Erst verfeindet, dann vereint

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Erst verfeindet, dann vereint
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Publisher 5·2000
Fokus
Typografie
Erst verfeindet, dann vereint
OpenType nennt sich ein von Microsoft und Adobe gemeinsam begründeter Standard für
Vektorschriften. Ganze vier Jahre nach der Übereinkunft ist nun mit Windows 2000 zum
ersten Mal ein Betriebssystem mit der OpenType-Technologie ausgestattet.
n MATTHIAS SCHÜSSLER Geht es
um
die
Da
die
Schrift auf dem Computer, wird
Branche ihrem Ruf nicht gerecht.
kann von «Schnelllebigkeit» nicht
Rede sein. Bereits im Juni 1996
hatte. Lassen sich nämlich Schriften
in Internetseiten einbinden, stellt sich
sofort die Frage des Urheberrechts:
Kein Schriftenhaus würde sich mit
einer Web-Font-Lösung einverstanden
Type Open Version 2 bezeichnet. Ein
OpenType-Font kann entweder Type1oder TrueType-Daten enthalten – oder
auch beides. Der Benutzer soll sich
jedoch nicht darum kümmern müssen,
nach welchem Standard die Schrift
beschrieben ist. Diese Pflicht obliegt
dem Rasterizer – also der Software-Routine, welche aus den Vektorinformationen ein Bitmap-Bild für die Darstellung
am Bildschirm erzeugt. Wenn im System
ein Type1-Rasterizer, beispielsweise
Adobe-Type-Manager (ATM), installiert
ist, dann übernimmt dieser die Anzeige
der Postscript-Fontressource. Fehlt ATM,
dann konvertiert sie der TrueType-Rasterizer vor der Darstellung am Bildschirm in einen TrueType-Umriss.
Schriften «funktionieren»
Sind hinter den Kulissen die
Zuständigkeiten erst einmal geklärt,
hat das für den Benutzer viele Vorteile:
Schriften «funktionieren», gleichgültig,
ob sie für den Mac oder für Windows
entwickelt wurden. Und auch ein Win-
Web-Font-Einbettung mit WEFT
Unter Windows 2000 sind die Systemschriften als OpenType-Fonts – erkennbar am
Ikönchen mit dem O – vorhanden.
haben sich Adobe und Microsoft gefunden und in einem Abkommen den so
genannten «Schriftenkrieg» beigelegt.
Ein neuer Standard wurde ins Leben
gerufen, der Inkompatibilitäten bei den
digitalen Fonts ein für allemal beseitigen sollte. Doch bislang war von
«OpenType», dem gemeinsamen Nachfolger von TrueType und Type1, weit
und breit nichts zu sehen.
Dies hat sich jedoch mit Windows
2000 geändert. Im Nachfolger von NT
4 hat Microsoft die neue Fonttechnologie zum ersten Mal in ein Betriebssystem eingebaut. Wer einen Blick
ins Fontsverzeichnis wirft, stellt fest,
dass die Systemschriften Arial, Taoma,
Times New Roman, Verdana und Wingdings nun als OpenType-Fonts vorliegen – erkennbar durch ein Ikönchen
mit einem zweifarbigen O.
Friedensverhandlungen
Auch Adobe bekennt sich inzwischen
zu OpenType. Nicht mit viel Getöse –
man muss die Dokumentationen zu
InDesign und dem neuen Adobe TypeManager Deluxe 4.1 mit der Lupe nach
diesem Stichwort absuchen. Dabei ist
die Sache mit den digitalen Fonts für
das Desktop-Publishing zentral – und
auch im Web wird gepflegte Typografie zunehmend wichtig (so darf man
zumindest weiterhin hoffen).
Es war auch das boomende Internet
mit seinen spezifischen Bedürfnissen
gewesen, das Microsoft und Adobe
zum OpenType-Abkommen motiviert
erklären, bei der ein Webdesigner die
verwendeten Fonts einfach auf den
Server lädt. Dort stünden sie zur freien
Verfügung für jedermann – zumindest,
wenn er sich fürs gleiche Betriebssystem entschieden hat, wie der Webdesigner. Denn plattformunabhängig sind
weder TrueType- noch Type1-Schriften,
auch wenn beide Formate sowohl für
den Mac als auch für Windows zur
Verfügung stehen. Um auf einer anderen Plattform verwendet zu werden,
müssen die Fonts konvertiert werden.
(Ein Utility dazu gibts im PublisherDownloadbereich.) OpenType-Dateien
funktionieren dagegen sowohl auf dem
Mac wie unter Windows.
Somit gab es diverse Anforderungen,
die ein neuer Schriftenstandard zu
erfüllen hatte. Laut der Pressemeldung
von Adobe und Microsoft standen folgende Punkte im Zentrum:
n Multiplattform-Unterstützung
n Bessere Unterstützung von internationalen Zeichensätzen
n Schutz der digitalen Schriften auch
bei Onlineverwendung
n Geringere Dateigrössen
n Bessere Unterstützung von typografischen Merkmalen wie Ligaturen,
alternative Darstellungen eines Zeichens etc.
Kuckuckseier
Technisch gesehen ist OpenType eine
Erweiterung des TrueType-Standards
und wird gelegentlich auch als True-
Microsoft stellt auf ihrer Homepage gratis ein Tool zur Verfügung,
mit dem sich Schriften in die Homepage einbinden lassen. Das Werkzeug nennt sich WEFT («Web Embedding Fonts Tool»). Es erzeugt so
genannte Fontobjekte, die Internet Explorer verwendet, um die Webseiten mit den richtigen Schriften darzustellen. Netscape kann, wen
wunderts?, nichts mit den Fontobjekten anfangen.
Das Arbeiten mit WEFT ist eine komplizierte Angelegenheit. Wir
beschreiben daher in Kürze, wie es funktioniert. Wers genau
wissen möchte, findet WEFT unter www.microsoft.com/typography/
web/embedding/weft2/default.htm in vorbildlicher Weise dokumentiert.
WEFT listet die verwendeten Schriften auf und der Webdesigner darf bestimmen,
welcher Font wie eingebettet wird.
Wenn Sie in WEFT ein neues Projekt starten, erscheint ein Assistent,
dem Sie als erstes den Speicherort Ihrer Site angeben müssen. Dann
analysiert das Programm sämtliche HTML-Seiten auf die verwendeten
Schriften. Es untersucht dabei sowohl die Font-Tags als auch die StyleSheets. Anschliessend präsentiert es die gefundenen Schriften und
der Benutzer kann das Subsetting bestimmen. Subsetting bedeutet,
dass von einer Schrift nicht alle Zeichen ins Fontobjekt übertragen
werden, sondern nur die tatsächlich verwendeten. Dies reduziert die
Dateigrösse des Objekts und beschleunigt den Download. Nun können
Sie festlegen, in welchem Verzeichnis die Fontobjekte gespeichert
werden. Schliesslich erzeugt das Programm die Objekte und modifiziert
die HTML-Seiten so, dass Internet Explorer auf die komprimierten und
verschlüsselten Fontdateien Zugriff hat.
Bei der Verschlüsselung werden URL-Angaben in die Fontobjekte
integriert. Der Browser verwendet die Objekte nur, wenn die URL
in den Objekten mit der Internetadresse der aufrufenden Seite
übereinstimmen. Ändert sich der Root-Pfad, müssen die Objekte neu
erzeugt werden. Restriktiv wie die Lösung ist, dürfen die Fonts ausschliesslich zur Anzeige der Webseiten verwendet werden.
Download WEFT: www.microsoft.com/typography/
downloads/weft2022c.exe, 934 kB
Fokus
Publisher 5·2000
Adobe Type Manager Deluxe 4.1
Neuauflage
Viel zu verbessern gabs an Adobes
Schriftenverwaltungsprogramm nicht. Die
Version 4.1 bringt nur wenig Neues.
n MATTHIAS SCHÜSSLER Obwohl
Das Hilfsprogramm «Zeichentabelle» ist unter Windows 2000 eine unermessliche
Schatzgrube, wenns um die Suche nach Sonder- oder Akzentzeichen oder andere
Zeichensysteme geht. Dank Unicode sind sogar hebräische Texte leicht zu setzen.
dows frisch aus der Box kann Type1Schriften anzeigen, ohne auf ATM
angeweisen zu sein. Dies dürfte eine
Menge Probleme beseitigen. Es ist also
nicht abwegig, wenn Microsoft und
Adobe von der «Beilegung des Fontkriegs» sprechen. Andererseits konnte
Historisches
Das TrueType-Format wurde
ursprünglich von Apple entwickelt. Die Firma wollte sich
durch die Eigenentwicklung die
Lizenzgebühren sparen, die sie
bei Verwendung des Type1-Formats an Adobe hätte zahlen
müssen. Als Microsoft skalierbare Vektorschriften in
Windows integrieren wollte,
lizenzierte die Firma TrueType
von Apple.
TrueType hielt 1991 mit System
7 Einzug auf dem Mac. Ein
Jahr später zog Microsoft mit
Windows 3.1 nach. Eine verbesserte Version (der Rasterizer
1.5) erschien mit Windows
NT 3.1. Seit dann hat es
laut Microsoft nur wenige
Änderungen an der SchriftenEngine gegeben. Die Version
1.66 des Rasterizers kam in
Windows Windows 95 und NT
3.51 zum Einsatz und konnte
die Kanten der Zeichen durch
die Verwendung von Graustufen glätten.
Vor der Einführung der TrueType-Schriften unter MacOS
und Windows gaben sich die
meisten Computerbenützer mit
Bitmap-Schriften zufrieden,
deren Konturen bei grosser
Skalierung nur als pixelige
Treppchen auf dem Bildschirm
und im Ausdruck erschienen.
Profis hatten allerdings auch
damals schon die Möglichkeit,
hochwertige Vektorschriften zu
verwenden. 1989 erschien
Adobes Type Manager für den
Mac und trug Wesentliches
zum Erfolg des Desktop-Publishing bei.
Windows NT ja auch schon in der Version 4 mit Postscript-Schriften umgehen: Zieht man die Dateien in den
Schriftenordner, werden sie automatisch ins TrueType-Format konvertiert.
So richtig profitieren wird die Windows-Gemeinschaft erst, wenn die
OpenType-Technologie auch in den
«Mainstream»-Versionen des Betriebssystems Einzug gehalten haben wird.
Ob die OpenType-Technologie im neuen
Windows Millennium, dem Nachfolger
von Windows 98, enthalten ist, war
bei Redaktionsschluss leider noch nicht
bekannt.
die Version 4 der Deluxe Edition schon
seit 1996 auf dem Markt ist, fühlt sich
Adobe nicht bemüssigt, neue Funktionen einzubauen. Ob wir hier Zeuge
einer in der Softwarebranche fast einmaligen Begebenheit werden – wie es
sich Type Manager auf dem Gipfel der
Perfektion bequem macht?
Wenn auch keine neuen Befehle im Programm zu finden sind, ist das entscheidende neue Feature die Unterstützung
von OpenType-Fonts. Damit können die
praktischen, plattformunabhängigen
Schriften auch auf Betriebssystemen
benutzt werden, die den Support nicht
aktuelle Projekt relevanten Fonts aktiviert, braucht man sich nicht ob des
überladenen Schriftmenüs zu grämen.
Und man wird keine «verbotene» Schrift
verwenden. Die Schriftsätze lassen sich
exportieren und auf einem anderen
System wieder einlesen – auf diese
Weise profitiert auch der Arbeitskollege
von der wohl organisierten Schriftenverwaltung.
Gertenschlank oder kugelrund
Eine weitere wichtige Aufgabe von
ATM Deluxe ist die Erstellung von Multiple-Master-Schriftschnitten. Fonts mit
dieser Technologie lassen sich in Stärke
Bewährte Funktionen, erprobtes
Screendesign: Mit
ATM Deluxe 4.1
erfindet Adobe
das Rad nicht neu.
Mac OS X bringt OpenType
Auf dem Mac wird OpenType voraussichtlich mit Mac OS X Einzug halten.
Bis es soweit ist, haben Mac-Benützer
die Möglichkeit, die neuen Fonts mit
dem Type Manager zu verwenden –
genauso wie Windows-95-, -98- und
Windows-NT4-Anwender.
OpenType ist ein echter Kompromiss
– offenbar wollte weder Adobe noch
Microsoft von ihrer Technologie
abrücken. Laut Microsoft soll das so
bleiben: OpenType wird auch in Zukunft
sowohl TrueType- als auch Type1-Schriften unterstützen. Der Schriftenkrieg
ging unentschieden aus.
n
Links zum Thema:
The User-Friendly PostScript Ressource:
www.ncf.carleton.ca/~cj434/
Microsoft: www.microsoft.com/typography
Hier finden Sie auch das nützliche
Windows-Tool «Open Type Font Shell
Extension». Es erweitert den Eigenschaftendialog von Schriftdateien um
viele informative Reiter.
Eine Menge Infos über Fonts: Microsofts
«Open Type Font Shell Extension».
wie Windows 2000 bereits eingebaut
haben. Ausserdem prangt ein grosser,
gelber Kleber auf der Schachtel, der
Win-2000-Bereitschaft verspricht. Allerdings hatte auch die Vorgängerversion
schon ordentlich unter dem neuen Windows funktioniert.
und Breite in mehreren hundert Abstufungen fein regulieren. Im entsprechenden ATM-Menü können viele solche
Multiple-Master-Schriftschnitte erstellt
Unerlässlich für DTPler
In Ermangelung neuer Funktion seien
hier noch einmal die äusserst nützlichen
Dienste beschrieben, die der Type
Manager auf einer DTP-Workstation
zu leisten vermag: ATM unterstützt
typografische Gestalter beim Sichten
und Verwalten von Schriften. Das Programm kann Fonts anzeigen, auch
wenn sie nicht im System installiert
sind.
Ordnung statt Chaos
Schriften lassen sich in Sätzen organisieren. Diese Sätze erscheinen als
Ordnersymbole in der Baumansicht.
Bewährt hat sich eine Sortierung nach
Projekten: So lassen sich alle Fonts, die
für einen Auftrag notwendig sind, per
Mausklick auf das Ordnersymbol aktivieren. Die gleiche Schriftart lässt sich
in beliebig viele Sätze übernehmen,
sodass auch bei vielen Projekten mit
unterschiedlichen typografischen Anforderungen stets Übersicht herrscht:
Arbeitet man diszipliniert mit den
Schriftsätzen und hat nur die fürs
Als Zugabe enthält die DeluxeVersion des ATM 15 dekorative
PostScript-Schriften.
und als virtuelle Fonts abgespeichert
werden. Auf diese Weise können Multiple-Master-Schriften auch in Programmen verwendet werden, welche
diese Technologie nicht direkt
unterstützten.
n
Vollversion: 135 Franken, Update 55
Franken, Infos: 0800 55 51 51 oder
www.adobe.ch.
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