vergiss nicht, dass du lebst
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vergiss nicht, dass du lebst
Uwe Birnstein VERGISS NICHT, DASS DU LEBST Ein Jahresbegleiter I nhalt Vorwort 6 Januar Wurzeln 8 Februar Masken 46 März Quellen 80 April Licht Mai Liebe 118 156 Juni Wunden Juli 194 Wärme 232 August Freiheit 270 September Körper 308 Oktober Ernte 346 November Schuld 384 Dezember Sehnsucht 422 Nachweis der Bibelzitate / Bildnachweis 464 V orwort Vergessen wir, zu leben? Offensichtlich ist das unmöglich. Der nimmermüde Herzschlag hält doch Sie, hält mich am Leben, der Rhythmus von Tag und Nacht, von Arbeit und Freizeit ist uns so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass wir wie von selbst leben! Über das Leben müsste man sich also eigentlich keine Gedanken machen, wenn – ja, wenn es da nicht auch die Erfahrung dieses merkwürdigen Erwachens gäbe. Diese lichten Momente, in denen uns bewusst wird, dass etwas fehlt. Schlagartig sind sie da. Plötzlich erwachen die Seele und die Sinne und nehmen die Natur wieder wahr, die anderen Menschen, die Freude und die Schönheit, die Tränen und die Traurigkeit. Was es auch immer sein mag, das uns aus dem Alltagstrott reißt: Dieses geschenkte Gefühl des Wachseins macht glücklich und spendet neue Energie. Und eigentlich möchte man es sich bewahren, möchte nicht in das unbewusste Vor-sich-hin-Leben zurück. Nicht in den alten Trott zurückfallen: Dabei möchte Ihnen dieses Buch helfen. Tag für Tag bietet es Ihnen heilsame Worte und phantasievolle Anstöße, Erfahrungen und Raum, die eigenen Sehnsüchte und Gedanken festzuhalten. Es erinnert Sie an das wirkliche Leben jenseits des Funktionierens. Der Jahresbegleiter möchte behutsam Ihre Seele ansprechen – nicht drängend, sondern befreiend und voller Zuspruch. Seelsorgend im besten Sinne des Wortes. Gönnen Sie sich 6 Vorwort regelmäßig eine Auszeit vom Alltag – vielleicht morgens gleich nach dem Aufwachen, vielleicht mittags oder abends. Die Texte dieses Buches werden Ihnen helfen, Ihre Gedanken und Kräfte zu sammeln. In jedem der zwölf Monate des Jahres lädt Sie dieser Jahresbegleiter ein, das Leben unter einem besonderen Aspekt zu betrachten. Eine große Einsicht steht hinter den zwölf Themen: Um an Seele, Geist und Körper heil zu werden, bedarf es der Kunst des Loslassens. Wer sich frei macht von Ansprüchen, Forderungen und Erwartungen, wird den Sinn hinter seiner Lebensgeschichte erkennen. Denn alles, was war, ist und geschehen wird, hat eine Botschaft, die es zu entschlüsseln gilt. Nehmen Sie die Einladung an, lassen Sie sich begleiten. Auf dass Sie nicht zu leben vergessen. Ihr Uwe Birnstein Vorwort 7 JANUAR Wurzeln Sie tragen dich, und du trägst andere. 1. WOCHE Wurzeln entdecken 1 Fragen Was hält dich? Was hält dich? Wer hält dich? An manchen Tagen fürchtest du, der nächste leise Windhauch könnte dich davonwehen. An anderen Tagen wunderst du dich, dass du dem Sturm trotzt, so wie ein Stamm, der sich im Wind biegt, aber nicht bricht. Deine Wurzeln sind es, die dir diese unglaubliche Standfestigkeit verleihen. Bis tief in den Boden reichen sie, unsichtbar und stark. Auf sie kannst du dich verlassen. Januar / 1. Woche / Wurzeln entdecken 11 2 Geschichte Rückkehr Zwölf Jahre hatte sie ihre Eltern nicht gesehen. Eine lange Zeit. Wie würde ihre Mutter jetzt wohl aussehen? Und würde ihr Vater sich noch genauso bewegen wie damals? Es war ein schmerzhafter Abschied gewesen, viel zu schnell, viel zu heftig. Ihr junges Herz war entbrannt für einen Mann. Die erste große Liebe. Die Eltern versuchten, zu bremsen: »Du kannst dich doch nicht so jung schon binden!« Sie konnte. Ein Nein wollte sie nie akzeptieren. Ihrem Herzen wollte sie folgen, und das bedeutete: Flucht. Ihrem Herzen wollte sie folgen, und das bedeutete: Abschied. Gegen den Willen der Eltern. Trennung, Hals über Kopf. Die Vorwürfe, die sie ertragen musste, gingen zu tief. Sie brach den Kontakt ab. Ihr haben die zwölf Jahre gutgetan. Doch als die große Liebe verdorrte, dachte sie mehr und mehr an die Eltern. Ihre Sehnsucht führte sie zurück zu ihnen. Ihre Mutter sah noch aus wie damals, nur etwas älter. Und ihr Vater bewegte sich noch genauso. Und schon am zweiten Abend war sie nicht mehr befangen, sondern frei und glücklich. 12 Januar / 1. Woche / Wurzeln entdecken 3 Weisheit Ahnen Der Mensch wurzelt in seinen Ahnen – aber alle Dinge haben ihre Wurzeln im Himmel. Chinesisches Sprichwort Januar / 1. Woche / Wurzeln entdecken 13 4 Erfahrung Baum Du könntest eine Jacke anziehen gegen die Kälte. Könntest aus der schützenden Wärme heraus in die Natur gehen. Die Straßen hinter dir lassen, den Lärm, die Menschen. Dorthin gehen, wo du allein bist, wo die Stille dich umfängt und die Augen nicht geblendet werden von den vielen Reizen des Alltags. Lenke deine Schritte zu den Bäumen; du wirst ihre mächtigen Kronen sehen, den starken Stamm und vielleicht auch die Wurzeln, die sich aus dem Erdboden wölben und dich ahnen lassen, dass sie diesen Baum nähren. Vielleicht gelingt es dir, dich für einen Moment mit dem Baum eins zu fühlen. Auch du ragst in den Himmel, auch du bist geerdet und wirst getragen von Wurzeln, die dir unentwegt Lebenskraft zuführen. 14 Januar / 1. Woche / Wurzeln entdecken 5 Meditation Verwurzelt Die Kraft, die dich durchströmt, kommt aus der Tiefe. Aus Regionen, die sich der bewussten Wahrnehmung entziehen. Dort, in der Dunkelheit und Undurchdringlichkeit des Bodens, gebiert das Leben sich neu aus dem Tod. Das Vergängliche wird neu aufbereitet und wieder lebensdienlich. Aus abgestorbenen Pflanzen strömen Nährstoffe. Wurzeln saugen sie begierig auf und leiten sie weiter in den Stamm. Von dort gelangen sie bis in den kleinsten Zweig, in Blatt und Blüte. Aus Gewesenem entsteht neues Sein. Das Leben sucht sich seinen Weg aus der Dunkelheit ins Licht. Eine Verwandlung, seit Jahrtausenden, Jahrmillionen. Auf geheimnisvolle Weise verleiht dir das Vergangene Lebenskraft für die Zukunft. Und lehrt dich, dass auch du vergänglich bist. Januar / 1. Woche / Wurzeln entdecken 15 6 Zitat Glaube Was ist selbst der glücklichste Mensch ohne Glauben? Eine schöne Blume in einem Glase Wasser, ohne Wurzel und ohne Dauer. Ludwig Börne 16 Januar / 1. Woche / Wurzeln entdecken 7 Meine Gedanken Ein Baum Irgendwo liegen sie noch, die Buntstifte. Oder der Tuschkasten. Oder die Aquarellfarben. Es ist nicht schwer, einen Baum zu zeichnen. Januar / 1. Woche / Wurzeln entdecken 17 2. WOCHE Wurzeln finden 8 Fragen Wo liegt das Ziel? Eltern? Glaube? Heimat? Kindheit? Manchmal ist die Suche nach den eigenen Wurzeln wie eine ziellose Reise. Du kannst mit einem festen Ziel aufbrechen – und unterwegs merken, dass du nach etwas ganz anderem Ausschau halten musst. Richte dich auf eine längere Zeit ein. Gib deinen Sinnen Gelegenheit, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Dann, früher oder später, wirst du erkennen, was dich trägt. Januar / 2. Woche / Wurzeln finden 19 9 Geschichte Traum Noch heute läuft ihr ein Schauer über den Rücken, denkt sie an jenen Sommertag zurück: Mit einer Reisegruppe war sie nach Polen gefahren, nach Danzig, dann an der Küste entlang weiter bis Kaliningrad. Als sie in einem kleinen Dorfgasthof haltmachten, spürte sie zum ersten Mal diese merkwürdige Unruhe. In den kurzen Zeiten, in denen ihr Schlaf vergönnt war, sah sie sich in ihren Träumen als Kind, mal mit der Mutter, mal allein und plötzlich mit einem alten Mann im Hintergrund. Nur schemenhaft trat er ins Bild, ein Schatten fast. Dieser Traum ließ sie nicht mehr los. Nach drei Jahren kam sie dem Geheimnis auf die Spur. Ihre Mutter vertraute ihr das Geheimnis an: An jenem Ort war ihr Vater gestorben. Geschwächt von der Flucht, hatte er sich einfach hingesetzt und sich vom irdischen Leben verabschiedet. Der Körper geschunden von den Strapazen, hungernd, frierend, der Tod kam unerwartet schnell. Und die Mutter zog mit ihrer kleinen Tochter weiter gen Westen. 20 Januar / 2. Woche / Wurzeln finden 10 Weisheit Gott Er ist wie ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist und am Bach seine Wurzeln ausstreckt: Er hat nichts zu fürchten, wenn Hitze kommt; seine Blätter bleiben grün; auch in einem trockenen Jahr ist er ohne Sorge, unablässig bringt er seine Früchte. Jeremia 17,8 Januar / 2. Woche / Wurzeln finden 21 11 Erfahrung Mitbringsel Du könntest dir eine Wurzel mitbringen von deiner Wanderung. Auf dem Waldboden findest du sie, abgestorbene Zeugen der Vergangenheit. Lass dich leiten von deiner inneren Stimme, sie wird dir zeigen, welcher Wurzelstrang zu dir gehört. Nimm ihn mit nach Hause. Säubere ihn, betrachte ihn. Pflege ihn, damit er im rechten Licht glänzt und einen Teil seiner Schönheit offenbart. Dann gewähre ihm einen Ehrenplatz in deinem Zimmer. Seine Anwesenheit wird dir guttun. 22 Januar / 2. Woche / Wurzeln finden 12 Meditation Fortleben Viele sind vor uns, und viele werden nach uns kommen. Viele? Unzählige! Sie haben Weichen gestellt auch für dein Leben, für deine Gefühle, für dein Sein und deinen Glauben. Väter und Mütter, Vorfahren – ihr Wesen lebt in dir fort, bruchstückhaft. In deinem Blut fließen die Erfahrungen unzähliger Generationen, sprudeln grenzenlose Freude und bitterste Trauer, geheime Weisheit und offenbare Lebenslust. Mögest du die Neugierde nicht verlieren auf das, was in deinen Wurzeln steckt. Januar / 2. Woche / Wurzeln finden 23 13 Zitat Felsen Wenn Regen rieseln auf die junge Rasenflur und Wälder duftend blühen, flaumig, wolkenblass, will ich in Felsen wurzeln wie der Feigenbaum und sanft und sammetweich werd’ ich gebettet sein. Buddha 24 Januar / 2. Woche / Wurzeln finden 14 Meine Gedanken Stamm Gibt es ein geeigneteres Bild als einen Baum, um sich seiner Vorfahren bewusst zu werden? Zeichne deinen Stammbaum. Achte auf die Gefühle, die dich ereilen, wenn du dich an deine Vorfahren erinnerst: Sie tragen dich durchs Leben. Januar / 2. Woche / Wurzeln finden 25 Bibliografische Information: Deutsche Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2010 Pattloch Verlag GmbH & Co. KG, München Copyright © 2010 der eBook Ausgabe by Knaur eBook. Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München ISBN 978-3-426-40437-9 Besuchen Sie uns im Internet: www.knaur-ebook.de http://www.facebook.com/knaurebook http://twitter.com/knaurebook