Diplomkonzept

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Diplomkonzept
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photography project michael kunze
Einleitung
Die meisten Menschen halten das Sehen für selbstverständlich, denn es fällt uns leicht. Mit unserem
die Netzhaut. Das liegt daran, dass die Kamera eintreffende Informationen aufzeichnet, während das
Sehsinn finden wir schnell und effizient durch eine reichhaltige, dreidimensionale Welt voller Licht,
Gehirn sie interpretiert. Erst die Interpretation dieser Informationen durch ein komplexes Zusammen-
Schatten, Tiefe, Texturen und Farben eine komplexe, sich bewegende Welt mit Objekten verschiedener
spiel mit dem Gehirn macht die optische Aufnahme von etwas Vorfindlichem zum wirklichen „Sehen”,
Größen in verschiedenen Distanzen. Wenn wir uns umsehen, erfassen wir die „reale Welt”.
also zur Wahrnehmung der sichtbaren Welt. Und das Gehirn ist ein großer Dichter. Das gleiche visuelle
System, das die Welt rund um uns interpretiert, interpretiert auch das Foto, sodass es wie eine dreidi-
Tatsächlich erzeugt unser visuelles System mittels der Wahrnehmung ein so genaues Bild von der
mensionale Szene wirkt. So erscheint es uns nur so, als ob ein Foto ein dreidimensionales Abbild zeigen
realen Welt, dass die meisten von uns gar nicht merken, welche Leistung unser Gehirn da vollbringt.
würde, doch das tut es nicht, es wird nur im Gehirn als solches interpretiert.
Ohne bewusstes Denken sammelt und interpretiert das Sinnessystem des Sehens komplexe Informationen und ermittelt uns damit einen lückenlosen persönlichen Eindruck von unserer Umgebung.
Die Wahrnehmung ist nicht immer perfekt. Manchmal interpretiert das Gehirn ein statisches Bild auf
der Netzhaut auf mehr als eine Art. Ein Würfel aus Linien, bekannt als Necker-Würfel (Abb. 1), benannt
Dadurch fällt es schwer, dass Problem des Sehens zu erkennen. Die meisten Menschen gehen häufig
nach seinem Entdecker dem Physiker Louis Albert Necker, ist ein klassisches Beispiel für ein einfaches
davon aus, dass sie eine Art Fotoapparat oder Filmkamera im Kopf haben. Das Auge stellen sie sich
Bild, das auf mehr als eine Art interpretiert werden kann. Wenn man diesen Würfel beliebig lange
als Linse eines Projektors vor, von der das Bild irgendwie statt auf eine Leinwand in das Bewusstsein
fixiert, wird seine Tiefe spontan umspringen, auch wenn das Bild auf der Netzhaut gleich bleibt. Das
projiziert wird. Tatsächlich existiert das Bild der Welt, so wie es auf einem Foto zu sehen ist, nur bis auf
Gehirn interpretiert diese widersprüchliche Tiefenhinweise.
Abb. 1: Necker-Würfel
Abb. 2: Variante Necker-Würfel
Manchmal sind unsere Wahrnehmungen auch falsch. Häufig werden diese Irrtümer als Illusionen bzw.
Wenn Illusionen keine Fehler des visuellen Systems sind, was sind sie dann? Was unterscheidet sie
als Täuschungen klassifiziert und von vielen als Fehler des visuellen Systems betrachtet, als eigenartige
grundlegend von denen, die wir als normal wahrnehmen? Der wichtige Unterschied ist eine erkenn-
Ausnahmen vom normalen Sehen. Mehrere namhafte moderne Wissenschafter lieferten durch ihre
bare Kluft zwischen Wahrnehmung und Verstand. Durch eine Illusion wird unsere Wahrnehmung in
Untersuchungen und Experimente unterschiedliche Beschreibungen dieser Art. Marvin Minsky der als
die Irre geführt, doch nicht der Verstand. Man sieht etwas Falsches, doch man weiß, dass es falsch ist.
Vater der künstlichen Intelligenz gilt, nannte sie „Bugs” („Defekte”), Richard Gregory, Pionierforscher
Zuerst kann auch der Verstand genarrt sein, doch zu diesem Zeitpunkt ist man sich noch nicht bewusst,
auf dem Gebiet des Sehens und der Illusionen, „Fehler”, und Nobelpreisträger Francis Crick, der in
dass man es mit einer Illusion zu tun hat. Nur wenn Wahrnehmung und Verstand uneins sind, ist man
letzter Zeit am Problem des visuellen Bewusstseins arbeitete, „teilweises Versagen”.
sich bewusst, dass es sich um eine Täuschung handelt.
In Wahrheit sind Illusionen nichts davon. Dieselben Prozesse, die dem „normalen” Sehen zu Grunde
Außerdem wird die Wahrnehmung bei nahezu allen bildlichen Illusionen weiterhin getäuscht bleiben,
liegen, bringen auch die Illusionen hervor. Illusionen zu verstehen heißt, den normalen Sehprozess zu
auch wenn der Verstand in Ordnung ist, egal wie oft man die Illusion betrachtet. Es spielt keine Rolle,
verstehen. Den normalen Sehprozess zu studieren heißt, mit verschiendensten visuellen Experimenten
wie alt, wie klug, wie gebildet oder künstlerisch begabt man ist, diese Illusionen werden einem immer
und Versuchen zu hinterfragen, wie wir unsere Welt wahrnehmen. Viele Sehforscher studieren Illusio-
wieder in die Irre führen. Tatsächlich kann man falsche Wahrnehmungen nicht „löschen”, auch mit
nen, weil diese manchmal die verborgenen Gesetze und Komplexitäten der Wahrnehmung auf eine
viel Erfahrung, Wissen oder Übung nicht. Es ist ein starker Hinweis darauf, dass die Art und Weise, wie
Weise enthüllen, wie es normale Wahrnehmungsprozesse nicht tun.
unsere visuelle Wahrnehmung die Welt interpretiert, stark reglementiert ist.
Abb. 3: Darstellung eines Würfels in Parallel- und Zentralperspektive
Abb. 4: Schröder-Treppe
Abb. 5: Variante Schröder-Treppe
Perspektiven
Das Erzeugen von Tiefe durch das Verdecken von Objekten war in der Malerei noch bis zur Renaissance
auf unserer Netzhaut abgebildet wird, trotzdem haben wir keine Probleme damit, das Gesehene zu
das gängigste Hilfsmittel, um Objekte in einen räumlichen Kontext zu stellen. Die Maler mussten sich
entschlüsseln. Aber es tauchen bei dieser Art der Perspektive einige Phänomene auf, die uns erkennen
mit Notlösungen bei Perspektiven Problemen behelfen. In den Bildern gibt es keinen gemeinsamen
lassen, wie fragil das System unserer räumlichen Organisation ist.
Fluchtpunkt. Um dieses Problem zu kaschieren, platziert der Maler zum Beispiel eine Säule an der
Stelle, an der sich die Bodenplatten hätten treffen müssen. Viele Bilder aus dieser Zeit wirken daher
Kommen wir zurück zu dem schon genannten Würfel-Phänomen (Abb. 2), Im Gegensatz zum Necker-
befremdlich auf uns. Wir merken, dass die Proportionen nicht stimmig sind und alles zu flach erscheint.
Würfel, bei dem wir immer Außen- und Innenseite gleichzeitig sehen, springt dieser Würfel zwischen
konkav (nach innen gewölbt) und konvex (nach außen gewölbt) hin und her. Einmal sehen wir nur die
Ein Meilenstein war dann 1410 die Entdeckung der Zentralperspektive durch den Bildhauer und
Außen- und einmal nur die Innenseite des Würfels. Dieses Prinzip begegnet uns auch bei der Schröder-
Baumeister Filippo Brunelleschi. Trotz der Anerkennung der Zentralperspektive als das von den Seh-
Treppe und der Variante mit Würfeln (Abb. 4 und 5) wieder. Auf den ersten Blick sind die beiden Punkte
gewohnheiten her Richtige, ist sie keine notwendige Voraussetzung für Tiefenwahrnehmung und auch
vermutlich auf einer Stufe zu sehen. Zu beachten ist dabei, dass wir die Stufen an den konvexen Kan-
nicht die einzige (Abb. 3). Gerade mathematische sowie geometrische Zeichnungen bedienen sich
ten voneinander trennen. Nach einer Weile (oder wenn Sie die Zeichnung auf den Kopf stellen) kippt
oft der Parallelperspektive bzw. Parallelprojektion. Dabei werden alle Linien, die am Körper parallel
die Wahrnehmung und konvexe Kanten werden zu konkaven. Dadurch teilen wir in der jetzt über Kopf
zueinander laufen, auch parallel gezeichnet, wie zum Beispiel beim Necker-Würfel oder der Schröder-
hängenden Treppe die Stufen neu ein und sehen die Punkte auf zwei verschiedenen Treppenstufen.
Treppe. Es gibt keinen Fluchtpunkt. Das entspricht zwar nicht unseren Sehgewohnheiten und dem, was
Geübte Menschen können das Bild binnen kürzester Zeit immer wieder „kippen” lassen.
Abb. 6: M.C. Escher „Konkav und Konvex”, 1955
Ideenentwicklung
M.C. Escher hat aus diesem Mechanismus ein Bild geschaffen (siehe Abb. 6). Durch die Art der Insze-
Den Konstruktionsregeln, die der dreidimensionalen Wahrnehmung zu Grunde liegen, müssen wir also
nierung sehen wir die linke Hälfte des Bildes konvex und die rechte konkav. Wenn es Ihnen schwer
blind vertrauen, denn sie sind die Basis für unsere Orientierung in der dritten Dimension. Dadurch dass
fällt, decken Sie zunächst die rechte oder linke Hälfte des Bildes ab und folgen Sie mit Ihren Augen
wir das so bedingungslos tun, werden so manche optische Trickserien erst möglich.
einem der Männer, über die Leiter ins Bild. Sobald Sie die Mittle überqueren, wird sich das Bild unweigerlich umkehren und was vorher Boden war, wird zur Decke.
Basierend auf der Tatsache, dass wir Räumlichkeit auch mit der Parallelperspektive interpretieren können und mit dem Phänomen das diese Parallelperspektive auch „kippen” kann, habe ich mich gefragt,
Was wir hier zu sehen bekommen, ist auch genau der Fall, den unsere visuelle Intelligenz als Möglich-
ob es auch möglich ist, dieses auch in der Fotografie anzuwenden? Damit keine Kippbilder entstehen,
keit ausschließt, wenn sie zweidimensionale Darstellungen in dreidimensionale umwandelt. Denn im
sollte mit klaren Linienhierarchien, Überschneidungen, Licht- und Schattenverhältnissen für eindeutige
allgemeinen wird sich das Gehirn auf die einfachste Weise organisieren. In vielen Fällen fällt es dem
Ansichten gesorgt werden, heißt es in der klassischen Malerei. Man spricht hierbei von parallelperspek-
Menschen leichter, eine zweidimensionale Zeichnung als dreidimensionales Objekt zu interpretieren.
tivischen Kippbildern. Aber was wäre wenn man versucht genau diese Darstellungsmittel zur Verdeut-
Wir sehen Bilder dann räumlich, wenn die Organisationen in drei Dimensionen einfacher sind als in
lichung der richtigen Ansicht zu umgehen und es dem Betrachter dadurch ermöglichen würde, andere
zwei. Im wirklichen Leben ist die Wahrscheinlichkeit einer solchen Zufallsansicht zu begegnen schlicht
Interpretationen des Raumes zuzulassen? Inwieweit verändert sich die Wahrnehmung des Raumes?
und ergreifend viel zu gering. Festzuhalten ist, dass wir räumliche Tiefe aus dem zweidimensionalen
Unter welchen Voraussetzungen ist es möglich ein solches Abbild, folgend dem Beispiel der genannten
Netzhautbild konstruieren müssen, und dass wir dadurch anfällig sind für gut gemachte Täuschungen.
Schröder-Treppe oder dem Necker-Würfel, mit fotografischen Mitteln zu entwickeln?
Abb. 7: Wegkreuzung jeweils um 180° gedreht
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Aufnahmeverfahren und Postproduktion
Wenn man die Abbildung der Schröder-Treppe um 180° dreht, ist sie vollkommen identisch mit der
Wichtig ist, es dass es sich bei den abgebildeten Objekten um einfache geometrische Objekte handelt.
Abbildung vor der Drehung. Sie ist in beiden Fällen im Bezug auf die Räumlichkeit völlig gleich inter-
Objekte die eine komplexere Form haben, werden von dem Menschen schwer oder gar nicht umge-
pretierbar. Diese Eigenschaft der Parallelperspektive kann man auch gleichermaßen mit Fotografien
kehrt erscheinen. Sie sind Störfaktoren, die dem Betrachter das Gefühl geben, an dem Bild stimmt
anwenden, welche in einer bestimmten Art und Weise aufgenommen wurden.
etwas nicht. Man erkennt sofort, was auf der Abbildung oben bzw. unten ist. Um diesen Störfaktoren entgegenzuwirken, ist es möglich dem Betrachter durch Einbindung komplexer Objekte in der
Wenn man zum Beispiel eine Wegkreuzung in einer Aufsicht mit dem Winkel von 45° mit einem be-
perspektivisch richtigen Richtung, einen Bezugspunkt zu bieten. Dies kann durch Nachbearbeitung am
stimmten Ausschnitt fotografiert, wobei sich die Linien und Flächen auch im Winkel von 45° kreuzen
Computer realisiert werden. So kann zum Beispiel eine Person auf einer umgekehrten Ebene, welche in
und dann diese Aufnahme um 180° dreht, ist es möglich diese Flächen und Kanten der Wegkreuzung
der Realität so nicht existieren kann, dem Betrachter einen Raum der eigentlich konkav ist, vollkommen
eine Ausdehnung im Raum zu geben, die es in manchen Fällen gar nicht geben kann (Abb. 7). Der
konvex erscheinen, da die abgebildete Person nur in diesem konvexen Raum so existieren kann. Dieses
Vordergrund des aufgenommenden Weges wird dabei zum Hintergrund und umgekehrt. Eine solche
Hilfsmittel ist nicht notwendig, aber wichtig, da es dem Betrachter die „Umkehrung“ stark erleichtert.
Kreuzung sieht vor und nach der 180° Drehung (fast) völlig deckungsgleich aus. Sie ist in beiden Richtungen interpretierbar. In manchen Fällen erzeugen Linien und Flächen in Kombination untereinander
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, die herrschende Zentralperspektive in eine Parallelperspektive umzu-
auch Objekte, zum Beispiel eine Ecke eines Raumes, welche entweder als konkav oder auch als konvex
wandeln. Wie schon erwähnt, gibt die Parallelperspektive die räumlichen Verhältnisse nicht korrekt wie-
interpretiert werden können. Ich spreche hierbei von einer „Umkehrung des Raumes“.
der, weil sie die Verkürzung von gleichen Elementen in die Raumtiefe nicht berücksichtigt. Dies kommt
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Abb. 8: Schriftzug „This Side Up“
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THIS SIDE
Name und Logoentwicklung
durch die Annahme zustande, dass sich die Sehstrahlen parallel ausbreiten und sich nicht in unserem
Bei dem Namen dieser Arbeit beziehe ich mich auf die Verpackungsindustrie, die bei Verpackungen den
Auge sammeln. Aber bei kleinen und bei weit entfernten Gegenständen (Teleobjektiv-Effekt durch
Aufdruck bzw. die Markierung „This Side Up“ (dt. Übersetzung: „Diese Seite oben“) benutzen. Bei die-
großen Abbildungsmaßstab) wirkt sie eher natürlich, da die schwache Ausgeprägtheit der Flucht bzw.
sen Verpackungen ist es wichtig aus technischen Gründen zu markieren, welche Seite bei der Lagerung
Verjüngung in diesen Fällen unserer Seherfahrung entspricht. Also eine Stadtlandschaft die mit einem
oben und welche Seite unten sein sollte. Dieser Aufdruck ist eine Aufforderung an den Benutzer.
kleinen Winkel (Teleobjektiv-Effekt) von einer großen Distanz aufgenommen hat, weist an sich schon
starke parallele Linien auf. Diese können weiterhin auch mittels der Nachbearbeitung am Computer so
Diese Aufforderung beziehe ich auch auf die Bilder des Buches, welche dem Betrachter ein verdrehtes
entzerrt werden, dass abgebildete Linien sehr parallel verlaufen. Somit entsteht eine künstliche Paral-
Oben und Unten zeigen. Dem Betrachter wird im wörtlichen Sinne ein richtiges Oben und Unten aufer-
lelperspektive, die die „Umkehrung des Raumes“ sehr erleichtert. Diese muss nicht vollkommen genau
legt. Es wird ihm schwergemacht dieser Aufforderung zu entgehen, ihr also nicht Folge zu leisten.
sein, da der Mensch leichte verzerrten Ansichten auszugleichen scheint.
Um aber die Möglichkeit des Betrachters die Bilder zweierlei sehen zu können darzustellen, habe ich
Ein letzter Punkt ist es, auf mögliche Schatten und Lichter zu achten, welche dem Betrachter sehr
das Wort „Up“ um 180° gedreht. Somit wird der klaren Aussage „This Side Up“ sofort widersprochen.
schnell eine Orientierung geben kann, wo oben und wo unten ist. Schatten sind sehr wichtige Be-
Wie die Bilder selbst, ist das veränderte Logo nun in Verhältnis zu Aussage und Typografie ein starker
zugspunkte zur Raumorientierung. Die Schatten der eingebauten Bezugsobjekte sollten stets zu der
Widerspruch. Die Aussage „This Side Up“ wird mit dieser Veränderung sofort in Frage gestellt. Wo ist
Umgebung passen, sei es in Richtung, Intensität und auch Länge.
denn nun Oben und Unten? Diese Frage stellt sich natürlich auch gleichermaßen bei den Bildern.
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Gestaltung des Buches
Zielsetzung und Aussage
Das Layout des Buches ist so gesetzt, dass es mit Verwendung von Bildrändern und vieler Freiseiten
„Es geht auch anders, doch so geht es auch!“ lautet ein bekanntes Zitat von Bertholt Brecht. Bei mei-
den Bildern möglichst viel Platz, Freiraum, Ruhe und Stabilität gibt. Dieser Freiraum soll den Blick
ner Arbeit geht es um konstruierte Alternativen, um manipulierte Raumwahrnehmung, basierend auf
hauptsächlich auf die Fotos lenken. Sie soll dem Betrachter ein schlichtes und elegantes Umfeld bieten,
der Art und Weise der Menschen zweidimensionale Abbildungen dreidimensional zu interpretieren. Es
in dem er sich schnell zurecht finden kann.
handelt sich hierbei um erlernte Wahrnehmung. Es ist interessant, was zum Beispiel Anthropologen von
Naturvölkern berichten, die zuvor noch keinerlei Kontakt zu Fotografien hatten. In Reiseberichten heißt
Die Verwendung von Typografie sollen diesen Ansatz zusätzlich unterstützen. In dem Buch sind ausge-
es, dass sie das Foto in der Hand wiegen, es umdrehen und nichts damit anzufangen wissen. Wenn
wählte Zitate und Textauszüge veröffentlicht. Sie stammen von verschiedensten Persönlichkeiten aus
man ihnen erklärt, dass sie darauf eine ihnen bekannte Person sehen und die Körperteile benennt,
Wissenschaft, Kunst, Literatur etc.. Bei ihnen handelt es sich um Aussagen bezüglich Wahrnehmung
fangen sie an zu verstehen und sind ab dann in der Lage, Fotografien zu „lesen“.
und Erfahrung. Es sind teilweise humorvolle und ernste Aussagen. Auf keinen Fall sollen diese belehren.
Manche Zitate greifen die Aussage der Fotos auf, unterstützen, widersprechen oder gar negieren diese,
Ich möchte dem Betrachter ermöglichen Dinge aus einer anderen Perspektive zu zeigen, Räume zu
manche nehmen keinen direkten Bezug auf das gegengestellte Bild. Weiterhin soll die Typografie
sehen und im Kopf zu konstruieren, welche es gar nicht geben kann, dem Betrachter Widersprüche zu
dem Betrachter stets vermitteln, welche Seite die richtige Seite zum Betrachten der Bilder ist. Mir ist
zeigen. Die Bilder sollen keineswegs perfekt bearbeitet sein. Erst durch Widersprüche der abgebildeten
bewusst, dass ein großes Stück an Faszination dadurch verloren gehen kann, wenn man das Buch und
Objekte in ihrem Umfeld ist es möglich den erlernten Blick zu hinterfragen. Ist denn die Welt wirklich
damit die Bildern um 180° dreht und dadurch Wirkungsweise erkennen kann.
so, wie wir sie sehen, sehen zu glauben oder gar konstruieren?
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Auszüge aus dem Buch „This Side Up“
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Auszüge aus dem Buch „This Side Up“
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„Laß uns über Wahrnehmung reden. Sehen wir wirklich andere so wie sie sind oder sehen wir
sie wie wir sie sehen möchten, ein Bild welches durch unsere eigenen Sinne verzerrt ist? Ich habe
heute eine Freundin verloren und das Lustige daran ist, ich weiß nicht einmal wer sie war.
“Talking perceptions, people. Do we really see each other for what we really are, or do we just
see what we want to see, the image distorted by our own personal lenses? I lost someone today
and the funny thing is, I don’t even know who she was.” [Jeff Melvoin]
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„Und wie eine und dieselbe Stadt, von verschiedenen Seiten und Winkeln betrachtet, immer
wieder anders und perspektivisch vervielfältigt erscheint, so geschieht es auch, daß es wegen
der unendlichen Menge der einfachen Substanzen ebensoviele verschiedene Welten gibt, die
gleichwohl nichts anderes sind, als die perspektivischen Ansichten des einzigen Universums.“
“And as one and the same town, seen from different sides and angles, always seems different
and also perspectively duplicated. It also happens because of the infinite amount of simple
substances, that there are just as many different worlds, which nonetheless are nothing else
than perspective views of the one and only universe.” [Gottfried W. Leibniz]
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Auszüge aus dem Buch „This Side Up“
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Literaturliste
Barck, Karlheinz: Aisthesis, Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, 5., Aufl., Leipzig : Reclam 1993, 480 S.
Block, J. Richard: Ich sehe was, was Du nicht siehst: 250 optische Täuschungen, Wien: Buchgemeinschaft Donauland 1993, 220 S.
Böhme, Gernot: Aisthetik: Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre, München : Fink 2001, 199 S.
Ditzinger, Thomas: Illusionen des Sehens, Reise durch die fantast. Welt opt. Wahrnehmung, München: Südwest-Verl. 1997, 208 S.
Escher, Maurits C.: Die Magie des M. C. Escher, Vorw. von W. F. Veldhuysen, Köln: Taschen 2003, 196 S.
Frisby, John P.: Optische Täuschungen: Sehen, Wahrnehmen, Gedächtnis, Augsburg: Weltbild-Verl. 1987, 188 S.
Gombrich, Ernst H.: Kunst, Wahrnehmung, Wirklichkeit, 1. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp 1977, 156 S.
Kerner u. Duroy: Bildsprache 1, Lehrbuch Fachbereich Bildende Kunst, 10. Aufl., München: Don Bosco Verlag 1998, 284 S.
Leibniz, Gottfried Wilhelm: Monadologie, 3. Aufl., Stuttgart: Reclam 1954 (1979), 72 S.
Pape, Helmut: Die Unsichtbarkeit der Welt, 1. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997, 492 S.
Reid, Thomas: An Inquiry into the Human Mind, 3. Aufl., Hildesheim: Nachdruck Aberdeen 1983, 76 S.
Schonbauer-Al-Madhi, Aida: Die Autologie von Wahrnehmungsparadoxen,Univ. Wien, Diss. eingereicht 1990, 172 S.
Seckel, Al: Das große Buch der optischen Illusionen, Wien: Buchgemeinschaft Donauland 2004, 208 S.
Seckel, Al: Optische Illusionen, aus d. Engl. von Leonie Hodkevitch, Wien: Tosa-Verl. 2001, 160 S.
Shepard, Roger N.: Einsichten & Anblicke - Ansichten & Einblicke, Heidelberg: Spektrum-d.-Wiss.-Verl.-Ges. 1991, 243 S.
Šklovskij, Viktor: Theorie der Prosa, 2. Aufl., Frankfurt am Main: Fischer 1966, 192 S., S. 12-14
Stoklossa, Uwe: Blicktricks, eine Entdeckungsreise in die alltägliche Welt der Wahrnehmung, 1. Aufl., Mainz: Schmidt 2005, 270 S.
Voltaire: Geschichte vom Mikromegas, 3. Aufl., Stuttgart: Weitbrecht Verlag 1984, 196 S.
Text, Gestaltung und Satz: Michael Kunze
© 2006 für die abgebildeten Werke von Michael Kunze
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