben sich für Apostaten zahlreiche
Benachteiligungen, die zivilrechtlicher wie sozialer Natur sein können. Beispielsweise ist die
Ehe zwischen einer muslimischen Frau und einem nichtmuslimischen Mann in jedem Falle
ungültig. Im Falle also, daß der Ehemann sich vom Islam abwendet, ist die Ehe ipso facto
geschieden, zumal in vielen Ländern das Familienrecht keine Zivilehe vorsieht. Je nachdem,
wieweit im Rechtssystem des betreffenden Landes die familienrechtlichen Vorstellungen der
šari‘a inkorporiert sind, können sich Härten im Bereich des Erbrechts und in Fragen des
Sorgerechts für Kinder ergeben. Über die generelle Rechtsfähigkeit eines Apostaten gehen die
Meinungen auseinander. Mancherorts ist der Glaubensabfall mit einer Geldstrafe belegt. Neben
den „offiziellen" Benachteiligungen entstehen jedoch fast immer erhebliche Schwierigkeiten im
sozialen Bereich, denn die meisten islamischen Gesellschaften tun sich schwer, einem Apostaten
vorurteilsfrei zu begegnen. Die Brüche reichen in Familie, Freundeskreis und Arbeitsumfeld
hinein. [Zur Frage der Religionsfreiheit vgl. auch: Bielefeldt 1999; Ders. 1994.]
5.2 Beschneidung
Die Beschneidung von Jungen, chitan, gilt der šafi‘itischen Rechtsschule als Pflicht, den übrigen
als sunna. Der türkische Terminus sünnet weist auf diesen Umstand hin. Im Koran findet sie
zwar keine Erwähnung, sie wird aber durchgängig praktiziert.
Der Zeitpunkt der Beschneidung soll vor der Geschlechtsreife liegen. Der ‘aqiqa-Tag gilt als
empfehlenswerter Termin, aber auch das Alter zwischen fünf und sieben Jahren wird oft
gewählt. Wird die Beschneidung erst in diesem Alter vorgenommen, hat sie auch Dimensionen
des Übergangs in die Männerwelt. Männliche Konvertiten zum Islam lassen zumeist auch im
Erwachsenenalter die Beschneidung vornehmen.
Die Beschneidung eines Jungen ist ein festlicher Anlaß. Oft werden mehrere Kinder an einem
Termin beschnitten. Festliche Kleidung, Geschenke und Süßigkeiten trösten über den erlittenen
Schmerz. Türkische Jungen werden oft gekleidet wie kleine Prinzen. Ein verzierter Festanzug in
kräftigen Farben, dazu ein gesäumter Umhang und eine mit Pailletten und Federn geschmückte
Kopfbedeckung und über allem eine Schärpe mit der Aufschrift masallah, dem Ausruf der
Freude über das, „was Gott gewollt hat". Der Volksglaube schreibt diesen Worten eine
abwehrende Kraft gegen den „bösen Blick" zu, weshalb sie gerne im Zusammenhang mit
Kindern gebraucht werden. Talismane mit dieser Aufschrift sind weitverbreitet.
Die Beschneidung der Mädchen, chafd, geht wie die Jungenbeschneidung auf vorislamische
Bräuche zurück. Im Gegensatz zur Jungenbeschneidung hat sie sich jedoch nicht in alle Gebiete
ausgebreitet, die unter islamische Herrschaft kamen. Heute ist sie vor allem in Ägypten, dem
Sudan, am Horn von Afrika und in verschiedenen westafrikanischen Ländern Brauch. Wo die
Mädchenbeschneidung praktiziert wird, ist sie kein islamisches Spezifikum; auch unter
Animisten, koptischen Christen und äthiopischen Juden ist sie üblich.
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Ein Vergleich mit der Beschneidung von Jungen ist nur bedingt möglich, denn während die
Entfernung der männlichen Vorhaut im Allgemeinen keine gesundheitliche Beeinträchtigung mit
sich bringt, stellt die „Beschneidung" von Mädchen ein erhebliches gesundheitliches Risiko dar.
Je nach Region reicht der Ritus vom Durchstechen oder Einritzen der Klitoris bis zur völligen
Entfernung von Klitoris und Schamlippen verbunden mit anschließender Infibulation. Der
Eingriff geschieht vor der Menarche. Meist wird er im privaten Rahmen im Kreis der Frauen
vorgenommen und geschieht dann ohne Betäubung, ohne medizinische Kenntnisse und unter
unhygienischen Bedingungen mit so ungeeigneten Instrumenten wie Rasierklingen. Diese
sogenannte pharaonische Beschneidung ist vor allem im Sudan und in Ägypten verbreitet. Sie
bringt es mit sich, daß vor dem Vollzug der Ehe und vor der Niederkunft ein erneutes
Aufschneiden des infibulierten Gewebes vonnöten ist. Nach dem Abgang der Nachgeburt wird
nicht selten reinfibuliert. Diese Riten bringen oft schwere Infektionen mit sich. Immer wieder
kommt es vor, daß Mädchen verbluten oder daß Frauen unter der Geburt sterben. 1997 scheiterte
in Ägypten der Versuch, die Beschneidung zu verbieten.
Die regionale Verbreitung der Beschneidung spiegelt sich in den Urteilen der Rechtsschulen
wider. Die Hanafiten, die in der Türkei, Südosteuropa, Zentralasien sowie auf dem Subkontinent
verbreitet sind, praktizieren die Frauenbeschneidung nicht. Die im Nahen Osten, Ostafrika und
Südostasien einflußreiche šafi‘itische Rechtsschule hält die Mädchenbeschneidung für
verpflichtend. Malikiten in Nord- und Westafrika sowie Hanbaliten auf der arabischen Halbinsel
nennen sie wenigstens „ehrenhaft".
Dabei stützen sich alle Befürworter der Mädchenbeschneidung auf schwache Hadithe, d.h.
Prophetenworte, deren Echtheit nicht zweifelsfrei feststeht. So soll Muhammad gesagt haben:
„Die Beschneidung ist überlieferte Pflicht für die Männer und ‘ehrenvoll’ für die Frauen." Zum
Prozedere wird folgende Überlieferung angeführt: „Wenn du beschneidest, dann nimm nur einen
[kleinen] Teil [der Klitoris] und entferne sie nicht ganz. Die Frau wird dann fröhlich und
glücklich aussehen, und auch den Gatten wird es erfreuen, wenn ihre Lust ungemindert ist."
[Beide Hadithe zitiert nach: Aldeeb 1994, S. 64-94. ]
Besonders dieses Hadith schränkt die Beschneidung eher ein, als daß es sie fördern würde,
ebenso die Aussage, daß sie allein für Männer eine Pflicht darstellt. Zumindest die drastischen
Formen der Beschneidung lassen sich auf diesem Hintergrund nur schwer islamisch legitimieren.
Wo die Mädchenbeschneidung vollzogen wird, stellt sie in höherem Maße als die Beschneidung
der Jungen einen Übergangsritus dar. Das beschnittene Mädchen gewinnt geringfügig an
sozialem Status in der Familie und orientiert sein Verhalten nun mehr an dem der Frauen, auch
wenn die Beschneidung nicht den Beginn des Erwachsenenalters markiert. In einer stark von
magischen Vorstellungen beherrschten Lebenswelt legt sie den Grund für den Vollzug aller
Riten, die mit Fruchtbarkeit und Familiengründung zu tun haben. Wie eng der Konnex ist, zeigt
sich daran, daß das zu beschneidende Mädchen mancherorts wie eine Braut gekleidet und in der
Phase der Erholung von diesem Eingriff auch so angeredet wird. Unbeschnittene Frauen haben in
Gesellschaften, in denen der Brauch der Beschneidung noch stark verhaftet ist, kaum Aussichten,
einen Ehemann zu finden.
Die Feierlichkeiten anläßlich der Beschneidung fallen bei den Frauen geringer aus als bei der
Jungenbeschneidung und sind auf den Radius der Frauen beschränkt. Wie wenig das Ritual
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letztlich im Islam beheimatet ist, zeigt sich auch daran, daß im Gegensatz zur
Jungenbeschneidung weder Darbringung eines Tieropfers noch Festmahl üblich sind. [Vgl.
Boehringer-Abdallah 1987, S. 67-76.]
In Deutschland stellt die Beschneidung von Mädchen und Frauen einen Straftatbestand dar.
Dabei handelt es sich um gefährliche (StGB § 224) oder schwere Körperverletzung (StGB § 226)
bzw. im Falle, daß das Opfer seinen Verletzungen erliegt, um Verstümmelung mit Todesfolge
(StGB § 227). Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes e.V. beziffert die Zahl der
Frauen, die weltweit beschnitten sind, mit 150 Millionen. Aufgrund der Migration sind auch
Frauen und Mädchen in Deutschland betroffen. Beschneidungen werden entweder in
Deutschland verübt, oder die Mädchen erleiden sie, wenn sie in den Ferien in die
Herkunftsländer reisen. Terre des Femmes e.V. schätzt, daß 21.000 Frauen in Deutschland
beschnitten sind, während weiteren 5.500 Mädchen der Eingriff droht. [Diese Zahlen sind am
27.10.2000 der Homepage des Vereins entnommen: http://www.terre-des-femmes.de/mailingfgm2000.html - Terre
des Femmes e.V. hat darüber hinaus mit Unterstützung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Gesundheit eine Broschüre herausgegeben: „Wir schützen unsere Töchter", die ins Französische, Englische,
Arabische, Somali und Kiswahili übersetzt vorliegt und in der Präventionsarbeit eingesetzt werden soll. Terre des
Femmes e.V. hat eine Fortbildung für Hebammen und Mediziner entwickelt, die als Pilotprojekt in den Städt.
Kliniken Bielefeld durchgeführt werden soll.]
5.3 Hochzeit und Ehe
Die Ehe gilt im Islam als einzige erstrebenswerte Lebensform und einziger Ort legitimer
sexueller Beziehungen. Vor- und außereheliche Beziehungen, insbesondere solche
gleichgeschlechtlicher Art, gelten als verboten und werden mit Körper- oder Kapitalstrafen
geahndet. Zölibat und Mönchtum werden ebenfalls abgelehnt. [Zum Mönchtum der Christen äußert sich
der Koran: „Wir haben es ihnen nicht vorgeschrieben. (Sie haben es) vielmehr (von sich aus) im Streben nach
Gottes Wohlgefallen (auf sich genommen). Doch hielten sie es nicht richtig ein." (57:27)]
Der Vorzug der Ehe ist koranisch begründet: „Und verheiratet diejenigen von euch, die (noch)
ledig sind, und die rechtschaffenen von euren Sklaven und Sklavinnen! Wenn sie arm sind, wird
Gott sie durch seine Huld reich machen." (24:32) Die Ehe gehört zu den guten Gaben Gottes, der
„euch aus euch selbst Gattinnen gemacht" hat. (16:72) Sie gründet auf Liebe und Zuneigung der
Partner und deren gemeinsamer Sorge für die nachfolgende Generation. Der Koran gebraucht für
das Verhältnis der Ehepartner das Bild des Gewandes, das sie gleichsam füreinander darstellen.
(2:187)
Der Islam schreibt der Ehe eine in vielfältiger Weise stabilisierende Wirkung auf die
Gesellschaft zu und geht dabei vom Modell der komplexen Großfamilie aus. Die
Verantwortlichkeit der Generationen füreinander bringt der Koran zum Ausdruck: „Und dein
Herr hat bestimmt, daß ihr ihm allein dienen sollt. Und zu den Eltern (sollst du) gut sein. Wenn
eines von ihnen (Vater oder Mutter) oder (alle) beide bei dir (im Haus) hochbetagt geworden
(und mit den Schwächen des Greisenalters behaftet) sind, dann sag nicht ‘Pfui!’ zu ihnen und
fahr sie nicht an, sondern sprich ehrerbietig zu ihnen, und senke für sie in Barmherzigkeit den
Flügel der (Selbst)erniedrigung und sag: ‘Herr! Erbarm dich ihrer, (ebenso mitleidig), wie sie
mich aufgezogen haben, als ich klein (und hilflos) war!’" (17:23f.) Auch die Verwandten werden
in diese Verantwortlichkeit einbezogen, die sich letztlich in Abstufungen auf die ganze umma
erstreckt: „Und gib dem Verwandten, was ihm (von Rechts wegen) zusteht, ebenso dem Armen
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und dem, der unterwegs ist (oder: dem, der dem Weg (Gottes) gefolgt (und dadurch in Not
gekommen) ist". (17:26) Die Fürsorge erstreckt sich ausdrücklich auch auf die schwächsten
Glieder der Gemeinschaft. War es in vorislamischer Zeit gang und gäbe gewesen, sich
unerwünschter - vor allem weiblicher - Kinder zu entledigen, indem man sie ums Leben brachte,
weist der Koran eine solche Praxis entschieden zurück: „Und tötet nicht eure Kinder aus Furcht
vor Verarmung! Wir bescheren ihnen und euch (den Lebensunterhalt). Sie zu töten ist eine
schwere Verfehlung." (17:31)
Die Ehe ist nach islamischem Recht ein Vertrag. Zwar ist sie auf Dauer angelegt, [Der sunnitische
Islam erkennt die Ehe, die von vornherein auf eine bestimmte Zeitspanne befristet ist, nicht an. Im schiitischen Islam
ist diese Institution als mut ‘ a bekannt. Vgl. Hartmann 1992, S. 197.] aber die Möglichkeit einer
Ehescheidung besteht unter bestimmten Voraussetzungen. Darin ist die islamische Ehe dem
protestantischen Eheverständnis eines „weltlich Dings" näher als dem römisch-katholischen
Verständnis der Ehe als sakramental und unauflöslich außer im Tode.
Partner in einer ehelichen Gemeinschaft können dabei grundsätzlich nicht alle Menschen sein,
sondern es werden geschlechtsspezifisch Unterscheidungen vorgenommen, und es werden
bestimmte Verwandtschaftsgrade von der Zulassung zur Ehe ausgenommen.
Für eine muslimische Frau gilt, daß sie einen Ehegatten allein aus dem Kreis muslimischer
Männer wählen kann. Sie kann gleichzeitig allein mit einem Mann verheiratet sein.
Einem muslimischen Mann steht die Möglichkeit offen, unter der Bedingung der gerechten
Behandlung, mit bis zu vier Frauen gleichzeitig verheiratet zu sein. Diese Frauen können
muslimischen, christlichen oder jüdischen Glaubens sein. Es besteht somit im Bereich der Ehe
eine Teilgemeinschaft mit Juden und Christen, die sich direkt aus dem Koran herleitet: „Und
(zum Heiraten sind euch erlaubt) die ehrbaren gläubigen Frauen und die ehrbaren Frauen (aus
der Gemeinschaft) derer, die vor euch die Schrift erhalten haben". (5,5) Zeitweilig ist diese
Erlaubnis auch auf Angehörige des zoroastrischen Glaubens ausgedehnt worden. Unter dem
Mogulkaiser Akbar (1556-1605) begünstigte dessen synkretistische Religiosität vorübergehend
die Öffnung zum Hinduismus hin. Solche Handhabungen sind Ausnahmen geblieben.
Die grundsätzliche Regelung bedingt es, daß Ehen eines muslimischen Partners mit einem
Angehörigen anderer als der vorislamischen monotheistischen Religionen oder auch mit
Menschen ohne religiöses Bekenntnis ungültig sind bzw. im Falle der muslimischen Frauen jede
Ehe mit einem Nichtmuslim ungültig ist. Diese Regelung findet ihre Begründung meist darin,
daß Kinder muslimischer Eltern im islamischen Glauben erzogen werden sollen und daß der
Glaubensabfall des muslimischen Ehepartners unter allen Umständen verhindert werden muß.
Während die christliche oder jüdische Ehefrau eines Muslims in der Ausübung ihrer Religion
durch ihren Ehemann nicht behindert werden darf - so darf er ihr etwa nicht verbieten,
Gottesdienste ihrer Gemeinde zu besuchen oder sich nach den Speisevorschriften ihrer Religion
zu ernähren - besteht im Falle der muslimischen Frau, die einen Nichtmuslim heiratet würde, die
Befürchtung, dieser könne sie daran hindern, die Kinder im islamischen Glauben zu erziehen
oder ihr selbst die Ausübung ihrer Religion unmöglich machen bzw. sie im schlimmsten Fall
vom Islam abbringen. Mischehen stehen auch deshalb in keinem guten Ruf, weil eine christliche
oder jüdische Ehefrau eben nicht verpflichtet ist, nach islamischen Vorstellungen ritueller
87
Reinheit zu leben und somit für ihre (islamische) Familie die Schwierigkeit erwachsen kann, im
eigenen Haushalt etwa rituell unreine Speisen und Getränke oder auch mißliebige
Andachtsgegenstände wie Kruzifixe oder Ikonen zu haben. Derartige Vorbehalte haben dazu
geführt, daß die Möglichkeit zur Ehe mit einer Jüdin und/oder Christin im Laufe der Zeit als
wenig erstrebenswert beurteilt wurde. Die šafi‘itische Rechtsschule lehnt sie sogar vollständig
ab; die Erlaubnis erstrecke sich nämlich allein auf die Angehörigen der ursprünglichen
Offenbarungsreligionen. Heutige Anhänger seien damit nicht gemeint, da Judentum und
Christentum nur noch verfälscht existierten. [Vgl. ebd., S. 101.]
Diese Bestimmungen der Partnerwahl implizieren auch, daß eine gültig geschlossene Ehe ipso
facto als geschieden gilt, wenn einer der Partner den vorgegebenen religiösen Rahmen verläßt.
Fällt der Ehemann vom Islam ab oder verläßt die Ehefrau ihre Religionsgemeinschaft zugunsten
einer nichtmonotheistischen Religion oder des Atheismus, so gilt die Ehe als nicht mehr existent.
Die Ehepartner sind unverzüglich voneinander zu trennen.
Verwandtschaftsgrade, innerhalb derer die Ehe unzulässig ist, werden im Koran aufgeführt.
„Verboten (zu heiraten) sind euch eure Mütter, eure Töchter, eure Tanten väterlicherseits oder
mütterlicherseits, die Nichten, eure Nährmütter, eure Nährschwestern, die Mütter eurer Frauen,
eure Stieftöchter, die sich im Schoß eurer Familien befinden (und) von (denen von) euren Frauen
(stammen), zu denen ihr (bereits) eingegangen seid, - wenn ihr zu ihnen noch nicht eingegangen
seid, ist es für euch keine Sünde (solche Stieftöchter zu heiraten) - und (verboten sind euch) die
Ehefrauen eurer leiblichen Söhne. Auch (ist es verboten) zwei Schwestern (zusammen) zur Frau
zu haben, abgesehen von dem, was (in dieser Hinsicht) bereits geschehen ist. Gott ist barmherzig
und bereit, zu vergeben." (4:23) Nicht nur Blut, sondern auch Milch konstituiert hier
Verwandtschaftsverhältnisse.
Die Polygamie, die der Koran gestattet, beschränkt die Anzahl der Ehefrauen im Unterschied
zum vorislamischen usus auf vier. Die vorislamische polytheistische Kultur der arabischen
Halbinsel hatte sehr unterschiedliche Arten der Vergemeinschaftung von Männern und Frauen
gekannt, die durch den Islam jedoch sämtlich aufgehoben wurden zugunsten der islamischen
Ehe. Dies brachte verschiedene Neuerungen mit sich, wie etwa die - wenn auch eingeschränkte Rechtsfähigkeit der Frau und die Abschaffung des Brautkaufs. Beim Abschluß eines
Ehevertrages darf die Frau nicht gegen ihren Willen verheiratet werden. Die Braut schließt den
Vertrag mit dem Bräutigam indes nicht selbst, sondern bedarf eines männlichen Verwandten
oder Vormunds, des wali. Wünscht eine geschiedene Frau oder eine Witwe erneut zu heiraten,
bedarf sie zum Vertragsabschluß keiner Vertretung mehr, sondern kann selbst als
Vertragspartnerin auftreten. Im Falle, daß minderjährige Brautleute verheiratet werden, vertritt
auch den Bräutigam ein wali. Im Ehevertrag haben die Brautleute die Möglichkeit, bestimmte
Bedingungen für die Ehe auszuhandeln. So kann die Braut beispielsweise für sich das Recht
festschreiben, einzige Ehefrau ihres Mannes zu bleiben und somit die Erlaubnis zur Polygamie
umgehen. Mit der Eheschließung verpflichtet sich der Bräutigam - es sei denn, die Braut erläßt
ihm dies - zur Zahlung der mahr, der Morgengabe. Diese fließt dem privaten Vermögen der
Braut zu und ist somit kein „Brautpreis" mehr, der an die Familie der Braut zu erstatten wäre.
Vielmehr dient die Morgengabe als finanzielle Absicherung für den Fall einer Scheidung. Als
Schutz gegen die Scheidung kann eine astronomisch hohe mahr vereinbart werden, die jedoch
erst im Falle der Scheidung zahlbar würde. Ebenso kann aber nur ein symbolischer Betrag
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entrichtet werden, so daß die Absicherung völlig wegfällt. Welche Bedingungen die Braut
aushandeln kann, hängt jedoch davon ab, über welche Verhandlungsposition sie und ihre Berater
gegenüber der Familie des Bräutigams verfügen. Soziale Stellung, persönliche Eigenschaften der
Braut, ihr Ruf, die Kenntnis, die Braut und wali von ihren rechtlichen Möglichkeiten überhaupt
haben, können so dafür verantwortlich sein, ob der rechtliche Rahmen, in dem die Frau ihr
Eheleben fristen wird, mehr oder weniger zu ihren Gunsten ausfällt.
Der Ehevertrag wird rechtskräftig, wenn er in Anwesenheit zweier unbescholtener Zeugen vom
wali der Braut und dem Bräutigam geschlossen wird. Die Hinzuziehung eines Imams oder Kadis
ist fakultativ. Sie ist jedoch ein geeignetes Mittel zur Vermeidung von Formfehlern beim
Vertragsabschluß.
Die Eheschließung ist ein festlicher Anlaß, und die Hadithe sind voller Hinweise darauf, daß sie
auch als solcher begangen werden soll. Die Gabe an die Braut und ein Festmahl für Verwandte
und Freunde sind obligatorisch. [Das Islamische Zentrum Aachen formuliert seine Vorstellungen von einer
islamischen Hochzeitsfeier: „Bei der Feier dürfen die Teilnehmer fröhlich sein, ohne jedoch die vom Islam gesetzten
Grenzen zu überschreiten. Als Musikinstrument ist nur eine Art Tambourin erlaubt, und Männer und Frauen müssen
getrennt sitzen. Alkoholgenuß, gemischter Tanz oder der von Frauen vor den Augen der Männer sind verboten. Es
ist nicht Brauch im Islam, sich gegenseitig Eheringe anzustecken, auch wenn einige Muslime dies in Nachahmung
abendländischer Lebensart tun" (Islamisches Zentrum Aachen Bilal-Moschee e.V. 1994).]
Im ehelichen Leben wirkt sich die Vorstellung aus, Mann und Frau seien zwar - vor allem in
spiritueller Hinsicht - gleichwertig, aber in rechtlicher und sozialer Hinsicht nicht
gleichberechtigt. Die Einflußsphären von Mann und Frau unterscheiden sich, indem der Frau
Haus und Kindererziehung obliegen, während der Mann für die Versorgung der Familie allein
und vollständig verantwortlich ist. Er ist verpflichtet, für den Unterhalt seiner Frau(en) und
Kinder zu sorgen, während das private Vermögen einer Frau nur dann in das familiäre Budget
einfließt, wenn sie sich freiwillig entscheidet, es zur Verfügung zu stellen. Der Koran begründet
dieses Verhältnis: „Die Männer stehen über den Frauen, weil Gott sie (von Natur vor diesen)
ausgezeichnet hat und wegen der Ausgaben, die sie von ihrem Vermögen (als Morgengabe für
die Frauen?) gemacht haben." (4:34) Es sei noch einmal betont, daß dieser Vers sich nicht auf
die Wertigkeit der Geschlechter bezieht, die keinesfalls in einer solchen Abstufung gesehen
wird: „Diejenigen aber, die handeln, wie es recht ist, männlich oder weiblich, und die dabei
gläubig sind, werden (dereinst) in das Paradies eingehen, und ihnen wird (bei der Abrechnung)
nicht ein Dattelkerngrübchen Unrecht getan." (4:124)
Wo die Ehe noch keinen so paradiesischen Zustand herbeiführt, ist als letzte Möglichkeit nach
Beratungen der Partner durch Dritte die Ehescheidung erlaubt. Dieses Recht ist dem Ehemann
leichter zugänglich als der Frau. Das islamische Recht hat jedoch auch hier einige
Hemmschwellen errichtet, die die Frau vor männlicher Willkür bewahren sollen. So ist es im
Falle der Scheidung nötig, eine Frist von drei Monatsperioden der Frau abzuwarten, um eine
eventuell vorhandene Schwangerschaft festzustellen. Trennt sich ein Mann definitiv von seiner
Frau, kann er sie nicht mehr erneut ehelichen, es sei denn, sie wäre eine Interimsehe mit einem
anderen Mann eingegangen, die darauf wieder geschieden worden wäre. Die soll davor schützen,
die Scheidung unbedacht auszusprechen und als Druckmittel der Frau gegenüber zu
mißbrauchen.
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Sind im Falle einer Scheidung Kleinkinder zu versorgen, so bleiben diese zunächst im Haushalt
der Frau, die in die Familie ihrer Eltern zurückkehrt. Vor Erreichen der Pubertät kehren die
Kinder jedoch in den Haushalt des Vaters zurück, der stets für sie unterhaltspflichtig bleibt. Geht
die Mutter zwischenzeitlich eine neue Ehe ein, kehren die Kinder schon früher zurück, damit sie
kein Hindernis für die Frau darstellen, wieder zu heiraten. Nach islamischem Verständnis
gehören die Kinder zum Vater, sobald sie ein entsprechendes Alter erreicht haben.
Das islamische Recht kennt weder Adoption noch die Anerkennung eines nichtehelichen Kindes
durch den Vater.
5.4 Tod und Bestattung
Die Tragfähigkeit einer Religion erweist sich immer auch besonders darin, ob sie ihren
Anhängern den Weg nicht nur durch das Leben, sondern auch aus dieser Welt hinaus weisen
kann. So legt auch der Islam Wert auf einen „guten Tod", der von Riten umgeben ist, die der
Seele des Verstorbenen den Eintritt ins Jenseits erleichtern sollen.
Mit dem Christentum teilt der Islam die Vorstellung eines Jüngsten Gerichtes und der leiblichen
Auferstehung der Toten. Aber die eschatologischen Vorstellungen sind im Einzelnen trotz aller
Parallelen nicht deckungsgleich, und die Riten unterscheiden sich in vielfacher Hinsicht.
Der Tod tritt dadurch ein, daß die Seele, die zu Beginn des Lebens dem Körper durch Gott
eingegeben wurde, ihm nun wieder genommen wird. Diese Einhauchung der Seele als göttlicher
Akt wiederholt sich seit der Erschaffung des ersten Menschen, [In Sure 15:28f. findet sich die
Schilderung göttlicher Absicht an die Engel: „Ich werde einen Menschen aus feuchter Tonmasse (?) schaffen. Wenn
ich ihn dann geformt und ihm Geist von mir eingeblasen habe, dann fallt (voller Ehrfurcht) vor ihm nieder!" ]
worin das Verständnis zum Ausdruck kommt, daß jeder Mensch jenseits der elterlichen Zeugung
seine Geschöpflichkeit Gott verdankt. Ist absehbar, daß der Tod eines Muslims bevorsteht, so
tragen die Umstehenden dafür Sorge, daß die letzen Worte, die der Sterbende auf Erden hört,
dieselben sind wie die, die er als erste Worte unmittelbar nach seiner Geburt gehört hat: die
šahada, das Glaubensbekenntnis, wird ihm ins Ohr gesprochen. Er soll sie nachsprechen, damit
sie seine letzten Worte sind.
Von den Anwesenden wird erwartet, daß sie für den Sterbenden beten und aus dem Koran
rezitieren. Ein Hadith legt zu diesem Anlaß besonders die Sure Ya Sin, das ist die 36. Sure, nahe.
Darin kommt mehrmals das jenseitige Leben mit himmlischem Lohn und nicht endenden
Höllenstrafen zur Sprache. Den Gläubigen wird zugesichert: „Die Gesandten haben die Wahrheit
gesagt. Es genügt (w. Es ist nur) ein einziger Schrei, und schon werden sie alle bei uns (zum
Gericht) vorgeführt. Und (zu ihnen wird gesagt:) ‘Heute wird niemand (im mindesten) Unrecht
getan. Und euch wird nur (für) das vergolten, was ihr (in eurem Erdenleben) getan habt. Die
Insassen des Paradieses sind heute (auf ihre Weise) beschäftigt und lassen es sich dabei wohl
sein: Sie und ihre Gattinnen liegen im Schatten (behaglich) auf Ruhebetten und haben (köstliche)
Früchte (zu essen) und (alles) wonach sie verlangen. ‘Heil!’ (wird ihnen entboten) als
(Gruß)wort von seiten eines barmherzigen Herrn. (Ihr) aber, ihr Sünder, müßt euch heute (von
den Frommen) absondern. (Denn für euch steht die Hölle bereit.)" (36:52-59)
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Ist der Tod eingetreten, gilt es, eine Reihe von Verpflichtungen zu erfüllen, die die muslimische
Gemeinde ihren Toten schuldet. Waschung, Bekleidung, Totengebet und Bestattung nach
islamischem Ritus obliegen als Pflicht der Gemeinde im Sinne einer Kollektivpflicht, fard
kifaya. Im Falle, daß sich kein Muslim bereitfindet, der dem Toten diese letzten Dienste erweist,
macht sich die ganze Gemeinde schuldig. Umgekehrt gilt die Pflicht aber als erfüllt, wenn nur
einige Gemeindemitglieder die erforderlichen Handlungen und Gebete vollziehen. Die mit der
Bestattung der Toten verbundenen Riten sind dabei kaum flexibel, was sie von den christlichen
Bestattungsriten unterscheidet, die in der Gestaltung, dem Zeitpunkt, dem Ort und der Art der
Bestattung und der damit verbundenen Feier verschiedene Möglichkeiten eröffnen, zu denen seit
einiger Zeit auch die Einäscherung des Leichnams zählt, sofern sie nicht als Absage an den
Wiederauferstehungsglauben gemeint ist. [Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 1995.]
Dieser Unterschied muß im Blick behalten werden, weil es sonst unverständlich ist, weshalb
Muslime so sehr auf die Ermöglichung ihrer Riten drängen.
Der Zeitraum, der zwischen dem Eintritt des Todes und der Bestattung, die unbedingt eine
Erdbestattung sein muß, liegen kann, soll möglichst kurz sein. Wer am Vormittag stirbt, soll
noch am Nachmittag desselben Tages beigesetzt werden. Wer am Nachmittag stirbt, soll am
Morgen des folgenden Tages zu Grabe getragen werden. Diese Eile rührt daher, daß nach
islamischer Auffassung die Seele des Menschen, wenn sie vom Leib geschieden ist, zunächst
vom Todesengel Izrail zu einem Zwischengericht in den Himmel gebracht wird. Dort erfährt sie,
ob Paradies oder Hölle sie erwarten und wird dann wieder in den Körper zurückgebracht. Im
Grab treten zwei weitere Engel, Munkar und Nakir, zu ihr und fragen sie nach ihrem Gott, ihrem
Propheten, ihrer Religion und ihrer Gebetsrichtung. Kennt die Seele die richtigen Antworten Gott, Muhammad, der Islam und Mekka - bestätigen die Engel ihr den künftigen Eingang ins
Paradies; kennt die Seele die richtigen Antworten nicht, setzt noch im Grab eine Peinigung ein.
Eine Verzögerung der Bestattung führt so auch zu einer Verzögerung der Befragung durch die
Engel.
Daher legt man Wert auf eine zügige Vornahme der notwendigen Handlungen. Dem Toten
werden zunächst die Augen geschlossen und das Kinn mit einem Stoffstreifen festgebunden. Um
ein Aufblähen des Leibes zu verhindern, kann dieser mit einem Gewicht belastet werden.
Die Waschung des Toten entspricht einer Ganzkörperwaschung, wie sie auch von den Lebenden
zu bestimmten Anlässen vorzunehmen ist. Da der Leichnam dazu entkleidet wird, nimmt stets
ein Angehöriger des gleichen Geschlechtes, meist mit zwei Helfern, die Totenwaschung vor.
Ehepartner dürfen jedoch den verstorbenen Partner waschen. Die hanafitische Rechtsschule sieht
dies allerdings anders: Im Falle von Ehepartnern gilt für die Hanafiten, daß eine Witwe zwar
ihren verstorbenen Mann waschen kann, im Falle einer verstorbenen Ehefrau die Waschung
jedoch nur durch Frauen geschehen darf. [Vgl. Abu Dawud 1990, S. 894 Anm. 2614.]
Die Waschung ist aufwendig: „Der Leichnam wird auf dem Rücken auf einen erhöhten Platz
gelegt, von dem aus das Wasser gut abfließen kann, und wird vom Bauchnabel bis zu den Knien
mit einem Tuch zugedeckt. Zunächst wird durch leichten Druck auf den Unterleib versucht, den
Körper zu entleeren. Danach werden die Ausscheidungs- und Geschlechtsteile unter dem Tuch
gewaschen, wozu der Wäscher seine Hand mit einem Stofftuch umwickelt. Dann erfolgt die
eigentliche rituelle Waschung, die der vor dem Gebet entspricht. Zuerst werden Mund und
91
Nasenlöcher gereinigt sowie Hände, Gesicht, Kopf und Füße gewaschen und sodann der ganze
Körper, wobei zuerst die rechte und dann die linke Körperhälfte gewaschen wird. Die einmalige
Waschung des Leichnams ist verpflichtend, eine zweite und dritte gilt als empfehlenswert.
Abschließend wird der Körper abgetrocknet und mit Kampfer eingerieben." [Lemmen 1999a, S. 18f.]
Von dieser Waschung existiert eine Ausnahme; Märtyrer werden so bestattet, wie sie zu Tode
gekommen sind.
Der Leichnam wird nun in weiße Tücher gewickelt, in denen er auch bestattet wird. Für einen
Mann werden drei Tücher benötigt, für eine Frau noch zwei zusätzliche Tücher für Kopf und
Brust. Mit Stoffstreifen werden die Tücher zugebunden und der Tote auf einer Bahre zum
Begräbnisort getragen, der sich traditionell außerhalb der Städte und Siedlungen befand.
Für verstorbene Muslime muß ein rituelles Totengebet verrichtet werden. Ein Hadith legt nahe,
daß dies auch für Kinder gilt: „Für jedes verstorbene Kind soll das Totengebet verrichtet werden,
auch wenn seine Eltern eine unrechtmäßige Beziehung hatten, denn jedes Kind hat von Natur aus
die Anlage, Muslim zu sein. Und wenn beide Elternteile Muslime sind oder sich der Vater zum
Islam, die Mutter aber zu einer anderen Religion bekennt, so ist für das Kind im Todesfall das
Gebet zu verrichten, sofern es nach der Geburt geschrien hat. Das Gebet wird nicht verrichtet,
wenn es nach der Geburt nicht geschrien hat, denn dann handelt es sich um eine Fehlgeburt." [AlBuhari 1991, S. 180.] Eine Ausnahme bilden auch hier die Märtyrer, von denen man annimmt, daß
sie unverzüglich ins Paradies eingehen. Die Frage, ob für sie ein Totengebet gehalten werden
muß oder nicht, wird von den Hanafiten bejaht, von Šafi‘iten und Hanbaliten abschlägig
beurteilt. [Vgl. Abu Dawud 1990, S. 893 Anm. 2609.] Gebete für Nichtmuslime werden nicht verrichtet.
Über ein Totengebet für Menschen, die sich selbst das Leben genommen haben, bestehen
unterschiedliche Ansichten. Aus dem Leben Muhammads wird überliefert, daß er ein solches
Gebet verweigert habe, um ein Beispiel zu geben. [Vgl. ebd., S. 903f. Nr. 3179.] Für die Opfer von
hadd-Strafen wird das Gebet mehrheitlich befürwortet.
Der Ort des Totengebetes wird von den Rechtsschulen ebenfalls verschieden bevorzugt, zumal
der Leichnam dabei präsent sein soll. Šafi‘iten nennen die Moschee als adäquaten Platz dafür.
Hanbaliten lassen das Gebet in der Moschee zu, wohingegen Malikiten und Hanafiten das Gebet
auf einer freien Fläche außerhalb der Stadt verrichtet wissen wollen. [Vgl. Lemmen 1999a, S. 20 Anm.
23.]
Die Teilnahme am Totengebet ist für Männer verpflichtend. Die Teilnahme von Frauen wird
überwiegend abgelehnt. Sollten sie anwesend sein, halten sie sich abseits der Männer. Dies gilt
auch für den Trauerzug, in dem sie allenfalls in Abstand hinter den Männern mitgehen. Der
Leichnam wird von den teilnehmenden Männern abwechselnd auf ihren Schultern getragen und
zügig und unter Schweigen zum Begräbnisplatz gebracht.
Dort wird er so ins Grab gelegt, daß er auf der rechten Körperseite liegend mit dem Gesicht nach
Mekka ausgerichtet ist. Dazu wird am Fuß des Grabes eine entsprechende Nische vorbereitet, die
nach der Grablegung mit Lehm oder einem Holz verschlossen wird. Die Teilnehmer an der
Beerdigung werfen jeweils drei Handvoll Erde ins Grab unter den Worten: „Daraus haben wir
euch erschaffen; dazu lassen wir euch zurückkehren, und daraus werden wir euch ein zweites
Mal hervorbringen." [Zitiert nach: Ebd., S. 22.] Die Verfüllung des Grabes ist Aufgabe der
92
Trauergemeinschaft, die danach noch einige Bittgebete spricht und im Hinblick auf die
Befragung im Grab den Verstorbenen belehrt.
Grundsätzlich sind Muslime unter Muslimen zu bestatten. Die Totenruhe gilt als in aeternam zu
wahren und wird so ernstgenommen, daß Grabpflege und -schmuck als Störung dieser Ruhe
empfunden und abgelehnt wird. Jeglicher Totenkult ist dem orthodoxen Islam fremd, was einer
der Gründe für die Spannungen ist, die im Hinblick auf sufische Gemeinschaften bestehen.
Deren teilweise stark ausgeprägter Heiligenkult findet an den Gräbern heiliger Frauen und
Männer seine Fortsetzung. Entgegen der gelehrten Forderung nach schlichten Gräbern finden
sich überall in der islamischen Welt aufwendig gestaltete Grabstätten, deren bekannteste sicher
der Taj Mahal sein dürfte.
Die Trauer soll sich von vorislamischen Trauerriten dadurch absetzen, daß laute Klagen,
Zerreißen der Kleider und ähnliche Ausbrüche unterbleiben. Nach prophetischem Vorbild ist das
Weinen um den Verstorbenen gestattet, sofern die Trauer kein Hadern mit dem göttlichen Willen
beinhaltet.
In den drei Tagen nach Eintritt des Todes ist es angezeigt, die Hinterbliebenen zu Hause zu
besuchen und zum Zeichen der Kondolenz eine Zeitlang bei ihnen zu bleiben.
Beileidsbekundungen nach dieser Frist sind verpönt. Für Witwen besteht nach dem Tod des
Ehemannes eine besondere Trauerzeit, idda. Für vier Monate und zehn Tage kleiden sie sich
schmucklos, verlassen das Haus kaum oder gar nicht und dürfen keine Versprechen zu einer
neuen Eheschließung machen.
6. Speisevorschriften
Wie das Judentum kennt der Islam Speisevorschriften, deren Einhaltung die Kultfähigkeit seiner
Gläubigen sichert.
Der Koran fordert auf: „Eßt von dem, was Gott euch beschert hat, soweit es erlaubt und gut ist!"
Was in diesen Rahmen des Erlaubten und Guten fällt, ist wichtig genug, um in Koran, Sunna und
šari‘a ausgiebig thematisiert zu werden.
Allgemein ist bekannt, daß der Genuß von Alkohol und Schweinefleisch verboten ist. Das
Alkoholverbot ergibt sich im Analogieschluß aus dem koranischen Weinverbot: „Ihr Gläubigen!
Wein, das Losspiel, Opfersteine und Lospfeile sind (ein wahrer) Greuel und des Satans Werk.
Meidet es!" (5:90) Die Ablehnung des Alkohols hat in der Praxis jedoch keine so strenge
Entfaltung gefunden wie das Verbot vom Schwein stammender Produkte.
Aber auch Blut und Aas fallen unter dieses Verbot, wobei als Aas, maita, „Fleisch von
verendeten oder nicht rituell geschlachteten Tieren" [Heine 1991c, S. 680.] betrachtet wird.
„Verboten ist euch (der Genuß von Fleisch) von verendeten Tieren, Blut, Schweinefleisch und
(von) Fleisch, worüber (beim Schlachten) ein anderes Wesen als Gott angerufen worden ist, und
was erstickt, (zu Tod) geschlagen, (zu Tod) gestürzt oder (von einem anderen Tier) gestoßen ist,
und was ein wildes Tier (an)gefressen (oder: geschlagen) hat - es sei denn, ihr schächtet es
(indem ihr es nachträglich ausbluten laßt) -, und was auf einem (heidnischen) Opferaltar
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geschlachtet worden ist". (5:3) Diese Sure macht die beiden Haupthindernisse des Verzehrs
deutlich: entweder ist das Tier nicht geschächtet oder es wurde in einer religiösen Bezugnahme
zu Tode gebracht, die aus islamischer Sicht inakzeptabel ist.
Da der Koran davon ausgeht, daß Juden, Christen und Muslime an einen Gott glauben, der
„unser Herr und euer Herr" (42:15) ist, besteht mit ihnen eingeschränkte Tischgemeinschaft,
insoweit die Speisen an sich halal, erlaubt sind. Im Koran heißt es lediglich: „Und was
diejenigen essen, die (vor euch) die Schrift erhalten haben, ist für euch erlaubt, und (ebenso) was
ihr eßt, für sie." (5:5) Dieser Befund hat jedoch eine Fülle von Deutungen seitens der Gelehrten
nach sich gezogen. Das Spektrum reicht von der Annahme, was Juden und Christen geschlachtet
haben, sei Muslimen erlaubt, bis zur entgegengesetzten Feststellung, es sei ihnen verboten. Wo
die Schlachtungen durch Juden und Christen akzeptiert werden, geschieht dies unter der
Prämisse, auch sie würden schächten und über dem Tier den Namen Gottes anrufen. (Die
Schächtung geschieht, wie im Abschnitt über das Opferfest beschrieben.) Wo Ablehnung
besteht, wird sie damit begründet, daß das Gottesverständnis von Juden, Christen und Muslimen
unterschiedlich ist. Mithin existiert auch die Annahme, von Juden und Christen Geschlachtetes
könne verzehrt werden, sogar wenn man sicher sei, daß Gott darüber nicht angerufen worden ist.
Aber auch dieser Umstand hat Gelehrte gefunden, die einen Verzehr ablehnen. Wo über dem
Tier Jesus Christus oder ein christlicher Heiliger angerufen wurde, gilt das Fleisch allerdings
einhellig als verboten. [Vgl. Khoury 1985, S. 90-98.]
Angesichts dieser Lage nimmt es nicht Wunder, daß in der Praxis Muslime alle möglichen
Positionen im aufgezeigten Spektrum einnehmen und in christlichen oder jüdischen Haushalten
entweder vegetarisch essen oder aber alles zu sich nehmen, außer Alkohol und Schweinefleisch.
Probleme werfen jedoch vor allem die „versteckten" Anteile nicht näher bestimmbarer tierischer
Fette und Bestandteile in Nahrungsmitteln auf, die industriell gefertigt sind. Einige Muslime
nehmen mit dem Hinweis auf die meist ungeklärte Herkunft keine Gelatine-Produkte zu sich,
worunter dann auch so unverfängliche Nahrungsmittel wie bestimmte
Fruchtjoghurtzubereitungen fallen können. Eine große amerikanische Fast-Food-Kette wurde in
Deutschland rege auch von Muslimen frequentiert, bis Schweinefleischprodukte auf die
Speisekarte kamen.
Grundsätzlich gilt im Hinblick auf die Speisevorschriften, daß Not Gebot bricht: „Und wenn
einer (von euch) aus Hunger sich in einer Zwangslage befindet, (und aus diesem Grund gegen
ein Speisegebot verstößt), ohne sich (bewußt) einer Sünde zuzuneigen, so ist Gott barmherzig
und bereit, zu vergeben." (5:3; vgl. auch 2:173)
Aber nicht nur was, sondern auch wie gespeist wird, ist von Belang. Nach prophetischem
Vorbild dient der Nahrungsaufnahme die rechte Hand, während die linke zur Reinigung nach der
Notdurft benutzt wird. Vor dem Essen wird die basmala gesprochen, und nach dem Essen Gott
gedankt, indem wenigstens die hamdala [D.h. al-hamdulillah , „Dank sei Gott".], oft auch ein
ausführlicheres Gebet gesprochen wird. Eßgeschirre aus Edelmetall sind verpönt, während die
Speisung von Armen eine verdienstvolle Tat ist. Die Speisegewohnheiten Muhammads wirken
bis heute in der islamischen Welt nach. So berichten Hadithe: „Niemals sah ich den Propheten
(S) aus kostbarem Geschirr essen! Niemals aß er feines, in dünne Scheiben geschnittenes Brot,
und niemals aß er an einem Tisch!" Statt dessen ließ Muhammad „Lederteppiche auf dem Boden
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ausbreiten". Er hielt beim Essen Maß, kritisierte keine Speise und lehnte sich beim Essen nicht
zurück. Einen Jungen in seiner Obhut wies er an: „O mein Junge! Sag zuerst: ‘Im Namen
Gottes’, nimm dann beim Essen nur die rechte Hand und greif immer nur in die Schüssel, die dir
am nächsten ist!" [Al-Buhari 1991, S. 376ff.]
7. Bekleidungsvorschriften
Für die Speise wie auch für die Bekleidung der gläubigen Muslime ist ein Wort des Propheten
wegweisend: „Eßt, trinkt, kleidet euch und gebt Almosen! Aber tut es ohne Übertreibung und
ohne Hochmut!" [Ebd., S. 409. ]
Diese Mahnung zur Bescheidenheit und Zurückhaltung tritt auch darin zutage, daß seidene
Gewänder und Goldschmuck islamischen Männern zu tragen untersagt sind. Frauen ist dies
gestattet, zumal der Schmuck eine regelrechte Kapitalanlage für sie darstellt, aber auch sie sollen
damit kein Aufsehen erregen.
Die Art und Weise der Bekleidung ist vom Wandel der Zeiten nicht unberührt geblieben. Jedoch
herrscht übereinstimmend die Auffassung, ein Muslim habe die aura seines Körpers zu
bedecken. Dies geschieht zweckmäßig mit weit geschnittener Kleidung.
Dieser Bereich wird für Frauen und Männer unterschiedlich definiert. Beim Mann gilt, je nach
Auffassung, der Bereich zwischen Bauchnabel und Knien als zu bedecken oder auch nur der
Bereich der Geschlechtsteile und des Gesäßes.
Bei der Frau gilt alles zu diesem Bereich gehörig, was nicht notwendigerweise sichtbar sein muß,
wie Gesicht, Hände und Füße.
Diese Bestimmungen gelten in jedem Fall für die Verrichtung des Ritualgebetes. Zwei
Koranverse deuten auf ein generelles Gebot der Schamhaftigkeit und Bedeckung hin:
„Sag den gläubigen Männern, sie sollen (statt jemanden anzustarren, lieber) ihre Augen
niederschlagen, und sie sollen darauf achten, daß ihre Scham bedeckt ist (w. ihre Scham
bewahren). So halten sie sich am ehesten sittlich (und rein) (w. das ist lauterer für sie). Gott ist
wohl darüber unterrichtet, was sie tun. Und sag den gläubigen Frauen, sie sollen (statt jemanden
anzustarren, lieber) ihre Augen niederschlagen, und sie sollen darauf achten, daß ihre Scham
bedeckt ist (w. ihre Scham bewahren), den Schmuck, den sie ( am Körper) tragen, nicht offen
zeigen, soweit er nicht (normalerweise) sichtbar ist, ihren Schal sich über den (vom
Halsausschnitt nach vorne heruntergehenden) Schlitz (des Kleides) ziehen und den Schmuck,
den sie (am Körper) tragen niemand (w. nicht offen) zeigen, außer ihrem Mann, ihrem Vater,
ihrem Schwiegervater, ihren Söhnen, ihren Stiefsöhnen, ihren Brüdern, den Söhnen ihrer Brüder
und ihrer Schwestern, ihren Frauen (d.h. den Frauen, mit denen sie Umgang pflegen?), ihren
Sklavinnen (w. dem, was sie (an Sklavinnen) besitzen), den männlichen Bediensteten (w. den
Gefolgsleuten), die keinen (Geschlechts)trieb (mehr) haben, und den Kindern, die noch nichts
von weiblichen Geschlechtsteilen wissen. Und sie sollen nicht mit ihren Beinen
(aneinander)schlagen und damit auf den Schmuck aufmerksam machen, den sie (durch
Kleidung) verborgen (an ihnen) tragen (w. damit man merkt, was sie von ihrem Schmuck
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geheimhalten). Und wendet euch allesamt (reumütig) wieder zu Gott, ihr Gläubigen! Vielleicht
wird es euch (dann) wohlergehen." (24:30f.)
„Prophet! Sag deinen Gattinnen und Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie sollen (wenn
sie austreten) sich etwas von ihrem Gewand (über den Kopf) herunterziehen. So ist es am
ehesten gewährleistet, daß sie (als ehrbare Frauen) erkannt und nicht belästigt werden. Gott aber
ist barmherzig und bereit zu vergeben." (33:59)
Konkrete Aussagen über die Art der Körperbedeckung sind damit nicht gemacht, in dem Sinne,
daß die islamische Kleidung eine Art Uniform wäre. Die Praxis zeigt etwa im Bereich der
weiblichen Mode durchaus eine Vielfalt, die von der vollständigen Verhüllung des Körpers
mittels einer burqa, die allein durch ein gesticktes „Fenster" ihre Trägerin die Außenwelt
wahrnehmen läßt, bis zum pro forma über die wohlfrisierten Haare drapierten Gazeschleier
reicht und neuerdings auch zum Verzicht auf jegliche Kopfbedeckung außerhalb der
Gebetszeiten.
Jedoch läßt sich die Intensität der Verschleierung in Relation setzen zum Grad der Befürwortung
einer öffentlichen Präsenz der Frau in der Gesellschaft. Die Bedeckung ist nämlich nicht bloßer
Ausdruck der Zugehörigkeit zur umma oder der Unterwerfung unter göttliches Gebot, sondern
sie impliziert die Zustimmung zu einem Verständnis der gesellschaftlichen Ordnung, die die
Wirkenssphären der Geschlechter getrennt sehen möchte.
96
Literaturverzeichnis
Abdullah, Muhammad Salim (1981): Geschichte des Islams in Deutschland, Islam und westliche
Welt Bd. 5, Graz-Wien-Köln.
Abdullah, Muhammad Salim (1992): Gutachten zur möglichen Anlage eines islamischen
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FG Münster, Urteil vom 29. Dezember 1986 – III 6440/84, Steuerersparnis bei Zweitfrau.
LAG Düsseldorf, Urteil vom 9. August 1985 - 4 Sa 654/85, Beten am Arbeitsplatz.
OLG Hamm, Beschluß vom 27. Februar 1992 - 1 Ss OWi 652/91, Unerlaubtes Schächten eines
warmblütigen Tieres, in: NVwZ 6/1994, S. 623f.
OVG Berlin, Urteil vom 4. November 1998 - 7 B 4/98, Erlaubnis zur Erteilung islamischen
Religionsunterrichts, in: DVBl. 4/1999, S. 554-560.
OVG Bremen, Urteil vom 24. März 1992 - 1 BA 17/91, Befreiung einer islamischen Schülerin
vom Sportunterricht, in: InfAuslR 8/1992, S. 269-272.
OVG Hamburg, Urteil vom 21. Februar 1992 - Bf IV 44/90, Sozialhilfe für Beerdigung im
Ausland, in: NJW 48/1992, S. 3118f.
OVG Hamburg, Urteil vom 14. September 1992 - Bf III 42/90, Tierschlachtungen ohne
vorherige Betäubung des Tieres, in: NVwZ 6/1994, S. 592-596.
OVG Koblenz, Urteil vom 22. Juni 1993 - 7 A 12338/92, Namensänderung.
OVG Koblenz, Urteil vom 5. Juli 1993 - 13 A 10564/92, Kein Familienasyl bei Imamehe, in:
NVwZ 5/1994, S. 514-517.
OVG Lüneburg, Urteil vom 7. Juli 1992 – 7 L 3634/91, Aufenthaltsgenehmigung für Zweitfrau.
OVG Münster, Urteil vom 20. März 1991 - 8 A 287/89, Übernahme von Bestattungskosten, in:
NJW 35/1991, S. 2232.
OVG Münster, Urteil vom 15. November 1991 - 19 A 2198/91, Befreiung einer islamischen
Schülerin vom Sportunterricht, in: InfAuslR 2/1992, S. 47-51.
OVG Münster, Urteil vom 21. Oktober 1993 - 20 A 3287/92, Ausnahmegenehmigung zum
Schächten von Tieren.
VG Bayreuth, Urteil vom 20. Juli 1982 - B 3 K 81 A/467, Lautsprecher im Kirchturm, in:
KirchE 20/1982, S. 90-94.
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VG Berlin, Urteil vom 3. November 1992 - 8 A 286/89, Übernahme der Kosten einer rituellen
Totenwäsche, in: NVwZ 6/1994, S. 617f.
VG Berlin, Urteil vom 19. Dezember 1997 - 3 A 2196/93, Erlaubnis zur Erteilung islamischen
Religionsunterrichts, in: CIBEDO 2+3/1997, S. 75-80.
VG Darmstadt, Urteil vom 9. September 1999 - 3 E 952/99, Ausnahmegenehmigung zum
Schächten von Tieren.
VG Freiburg, Urteil vom 10. November 1993 - 2 K 1739/92, Völlige Befreiung vom
Sportunterricht aus religiösen Gründen, in: InfAuslR 7+8/1994, S. 297-300.
VG Gelsenkirchen, Urteil vom 25. Mai 1992 - 7 K 5738/91, Schlachttiere - Schächten, in:
NWVBl. 3/1993, S. 116-118.
VG Hamburg, Urteil vom 26. Januar 1994 - 3 W 2411/93, Zurückstellung vom Wehrdienst
wegen islamischer Glaubenszugehörigkeit, in: NVwZ 8/1994, S. 816-819.
VG Koblenz, Urteil vom 27. Oktober 1992 - 2 K 2499/91 Ko, Namensänderung, in: KirchE
30/1992, S. 381-384.
VG Koblenz, Urteil vom 16. März 1993 - 2 K 1874/92, Schlachtungen von Tieren ohne
vorherige Betäubung, in: NVwZ 6/1994, S. 615-617.
VG Köln, Urteil vom 26. Juni 1990 - 10 K 2307/89, Befreiung vom Schwimmunterricht.
VG Lüneburg, Urteil vom 16. Oktober 2000 – 1 A 98/00, Tragen des Kopftuchs.
VG Stuttgart, Urteil vom 24. März 2000 - 15 K 532/99, Tragen des Kopftuchs.
VG Wiesbaden, Urteil vom 10. Juli 1984 - VI/I E 596/82, Paßrecht, in: KirchE 22/1984, S. 134137.
VGH München, Urteil vom 3. Juni 1992 - 5 B 92/162, Übertritt zum Islam als wichtiger Grund
für Vornamensänderung, in: NJW 5/1993, S. 346f.
VGH München, Beschluß vom 23. März 2000 – 24 CS 00/12, Tragen des Kopftuchs.
Zum Autor/zur Autorin
Thomas Lemmen, geb. 1962, Dr. des. theol., ist Geschäftsführer der Christlich-Islamischen
Gesellschaft e.V. (CIG) in Köln.
Melanie Miehl, geb. 1972, seit 1992 Studium der Islamwissenschaft. Seit 1995 in der
Erwachsenenbildung zum Thema Islam tätig.