CSI – Stahlkisten der Pandora, oder Wie wir lernten

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CSI – Stahlkisten der Pandora, oder Wie wir lernten
C.S.I. – Stahlkisten der Pandora, oder Wie wir lernten,
die Bomben zu lieben
Konferenz „Goofy History. Über unbeholfene Geschichte“
Graduiertenkolleg „Mediale Historiographien“
Bauhaus-Universität Weimar
11.-13. Oktober 2007
Vortrag von Alexander Klose,
Graduiertenkolleg „Mediale Historiographien“,
Bauhaus-Universität Weimar (Fakultät Medien)
Es sind nur noch Symbole, die man sich zeigt. Warum sollte man sich
nicht einfallen lassen, der Welt mit Simulationen zu imponieren?
(Hans Blumenberg, Die Sorge geht über den Fluß)
Now you wanna know what’s in the cans?
Before you wanted to know nothing, now you ask:
guns, drugs, whores, BMWs, vodka, Beluga caviar … or bombs maybe
– bad terrorists with big nuclear bombs!
(Spiros Stavros in: The Wire, season 2, chapter 2)
Es ist an der Zeit, dass das Leben zurückgibt, was es dem Kino gestohlen hat.
(Jean-Luc Godard)
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Abb. 1: Standbild aus CSI: New York, „Heiße Ware“ (im Orig. „Hush“), USA 2005.
In einem jüngst veröffentlichten Artikel der Presseagentur Associated Press anlässlich des
vom Kongress verabschiedeten Gesetzespakets Public Law 110 – 53 zur Implementierung der
Empfehlungen des 9/11 Commission Act 2007 heißt es über die Maßnahmen zur Steigerung
der Containersicherheit und zum Schutz des Homelands sehr schön und seltsam vertraut:
“The specter of a nuclear bomb, hidden in a cargo container, detonating in an American
port has prompted Congress to require 100 percent screening of U.S. bound ships at
their more than 600 foreign starting points.”1
Das Gespenst einer Atombombe, die in einem Frachtcontainer versteckt ist, macht heute
also Gesetze und Politik. Und über diese Gespensterpolitik möchte ich reden.
Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist die Übereinstimmung der Abkürzungen zweier auf
den ersten Blick sehr heterogener Medienformate:
der unter dem Eindruck der Anschläge vom 11. September 2001 gegründeten U.S.-Behörde
zur Gewährleistung der Sicherheit des Containerverkehrs, CSI – das Akronym steht für
Container Security Initiative;
und der ebenfalls amerikanischen, enorm erfolgreichen Fernsehserie CSI – kurz für Crime
Scene Investigation.
Diese Übereinstimmung kam mir sofort komisch vor, als ich sie entdeckte. Die beiden
Phänomene nur auf Grund der Übereinstimmung ihrer Abkürzungen miteinander zu vergleichen
– oder zu verwechseln –, ein Fall für goofy history!
Und auch wenn es, gerade heute und gerade bei diesem Thema, weder darum gehen kann,
noch mehr paranoide Welttheorien in dieselbe zu setzen, noch, die These eines großen
Bruchs zusätzlich zu erhärten, sondern eher im Gegenteil, die Aufregung herunterzukochen,
Evidenzen und Schnellschlüsse anzuzweifeln und größere Entwicklungslinien aufzuzeigen,
hoffe ich, dass sich aus der wechselseitigen Analyse der beiden Mediendinge CSI und CSI
Erkenntnisse gewinnen lassen.
Man kann das Netz, in dem man sich befindet, nicht zuziehen, hat Walter Benjamin einmal
gesagt. Aber man kann sich vielleicht immerhin hineinwerfen, um herauszufinden, wo seine
Maschen und Knoten liegen.
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Wir befinden uns in einer Gemengelage, deren Zutaten nicht erst mit dem Fall der zwei Türme
in die Welt gekommen sind, auch nicht mit dem Fall der Mauer. Globalisierung, Terrorismus,
Welthandel, die Vormacht der Vereinigten Staaten, Verdatung, Vernetzung, Containerverkehr,
Fernsehen, Gesellschaft des Spektakels, die Macht der Simulationen – all dies sind Phänomene,
Zusammenhänge und Entwicklungen, die schon zu früheren Zeitpunkten begonnen haben
und analysiert wurden. Was vermutlich anders ist und was eine goofy history der erneuten
Anschlüsse, versuchten Unterbrechungen, konkurrierenden Realitätsinterpretationsangebote
und despotischen Signifikationen anpeilen kann, ist ihr spezifisches Mischungsverhältnis. In
diesem Mischungsverhältnis ist enthalten und liegt begründend, was später vielleicht einmal
den Ausschlag geben wird, von einem Bruch um 2000 zu sprechen, vielleicht aber auch
von einer Sattelzeit technologischen und organisatorischen Wissens, die die gesamte zweite
Hälfte des 20. und in das 21. Jahrhundert hinein währte. Oder von etwas ganz Anderem.
Die US-Regierung tut ihrerseits jedenfalls einiges, um Geschichte zu machen und den ersten
Anschein zur unbestreitbaren Realität zu verhärten, dass die Anschläge vom 11. September
2001 einen fundamentalen Bruch und eine Richtungsänderung der Weltgeschichte bewirkt
haben. Davon bleibt auch eine Fernsehserie wie CSI nicht unberührt, die sich ebenfalls explizit
in der Post-9/11-Zeit situiert, wie ich später noch ausführen werde. Eine Flut von PR-Aktionen
der Regierung machen nicht nur Werbung für deren zunehmend unpopuläre repressive und
kriegerische Maßnahmen im In- und Ausland. Sie erhärten allesamt allein durch die stete
Wiederholung des Motivs den Mythos der Geburt eines neuen Amerikas aus den Trümmern
des World Trade Center.
Abb. 2 - 4: Zeichnungen aus dem Marvel-Comicbuch „Heroes“, das den Helden des 11. September gewidmet
ist. (New York 2001). In der Ankündigung heißt es: „Als das World Trade Center zusammenbrach, wuchs aus
der Asche ein Heldentum, wie es dieses Land noch nie gesehen hat.“ (zit.n. Süddeutsche Zeitung 14.11.2001,
S. 18/19, Bildunterschrift).
Diese amerikanische Variante einer negativen Theologie, die Inauguration einer katastrophalen
Urszene, die sich nie wiederholen darf, basiert allerdings auf einem hyperrealen Geschehen,
einem Ereignis, das zugleich niemals und immer schon passiert ist, weil es – in seiner maxi-
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malen Zuspitzung – ausschließlich in der projektiven Phantasie medialer Erzeugnisse und ihrer
massenhaften Rezeption existiert.
In der Konkretisierung als Powerpoint-Präsentation der Zoll- und Grenzschutzbehörde wird das
projektive Geschichtsphantasma der zu verhindernden Terror-Apokalypse durch das Bild eines
Containers befördert, der eine WMD, eine Weapon of Mass Destruction, enthält (der Fund
dieser Präsentation bildete den Anfang meines ganzen Überlegens, das in diesen Vortrag
mündete):
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Abb. 5 - 9: Powerpoint-Präsentation über die Container Security Inititiative von der offiziellen Website der U.S:
Customs and Border Protection (www.cbp.gov). Herunterzuladen unter: http://www.cbp.gov/linkhandler/cgov/
border_security/international_activities/csi/csirev_1002.ctt/csi_presentation.ppt.
Die Container Security Initiative wurde Anfang 2002 von der U.S. Zollbehörde U.S. Customs
and Border Protection, kurz: CBP, ins Leben gerufen. Im Kontrast zur apokalyptischen Tonlage
der Handlungsaufrufe auf den Titelseiten, verfolgt ihre im Inneren der Informationsbroschüren
niedergelegte Agenda einen wesentlich pragmatischeren Kurs. Als oberstes strategisches
Ziel nennt sie, in einer ebenfalls von der CBP-Website herunterzuladenden pdf-Broschüre:
„Secure U.S. borders against terrorists and terrorist weapons by evaluating all containers
bound for the United States for terrorist risk before loading at CSI ports.“
Strategische Ziele No. 2 und 3 sind:
„Build a robust CSI cargo security system that will withstand a terrorist incident and
ensure a continuous flow of trade, or promptly resume trade through CSI ports, should
a terrorist event occur. (…)
Protect and facilitate the movement of legitimate trade by maintaining effectively
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operating CSI ports, working with host nations to inspect all containers identified as
posing a potential terrorist risk and providing benefits and incentives to international
governments and organizations, as well as to our trading partners.“2
Interessant an diesen Zielen ist vor allem, auf welchem Weg sie erreicht werden sollen. Während
man bei einem allgemeinen Strategiepapier durchaus erwarten könnte, dass in den obersten
Leitsätzen nur die allgemeinen Ziele formuliert sind und erst in den weiteren Ausführungen
Vorschläge gemacht werden, wie diese umgesetzt werden könnten, ist hier in den Punkten
1 und 3 der anzustrebende Weg schon detailliert in die Charta hineingeschrieben: nämlich
Inspizieren und Evaluieren von Containern. Damit aber wird eine Lösung vorgeschrieben, noch
ehe das Problem gründlich analysiert ist. Es ist zum Beispiel von Polizeiarbeit, von einem
Infiltrieren terroristischer Organisationen oder von einem Überprüfen der in der Logistikkette
beschäftigten Menschen hier nirgends die Rede. Gegenstand der Strategie sind einzig und
allein die Container selber. Sie sollen präventiven Diagnoseverfahren durch Screening und
Scanning unterzogen werden, um zu garantieren, dass sie „sauber“ sind.
Als seien einzig die Container das Problem, und nicht auch die Menschen, die Dinge in sie
hineinladen bzw. veranlassen, dass sie hineingeladen werden. Als handelte es sich bei den
einzelnen Containern selber um Lebewesen, oder um die Zellen eines riesigen Organismus,
die von feindlicher Übernahme und zerstörerischer Umcodierung bedroht sind.
Am 15. Juni 2002, also ein knappes
Jahr nach 9/11, war in der SZ unter
dem Titel „Angst vor der Schachtel.
Der Container hat die Globalisierung
vorangetrieben – jetzt aber bringt er
sie in Gefahr“ zu lesen:
„Im letzten Oktober wurde im
süditalienischen
Hafen
Gioia
Tauro ein mutmaßlicher Ter-
Abb. 10: Containerscan mit Passagier. Von der Website des
Z Backscatter Van, einer mobilen Scan-Einheit, getarnt in
einem Transportfahrzeug, angeboten von der Firma American Sciences and Engineering; http://www.as-e.com/products_solutions/z_backscatter.asp.
rorist entdeckt. Er hatte die
für seine Profession heute
üblichen
Utensilien
dabei,
Pläne von Flughäfen und gefälschte
Sicherheitsausweise
und das Zertifikat eines Flugzeugmechanikers. (...) Der Mann
lebte auf einem Schiff auf dem Weg nach Halifax in Kanada. Sein vorübergehendes
Zuhause war ein Container.
Ohne Container gäbe es den heutigen Welthandel wohl nicht. Aber gerade sie werden
inzwischen von Sicherheitsfachleuten als gewaltiges Risiko angesehen. Immerhin nutzen
clevere Geschäftsleute sie schon seit langem für den Menschen- und Drogenschmuggel.
Das US-Verkehrsministerium legte bereits im August 2000 eine Studie vor, die davor
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warnte, Terroristen könnten Bauteile für Nuklearwaffen in den genormten Stahlbehältern
einschmuggeln. Oder andere unangenehme Dinge.“3
Die Lösung des Containerverkehrs, der Grund für seinen durchschlagenden Erfolg, bestand
darin, den Weg der transportierten Güter als eine Kette zu denken, die aus verschiedenen
Verkehrsträgern zusammengesetzt ist. Der Container fungiert als das verbindende Element,
indem er sich präzise an den Ort der Störung des Transportflusses setzt, der Unterbrechung,
die durch das Umladen verursacht würde. Vergleichbar dem Shannonschen Flussdiagramm
der Kommunikation entsteht eine Art Flussdiagramm des Transports, in dem der Container
als Black Box agiert, ein den Funktionen und Bedeutungen des von ihm Transportierten
konstitutiv enthobener Gegenstand. Als ein solcher Nullpunkt der Semantik bildet der universale
Behälter aber auch ein ideales Medium für Re-Semantisierungen. Lange war bei diesen
Containererzählungen das redundante Motiv der Black Box vorherrschend: der Container im
Systemverbund: ein Bild seiner selbst und des von ihm getragenen, überlegen prozessierenden
Ordnungssystems, eine Apotheose der Logistik. Zunehmend wurde der Container jedoch auch
zur Projektionsfläche für andere Bedeutungen. Ein sehr schönes Bild hierfür findet sich in dem
Dokumentarfilm „Container Story“ von Thomas Greh. Er beginnt und endet mit einer Sequenz,
in der vorbeifahrende Container die Geschichte des Containertransports in Bildern zeigen.
Abb. 11 - 14: Stillframes aus: Container Story, Thomas Greh, D 2006.
In der zunehmend paranoiden Post 9/11-Logik erzählen die Container allerdings oftmals nicht
mehr die Geschichte ihres Erfolgs, vielmehr drohen sie mit dem Ende aller Geschichten. In
einem Fernsehspot der Anti-Walmart Kampagne, einem USA-weiten Netzwerk von Aktivisten,
die insbesondere gegen die Arbeitnehmerpolitik des riesigen Unternehmens kämpfen, sieht
man den Kopf Osama bin Ladens neben einem Atompilz und einem Containerschiff im Hafen.
Die Bedrohung durch eine von Terroristen ins Land geschmuggelte Atombombe wird als
größte Gefahr für die Vereinigten Staaten dargestellt und Wal-Mart dafür an den Pranger
gestellt, dass sie sich nicht mit der 100%-Scan Initiative einverstanden erklären, obwohl sie
von allen Firmen am meisten Container in die USA importieren. Der von der United Food
and Commercial Workers International Union finanzierte Clip, der in der ersten Hälfte dieses
Jahres in amerikanischen Lokalsendern lief, gipfelt in dem Slogan:
WAL-MART
Profits first – America‘s security second.
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Abb. 15 - 17: Stillframes aus einem Fernsehspot der Anti-Walmart Kampagne, USA 2007.
Die Container, cans, wie sie im amerikanischen Hafenarbeiterslang genannt werden, haben
sich aus Black Boxes in Büchsen der Pandora verwandelt.
Um dieses Bild und die mit ihm identifizierte Gefahr zu bannen, hat die amerikanische Regierung
die Containersicherheitsinitiative CSI ins Leben gerufen. Im Kern von CSI waltet ein geradezu
klassisch anmutendes aufklärerisches Programm. Es soll Licht in das gefährliche Dunkel der
black boxes der Globalisierung bringen. Sein Ziel lautet: Duchleuchten aller Container, die in
das Gebiet der USA transportiert werden.
Im August diesen Jahres hat der amerikanische Kongress das schon in meinen einleitenden
Worten erwähnte Gesetzespaket verabschiedet, zu dessen zentralen Klauseln gehört, dass bis
2012 alle für den Import in die USA bestimmten Container vor der Verladung in ausländischen
Häfen gescannt worden sein müssen.
Der genaue Wortlaut des Gesetzes geht folgendermaßen:
„A container that was loaded on a vessel in a foreign port shall not enter the United States
(either directly or via a foreign port) unless the container was scanned by nonintrusive
imaging equipment and radiation detection equipment at a foreign port before it was
loaded on a vessel.“
Bereits heute gilt die sogenannte 24-hour advanced manifest rule, nach der die Frachtdaten
von Containerladungen 24 Stunden vor Ankunft eines Schiffes in einem amerikanischen Hafen
elektronisch übermittelt werden müssen. Die Daten werden einer Screening genannten
Überprüfung unterzogen. Ergibt sich ein auffälliges Profil, weil ein Container aus einem
bestimmten Land kommt, von einer nicht als vertrauenswürdig erachteten Firma gepackt ist,
oder laut Frachtpapieren als verdächtig eingestufte Güter enthält, dann wird er im Hafen einer
genaueren Kontrolle unterzogen.
Diese besteht aus zwei Schritten: der primary inspection durch Scannen des Containers
mittels Röntgen oder Gammastrahlen, um den Inhalt eines Containers zu ermitteln. Und der
secondary inspection durch ein Team von Inspektoren, wenn durch das Scannen ein Verdacht
nicht ausgeräumt werden kann. Diese letztere Prozedur ist allerdings extrem zeitaufwändig,
weswegen sie im Vergleich zur Gesamtmenge der Container in verschwindend geringer Zahl
angewandt wird.4
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Drei Aspekte scheinen mir an der 100%-Scan-Inititiative besonders hervorhebenswert:
1. Der Container durchläuft mit der gesteigerten Aufmerksamkeit, die ihm durch
diagnostische Operationen entgegengebracht wird, eine Art Subjektivierung,
die vergleichbar ist mit den Normalisierungsprozessen, denen Menschen in der
Kontrollgesellschaft permanent ausgesetzt sind: einerseits als ein Knotenpunkt von
Daten, die nach Auffälligkeiten und Mustern untersucht werden – (Screening) jeder
Mensch und jeder Container ist verdächtig –, andererseits als potentiell pathologischer
„Körper“, der durch nicht-intrusive und, im Falle eines schweren Verdachts, durch
intrusive Diagnostik daraufhin überprüft wird, ob er OK ist. Der Terrorismus wäre
in dieser Sichtweise ein Krebsgeschwür, das die gesunden Zellen des Welthandels
infiziert und sich in/mit ihnen ausbreitet.
2. Das CSI-Programm geht mit einer Ausweitung der US-amerikanischen „Homeland
Security“ auf Knotenpunkte im gesamten globalen Netzwerk durch Vorverlagerung
der Containerkontrollen einher: Mit der 100 per cent container scanning rule soll
durchgesetzt werden, dass jeder Hafen der Welt, von dem aus Container in Richtung
USA verschifft werden – das beträfe momentan gut 600 Häfen – nach den von der
amerikanischen Regierung beschlossenen Bestimmungen (und im Zweifel mit von
amerikanischen Firmen hergestellten Technologien) eine präventive Containerdiagnostik
als Standard in seinen Abläufen installiert. Jeder Hafen würde zu einer Exklave
des amerikanischen Homelands, CSI-Inspektoren inklusive, die internationalen
Schifffahrtsrouten zu Homeland-Korridoren.
Kritiker des Gesetzeswerks, und sie sind Legion, insbesondere aus den Reihen der
Wirtschaft, aber auch aus dem Department of Homeland Security und der Customs
and Border Protection, sowie der EU und praktisch allen Regierungen Europas, werfen
dem Gesetz vor allen Dingen vor, dass es keinerlei Zuständigkeiten regelt und dass
es ohne jede Absprache mit den betroffenen Ländern und Häfen in deren souveräne
Befugnisse eingreift.5 Der Verdacht liegt nahe, dass es sich bei dem Gesetz in erster
Linie um eine symbolische Maßnahme handelt, die vorspiegeln soll, dass die Regierung
konsequent und energisch handelt, wiewohl eigentlich klar ist, dass das Gesetz in
dieser Form niemals umgesetzt werden kann. Auf der anderen Seite lassen sich hinter
dem Supersignifikanten der bedrohten Homeland Security mühelos massive macht- und
wirtschaftspolitische Interessen entdecken. Denn die USA haben in der internationalen
Schifffahrt ihre führende Stellung schon lange verloren (und werden selbst auf dem
eigenen Festland durch ausländische Konkurrenz bedroht). Die Container Security
Initiative kann also auch als eine Option interpretiert werden, den Fuß wieder in die Tür
des globalen Gütertransports zu bekommen.
3. Noch ein letzter Punkt, der bis jetzt nur eine Nebenrolle spielt, der aber in den
nächsten Jahren, wenn die Programme zur Containersicherheit durchgezogen
werden, noch eine zentrale Rolle spielen könnte: Die Zonen der Verladung werden
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Abb. 18 - 20: Containerscanportale aus einem Werbeprospekt
der Firma SAIC; http://www.
saic.com/products/transportation/icis/icis.pdf.
nämlich, nicht anders als viele städtische Räume, aber
möglicherweise in noch höherer Intensität, mit Strahlen und
Wellen durchsättigt. Denn im Mittelpunkt stehen hier die
Körper der zu durchleuchtenden Container und nicht die der
Menschen, die die Geräte bedienen oder sich gar innerhalb
der Container befinden. Es ist oftmals nicht klar, welche
Gefahren von den Durchleuchtungsgeräten ausgehen und
Kollateralschäden des neuen technologischen Durchleuchtu
ngsparadigmas sind nicht unwahrscheinlich. Ein ganz anders
gearteter, sozusagen systemimmanenter Nebeneffekt des
Transportvorgangs, der bei weitem mehr Schaden anrichtet,
als Terroristen oder blinde Passagiere in Containern, tritt jetzt
schon häufig auf. Er gehorcht der gleichen immunologischen
Logik wie die Anti-Terrorismus-Programme, richtet sich
jedoch gegen tierische „Schädlinge“. Zur Imprägnierung
und Immunisierung vor allem der Verpackungsteile aus
organischen Materialien werden oftmals gefährliche Gifte
eingesetzt, zum Teil solche, die als Giftkampfstoffe im WK I
eingesetzt wurden, wie Gründkreuz. Immer wieder kommt
es zu zum Teil schweren Vergiftungen der Arbeiter, die am
Hafen oder in der Fabrik die frisch eingetroffenen Container
öffnen.6
Anbieter von Containerscannersystemen sind
Firmen wie der kalifornische Rüstungszulieferer
betrieb SAIC, Science Applications International
Corporation, denen sich durch die globale
Reichweite der amerikanischen Containersic
herheitsinitiative ungeheure Profitmöglichkeiten eröffnen. Ihre Vision einer durchleuchteten
Containerwelt fügt sich nahtlos in die flächendeckenden Überwachungsszenarien, die derzeitig
in fast allen reichen Städten der Welt technisch realisiert werden. Orte urbaner Verdichtung
und Orte infrastruktureller Vernetzung werden gleichermaßen zu Agglomerationen von Cell
Spaces. Mensch und Cargo durchlaufen permanent unsichtbare Segmente, die von den
Reichweiten der Überwachungs- und Kommunikationsgeräte definiert sind und dauerhaft
von einer Vielzahl von Frequenzen, Strahlen, Pulsen durchströmt werden. Ein Produkt zur
mobilen Röntgeninspektion, wie es die Firma AS&E, American Sciences & Engineering, Inc.,
ein weiterer großer amerikanischer Anbieter
auf dem wachsenden Sicherheitsmarkt, mit
ihrem Z Backscatter Vehicle anbietet, wirkt
zugleich wie ein High-End-Produkt aus der
Zukunftswerkstatt von Hollywood – zwischen
Robocop und Minority Report – und wie eine
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Erfüllung der inzwischen über 100 Jahre
alten Träume aus den Pionierzeiten der
Strahlentechnologien, als man Röntgengeräte
benutzte, um den richtigen Sitz von Schuhen
sichtbar zu machen.
Abb. 21 - 26: Der Z Backscatter Van, ein als Lieferwagen getarntes Röntgenlabor, im Einsatz. Stillframes aus
einem Werbeclip der Firma AS&E; http://www.as-e.com/popups/zbv_container_xray.asp.
Damit komme ich zu CSI Nummer 2, der Fernsehserie.
Oder müsste ich sagen: CSI Nummer 1? Die Urform des inzwischen durch zwei an
unterschiedlichen Orten spielende Ableger und zahlreiche Derivate verfielfältigten Krimiformats
startete jedenfalls vor dem Anschlag auf das World Trade Center, nämlich im Jahr 2000.
Einen Hinweis darauf, dass der Name der Serie bei der Wahl des Namens für die Behörde
eine Rolle gespielt hat, konnte ich bislang nicht finden, würde ich aber auch nicht ausschließen.
Sollte es diesen Einfluss gegeben haben, müsste man von einer wechselseitigen Beeinflussung
und Steigerung sprechen. Denn, wie der Autor der Serie, Anthony Zuiker, in einem Interview
sagte, der große Erfolg der Serie kam im Gefolge von 9/11:
„We started in 2000 and it was a success, but our ratings really shot up after the
September 11 attacks. People were rushing to us for their comfort food. There was
a sense of justice in CSI – it helped to know that there were people like our characters
out there helping to solve crimes. And, of course, 9/11 was the world‘s largest crime
scene.“7
Heute ist CSI the world’s largest crime scene, nämlich, geht man nach den Zuschauerzahlen,
die erfolgreichste Fernsehserie der Welt. Die von Jerry Bruckheimer produzierten Sendungen
laufen in über 200 Ländern und werden von rund zwei Milliarden Menschen gesehen. Allein in
den USA schalten ca. 60 Millionen Leute drei mal wöchentlich auf den Sender CBS, um keine
der Folgen der drei CSI-Serien, CSI, CSI:Miami und CSI:New York, zu verpassen.8 CSI:New
York startete 2004 mit explizitem 9/11-Bezug: Detective Mac Taylor (gespielt von dem auch
aus Theater und Film bekannten Schauspieler Gary Sinise), der Chef des New York City Crime
Lab, um dessen Handlungen sich die ganze Serie dreht, hat seine Frau bei den Anschlägen
des 11. September verloren. In der ersten Folge der ersten Staffel, „Im Augenblick des Todes“
(„Blink“ im amerik. Orig.) erzählt er am Krankenbett des hirntoten Opfers eines wahnsinnigen
Serientäters von seinem Schmerz über den Verlust seiner Ehefrau, und dass er immer noch
einen gelben Wasserball aufbewahren würde, den sie vor Jahren aufgeblasen hat, weil darin
ihre Luft gespeichert ist. Stellvertretend für die amerikanische Nation leistet Mac Taylor mit
jedem Kriminalfall Trauerarbeit.
Die besteht darin, den nicht selten bis zur völligen Unkenntlichkeit verstümmelten Mordopfern
mit Hilfe von state of the art gerichtsmedizinischen Techniken Identität und Geschichte
zurückzugeben. Wie in einer typischen Szene in einer Folge der ersten Staffel von CSI:
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New York mit dem Titel „Heiße Ware“: Eine Leiche ist im
Containerhafen gefunden worden, der zwischen Stahlkisten
zerquetschte und in zwei Hälften getrennte Körper eines
Mannes. Im Labor setzen die Forensik-Experten die Hälften
wieder zusammen und rekonstruieren anhand der Stellung
des Körpers und mittels eines Körperscans die Abfolge
von Ereignissen, die zu dem Todesfall geführt hat. Dabei
entspinnt sich folgender Dialog zwischen Detective Stella
Bonasera (gespielt von Melina Kanakaredes; im Folgenden
abgekürzt als SB) und dem Gerichtsmediziner Dr. Sheldon
Hawkes (Hill Harper; im Folgenden abgekürzt als SH):
SB: Gute Arbeit! Jetzt sieht er fast wieder aus wie ein
Mensch.
SH: Erst mal setz ich ihn wieder richtig zusammen, dann
finden wir vielleicht einen Hinweis auf die Todesursache.
SB: Paddy Dolan, einer der Hafenarbeiter.
SH: Er hatte einen schrecklichen Tod! Vom Container
erdrückt. Aber, die abwehrende Haltung seiner Hände
beweist eindeutig …
SB: … dass er‘s kommen sah!
[Schnitt. Man sieht in einer Art hypothetischen Rückblende,
wie Dolan vom Container erschlagen wird. Schnitt. Hawkes
führt einen Scanner über die zerquetschte Leiche, während
Bonasera auf den großen Bildschirm über dem OP-Tisch
blickt.]
SH: Es muss die Hölle gewesen sein! Siehst Du die Risse?
Die Bruchstellen der Knochen sind durch die Haut getreten
…
SB: … die Wundränder sind unregelmäßig …
SH: … diese Wunde kommt aber nicht von einem Knochen.
Sie ist glattrandig und läuft am Ende spitz zu.
SB: Eine Stichwunde.
SH: Ja!
SB: Er wurde nicht nur erdrückt. Jemand muss vorher
also noch auf ihn eingestochen haben …
[Hawkes blickt Bonasera bedeutungsvoll von der Seite
an.]
SB: … das war kein Unfall!
Abb. 27 - 32: Stillframes aus CSI:
New York, „Heiße Ware“ (im Orig.:
„Hush“), USA 2005.
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„Den detailbesessenen Kriminalisten entgeht nichts – denn nicht selten hängt die
Aufklärung eines Falls an einem einzigen Haar,“
heißt es auf einer deutschen Website über die Serie.9 Immer, müsste man wohl korrekterweise
sagen. Die Geschichten basieren auf einem Schema, in dem Handlungsmotive, Psychologie,
oder generell, was die an einem Kriminalfall beteiligten Leute sagen, keine, oder jedenfalls
nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Nicht die Herzen, Seelen oder Köpfe, allein die
Körper sprechen und haben dabei auch etwas zu sagen. Fernsehhistorisch hat CSI maßgeblich
eine Wende von den eher psychologischen Ermittlern zu den wissenschaftlichen Detektiven
vollzogen. Es entfaltet ein kriminalistisches Universum der Spur. Forensik, die Sammlung
und kombinatorische Zusammensetzung sprechender Daten, dient als lingua franca aller
Menschen und Dinge in den multiethnischen Metropolen Las Vegas, Miami und New York, in
denen die Serie spielt. Vielleicht liegt darin auch ein Teil ihres Erfolgs.
„Erst aus der Kombination kleinster Einheiten wird im Laufe der Sendung überhaupt ein
Narrativ entwickelt.“ Das Sammeln, Analysieren und Kombinieren mikrologischer Daten, bis
sich daraus eine Sequenz ableiten lässt – die in einer der für die Serie charakteristischen
hypothetischen Rückblenden gezeigt wird, wie man sie z.B. auch aus Hercule Poirot-Filmen
kennt –, ist die übliche Vorgehensweise. „Menschen können lügen, wissenschaftliche Beweise
nicht,“ wie eines der Motti der Serie lautet. Für David Gugerli, der sich im Rahmen seiner
Forschung an einer Geschichte und Epistemologie der Datenbanken mit CSI auseinandergesetzt
hat, ist die Serie Teil eine Art strukturalistischen Wende, wie sie sich allenthalben und in
den verschiedensten sozialen Bereichen mit dem immer häufigeren Einsatz von relationalen
Datenbanken vollzieht.
„Mit Texten, davon war man in den 1970er Jahren überzeugt, ist es wie mit Datenbanken.
Beide hatten sowohl theoretisch als auch pragmatisch eine Rekonfiguration durchlaufen
und verlangten nach variablen Rekonstruktionen des angebotenen Materials, ließen sich
als mehrdeutiges Möglichkeitsfeld verstehen, das variable operative und interpretative
Prozeduren und Entscheidungen zulässt. Weder sollte ihre Präsentation so beschaffen
sein, dass ihre Deutung nur in eingeschränkter, vorgespurter Weise möglich bleibt,
noch können sie für sich selber sprechen. Das wieder aber haben sie mit jenen
elektronischen, biologischen und materiellen Datenbanken gemeinsam, welche die
Welt der forensischen Spezialisten in CSI ausmachen. Nur über die Abfrage dieses
informationellen Möglichkeitsfeldes lassen sich Zusammenhänge simulieren, überprüfen
und erkennen. Dafür braucht es spezielle Technologien, Verfahren und Sprachen, welche
aus vorhandenen Daten neuen Sinn generieren.“10
Als möglicher Gegenstand einer goofy history ist der sogenannte CSI-Effekt bemerkenswertest:
In Amerika diskutiert man seit einiger Zeit intensiv darüber, ob die Fixierung der Serie
auf forensische Beweisketten Einfluss auf das Entscheidungsverhalten von Juroren in
Strafprozessen haben könnte. Galt es lange Zeit als Königsweg zu einem guten Urteil, wenn
über einen Kriminalfall eine konsistente Erzählung vorgelegt wird, die schlüssige Motive liefert
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und womöglich mit einem Geständnis gekrönt ist, so beharren die Laiengremien, von denen
im amerikanischen Strafrechtssystem maßgeblich die Urteilsfindung abhängt, heute immer
häufiger auf das Vorliegen professionell aufbereiteter gerichtsmedizinischer Gutachten.
Bereits in den 1990ern diagnostizierten Kritiker in dem
erstmaligen
Auftauchen
von
Fernsehbildschirmen im Gerichtssaal eine Tendenz zur Entwicklung
des
Gerichtsverfahrens
in
ein
Multimedia
Spektakel.
Heute kommt kaum eine Gerichtsverhandlung ohne die Videos
und Animationen professioneller
Crime
Scene
Analysts
wie
Alexander Jason aus, die sich,
mit den Worten Tom Holerts, auf
die Herstellung „visueller Evidenz“
auf der Basis forensischer Daten
spezialisiert haben.11
Anhänger der These von der
Wirkung eines CSI-Effektes nehmen jüngere Gerichtsurteile als
Beleg, in denen sich die Jury trotz
belastender Zeugenaussagen und
Indizien gegen eine Verurteilung im
Sinne der Anklage ausgesprochen
haben, weil ihnen keine forensischen
Beweise
vorgelegt
wurden. Amerikanische Richter,
so stand es jedenfalls in einem
Artikel des Fernsehkritikers Guy
Adams im englischen Independent
über die kulturellen Auswirkungen
der Fernsehserie zu lesen,
instruierten inzwischen regelmäßig
zu Beginn eines Prozesses die
Jury darüber, dass sie nicht
einer Folge von CSI zusehen
Abb. 33 - 34: Screenshots von der Website eines „Crime Scene Analyst“; http://
www.alexanderjason.com (gesehen am
8.8.07).
Goofy History / Bauhaus-Universität Weimar 13.10.2007 / A. Klose / CSI – Stahlkisten der Pandora/ Skript / Seite 15
würden.12 Der amerikanische Jurist Michael Mann schreibt 2005 in einem Artikel im Buffalo
Public Interest Law Journal, die Staatsanwälte seien unter dem gestiegenen Druck, „harte
Beweise“ zu liefern, inzwischen darum bemüht, ihre Fälle so zu konstruieren, dass sie nicht
nur den geltenden juristischen Standards genügen, sondern auch einem fiktiven Hollywood
Standard.13 In dem gleichen Text weist der Autor aber auch darauf hin, dass diese Tendenz
des amerikanischen Gerichtswesens keineswegs so neu ist wie die Rede vom CSI-Effekt
impliziert, sondern bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit PR-Kampagnen für scientific
crime investigation in Zeitschriftenartikeln, Weltausstellungen, Büchern und Hollywood Filmen
begann. Ein erster Höhepunkt der Entwicklung war, so Mann, die Gründung des Scientific
Crime Detection Lab des FBI, die unter großer publizistischer Anteilnahme erfolgte. Bereits
1950 lief in den Kinos eine Art Proto-CSI, der Film Mystery Street über das Department of
Legal Medicine der Harvard Universität.
Um mit meinem Versuch einer goofy history der beiden CSI und der von ihnen bewirkten
Realitätseffekte zu einem – vorläufigen – Ende zu kommen: Der Umgang mit Realität, mit
so genannten harten Fakten der Gegenwart ebenso wie mit dem, was man als vergangene
Realität, also Geschichte, annimmt, scheint zunehmend in zwei Extreme zu zerfallen, die auf
den ersten Blick widersprüchlich sind, die sich aber wechselseitig stützen: Auf der einen Seite
gibt es eine Politik der Images, eine Ereignisgeschichte der spektakulären und unerhörten
Bilder. Dieser Mechanismus ist in dem instantanen Impuls, aus den Anschlägen auf das World
Trade Center ein „Geschichtszeichen“ zu machen ebenso zu erblicken wie in dem projektiven
Bild des mit einer Atombombe bestückten Containers.
Auf der anderen Seite wirkt eine Ontologie der Daten, die in zunehmend ausschließlichem
Maße die (mindestens die) funktionale Identität von Menschen und Dingen definiert.
Verkürzt könnte man auch sagen: Die Realitäten, mit denen wir es zu tun haben, sind in
zunehmendem Maße größer oder kleiner als die Wirklichkeit, wie wir sie bisher kannten.
Dieser Zerfall in zwei verschiedene Realitätsformen spiegelt sich in der Behälterlogik der Logistik:
Während die transportierten Gegenstände im Inneren der Transportmedien verschwinden,
erscheinen sie einerseits als Bild auf den Außenseiten derselben wieder, andererseits als
Datum, bzw. Ensemble von Daten in Frachtdokumenten. Und auch der CSI-Effekt basiert
auf der beschriebenen Doppelzange aus Verdatung und Bildproduktion, weil er die (Re)Konstruktion vergangener Ereignisse auf mikroskopische Verfahren und die Akkumulation von
Messergebnissen reduziert, die ihre Evidenz jedoch nur in der Aufarbeitung als spektakuläre
Bilder entfalten.
Jean Baudrillard nennt die durch Images und nicht durch Fakten (was auch immer das letzten
Endes sein soll) produzierten medialen Wirklichkeiten Hyperrealität. Aus ihrem Manko an
Realitätsverankerung leitet er die These ab, dass sie in ein Ende der Geschichte münden,
weil eine reine selbstbezügliche Produktion von Simulakren kein Außen mehr kennt und darum
zu keiner Entwicklung mehr fähig sei, sondern nur jeweils genau das Image produziere, dass
gerade opportun ist. In gewisser Weise basierte diese Gesellschaft der Hyperrealität also auf
nichts anderem mehr als einem permanenten Produzieren und Prozessieren von Goofs.
Goofy History / Bauhaus-Universität Weimar 13.10.2007 / A. Klose / CSI – Stahlkisten der Pandora/ Skript / Seite 16
Diese These greift Norbert Bolz auf, wenn er vor dem Hintergrund des kalten Krieges und der
atomaren Abschreckungspolitik die Logik der Simulation als eine projektive Logik analysiert, die
dasjenige ins Bild setzt, was nicht sein darf. Mit Blumenberg nennt er diesen Mechanismus
eine Abschreckung durch Bilder.
„Die Wirklichkeit, in der wir – unter der atomaren Drohung – leben, ist im Kern reine
Erfindung, geboren aus einem Fabulieren über die Möglichkeit totaler Auslöschung.
Das heißt aber: Das Leben im Zeichen der atomaren Drohung ist strukturiert wie das
Unbewußte, in dem es „ein Realitätszeichen nicht gibt, so daß man die Wahrheit und die
mit Affekt besetzte Fiktion nicht unterscheiden kann”. Seit WK II heißt diese eigentümliche
Form der Weltwirklichkeit Kalter Krieg; er ist eine simulierende Antizipation des absoluten
Ernstfalls als Medium staatlicher Selbstbehauptung.“14
Zwar konnte ich mit der These vom Ende der Geschichte noch nie recht viel anfangen. Warum
sollen Simulakren keine Geschichte haben? Doch die Analyse einer Politik der bedrohlichen
Bilder scheint mir sehr treffend. Die Bombe ist als machtstabilisierender Faktor mit dem Fall
der Mauer verloren gegangen, oder hat zumindest massiv an Bedeutung verloren. Ein der
Sowjetunion vergleichbarer staatlicher Gegenpart für die Supermacht USA ist einstweilen
nicht in Sicht. Daher musste der ebenso wenig wie ein Atomkrieg zu gewinnende Krieg gegen
den Terrorismus erklärt werden.
Und wir, wir mussten lernen, die Bomben zu lieben: die diffuse, allgegenwärtige Bedrohung
durch die Bilder des Terrorismus, zu deren machtvollsten die Vorstellung eines mit Kampfstoffen
gefüllten Containers gehört.
Vielen Dank.
Goofy History / Bauhaus-Universität Weimar 13.10.2007 / A. Klose / CSI – Stahlkisten der Pandora/ Skript / Seite 17
Anmerkungen
1 Abrams, Jim, »Law requiring 100 percent cargo screening sets tough standards«, AP,
22.8.2007; http://www.homelandcouncil.org/news.php?newsid=1256.
2 U.S. Customs and Border Protection, Container Security Initiative – 2006 - 2011 Strategic Plan,
http://www.cbp.gov/linkhandler/cgov/border_security/international_activities/csi/csi_strategic_
plan.ctt/csi_strategic_plan.pdf.
3 Steinberger, Petra, »Angst vor der Schachtel. Der Container hat die Globalisierung vorangetrieben
– jetzt aber bringt er sie in Gefahr«. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 136, 15./16.6.02, S.15.
4 Vgl. Martonosi/ Ortiz/ Willis, »Evaluating the viability of 100 per cent container inspection at
America‘s ports«, in: Richardson/ Gordon/ Moore (ed.), The Economic Impacts of Terrorist Attacks,
Cheltenham [u.a.] 2005, S. 218 - 241.
5 Vgl. World Shipping Council, Statement Regarding Legislation to Require 100% Container Scanning, 30.7.2007; http://www.worldshipping.org/wsc_legislation_statement.pdf.
6 Meyer, Cordula, »Kampfgas aus Übersee. Weltweit werden Millionen Container mit gefährlichen
Giften behandelt – ein Risiko für Beschäftigte und womöglich auch Verbraucher. Politik und Betriebe
ignorieren das Problem«, in: Der Spiegel, 6/2007, S. 52f.
7 Adams, Guy, »CSI: The cop show that conquered the world«, The Independent, 19.12.2006;
http://www.news.independent.co.uk/media/article2087137.ece.
8 Ebda.
9 http://www.serien-fan.de/crime/csiny/csinydiestory.php.
10 Gugerli, David, »Die Welt als Datenbank. Zur Relation von Softwareentwicklung, Abfragetechnik
und Deutungsautonomie«, in: Ders./ Hagner/ Hampe/ Orland/ Sarasin/ Tanner (Hg.), Nach Feierabend. Zürcher Jahrbuch für Wissensgeschichte 3: Datenbanken, Berlin/Zürich 2007 (ersch. im
Nov.).
11 Vgl. Holert, Tom, »Evidenz-Effekte. Überzeugungsarbeit in der visuellen Kultur der Gegenwart«, in:
Bickenbach, Matthias/ Fliethmann, Axel (Hg.), Korrespondenzen: Visuelle Kulturen zwischen früher
Neuzeit und Gegenwart, S.198 - 225.
12 Adams, CSI, a.a.O.
13 Mann, Michael, »The “CSI Effect”: Better Jurors Through Television and Science?«, in: Buffalo
Public Interest Law Journal 24, 2006, S. 157-183.
14 Bolz, Norbert, »Die Logik der Simulation«, in: Ders., Eine kurze Geschichte des Scheins, München
1992 (1991), S. 110 - 121; 114.